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ZWEITER TElL Die Grundlagen der Riemann-WeierstraBschen Funktionentheorie Fiinftes Kapitel Erzeugung analytischer Funktionen durch Grenzprozesse. Der Riemann-WeierstraBsche Begriff der analytischen Funktion 35. Funktionenraume. 1st G ein Gebiet der vollen komplexen Ebene und F eine Gesamtheit von analytischen Funktionen w (z). die aIle in G definierl sind. so sprechen wir kurz von einem Funktionenraum. Dabei sind lediglich die Fille interessant. wo F unendlich viele Elemente w = w (z) enthalt und durch die EinfUhrung einer Metrik als ein metri- scher abstrakter Raum definiert werden kann. 1m folgenden fassen wir Gals den Koordinatenraum auf und defi- nieren ein Element w von F mit Hilfe seiner Koordinaten z durch die Gleichung (35.1) (w = w(z) I z EG). Zwei Elemente I. g von F werden dann als gleich bezeichnet werden. wenn (35.2) I(z) = g(z) gilt. Def. Sind I. g zwei Elemente von F, so solt (35.3) [f. g] = sup {[f(z). g(z)] I z E G} die Entjernung von lund g heif3en. Man bestatigt ohne weiteres: 1. 2. 3. 4. 1st die GroBe (35.4) [I. g] = [g,j] 0 [f,j] = 0 [f. g] = 0 -+ 1= g [f. g] [f. h] + [g. h] If. gl = sup {1/(z) - g(z)11 z E G} (z E G) (j. g EF) (jEF) (j. g EF) (j. g. h EF). fUr aIle I. g E F endlich. so hat diese aIle Entfemungseigenschaften von [f. g]. A. Dinghas, Vorlesungen über Funktionentheorie © Springer-Verlag OHG. 1961

Vorlesungen über Funktionentheorie || Erzeugung analytischer Funktionen durch Grenzprozesse. Der Riemann-Weierstraßsche Begriff der analytischen Funktion

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ZWEITER TElL

Die Grundlagen der Riemann-WeierstraBschen Funktionentheorie

Fiinftes Kapitel

Erzeugung analytischer Funktionen durch Grenzprozesse. Der Riemann-WeierstraBsche Begriff der analytischen Funktion

35. Funktionenraume. 1st G ein Gebiet der vollen komplexen Ebene und F eine Gesamtheit von analytischen Funktionen w (z). die aIle in G definierl sind. so sprechen wir kurz von einem Funktionenraum. Dabei sind lediglich die Fille interessant. wo F unendlich viele Elemente w = w (z) enthalt und durch die EinfUhrung einer Metrik als ein metri­scher abstrakter Raum definiert werden kann.

1m folgenden fassen wir Gals den Koordinatenraum auf und defi­nieren ein Element w von F mit Hilfe seiner Koordinaten z durch die Gleichung

(35.1) (w = w(z) I z EG).

Zwei Elemente I. g von F werden dann als gleich bezeichnet werden. wenn

(35.2) I(z) = g(z) gilt.

Def. Sind I. g zwei Elemente von F, so solt

(35.3) [f. g] = sup {[f(z). g(z)] I z E G}

die Entjernung von lund g heif3en. Man bestatigt ohne weiteres:

1.

2.

3.

4. 1st die GroBe

(35.4)

[I. g] = [g,j] ~ 0

[f,j] = 0

[f. g] = 0 -+ 1= g

[f. g] ~ [f. h] + [g. h]

If. gl = sup {1/(z) - g(z)11 z E G}

(z E G)

(j. g EF)

(jEF)

(j. g EF)

(j. g. h EF).

fUr aIle I. g E F endlich. so hat diese aIle Entfemungseigenschaften von [f. g].

A. Dinghas, Vorlesungen über Funktionentheorie© Springer-Verlag OHG. 1961

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96 V. Erzeugung analytischer Funktionen durch Grenzprozesse

1m vorliegenden Kapitel werden vorerst folgende wichtige Fragen beantwortet werden:

1. Voilstandigkeits- und Kompaktheitsfragen eines gegebenen Rau-mesF.

2. Lockerung der Gleichheitsbedingung (35.2) in Verbindung mit 1. Wir beginnen mit dem einfachen Satz: Satz. Gilt j(z) = g (z) auj einer unendlichen Teilmenge A von G mit

(A\A) n G=l=0, so istj=g. . Beweis. Man bilde a(z) = j(z) - g(z). Dann verschwindet a(z) auf

einer Punktmenge mit einem Haufungspunkt in G. Daraus folgt a(z) =0 fur aile z E G.

36. Kompaktheitsfragen. Vorbereitende Tatsachen. Die Frage, unter welchen Bedingungen eine Funktionenfamilie bzw. ein Funktionenraum F vollstandig bzw. kompakt ist, hangt mit folgenden Tatsachen zusammen:

Def. Eine Familie F von analytischen Funktionen heifJt gleichgradig stetig, wenn bei gegebenem e >0 stets ein 'f} = 'f} (e) existiert derart, dafJ

(36.1) Iw(z)-w(z')1 <e

jur jedes Paar (z, z'), z, z' E G, Iz- z'l < 'f} gilt. Def. Eine abziihlbare Teilfolge (wn) (n = 1,2, ... ) von Elementen eines

Raumes F heifJt konvergent, wenn eine in G komplexe Funktion W = W (z) existiert derart, dafJ

(36.2) lim Wn (z) = W (z) (z E G) n-+OO

gilt. Die Folge (wn) heifJt gleichmiifJig konvergent, wenn anstelle von (36.2) die Gleichung (36.3) gilt. n-+oo

Die Gleichung (36.2) besagt: Zu jedem e > 0 existiert em Index no = no (e, z) derart, daB (36.4)

fur alle n ~ no wird. Dagegen besagt Gleichung (36.3): Zu jedem e > 0 existiert ein Index no (e) derart, daB

(36.5) IWn (z) - W (z) I < e fur aile n ~ no(e) gilt.

Eine Konvergenz im Sinne der Gleichung (36.3) (gleichmaBige Kon­vergenz) wird durch die Bezeichnung Wn =? W zum Ausdruck gebracht. Fur gewohnliche Konvergenz schreibt man Wn -+ wl.

1 Die Existenz der (endlichen) Grenzfunktion w (z) ist offenbar gewahrleistet, wenn die Folge (w,,(z)) punktweise unter Zugrundelegung der Entfernung (35.4) eine Cauchy-Folge bildet (notwendige und hinreichende Bedingung). Die Ver­wendung der Ostrowski-Ahlforsschen Metrik gestattet, auch nicht endlichwertige Funktionen in die Konvergenztheorie einzubeziehen.

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36. Kompaktheitsfragen. Vorbereitende Tatsachen 97

Def. Die Funktionenfamilie F heifJt punktweise beschriinkt, wenn

(36.6) endlich ist.

sup {lw(z)1 I w EF} = M(z) (z E G)

Man kann ohne weiteres zeigen: 1st F punktweise beschrankt, so gibt es zu jeder kompakten Teilmenge Kl von G eine endliche Konstante M = M (K) derart, daB

(36.7) M (z) ~ M (z E K)

gilt. Satz. 1st Zoo ~ G und F punktweise beschriinkt, so ist F gleichgradig

stetig injeder kompakten Teilmenge K von G.

Beweis. Man setze

do = inf {Iz- z'l I z E K, z' Elff \ G}

und nehme 0 < d < do. N ach dem Heine-Borelschen Sa tz kann man K bei

willkiirlichem d1 (0 < d1 < + ) durch endlich viele Kreisscheiben

Kr;" ... , Kr;. (kurz Kl> ... , Kq) mit dem Radius d1 und den Mittelpunk-ten Cl' ... , Cq EK iiberdecken. Dabei hangt q bei festem K nur von d1 abo

Man setze j etzt

und Kd = {z I Min Iz-CI ~ d}

r;EK

M = sup {M (z) I z E Kd}.

Dann folgt aus der Darstellung

1 J de (36.8) w (z) = -2 -. w (C) -1'-nt ~ - z Ir;-r;kl =d

die Ungleichung

2M Iw(z) - w(Ck)1 ~ --d" Iz- Ckl

Man wahle jetzt bei vorgegebenem e, 0 < e < M,

ds d1 = 8M-

und betrachte zwei beliebige Punkte z, z' von K mit

(36.9) I 'I ds z-z <4M'

Liegt dann z in Kr und z' in K s, so gilt

ICr-Csl ~ 2d1 + Iz-z'l < 2d~ 1 Kompakt stets im Sinne von: beschrankt und abgeschlossen. Dinghas, Funktionentheorie 7

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98 V. Erzeugung analytischer Funktionen durch Grenzprozesse

und somit (mit Rucksicht auf (36.8), angewandt auf den Kreis Kr)

2M Iw(Cs)-w(Cr)1 ~-d-ICr-Csl <e.

Nun ist

Iw(z) -w(z')1 ~ Iw(z) - w(Cr)1 + Iw(Cs) - w(Cr)1 + Iw(z') - w(Cs)1

und daher 2M

Iw(z) - w(z')1 ~ 2-d-d1 + e < 2e .

Das beweist den Satz. Nachfolgender Satz ist fur die Konvergenztheorie von groBer Be­

deutung: Satz. Konvergiert eine Folge (wn) (n = 1, 2, ... ) von holomorphen

Funktionen in jeder kompakten Teilmenge K von G gleichma/3ig gegen eine Funktion w (z), so ist diese notwendigerweise regular in G. Daruber hinaus gilt w~ (z) =9 w' (z) fur jede kompakte Teilmenge K von G.

Beweis. Es bedeute z einen Punkt von G. Man betrachte eine Um­gebung

(36.10) IC - zl < r < r(z)

von z und eine dort stuckweise stetig differenzierbare, geschlossene Kurve y. Da Wn (z) dort gleichmaBig konvergiert, so ist zunachst w (z) stetig. Nun ist

f wdC = ~ (w - wn) dC + ~ wndC = ~ (w - wn) dC

und somit

Wahlt man hier n hinreichend groB, so erhalt man

(e > 0 vorgegeben) ,

also ~wdz= o.

Das beweist die Regularitat von w (z). Es sei nun K eine kompakte Teilmenge von G. Man wiederhole die

beim Beweis des vorherigen Satzes verwendete Konstruktion und dif­ferenziere die Integrale

1 f dC wn (z) = -2 -. wn (C) -,.- (Co E K) :n;t ~ - z

[C-Co[=d

und 1 f dC w(z)=-2· w(C)-,.-. :n;t ." - z

!C-to[=d

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36. Kompaktheitsfragen. Vorbereitende Tatsachen

d Dann erhalt man fUr Iz- Col ;;:;; 2

Iw;,(Z)_W'(Z)I;;:;; :. 21n f Iwn(C)-w(C)lldCI· IC-;o[=d

Setzt man Ko = Kd/2 und

so wird en (K) = Max {Iwn(z) - w (z)11 z E K o},

Iw~(z) - w' (z)1 ;;:;; ! en (K)

und somit wegen lim en (K) = 0 n---+oo

lim Max {Iw~(z) - w' (z)11 z E K} = O.

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Eine wichtige Frage in der Theorie der analytischen Funktionen ist nun die: Gegeben sei ein Raum F von regularen Funktionen w(z) (z E G). Unter welchen (moglichst schwa chen) Voraussetzungen enthalt jede unend­licheFolge (wn) vonF eine Teilfolge wnk(k = 1,2, ... ), die gegen eine in G regulare Funktion w (z) konvergiert? Diese wichtige Frage soil in der nachsten Nummer behandelt werden.

37. Die Satze von ASCOLI und VITALI. Der Hauptsatz der Konver­genztheorie analytischer Funktionen kann folgendermaBen formuliert werden:

Satz (ASCOLI -ARZELA-MONTEL). J ede unendliche p'unktweise beschrankte (und somit in jeder kompakten T eilmenge von G gleichgradig stetige) Familie F regularer Funktionen enthalt mindestens eine gegen eine in G regulare Funktion konvergente Teilfolge. Die Konvergenz ist in jeder kom­pakten Teilmenge von G gleichma/3ig1•

Beweis. Es bezeichne N die (abzahlbare) Menge alIer Punkte von G mit rationalen Koordinaten. Sind dann Z1> Z2' ... die Elemente von N, so sind die oberen Grenzen M(Zl)' M(Z2)'" von Iw(z)1 (wEF) in den ent­sprechenden Punkten endlich, und somit kann man vorerst aus F eine Folge

auswahlen derart, daB

(37.1) lim wnlk (Zl) = w (Zl) k~oo

existiert. Aus der Folge Tl wahle man nun eine neue Teilfolge, etwa die Folge

1 Die urspriingliche Formulierung des Satzes durch ASCOLI (1843-1896) war bei weitem enger als die hier gegebene. Der Satz in der jetzigen Formu1ierung geht vorwiegend auf die Arbeiten von ASCOLI, ARZELA (1847 -1912), VITALI (1875-1932) und MONTEL zuriick.

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100 V. Erzeugung analytischer Funktionen durch Grenzprozesse

die im Punkte Z2 von N konvergiert. Die Fortsetzung dieses Auswahl­verfahrens fuhrt zu folgendem unendlichen Schema:

T1 :wnll, wn", wn,•· ..

T2 :wnll, W n22, wnZ3 • ••

wobei allgemein T1c eine Teilfolge von T 1c - I ist und in den Punkten Zl' Z2' ••• , Z1c von N konvergiert.

Wir behaupten nun: Die Diagonalfolge (wnrr) (r = 1,2, ... ) konver­giert in allen Punkten von N. Denn ist Zs ein Punkt von N, so liegen aIle Funktionen wnrr mit r ~ s in Ts' und somit existiert

lim wnrr (zs) = lim Wn,k (zs) . r~oo lc--+ooo

Das beweist die Behauptung. Es sei nun K eine kompakte nichtleere Teilmenge von G. Man uber­

decke wieder K durch die Kreisscheiben K I , ... , Kq und beachte, daB fur aIle z, z' E K mit Iz - z'l ~ dj4 die Ungleichung

(37.2) 8M

Iw(z)-w(z')1 ~-d-lz-z'l (W EF)

gilt. Es sei wieder e (0 < e < M) vorgegeben. Man nehme dl = dej24 M und wahle in jeder Kreisscheibe Ks(s = 1,2, ... , q) einen Punkt zn,EN. Dann gibt es einen Index ko derart, daB fur alle k, l ~ ko

e IWnkk (zn,) - wnll (zn,) I < 3

wird. Beachtet man dann, daB fur ein z E Kp

mit

und e J3 = IWnll (znp) - wnl! (z) I ~ 3

ist, so folgt daraus leicht die Ungleichung

IWnkk (z) - wnll (z) I < e

(i=I,2, ... ,q)

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37. Die Satze von ASCOLI und VITALI 101

Das beweist mit Riicksicht darauf, daB jedes z E K in einem der endlich vielen K. liegt, die gleichmaBige Konvergenz der Folge (wnkk(z)) (k = 1,2, ... ) in jeder kompakten Teilmenge von G.

Da nun G sich durch eine ansteigende Folge (Gn) (n = 1,2, ... ) von Gebieten Gn aussch6pfen laBt derart, daB jedes Gn kompakt und in G enthalten ist, so konvergiert (wnkk(z)) (k = 1,2, ... ) in G gegen eine analytische Funktion w(z), und zwar gleichmaBig in jedem anI.

VITALI und PORTER 2 haben aus den hier entwickelten Zusammen­hangen folgenden wichtigen Satz abgeleitet:

Satz (VITALI-PORTER). Konvergiert eine punktweise beschriinkte Folge (Wn (z)) (n = 1, 2, ... ) von analytischen Funktionen Wn (z) auf einer abziihlbaren Teilmenge {zn} (n = 1, 2, ... ) von G mit lim Zn = Zo E G, so

n-..oo konvergiert (wn(z)) in G gegen eine analytische Funktion w(z). Die Kon­vergenz ist in jeder kompakten Teilmenge von G gleichmiipig.

Beweis. Wir beweisen lediglich die Konvergenz von (wn (z)). Ware der Satz falsch, so wiirde die gegebene Folge zwei Teilfolgen (wmk (z)) und (wnkz)) (k = 1,2, ... ) enthalten, die gegen zwei Grenzfunktionen, etwa w bzw. if), konvergieren wiirden, und die in mindestens einem Punkt z von G verschieden waren. Setzt man dann

w(z) - i.(z) = w(z) ,

so gilt in dem Punkt z, Iw (z) I > 0, und somit kann W (z) in G nicht identisch verschwinden. Andererseits (da beide Folgen (wmk) und (wnk)

Teilfolgen von (wn) sind) verschwindet W (z) auf der Punktmenge {zn} und somit auf einer Teilmenge von G, die einen Haufungspunkt in G besitzt. Das hat aber zur Folge, daB W (z) in G identisch verschwinden muB.

BLASCHKE hat den hier bewiesenen Satz von VITALI vertieft und ge­zeigt, daB dieser unter bestimmten Voraussetzungen auch dann gilt, wenn Zo auf dem Rande von G liegt. So kann man z. B. zeigen: 1st G die Kreisscheibe Izl < 1 und IZol = 1, so ist der Vitali-Portersche Satz richtig, sofern die Reihe

00

}; (1-lznD 1

divergiert. Der Leser wird diesen Satz selbst beweisen k6nnen, nachdem er die Ausfiihrungen von 56. gelesen hat.

1 Der Fall zooEG sowie derjenige, wo F noch meromorphe Funktionen enthalt, erledigen sich durch die Verwendung der Ostrowski-Ahlforsschen Entfernung. Auf eine ausfiihrliche Behandlung beider FaIle wird hier nicht eingegangen.

S VITALI und PORTER stiitzen sich beide auf die Arbeit von ARZELl aus dem Jahre 1902. PORTERS Arbeit ist einige Monate nach der Arbeit VITALIS erschie­nen. Der Satz wird in der Literatur oft als Vitalischer Konvergenzsatz gefiihrt.

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102 V. Erzeugung analytischer Funktionen durch Grenzprozesse

38. Reihen. Unendliche Produkte. Integrale. WEIERSTRASS hat ein einfaches hinreichendes Kriterium dafiir gegeben, daB eine Folge (wn)

(n = 1,2, ... ) von analytischen Funktionen gegen eine analytische Funktion konvergiert.

Satz. (WeierstraB-Kriterium fur gleichmaBige Konver­genz). Gilt in jeder kompakten Teilmenge K des Regularitatsgebietes G der regularen Funktionen Wn (z)

(38.1) Max IWn- 1 (z) - Wn(z) I ;;:;; Mn = Mn(K) < + 00

und konvergiert (38.2)

so konvergiert die Folge (wn) in G gegen eine analytische Funktion. Die Konvergenz ist in jedem K gleichmafJig.

Beweis. Es sei tit < n. Dann ist

n-l 00

IWm - wnl ;;:;; I; IWk- wk+11 ;;:;; I; Mk < 8. k=m m+l

Das beweist die gleichmaBige Konvergenz der Folge (wn) in jeder kom­pakten Teilmenge K von G.

Folgende Grenzprozesse spielen in der Funktionentheorie eine wich­tige Rolle:

1. Reihen regularer Funktionen

(38.3)

2. Unendliche Produkte

(38.4) W (z) = (1 + wdz)) (1 + w2 (z) ...

3. Integrale

(38.5) J(z) = l P w(z, t) dt

Satz (WEIERSTRASS). Gilt in G

(38.6) Max Iwn(z)1 ;;:;; Mn = Mn(K) < + 00 zEK

fur jede kompakte Teilmenge K von G und konvergiert

(38.7) so ist (38.3) regular in G.

Beweis. Man setze n

sn(z) = I; Wk(Z) . 1

(ex < fJ) •

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38. Reihen. Unendliche Produkte. Integrale 103

Dann ist fur m < n und z E K n 00

ISm(z) - sn(z)1 ~ E IWk(Z)l ~ E M k-k=m+l k=m+l

Das beweist den Satz. Satz (WEIERSTRASS). Gilt in jeder kompakten Teilmenge K von G (38.6)

und ist (38.7) konvergent, so ist die Funktion n

(38.8) W (z) = lim n (I + wdz)) n~oo 1

in G analytisch.

Beweis. Man setze n

(38.9) IIn=IIn(z) = n(1 + Wk(Z)) 1

und schatze IIIn-IIml in K abo Wegen

ist

mit

Wiihlt man m so, daB

ausfiillt, so wird

(38.10) IIIn -IIml ~ M(e B - I) < 2 M e

Das beweist die Behauptung. Def. 1st fur ein z E G

1 + wn(z) =1= 0

so heiflt (38.8) konvergent, wenn n

lim n(1 + Wk(Z)) n~oo 1

existiert und von Null verschieden ist. "Vir schreiben dann

00

(38.11) w(z) = n(1 + wdz)). 1

(n = 1,2, ... )

(z E K) .

(n = 1,2, ... ) ,

Diese Definition hat den Vorteil, daB ein konvergentes Produkt dann und nur dann verschwinden kann, wenn einer seiner Faktoren ver­schwindet.

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104 V. Erzeugung analytischer Funktionen durch Grenzprozesse

Aus der Konvergenzdefinition folgt wegen

IIn - 1 (z) Wn (z) = IIn (z) - IIn - 1 (z)

die Bedingung: Konvergiert die rechte Seite von (38.11) in einem Punkt z, so ist lim Wn (z) = O.

n~oo

DaB diese Bedingung nicht hinreichend ist, sieht man am einfach­

sten an dem Beispiel W k (z) = ~z , indem man Z reell positiv und < 1 voraussetzt. In der Tat gilt

(0 < x < I) und somit

0< ¥(I- :) ~ e -"{fie).

Daraus folgt wegen der Divergenz der harmonischen Reihe

lim n(l- :)=0. n-+oo 1

Das Produkt (38.11) heiBt definitionsgemaB im Punkt z E G absolut 00

konvergent, wenn der (endliche) Grenzwert lim II (I + IWk (z) I) existiert. n-+oo 1

1st A ~ G und konvergiert (sn (z)) bzw. (IIn (z)) gleichmaBig, so heiBen die entsprechenden Funktionen (38.3) bzw. (38.4) gleichmaBig kon­vergent in A. 1st A ein Gebiet, so ist in beiden Fallen die Grenzfunktion (flir regulare wk (z)) holomorph in A. Es versteht sich von selbst, daB die vorhin bewiesenen Satze von WEIERSTRASS lediglich ein hinreichendes Kriterium fur die Regularitat der Grenzfunktion darstellen 1•

Zum SchluB solI noch der Integralbegriff (38.5) erlautert und ver­allgemeinert werden.

Wir betrachten eine stuckweise stetig differenzierbare Kurve

(38.12)

und nehmen an, die Funktion W (z, C) (C E y) genuge folgenden Bedin­gungen:

1. Fur jedes C E y ist W (z, C) eine in einem festen Gebiet G von E eindeutige regulare Funktion von z.

1 Man kann leicht zeigen, daB man im Faile der absoluten Konvergenz von (38.3) bzw. (38.4) die Summanden bzw. die einzelnen Faktoren beliebig umordnen kann. Diese Bedingung hat wiederum die absolute Konvergenz von (38.3) bzw. (38.4) zur Folge. Eine ersch6pfende Theorie der Reihen bzw. der unendlichen Produkte findet der interessierte Leser in dem ausgezeichneten Buch von K. KNOPP, Theorie und Anwendung der unendlichen Reihen (diese Samml. Bd. 2, 4. Auff. 1947).

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38. Reihen. Unendliche Produkte. Integrale 105

2. Die Funktion w (z, C) ist bei festem z E G stetig in jedem Punkt C E y.

3. Konvergiert z' -+ Z (z' E G), so konvergiert w (z', C) gleichmaBig in C gegen w(z, C). Das bedeutet: 1st e > 0 vorgegeben, so gibt es ein 'fJ derarl, daB

Iw(z', C) - w(z, C)I < e (Iz' -zl < 'fJ) fur aile C E y gilt.

Wir bilden nun das Integral

(38.13) w(z) = fr w(z, C) dC =;; w(z, C(a)) C'(a) da

und beweisen den Satz: Satz. Die durck (38.13) definierte eindeutige komplexe Funktion w (z)

ist in G regular. Beweis. Wegen 3. ist w (z) stetig in G. Man betrachte ein achsen­

paralleles Rechteck R von G und eine geschlossene, stuckweise stetig differenzierbare Kurve r, die in R verlauft. Dann ist

;;. W (z) dz = !r {fr w (z, C) dC} dz und somit auch

;;'w(z) dz= fr {!rw(z,C) dZ}dC = o. Das beweist den Satz.

Der Leser wird wohl gemerkt haben, daB das bekannte Cauchysche Integral

ein Spezialfail von (38.13) ist. Die Anwendung von Grenzprozessen fuhrt zu verschiedenen Verailgemeinerungen und Verliefungen. Folgende Pro­zesse sind von Interesse:

1. Betrachtung von Kurvenfolgen (Yn) (n = 1, 2, ... ). 2. Heranziehung von konvergenten Funktionenfolgen (wn (z, C))

(n = 1,2, ... ) unter Beibehaltung der Integrationskurve y. 3. Verbindung der Fane 1. und 2. Diese drei Falle fuhren zu Integralen von der Form

(38.14)

(38.15)

und

(38.16)

Wn(z) = r w(z, C) dC )""

Wn (z) = fr Wn (z, C) dC

wn(z) = r wn(z, C) dC . )""

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106 V. Erzeugung analytischer Funktionen durch Grenzprozesse

Eine Reihe von Beispielen fUr aIle hier angefUhrten Integrale findet der Leser am Ende des Kapitels.

39. Der Weierstra6sche Begriff der analytischen Funktion. Der Satz von POINCARE-VOLTERRA. Die bisher fiber den Begriff einer analytischen Funktion w (z) gewonnenen Erkenntnisse gestatten, diese auch in der Form (39.1) w = {P (C - z) I z E G}

darzustellenl, mit anderen Worten, w (z) als die Gesamtheit aller ihrer Potenzreihenentwicklungen aufzufassen. Dabei kann bei gegebenem z E G als Entwicklungsgebiet die offene Kreisscheibe K'/: IC - zl < r (z) = rz

bzw. jede abgeschlossene Kreisscheibe IC - zl ~ r (0 < r < r (z)) zu­gelassen werden.

Die durch die rechte Seite von (39.1) dargestellte Gesamtheit von Potenzreihen hat folgende wichtige Eigenschaft:

Sind P (C - Zl)' P (C - Z2) zwei Potenzreihen mit den Konvergenz­radien rv r2 und ist IZI - z21 < r1 + r2, so gilt fur jeden Punkt C von K"nKT,

Zl z!

(39.2)

WEIERSTRASS hat nun unter Ausschaltung von w (z) letztere Gleichung zum Ausgangspunkt eines mit voller begrifflicher Scharfe durchgebil­deten Prozesses der analytischen Fortsetzung gemacht und daraus mit Hilfe einer Familie (39.3) w = {P(z- an von Funktionselementen den bisherigen Begriff der eindeutigen analyti­schen Funktion wesentlich erweitert.

DeC. Es sei

(39.4) 00

P(z-a) =.E ak(z-a)7c k=O

(z E~')2

eine Potenzreihe, und es sei b ein beliebiger Punkt von ~'. Dann heif3t die Reihe

00

(39.5) P(z- b) =.E bn(z- b)n o

mit

(39.6)

1 Ist z = 00, so ist dafur P (Ij!;,) zu schreiben. 2 Der Konvergenzradius r. ist entweder stets gleich 00 oder eine stetige Funk­

tion von a. Nimmt man namlich jb - aj hinreichend klein, so gilt 1'6 ;;;;; r. - jb - al. Andererseits gilt rb ~ r. + Ib - a\- Daraus folgt 11'. - 1'61 ~ Ib - a\-

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39. Der WeierstraBsche Begriff der analytischen Funktion 107

eine Umbild~tng von P (z - a). Die neue Reihe konvergiert offenbar min­destens in der Kreisscheibe Iz - bl < r a - Ib - ai, und es gilt dort

(39.7) P(z- a) = P(z- b) . Man findet leicht

(39.8)

Def. Die Potenzreihen

bilden eine endliehe Kette, wenn ak (k = 2, 3, ... , q) in K~!=: liegt und P (z - ak) dureh Umbildung aus der Reihe P (z - ak-1) hervorgeht.

Mit Hilfe des Begriffs der Kette kann man nun nach WEIERSTRASS den allgemeinen Begriff der analytischen Funktion folgendermaDen defi­nieren:

Def. Die Gesamtheit (39.3) heifJt eine analytiseheFunktion, wenn je zwei beliebige Elemente P(z- a) und P(z- b) von W als Anfangs- bzw. End­glied einer endliehen Kette aufgefafJt werden konnen. In diesem Faile heifJen die Elemente von W ihre Funktionselemente.

Die so definierte analytische Funktion wird eine allgemeine ana­lytische Funktion genannt. Enthalt W mit einem Funktionselement auch alle moglichen analytischen Fortsetzungen dieses Elements, so solI sie eine vollstandige analytische Funktion heiDen 1.

Die Mittelpunkte der Funktionselemente einer vollstandigen analyti­schen Funktion W bilden ein Gebiet, das wir mit Go bezeichnen werden. Dieses spielt, geeignet erweitert, eine grundlegende Rolle ftir die Auf­fassung von W als eine tiber derz-Ebene ausgebreitete Flache.

Der Ubergang von einer in K~a: Iz - al < r a konvergenten Potenz­reihe zu der Potenzreihe P (z - b) (Ib - al < r a) durch Umbildung der ersten Reihe nach dem WeierstraDschen Vorbild gestattet, eine in Ka U K;b analytische Funktion zu definieren, die in K~a mit P (z - a) und in K;b mit P(z - b) zusammenfallt. .

Diese Erweiterung des Definitionsbereiches einer analytischen Funk­tion im Stil VAUBANS 2 ist zwar fUr begriffliche Fixierungen von Bedeu­tung, stellt jedoch in vielen Fallen ein zu schwerfalliges (daftir aber sicheres) Instrument zur Gewinnung der gewiinschten Fortsetzung und zur Erhaltung eines Uberblicks tiber den Wertevorrat der betreffenden Funktion dar. In dieser Nummer solI deshalb zunachst das Problem

1 AHLFORS loco cit. S. 210. 2 SEBASTIAN VAUBAN (1633-1707), franzosischer General, beriihmt fiir seine

methodisch bis ins einzelne ausgearbeiteten Pla.ne, sowie fiir seine Befestigungs­anlagen zur Sicherung des eroberten Gebietes (H. POINCARE, La Valeur de la Science, E. Flammarion, Paris, 1905, Kap. 1).

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108 V. Erzeugung analytischer Funktionen durch Grenzprozesse

der Forlsetzung von einem allgemeinen Standpunkt aus behandelt und anschlieBend eine allgemeine (obwohl immer noch vorHiufige) Definition der ailgemeinen analytischen Funktion gegeben werden.

Die Cauchysche Definition der eindeutigen analytischen Funktion verknupft jedesmal w (z) mit dem Bereich, in dem diese definierl ist. Wir heben diese Tatsache durch die Schreibweise (w I G) hervor und sprechen von einem (auf G definierten) Funktionselementl.

Dei. Sind (wIIGI), (w2IG2) zwei Funktionselemente und gilt

1. GI n G2 =l= 0 2. wl(z) = w2(z) (z E GI n G2) ,

so heif3t jedes der Funktionselemente die unmittelbare Fortsetzung des anderen.

N achfolgender Satz weist auf die zentrale Bedeutung der unmittel­baren Fortsetzung innerhalb des begrifflichen Teiles der Funktionen­theorie hin:

Satz. Bei gegebenem (WI I GI ) kann es hochstens ein Funktionselement (w21 G2) (GI n G2 =l= 0) geben, das dieses in G2 analytisch jortsetzt.

Beweis. Man nehme an, es gabe neben (w21 G2) noch das Element (w21 G2), das (WI I GI ) analytisch fortsetzt. Dann ist

g(z) = w(z) - w(z)

in G2 eindeutig regular, und es gilt (wegen w (z) = WI (z) fUr Z E GI n G2)

g (z) = 0 fur aile z E GI n G2• Daraus folgt g(z) == 0 (z E G2).

Das einfachste Beispiel einer analytischen Forlsetzung im Sinne des eben bewiesenen Satzes wird wohl durch die Funktionselemente

und

(39.9)

gegeben. Wegen

lieferl die Funktion

(39.10)

(f Zk !I ZI<I)

h-~IE\Z=I) 00 1 };Zk=_­o 1 - z

1 w(z) =--

1 - z

die analytische Fortsetzung der Potenzreihe 00

P(z) =}; Zk. o

(IZ\ < 1)

1 AHLFORS schreibt dafiir (w, G). Die in Frage kommenden Gebiete werden stets als nicht leer angenommen.

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39. Der WeiershaBsche BegrifI der analytischen Funktion 109

Die Definition der endlichen KeUe lautet ahnIich wie bei Potenz­reihen:

Def. Die Funktionselemente (wkl Gk) (k = 1,2, ... , n) bilden eine (end­liche) Kette, wenn

(k = 2, 3, ... , n)

gilt und Wk-I (z) = Wk (z) (z E Gk- I n Gk) ist. 1st dann n > 2, so heifJt (wn I Gn) eine mittelbare Fortsetzung von (wIIGI).

Mit Hilfe der (allgemeinen) Funktionselemente (w IG) kann nun der WeierstraB-Riemannsche Begriff der analytischen Funktion folgender­maBen gefaBt werden:

Def. Unter einer allgemeinen analytischen Funktion W (z) wird jede (nichtleere) Menge von Funktionselementen (w IG) verstanden mit der Eigenschaft, dafJ je zwei Elemente von W(z) durch unmittelbare oder mittelbare Fortsetzung auseinander hervorgehen.

Die allgemeine analytische Funktion W (z) wird eine vollstandige analytische Funktion genannt, wenn diese mit einem Element auch aIle analytischen Fortsetzungen desselben enthalt.

1st W(z) durch die Gleichung

(39.11) W(z) = {(wiG) I (wiG) E W(z)}

definiert, so wird die Ableitung W' (z) durch die Gleichung

(39.12) W' (z) = {(w' I G) I (w! G) E W(z)}

definiert. Entsprechend verfahrt man mit den hoheren Ableitungen. Innerhalb der Gesamtheit der Funktionselemente kann eine Aquivalenz­relation definiert werden, die zu dem wichtigen Begriff des Zweiges fuhrt.

Wir bezeichnen zwei Elemente (WI I GI), (W2! G2) in bezug auf den Punkt Zo als aquivalent und schreiben dafiir (WI I GI) ~ (w21 G2), wenn

1. Zo E GI n G2 gilt und 2. WI (z) = W 2 (z) in einer Umgebung Uz, C GI n G2 von Zo ist. Der durch 1. und 2. definierte Aquivalenzbegriff hat (wie jede Aqui­

valenzrelation) die Eigenschaften:

1.

2.

3.

implizieren

(Symmetrie)

(WI! GI) ~ (W2! G2) -?' (W2! G2) ~ (wIIGI) (Refiexivitat)

(WI I GI) ~ (W2! G2) und (w21 G2) ~ (ws!Gs)

(Transitivitat) .

Mit Hilfe der so definierten Aquivalenzklassen gelangt man nun durch geeignete, schriUweise Verschmelzung der verschiedenen (schlichten)

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110 V. Erzeugung analytischer Funktionen durch Grenzprozesse

Gebiete G einer vollstandigen analytischen Funktion (indem man die gemeinsamen Punkte von zwei G identifiziert oder nicht, je nachdem diese Punkte (lie gleiche bzw. verschiedene Aquivalenzklassen erzeugen) zu einem mehr- bzw. unendlichblattrigen, anschaulich schwer liberschau­

baren Gebiet Go, dessen Punkte man eineindeutig auf die verschiedenen Aquivalenzklassen (die wir im folgenden mit (z, w) bezeichnen werden) abbilden kann. Dieses mehrblattrige Gebiet der z-Ebene, der "Existenz­bereich" der Funktion W (z), wird spater, begrifflich vertieft, eine Rie-

mannsche Flache genannt. Die Punkte 3 = (z, w) von Go werden als analytische Punkte bzw. als Stellen bezeichnet. Jede Stelle 30 bestimmt eine in der Umgebung von Zo eindeutige Funktion w (z), die fUr z = Zo

den Wert Wo annimmt. Diese Funktion wird spater (geeignet priizisiert) als der durch 30 definierte Zweig von W (z) bezeichnet.

1st G die Vereinigung aller G aus (39.11), so kann man bei gegebenen a, bEG stets eine Kurve y in G finden, welche die beiden Punkte ver­bindet, und langs derer die Fortsetzung eines Elements, etwa P(z- a), von W (z) bis zum Punkte b moglich ist. Dabei soll unter F ortsetzung liings y die Tatsache verstanden werden, daB bei der Umbildung von P (z - a) die sukzessiven Mittelpunkte auf y liegen. 1m aligemeinen braucht jedoch die Fortsetzung von P (z - a) langs einer vorgegebenen Kurve

(39.13)

nicht immer durchflihrbar zu sein. In diesem Zusammenhang kann man zeigen: 1st die Fortsetzung von P (z - a) langs y bis zum Punkt b mog­lich, so kann diese stets durch eine endliche Kette (d. h. durch endlich viele Umbildungen von P(z-a)) von Funktionselementen bewerk­stelligt werden. Der Leser kann den Beweis dieser Behauptung erbringen, indem er zeigt, daB die t-Menge alier Punkte at, bis zu denen man (durch endlich viele Umbildungen von P (z - a) liings y) fortsetzen kann, eine nicht leere, zugleich offene und abgeschlossene Teilmenge von eta, tbJ ausmacht und somit mit diesem Intervalllibereinstimmen muB.

Aus der eben bewiesenen Eigenschaft der Fortsetzung langs einer Kurve konnen leicht noch folgende Folgerungen gezogen werden:

1. Flihrt die Fortsetzung von P (z - a) langs einer Kurve y zum Funktionselement P(z-c), so fUhrt die Fortsetzung von P(z-c) langs - y zum Funktionselement P (z - a).

2. Die analytische Fortsetzung von P (z - a) langs der Kurve y ist, wenn liberhaupt, auf nur eine Weise moglich.

3. Bei der analytischen Fortsetzung von P (z - a) langs der Kurve y, die a und b verbindet, kann y durch eine Polygonallinie IIab ersetzt werden mit dem Anfangspunkt a und dem Endpunkt b, deren Ecken auf y liegen.

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39. Der WeierstraBsche Begriff der analytischen Funktion III

4. Das Endelement P(z-b) bleibt unverandert, wenn man IIab durch eine neue Polygonallinie II~b ersetzt, deren Ecken in einer hin­reichenden Nahe der Ecken von IIab liegen.

Die Frage nach der Machtigkeit der Vieldeutigkeit einer analytischen Funktion W (z) wird durch folgenden berlihmten Satz von POINCARE und VOLTERRA 1 gegeben:

Satz (POINCARE-VOLTERRA). JedeFunktion W (z) ist hochstens abzahlbar vieldeutig.

Mit anderen Worten: Es gibt hochstens abzahlbar viele (reguliire) Funktionselemente mit vorgeschriebenem Mittelpunkt a.

Beweis. Zunachst wissen wir: Jede Fortsetzung von P(z- a) zu P (z - b) laBt sich, wie bereits erwahnt, durch Einschiebung von endlich vielen Zwischenelementen bewerksteiligen. Nun kann man jedes Zwi­schenglied einer Kette, die von P (z - a) zu P (z - b) fiihrt, durch ein solches mit rationalem Mittelpunkt ersetzen. Denn sind (bei festem a, b) a, cl , c2, ••• , Cn' b die Mittelpunkte der einzelnen Elemente der Kette in natlirlicher Reihenfolge, so wahle man einen rationalen Punkt (21 (d. h. eine komplexe Zahl mit rationalen Koordinaten) so nahe an Cv daB (?1 noch dem Konvergenzkreis von P (z - a) angehi::irt und daB der Konvergenzkreis des durch unmittelbare Fortsetzung von P (z - a l )

erhaltenen Funktionselements P (z - !?1) noch C2 enthalt. Das auf diese Weise bestimmte Funktionselement P(z- el) ist nun ebenfalls eine un­mittelbare Fortsetzung von P (z - a) und hat einen rationalen Mittel­punkt. Fahrt man so fort, so kann man aile Funktionselemente P (z - c2), .•. , P (z - cn) durch solche (etwa P (z - (2)' ... , P (z - en)) mit einem rationalen Mittelpunkt ersetzen. Betrachtet man dann die Kette {P(z-e,,)} (k= 1,2, ... ,n), so stellt man fest, daB P(Z-ek) unmittelbare Fortsetzung von P (z - clc ) ist und umgekehrt, und so mit fiihrt diese zu demselben Element P(z- b). Der letzte Teil des Beweises lauft nun so: Aus den vorherigen Entwicklungen folgt, daB es hi::ichstens abzahlbar viele rationale Ketten geben kann, welche die Elemente P (z - a) und P (z - b) verbinden. Denn eine solche Kette wird durch einen (geordneten) Satz (ev ... , en) von stets endlich vielen Mittelpunk­ten gegeben, und somit ist auch ihre Gesamtzahl abzahlbar. Andererseits bestimmt eine Kette mit rationalen Punkten (im Sinne der vorherigen Entwicklungen) sowohl das Anfangs- als auch das Endelement. Daraus folgt aber, daB es hi::ichstens abzahlbar viele Mi::iglichkeiten gibt, von einem bestimmten Funktionselement ausgehend, das Endelement zu bestim­men. Das beweist den Poincare-Volterraschen Satz. Man kann dieses

1 POINCARE, H.: Sur une propriete des fonctions analytiques. Rend. Circolo matem. Palermo 2, 197-200 (1888). - VOLTERRA, V.: Sulle funzioni analitiche polidrome. Atti della reale Acad. de Lincei (4), 42, 355-361 (1888).

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112 V. Erzeugung analytischer Funktionen durch Grenzprozesse

Ergebnis von POINCARE und VOLTERRAl auch anders formulieren, indem man sagt, dafJ jede vollstiindige analytische Funktion durch hOchstens abziihlbar viele Funktionselemente definiert werden kann.

40. Analytische Fortsetzung in der Nahe einer isolierlen singularen Stelle. Algebraische Funktionselemente. Die exakte Erfassung des abstrakten Raumes (des analytischen Gebildes von WEIERSTRASS), dessen Elemente die Stellen 0 sind, erfordert das Studium des Verhaltens von W (z) in der Umgebung einer isolierten Singularitat und die Defini­tion der algebraischen Stelle. Es sei P (z - a) das Anfangselement einer endlichen Kette. Ftigt man zu dieser Kette neue Elemente hinzu, so entsteht eine abzahlbare Kette {P(z- an)} (n = 1,2, ... ) (mit ai = a), von der wir annehmen dtirfen, daB P (z - an) die unmittelbare Fort­setzung von P (z - an-I) ist. Damit wir auch den Punkt z = 00 in die nachfolgenden Betrachtungen leicht einbeziehen konnen, nehme man an, die Potenzreihe P (z - an) konvergiere in [z, an] < r n 2. Man setze voraus, daB der Grenzwert lim an = c existiert. 1st dann lim r n = r > 0, so

n~oo n~oo

kann ohne Schwierigkeit gezeigt werden, daB c ein regularer Punkt von

W (z) und mithin c EGo ist. 1m Falle r = ° definiert die Kette (P (z-an ))

eine singulare Stelle 3.

1m Hinblick auf den spater einzuftihrenden Begriff der Riemann­schen Flache und die damit verkntipfte geometrische Vorstellung des vorhin eingefiihrten, die z-Ebene tiberdeckenden mehrblattrigen Ge-

bietes Go wird gesagt, die singulare (und im Fane r> ° regulare) Stelle liege tiber dem Punkt c.

Da man je zwei Punkte an-I, an durch eine Jordansche Kurve Yn-l derart verbinden kann, daB die Fortsetzung von P (z - an-I) auf Y n -1 zu dem Element P (z - an) ftihrt, SO kann man den Begriff der (abzahlbaren) Kette auch durch die Fortsetzung langs eines (Jordan­schen bzw. spezielleren) Weges

(40.1) Yo = {z I Zt = z(t), t E [0, oo)}

ersetzen, der zu dem Punkt c im Sinne der Gleichung

(40.2)

fiihrt.

lim [z(t), c] = ° t-+oo

1 VITO VOLTERRA (1860-1940). 2 Vnter rn wird hier der auf der Riemannschen Kugel gemessene Abstand des

Entwicklungspunktes vom Rand des Konvergenzkreises verstanden. 31st lim r" = 0 und haben die Grundpunkte an keinen Grenzpunkt, so spricht

n4-00

man von einer singularen Menge bzw. Linie. Der flir diesen Fragenkomplex (der, in groBer Allgemeinheit entwickelt, den Rahmen dieses Buches uberschreiten wurde) interessierte Leser erfahrt wichtige Zusammenhange aus der Arbeit von O. TEICHMULLER, Erreichbare Randpunkte, Deutsche Mathem. 4, 455-461 (1939).

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40. Analytische Fortsetzung in der Niihe einer isolierten singuliiren Stelle 113

1m folgenden beschranken wir uns lediglich auf das Studium des Ver­haltens der analytischen Funktion in der Nahe einer isolierten Singulari­tat. Ihre Definition kann folgendermaBen gefaBt werden:

Def. Gibt es ein 8 > 0 derart, dafJ fur alle t mit Zt = Z (t) E U~ und U~: 0< [z, cJ < 8 die Fortsetzung jedes P(z-Zt) innerhalb von U~ moglich ist, so heifJt c eine isolierte Singularitat bzw. eine isolierte singulare Stelle.

Es sei jetzt z(to) = Zo E U~ nyc und M z, die Menge aller Funktions­elemente, die man aus P (z - zo) erhalt, wenn man dieses Element auf allen moglichen Wegen innerhalb U~ fortsetzt. Man teile die Elemente von M z in Aquivalenzklassen, bilde also fUr jedes z E U~ die Stellen , 0= (z, w). Dann kann folgendes eintreten: Entweder ist fUr jedes z E U~ die Anzahl der entsprechenden 0 unendlich, oder es gibt einen Punkt z'EU~ mit endlich vielen Stellen ok(k=1,2, ... ,h). Letz­terer Fall fUhrt zum Begriff der algebraischen Stelle. Zunachst zeigen wir: 1m zweiten FaIle ist fUr jeden Punkt z E U~ die Anzahl der ent­sprechenden Stellen gleich h. In der Tat besagt die Voraussetzung: Es gibt genau h Kurven (Wege) y~, y;, ... , y;' in U~, die von Zo bis zu dem Punkt z' fUhren mit der Eigenschaft, daB je zwei der entsprechenden Funktionselemente P yi (z - z') (i = 1,2, ... , h) in verschiedenen Aqui­valenzklassen liegen.

Zum Beweis, daB die Zahl h yom Punkt z' unabhangig ist, be­trachte man einen zweiten Punkt zIt =!= ZO, z' und bezeichne mit hIt (h" ~ (0) die Anzahl der entsprechenden Stellen O. Ware nun hIt > h, so gabe es ho(ho > h endlich) Wege y~', y;', ... , y;': in U~, die Zo mit zIt verbinden mit der Eigenschaft, daB die Funktionselemente P Yi' (z - zIt) in verschiedenen Aquivalenzklassen liegen. Man verbinde jetzt zIt mit z' durch eine Kurve y und setze aIle P yi' (z - zIt) langs y fort. Dann mtissen wegen h < ho mindestens zwei Funktionselemente zu einem und dem­selben Element, etwa dem Element Py;(z--z'), ftihren, Das wtirde aber bedeuten, daB liie Fortsetzung von P y; (z - z') langs der Kurve - y zu zwei Funktionselementen ftihrt, was der Eigenschaft 2. von 39. wider­spricht. Es ist also ho ~ h und somit auch hIt ~ h. Vertauscht man nun die Rolle von z' und zIt, so erhalt man entsprechend h ~ hIt, also hIt = h.

Man nehme jetzt der Einfachheit halber c = 0 und betrachte die Funktion

(40.3) g(C) = W(Ch) = w(z)

in der Umgebung V': 0 < [C\ OJ < 8.

Definiert man dann g(Co) durch irgendeine (fest e) h-te Wurzel von zo, so ist g (C) (von Co aus) in V' unbeschrankt fortsetzbar und dort eindeutig. Denn hat eine geschlossene Kurve r in V' durch Co den Windungsindex

m=2~i£di Dinghas. Funktionentheorie 8

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114 V. Erzeugung analytischer Funktionen durch Grenzprozesse

in bezug auf C = 0, so hat die daraus durch die Transfonnation z = C" entstehende (geschlossene) Kurve y durch Zo den Index mho Das beweist aber, daB die analytische Fortsetzung von g(C) langs einer geschlossenen Kurve in V' zum Ausgangselement ftihrt, und zeigt zugleich, daB g (C) dorl eindeutig ist.

Die Funktion g(C) besitzt in V' eine Laurent-WeierstraBsche Ent­wicklung, welche zunachst die Fonn

00

(40.4) -00

hat, und somit gilt 00 n

(40.5) W (z) = 1: Anzh- . -00

Beachtet man, daB man ftir Co noch jede Zahl _2ni k

Ck = Coe h 1

(k=1,2, ... ,h-l)

nehmen darf, so kann man in (40.5) unter zn irgendeine feste h-te Wurzel von z verstehen.

Die Voraussetzung c = 0 ist unwesentlich. Allgemeiner gilt unter den­selben Voraussetzungen

+00 n (40.6) w(z) =1: An(z-c)n (c=t=oo)

und -00

+00 n (40.7) w(z) = 1: Anz-n (c = 00) •

-00

Def. Eine Stelle c heifJt eine algebraische Singularitiit, wenn h> 1 ist und in (40.6) bzw. (40.7) alle An mit einem Index n < p (p ganz) ver­schwinden. Oft sagt man, w(z) habe dort einen Verzweigungspunkt bzw. einen Windungspunkt von der Ordnung h - 1.

Die Gesamtheit aller Elemente, die man aus den Elementen P (z - Zt) (t E U~) durch analytische Fortsetzung erhalten kann, lieferl durch Ubergang zu den entsprechenden Aquivalenzklassen nach dem Vorbild von 39. eine Umgebung der tiber c liegenden singularen Stelle. 1st h = 00, so liegen, wie bereits erwahnt, tiber jedem z E U~ unendlich viele Stellen 3, deren Gesamtheit wieder eine Umgebung einer tiber c liegenden Randstelle des vorhin (mehr oder weniger anschaulich) definierlen mehr-

blattrigen Gebietes Go bildet. 1st 1 ~ h < 00 und An = 0 fUr n ~ p, p ganz, so geben die Entwicklungen

00 n (40.8) w(z) = 1: An(z- c) h (c =t= 00)

und p

00 n (40.9) w(z) = 1: An Z h (c = 00),

p

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41. Der Begriff des analytischen Gebildes 115

die in einer offenen Kreisscheibe urn c als konvergent angenommen wer­den, eine tibersichtliche Darstellung der durch die analytische Fortset­zung der P (z - Zt) (Zt E U~) gewonnenen Funktionselemente urn c. 1st h = 1 und p ;;:;: 0, so erhalt der Leser Gelegenheit, seine Kenntnisse tiber den Begriff der hebbaren Stelle (und allgemeiner der rationalen Stelle) zu vertiefen. Auch die Tatsache, daB allgemein singulare Stellen durch ihre Umgebungen definiert werden, gehort zu den wichtigsten Erkennt­nissen dieser Nummer. Es dtidte hier noch hinzugefiigt werden, daB man auch im FaIle 1 ~ h < + 00 von einer iiber c liegenden (algebraischen) Singularitat 0 spricht, ohne daB man diese in der Form (z, w) darstellen kann. So1che Singularitaten werden durch ihre Umgebungen (kurz U (0)) "getragen" und erst im Zusammenhang mit der gleich zu definie­renden Ortsuniformisierung praziser edaBt. Algebraische und rationale

Stellen werden spater zum geeignet erweiterten Gebiet Go gezahlt.

Die Betrachtungen, we1che zu der Entwicklung (40.4) gefUhrt haben, beantworten auch die Frage, was man unter aquivalenten vVegen, die (von einem Punkt ausgehend) zu demselben Punkt c fUhren, zu ver­stehen hat.

Der. Zwei Wege Yc und y~, die zu demselben reguliiren bzw. singuliiren Punkt jiihren, heifJen iiq~tivalent, wenn sie in einer hinreichend kleinen Kreisscheibe [z, c] < E(E > 0) dieselben Umgebungen liejern.

41. Der Begriff des analytischen Gebildes. Es ist seit WEIERSTRASS iiblich, die Gesamtheit der Stellen 0, erganzt durch alle so1che, die durch die algebraischen Singularitaten erzeugt werden, als einen abstrakten Raum W, das analytische Gebilde, aufzufassen und die Eigenschaften der diesen erzeugenden Funktion W (z) aus der topologischen Struktur von Wabzuleiten.

Wir beginnen mit einigen topologischen Begriffsbildungen.

Der. Liegt ein nichtleerer, abstrakter Raum S vor, so heifJt dieser ein topologischer Rattm, wenn jedem Element a von S ein System U (a) von Teilmengen von S (Fundamentalumgebungen oder kurz Umgebungen genannt) mit jolgenden Eigenschajten zugeordnet werden kann:

1. Fiir jedes U E U (a) gilt a E U.

2. Sind UI , U2 zwei Umgebungen von a, so gibt es eine Umgebung U3 von a mit U3 ~ UI und U3 ~ U2 •

3. 1st U E U(a) und bE U, so gibt es eine Umgebung V von b (also V E U(b)) derart, dafJ V ~ U gilt.

Neben diesen Forderungen konnte man noch verlangen, daB der Ge­samtraum S jedem Punkt a E S als Fundamentalumgebung zugeordnet werden kann.

8*

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116 V. Erzeugung analytischer Funktionen durch Grenzprozesse

1st A eine Teilmenge von S und a E S, so heiBt a ein innerer Punkt von A, falls es eine Umgebung U E U (a) gibt, die in A liegt. Besteht A aus lauter inneren Punkten, so heiBt sie offen. Danach ist jede Fundamen­talumgebung eines Punktes a von Seine offene Punktmenge. 1m Ein­klang zu den Definitionen des zweiten Kapitels wird die Menge S \ A bei offenem A als abgeschlossen bezeichnet. Sowohl S als auch 0 sind zugleich offen und abgeschlossen.

In dieser allgemeinen Form spielen topologische Raume in der Funk­tionentheorie keine wesentliche Rolle. Daflir gibt es eine Klasse topologi­scher Raume, welche bei der begrifflichen Erfassung der analytischen Funktion groBe Dienste leisten.

Def. Eintopologischer Raum S wird ein Hausdorffscher Raum genannt, wenn es zuje zwei a, bE S, a =l= b, zwei Fundamentalumgebungen U E U (a), V E U (b) mit un V = 0 gibt.

Ein topologischer Raum S heiBt zusammenhangend, wenn es nicht moglich ist, dies en in zwei offene, nichtleere, punktfremde Teilmengen zu zerlegen.

Sind S, 5 zwei topologische Raume, so heiI3t die eineindeutige (umkehrbar eindeutige) Abbildung S +--> S· eine topologische (d. h. um­kehrbar eindeutige und stetige), wenn folgender Sachverhalt stattfindet:

1st a E 5, Ii E 5, a +--> Ii und U E U (a), tJ E U (Ii), so gibt es zwei Um­gebungen U' E U (a), tJ, E U (ti) derart, daB tJ' Bildmenge von U und U' Bildmenge von tJ ist.

Man kann leicht feststellen, daB eine Abbildung 5 +--> 5 dann und nur dann topologisch ist, wenn die Bildmenge jeder offenen Menge wieder offen ist.

Es laBt sich mehr oder weniger leicht zeigen, daB die Gesamtheit aller regularen Elemente (wobei zu dies en hier auch diejenigen rationalen Charakters gezahlt werden durften) , erganzt durch die Menge aller algebraischen Potenzreihenelemente, zu einem zusammenhangenden Hausdorffschen Raum ausgebaut werden kann, sofern man die Fun­damentalumgebungen seiner Punkte 3 durch die vorhin erklarten Um­gebungen U (3) (gebildet fur die verschiedenen G, c E G, der Funktions­elemente (w I G) der entsprechenden Aquivalenzklassen flir den regularen Fall und alle 3 allgemein) definiert. Der so definierte Raum W heiBt nach WEIERSTRASS das analytische Gebilde von W(z). Man kann auch sagen, daB das analytische Gebilde aus der vollstandigen analytischen Funktion dadurch entsteht, daB man zu der Gesamtheit der regularen Elemente noch die Potenzreihenelemente von der Form (40.S) bzw. (40.9) hinzu­fligt. Da jede hinreichend kleine Umgebung dieser Potenzreihenelemente lediglich aus regularen Stellen besteht, so kann unter Heranziehung des Poincare-Volterraschen Satzes leicht geschlossen werden, daB ihre An­zahl hochstens abzahlbar ist. Anders ausgedriickt bedeutet dies, daB W

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41. Der Begriff des analytischen Gebildes 117

dureh hoehstens abzahlbar viele Umgebungen ihrer Punkte tiberdeekt werden kann.

Setzt man in (40.8) bzw. (40.9) z = c + th bzw. z = t- h , so werden dadureh (ftir hinreiehend kleine It I) geeignete Umgebungen von a ein­eindeutig auf das Innere (bzw. das AuBere) einer Kreisseheibe It I < 8

abgebildet. Den Vorgang der ein-eindeutigen Abbildung von U (il) auf die

schliehte t-Kreisseheibe nennt man lokale bzw. Ortsuniformisierung. Die entsprechenden Darstellungen

(41.1)

bzw.

(41.2)

z = c + th, W = I: Antn -p

00

z = t-h W = '\' A t-n , .;;:;..; n -p

(h =l= 0, ganz)

heil3en die Normal- bzw. kanonisehen Darstellungen von il und die Ver­anderliche t der lokal uniformisierende Parameter bzw. die Ortsuni­formisierende.

1st (41.3)

in einer Kreisumgebung von r = 0 konvergent, so folgt aus (41.1) und (41.2), daB man jeden Punkt a' aus einer hinreiehend kleinen Umgebung U (il) von a dureh ein Gleichungssystem

(41.4)

darstellen kann, wobei PI (r) und P 2 (r) zwei naeh ganzzahligen Potenzen fortschreitende Reihen (mit hochstens endlich vielen negativen Potenzen) sind. Nimmt man 8 hinreiehend klein und Irl < 8, so stellt man leicht fest, daB ftir je zwei rv r 2, Irll, Ir21 < 8 und r 1 =l= r 2, (PI (r1) , P 2 (r1)) =l= (PI (r2) , P 2 (r2)) gilt.

Mit Hilfe von (PI (r), P 2 (r)) kann nieht nur 3 in der Form 3 = (PI (0), P 2 (0)) dargestellt werden, sondern aueh jeder Punkt b aus einer gewis­sen Umgebung U (il). Setzt man in der Tat r' = r - r 1 (Ir11 < 8) und

P{ (r') = PI (rl + r'), P~ (r') = P 2 (rl + r') ,

so liefert die Gesamtheit der Paare (P~(O), P;(O)) die Darstellung einer gewissen Umgebung von 3.

Das analytisehe Gebilde W kann dadureh geometrisiert werden, daB man jedem Punkt 3 = (z, w) von W einen Punkt P "tiber dem Grund­punkt z" der (vollen) komplexen Ebene zuordnet, wobei noch diese Zuordnung (im dreidimensionalen Raum) als stetig angenommen wird. 1m allgemeinen erhalt man durch die Abbildung 3-+ Peine aus endlich

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118 V. Erzeugung analytischer Funktionen durch Grenzprozesse

bzw. abzahlbar vielen liber der komplexen Ebene gelagerten Flachen­stlicken bestehende Flache F, die als geometrisches Substrat (Uber­lagerungsfHi.che) dienen kann. Dabei auBert sich die Struktur von W in der entsprechenden Verheftungsvorschrift der verschiedenen Flachen­stlicke von P. Dariiber wird in der nachsten Nummer ausflihrlich ge­sprochen werden.

1st W(z) eindeutig (d. h. flihrt die Fortsetzung eines Funktions­elements langs jedes moglichen geschlossenen Weges zum Ausgangs-

element zurlick), so ist Go ein schlichtes Gebiet Go der komplexen Ebene und heiBt der natlirliche Existenzbereich von W(z). Jeder Randpunkt von Go, der durch eine (Jordansche) Kurve in Go im Sinne der Gleichung (40.1) erreicht werden kann (erreichbarer Randpunkt!), ist eine singulare Stelle von W (z).

Das Studium der Singularitaten einer analytischen Funktion sowie ihre Klassifizierung in voller Allgemeinheit gehort zu den schwierigsten Problemen der Funktionentheorie. Der interessierte Leser gewinnt einen liberzeugenden Eindruck der vielen unmittelbar damit zusammenhan­genden Aufgaben, wenn er z. B. den Enzyklopadieartikel von BIEBER­BACH studiert und die Noten von A. DENJOY [Un demi-siecle (1907 -1956) des notes communiquees aux Academies] durchblattert, die zu­sammengefaBt 1957 bei Gauthier-Villars erschienen sind.

42. Der Begriff der Riemannschen Flache. Uberlagerungsflachen. Der Begriff der Riemannschen Flache geht auf die ursprlingliche, geniale Konzeption von RIEMANN zurlick, neben schlichten Uberdeckungen der komplexen Ebene auch mehrfache Uberdeckungen derselben zu be­trachten und diese unter Heranziehung topologischer Gesichtspunkte dem analytischen Gebilde naherzubringen. Es zeigt sich namlich beim letzteren, daB es weniger auf die spezielle analytische Funktion W (z) ankommt als auf die topologische Struktur der Umgebungen der Punkte des zugehOrigen analytischen Gebildes. Vor der Aufstellung der Defini­tionsaxiome einer Riemannschen Flache soli dem Leser an Hand von zwei Beispielen demonstriert werden, was er von der Geometrisierung eines analytischen Gebildes zu erwarten hat.

Beispiel!. Man betrachte die in z = 0 und z = 00 punktierte komplexe Ebene (also das Gebiet 0 < Izl < + 00) und schlitze diese langs der negativen reellen Achse von z = 0 bis z = 00 auf. Das so entstandene Gebiet

o < Izl < + 00, - 'Jt ~ arg z < 'Jt

bezeichne man mit Ko.

Jetzt lege man liber Ko n - 1 kongruente Exemplare Kl> ... , K n - 1

(n ~ 1) so, daB die Projektionen der aufgeschlitzten negativen reellen

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42. Der Begriff der Riemannschen Fliiche. Uberlagerungsfliichen 119

Achse fibereinstimmen und bezeichne allgemein durch T" bzw. T,,' (k = 0, 1, ... , n - 1) das untere bzw. das obere Ufer des Schlitzes von K k •

Man verstehe nun ailgemein unter Verheftung von zwei gegenfiber­liegenden Ufem die Identifizierung der Punkte mit demselben absoluten Betrag. Wendet man dann diesen ProzeB auf die Paare (T~', T~), (T~', T~), ... , (T';-2' T~-I) und (T';-v To) an, so erhalt man ein geo­metrisches Gebilde F n' das die gewohnliche Ebene (FI!) verallgemei­nert. Jeder Punkt z von F n besitzt eine "Projektion" z auf der komplexen Ebene, der Spur von z. Die anschauliche Erfassung von F n geschieht am leichtesten, wenn man sich die "Blatter" Ko, Kv ... , K n - I fiber die

7,[' -I' 1'.' -I' 7.," To' '3 '3 (n=5) 7:,/1 7:.' 2 '2 T,H , T,' , 7:." 0 7:.' 0

Abb. 13. Die negative reelle Achse steM senkrecht zum Blatt und weist in die Richtung des Lesers hin.

komplexe Ebene K gelegt denkt, und zwar in einer Entfemung d> ° voneinander, und diese dann (unter der vorlaufigen Annahme, daB sie aus dehnbarem Stoff konstruiert sind) nach dem in der Abb. 13 angegebenen Schema verheftet.

Ui.Bt man dann d-+ ° konvergieren, ohne die topologischen Zusam­menhange zu verletzen, so erhalt man die geometrische Konfiguration F. Ihre analytische Beschreibung erhalt man am einfachsten dadurch, daB man die Argumente von z stets mod 2 n n rechnet. Eine einfache Uber­legung zeigt dann, daB man die Punkte z von F n mit Hilfe der Zuordnung

1

Z +-+ z-" ein-eindeutig auf die z-Ebene abbilden kann.

Was man unter Umgebung eines Punktes z von Fn zu verstehen hat, sofem z nicht auf der negativen reellen Achse liegt, ist klar und bedarf wohl keiner eingehenden Erklarung. 1st z = x ~ 0, so kann man leicht Kreisumgebungen von z angeben, die im Faile z,* 0, 00 aus zwei Kreis­half ten bestehen, die auf benachbarten (im Sinne von mod 2 nn) Blattem liegen. 1st schlieBlich z = ° oder z = 00, so wird jede Kreisumgebung des darfiberliegenden Punktes vonF n durch die Gesamtheit der Punkte von F n

gegeben, deren Spur z in [z[ < M bzw. [z[ > M mit einem festen M, ° < M < + 00, Wit.

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120 V. Erzeugung analytischer Funktionen durch Grenzprozesse

Beispiel2. Man konstruiere abzahlbar viele kongruente Exemplare Kn(n = 0, ± 1, ± 2, ... ) von Ko und verhefte T~ mit T:;+1 nach dem Vorbild von 1. Dann erhalt man eine unendlich vielblattrige Flache F 00'

auf der man das WinkelmaB q; =,argz eindeutig definieren kann, etwa durch Spurpunkt-Abbildung z -+ z und die Festlegung

(2n - 1) n ~ argz < (2n + 1) n

Durch diese Festlegung wird zugleich w = log z eindeutig auf F 00 ab­gebildet und liefert eine umkehrbar eindeutige Abbildung von F 00 auf die w-Ebene. Die KonfigurationenF nundF 00 realisieren eigentlichdie analyti-

1 schen Gebilde der Funktionen w = zn (bzw. z = wn) und w = logz (bzw.

z = eW ). Der Leser moge bei der Bildung der Stellen 3 = (z, z*) bzw. 3 = (z, log z) noch als wichtige Aufgabe nachpriifen, daB bei der Bildung der Stellen das prinzipiell Wichtige (nach Annahme einer Ausgangsstelle 30 mit einer endlichen Spur Zo =1= 0) die Wege sind, we1che von Zo zu den Punkten z(z =1= 0, (0) der komplexen Ebene fiihren. FaBt man (bei festem zo) alle homotopen Wege, die zu dem Punkt z fUhren, zu einer Klasse H (z) zusammen, so fUhrt die Fortsetzung langs jeder Kurve y E H (z) zu demselben Endelement, und mithin gilt H (z) ~ 3. Wir geben hier diese Tatsachen ohne Beweis.

Der ProzeB der Verheftung von "Blattem" nach dem Muster von F n

und F 00 fUhrt zur Definition eines geometrischen Gebildes, das man als eine Art "Gerippe" einer Riemannschen Flache bezeichnen kann.

Kann eine (offene zusammenhangende) Teilmenge G eines topologi­schen Raumes 5 mit Hilfe einer topologischen (d. h. eineindeutigen und nach beiden Seiten stetigen) Transformation T (G) auf eine KreisscheibeK der komplexen Ebene abgebildet werden, so heiBt G kreishomoomorph. 1st dann a E G, so kann man stets erreichen, daB a in den Mittelpunkt von K kommt.

DeC. Besitzt ein zusammenhangender Hausdorffscher topologischer Raum 5 ein Uberdeckungssystem von kreishomoomorphen Umgebungen, so heif3t 5 eine zweidimensionale M annigfaltigkeit.

Jede Teilmenge A einer zweidimensionalen Mannigfaltigkeit M, die durch hochstens endlich viele kreishomoomorphe Umgebungen iiber­deckt werden kann, heiBt kompakt. Trifft dieser Sachverhalt fUr die gesamte Mannigfaltigkeit M zu, so heiBt diese kompakt. Sonst heiBt M offen.

Kann man ein A C M topologisch auf ein Dreieck D der komplexen Ebene abbilden, so heiBt A ein Dreieck und wird im allgemeinen mit LI bezeichnet. Die Bilder der Ecken und Kanten von D werden dann als die Ecken bzw. die Kanten von LI bezeichnet. DaB LI eine kompakte

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42. Der Begriff der Riemannschen FHiche. UberlagerungsfHichen 121

Teilmenge von Mist, kann der Leser mit Hilfe des (existierenden) Systems der kreishomoomorphen Abbildungen auf die komplexe Ebene leicht beweisen l •

Haben die Dreiecke Ll, Ll' eine gemeinsame Kante, etwa y, so werden sie als miteinander verheftet bzw. als benachbart bezeichnet. In dies em Falle werden die entsprechenden Kanten der (Zahlen-) Dreiecke D, D' topologisch aufeinander bezogen, und zwar so, daB je zwei korrespondie­renden Punkten dieser Kanten ein und derselbe Punkt a von y ent­spricht. Einem solchen Punkt von y schreiben wir je eine Halbumgebung (in Ll und Ll/) zu, welche das Bild einer hinreichend klein en halben Kreis­scheibe in den entsprechenden Dreiecken von D und D' ist. Das Bild der Vereinigung der beiden halben Kreise ist dann eine Umgebung von a. Entsprechend wird bei einem inneren Punkt (d. h. bei einem Bild eines inneren Punktes von D) von Ll und bei einem Eckpunkt verfahren.

Def. Die Mannigfaltigkeit M heifJt triangulierbar, falls eineZerlegung von M in (endlich oder abzlihlbar unendlich viele abgeschlossene) Drei­ecke mit folgenden Eigenschaften existiert:

1. 1 eder innere Punkt eines Dreiecks gehort nur dies em Dreieck an.

2. Eine Kante eines Dreiecks gehort genau zwei Dreiecken an, die dann llings dieser Kante verheftet sind.

3. Ein Eckpunkt eines Dreiecks gehort zu einem (endlichen) Dreiecks­zyklus (Lll' Ll2' ... , Ll n ), wobei zwei aufeinanderfolgende Dreiecke Llk,Llk+l (sowie Ll n mit Ll l ) llings einer dies en Punkt enthaltenden Kante verheftet sind. Neben 1., 2. und 3. werden wir nochfordern:

4. Mist in dem Sinne zusammenhlingend, dafJ man von jedem Dreieck uber eine (endliche) Folge von angrenzenden Dreiecken zu jedem anderen gelangen kann.

Eine Mannigfaltigkeit, welche die Eigenschaften 1.-4. besitzt, wird kurz eine Flache genannt und durch F bezeichnet2.

1 In moderner Terminologie heiBen die Dreiecke, Kanten und Ecken auch (geradlinige) Simplexe. Ein (abgeschlossenes) Dreieck der Ebene der analytischen Geometrie ist z. B. ein 2-Simplex. Dieses kann dadurch orientiert werden, daB man seine Ecken in bestimmter Reihenfolge schreibt. Ein I-Simplex ist eine (ab­geschlossene) Strecke. Es kann dadurch orientiert werden, daB einer der beiden Randpunkte als Anfangs- und der andere als Endpunkt bezeichnet wird. Ein O-Simplex ist ein Punkt. Die hier betrachteten Orientierungen des Simplexes liber­tragen sich natlirlich bei festen topologischen Abbildungen auf die Dreiecke Ll und die Kanten y und bestimmen deren Orientierung.

2 Es gibt zweidimensionale Mannigfaltigkeiten, welche nicht trianguliert werden k6nnen, da, wie man zeigen kann, diese kein abzahlbares Uberdeckungssystem von kreishom6omorphen Umgebungen (Abzahlbarkeitsaxiom) be sit zen. Die zwei bisher bekannten Beispiele von nichttriangulierbaren zweidimensionalen Mannigfaltig­keiten gehen auf H. PRUFER und P. S. ALEXANDROFF zurlick. Man vgJ. darliber die Arbeit von T. RADO in den Acta Szeged 2.

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122 V. Erzeugung aualytischer Funktionen durch Grenzprozesse

Bei der so definierten Flache F geh6ren, wie bereits erklart \vurde, Punkte einer Kante den beiden benachbarten Dreiecken an und Eck­punkte allen Dreiecken des betreffenden Zyklus. Die einfachsten und flir die Funktionentheorie wichtigsten Falle einer solchen Flache liefern die sogenannten Dberlagerungsflachen der komplexen Ebene, die im Sinne der obigen Definition triangulierbare, zweidimensionale Mannig­faltigkeiten, also Flachen darstellen.

Def. Eine Fliiche iJ' heif3t eine Uberlagerungsfliiche einer gegebenen (Grund-)Fliiche F, wenn eine Abbildung f:iJ' -+F mit folgenden Eigen­schaften existiert:

a) J edes Dreieck J von iJ' wird eineindeutig und stetig (etwa affin) aUf ein (Spur-)Dreieck Ll von F abgebildet.

b) Stof3en zwei Dreiecke J v J 2 an einer Kante zusammen, so haben die zugeordneten Dreiecke dieselbe Eigenschaft.

Die Dberlagerungsflache der komplexen Ebene erhalt man aus dieser Definition, wenn man F als die (volle) komplexe Ebene bzw. die Riemann­sche Kugel nimmt.

Es bedeutet offenbar keine Einschrankung der Allgemeinheit, wenn man die einem Dreieck Ll von F zugeordneten Dreiecke J als kongruente (tiber Ll liegende) Exemplare von Ll annimmt und die Zuordnung mit Hilfe der Spurabbildung z -+ z vornimmt. In diesem Falle flihrt die Ver­heftung zu einer Verschmelzung von Kanten- bzw. Eckpunkten von be­nachbarten Dreiecken.

(z-Ebef7e) Abb. 14

Zu beachten ware hier noch, daB Punkte von ff mit demselben Spur­punkt, sofern sie nicht durch die Verheftungsvorschrift der Kanten bzw. der Ecken identifiziert wurden, als verschieden zu betrachten sind, unabhangig davon, ob sie (auf der z-Ebene) dieselbe Spur besitzen oder nicht. Die in der vorstehenden Abbildung gezeichneten Dreiecks­zyklen definieren einen gew6hnlichen Punkt sowie einen Windungspunkt erster Ordnung. Gerade beim letzteren wird dem Antanger anschaulich

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42. Der Begriff der Riemannschen FHiche. Uberlagerungsfiachen 123

demonstriert, daB es bei der Definition der Flache eigentlich auf die Identifizierung von Ecken sowie der dadurch bestimmten Seiten an­kommt. So kann sich z. B. ein Punkt a von A 9 PA s unbehindert darauf bewegen, obwohl Al P A 12 durch Dreieck A 9 PAs "hindurchgeht".

Versteht man unter einer Unterteilung eines Dreiecks Ll jede Zer­legung des korrespondierenden Dreiecks D in endlich viele Dreiecke, wobei die Bedingungen 1., 2. und 3. nicht beeintrachtigt werden, so fiihrt jede finite Anwendung dieses Prozesses zu einer Verfeinerung der Triangulierung. DaB dabei eine (eventuell vorgenommene) Orientierung der Kanten von F durch die Hinzufiigung der neuen Kanten nicht bee in­trachtigt wird, kann durch elementargeometrische SchlUsse leicht gezeigt werden.

Mit RUcksicht darauf, daB F bis auf eine topologische Abbildung der Gestalt nach definiert wird 1, muB fUr den Ubergang von einer Flache zu einer Riemannschen Flache eine neue Forderung gestellt werden.

Nachfolgende Forderung bezieht sich zunachst auf allgemeine zwei­dimension ale Mannigfaltigkeiten.

Def. Eine zweidimensionale Mannigjaltigkeit M wird als Riemannsche Fliiche bezeichnet, wenn es eine abziihlbare Uberdeckungsjamilie 0 = {Ok} von kreishomoomorphen Umgebungen mit jolgender Eigenschajt gibt:

Es sei allgemein a EO und z = T (a) der zugeordnete Punkt in der Kreis­scheibe K = T(O). Man betrachte zwei solche Umgebungen 01> O2 mit 01 n 02 =F 0 und setze Kl = Tl (01), K2 = T2 (02), Dann solZ T2 (Til (z)) in der Umgebung jeder Stelle z E Tl (OI n 02) analytisch sein, d. h. in eine konvergente Potenzreihe entwickelbar.

Den Sachverhalt, daB T2(Til(z)) eine in der Umgebung jedes Punk­tes von T 1(01 n 02) analytische Funktion sein muB, nennt man (aus GrUnden, die der Leser erst im achten Kapitel erfahren wird) eine (direkt) konforme Nachbarrelation.

Die mit den Arbeiten von F. KLEIN einsetzende Vertiefung und Aus­arbeitung der von RIEMANN in der Theorie der algebraischen Funktionen eingefiihrten Begriffsbildungen gelangte (wenn man vom EinfluB POIN­CARES absieht) erst durch die Arbeiten von H. WEYL (Die Idee der Riemannschen Flache) und T. RADO (Zum Begriff der Riemannschen

1 Die bei Definition von F angenommene Gleichheit der verhefteten Kanten ist nattirlich nicht notwendig. Es gentigt anzunehmen, daB unter den zu verhef­tenden Kanten eine affine (d. h. in den Koordinaten des Punktes lineare) Korrespon­denz existiert, wodurch entsprechende Punkte (insbesondere Ecken mit Ecken) identifiziert werden. Allgemein kann man zum Dreieck jeden ebenen Bereich G erklaren, den man topologisch auf ein gew6hnliches Dreieck D abbilden kann. In diesem Falle sind die Ecken bzw. die Kanten von G die Bilder der Ecken bzw. der Kanten von D. Entsprechendes gilt flir die Verheftung von zwei solchen "benach­barten" Gebieten G und G'. Die Definition einer Riemannschen Flache durch Ver­heftung von solchen Gebieten G bereitet keine wesentliche Schwierigkeit.

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124 V. Erzeugung analytischer Funktionen durch Grenzprozesse

FHiche, Acta Szeged 2) zum AbschluB. Insbesondere zeigte RAD6, daB die Triangulierbarkeit einer FHiche (tiber die Abzahlbarkeit der Basis 0) aus der Forderung der (direkten) Konformitat der Nachbarrelationen im Sinne der vorherigen Definition folgt. Somit dtirfte die Definition der Riemannschen Flache folgendermaBen lauten:

Def. Eine Riemannsche Flache <;n ist ein zusammenhangender Haus­dorffscher Raum mit folgenden Eigenschaften:

1. Es existiert ein System (0, S!), 0 = {O}, S! = {T} von Umgebun­gen 0 (deren Vereinigung <;n uberdeckt) und topologischen A bbildungen T derart, dafJ zu jedem 0 mindestens ein T E S! existiert, die 0 auf ein Gebiet T (0) der komplexen Ebene abbildet.

2. Jedesmal, wenn zwei 0, etwa 0 1 und O2, nicht punktjremd sind, ist die aus den zugehOrigen Transformationen T I , T2 gebildete Funktion w = T2 (TIl (z)) in T1 (01 n O2) analytisch.

Eine (abstrakte) Riemannsche Flache wird oft auch eine (komplexe) analytische Mannigfaltigkeit genannt.

Die Definition der Uberlagerung einer (zweidimensionalen) Mannig­faltigkeit M durch eine zweite, etwa M, kann auch durch folgende (lokale) Bedingungen gefaBt werden:

1. Es existiert eine stetige Abbildung f: M -+ M von M auf M. 2. Es existiert ein lokaler (komplexer) Parameter z = T (a) fur min­

destens eine Umgebung jedes Punktes ao EMmit T (ao) = o. 3. Es existiert e~n lokaler (komplexer) Parameter z = T(a) (a = f(a))

mit T (ao) = O. 4. Es gilt z = T(a) = T(j(a)) = Zh mit einem h ~ 1.

1st h> 1, so heiBt hier wieder ao ein Verzweigungspunkt, bzw. ein Windungspunkt von der Ordnung h - 1.

1st tiberall h = 1, so heiBt Meine (relativ zu M) unverzweigte Man­nigfaltigkeit. Falls es Punkte mit h> 1 gibt, heiBt sie eine (tiber diesen Punkten) verzweigte Dberlagerungsflache.

1m folgenden stellen wir uns auf den Standpunkt der triangulierten UberlagerungsfHi.che F1 und nehmen (neben der Hausdorffschen Struk­tur und dem Zusammenhang) folgendes an:

1. Zu jeder Umgebung eines Punktes geh6rt eine Klasse von topo­logischen Abbildungen auf die komplexe Ebene.

2. Irgend zwei solche Abbildungen derselben Umgebung oder des Durchschnitts zweier Umgebungen sind (direkt) konform zueinander.

1 Die Forderung nach der Triangulierbarkeit einer zweidimensionalen Mannig­faltigkeit Mist, wie bereits erwahnt, mit der Forderung aquivalent, daB eine abzahlbare Familie von kreishom50morphen Umgebungen 0 von M existiert, deren Vereinigung U 0 die Mannigfaltigkeit M iiberdeckt. Das ist auch der urspriingliche Weg von WEYL (loc. cit. S. 22) gewesen.

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42. Der Begriff der Riemannschen Flache. Uberlagerungsfiachen 125

Das analytische Gebilde Weiner Funktion W (z) kann ohne Schwie­rigkeit durch eine Uberlagerungsflache realisiert werden, wenn man etwa die Stellen 3 (wie dies bei der Einfuhrung von Go implizit getan wurde) auf die entsprechenden Grundpunkte unter Heranziehung des Um­gebungsbegriffes setzt, wobei naturlich diese Zuordnung nur in einer Richtung eindeutig ist. 1m folgenden soIl zunachst kurz gezeigt werden, daB man W durch eine ansteigende Folge (Sn) (n = 1,2, ... ) von Flachen­stucken Sn aussch6pfen und darstellen kann. Es sei in der Tat (P (z- an)) eine (nach dem Poincare-Volterraschen Satz existierende) Folge von Funktionselementen (wobei jedesmal z in einer Kreisscheibe Kn: [z, an] ;;; ;;; en < r n , 0 < en < rn liegt), welche W(z) darstellt. Man nenne zwei Kreisscheiben K i, Ke benachbart, wenn Ki nKe + 0 ist und fUr jedes z E Ki n Ke die Werte der entsprechenden Reihen ubereinstimmen (Gleichheit der Stellen 3 !). Es sei nun Knl eine beliebige Kreisscheibe aus der Folge (Kn), und es sei K n, die zu Knl benachbarte Kreisscheibe mit dem kleinsten Index (n2 + nl)' Der nachste Schritt besteht darin, daB man die zu Knl oder K n , benachbarte (und von beiden verschiedene) Kreisscheibe Kna mit dem kleinsten Index bestimmt. Die Wiederholung dieses Verfahrens bis zur Aussch6pfung samtlicher Kreisscheiben K n ,

kombiniert mit der Identifizierung der Punkte mit gleichem a in den ent­sprechenden Durchschnitten, fUhrt zu einer Folge (F n) von FHichen­stucken Fn mit FI=Kn" F2=Kn,\Kn"F3=Kna\Kn,\Kn""" deren Punkte (unter Wahrung des Umgebungsbegriffes) eineindeutig auf die Stellen 3 bezogen werden k6nnen. Dabei sollen hier unter gleichen Punkten diejenigen gemeinsamen Punkte der verschiedenen Kreisschei­ben aufgefaBt werden, die zusammenfallende Umgebungen von Stellen 3 besitzen. Setzt man nun

Sn=FI+F2+···+Fn (n=I,2, .. y, so erfaBt die (ansteigende) Folge (Sn) jede regulare Stelle von W. Man kann leicht zeigen, daB bei vorgegebener algebraischer Stelle ein n

1 lch schreibe hier (wie vorhin in entsprechenden Fallen) F, + F. an stelle von F, U F., weil ich starker herausstreichen mochte, daB die Verschmelzung (d. h. die Identifizierung) der gemeinsamen Teile der betreffenden Mengen nicht nach der Spur (auf die z-Ebene), sondern im Einklang mit dem ProzeB der analyti­schen Fortsetzung zu geschehen hat. Vor mehr als sechzig Jahren pfiegte LEo KOENIGSBERGER (ein begeisterter Schiiler von \VEIERSTRASS) in seinen Vor­lesungen die Erzeugung einer Riemannschen Flache durch Aneinanderkleben (Identifizierung der Punkte von Gl n G. usw.) von aus Papier geschnittenen Kreis­scheiben Gl> G., . " plausibel und verstandlich zu machen. J ede Kreisscheibe Gi : Iz - ail:;;;; r;(ri > 0) soli Konvergenzkreis eines WeierstraBschen Funktions­elementes P (z - ail sein. Man beginne mit Gl und klebe darauf die (aus Papier geschnittene) Kreisscheibe G~ so, daB die Projektion von G~ mit G. iibereinstimmt. Dieser ProzeB wird (filr nicht kompakte Flachen) unbeschrankt fortgesetzt. Man vgl. dariiber BIEBERBACH, Funktionentheorie I, S.207.

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126 V. Erzeugung anaIytischer Funktionen durch Grenzprozesse

gefunden werden kann derart, daB man deren Umgebung (40.S) bzw. (40.9) mit Sn "verschmelzen" kann. Entsprechend kann noch gezeigt werden (durch eine entsprechende Abanderung des Beweises des Poin­can~-Volterraschen Satzes), daB man W durch "Verschmelzung" einer Gebietsfolge (Gn ) ausschOpfen kann, deren Rander jedesmal aus endlieh vielen analytischen Kurven bestehen.

Gibt es ein schlichtes Gebiet T(Tr;;,Go) der z-Ebene derart, daB bei gegebener regularer Stelle 00 = (zo, wo) (zo E T) die Fortsetzung des Elementes P (z - zo) (P (0) = wo) von W (z) in T eine eindeutige Funk­tion liefert (also 0 - z, z E T), so heiBt diese (in Verallgemeinerung des in 39. definierten Zweiges im Kleinen) der durch die Stelle 00 bestimmte Zweig von W(z). Die Aufgabe, maximale Tzu finden, sowie der Aufbau der Riemannschen Flache Go (die durch die Windungspunkte erganzt als Existenzgebiet von W (z) definiert wird) durch geeignete Verheftung von endlich bzw. abzahlbar vielen solchen zueinander kongruenten Exempla­ren (Blatter genannt) nach dem Muster der Beispiele von 42. ist im allgemeinen eine schwierige Aufgabe.

Der Leser darf den vorhin definierten Existenzbereich von W (z) durch die Riemannsche Flache von W nicht mit dem (im allgemeinen auch bei eindeutigen Funktionen w (z) mehrblattrigen) Uberdeckungs­gebiet der w-Ebene verwechseln, das man durch Zusammensetzung der Gebiete w (G) erhalten kann. Vielmehr ist dieses durch W (z) entworfene Bild die Riemannsche Flache der zu W (z) inversen Funktion (mit den Stellen (w, z) I), deren Definition in den Erganzungen dieses Kapitels (Erganzung 14) gegeben wird. Die Punkte dieser beiden Riemannschen Flachen konnen eineindeutig aufeinander bezogen werden.

Eine vollstandige, meisterhafte Entwicklung der Theorie der Rie­manns chen Flachen findet der interessierte Leser in dem kiirzlich1

erschienenen Buch von AHLFORS und SARlO, Riemann Surfaces, Prince­ton University Press, 1960.

43. Nicht fortsetzbare Reihen. Der Turansche Beweis des Fabryschen Liickensatzes. DaB es nieht fortsetzbare Potenzreihen gibt, zeigt am ein­fachsten das Beispiel der Reihe

00

(43.1) P(z) = I; zn! (0!=1). Man setze in der Tat o

(0 < r < 1, 0 ;£; IX < 1)

und nehme an, IX sei rational, etwa gleieh L (P, q ganz). Dann wird wegen zn! = rn! (n ~ q) 00 . n q

J f zk!J ~ f rkl

1 Nach der Fertigstellung des Manuskripts dieses Buches.

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43. Nicht fortsetzbare Reihen 127

und somit

lim IP(z)1 ~-\1: e2"ikl\ + (n-q) Y-+l 0

(n > q) .

Daraus folgt fUr n -+ 00

(43.2)

Ware nun P (z) uber den Kreis Izl = 1 hinaus fortsetzbar, so muBte es einen Punkt zo, IZol = 1 und eine Umgebung UZo geben derart, daB P (z) in UZo n {z Ilzl < I} beschrankt bleibt. Das ist aber nach (43.2) unmoglich.

1st eine Potenzreihe P(z) uber ihren (endlichen) Konvergenzkreis Izl ~ R nicht fortsetzbar, so sagen wir, P (z) habe die Kreisscheibe Izl < R als Existenzbereich und die Peripherie Izl = R als naturliche Grenze.

N achdem WEIERSTRASS das Beispiel der nicht fortsetzbaren Reihe 00

(an> 0, b > 1 ganz)

gegeben hatte, bewies HADAMARD im Jahre 1892 folgenden allgemeinen Satz:

Satz (Hadamardscher Luckensatz). Genugen die (ganzzahligen) Exponenten An der Potenzreihe

(43.3)

mit

der Bedingung

(43.4)

00

so ist diese uber ihren Konvergenzkreis nicht Jortsetzbar.

Den bisher scharfsten Nichtfortsetzbarkeitssatz allgemeiner Art fur Taylor-Reihen hat FABRyl im Jahre 1899 bewiesen.

Satz (FABRY). Die Funktion w (z) sei in der Umgebung von z = 0 regular und besitze dort die Potenzreihenentwicklung

(43.5)

mit

(43.6) I · A,. Im-=oo. n-;-.oo n

1 E. FABRY (1856-1944).

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128 V. Erzeugung analytischer Funktionen durch Grenzprozesse

Dann ist der Existenzbereich von w(z) entweder die offene Ebene E oder das Innere eines endlichen Kreises um den Nullpunkt.

Nachfolgender Beweis dieses tiefliegenden Satzes von FABRY geht auf TURAN zuruck.

Hilfssatz (TURAN). Es seien a1 , ••. , an komplex und AI"'" An (0 < Al < A2 < ... < An) ganz. Man setze

(43.7)

und

(43.8)

Dann gilt:

(43.9)

n 5 (x) = }; akeiAkX

1

Mo = Max {15(x)lllxl :;;; <5 :;;; n}.

( 48n )n M,.,:;;; -<5- Mo·

Beweis. Es seien m, n ganz m ;::;; n ;::;; 1 und Zv Z2' .. " zn komplexe Zahlen mit IZll = IZ21 = ... = IZnl = 11. Man setze bei gegebenen, festen, komplex en bI> b2, ••• , bn

n

5 (z, q) = }; b.z'f, (q reell > 0) 1

und

Dann ist

(43.10) Max 15(z, q)l;::;; - 151. ( n )n m-n~q~m 24m

Zum Beweis setze man 12. n

g(z) = IJ(I-zvz) = 1 +}; AvzV, 1 1

(lZI < 1)

und m

G (z) = l-g (z) 5 m- n (z) = }; CvZ·' m-n+1

Letzteres Polynom genugt den Bedingungen

und somit wird m

(43.11) }; Cvzj = 1 (j = 1, 2, ... , n) . m-n+1

1 Der allgemeine Satz von TURAN setzt IZkl ;::;; 1 (k = 1, 2, ... , 12) voraus.

Page 35: Vorlesungen über Funktionentheorie || Erzeugung analytischer Funktionen durch Grenzprozesse. Der Riemann-Weierstraßsche Begriff der analytischen Funktion

43. Nicht fortsetzbare Reihen 129

Aus diesen Gleichungen folgt

n m {n } m 5 =}; bk = }; ev }; bkz'k = }; ev5(z, v), 1 m-n+l k=l m-n+l

also

151 ~ Cl+1levl)m_n~~~q;;;;J5(z,q)l. Die Abscha.tzung der Summe

m

51 = }; levi m-n+l

nach oben kann nun folgendermaBen durchgefUhrt werden: Zuerst gilt

(v = 1, 2, ... , n) .

Andererseits kann IBvl mit Rucksicht auf die Entwicklung

h6chstens gleich (n ~ .: -;- 1) sein. Durch eine analoge Uberlegung stellt

man schlieBlich fest, daB levi den Koeffizienten von ZV in der Entwick­lung von

1

nicht ubersteigen kann. Das gibt die Ungleichung

Ie I < 2n (n + V-I) < 2n (m + n - l)n-l v = , n - 1 = (n - I)! '

also wegen n ~ m (4m)n-l levi ~ 2 (n _ I)! .

Nun besHitigt man leicht, daB fur jedes n ~ 1

(43.12)

gilt, also

(1+ ~r<e (= r-1 ~ (n - I)! (n = 1, 2, ... ) .

Man nehme in der Tat an, letztere Ungleichung sei fUr ein n ~ 1 richtig. Dann wird

( n )n-l n e <n!

und somit wegen (43.12)

(n~lr<n(=r-l<n! . Dinghas, Funktionentheorie 9

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130 V. Erzeugung anaIytiscber Funktionen durcb Grenzprozesse

Das beweist die Behauptung. Wir haben also die Abschatzung

ICvl --_ 2 ( 4nem )n-l ( 1 ) .::::, m-n+ ;:;;;lI;:;;;m

bewiesen und mithin die Ungleichung

51 ;:;;; 2n ( 4:m r-1•

Nun ist fiir n ~ 1 stets n ;:;;; 2n - l , und somit

2n -- < -- . ( 4em )n-l (24m)n n n

Das beweist die Ungleichung (43.10) fUr ein ganzzahliges m. 1st dies nicht der Fall, so verwende man em] und beachte, daB alle wesentlichen Ab­schatzungen richtig bleiben.

Aus (43.10) kann man nun den Beweis der Ungleichung (43.9) ohne Schwierigkeit ableiten. Man setze in der Tat bei gegebenem Cl, 0 < Cl < 1&,

l;:;;;n;:;;;m;:;;; 201'& n, 1;:;;; ~;:;;; 201'& (~fest) voraus und

q=nx (Cl;:;;;x;:;;;21&), m=n~.

Dann folgt aus (43.10) mit

Setzt man nun Cl ~ = # und Cl (~ - x) = 1jJ, so wird

If aveiJ.,,61 ;:;;; ( 481'& )n Max if aveii.V'P1 (Cl ;:;;; #;:;;; 21&) . 1 0 I'PI:;;;" 1

Das beweist (43.9). Man kehre jetzt zum Fabryschen Satz zuriick und nehme an (was

keine Einschrankung der Allgemeinheit bedeutet), die Reihe (43.3) habe den Konvergenzradius R = 1 und w (z) sei in der Umgebung des Punktes z = 1 reguHir. Das bedeutet: Es existieren zwei positive Zahlen

"11> "12 ("12 ;:;;; "II < 1~) derart, daB w (z) in dem von der Kurve

llzl = 1 + "12' largzl < "II Yl = 1- "12;:;;; Izl ;:;;; 1 + "12' argz = ± "II

Izi = 1 - "12' 1'Jl < larg zl ;:;;; 1&

begrenzten Bereich Bl regular ist.

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43. Nicht fortsetzbare Reihen 131

Es bezeichne nun B2 den Teilbereich von B1, der durch die Kurve

1'2= llzl = 1 ± :; 1 largzl < ~l

1- ~. ~ Izl ~ 1 + ~2 , argz = ± ~l

begrenzt wird. Gilt dann Zo E B2 und z E 1'1' so lieg t 1; =.!!... im z Bereich B3• der von der Kurve

11;1 = (1 + ~.) (1-172)-1, ~l ~ larg1;1 ~ n

1'3 = (1 + ~.) (1 + 1]2)-1 ~ 11;1 ~ (1 + ~2) (1 - 1]2)-1, arg1; = ± ~l

11;1 = (1 + ~2) (1 + 1]2)-1, larg1;1 < ~l

begrenzt wird. Wir wahlen nun 1]1 und bestimmen 1]2 so, daB Ba in der Halbebene

(43.13) Re1; ~ 1-1]3

liegt. Ferner wahlen wir in der Entwicklung von 1 ~ C

1 1 { C + a ( C + a )n} 1 ( C + a )n+ 1 T=T= l+a 1+ l+a + ... + .1+a +T=T l+a

1 (c+a)n-l = Pn(C) + T=T 1 + a

n 1 (C + a )n+l = "\' b (n) 1;. + -- --.-=-0 · 1 - C 1 + a

die (komplexe) Zahl a derart, daB fUr aIle Punkte 1; EBa die Ungleichung

IC+ al 1 + a < 1-1]4 gilt. Dann wird

11 ~ C - Pn (1;)1 < :3 (1-1]4)n+1

Das bedeutet: Fur jedes Zo E B und z E 1'1 ist

(43.14)

Man fuhre jetzt die Polynome n

a;.,.(z) =}; b;,.(An) a.z;"· o

ein und bilde die Differenz D = w (zo) - a;.Jzo). Dann wird

IDI = 1-1. r ~dz __ l. r w(z) (i: b.(An) (~)' )~I 2nt JYl z-zo 2ntJYl 1 z Z

9*

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132 V. Erzeugung allalytischer Funktionen durch Grenzprozesse

also

JDJ ~ 1-21 . r W(Z){_Z -PA (~)}~I. :ru J Yl Z - Zo n Z Z I

Verwendet man also (43.14), so ist, wenn man noch

M = Max {Jw(z)JJ z E B1}

Jetzt wende man die Tura.nsche Ungleichung (43.9) auf die Polynome

5 (0) = G;"'+l (YoeiO) - GAn (YoeiO)

mit Yo = JZoJ an und nehme dort b = ;; . Setzt man dann

Lin = Max {JGAn+1 (zo) - G;.n (zo) JJJzoJ = Yo} , so wird

und wegen

oder

Lin < 20M (2 48n )"+1 (1- rJ4)An < 'fJ3 'fJ1

< 8000 M {(2 48n) ~, (1- 4)}~ 'fJ1 'fJ3 'fJ1 rJ

Nimmt man also n hinreichend graB, so kann mit Rticksicht auf die Fabry-Bedingung (43.6)

gemacht werden und somit fUr n ~ n1

(K = 8000M). 'fJ1 'fJ3

Aus der gleichmaBigen Konvergenz der Polynomfolge eG;.,. (z)) im Ring­gebiet

1-~::;; JzJ::;; 1 +~ 2 - - 2 folgt wegen

lim G An (z) = W (z) n-+oo

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44. Geschichtliche Zusammenhange und Literaturangaben 133

daB w (z) in der Kreisscheibe Izl ~ 1 + ~. regular sein muB und

somit eine Potenzreihenentwicklung um den Nullpunkt besitzt, deren

Konvergenzradius mindestens 1 + ~. ist. Das widerspricht jedoch der

Tatsache, daB der Konvergenzradius von (43.3) genau eins ist. Der hier zur Darstellung gekommene Beweis des Fabryschen Satzes

geht, wie bereits erwahnt, auf TURA.N zuruck und wurde im Jahre 1947 in den Hungarica Acta Mathematica gedruckt. Er hat gegenuber anderen Beweisen den Vorzug, daB die darin enthaltenen Gedanken (Turanscher Hilfssatz) auf eine Reihe wichtiger und schwieriger Probleme der analytischen Zahlentheorie und der Analysis anwendbar sind 1.

44. Geschichtliche Zusammenhange und Literaturangaben. Wenn man von dem Begrunder der Theorie der abstrakten Raume, MAURICE FRECHET, absieht, so ist fiir den ersten Teil dieses Kapitels, nfunlich fiir die Konvergenztheorie, neben den grundlegenden Arbeiten von ASCOLI und ARZELA das Werk von PAUL MONTEL (zusammenfassende Darstel­lung der Montelschen Arbeiten: Le<;ons sur les families normales de fonctions analytiques et leurs applications, Paris, Gauthier-Villars, 1927) zu erwahnen, der altere Resultate auf dies em Gebiet zusammenfaBte und diese nebst vielen neuen Ergebnissen in eine allgemeine Theorie, die Theorie der normalen Familien, einordnete. Neben MONTELS Arbeiten zur Grundlegung der Theorie der normalen Familien sind noch die Arbei­ten von OSTROWSKI [Uber Folgen analytischer Funktionen und einige Verscharfungen des Picardschen Satzes, Math. Z. 24, 215-258 (1925)J und CARATHEODORY [Stetige Konvergenz und normale Familien von Funktionen, Math. Ann. 101,515-533 (1929)J zu erwahnen.

Hat man ein Gebiet G der z-Ebene, so bildet die Gesamtheit 50 aller eindeutigen Funktionen w (z), die in G von rationalem Charakter sind, einen abstrakten Raum. 1st dann w(z) E 50 und a ein Pol von w(z), so

setzen wir wie ublich w (a) = 00. Da allgemein mit w E 50 auch ~ E 50 w

gilt, und die Konstante w = 0 in 50 liegt, so lassen wir die Konstante w = 00 als Element von 50 zu.

Wir definieren nun: Eine unendliche Teilmenge 5 von 50 bildet eine normale Familie in G, wenn man aus jeder unendlichen Teilfolge (wn) (n = 1,2, ... ) von Elementen von 5 eine Teilfolge (wnk) (k = 1,2, ... ) auswahlen kann, die in jeder kompakten Teilmenge K von G gleichmafJig gegen ein Element von 50 konvergiert.

Liegt dieses Element stets in 5, so heiSt 5 eine kompakte normale Familie. Dabei soll bei der Konvergenz die Ostrowski-Ahlforssche Metrik zugrunde gelegt werden.

1 Einen interessanten Beweis des Fabryschen Satzes hat kurz nach TURAN GELFOND pUbliziert [Doklady Akad. Nauk SSSR, (N. S.) 64,437-440 (1949)J.

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134 V. Erzeugung analytischer Funktionen durch Grenzprozesse

Ein notwendiges und hinreichendes Kriterium normal ist, wurde von AHLFORS gegeben:

Man setze fur jedes w E S, w =1= 00

{ Iw'l I } a(w) = sup 1 + Iw l2 zEK .

dafiir, daB SinG

(KC G).

Dann besteht die notwendige und hinreichende Bedingung dafur, dafJ die Familie S in G normal ist, darin, daft die obere Grenze der a(w) fur alle wE S, bei festem (sonst willkurlichem) kompaktem K endlich ist.

Gilt also fiir jedes w E S, w =1= 00

Iw'(z)1 l+lw(z)l" ~ M

mit einem endlichen M, so ist S normal in G.

(M=M(K),zEK)

Den Beweis dieses Normalitatskriteriums findet der Leser in dem schon zitierlen Lehrbuch von AHLFORS (Complex Analysis, S. 169).

Ein einfaches hinreichendes Kriterium dafiir, daB S in G normal ist, ist offenbar die gleichmaBige Beschranktheit der Funktionenklasse. Ein weiteres tieferliegendes Kriterium fUr die Normalitat von 5 haben CARA­THEODORY und LANDAU gegeben. Sie haben (Sitzungsberichte der PreufJi­schen Akademie der Wissenschaften 1916) bewiesen: LiifJt jedes Element w (z) von 5 in G drei feste Werle a, b, c aus, so ist 5 normal in G.

Eine historisch interessante Darstellung der WeierstraBschen Auf­fassung des Begriffes der analytischen Funktion bzw. des analytischen Gebildes nebst einer Konfrontierung dieser Begriffsbildung mit den Ge­dankengangen von CAUCHY und RIEMANN findet der Leser, wie bereits erwahnt, in einer 1884 geschriebenen und erst 1924 gedruckten Abhandlung von WEIERSTRASS (Zur Funktionentheorie, Acta Math. 45). Diese Arbeit kniipft an die grundlegenden Abhandlungen (Zur Theorie der eindeutigen analytischen Funktionen und Zur Funktionenlehre, Ges. W., Bd.2) aus den Jahren 1876 und 1880 an und hebt die Vorziige seines Standpunktes hervor. Was dabei gewonnen wird, ist eigentlich nicht nur die Definition der analytischen Funktion durch Potenz­reihen [was auch CH. MERAY (1835-1911) tat], sondem auch die Bereit­stellung eines einfachen Mittels, niimlich der Umbildung derselben zur Gewinnung der analytischen Forlsetzung. (Der allgemeine Begriff der analytischen Fortsetzung war natiirlich auch RIEMANN bekannt, und dies wird auch von WEIERSTRASS in der Abhandlung von 1884 erwahnt.)

Nimmt man an (was durch Verkleinerung des Konvergenzradius stets erreicht werden kann) , daB jedes Funktionselement P(z-a) in einer abgeschlossenen Kreisscheibe konvergiert, so lieferl das WeierstraBsche Verfahren neben der AusschOpfung des (natiirlichen) Existenzbereiches

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44. Geschichtliche Zusammenhange und Literaturangaben 135

durch Vereinigung von offenen Kreisscheiben auch eine soIche durch abgeschlossene Kreisbereiche. Jede monoton wachsende Folge soIcher Bereiche (d. h. Vereinigung von endlich vielen abgeschlossenen Kreis­scheiben) definiert den Existenzbereich des Ausgangsfunktionselements. Oft werden soIche Grenzmengen auch als W-Bereiche bezeichnet.

DaB ein analytischer Ausdruck (d. h. ein Ausdruck, des sen Wert man in jedem Punkt einer Punktmenge durch finite bzw. abzahlbare Wie­derholung der Operationen Addition, Subtraktion, Multiplikation und Division bestimmen kann) zwei oder mehrere eindeutige analytische Funktionen im WeierstraBschen Sinne darstellen kann, deren Regulari­tatsgebiete punktfremd sind, war schon WEIERSTRASS bekannt. So stellt z. B. der analytische Ausdruck

00 z"

Ao (z) =}; 1 + Z2n (IZI =1= 1) o

die beiden analytischen Funktionen

und (Izl < 1)

(Izl > 1)

dar, die nach der WeierstraBschen Theorie (da W 2 (z) keine analytische Fortsetzung von WI (z) ist) nichts miteinander zu tun haben.

Nachfolgendes (auf POINCARE, GOURSAT und BOREL zuruckgehendes) Beispiel ist von prinzipielier Bedeutung.

Es sei 00 A A(z) =};_n_

1 z - an

00

mit an = e2"irJ.n und}; IAnl < + 00, wobei {lXn} die Menge alier rationaler 1

Zahlen des Intervalls 0 ~ r < 1 bedeutet. Dann konvergiert A (z) fUr alle z, Izl =!= 1 und es scheint zunachst, als ob A (z) wieder zwei von­einander unabhangige analytische Funktionen WI (z) und W 2 (z) darstellt, deren Existenzbereiche durch die Einheitsperipherie getrennt werden. Nun hat BOREL (man vgl. etwa Le<;ons sur les fonctions monogenes uniformes d'une variable complexe, Paris, Gauthier-Villars 1917) unter vielen anderen Dingen gezeigt, daB es eine Polynomreihe

00

P(z) =}; Pk(z) o

gibt und unendlich viele Strahlen IX durch denNulipunkt existierenderart, daB P(z) in jedem Punkt z von IX n {z Ilzl < I} bzw. IX n {z Ilzl > I} den Wert A (z) hat. Insofern weisen die entsprechend dem ersten Bei­spiel gebildeten analytischen Funktionen WI (z) und W 2 (z) einen Zusam­menhang auf, den die WeierstraBsche Theorie nicht aufdeckt.

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136 V. Erzeugung analytischer Funktionen durch Grenzprozesse

Diese groB angelegten Untersuchungen von BOREL, die 1894 mit seiner Dissertation Sur quelques points de la theorie des fonctions (nachgedruckt in den Ann. Ec. Norm. Sup. 1895) begannen, fiihrten ihn schlieBlich [man vgl. etwa Les fonctions monogenes non analytiques, Bull. soc. math. France 40, 205-219 (1912)J zum Begriff der mono­genen Funktion, die den Cauchyschen (und WeierstraBschen) Begriff der analytischen Funktion erweitert. BOREL betrachtet Bereiche (C-Bereiche genannt), die als Grenzmengen von ansteigenden Folgen (Cn ) (n = 1,2, ... ) von Punktmengen Cn der komplexen Ebene mit folgenden Eigenschaf­ten aufgefaBt werden ki:innen:

1. J edes Cn ist eine perfekte Punktmenge (d. h. Cn ist abgeschlossen und jeder Punkt von Cn ist Hiiufungspunkt von Cn) und

2. Die komplementiire Menge von Cn besteht aus hochstens abziihlbar vielen, punktjremden, offenen Kreisscheiben 1•

Danach kann C nirgends dicht sein (d. h. C kann einen leeren offenen Kern haben), wahrend sein Komplement C' eine dichte Punktmenge vom MaB Null sein kann (also eine Nullmenge, deren abgeschlossene Riille die gesamte Ebene ausfUllt).

Offenbar enthalt der Raum aller C-Bereiche die Gesamtheit der W­Bereiche als Teilraum.

Eine komplexe Funktion w (z) (z E C) solI in C stetig heiBen, wenn sie in jedem Cn stetig ist. 1st z E c, so heiBt w (z) dort differenzierbar, wenn fUr jedes n, fUr das z E Cn gilt, der Grenzwert

1. w(z') - w(z) 1m , z'~z z - z

existiert. Eine komplexe Funktion, die in C stetig und differenzierbar ist, heiBt monogen in C.

Nun hat BOREL folgende grundlegenden Resultate bewiesen:

1. 1st w (z) monogen in C und verschwindet sie aUf einem Kurvenbogen y in C, so verschwindet sie identisch in C.

2. Gilt fur einen Punkt Zo von C

(k = 0, 1, 2, ... ) ,

so verschwindet w (z) identisch in C 2.

1 Das gegenseitige Verhaltnis der Radien dieser Kreisscheiben ist nicht will­ktirlich. Die allgemeine Theorie der C-Bereiche von BOREL findet der Leser im Kapitel 5 seines vorhin zitierten Buches dargestellt.

2 Mehr als die hier gegebenen gedrangten Informationen tiber monogene Funk­tionen findet der Leser in dem Buch von BOREL. Einen imponierenden Eindruck vom Gesamtwerk BORELs gibt der Jubilaumsband. Selecta (Jubile scientifique de M. EMILE BOREL, Paris, Gauthier- Villars, 1940).

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1. Ein Beweis des Auswahlsatzes 137

Wichtige Einzelheiten tiber die verschiedenartigsten Methoden der analytischen Fortsetzung erfahrt der Leser aus dem Enzyklopadie­artikel von BIEBERBACH (Neuere Untersuchungen tiber Funktionen einer komplexen Veranderlichen, Enzyklopiidie der Mathematischen Wis­senschaften II.3.1, Teubner 1909-1921). Untersuchungen auf dem Gebiet der analytischen Fortsetzung nach dem Jahr 1921 sind in dem Buch von BIEBERBACH (Analytische Fortsetzung, Ergebnisse der Mathematik und ihrer Grenzgebiete, Springer-Verlag 1955) zusammengefaBt worden. Hier findet der Leser auch eine vollstandige Aufzahlung (mit kurzen Bewei­sen) der Ergebnisse tiber nicht fortsetzbare Reihen.

Den Durchbruch von der anschaulichen Riemannschen Flache (man vgl. z. B. die ausgezeichnete Schrift von KLEIN, Uber Riemanns Theorie der algebraischen Funktionen und ihrer Integrale, Leipzig 1882) zu der modernen Definition der abstrakten zweidimensionalen Riemann­schen Mannigfaltigkeit, der Riemannschen Flache, wie diese in 42. gebracht wurde, verdankt man HERMANN WEYL (Die Idee der Riemann­schen Flache, Berlin und Leipzig 1912, 3. Auflage, 1955) und TIBoR RAD6 [Uber den Begriff der Riemannschen Flache, Acta Sci. Litt. Szeged 2, 101-121 (1925)]. Der Leser, der sich fUr die damit zusammen­hangenden Probleme sowie allgemein fUr die Entwicklung des Riemann­schen Gedankens der mehrblattrigen Gebiete interessiert, soUte auBer dem grundlegenden Buch von WEYL und der Arbeit von RAD6 noch einige der Kolloquiumsvortrage (zusammengefaBt unter dem Titel Contributions to the theory of RIEMANN surfaces, Princeton University Press 1953) studieren, die im Dezember 1951 in Princeton anlaBlich des hundert­jahrigen Jubilaums der Riemannschen Dissertation gehalten wurden.

Einen noch besseren Eindruck der geleisteten Arbeit vermittelt in dies em Zusammenhang die vorhin in 42. zitierte, groBangelegte Mono­graphie von AHLFORS und SARIO.

Erganzungen und Aufgaben zum fiinften Kapitel 1. Ein Beweis des AuswahIsatzes. 1st die Funktionenfolge (wk )

(k = 0, 1,2, ... ) in einem Kreis Izl ~ 1 eindeutig regular und dort gleichmaBig beschrankt, etwa Iwdz) I ~ 1 (izl ~ 1), so setze man

00

(1) Wk(z) =}; aknzn , n=O

betrachte das Koeffizientenschema

aOO aOl a02 ...

~Oall~2'"

a20 a21 a22 ...

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138 V. Erzeugung analytischer Funktionen durch Grenzprozesse

und beachte, abschatzung

daB mit Riicksicht auf die Cauchysche Koeffizienten-

(2) (k, n = 0, 1, ... )

gilt. Dann kann man mit Hille des Cantorschen Diagonalverfahrens ein Koeffizientenschema (ak.8) (r, s = 0, 1,2, ... ) derart bestimmen, daB bei festem s (s = 0, 1,2, ... )

(3) lim ak.s = a. 1'--..00

existiert. Wegen (2) gilt dann lasl ~ 1, und die Reihe 00

(4)

konvergiert in Izl < 1. Es sei jetzt N > 2 ganz. Dann gilt in Izl ~ r < 1

N rN + 1

Iwk.(z) - w(z)1 ~ E la", •• - asl + 2T=r' 8=0

LaBt man jetzt bei festem N ')I ~ 00 konvergieren, so erhalt man

= rN +1 (5) lim Iwkv(z)- w(z)1 ~ 2--

v-+oo 1 - r

und mithin (durch Grenziibergang N ~ 00)

lim Wk. (z) = W (z) ,

und zwar gleichmaBig in jeder Kreisscheibe Izl ~ r < 1. Man wende dieses Verfahren (unter Heranziehung des Heine-Borel­

schen V'berdeckungssatzes) zum Beweis des Auswahlsatzes bzw. des Vitalischen Konvergenzsatzes fUr ein beliebiges Gebiet G an.

2. Der Satz von MITTAG-LEFFLER. Es sei (gn(z)) (n = 1,2, ... ) eine Polynomfolge 11"

gn (z) = E AnkZk 1

und (an) eine komplexe Zahlenfolge mit lanl ~ lan+11 (n = 1,2, ... ) und lim lanl = 00. Bildet man dann fur jedes n

n ...... oo

so kann eine Polynomfolge (Pn(z)) (n = 1,2, ... ) bestimmt werden derart, dafJ die Reihe

(1)

in jeder kompakten Teilmenge K von E, die keinen der Punkte an enthiilt, gleichmiifJig konvergiert. Hat also eine in E meromorphe Funktion w(z)

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2. Der Satz von MITTAG-LEFFLER 139

mit den Polen an in der Umgebung jedes an die Entwicklung (Hauptteil)

w (z) = gn (_1_) + regular, z- an

so gilt in E die Darstellung

(2) w(z) = f {gn C ~ aJ -Pn(z)} + wo(z)

mit einer in E regularen eindeutigen Funktion wo(z). Das ist einer der Satze, die MITTAG-LEFFLER I [Ofversigt af Kongl. Vetenkaps Akadem. Forhandlinger 34 (1877)] im AnschluB an die grundlegenden Arbeiten von WEIERSTRASS tiber die Produktdarstellung meromorpher Funk­tionen bewiesen hat.

Der Beweis ist einfach. Man setze, faIls a l = 0 ist, PI (z) == O. 1st

lanl>O, soistgn L ~ aJ in Izi ~ ~ lanl eindeutigregular, und somit gilt dort

gn (_1_) = f CnTo Z7c • z - an 0

Daraus folgt, daB man einen Abschnitt P n (z) der Taylor-Reihe rechts derart bestimmen kann, daB

in Izl ~ ~ lanl gilt. Das beweist mit Rticksicht auf das WeierstraBsche Kriterium der

gleichmaBigen Konvergenz die (absolute und) gleichmiiBige Konvergenz von (1) in jeder kompakten Teilmenge von E, die keinen der Punkte an enthhlt. Die Mittag-Lefflersche Konstruktion ist auch dann durch­ftihrbar, wenn die an nicht gegen z = 00 konvergieren, sondern ihre Haufungspunkte auf dem Rand eines Gebietes G liegen. DaB die Kon­struktion der Reihe (1) die Gleichung (2) zur Folge hat, moge der Leser selbst beweisen.

Der Mittag-Lefflersche Satz (in veraIlgemeinerter Form) liefert den einfachsten Zugang zum folgenden, wichtigen Satz von C. RUNGE [Zur Theorie der eindeutigen anaIytischen Funktionen, Acta Math. 6, 229-244 (1885)]: Jede in einem Gebiet G der komplexen Ebene mero­morphe Funktion w (z) lajJt sich als Limes einer Folge (Rn (z)) von rationalen Funktionen darstellen, wobei jedesmal die innerhalb G gelegenen Pole der Rn (z) mit einem Teil der Pole von w (z) zusammenfallen. Die Konvergenz der Folge (Rn (z)) ist in jedem Bereich innerhalb des Regularitatsgebietes von w (z) gleichmajJig.

1 G. MITTAG-LEFFLER (1846-1927). Eine zusammenfassende Darstellung der Mittag-Lefflerschen Arbeiten findet der Leser in den Acta Math. 4 [Sur la represen­tation analytique des fonctions monogenes uniformes d'une variable independante. S. 1-79 (1884)].

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140 V. Erzeugung analytischer Funktionen durch Grenzprozesse

Der Beweis Hiuft fur Zoo ~ G kurz so: Man benutze die (verallgemei­nerte) Gleichung (3) und schapfe G durch eine monotone Folge (En) von Bereichen En = Gn U rn (En C Gn+1) aus, deren Rand rn aus endlich vielen analytischen Kurvenstiicken besteht und nicht durch einen Pol von w (z) hindurchgeht. Ist nun z E En, so stelle man Wo (z) durch ein Randintegral (nach dem Vorbild von (25.4)) dar, erstreckt uber rn +1,

und approximiere dieses (nach des sen Zerlegung in geeignete Teilinte­grale und Anwendung ahnlicher Methoden wie beim Beweis des Laurent­WeierstraBschen Satzes odeI' durch Verwendung approximierender Riemannscher Summen mit geeignet verschobenen Polen) gleichmaBig in Bn durch eine rationale Funktion, die in G keinen Pol besitzt. Der Fall Zco E G laBt sich leicht mit Hilfe einer linearen Transformation ein­beziehen. Ferner laBt sich zeigen (und das wurde in einem Spezialfall beim Beweis des Fabryschen Satzes demonstriert), daB fUr ein einfach­zusammenhangendes, beschranktes G die Funktionen Rn (z) durch Polynome P n (z) ersetzt werden konnen.

Del' Satz von RUNGE gab den AnstoB zu einer umfangreichenLitera­tur und zu Entwicklungen, die erst in del' neuesten Zeit zu einemgewis­sen AbschluB gekommen sind. Was neu hinzugekommen ist, erfahrt der Leser aus dem Buch von J. L. WALSH, Interpolation und Approximation by Rational Functions in the Complex Domain (A mer. Math. Soc. Coll. Public. Bd. 20, 2. Auff. 1956).

3. Nochmals die trigonometrischen Funktionen. Del' Satz von MITTAG­LEFFLER erlaubt, ohne Schwierigkeit die Gleichung

( 1) n2 +00

sin" nz =}; (z - n)" -co

zu beweisen. Man setze +00 1 g(z) =}; ( )". z-n

-co

Dann ist g (z) meromorph und hat offenbar die Periode eins. Anderer­seits ist

n" w(z) = ---g(z)

sin" nz

in E eindeutig regular und hat ebenfalls die Periode eins. Man betrachte jetzt das Quadrat

QN: Ixl ~ N + ~, Iyl ~ N + ~ (N ganz ~ 1) .

Dann gilt auf dem Rand r N von QN

I ejn. - e- in• I Isin nzl = 2i ~ 1

und da g(z) auf rN fur jedes N dem Betrag nach beschrankt ist (etwa Ig (z) I ~ 8), so gilt

Iw(z)1 ~ 20

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4. Die WeierstraBsche Produktdarstellung von w (z) 141

und somit muB (0 (z) (nach dem Liouvilleschen Satz) konstant sein. DaB nun (0 (z) in E identisch verschwindet (was dann auch die Glei-

chung i.2... = 1/',2 zur Folge hat), kann man am einfachsten mit Hilfe 1 n 2 6

der leicht nachprfifbaren Identitat

beweisen. Aus der Gleichung (1) erhaIt man durch Integration mit Rfick­sicht auf die gleichmaBige Konvergenz von g (z) in jeder kompakten Teilmenge von E, die keinen der Punkte z = 0, ± 1, ± 2, ... enthalt, die Gleichung

(2) 1 +00 {II} :rr:ctg:rr:z=-+}; --+- . z z - n n n=oo

Hierbei erstreckt sich die Summation rechts fiber aIle n mit Ausnahme von n = O. Schreibtman (2) in der Form

(3)

so erhalt man

(4)

:rr:ctg:rr:z=~+ lim {f (_1_+~)}, z m ..... oo 1 z - n n

1 oc z :rr:ctg:rr:z=-+2}; z2_n2 '

z 1

Daraus folgt durch erneute Integration

(5)

Wir werden diese Gleichung im nachsten Kapitel auf ganz anderem Wege beweisen.

4. Die Weierstrafische Produktdarstellung von w (z). Hat die ganze transzendente Funktion w (z) (w (0) =1= 0) die Nullstellen av a2, ••• ge­ordnet nach nicht abnehmenden absoluten Betragen (mehrfache Null-

stellen mehrfach gezahltl), so hat ~(~1 in an einen Pol erster Ordnung,

und somit gilt nach dem Mittag-Lefflerschen Satz

(1) w'(z) 00 { 1 } w (z) = g (z) + f z _ an - P n (z)

mit einer in E eindeutigen regularen Funktion g(z). Man wahle jetzt als

P n (z) das Polynom _.2... w 2'" (~) , wobei an an

W z = 1 1 {I IP=O

2' ( ) z + "2 Z2 + ... + P z2' I P ~ 1

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142 V. Erzeugung analytischer Funktionen durch Grenzprozesse

ist und bilde die Reihe

a(z) = f {_1_ + ~ W' (~)}. 1 z-an an Pn an

Dann ist flir 1 ~ 1 ~ ! 1 1 1 W' (z) 1 21 z !Pn+ 1 z-an +a,: Pn a,: ~ a,,1 '

und somit konvergiert a(z) absolut und gleichmaBig in jeder kompakten Teilmenge von E, die keinen der Punkte an enthalt, sofern man Pn geeignet wahlt. So flihrt z. B. die Wahl Pn = n stets zu einer konvergenten Reihe.

DaB man aus (1) durch Integration die Gleichung

(2) w(z) = eUo(z) {I{(1- ~) e Wp,,( :J} mit einer in E holomorphen Funktion go (z) erhalt, mage der Leser beweisen. Der einfachste Weg dabei ist folgender: Man setze

Dann ist W(z) = J(z) wo(z)

in E eindeutig und regular und hat dort keine Nullstellen. Setzt man also

(3) f' (z) 00 ,

-- = I.; C zn = g (z) J(z) 0 n

(g(O) = 0) ,

so ist g' (z) in E eindeutig regular und

J(z) = J(O) eg (z) •

Das beweist (2). Die Produktdarstellung (2) ist erstmalig von WEIERSTRASS (Zur

Theorie der eindeutigen analytischen Funktionen, Abhandl. Kgl. Akad. Wiss. 1876, Math. W. II, S.77-124) gegeben worden und bildete den Ausgangspunkt der Untersuchungen von MITTAG-LEFFLER. Man vgl. auch die Entwicklungen von 80.

S. Die elliptischen Funktionen. Als elliptische (doppeltperiodische) Funktion bezeichnet man jede in E meromorphe Funktion w (z) mit

zwei Perioden 2 wI> 2 w2, deren Verhaltnis w = ~ nicht reell ist. Man w.

kann leicht zeigen, daB jede meromorphe Funktion, die den Gleichungen

(1) und (2)

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5. Die elliptischen Funktionen 143

mit einem ree1len W genugt, entweder einfach periodisch (faIls W rational) oder eine Konstante ist (faIls W irrational).

Im folgenden wird es sich urn solche WI' W 2 handeln, mit deren Hilfe jedes andere Periodenpaar (wi, w~) in der Form WI = a WI + b W 2,

W2 = c WI + d W2 mit ganzzahligen a, b, c, d dargestellt werden kann (Primitive Perioden).

Die einfachsten elliptischen Funktionen sind die Modulformen

(3) L; 1 m,n (z - Qmn)r

(r ~ 3, ganz) ,

wobei Q mn = 2mwi + 2nw2 ist, und die Summation sich uber aIle gan­zen Zahlen m, n = 0, ± 1, ... erstreckt.

Da

(4) (m2 + n2 =l= 0)

wegen

L; r<6L;-r 1 (001)2 m,n (m2 + nO)"2 I n"2

konvergiert, so ist (3) in jeder kompakten Teilmenge von E, die keinen der Gitterpunkte [Jmn enthalt, absolut und gleichmaBig konvergent.

Der Leser moge folgende wichtigen Einzeltatsachen aus der Theorie der elliptischen Funktionen behalten:

Es bedeute bei gegebenem Zo E E und festen, ganzzahligen m und n IImn (kurz II) die Punktmenge

{z I z = Zo + 2 (m + oc) WI + 2 (n + f3) W 2, 0 ~ oc < 1, 0 ~ f3 < I}.

Dann laBt sich E (sofern Zo festgehalten wird) als Vereinigung aIler sol­cher "PeriodenparaIlelogramme" lImn (fur m, n = 0, ± 1, ... ) dar­stellen.

Man kann nun zeigen: 1st w (z) eine nicht konstante doppeltperiodische Funktion, so mufJ sie in einem II (und somit in jedem) einen Pol haben (mit anderen Worten: Jede uberall in E regulare elliptische Funktion w(z) ist konstant). Es ist ublich, die Anzahl der Pole einer elliptischen Funk­tion w (z) innerhalb eines Periodenparallelogramms als die Ordnung von w (z) zu bezeichnen. So ist z. B. (3) eine elliptische Funktion von der Ordnung r.

2. Die Summe der Residuen der Pole von w (z) in II ist stets Null.

Beweis. Es sei r II der Rand von II. Man wahle Zo so, daB auf r II keine Pole von w (z) liegen. Dann ist

r w(z) dz = O. JrII

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144 V. Erzeugung ana1ytischer Funktionen durch Grenzprozesse

Die Gesamtanzahl der Pole von w (z) in einem Parallelogramm heiBt (wie bereits erwahnt) die Ordnung von w(z).

1st w (z) elliptisch, so ist offenbar jede Ableitung von w (z) elliptisch. Wegen

gilt der Satz:

J w' -dz=O r il w

3. Die Gesamtanzahl der N ullstellen von w (z) in II (und allgemein der a-Stellen) ist gleich der Ordnung von w (z).

Def. Die elliptische F unktion

(5) 1 '\"{ 1 1 } fpz=.+.::.. 2 --2-Z m,n (z - Qmn) Q mn

(geschrieben auch fp (z)) heifJt die WeierstrafJsche Pe-Funktion. Es ist

(6) ,_ 2 '\' 1 1 fp Z - - .::.. ( _ Q )3 .

mJn Z mn

1st l.Qmnl groB gegentiber 14 so ist das allgemeine Glied von (5) absolut genommen kleiner als

Izl ( Izl )-2 2 IQmnl' 1- IQmnl .

Das beweist die (absolute und gleichmaBige) Konvergenz von (5) in jeder kompakten Teilmenge von E, die keinen der Gitterpunkte .Qmn enthalt.

Man kann zeigen, daB fp (- z) = fp (z) und fp' (- z) = - fp' (z) ist. Zwischen fpZ und fp' z besteht eine wichtige Relation. Man gehe in der Tat von der Laurent-WeierstraBschen Entwicklung von fpZ in der Um­gebung von z = 0

1 hZ = - + C Z2 + C Z4 + ... GV Z2 2 4

aus und bilde

Dann ist 1 3c2 h3Z=-+-+3c + ...

GV Z6 Z2 4

und , 4 8c2

fp2z=Z6'-7-16c4+' ".

Daraus folgt, daB die (doppeltperiodische) Funktion

fp'2 z - 4 fp3 Z + 20c2 fp Z

1 I' (wie auch spater II') bedeutet eine Summation (bzw. Produktbildung) tiber aIle "Gitterpunkte" Q mn mit m 2 + n2 =!= O.

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5. Die elliptischen Funktionen 145

in E eindeutig und regular ist, und hiermit (da sie konstant sein muB) gilt

(7)

Danach gentigt fp (z) der Differentialgleichung

(8)

und hangt somit mit der Umkehrung des Integrals

(9)

zusammen. Neben fpz, fp' z spielen in der WeierstraBschen Theorie noch die

Funktionen

(10) 1 "\,1 {lIZ } Cz=-+ £..J ---- +--+-2-Z m,n Z - Q mn Q mn Dmn

und

(11)

eine wichtige Rolle. Die erste Funktion (C von z) hat als Ableitung die Funktion - [,0Z und die zweite Funktion (a von z) hat als logarithmische Ableitung die Funktion Cz. DaB die rechten Seiten von (10) bzw. (11) in jeder kompakten Teilmenge von E, die keinen der Gitterpunkte Q mn

enthalt, absolut und gleichmaBig konvergieren, kann der Leser entweder direkt oder durch gliedweise Integration (von C = 0 bis C = z) unter Berticksichtigung der Gleichungen

lim {Cz-~}=O z->-o Z

und lim a(z) = 1 z->-o Z

zeigen. Die Funktionen Cz und a(z) sind keine elliptischen Funktionen, erstere nicht, weil sie (in II) einen einfachen Pol hat, letztere, weil sie ganz transzendent ist. Wegen

d Tz{C(Z+2wk)-CZ}= fpz-fp(z+ 2wk) =0 (k= 1(2)

gilt (12) (k = 1(2).

Die Konstanten 'Y)1> 'Y)2 lassen sich leicht bestimmen durch die Wahl z = - wk(k = 1(2). Man findet dann mit Rticksicht darauf, daB Cz ungerade ist, die Gleichungen

(13) Dinghas, Funktionentheorie

(l? = 1(2) . 10

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146 V. Erzeugung analytischer Funktionen durch Grenzprozesse

Mit Hilfe dieser Gleichung findet man leicht

a(z + 2Wk) = - a(z) e2'1kZ+ Ck •

Die Konstanten C1> C2 lassen sich wieder dadurch bestimmen, daB man Z = - Wk setzt. Man erhalt dann (wegen a (- z) = - a (z)) die Glei­chungen (14) a(z+2wk)=-a(z)e2'1k(Z+<Ok) (k=I,2).

6. Additionsformeln. Ist C =l= Qmn' so ist

(z) = er(z - C) er(z + C) 'IjJ er2z

eine elliptische Funktion mit den Nullstellen ± C, und somit gilt

KJZ- KJC = c'IjJ(z) (c konstant).

Daraus folgt wegen lim {a2z(KJz- KJC)} = 1 z-+o

(1) . Z _ ,. = _ er(z - C) er(z + C) KJ KJ~ ~z~C

und somit

(2) KJ' z C (z + C) + C (z - C) - 2C Z •

Vertauscht man hier Z und C und addiert man die beiden Gleichungen, so erhiilt man

(3)

und durch nochmalige Differentiation nach z bzw. C

1 KJ'z (KJ'z - go'C) - KJ"z(KJz - KJC) KJ (z + C) - KJZ = 2 . (KJz - KJC)2

und 1 KJ' C(KJ'C - KJ'z) - KJ"C (KJC - KJz)

KJ (z + C) - KJC = 2 . (KJz - KJC)2

Daraus folgt durch Addition

1 (KJ' Z - KJ' C) 2 1 KJ" Z - KJ" C 2 KJ (z + C) - KJZ- KJC = 2 (KJz - KJC)" - 2' KJZ - KJC

Nun ist

also

Das gibt die Gleichung

(4) 1 (KJ'z-KJ'C)2 KJ(z+C)=-KJZ-KJC+- ---- • 4 KJz - KJC

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7. Der Monodromiesatz 147

Die Gleichungen (3) und (4) heiBen die Additionsformeln von Cz bzw. f.J z. Einen ausgezeichneten Uberblick der klassischen Theorie der ellip­tischen Funktionen findet der Leser in den Vorlesungen uber allgemeine Funktionentheorie und elliptische Funktionen von A. HURWITZ (Berlin Springer-Verlag 1922). Dort findet man nicht nur die Theorie der ellip­tischen Funktionen von WEIERSTRASS meisterhaft dargestellt, sondern auch die gesamte Theorie der Jacobischen elliptischen Funktionen sowie die Theorie der Jacobischen D-Reihen vollstandig entwickelt. Von der angelsachsischen Literatur durfte wohl das (schon zitierte) Buch von WHITTAKER-WATSON die pragnanteste Darstellung der Theorie der elliptischen Funktionen geben. Das zweibandige Buch von ApPELL und LACOUR, Principes de la theorie des fonctions elliptiques (Paris, Gauthier-Villars, 1922) weist gegenuber gleichartigen Darstellungen groBe padagogische Vorzuge auf. Man vgl. auch das Buch von VALIRON, Cours d' Analyse Mathematique, Bd. 1, Paris 1948.

7. Der Monodromiesatz. Der Monodromiesatz besagt: Es sei G ein einfach zusammenhiingendes Gebiet der komplexen Ebene und Zo ein Punkt von G. Ist dann die Potenzreihe

00

(1) P(C - zo) =.E an (C - zo)nl o

in einer Umgebung von Zo konvergent und in G uberall fortsetzbar, so ist die so erhaltene Funktion w (z) in G eindeutig. Dabei wird unter uberall fortsetzbar folgendes verstanden: Ist zein beliebiger Punkt von G, so gibt es mindestens eine (endliche) Kette mit dem Anfangselement P (C - zo) und dem Endelement P (C - z).

Der Monodromiesatz kann ahnlich bewiesen werden, wie der Fun­damentalsatz der Cauchyschen Funktionentheorie, den er (da der ProzeB der analytischen Fortsetzung umfassender als der IntegrationsprozeB ist) verallgemeinert.

Der Leser mage folgende Tatsachen festhalten:

1. 1st y (y C G) eine stetige Kurve, die Zo und z verbindet und nimmt man die Mittelpunkte der Kreisscheiben der Kette auf y [Fortsetzung von P (C - zo) langs der Kurve y IJ, so wird das Resultat durch Hinzu­nahme weiterer Kettenelemente mit Mittelpunkt auf y nicht geandert, sofern man sich an das Bildungsgesetz der Kette halt.

2. 1st

und y = {z I z = z (-r) , to ~ -r ~ t}

Ay={P(C-Zk) I Zk= z(-rk),k = 0, 1, ... ,n} 00

lIst Zo = 00, so ist P (C - zo) durch L: a" C-" zu ersetzen. o 10*

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148 V. Erzeugung analytischer Funktionen durch Grenzprozesse

mit to = io < i1 < ... < in = t eine geordnete Kette von Elementen, so fiihrt die (inverse) Kette

Ay1= {P(C -Zk) I zk= Z(in_",), k= 0,1, ... , n}

vom Element P (C - z) zum Element P (C - zo) zuriick. 3. 1st y' eine Kurve in G mit dem Anfangspunkt in Z = z(t), so flihrt

die Fortsetzung von P (C - zo) Hings der (orientierten) Kurve y + y' + + y'-l zu demselben Element P (C - z) zuriick.

1m folgenden wird von y wenig Gebrauch gemacht, sondern lediglich von der (geordneten) Folge (z,.) (k = 0, 1, ... , n) der Mittelpunkte z",. Da, wie bereits erwahnt, das Hinzufligen von Zwischenpunkten an dem Endelement nichts andert, so wird dariiber hinaus stets angenommen, daB die Strecken z"'_lz",(k = 0, 1, ... , n) in G liegen.

Man kann nun leicht zeigen, daB der Monodromiesatz mit folgender Behauptung aquivalent ist:

J ede geschlossene Kette

K = {P(Z-Ck) I k = 0,1,2, ... , n; Cn = Co}

fuhrt zum A usgangselement von K zuruck.

Nachfolgende Beweisskizze mage vom Leser in den einzelnen Schrit­ten ausflihrlicher durchgeflihrt werden: Man nehme an, es gabe eine Kette K, die nicht zum Ausgangselement fiihrt. Dann gibt es eine einfache (d. h. eine solche, wo Ci = Ck , i =1= k nur flir den Anfangs- bzw. Endpunkt gilt) Kette, etwa (2), mit derselben Eigenschaft. Es sei II die Polygonallinie, die man mit Hilfe der Ck (genommen in der gegebenen Reihenfolge) bilden kann. Diese liegt nach Voraussetzung in G. 1st II nicht einfach, so muB ein einfach geschlossener Teilzug II' von II die Eigenschaft haben, daB die Fortsetzung langs II' nicht zum Ausgangs­element flihrt. Nun hat jedes einfach geschlossene Polygon (und somit auch II') mindestens einen Winkelrx < n. Es seien A B, A C die beiden Seiten von II', die den Winkel IX bilden. Es sei A die dazugehorige Ecke. Dann gibt es eine Ecke B von II' (etwa diejenige, die das Minimum der Entfernung von A von allen Ecken von II' erreicht), so daB die Seite A B das Polygon II' in zwei Polygone II" und II'" in G mit einer kleineren Seitenzahl als II' zerlegt. Setzt man dann dies en AbspaltungsprozeB fort, so kann man II' als topologische Summe von endlich vielen (orientierten) Dreiecken darstellen und somit den Beweis des Monodromiesatzes auf folgendes Lemma zuriickfiihren:

1st L1 ein abgeschlossenes Dreieck in G und r sein Rand, so flihrt die analytische Fortsetzung langs r stets zum Ausgangselement zuriick.

Beweis. Man halbiere die Seiten des Dreiecks (Abb. 15) und ersetze den Fortsetzungsweg 123 1 durch den aquivalenten Weg 1 2' 3' 2' 2 4' 2' 4' 3' 4' 33' 1. Fiihrt dann der Weg 123 1 nicht zu demselben Element

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8. Das WeierstraBsche Permanenzprinzip der Funktionalgleichungen 149

zurtick, so muB dasselbe fUr einen der vier Dreieckwege 12'3' 1,2' 2 4' 2', 4' 3 3' 4' und 3' 2' 4' 3' gelten. Setzt man dieses Verfahren fort, so erhalt man eine Folge (LIn) (n= 1, 2, ... ) von ineinander geschachtelten Dreiecken LIn mit dem Rand rn und der Eigenschaft, daB die Fortsetzung langs rn nicht zu dem Ausgangselement fiihrt. Man setze ZI = lim LIn und setze

n~oo

das Element (1) bis zu dem Punkt ZI fort. Dann hat P (C - ZI) einen endlichen Radius r1 > 0, und somit liegen in IC - zll < r1 unendlich viele Drei­ecke LIn. Da aber die Fortsetzung in IC - zll < r1 durch Umordnung der Reihe P (C - ZI) bewerkstelligt werden kann, so muB von einem n an die Fortsetzung langs jedes rn zum Ausgangselement fiihren, was gegen die Voraussetzung ist.

Der eben bewiesene Monodromiesatz

,

ist Spezialfall eines wesentlich allgemei- c '--____ ><-___ --l. 3

neren Satzes, der bei einem gegebenen 4' Abb.tS

Gebiet beliebigen Zusammenhangs die A.quivalenzklassen homotoper Wege den Stellen (z, w) einer Riemann­schen FHiche eineindeutig zuordnet. Man kann diesen Satz folgender­maBen formulieren:

1st G von beliebigemZusammenhang und kann (1) uberaU in G analytisch fortgesetzt werden, so fuhren zwei homotope Wege durch Zo stets zu demselben Endelement.

Einen Beweis dieses Satzes findet der Leser in dem schon zitierten Buch von AHLFORS.

Aufgabe. Der Leser m!!ge als Aufgabe das FundamentaUemma der Cauchyschen Funktionentheorie unter Zugrundelegung von Polygonal­linien (nicht n~tr achsenparaUeler Treppenkurven) beweisen.

8. Das Weierstra8sche Permanenzprinzip der Funktionalgleichungen. Es seien (WI I G), (W2 I G) zwei auf einem zuniichst beschriinkten Gebiet definierte eindeutige analytische Funktionen. Wir nehmen an, dafJ sowohl WI (z) als auch w2 (z) in einem Gebiet Go ) G fortsetzbar sind. 1st dann F (Zl> Z2) eine eindeutige komplexe und in E x E stetige1 Funktion von

Zl> Z2 (Zl> Z2 E E) derart, dafJ in jedem Punkt ~F und ~F existieren und gilt uZl uZa

(1) F(w1 (z),W2(z)==0 (zEG),

so gilt diese Gleichung auch dann, wenn man WI (z) und W2 (z) in Gofortsetzt. Das ist die einfachste Form des Permanenzprinzips der Funktional­gleichungen.

1 Man vgl. S.82ff.

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150 V. Erzeugung analytischer Funktionen durch Grenzprozesse

Zum Beweis betrachte man zwei die Elemente (WI I G), (w21 G) fort­setzende Elemente (WI I G1), (W21 G1) (G n G1 =!= 0) und bilde in G U G1 die Funktion

(2)

mit

und

Da nun wegen

(3) g' (z) = a~ (z) --1---- F (0'1' 0'2) + a~ (z) --1---- F (0'1> 0'2)1 uG1 uG.

g (z) eine Ableitung besitzt, so ist diese in G U G1 eindeutig analytisch. Da nun g (z) == 0 (z E G) ist, so muB g (z) in G U G1 identisch verschwin­den. Das beweist die Behauptung. Der Satz gilt auch dann, wenn G nicht beschrankt ist. Auch kann man an Stelle zweier Elemente (WI I G), (W2 I G) eine endliche Anzahl (Wk I G) (k = 1, 2, ... , n) betrachten, sofem man F (Zl' Z2) durch F (z1> ... , zn) ersetzt. Ersetzt man WI (z), w2 (z) durch W (z), W' (z) (z E G), so erhi:ilt man das Permanenzprinzip der (gewohn­lichen) Differentialgleichungen:

Genilgt ein Funktionselement (w I G) der Differentialgleichung

(4) F(w, w') = 0,

so bleibt diese auch dann gilltig, wenn man (w I G) fortsetzt. Das Permanenzprinzip wurde von WEIERSTRASS aufgestellt. Man

vgl. seine Vorlesungen an der Berliner Universitat und die Abhandlung tiber die Theorie der analytischen Fakultaten (Mathematische Werke I, Seite 153).

9. Algebroide und algebraische Funktionen. Es sei Go ein Gebiet der komplexen Ebene. Gentigt dann w = w (z) in Go einer Gleichung von der Form

( 1)

wobei jedes Ak(Z) in Go (das als Existenzgebiet von mindestens einem Ak(Z) angenommen wird) meromorph ist, so hat die (noch als Gesamt­heit von Funktionselementen, die der Gleichung (1) gentigen, zu definie­rende) Funktion w (z) die Eigenschaft, daB ihre Riemannsche Flache nur Verzweigungsstellen von der Ordnung ~ n - 1 aufweisen kann. Sie heiBt allgemein eine algebroide Funktion. Sind samtliche A k (z) rationale Funktionen (wobei dann Go = E wird), so heiBt w(z) eine algebraische

1 Man vgl. S. 82 fl.

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9. Algebroide und algebraische Funktionen 151

Funktion. 1m folgenden wird angenommen, daB die linke Seite von (1) irreduzibel, d. h. nicht in der Form

mit p, q > 0 und meromorphen bzw. rationalen B,,(z) und C,,(z) dar­stellbar ist (Irreduzibilitat von P(w, z) = wn + Al(z)wn- l+. "+An (z)!).

Man betrachte jetzt einen Punkt Zo von G mit den Eigenschaften:

1. Zo ist kein Pol der Funktionen Al (z), ... , An (z). 2. Zo ist keine Nullstelle und kein Pol der Diskriminante Ll (z) von

P(w, z)1. Da die Ausnahmewerte 1. und 2. im algebroiden Fall hochstens

in abzahlbarer Menge vorhanden sind und im algebraischen Fall endlich viele sind, so existiert stets ein Zo mit den Eigenschaften 1. und 2. Lost man nun die Gleichung P (w, zo) = 0 auf, so erhalt man zunachst n voneinander verschiedene Wurzeln w~, w~, ... , w". Der Nachweis nun, daB es eine Kreisscheibe K: Iz - zol < r und n Funktionselemente (Wl I K), ... , (wn I K) gibt derart, daB

P(w,,(z),z) ~O (zEK)

wird mit w,,(zo) = w2(k = 1,2, ... , n), kann folgendermaBen erbracht werden:

Man lege um jeden Punkt w2 eine Kreisscheibe K,,: Iw - w21 ~ 'Y) ('Y) > 0) derart, daB Ki n Kr = 0 (i =F l) gilt. Es bedeute ric die (positiv orientierte) Peripherie Iw - w21 = rl. Dann ist

P(w, zo) =F 0 und somit

(2)

Man betrachte jetzt das Integral

(3) _1_ r ~(w, z) dz 2ni Jrk P(w, z)

(k = 1,2, ... , n) .

in der Umgebung von z = ZOo Da dieses (bei festem z) nur ganzzahlige Werte annehmen kann, so gibt es mit Rlicksicht auf die Stetigkeit von (3) eine Kreisscheibe K: Iz-zol < 'Y)o derart, daB (3) flir alle z EK den Wert eins hat. Das bedeutet, daB die Wurzeln von P (w, z) = 0 in K durch n

I Die Diskriminante L1 (z) von P (w, z) = 0 ist bekanntlich das Eliminations­ergebnis von w zwischen den Gleichungen P (w, z) = 0 und

Pw(w, z) = nwn - I + (n - 1) Al (z) W,,-2 + ... + A"-I (z) = O.

Die Diskriminante kann fUr ein z E G dann und nur dann verschwinden, wenn P (w, z) = 0 fUr das betreffende z eine rnehrfache Wurzel hat.

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152 V. Erzeugung analytischer Funktionen durch Grenzprozesse

eindeutige Funktionen Wk = Wk (Z) gegeben werden, deren Regularitat aus der Darstellung

(4) () 1 fr Pw(w,z) d wk z =-2' W P( ) W nt rk W, Z

gesehlossen werden kann. DaB nun noeh wdzo) = wZ und daB P(w, z) in K dann und nur dann versehwindet, wenn w gleich einem wk (z) ist, ist trivial und bedarf keiner weiteren Erlauterung.

Setzt man die Funktionen Wi(Z) (die n Zweige von w im Kleinen) im Gebiet Go \ C fort, wobei C die vorhin definierte Ausnahmemenge bedeutet, so erhalt man eine und dieselbe Gesamtheit W von Elementen mit der Eigensehaft, daB stets die tiber einem Punkt von Go \ C liegenden n Zweige (im Kleinen) der Gleiehung (1) gentigen (Permanenzprinzip der Funktionalgleiehungen!). Ist a ein Punkt von C, so wird das Verhal­ten der Zweige Wi (z) im allgemeinen dureh eine Entwieklung von der Form

(5)

bzw.

(6) (p > 0 ganz) -p

eharakterisiert. Sind die Ak (z) rationale Funktionen und somit W algebraiseh, so kann aueh das Verhalten von w (z) in der Umgebung von z = 00 leieht bestimmt werden. Man findet dann, daB (bei geeignetem h, h ganz ~ 1) die Funk­tion w (Zh) dort hoehstens einen Pol hat. Man zeigt insbesondere, daB jede algebroide Funktion, deren Bestimmungsfunktionen A" (z) in der offen en komplexen Ebene meromorph sind, entweder regulare Elemente oder Elemente von der Form (5) bzw. (6) (algebraisehe regulare Stellen bzw. algebraisehe Pole) aufweist. Eine algebraisehe Funktion [deren Bestimmungsfunktionen Ak(Z) in Ii definiert sind] weist endlieh viele kritisehe Stellen auf. Diese sind stets algebraiseher Natur. Mit Hilfe ein­faeher Uberlegungen kann man noeh beweisen:

Es sei W eine endlich vieldeutige Funktion, welche in der vollen Ebene Ii nur Pole und Verzweigungspunkte hat. Dann geniigt Weiner Gleichung von der Form (1) mit rationalen Ak(z). Hat W diese Eigenschaft nur im Endlichen, so geniigt sie einer Gleichung von der Form (1) mit meromorphen Ak (z) und ist mithin eine (in E) algebroide Funktion.

Algebraisehe Funktionen werden im Hinbliek auf die entspreehende Theorie im Reellen aueh algebraisehe Kurven genannt. Naehdem RIE­MANN in seinen bahnbreehenden Arbeiten die Theorie auf geometrisehe Zusammenhange (endliehblattrige Riemannsehe Flaehen) zurtiekgeftihrt hatte, entwiekelte sieh das Gebiet der algebraisehen Funktionen zu einer groBen Theorie, die tief in algebraisehe Zusammenhange ftihrt.

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11. OSTROWSKIs Vertiefung des Hadamardschen Liickensatzes 153

10. POLYAs Vermutung iiber Potenzreihen mit Fabry-Liicken. 1st 00

(1) w(z) = E akzAk

o

eine inE konvergente Potenzreihe mit Fabry-Lucken (~k ~OO!) und ist

M(r) = Max Iw(z)1 und Izl =1'

# (1') = Min Iw (z)1 , IZI=1'

so hat P6LYA [Mathemat. Z. 29, 549-640ff. (1929)] vermutet: Gilt

so ist

(2)

lim log log M (1') < + r ...... oo log l'

lim log p(r) r ...... 00 log M (1')

1.

00,

Einen wichtigen Schritt zum Beweis dieser (noch unbewiesenen) Ver­mutung tat TURAN (IDe. cit. S.83). Er hat bewiesen: 1st eifJ, ein beliebiger Punkt von Izl = 1 und wird fur oc. < n

und M (r, {}o' oc.) = Max {Iw (z)lllzl = 1', I{) - {}ol < oc.},

#(1', oc.) = Min {M(r, {}, oc.) 10;:;:; {} ;:;:; 2n} gesetzt, so ist

(3) lim logp(r,a) = 1. r ...... 00 log M (1')

11. OSTROWSKIs Vertiefung des Hadamardschen Liickensatzes. Die Luckenreihe

(1)

habe den Konvergenzradius eins. Gilt dann

(2) und ist (3) und (4)

so konvergiert die Reihe (5) Po(z) + P1 (z) + ...

({) > 1, k = 1, 2, ... )

(k = 1,2, .•. ) ,

in del' Umgebung einer .ieden reguliiren Stelle aut Izl = 1 del' in Izi < 1 reguliiren Funktion (5) gleichmiifJig.

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154 V. Erzeugung analytischer Funktionen durch Grenzprozesse

Das ist der Inhalt eines Satzes, den A. OSTROWSKI im Jahre 1926 [On representation of analytical functions by power series, J ourn. Lond. Math. Soc. 1, 251-263] publiziert hat.

Eine Potenzreihe, welche eine spezielle Folge von Partialsummen besitzt, die auBerhalb ihres Konvergenzkreises konvergieren, heiBt uber­konvergent. Beispiele von uberkonvergenten Reihen hat vor OSTROWSKI R. JENTZSCH [Acta Mathemat. 41, 219-251 (1917)] gegeben. OSTROWSKI (loc. cit.) hat das Beispiel der Reihe

(6)

welche der Abschnittswahl

Pk(z) = PHI {z(l- Z)}4k+l (k = 0,1, ... )

entspricht, gegeben. Wegen der Invarianz von (6) bei der Substitution z --+ 1-zkonvergiert diesenicht nurin Izl < 1, sondern auchin 11-zl < 1.

Gilt anstelle (2) die Hadamardsche Luckenbedingung

lim 1V+1 > 1 v~.A" ,

so folgt aus dem Ostrowskischen Satz, daB (1) nicht fortsetzbar sein kann (denn sonst ware sie gleichmaBig konvergent in einer vollen Umgebung eines Punktes von Izl = 1 und somit auch absolut auBerhalb Izl = 1).

Eine vollstandige Orientierung fUr den hier angeschnittenen Fragen­komplex gibt der Ergebnisbericht von BIEBERBACH (Analytische Fort­setzung, Springer-Verlag 1955).

12. MORDELLS Beweis des Hadamardschen Liickensatzes. MORDELL hat [On power series with the circle of convergence as a line of essential singularities, Journ. Lond. Math. Soc. 2, 146--148 (1927)] folgenden kurzen und eleganten Beweis des Hadamardschen Luckensatzes gegeben: Es sei

(1)

mit

(2)

in Izi < 1 konvergent. Man setze

und wahle p so, daB

(p ganz, ~ 1)

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13. Ein Satz von FATOU und POLYA

gilt. Setzt man dann

und

1 (p+l)An

-- a i;PAn (1 + i;)An = ~ A i;k ?An n .:.,.; n k - k=p~

C" = {An" fUrPAn ~ k ~ (P + 1) An o sonst,

so wird mit Rticksicht auf die Ungleichung

00

(3) w(z) = WI (i;) =}; C" i;". o

155

Wir zeigen jetzt: Die Reihe (3) hat den Konvergenzradius eins. Man bilde in der Tat IC"I fUr ein k, PAn :£ k :£ (P + 1) An' Dann ist

IC"I = 2~-;; lanl (k~;AJ,

und somit muJ3 die Reihe}; C"i;'c wegen o

1) An 00

}; IC"I ~k:£}; la,,1 x"(x = ~p(I + ~)/2, 0:£ X, ~ < 1) o 0

und n 00

}; lakl X" :£ }; IC"I ~k (n = 1, 2,3, ... ) o 0

genau den Konvergenzradius R = 1 haben.

Nun ist fUr i; =t= 1, Ii;I = 1

Izi = ~ 11 + i;1 < 1

und mithin WI (i;) in der Umgebung jedes Punktes von Ii;I = 1 (i; =t= 1) regular. Ware W (z) tiber den Punkt z = 1 fortsetzbar, so ware WI (i;) in der Umgebung jedes Punktes i;, Ii;I = 1 regular und hatte somit einen Konvergenzradius R > 1.

Da man jeden Punkt i;o von Ii;I = 1 durch die Substitution i; = i;oC' in den Punkt i; = 1 bringen kann, so liefert die Mordellsche Uberlegung einen Beweis des Hadamardschen Ltickensatzes.

13. Rin Satz von FATOD und POLYA. In seiner bertihmten Abhand­lung: Series trigonometriques et series de Taylor [Acta Mathemat. 30, 335-400 (1906)J hat P. FATOU die Richtigkeit des Satzes vermutet:

Hat die Potenzreihe

(1)

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156 V. Erzeugung analytischer Funktionen durch Grenzprozesse

den Konvergenzradius eins und bildet man die Gesamtheit Faller Potenz­reihen

(2)

wobei die OCk nur die Werte + 1 und - 1 haben durjen, so ist mindestens ein Element vonF (uber Izl = 1 hinaus) nichtjortsetzbar. Mit anderen Worlen: Man kann durch geeignete Anderung des Vorzeichens der OCk erreichen, dafJ die so entstandene neue Reihe nicht jortsetzbar ist.

Diese Vermutung von FATOU wurde zuerst von P6LYA [Acta Mathe­mat. 40, 179-181 (1916)] bewiesen. Nachfolgender Beweis geht auf HURWITZ [Acta Mathemat. 40, 181-183 (1916)] zuriick.

Man betrachte die Reihe

(3)

mit ank =l= 0 (k = 1, 2, ... ) ,

(4)

und

(5)

Dann ist

00

Ii nk m--oo k-..oo k - •

(6) P(z) = Po(z) + Q(z) .

]etzt spalte man Q(z) in abzahlbar viele Fabry-Potenzreihen PI (z), P 2 (z), ... , indem man aus den ank nacheinander Fabrysche Teilfolgen herausnimmt (wobei jedes ank in nur einer P,.(z) vorkommt) und setze

Wir betrachten die Teilklasse F' von F mit den Elementen

(7)

(wobei wieder die OCk nur die Werle + 1 und - 1 haben diirfen) und beachten, daB F' nicht abzahlbar ist. (Denn die Gesamtheit alier Folgen, die man mit Hilfe der Zahlen + 1 und - 1 bilden kann, ist nicht ab­zahlbar.)

1st nun jede der (nicht abzahlbar vielen) Funktionen fortsetzbar, so muB es auf Izl = 1 nicht abzahlbar viele, punktfremde, offene Intervalle (Regularitatsintervalle der Elemente von F') geben. Denn sonst miiBte es zwei Elemente, etwa

und (oci = ± 1)

(oci' = ± 1)

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14. Die Umkehrung einer Potenzreihe 157

mit der Eigenschaft geben, daB die durch diese Reihen dargestellten Funktionen in der Umgebung eines Punktes Zo von Izl = 1 sich regular verhalten. Daraus wiirde aber folgen, daB auch

den Punkt Zo als Regularitatspunkt besitzt, was wegen (5) unmoglich ist. Andererseits ist jede Menge {j} von offenen Intervallen von Izl = 1 hochstens abzahlbar, da es ja hochstens endlich viele I mit einer Lange

III ~ ~; (n = 1,2, ... ) geben kann. Das beweist den Satz von FATOU.

14. Die Umkehrung einer Potenzreihe. Es sei

(1)

eme In Izl ~ R (0 < R < + (0) holomorphe Funktion. Dann gibt es eine Reihe (2)

die in einer Kreisscheibe Iwl < R1 < + 00 konvergiert und dort der Glei­chung w(z(w)) = w genugt.

Man setze in der Tat

(3) M = Max {lw(z)lllzl = R}

d h I I I I lall R2 . un ne me Z1 =l= Z2' Z1 ' Z2 ~ 4M. Dann WIrd wegen

(5)

Aus (5) folgt zunachst, daB w (z) in zwei verschiedenen Punkten der Kreis­scheibe

(6)

verschiedene Werte annimmt. Nun ist wegen lakl ~ ~

la I (laIIR")k <;, M ( lallR)k k 4M - 4M (k = 1,2, ... ) ,

und somit auf Izl = r1

Iw (z) I :2: JaIl" R" _ M f (" lall R_)k:2: lall" R" = R' <;, R - 4M 2 4M - 6M 1- 1·

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158 V. Erzeugung analytischer Funktionen durch Grenzprozesse

Man betrachte jetzt den Ausdruck

1 f w'(z) n(w) = 2ni w(z) _ w dz

Izl=I',

mit iwl < R I . Dann ist n(w) dort konstant und somit (mit Rucksicht auf die Gleichung n (0) = 1) gleich eins. Danach gibt es zu jedem Punkt w aus der Kreisscheibe Kw: Iwl < RI genau einen Punkt z der Kreisscheibe Kz : Izl < r l mit der Eigenschaft w (z) = w. Mit Rucksicht darauf, daB dann

1 f w'(z) z(w) =-2-' z () dz nt w Z - w Izl =r,

ist, muB z (w) in Iwl < R~ eindeutig regular sein und die Reihe (2) kon­vergent.

Den genauen Wert RI des Holomorphieradius der inversen Reihe (2) hat LANDAU [Der Picard-Schottkysche Satz und die Blochsche Konstante, Sitzungsber. PreufJ. Akad. Wissensch. 32, 467-474 (1926)J gegeben. Er hat den Satz bewiesen:

Satz. 1st w (z) (w (0) = 0, w' (0) =f= 0) in Izl ~ R < + 00 holomorph und gilt auf Izl = R, Iw (z) I ~ M, so ist z = z (w) in der Kreisscheibe

(7) Iwl < RI = M (MI - VM~:'=-lt mit MI = M/lw' (0)1 R holomorphi . Die Grenze ist genau und wird von jeder Funktion

I-Mz ( 1) w (z) = M z M _ z z - M - M Z2 + ... mit M > 1 erreicht.

Zum Beweis dieses (Landauschen) Satzes setze man (fur w(z) =1= aIz!)

() Ml w1(z)-z (() W(RZ)) g z = -z-· M~ Z _ WI (z) WI Z = w' (0) R

und beachte, daB diese Funktion in Izl ~ 1 der Ungleichung Ig (z) I ~ 1 genugt. Wegen

(WI (z) - z) (MI + g (z) z) = Z2 g (z) (Mt - 1) , also r'

Max Iwdz)-zl ~ (Mi-l) M -r Izl = r 1

(0 ~ r ~ 1)

hat nun WI (z) - a (mit Rucksicht auf den Satz von ROUCHE) fUr jedes a mit

lal < Max {r - (Mi-l) M r~ } = MI (MI- VMi -':'1)2 0;:;;.;:;;1 I r

I Wegen _1_ r2n W (ReiD) w(ReID) d{} = £ lak(2 R2k 2n Jo 0

ist lal[R ~ M und somit, sofern w(z) =1= aiz ist, M I > 1.

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VI. Die Eulersche Gammafunktion und die Riemannsche Zetafunktion 159

genau eine Wurzel, die in

Izl < ro= Ml - VMr.:..-. 1

liegt. DaB diese Grenze die beste Schranke liefert, zeigt die Landausche

Funktion Mlz ~ M1z (Izl < 1, Ml > 1), deren Ableitung fUr z = ro l-Z

verschwindet. Betrachtet man die Familie Faller in Izl ~ 1 holomorphen Funk­

tionen (8) w (z) = z + a2 z2 + ...

mit Max Iw (z) I ~ M, so kann man zeigen, daB es eine Schranke e (M) JzJ =1

(0 < e (M) ~ 1) mit der Eigenschaft gibt, daB jedes w E F in Izl < e (M) schlicht ist, d. h. dort in verschiedenen Punkten verschiedene Werte annimmt. Der (genaue) Wert von e (M) wird durch die Gleichung

e(M) = M - VM2- f

gegeben. Einen Beweis dieses auf V ALIRON und LANDAU zuruckgehenden Ergebnisses findet der Leser in dem Buch von MONTEL: Lec;:ons sur les fonctions univalentes ou multivalentes, Paris, Gauthier-Villars, 1933, S.92ff.

Sechstes Kapitel

Die Eulersche Gammafunktion und die Riemannnsche Zetafunktion

45. Konvexe bzw. logarithmisch konvexe Funktionen. 1st f(x) in einem Intervall

(45.1) I:a ~ x ~ b

reell eindeutig und genugt sie fUr jedes Punktetripel Xl> x 2, x (a ~ Xl < < X < x2 ~ b) der Ungleichung

(45.2)

so heiBt sie konvex in ]. Aus der Definition (45.2) einer konvexen Funktion folgt: 1. Sindfl (X),J2(X) zwei konvexe Funktionen in I, so istfdx) + f2(X)

ebenfalls konvex in ]. Entsprechendes gilt fUr die Summe von endlich vielen konvexen Funktionen.

2. Konvergiert die Reihe

(45.3) fl (x) + f2 (x) + .. . der in I konvexen Funktionen fl (X),J2 (x), ... gegen eine Funktionf(x), so ist diese konvex.