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Vorlesungsskript Analysis I Prof. Bernd Ammann Wintersemester 2018/19 Universit¨ at Regensburg Datum der aktuellen Version: 15. Februar 2019 ¨ Offentliche Version

Vorlesungsskript Analysis I€¦ · Literatur f ur das bisherige Kapitel 32 Kapitel 2. Zahlen 33 1. Die nat urlichen Zahlen 33 2. Etwas Kombinatorik 39 3. Die ganzen Zahlen 45 4

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Vorlesungsskript Analysis I

Prof. Bernd Ammann

Wintersemester 2018/19

Universitat Regensburg

Datum der aktuellen Version: 15. Februar 2019

Offentliche Version

Inhaltsverzeichnis

Vorwort vLogischer Aufbau des ersten Kapitels viiWarnungen vii

Kapitel 1. Elementare Logik und Grundlagen der Mathematik 11. Die Struktur des mathematischen Denkens 12. Aussagenlogik 53. Mengen 114. Quantoren 155. Potenzmenge und Mengensysteme 186. Paare und kartesische Produkte 197. Relationen, funktionale Relationen, Abbildungen 228. Familien 30Literatur fur das bisherige Kapitel 32

Kapitel 2. Zahlen 331. Die naturlichen Zahlen 332. Etwas Kombinatorik 393. Die ganzen Zahlen 454. Die rationalen Zahlen 475. Geordnete Korper 486. Die reellen Zahlen 536.1. Unzulanglichkeit von Q 536.2. Die Supremumseigenschaft 546.3. Axiome der reellen Zahlen 566.4. Dedekindsche Schnitte 587. Die komplexen Zahlen 69

Kapitel 3. Folgen und Reihen 751. Folgen 751.1. Konvergenz von Folgen 751.2. Monotone Folgen 801.3. Teilfolgen 81

i

ii INHALTSVERZEICHNIS

1.4. Erweiterte reelle Zahlen und uneigentliche Konvergenz 821.5. Limes inferior und superior 841.6. Cauchy-Folgen 872. Reihen 892.1. Motivation von Reihen: Dezimal-Darstellung reeller Zahlen 892.2. Definition und elementare Eigenschaften 912.3. Konvergenzkriterien 932.4. Absolute Konvergenz 982.5. Alternierende Reihen 992.6. Umordnung von Reihen 1013. Einige durch Reihen definierte Funktionen 1063.1. Exponentialfunktion 1063.2. Sinus- und Kosinus-Funktion 1093.3. Eulersche Zahl 1113.4. Exponentialfunktion (Fortsetzung) 112

Kapitel 4. Stetigkeit und Grenzwerte von Funktionen 1151. Stetigkeit 1152. Zwischenwertsatz 1183. Stetigkeit von exp, cos und sin und Definition von log 1204. Die Kreizahl π und Periodizitat von cos und sin. 1235. Metrische Raume und Grundbegriffe der Topologie 1246. Grenzwerte von Funktionen 130

Kapitel 5. Differential-Rechnung fur Funktionen einer Veranderlichen 1331. Definition und elementare Eigenschaften 1332. Lokale Extrema 1383. Mittelwertsatze 1384. Hohere Ableitungen und Taylorscher Satz 140

Kapitel 6. Integral-Rechnung fur Funktionen einer Veranderlichen 1451. Partitionen und Treppenfunktionen 1452. Das Riemann-Integral 1463. Monotone Funktionen sind Riemann-integrierbar 1524. Stetige Funktionen sind Riemann-integrierbar 1535. Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung 1546. Uneigentliche Riemann-Integrale 159

Anhang A. Mehr Details zu den Grundlagen der Logik 1631. Das Russellsche Paradoxon 1632. Axiomatische Mengenlehre 164

Anhang B. Die Peano-Axiome 167

INHALTSVERZEICHNIS iii

1. Die Axiome und erste Konsequenzen 1672. Vollstandige Induktion und rekursive Definition 1703. Ordnung der naturlichen Zahlen 173

Anhang C. Konstruktion von R mit Hilfe von Cauchy-Folgen 1771. Mehr zu Aquivalenzrelationen 1772. Folgen, Konvergenz und Cauchy-Folgen 1793. Existenz und Eindeutigkeit der reellen Zahlen 186

Anhang Z. Uberblick uber algebraische Strukturen 191

Anhang. Literaturverzeichnis 193

Anhang. Stichworte 195

Anhang. Symbole 199

VORWORT v

Vorwort

Dies ist das Skript zu der Vorlesung”Analysis I“, die ich im Wintersemester 2018/19 an der

Universitat Regensburg halte. Das Skript sollte ungefahr das enthalten, was an der Tafel stand,und zusatzlich einige dazu gegebene Erklarungen widerspiegeln. Anhange erganzen die Themen,soe wurden nicht in der Vorlesung behandelt. Einige Beispiele und Erweiterungen, die aus Zeit-grunden nicht in der Vorlesung behandelt wurden, sind so gedruckt, und sind naturlich gut fur dieNachbereitung beziehungsweise Vertiefung geeignet. Falls Sie einen Tippfehler finden oder sonstigeVerbesserungsvorschlage haben, so senden Sie bitte eine Email an mich. Leider enthalt das Skriptbisher nur wenige Bilder und Zeichnungen.

Die aktuelle Version ist unter dem Link

http://www.mathematik.ur.de/ammann/lehre/2018w_analysis1/analysis.pdf

verfugbar.

Die Homepage der Vorlesung ist

http://www.mathematik.ur.de/ammann/lehre/2018w_analysis1.

Regensburg, Dezember 2018,

Bernd Ammann

WARNUNGEN vii

Logischer Aufbau des ersten Kapitels

Die Abschnitte des ersten Kapitels sind — aus Sichtweise des logischen Aufbaus — nicht optimalangeordnet. Unter anderem werden Begriffe wie Mengen, Funktionen, kartesische Produkte undahnliches teilweise benutzt, bevor sie eingefuhrt werden. Dies erscheint vertretbar, da ich davonausgehe, dass jede(r) Horer(in) bereits eine gewisse Vorstellung von manchen der Begriffen hat,und wenn nicht, dann wird es sich in einem zweiten Durchgang klaren, was gemeint ist. Die inder Vorlesung und im Skript gewahlte Reihenfolge hat den Vorteil, dass man bereits fruh in denUbungen auf die wichtigen Punkte eingehen kann, wie zum Beispiel die Themen Aussagenlogikund Quantoren.

Ich empfehle, mit einem gewissen zeitlichen Abstand dieses Kapitel noch einmal durchzuschauen,dann wird wahrscheinlich manches bisher unklare sich klaren.

Warnungen

Legen Sie das Skript nicht in eine Ecke mit dem ruhigen Gewissen, es ja spater lesen und durch-arbeiten zu konnen. Beginnen Sie sobald wie moglich, die Lucken zu schließen. Schwierige Beweisedurchschauen Sie am besten, wenn Sie sich uberlegen, was der Beweis in konkreten Beispielenmacht.

Bilder, Skizzen und Abschnitte die mit USW angedeutet werden, in der Vorlesung behandelt wur-den, aber aus Zeitgrunden noch nicht getext wurden, sind selbstverstandlich auch relevant furmundliche und schriftliche Prufungen.

KAPITEL 1

Elementare Logik und Grundlagen der Mathematik

1. Die Struktur des mathematischen Denkens17.10.

Die naturlichen Zahlen werden seit Jahrtausenden intuitiv benutzt und untersucht. Sie sind unsvertraut, ohne dass wir aber zunachst wissen, was sie charakterisiert. So ahnlich war es mit vielenmathematischen Konzepten, zum Beispiel dem mathematischen Konzept der unendlichen Summe.Man nutzte viele Konzepte lange in einer vagen Bedeutung, ohne sich zu uberlegen, wie man siedefiniert. Alle Personen stimmen wohl uberein, dass der Wert der unendlichen Summe

1 +1

2+

1

4+

1

8+ · · ·

die Zahl 2 sein sollte. Und derartige unendliche Summen sind oft wichtig, zum Beispiel in derZinseszinsrechnung, bei physikalischen Problemen und vielem mehr. Deswegen wurden Sie bereitsim Mittelalter diskutiert. Leider fuhrte eine genauere Betrachtung zu wachsenden Problemen. Esgab unter anderem viele Diskussionen, was denn der Wert der unendlichen Summe

1 + (−1) + 1 + (−1) + . . .

sei, manche Gelehrte vertraten die Ansicht es sei 0: mit der Begundung

(1 + (−1)) + (1 + (−1)) + (1 + (−1)) + . . . = 0 + 0 + 0 + . . . = 0.

Dies erscheint uberzeugend. Mit derselben Logik kann man aber auch begrunden, dass man denWert 1 erhalt:

1 + ((−1) + 1) + ((−1) + 1) + . . . = 1 + 0 + 0 + . . . = 1.

Derartige Probleme motivierten die Mathematiker, die Mathematik auf solide Grundlagen zu stel-len. Diese Bewegungen, die man Axiomatik nennen kann, begann im Bereich der Geometrie bereitsmit Euklid von Alexandria (ca. 300 v. Chr.) und Aristoteles (384–322 v. Chr.). Wichtige Fort-schritte in der Axiomatik der Geometrie und insgesamt der Axiomatik wurden im 19. Jahrhundertvollbracht.

Das Ziel der Axiomatik ist es, die gesamte Mathematik aus wenigen Grundaussagen, sogenanntenAxiomen, herzuleiten.

Nehmen wir mal an, ich uberlege mir, ob ich uberhaupt existiere oder nicht. Mein Leben undmeine Person konnte ja auch nur das Ergebnis einer Simulation eines gigantischen Großrechnerssein. Was konnte ich tun, um diese Frage zu losen? Ich kann mir selbst wehtun, ich empfinde

1

2 1. ELEMENTARE LOGIK UND GRUNDLAGEN DER MATHEMATIK

Schmerz, also sollte ich existieren! Falsch, das konnte Teil der gigantischen Simulation sein. Ichkonnte einen Studenten in der hinteren Reihe fragen, ob ich existiere, er sagt ja. Ist dadurchmeine Existenz bewiesen? Nein, denn er konnte Teil derselben Simulation sein. Sie sehen, ich kannmeine eigene Existenz nicht zeigen, ohne andere Grundannahmen zu machen. Dennoch ist es sehrsinnvoll anzunehmen, dass ich existiere. Solche Probleme beschaftigen die Philosophen schon seitJahrhunderten oder besser Jahrtausenden.

Genauso wie aber unser elementares Denken Grundannahmen braucht, benotigt auch die Mathe-matik bestimmte Grundannahmen, und diese Grundannahmen nennt man Axiome. Im Prinzipsollte in der heutigen Mathematik alles auf den Axiomen der Mengenlehre aufbauen. Daraus kon-struiert man sich dann alle Objekte des mathematischen Denkens: Zahlen, Vektorraume, Matrizen,und vieles mehr. Oft versieht man Teilgebiete mit eigenen Axiomen, wie zum Beispiel die Axiomeder klassischen Geometrie.

Axiome sind nicht mehr weiter beweisbar, sie werden einfach als gegeben hingenommen, als Grund-annahmen unseres Denkens. Die Axiome erscheinen sinnvoll, entweder weil man sie als evident, alsooffensichtlich ansieht, oder weil man sie als Kennzeichen der Theorie ansieht. Aus diesen Axiomenwerden dann Schlussfolgerungen gezogen, die ebenfalls durch weitere Axiome geregelt sind. Durcherlaubte Kombinationen von bereits bekannten wahren Aussagen erhalt man neue wahre Aussagen.Eine Sammlung von so aufeinander aufbauenden wahren Aussagen, nennt man Beweis. Falls eineso erhaltene Aussage interessant erscheint, nennt man sie Theorem, Lemma, Korollar, Proposition,Satz, Hilfssatz, Folgerung oder ahnlich. Hierbei ist im allgemeinen ein Satz oder ein Theorem einewichtige Aussage, ein Lemma oder ein Hilfssatz eine Aussage, die nur als Zwischenschritt dient,und eine Proposition hat eine Mittelstellung. Erhalt man eine Aussage nahezu unmittelbar auseinem Theorem oder Satz, so nennt man dies eine Folgerung oder ein Korollar.

Damit die Aussagen nicht immer langer und langer werden, macht man Definitionen. Hierbei gibtman mathematischen Objekten oder mathematischen Sachverhalten einen Namen.

Die Mathematiker sind im Prinzip recht frei in der Wahl ihrer Definitionen. So konnte man diefolgende Definition machen: Ein Auto ist eine Menge, in der die Elemente 1, 2 und 3 enthalten sind.Ein Hund ist eine Menge, in der die Elemente 1 und 2 enthalten sind. Man schließt daraus, dassjedes Auto einen Hund enthalt. Diese Definitionen sind naturlich sehr irrefuhrend, aber prinzipiellerlaubt. Wir Mathematiker bemuhen uns die Dinge so zu benennen, dass sie moglichst etwas mitder

”wirklichen Welt“ zu tun haben. Um Koordinaten auf einer Kugel anzugeben, definiert man

den Begriff einer”Karte“, und ein

”Atlas“ ist dann definiert als Menge von Karten, so dass alles

uberdeckt wird. Diese Begriffe sind dann zwar nicht genau das, was man damit umgangssprachlichmeint, aber auch nicht vollig ohne Zusammenhang. Die mathematischen Begriffe

”Halm“ oder

”Garbe“ der Mathematik haben aber keinerlei Anwendungen in der Landwirtschaft. Die

”Knoten“

der Mathematik sind aber wiederum nahe an dem, was man alltagssprachlich als Knoten bezeichnet.

Um den Unterschied zwischen Definitionen und Aussagen klar zu unterscheiden, nutzen wir diefolgende Notation: a = 1, 234 ist die Aussage

”a ist gleich 1, 234“. Hingegen ist a := 1, 234 eine

Definition, a ist ab sofort eine kurze Schreibweise fur 1, 234.

1. DIE STRUKTUR DES MATHEMATISCHEN DENKENS 3

Viele Definitionen werden von allen Mathematikern gleich gemacht, es herrscht Konsens. Man istsich aber nicht einig, ob die Definition der naturlichen Zahlen die Null einschließen soll oder nicht.Fur unsere Vorlesung gilt: die naturlichen Zahlen sind

N = {0, 1, 2, . . .}.Die Menge N>0 := {1, 2, 3, . . .} bezeichnen wir als naturliche Zahlen ohne Null. Dies ist eine derublichen Definitionen. Viele Mathematiker definieren hingegen die Menge der naturlichen Zahlenals {1, 2 . . .}. Dass verschiedene Mathematiker die Definition verschieden wahlen, ist nicht weiterschlimm. Ob Null eine naturliche Zahl ist oder nicht, ist eben Definitionssache. Man schaut sichdie Definition des Autors an und weiß, was er meint.

In zentralistischen Landern wie Frankreich ist klar geregelt: Null ist eine naturliche Zahl. InDeutschland besagt DIN 5473 ebenfalls, dass Null eine naturliche Zahl ist. Lehrer in der Schu-le sollten sich an diese DIN-Norm halten. Außer man wohnt in Bayern. An bayerischen Schulen istNull keine naturliche Zahl, und daran sollte man sich als Lehrer auch halten, um die Schuler nichtzu verwirren.

Da die meisten Horer dieser Vorlesung ja gleichzeitig Lineare Algebra bei Denis-Charles Cisinskihoren, und er Franzose ist, ist bei uns Null eine naturliche Zahl. Die zukunftigen bayerischen Lehrermogen dies bitte verzeihen und freuen sich vielleicht uber diese

”Zusatzqualifikation“ fur andere

Bundeslander.

Anders ist es bei der Zahl π. Dass der Wert dieser Zahl zwischen 3,1415 und 3,1416 liegt ist eineAussage und keine Definition. Deswegen ist es lacherlich, dass der US-Bundesstaat Indiana 1897den Wert von π auf 3, 2 gesetzlich festlegen wollte, um Berechnungen zu vereinfachen und um esden Schulern einfacher zu machen.

Wenn wir nun aber hier in der Vorlesung alles rigoros mit der eigentlich notwendigen mathe-matischen Strenge einfuhren wurden, so mussten wir dem Aufbau der Mathematik folgen. DieGrundlagen hierbei bilden die Axiome der Logik und der Mengenlehre. Aus ihnen werden vieleAussagen gezeigt, und man kann dann irgendwann die naturlichen Zahlen, die ganzen Zahlen, dierationalen Zahlen und die reellen Zahlen einfuhren1 und deren Eigenschaften studieren. Die reellenZahlen erfullen auch wieder einige wichtige Aussagen, die wir vorlaufig die Grundeigenschaften derreellen Zahlen nennen wollen. Aus diesen Grundeigenschaften der reellen Zahlen kann man nunalle wichtigen Aussagen der Analysis herleiten. Nahezu alles, was wir zusammen in den nachstenSemestern behandeln werden, ergibt sich aus diesen Grundeigenschaften.

Nun gibt es aber ganz verschiedene Moglichkeiten, die reellen Zahlen zu definieren: in der Schulehabe ich die Moglichkeit mit Intervall-Schachtelung kennengelernt, in der Vorlesung hier wollenwir Dedekindsche Schnitte behandeln, vor 5 Jahren in meiner Analysis I habe ich sie mit Hilfevon Cauchy-Folgen definiert. Jeder Zugang hat seine Vorteile und Nachteile in Bezug auf Anschau-lichkeit und Verallgemeinerbarkeit. Wichtig ist hierbei: egal, wie man es macht, es ergeben sichimmer die selben Grundeigenschaften. Deswegen ist es sinnvoll, die Grundeigenschaften der reellen

1mathematisch genauer gesagt: definieren

4 1. ELEMENTARE LOGIK UND GRUNDLAGEN DER MATHEMATIK

Zahlen als die Axiome der reellen Zahlen zu bezeichnen und dann alles aus diesen Axiomen derreellen Zahlen herzuleiten. Genauso haben auch die naturliche Zahlen ihre Axiome, die sogenann-ten Peano-Axiome2. Alle von Ihnen, die gleichzeitig die Lineare Algebra I besuchen, lernen dortdie Axiome eines Vektorraums kennen und leiten daraus dann alle Eigenschaften ab, die Sie uberVektorraume wissen sollten.3

In der Vorlesung konnen wir nun aber leider nicht alles streng axiomatisch einfuhren, da dies vielzu lange dauern wurde und die meisten von Ihnen auch nicht die notige Geduld dafur aufbringenwurden — vielleicht nicht einmal ich. Wir mussen also zu Anfang einen Kompromiss zwischen dernotigen Strenge und der angemessenen Kurze finden.

Der Plan ist deswegen, zunachst Begriffe wie Mengen, Abbildungen, logische Operationen und vieleahnliche Begriffe nur intuitiv einzufuhren, also ohne die richtige mathematische Strenge.

Im Anhang A im Skript gebe ich einen kleinen Einblick, wie man die Mengenlehre mathematischstringenter einfuhren kann. Die zugehorigen Abschnitte A.1 und A.2 werde ich in der Vorlesungnicht behandeln, aber ich empfehle ihn allen interessierten Studierenden zur Lekture. Wenn Sie dieMengenlehre noch besser axiomatisch verstehen wollen, so ist es am besten, wenn Sie begleitendsich etwas selbst durcharbeiten, z.B. das Buch [17], aber auch da werden letztendlich Fragenzuruckbleiben. Wenn Sie die Mengenlehre

”richtig“ verstehen wollen, sollten Sie spater mit einer

gewissen mathematischen Reife, also in zwei oder drei Semester, die Logik nochmals systematischstudieren, z.B. an Hand der Bucher [13] oder [20].

Nachdem das einfuhrende Kapitel beendet ist, wenden wir uns den Zahlen zu. Wir beschreibengrundlegende Eigenschaften der naturlichen, ganzen, rationalen, reellen und komplexen Zahlen.Auch da werden wir in Teilen nicht streng mathematisch vorgehen. Ich gehe zum Beispiel davon aus,dass Sie intuitiv wissen, was die naturlichen, ganzen und rationalen Zahlen sind. Eigentlich warees aber auch wichtig, zum Beispiel die naturlichen Zahlen axiomatisch durch die Peano-Axiome(Anhang B) zu beschreiben. Es ist namlich zunachst nicht so recht klar, was denn die Punkte in derDefinition N = {0, 1, 2, . . .} bedeuten soll. Dies soll in der Linearen Algebra I genauer behandeltwerden.

Wir werden dann zu den reellen Zahlen kommen. Da diese fur die Analysis ganz zentral sind,werden wir die Axiome diskutieren und von da an alles grundlich auf den Axiomen der reellenZahlen aufbauen: Folgen, Reihen, Differentiation, Integration und vieles mehr.

Wichtig ist auch, dass Sie sich bewusst werden, was Sie in den nachsten Wochen alles lernen sollten.Den mathematischen Inhalt der Vorlesung sollten Sie durchdringen, damit umgehen lernen unddanach nie wieder vergessen. Viel wichtiger aber noch ist, dass die meisten von Ihnen Ihre gewohnteArbeitsweise umstellen mussen. Es geht dabei beim weitem nicht nur darum, dass Sie von nun an

2siehe Anhang B3Das Wort

”Sie“ ist bewusst groß geschrieben, da ich der Meinung bin, dass alle hier im Publikum dies beherr-

schen sollten.

2. AUSSAGENLOGIK 5

in vieler Hinsicht fur Ihr Lernen und Ihre Lernmethoden selbst verantwortlich sind, sondern vorallem darum, dass Sie das oben diskutierte rigorose Argumentieren lernen.

Sie mussen klar unterscheiden konnen zwischen Axiomen, Definitionen und Aussagen (Satzen,Theoremen, Lemmata, Propositionen,...). Sie mussen lernen, Beweise zu verifizieren. Und Siemussen lernen, Ideen zu bekommen, wie Sie selbst Beweise fuhren, und auch lernen, wie Sie danndiesen Beweis gut aufschreiben. Dies zu lernen, ist nur durch eine intensive Ruckmeldung moglich,und das geht naturlich nicht in der großen Vorlesung hier. Deswegen sind die Ubungen fur Sie ganzwichtig.

2. Aussagenlogik

Was ist eine Aussage?

Beispiele 2.1. Die folgenden Ausdrucke sind Aussagen

A1: 2 ∗ 3 = 6

A2: 2 + 2 = 1 + 3

A3: Die Zahl 27 hat 4 Teiler.

A4: Alle naturliche Zahlen haben eine Primfaktor-Zerlegung

A5: Am 13.9.2018 hatte die Donau in Regensburg Hochwasser

A6: Christian Lindner wurde im September 2018 zum Bundeskanzler gewahlt

Wir gehen davon aus, dass wir eine Sprache haben, die aus Zeichenketten besteht. Manche Zei-chenketten ergeben keinen Sinn, zum Beispiel

”hejekl“ oder

”Hund Maus Loch“, wir nennen sie

syntaktisch nicht sinnvoll. Wenn die Zeichenkette etwas aussagt, so nennen wir sie syntaktischsinnvoll. 4

Definition 2.2. Eine Aussage ist eine syntaktisch sinnvolle Zeichenkette, die entweder wahr (w)oder falsch (f) ist.

Eine dritte Moglichkeit gibt es nicht (lateinisch:”tertium non datur“).

A1 bis A6 sind Aussagen, A1 bis A4 sind wahr, A5 und A6 sind falsch. Wenn eine Aussage wahrist, so sagen wir auch:

”Die Aussage gilt.“

Bemerkung 2.3. Es gibt Wissenschaftsbereiche, in den das”tertium non datur“ nicht gilt, in

denen also neben”wahr“ und

”falsch“ weitere Moglichkeiten zugelassen werden. Z.B. in der Quan-

tenmechanik (Schrodingers Katze ist weder tot noch lebendig), Aussagen in der Wahrscheinlich-keitstheorie (Es regnet morgen mit Wahrscheinlichkeit 0,3), Philosophie, Teilgebiete der Logik. In

4Dies soll hier nicht genauer definiert und spezifiziert werden, da es fur unsere Zwecke unwichtig ist.

6 1. ELEMENTARE LOGIK UND GRUNDLAGEN DER MATHEMATIK

unserer Vorlesung sind aber gemaß obiger Definition nur Aussagen zulassig, die entweder wahroder falsch sind.

Man kann Aussagen durch elementare logische Operationen verknupfen. Man kann diese Opera-tionen zum Beispiel durch Wahrheitstafeln definieren.

Definition 2.4 (Negation). Die Negation ¬ wird durch die folgende Wahrheitstafel definiert

A ¬Aw ff w

LEMMA 2.5. Fur alle Aussagen A gilt ¬(¬A) = A

Beweis. Wir unterscheiden zwei Falle.

1. Fall: A ist wahrA ist wahr =⇒ ¬A ist falsch =⇒ ¬(¬A) ist wahr

2. Fall: A = fA ist falsch =⇒ ¬A ist wahr =⇒ ¬(¬A) ist falsch

Definition 2.6 (Aussagenlogische Verknupfungen). Die Und-Verknupfung ∧, die Oder-Verknu-pfung ∨, die Entweder-Oder-Verknupfung Y, die Implikation (Wenn-Dann-Beziehung)→, die umge-kehrte Implikation (Dann-Wenn-Beziehung5)← und die Aquivalenz (Genau-Dann-Wenn-Beziehung)↔ sind durch die folgende Wahrheitstafel definiert

A B A ∧B A ∨B A YB → ← ↔w w w w f w w ww f f w w f w ff w f w w w f ff f f f f w w w

Ist die Aussage A↔ B wahr, so sagen wir auch A und B sind aquivalent .

In zusammengesetzen Ausdrucken sind Negationen zuerst auszufuhren, ansonsten muss man durchKlammern die Reihenfolge klaren sofern notig. Zum Beispiel gilt

¬A ∧B = (¬A) ∧Bund dies ist im allgemeinen nicht dasselbe wie ¬(A∧B). Man darf aber die Klammern weglassen,wenn das Resultat nicht von der Reihenfolge abhangt, Beispiele spater.19.10.

Bisher haben wir nun angenommen A, B seien feste Aussagen. Oft steht der Wahrheitswert voneinem Ausdruck noch gar nicht fest, z.B.

5Beispiel: (Die Straße wird nass.) ← (Es regnet.). In Worten: Die Straße wird (dann) nass, wenn es regnet.

Man kann logisch aquivalent auch sagen: Es regnet nur dann, wenn die Straße nass wird.

2. AUSSAGENLOGIK 7

A: Am 1.2.2024 wird es ein Erbeben in Japan geben

Um auch solche Ausdrucke behandeln zu konnen, deren Wahrheitswert noch nicht festgelegt ist,fuhren wir nun Aussageformen ein.

Definition 2.7 (Ausageform). Eine Aussageform ist eine eine syntaktisch sinnvolle Zeichenkette,die

• entweder eine Aussage ist, oder• die von einer oder mehreren Variablen abhangt und die erst nach Einsetzen von Werten

in diese Variablen zu einer Aussage wird.

Hierbei muss man angeben, welche Werte fur die Variablen uberhaupt zugelassen sind.

Eine Aussageform A(x) in einer Variablen x besteht also aus der Angabe der zulassigen Wertevon x, die wir zu einer MengeM zusammenfassen, und einer AbbildungA : M−→{w, f}, x 7→ A(x).Letztere Schreibweise bedeutet, dass jedem zulassigen Wert von x ein Wert A(x) zugeordnet ist, derentweder wahr (w) oder falsch (f) ist.6 Hangt A(x1, x2, . . .) von mehreren Variablen hat, so sollteeine Wertemenge M1 fur x1, eine Wertemenge M2 fur x2 etc. vorgeben werden. Aussageformen in2 Variablen sind also Abbildungen:

A : M1 ×M2−→{w, f}, (x1, x2) 7→ A(x1, x2).

Beispiele 2.8.

A1(x) : x > 0 Zulassig: x ∈ RA2(X) : Das Auto X ist rot Zulassig: Alle Autos X der Welt

A3(B,C) : B ∨ C Zulassig: B und C sind Aussagen.

A4(B,C,D,E) : (B ∨ C)→ (¬D ∧ E) Zulassig: B, C, D und E sind Aussagen.

Sind wahr und falsch die zulassigen Werte der Variablen x, so nennt man x eine aussagenlogi-sche Variable. Verknupft man ausagelogische Variablen durch die Negation ¬ oder die logischenVerknupfungen ∧, ∨, Y, →, ← und ↔, so nennt man die somit erhaltene Aussageform eine aus-sagenlogische Formel . Es ist hierbei erlaubt, mehrere logische Verknupfungen oder Negationenanzuwenden. Insbesondere sind dann alle Variablen aussagenlogische Variablen. In den obigen Bei-spielen sind A3 und A4 aussagenlogische Formeln, die anderen keine.

Fur aussagenlogische Formeln kann man viele Beziehungen herleiten, zum Beispiel folgende:

PROPOSITION 2.9. Fur alle Belegungen von A, B und C mit Wahrheitswerten w und f sind diefolgenden Aussagen wahr:

6Der Pfeil −→ in der Abbildungsbeschreibung ist nicht zu verwechseln mit der Implikation→, deswegen wollen

wir den ersteren zunachst langer und in roter Farbe schreiben. Spater wird immer klar sein, welche Bedeutung der

Pfeil nun hat und wir schreiben dann immer →. Wir setzen hier voraus, dass die Begriffe”Menge“,

”Produkte

von Mengen“ und”Abbildung“ Ihnen bereits intuitiv vertraut sind, wenn nicht dann sind die Erklarungen dieses

Abschnitts erst in ungefahr zwei Wochen verstandlich.

8 1. ELEMENTARE LOGIK UND GRUNDLAGEN DER MATHEMATIK

(a) A ∨ ¬A (Tertium non datur)(b) ¬(A ∧ ¬A) (Widerspruchsfreiheit)(c) A ∨ w(d) ¬(A ∧ f)(e) (A ∧ f) ↔ f(f) (A ∨ f) ↔ A(g) (A ∧ w) ↔ A(h) (A ∨ w) ↔ w(i) (A ∨B) ↔ (B ∨A) (Kommutativitat von ∨)(j) (A ∧B) ↔ (B ∧A) (Kommutativitat von ∧)(k) (A ∨ (B ∨ C)) ↔ ((A ∨B) ∨ C) (Assoziativitat von ∨)(l) (A ∧ (B ∧ C)) ↔ ((A ∧B) ∧ C) (Assoziativitat von ∧)

(m) (A ∨B) ↔ ¬(¬A ∧ ¬B) (de Morgansche Regeln)(n) (A ∧B) ↔ ¬(¬A ∨ ¬B) (de Morgansche Regeln)(o) (A ∧ (B ∨ C)) ↔ ((A ∧B) ∨ (A ∧ C)) (Distributivgesetze)(p) (A ∨ (B ∧ C)) ↔ ((A ∨B) ∧ (A ∨ C)) (Distributivgesetze)(q) (A↔ w) ↔ A(r) (A↔ f) ↔ ¬A(s) (A→ B) ↔ (B ← A)(t) (A→ B) ↔ (¬A ∨B) (Kontraposition)(u) (A← B) ↔ (A ∨ ¬B)(v) (A→ B) ↔ (¬B → ¬A)(w) (A↔ B) ↔ ((¬A ∨B) ∧ (A ∨ ¬B))(x) (A↔ B) ↔ ¬(A YB)(y) (A ∧B) → A

Diese Proposition wird teilweise in den Ubungsgruppen bewiesen, die verbleibenden konnen Sieselbst mit ahnlichen Methoden leicht beweisen. Die obigen Aquivalenzen, d.h. die obigen Aussagenin der Form D ↔ E, beweist man oft am besten, in dem man mit Hilfe einer Wahrheitstabelle Dund E fur alle Belegungen von A, B und C berechnet und dann vergleicht. Nachdem man einigeAussagen gezeigt hat, kann man durch deren Kombination weitere erhalten.

Aus (l) folgt zum Beispiel, dass A∧B ∧C ein syntaktisch sinnvoller Ausdruck ist, da das Ergebnisnicht von der Klammerung abhangt, und analog dazu ist naturlich auch A ∨ B ∨ C ein sinnvollerAusdruck.

Definition 2.10. Wir nennen zwei Aussageformen aquivalent , wenn sie von denselben Variablenabhangen, die Variablen dieselbe zulassigen Werte haben und wenn beide Aussageformen fur alleBelegungen der Variablen mit Werten aquivalente Aussagen ergeben.

Somit sind also die Aussageformen D und E aquivalent genau dann, wenn D ↔ E fur alle Bele-gungen der Variablen wahr ist.

2. AUSSAGENLOGIK 9

Beispiel 2.11. Proposition 2.9 (i) besagt, dass A ∨B aquivalent zu B ∨A ist.Proposition 2.9 (x) besagt, dass A↔ B aquivalent zu ¬(A YB) ist.

LEMMA 2.12. Die aussagenlogischen Formeln E1(A,B,C) := A→ (B → C) und E2(A,B,C) :=(A → B) → C sind nicht aquivalent. (Praziser gesagt: Es ist nicht richtig, dass fur alle Wahlenvon A, B und C die aus E1 und E2 erhaltenen Aussagen aquivalent sind).

Deshalb ist also A → B → C kein syntaktisch sinnvoller Ausdruck, man muss hier Klammernsetzen.

Beweis. Angenommen, die aussagenlogischen Formeln E1 und E2 waren fur alle A, B und Caquivalent. Dann waren sie insbesondere aquivalent im Fall, dass A, B und C falsch sind. Indiesem Fall sind A → B und B → C wahr und somit ist E1 wahr und E2 falsch. Somit habenwir einen Widerspruch zur obigen Annahme erhalten. Die Annahme war also falsch. Also ist dasLemma bewiesen.

Der obige Beweis ist ein Widerspruchsbeweis. Um eine Aussage F zu zeigen, nimmt man zunachst¬F an und leitet daraus einen Widerspruch her.

Hierbei ist

F : Fur alle Wahlen von A, B und C sind die Aussagen E1(A,B,C) und E2(A,B,C) aquivalent.

Ein anderer Typ von Widerspruchsbeweis ist noch haufiger. Man mochte eigentlich die AussageE → F zeigen. Man nimmt nun ¬F an und leitet daraus ¬E her. Man hat somit ¬F → ¬E gezeigt.Dies ist aber mit Proposition 2.9 (v) aquivalent zu E → F .

Bemerkung 2.13. Die Symbole ⇐⇒ und =⇒ nutzen wir ahnlich wie die Symbole ↔ und →,jedoch mit kleinen Unterschieden:

• Wenn wir aussagenlogische Variablen in einer aussagenlogischen Formel zusammenfugen,so wenden wir zuerst ↔, →, ←, ∧,. . . und dann erst ⇐⇒ und =⇒ an.Beispiel: Die Aussageform

3 + 4 = 7⇐⇒ A ∨ ¬A

ist als (3 + 4 = 7)⇐⇒ (A ∨ ¬A) zu lesen.• Wir lesen Implikationsketten wie zum Beispiel A =⇒ B =⇒ C als

”(A impliziert B) und

(B impliziert C)“. Als Beispiel betrachte man den Beweis von Lemma 2.5. Der AusdruckA→ B → C ist hingegen syntaktisch gar nicht sinnvoll, da Klammern benotigt werden.

10 1. ELEMENTARE LOGIK UND GRUNDLAGEN DER MATHEMATIK

Analog sind Aquivalenzketten zugelassen und zu interpretieren, zum Beispiel:

¬(A ∨ ¬B) ∧A ”(n)“⇐⇒ (¬A ∧B) ∧A(l)⇐⇒ ¬A ∧ (B ∧A)

(j)⇐⇒ ¬A ∧ (A ∧B)

(l)⇐⇒ (¬A ∧A) ∧B

”(b)“⇐⇒ f ∧B

”(e)“⇐⇒ f

Bei jedem ⇐⇒ findet eine Aquivalenzumformung statt, die direkt aus bereits bekanntenAussagen folgt. Der jeweilige Buchstabe uber einem der ⇐⇒-Pfeile gibt an, welche Ei-genschaft in Proposition 2.9 verwendet wurde. Die Anfuhrungszeichen in der ersten undden beiden letzten Zeilen deuten an, dass man leicht modifizierte Versionen der zitiertenPunkte hernehmen muss. Die Verwendung des Zeichens ⇐⇒ ware naturlich auch ohnedie Erklarungen daruber gestattet. Die obige Umformungskette ist somit ein Beweis7 derTatsache, dass die Aussageform ¬(A ∨ ¬B) ∧ A fur alle Belegungen von A und B mitWahrheitswerten falsch ist.

Eine ahnliche Verwendung wird im folgenden Beispiel verdeutlicht:

¬(A↔ B)⇐⇒ ¬A↔ B

⇐⇒ A↔ ¬B⇐⇒ A YB

⇐⇒ ¬A Y ¬B

Die obigen Zeilen sind eine recht effektive Art und Weise auszudrucken, dass alle obigenAusdrucke paarweise aquivalent sind. Allerdings muss man hier

”etwas arbeiten“ um

jeweils von der linken Seite von⇐⇒ zur rechten zu kommen. Dies geht in diesem Beispielmit einer Wahrheitstafel sehr gut.• Um Missverstandnisse zu vermeiden, verbieten wir es, Ausdrucke, die⇐⇒ und =⇒ enthal-

ten, durch weitere aussagenlogische Verknupfungen zu verbinden. Das heißt beispielswei-se, dass wir A⇐⇒ (B =⇒ C) als syntaktisch nicht sinnvoll betrachten, also vergleichbarzu

”jjkwdh“.

Beispiel: Proposition 2.9 (w) und (x) ergeben dann zusammen

A↔ B ⇐⇒ (¬A ∨B) ∧ (A ∨ ¬B)⇐⇒ ¬(A YB).

7Die Worte”beweisen“ und

”zeigen“ haben in der Mathematik nahezu dieselbe Bedeutung.

3. MENGEN 11

Bemerkung 2.14. Man konnte zunachst auch nur ¬ und ∧ durch eine Wahrheitstafel wie obendefinieren und alle danach anderen aussagenlogischen Verknufungen durch Formeln aus Propositi-on 2.9, z.B. A ∨B := ¬(¬A ∧ ¬B) durch die de Morgansche Regel.

3. Mengen

Beschreibung 3.1 (Georg Cantor, 1845–1918). Unter einer Menge verstehen wir jede Zusam-menfassung M von bestimmten wohlunterschiedenen Objekten unserer Anschauung oder unseresDenkens (welche Elemente von M genannt werden) zu einem Ganzen.

Hier wird erklart, was eine Menge ist. Auch eine Definition erklart, was ein neuer Begriff bedeutet.Dennoch ist die obige Erklarung keine mathematische Definition, sondern eine intuitive Erklarung.Wenn man in der Mathematik sauber definieren will, was eine Menge ist, darf man nur Worteund Strukturen benutzen, die zuvor schon ein klare Bedeutung haben. Es ist nun aber doch etwasunklar, was die Worte

”Zusammenfassung“, “bestimmten“, “wohlunterschieden“ bedeuten.

Die obige”Beschreibung“ sagt uns also lediglich, was wir uns unter einer Menge vorstellen sollen.

Das reicht uns aber fur das folgende, und eine genaue Definition ware zu aufwandig.

Eine Menge enthalt Elemente. Zwei Mengen sind genau dann gleich, wenn sie die gleichen Elementeenthalten.

Schreibweisen:M = {x, y, z} = {x, x, y, z} = {y, x, z} ist die Menge, deren Elemente x, y und z sind.

Man darf Elemente in den Klammern { } mehrfach aufzahlen, sie sind dann aber nur einmalin der Menge. Ein Element kann in einer Menge sein, oder nicht darin sein, es kann aber nichtmehrfach in M enthalten sein.

x ∈M ist die Kurzschreibweise fur”x ist ein Element von M“

x 6∈M ist die Kurzschreibweise fur”x ist kein Element von M“

x 6∈M ⇐⇒ ¬(x ∈M)

Beispiele 3.2.

(1) Vorstellung von M = {x, y, z}

xy

z

(2) Die Menge aller naturlichen Zahlen: N = {0, 1, 2, 3, . . . , }.Ubliche Formulierung: Die Menge N der naturlichen Zahlen.

12 1. ELEMENTARE LOGIK UND GRUNDLAGEN DER MATHEMATIK

(3) Die Menge R der reellen Zahlen 8

(4) Die Menge R>0 der positiven reellen Zahlen. (Die Null ist weder positiv noch negativ).9

(5) Ist A(x) eine Aussageform in einer Variablen x, so bilden die zulassigen Werte von x eineMenge, die Definitionsmenge der Aussageform. In Beispiele 2.8 ist die Definitionsmenge vonA2 die Menge aller Autos. Die Definitionsmenge von A1 ist R.

Definition 3.3. Die Menge, die keine Elemente hat, heißt die leere Menge, und wird notiert als ∅oder {}.!ACHTUNG!. ∅ 6= {∅} und 1 6= {1} 6= {{1}}.

Bei Aussagen und aussagenlogischen Formeln schreiben wir ab sofort :⇐⇒ fur”ist definiert als“.

Definition 3.4 (Teilmenge).

(1) Die Menge N ist eine Teilmenge von M , genau dann wenn jedes Element von N auch einElement von M ist. Als Formel schreiben wir N ⊂M .

(2) Die Menge N ist eine echte Teilmenge von M , genau dann wenn N eine Teilmenge M ist undvon M verschieden ist. Wir schreiben hierfur N (M .

Beispiele 3.5.

(1) {1, 2} ⊂ {1, 2, 3} und {1, 2} ( {1, 2, 3}.(2) Fur alle Mengen M gilt: ∅ ⊂M(3) Fur alle Mengen M gilt: M ⊂M

24.10.

Definition 3.6. Ist A eine auf M definierte Aussageform, so definieren wir

{x ∈M | A(x)}als die Teilmenge aller Elemente x von M , fur die A(x) wahr ist.

Es gilt somit fur alle y ∈M :

y ∈ {x ∈M | A(x)} ⇐⇒ A(y)

Umgekehrt: Ist N eine Teilmenge von M , so ist

A(x) :=

{w falls x ∈ Nf falls (x ∈M) ∧ (x 6∈ N)

8Achtung: Was eine reelle Zahl ist, mussen wir eigentlich noch zuerst lernen!9Sehr verbreitet ist auch die Schreibweise R∗+ fur die positiven reellen Zahlen, und dann schreibt man R+ :=

R∗+ ∪ {0} fur alle reellen Zahlen, die nicht negativ sind. In dieser Schreibweise soll + naturlich positiv bedeuten.Deswegen ist auch die Schreibweise R+ verwirrend, denn wir haben 0 ∈ R+, obwohl 0 nicht positiv ist. Ein dritte

Moglichkeit, die man gelegentlich sieht, ist R+ fur die positiven reellen Zahlen zu benutzen, und dann definiert manR+0 := R+ ∪ {0}. Um Verwirrung zu vermeiden, nutzen wir nur R>0 fur die Menge der positiven reellen Zahlen und

R≥0, wenn die Null noch dazugenommen wird.

3. MENGEN 13

eine auf M definierte Aussageform und es gilt dann

N = {x ∈M | A(x)}.

Beispiele 3.7.

(1) Seien A1 und A2 definiert wie in Beispiele 2.8, M2 sei die Menge aller Autos. Dann gilt

{x ∈ R | A1(x)} = {x ∈ R | x > 0} = R>0

und

{x ∈M2 | A2(x)}ist die Menge aller roten Autos.

(2) Die Menge der geraden naturlichen Zahlen ist

2N :={n ∈ N

∣∣ n2∈ N

}.

Sei k ∈ N>0. Die Menge der durch k teilbaren ganzen Zahlen ist

kZ :={n ∈ Z

∣∣ nk∈ Z

}.

Analog kN.

(3) Die Menge der Primzahlen ist

{n ∈ N | n besitzt genau zwei Teiler (in N)}.

Wir fuhren somit noch eine weitere Art und Weise ein, Mengen zu beschreiben.

Definition 3.8. Sei M eine Menge und f(x) ein von x abhangiger Ausdruck10. Dann bezeichne

{f(x) ‖x ∈M}

die Menge aller Objekte, die sich in der Form f(x) fur ein x ∈M schreiben lassen.11 Analoges giltauch wenn f mehrere Variablen besitzt, zum Beispiel

{f(x, y) ‖x ∈M, y ∈ N},

wenn f von den Variablen x ∈M und y ∈ N abhangt.

Wir konnen dann kZ auch einfuhren als

kZ := {kz ‖ z ∈ Z}.

Definition 3.9. Seien M und N Mengen. Wir definieren hieraus neue Mengen

10Die mathematisch prazisere Voraussetzung ware: f ist eine Funktion in einer Variablen x.11In einigen Wochen vereinfachen wir diese Schreibweise zu {f(x) | x ∈M}.

14 1. ELEMENTARE LOGIK UND GRUNDLAGEN DER MATHEMATIK

(a) den Schnitt (oder die Schnittmenge) von M und N als

M ∩N := {x ∈M | x ∈ N} = {x ∈ N | x ∈M}.

Man kann auch sagen, M ∩N ist die Menge, so dass gilt:

x ∈M ∩N ⇐⇒ (x ∈M) ∧ (x ∈ N).

(b) die Vereinigung(smenge) von M und N als die Menge M ∪N , so dass

x ∈M ∪N :⇐⇒ (x ∈M) ∨ (x ∈ N).

(c) das Komplement von N in M als

M rN := {x ∈M | x 6∈ N}

oder dazu aquivalent

x ∈M rN ⇐⇒ (x ∈M) ∧ (x 6∈ N)

(d) die symmetrische Differenz von N in M als

M∆N := (M ∪N) r (M ∩N) = (M rN) ∪ (N rM)

oder dazu aquivalent

x ∈M∆N ⇐⇒ (x ∈M) Y (x ∈ N)

4. QUANTOREN 15

Beispiel 3.10. Sei A := {1, 2, 3} und B := {3, 4, 5}. Dann ist A∩B = {3}, A∪B = {1, 2, 3, 4, 5},ArB = {1, 2} und , A∆B = {1, 2, 4, 5}

1

2

3

4

5

Definition 3.11. Zwei Mengen M und N heißen disjunkt, falls M ∩N = ∅.

Es gelten viele zu Proposition 2.9 analoge Aussagen.

PROPOSITION 3.12. Seien P , Q und R Teilmengen von M . Dann gilt

(a) P ∪ (M r P ) = M(b) P ∩ (M r P ) = ∅(c) P ∪M = M(d) P ∩ ∅ = ∅(e) P ∩ ∅ = ∅(f) P ∪ ∅ = P(g) P ∩M = P(h) P ∪M = M(i) P ∪Q = Q ∪ P (Kommutativitat von ∪)(j) P ∩Q = Q ∩ P (Kommutativitat von ∩)(k) (P ∪ (Q ∪R)) = ((P ∪Q) ∪R) (Assoziativitat von ∪)

. . .

Jede Teilaussage dieser Proposition entspricht einer Teilaussage in Proposition 2.9 mit demselbenkleinen Buchstaben. Zum Beispiel ist Proposition 3.12 (a) eine direkte Folgerung aus Propositi-on 2.9 (a), Proposition 3.12 (b) eine Folgerung aus Proposition 2.9 (b), etc.. Man beachte, dassdie Bedeutungen von (d) und (e) in Proposition 2.9 fast diesseblen sind und deswegen dieselben

”Ubersetzungen“ in Proposition 3.12 haben. Analoges gilt fur (c) und (h).

UBUNG 3.13. Ubersetzen Sie die restlichen Aussagen aus Proposition 2.9 (j) bis (p) in Aussagenuber Mengen. Beweisen Sie all diese Aussagen.

4. Quantoren

Aussagen12 in der Art”Fur alle Elemente x ∈ M ist die Aussage A(x) wahr.“ und

”Es gibt

(mindestens) ein Element x ∈M , fur das A(x) wahr ist.“ sind in der Mathematik sehr haufig. Man

12Naturlich erlauben wir hier auch aussagenlogische Formeln und Aussageformen

16 1. ELEMENTARE LOGIK UND GRUNDLAGEN DER MATHEMATIK

schreibt kurz hierfur ∀x ∈M : A(x) und ∃x ∈M : A(x). Man nennt ∀ den Allquantor und ∃ denExistenzquantor. Als Beispiel betrachten wir die Definition von Stetigkeit, ein zentraler Begriff derAnalysis.

Definition 4.1. Eine Abbildung f : R−→R ist stetig in x0 ∈ R, genau dann wenn

∀ε ∈ R>0 : ∃δ ∈ R>0 : ∀x ∈ R : (|x− x0| < δ)→ (|f(x)− f(x0)| < ε)︸ ︷︷ ︸A(x,x0,f,δ,ε)

A(x, x0, f, δ, ε) ist eine Aussageform, die von funf Variablen abhangt. Wir geben die moglichenWerte durch Mengen an: x ∈ R, x0 ∈ R, f ∈ Abb(R,R) (die Menge aller Abbildungen R−→R),δ ∈ R>0 und ε ∈ R>0. Sobald wir am Ende des Abschnitts Abbildungen und Produkte von Mengeneingefuhrt haben, kann man diese Aussageform auch als Abbildung

A : R× R×Abb(R,R)× R>0 × R>0−→{w, f}

betrachten.

Das folgende Regel ist intuitiv klar:

REGEL 4.2 (Negation von Quantoren). Fur jede auf M definierte Aussageform gilt:

¬∀x ∈M : A(x) ⇐⇒ ∃x ∈M : ¬A(x)(4.3)

Indem man A(x) durch ¬A(x) ersetzt und dann die gesamte Aquivalenz auf beiden Seiten negiert,erhalt man

(4.4) ¬∃x ∈M : A(x) ⇐⇒ ∀x ∈M : ¬A(x)

Klammerregel.Sei A(x, y) eine Aussage die von den Parametern x ∈ X und y ∈ Y , dann ist

∀/∃x ∈ X : ∀/∃y ∈ Y : A(x, y)

zu lesen als

∀/∃x ∈ X :(∀/∃y ∈ Y : A(x, y)

).

Es gilt offensichtlich

∀x ∈ X : ∀y ∈ Y : A(x, y) ⇐⇒ ∀y ∈ Y : ∀x ∈ X : A(x, y)

∃x ∈ X : ∃y ∈ Y : A(x, y) ⇐⇒ ∃y ∈ Y : ∃x ∈ X : A(x, y)

Man sagt kurz:”zwei af. (aufeinanderfolgende) Allquantoren vertauschen miteinander“, oder man

sagt”zwei af. Allquantoren kommutieren“. Analog kommutieren zwei af. Existenzquantoren.

!ACHTUNG!. Allquantoren kommutieren nicht mit Existenzquantoren!

4. QUANTOREN 17

Die eine Richtung ist immer wahr:

∀x ∈ X : ∃y ∈ Y : A(x, y) ⇐= ∃y ∈ Y : ∀x ∈ X : A(x, y)

Aus der rechten Seite ∃y ∈ Y : ∀x ∈ X : A(x, y) folgt die linke ∀x ∈ X : ∃y ∈ Y : A(x, y). DieAussagen unterscheiden sich aber sehr. Links darf die Wahl von y von x abhangen, rechts darf siees nicht. Man hat hier also weniger Flexibilitat in der Wahl von y, da man eines finden muss, sodass A(x, y) fur alle x ∈ X richtig ist.

Die Umkehrung (d.h. die Richtung von links nach rechts) ist falsch, wie das folgende Beispiel zeigt.

Beispiel 4.5. Die Aussage

(4.6) ∀x ∈ R : ∃y ∈ R : x > y

ist wahr. Denn fur ein gegebenes x ∈ R konnen wir die Zahl y := x−1 hernehmen und diese erfullty < x. Deswegen ist fur alle x ∈ R die Aussage ∃y ∈ R x > y wahr, also auch (4.6).

Die Aussage

(4.7) ∃y ∈ R : ∀x ∈ R : x > y

ist falsch. Denn fur ein gegebenes y ∈ R gilt nicht fur alle x ∈ R die Ungleichung x > y. DieUngleichung gilt zum Beispiel nicht fur x := y. Also gibt es kein y ∈ R, so dass ∀x ∈ R : x > ywahr ist. Also ist (4.7) falsch.

SCHREIBWEISE 4.8. Quantoren fur eine Variable mussen stehen, bevor diese Variable gebrauchtwerden darf. (Sonst gelten sie als nicht syntaktisch sinnvoll.) 13

Beispiel 4.9. Ausdrucke in der Art”Es gilt 2x = x + x fur alle x ∈ R“ erklaren wir ab sofort

und bis auf weiteres als syntaktisch nicht sinnvoll. Erlaubt sind nur Satze wie”Fur alle x ∈ R gilt

2x = x+ x.“

Die Regel ist deswegen wichtig, damit nicht unklar bleibt, wie die folgende Aussage verstandenwerden soll:

Fur alle x ∈ R gilt x > y fur ein y ∈ R.

Diesen Ausdruck konnte man als die wahre Aussage (4.6) oder als die falsche Aussage (4.7) verste-hen. Deswegen legen wir durch die obige Regel fest, dass Ausdrucke wie das obige A syntaktischnicht sinnvoll sind.

Frage 4.10. Ist die folgende Aussage A wahr?

A :⇐⇒ ∀x ∈ ∅ : x = x+ 1.

13In spateren Semestern wird diese Regel nicht mehr immer befolgt, falls keine Missverstandnisse zu erwarten

sind.

18 1. ELEMENTARE LOGIK UND GRUNDLAGEN DER MATHEMATIK

Das didaktische Problem hier ist: obwohl uns bisher intuitiv klar war, was ∀x ∈M : A(x) bedeutet,ist ∀x ∈ ∅ : A(x) nicht intuitiv klar. In studentischen Losungen der Aufgabenblatter steht oft inso einem Fall:

”Da die Aussage x = x+ 1 fur kein einziges Element in ∅ gilt, gilt sie naturlich auch

nicht fur alle Elemente in ∅.“ Das ist ein weit verbreiteter Fehler.

REGEL 4.11. In der Mathematik ist die Aussage

∀x ∈ ∅ : A(x)

fur alle Aussageformen A(x) immer wahr und die Aussage

∃x ∈ ∅ : A(x)

fur alle Aussageformen A(x) immer falsch.

Diese Regel ist letztendlich eine Definition, man konnte auch sagen eine Konvention. Es erscheintauch intuitiv klar, dass ∃x ∈ M : A(x) nur dann wahr sein kann, wenn in M uberhaupt irgend-welche Elemente existieren. Bei der anderen Regel konnte man Zweifel haben. Aber: wenn wir hieraber eine andere Konvention wahlen wurden, hatten wir viele Ausnahmen zu berucksichtigen. ZumBeispiel erscheint uns die folgende Aquivalenz fur alle Mengen M intuitiv klar:

∀x ∈M : A(x) ⇐⇒ {x ∈M | ¬A(x)} = ∅.Die rechte Seite ist fur M = ∅ offensichtlich wahr.

Außerdem, ergibt sich die erste Teil in Regel 4.11 auch aus dem zweiten Grund: ∃x ∈ ∅ : ¬A(x)ist falsch, also auch ¬∀x ∈ ∅ : A(x) falsch, also ∀x ∈ ∅ : A(x) wahr.

Notation 4.12. In vielen Buchern schreibt man auch oft ∃x : A(x). Dies bedeutet, es existierteine Menge, in der ein Element existiert, fur das A(x) wahr ist. Beispiel: die Aussage ∃x : x ∈Mist aquivalent zu M 6= ∅. Analog heißt ∀x : A(x), dass fur alle Mengen und alle Elemente darindie Aussage A(x) wahr ist.14 Analog hierzu: ist A(x) eine auf allen Elementen von allen Mengendefinierte Aussageform, so bezeichnet {x | A(x)} die Menge aller Elemente, fur die A(x) wahr ist.Diese Bezeichnungen sind vor allem in axiomatischen aufgebauten Logik-Buchern wie [13] ublich,sind im Zugang unserer Vorlesung eine gefahrliche Fehlerquelle: zum Beispiel ist {x | A(x)} oft garkeine Menge, siehe Anhang A Abschnitt 1. Wir wollen sie deswegen nicht verwenden.

5. Potenzmenge und Mengensysteme

Definition 5.1. Ist X eine Menge, so ist P(X) definiert als die Menge aller Teilmengen von M .Man nennt P(X) die Potenzmenge von X.

x ∈ P(X) ⇐⇒ x ⊂ X14Bei dieser

”Notation“ handelt es sich eigentlich auch um eine Definition; es ist die Definition einer Schreibwei-

se. Wir verwenden hier den Begriff Notation, um anzudeuten, dass hier kein neuer Begriff eingefuhrt wird, sonderneine neue Schreibweise.

6. PAARE UND KARTESISCHE PRODUKTE 19

Beispiele 5.2.

(1) P({1, 2}) = {∅, {1}, {2}, {1, 2}}(2) P(∅) = {∅} 6= ∅

Definition 5.3. Ein Mengensystem (uber einer Grundmenge X) ist eine Teilmenge von P(X).Dies bedeutet, dass M genau dann ein Mengensystem ist, wenn alle Elemente vonM eine Teilmengevon X sind.

Wir definieren dann ⋃M := {x ∈ X | ∃m ∈M : x ∈ m}

und falls zusatzlich M 6= ∅ definieren wir⋂M := {x ∈ X | ∀m ∈M : x ∈ m}.

Offensichtlich gilt⋃M ⊂ X und

⋂M ⊂ X.

Beispiele 5.4. Beliebige Grundmenge X, A ⊂ X, B ⊂ X

(1) Fur M := {A} gilt⋃M =

⋂M = A.

(2) Fur M := {A,B} gilt⋃M = A ∪B und

⋂M = A ∩B.

Mengensysteme uber der Grundmenge Z

(3) Fur M := {{1, 2, 3}, {3, 5, 7}, {1, 3, 5}} gilt⋃M = {1, 2, 3, 5, 7} und

⋂M = {3}.

(4) SeiM := {kZ ‖ k ∈ Nr {0, 1}} = {2Z, 3Z, 4Z, . . .}.

Dann gilt⋃M = Z r {−1,+1} und

⋂M = {0}.

Falls X ⊂ Y , so ist jedes Mengensystem uber X auch ein Mengensystem uber Y und die obigenDefinitionen von

⋃M und

⋂M hangen nicht von der verwendeten Grundmenge ab. Wir lassen

deswegen die Angabe der Grundmenge in Zukunft weg.⋂∅ ist nicht definiert worden, denn mit obiger Definition ware dann

⋂∅ = X, also von der Wahl

der Grundmenge abhangig. 26.10.

6. Paare und kartesische Produkte

Es gilt {1, 2} = {2, 1}. Eine Menge mit genau zwei Elementen heißt ungeordnetes Paar. In derMathematik brauchen aber auch (geordnete) Paare15. Wir wollen an einem Beispiel erklaren, wiesosie gebraucht werden, und uns dann um eine saubere Defintion kummern.

Rene Descartes (1596–1650):Nach Wahl eines Ursprungs und einer Basis beschreibt man Punkte auf einer Geraden durch eine

15Ein Paar ist immer ein geordnetes Paar, es sei denn wir sagen explizit ‘”ungeordnet“ dazu.

20 1. ELEMENTARE LOGIK UND GRUNDLAGEN DER MATHEMATIK

reelle Zahl, Punkte in einer Ebene durch zwei reelle Zahlen und Punkte im Raum durch drei reelleZahlen.

x

y

−4

−4

−3

−3

−2

−2

−1−1

1

1

2

2

3

3

4

4

0

(3, 4)

{ Punkte in der Ebene } ∼= { geordnete Paare (x, y) von zwei reellen Zahlen x und y}∼= R× R ∼= R2

Paar := geordnetes Paar

”Definition“ 6.1. Sind M und N Mengen, so definieren wir

M ×N := {(m,n) ‖m ∈M, n ∈ N}wobei (m,n) ein Paar aus m und n ist. Man nennt M×N das (kartesische) Produkt von M und N .

Fur Paare gilt z.B. (3, 4) 6= (4, 3).

Das Wort”kartesisch“ kommt vom Namen

”Cartesius“ und dies ist die lateinische Version von

Descartes.

Das problematische an obiger”Definition“ ist, dass wir den Begriff

”Paar“ noch gar nicht definiert

haben.

Eine Moglichkeit, ware ein Axiom einzufuhren, das uns die Existenz von Paaren liefert.

AXIOM 6.2. Zu jedem m ∈ M und n ∈ N gibt es ein (m,n), genannt Paar, mit der folgendenEigenschaft: fur alle m, m ∈M und alle n, n ∈ N gilt

(m,n) = (m, n)⇐⇒ m = m und n = n.

Ein ahnliches Axiom wurde in der Linearen Algebra so ahnlich eingefuhrt (Axiom 1.1.6), es erganztdie dort prasentierten anderen Axiome. Wenn man aber naiv argumentiert, wie bei uns der Fall,

6. PAARE UND KARTESISCHE PRODUKTE 21

oder die zumeist verwendeten Axiomen-Systeme ZFC oder NBG (siehe Anhang A) nutzt, kannman eine Konstruktion machen, die genau solch eine Paarbildung liefert. Sie macht aus dem obigenDefinitions-Versuch (

”Definition“ 6.1) eine richtige Definition.16 Das heißt, man kann Axiom 6.2

weglassen und durch diese Definition ersetzen.

Definition 6.3 (Konstruktion von Paaren nach Kuratowski). Wir definieren das Paar von m undn als

(m,n) := {{m}, {m,n}}.

Diese Definition ist unanschaulicher als sie zunachst aussieht, wie das folgende Beispiel zeigt:

Beispiel 6.4. Fur M = N = N und m = n = 1 gilt (m,n) = {{1}}.

Aus diesem Grund wahlen manche Bucher andere Definitionen, die aber wieder andere Problemehaben. Wichtig ist fur uns aber letztendlich gar nicht, was Produkte

”wirklich sind“, sondern dass

die Eigenschaft in Axiom 6.2 erfullt ist.

LEMMA 6.5. Fur das von Kuratowski definierte Paar gilt:

(m,n) = (m, n) ⇐⇒ m = m und n = n.

Beweis. Die Richtung”⇐=“ ist offensichtlich.

Zu”=⇒“: Sei (m,n) = (m, n). Also gilt nach Definition

(6.6) {{m}, {m,n}} = {{m}, {m, n}}.

Wir wissen bereits, dass {{m}, {m,n}} ein oder zwei Elemente besitzt. Wir mussen zwei Falleunterscheiden.

1. Fall: Die Menge {{m}, {m,n}} besitzt ein Element.In diesem Fall ist dann {m} das einzige Element und somit {m} = {m,n} und deswegen m = n.Wegen (6.6) hat auch {{m}, {m, n}} nur ein Element, also ergibt sich analog m = n. Es gilt nun

{m} = {{m}, {m,n}} = {{m}, {m, n}} = {m}.

Es folgt m = n = m = n.

2. Fall: Die Menge {{m}, {m,n}} besitzt zwei Elemente.Es gilt also {m} 6= {m,n} und somit m 6= n. Analog enthalt {{m}, {m, n}} die verschiedenenElemente {m} und {m, n}, und daraus folgt m 6= n. Da {m} und {m} genau ein Element enthalten,und da {m,n} und {m, n} genau zwei Elemente enthalten, folgt aus (6.6), dass {m} = {m} undsomit m = m. Außerdem gilt dann {m,n} = {m, n}. Da diese Menge außer m = m noch genauein weiteres Element enthalt, gilt auch n = n.

16Wir konnen dann also die Anfuhrungsstriche weglassen.

22 1. ELEMENTARE LOGIK UND GRUNDLAGEN DER MATHEMATIK

Definition 6.7. Falls M1, M2, . . . , Mk Mengen sind, so definieren das k-fache kartesische Produkthiervon als

M1 ×M2 × · · · ×Mk := M1 × (M2 × (· · ·Mk−1 ×Mk)) · · · ).Elemente hiervon nennen wir k-Tupel. Wir schreiben sie in der Form (x1, x2, . . . , xk), wobei xi ∈Mi. Ein Paar ist also ein 2-Tupel. Ein 3-Tupel nennt man auch Tripel . 4-Tupel sind Quadrupel ,5-Tupel sind Quintupel . Wir nutzen auch die Schreibweise

Mk = M ×M × · · · ×M︸ ︷︷ ︸k-mal

.

Beispiel: R3 = R× (R× R)

7. Relationen, funktionale Relationen, Abbildungen

Definition 7.1. Eine Relation R auf der Grundmenge M ist eine Teilmenge von M ×M . Wirschreiben dann xRy fur die Aussage(form) (x, y) ∈ R.

Falls M ⊂ N , so ist jede Relation auf M auch eine Relation auf N . Oft ist die Grundmenge ohneBedeutung. Wichtig ist vor allem, dass ein solches Resservoir an moglichen Werten uberhauptexistiert.

Beispiele 7.2.

(1) ∅ ist eine Relation auf jeder Menge.(2) {∅, (1, 2)} ist keine Relation, da ∅ kein Paar ist.(3) Ist M eine Menge, so ist δM := {(x, x) ‖x ∈ M} eine Relation auf M . Man nennt sie die

Diagonale von M .

x

y

−4

−4

−3

−3

−2

−2

−1−1

1

1

2

2

3

3

4

4

0

7. RELATIONEN, FUNKTIONALE RELATIONEN, ABBILDUNGEN 23

Abbildung 1: Die Diagonale der Menge M = {−3,−2,−1, 0, 1, 2, 3}.(4) ≤R:= {(x, y) ∈ R2 | x ≤ y} ist eine Relation auf R.(5) Q := {(x, y) ∈ R2 | y = 3x2 + 2} ist eine Relation auf R.(6) M = {1, 2, 3}. Wir definieren die Relationen R1 ⊂ M × M und R2 ⊂ M × M durch das

folgende Bild oder sagen R1 := {(1, 2), (1, 3), (2, 1), (3, 1)} und R2 := {(1, 2), (3, 2)}

•1

•2

•3

R1

•1

•2

•3

R2

Definition 7.3. Sei R eine Relation auf M . Die Relation heißt

(1) reflexiv auf M :⇐⇒ ∀x ∈M : xRx,(2) symmetrisch :⇐⇒ ∀x ∈M : ∀y ∈M :︸ ︷︷ ︸

∀x,y∈M :

(xRy → yRx),

(3) antisymmetrisch :⇐⇒ ∀x, y ∈M :((xRy ∧ yRx)→ x = y

),

(4) transitiv :⇐⇒ ∀x, y, z ∈M :((xRy ∧ yRz)→ xRz

),

(5) Aquivalenzrelation auf M , falls R reflexiv auf M , symmetrisch und transitiv ist.(6) Ordnung(srelation) auf M oder partielle Ordnung(srelation) auf M , falls R reflexiv, antisym-

metrisch und transitiv ist.(7) Erfullt eine Ordnungsrelation R auf M zusatzlich die Eigenschaft

∀x, y ∈M :(xRy ∨ yRx

)dann nennt man R eine totale Ordnung(srelation).17

Beispiele 7.4. Zu den Beispielen 7.2 (3), (4) und (6):

(3) δM ist reflexiv auf M , symmetrisch, und transitiv, also eine Aquivalenzrelation auf M .Es gilt

xδMy ⇐⇒ x = y ∧ x ∈M(4) ≤R ist reflexiv auf R, antisymmetrisch und transitiv, also eine Ordnungsrelation auf M . Diese

Ordnung ist total.(6) R1 ist nicht transitiv, denn 3R11 und 1R12 sind wahr, aber 3R12 ist falsch. R1 ist auch nicht

reflexiv. Also ist R1 auch weder Ordnungsrelation noch Aquivalenzrelation. R1 ist symmetrischund nicht antisymmetrisch.

R2 ist transitiv, antisymmetrisch, nicht reflexiv, nicht symmetrisch.

17Manche Quellen nennen solche eine Relation eine lineare Ordnungsrelation. Andere Quellen wiederum be-

zeichnen unsere”Ordnungsrelationen“ als

”Halbordnungen“ und unsere

”totalen Ordnungen“ als

”Ordnungen“.

24 1. ELEMENTARE LOGIK UND GRUNDLAGEN DER MATHEMATIK

Beispiele 7.5. Ist X eine Menge, so definieren wir

⊂X := {(A,B) ∈ P(X)2 | A ⊂ B}.⊂X ist eine Ordnungsrelation auf P(X). Sie ist keine totale Ordnung, wenn X mindestens 2Elemente besitzt. 18

Definition 7.6. Eine Relation F auf M nennen wir eine funktionale Relation, falls gilt:

∀x ∈M : ∀y ∈M : ∀z ∈M :(

(x, y) ∈ F ∧ (x, z) ∈ F)→ y = z.

Zu jedem x ∈M gibt es also hochstens ein y ∈M mit xFy. Wir sagen dann: x wird durch F auf yabgebildet und schreiben x 7→ y oder y = F (x).

Beispiele 7.2 (1), (3) und (5) sind funktionale Relationen. Beispiel (4) ist keine funktionale Relation.In Beispiel 7.2 (6) ist R2 funktional, aber R1 ist nicht funktional.

Beispiel 7.7. Es gelte nun xRy, falls im folgenden Bild ein Pfeil von x nach y fuhrt.

•1

•2

•3

•4

• 5

• 6

• 7• 8

• 9

Dann ist R eine funktionale Relation auf der Grundmenge {1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9}.

Definition 7.8. Ist R eine Relation auf der Grundmenge M , so definieren wir19:

D(R) := {x ∈M | ∃y ∈M : xRy},Definitionsbereich von R;

B(R) := {y ∈M | ∃x ∈M : xRy},Bild der Relation R;

18Bei Ordnungsrelation werden immer zwei Objekte verglichen: Ist eine Zahl großer als eine andere? Ist eine

Menge in der anderen enthalten? Etc. Insofern sind≤R und⊂X ganz wichtige Beispiele. δM ist auch antisymmetrisch,also auch eine Ordnungsrelation. Sobald M mindestens 2 Elemente besitzt, ist es keine totale Ordnungsrelation.

Dennoch ist δM ein atypisches Beispiel, denn δM ist die einzige symmetrische Ordnungsrelation auf M .19Viele Bucher, z.B. [17] bezeichnen B(R) als Wertebereich oder Wertemenge. Es gibt aber auch Bucher, die

den Begriff Wertebereich im Sinne des unten definierten Zielbereichs definieren. Wir werden aus diesem Grund dieBegriffe

”Wertebereich“ und

”Wertemenge“ vermeiden.

7. RELATIONEN, FUNKTIONALE RELATIONEN, ABBILDUNGEN 25

Beispiel 7.7. (fortgesetzt) Wir zeichnen links die Definitionsmenge D(R), rechts die GrundmengeM . Die bisherigen Pfeile zeichnen wir so ein, dass sie in D(R) beginnen und in M enden. Wirwahlen einen

”Zielbereich“ Y aus mit B(R) ⊂ Y ⊂M .

D(R) M

Zielbereich•1

•2

•3

•4

• 5

• 6

• 7

• 1

• 2

• 8

• 9

• 3

• 4

Abbildung 2: Eine funktionale Relation R mit D(R) = {1, 2, 3, 4}, B(R) = {1, 5, 7}, Zielbereich{1, 2, 5, 6, 7} und Grundmenge M = {1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9}.

Definition 7.9. Eine Abbildung ist ein Tripel (f,X, Y ), bestehend aus Mengen X und Y und einerfunktionalen Relation f auf der Grundmenge X ∪ Y , wobei D(f) = X und B(f) ⊂ Y . Zumeist

schreibt man Abbildungen als f : X−→Y oder Xf−→ Y . Man nennt X den Definitionsbereich der

Abbildung f : X−→Y , man nennt Y den Zielbereich der Abbildung und man nennt f den Graphender Abbildung. Eine Abbildung von X nach Y ist eine Abbildung mit Definitionsbereich X undZielbereich Y . Die Menge aller Abbildungen von X nach Y notieren wir als Abb(X,Y ) oder alsY X . Die Notation x 7→ y bedeutet, dass x auf y abgebildet wird, d.h. (x, y) ist ein Element derfunktionalen Relation.Der Begriff

”Funktion“ ist gleichbedeutend zum Begriff

”Abbildung“. Es gibt Situationen, in denen

man haufiger den Begriff”Abbildung“ nutzt, in anderen ist der Begriff

”Funktion“ gebrauchlicher.

Zum Beispiel, wenn der Zielbereich die reellen Zahlen sind, so redet man von (reell-wertigen)Funktionen.

31.10.

Beispiele 7.10.

(a) f := {(x, x2) ‖x ∈ [0, 5]} ⊂ [0, 5]×R ist eine funktionale Relation mit D(f) = [0, 5] und B(f) =[0, 25]. Dann ist f : [0, 5]−→[−4, 40] eine Abbildung. Wir schreiben derartige Abbildungen als

f : [0, 5] −→ [−4, 40]

x 7→ x2

Alternativ kann man die zweite Zeile auch durch f(x) = x2 oder f(x) := x2 ersetzen.

26 1. ELEMENTARE LOGIK UND GRUNDLAGEN DER MATHEMATIK

(b) Sei f wie oben. Die Abbildungen F1 := (f, [0, 5], [0, 25]) und F2 := (f, [0, 5], [−4, 40]) sindverschieden, obwohl dieselbe funktionale Relation f zu Grunde liegt.

(c) Die Identitat idM von M ist die Abbildung (δM ,M,M), die wir (dem obigen Beispiel folgend)auch als M−→M , x 7→ x schreiben konnen.

(d) Ist M eine Teilmenge von N , so nennen wir die Abbildung (δM ,M,N) die Inklusion von Min N oder genauer Inklusion der Menge M in die Menge N . 20

Bemerkung 7.11. Aus Ihrer jetzigen Sicht ist der essentielle Unterschied zwischen einer funktiona-len Relation und einer Abbildung, dass im Begriff der Abbildung auch der Zielbereich festgelegt ist,wahrend eine funktionale Relation keinen Zielbereich hat. 21 Spater werden der Definitionsbereichund der Zielbereich zusatzliche Struktur tragen: z.B. eine Vektorraumstruktur, eine Gruppenstruk-tur oder eine Abstandsfunktion. Da wichtige Eigenschaften von Abbildungen wie z.B. Linearitatund Stetigkeit von solcher Zusatzstruktur abhangt, wird es dann hilfreich sein, dass auch derDefinitionsbereich im Tripel einer Abbildung enthalten ist.

Es gibt auch einige Teilbereiche der Mathematik und ihren Anwendungen, in denen man D(f) =X durch D(f) ⊂ X ersetzt. Dies ist zum Beispiel bei den

”dicht definierten Operatoren

”der

Funktionalanalysis und der Quantenmechanik der Fall, zum Beispiel der Orts- und der Impuls-Operator der Quantenmechanik.

Bemerkung 7.12. Zur Interpretation: Aquivalenz- und Ordnungs-Relationen auf der einen Seiteund funktionale Relationen sind zwar ahnlich definiert (als Relationen und somit als Mengen, derenElemente Paare sind). Dennoch interpretiert man sie anders: Aquivalenz- und Ordnungsrelationenvergleichen zwei Objekte. Beispiel: die Relation ≤R, gibt an, ob die links stehende Zahl kleiner odergleich der rechts stehenden ist. Die Interpretation von funktionalen Relationen ist dynamischer,x 7→ x2 ordnet x den Wert x2 zu, so wie ein(e) Platzanweiser(in) im Theater jedem Zuschauer sagt,in welchem Stockwerk er den Theatersaal betreten darf: im Parkett (0. Stockwerk) oder im k-tenRang (k-tes Stockwerk): jedem Zuschauer wird ein Stockwerk zugeordnet. Aus diesem Grund istdie Schreibweise xRy fur Ordnungs- und Aquivalenzrelationen ublich, wohingegen die Schreibweisey = R(x) fur funktionale Relationen ublich ist. Beides ist defniert als (x, y) ∈ R.

Bemerkung 7.13. Sei A eine auf M definierte Aussageform und sei f : M−→N eine Abbildung.Dann gilt

{f(x) ‖x ∈M} = {y ∈ N | ∃x ∈M : f(x) = y} = B(f).

Definition 7.14. Sei f : X−→Y eine Abbildung.

20wichtig ist hier die Konjugation von”die Menge“: Genitiv (bzw. von-Konstruktion), dann Akkusativ

21Vergleich zu anderen Lehrbuchern: Es herrscht Uneinigekeit in der Literatur, ob eine Abbildung Informa-

tion uber den Zielbereich tragt oder nicht. Das Lehrbuch [12] unterscheidet in diesem Zusammenhang zwischen

”Funktionen“, die wie unsere

”funktionale Relationen“ definiert sind, und

”Funktionen von X nach Y “, die im

wesentlichen unseren”Abbildungen“ entsprechen. In [17] bedeuten die Begriffe

”funktionale Relation“,

”Funktion“

und”Abbildung“ dasselbe, es bleibt aber dort unklar, ob die oben definierten Abbildungen F1 und F2 in diesem

Buch gleich oder verschieden sind. Wir werden in der Vorlesung die obigen Definitionen nutzen und zulassen, uminnerhalb unserer Analysis I Klarheit zu schaffen.

7. RELATIONEN, FUNKTIONALE RELATIONEN, ABBILDUNGEN 27

(1) Fur M ⊂ X definieren wir die Einschrankung oder Restriktion von f : X−→Y auf M alsdie Abbildung (f |M ,M, Y ), wobei

f |M := {(x, y) ∈ X × Y | x ∈M ∧ y = f(x)} = {(x, f(x)) ‖x ∈M},

(2) Ist g : Y−→Z eine weitere Abbildung, so definieren wir die Verkettung oder die Kompo-sition von g : Y−→Z mit f : X−→Y als die Abbildung (g ◦ f,X,Z), wobei

g ◦ f(x) := g(f(x)).

Man liest g ◦ f als”g nach f“.

Definition 7.15.

(1) Eine funktionale Relation f bzw. eine Abbildung f : X−→Y heißt injektiv , falls gilt

∀x1, x2 ∈ X : (f(x1) = f(x2)→ x1 = x2).

Dies bedeutet, dass jedes Element in X unter f auf ein anderes Element in Y abgebildet wird.(2) Eine Abbildung f : X−→Y heißt surjektiv , falls B(f) = Y .(3) Eine Abbildung f : X−→Y heißt bijektiv , falls sie injektiv und surjektiv ist.

X = D(f)

Y••••

•••••

injektiv

X = D(f)

Y•••••

••••

surjektiv

X = D(f)

Y••••

••••

bijektiv

Abbildung 3: Schemtische Darstellungen von injektiv, surjektiv und bijektiv.

Wenn f eine funktionale Relation ist, so ist f : D(f)−→B(f) eine surjektive Abbildung.

Beispiele 7.16. (in der Vorlesung ubersprungen = grau)

(a) Die Abbildung R−→R, x 7→ x2 ist weder injektiv noch surjektiv.(b) Die Abbildung R>0−→R, x 7→ x2 ist injektiv, aber nicht surjektiv.(c) Die Abbildung R>0−→R>0, x 7→ x2 ist bijektiv.

Um das obige Beispiel der/s Platzanweisers/in nochmals weiter zu entwickeln: Wenn der Platzan-weiser nicht nur das Stockwerk zuordnet, sondern auch den konkreten Sitzplatz, so ist zu hoffen,dass diese Abbildung injektiv ist, da sonst zwei Leute auf dem selben Platz sitzen mussen. Der

28 1. ELEMENTARE LOGIK UND GRUNDLAGEN DER MATHEMATIK

Kassenwart des Theaters hingegen hofft, dass die Abbildung von der Menge der Zuschauer auf dieMenge der Sitzplatze auch surjektiv ist, da dann das Theater voll besetzt ist.

Definition 7.17. Ist R eine Relation und R ⊂M ×M , dann definieren wir

R−1 := {(y, x) ∈M ×M | xRy},Man nennt R−1 die Umkehrung von R.

UBUNG 7.18.

(a) Sei f eine funktionale Relation. Dann ist f−1 genau dann eine funktionale Relation, wenn finjektiv ist.

(b) Ist f : X−→Y eine Abbildung, so ist f−1 : Y−→X genau dann eine Abbildung, wenn f :X−→Y bijektiv ist.

(c) Ist f : X−→Y eine bijektive Abbildung, so gilt f−1 ◦ f = δX und f ◦ f−1 = δY .

Man nennt dann f−1 : Y−→X die Umkehrabbildung von f : X−→Y .

UBUNG 7.19. Seien f : X−→Y und g : Y−→Z Abbildungen. Zeigen Sie:

(1) Ist g ◦ f : X−→Z surjektiv, dann ist auch g surjektiv.(2) Ist g ◦ f : X−→Z injektiv, dann ist auch f injektiv.(3) Geben Sie ein Beispiel an, das zeigt, dass die Umkehrung der Aussage (1) nicht gilt. Das heißt:

finden Sie Abbildungen f : X−→Y und g : Y−→Z, so dass g : Y−→Z surjektiv ist, aber nichtg ◦ f : X−→Z.

(4) Geben Sie ein Beispiel an, das zeigt, dass die Umkehrung der Aussage (2) nicht gilt.

UBUNG 7.20. Seien X und Y Mengen, X 6= ∅. Es gibt eine injektive Abbildung f : X−→Y genaudann, wenn es eine surjektive Abbildung g : Y−→X gibt.22

Siehe: Aufgabe 3 auf Ubungsblatt 3

SATZ 7.21 (Schroder, Bernstein). Seien X und Y Mengen. Angenommen, es gibt eine injektiveAbbildung f : X−→Y und eine injektive Abbildung g : Y−→X, dann gibt es auch eine bijektiveAbbildung g : X−→Y .

Beweis: 2. Ubungsblatt der Linearen Algebra I

Definition 7.22. Seien X und Y Mengen. Wir sagen:

• X und Y sind gleich machtig , falls es eine bijektive Abbildung f : X−→Y gibt.• Y ist machtiger als X, falls es eine injektive Abbildung f : X−→Y und es keine bijektive

Abbildung b : X−→Y gibt.• X ist endlich, falls es eine naturliche Zahl n ∈ N gibt, so dass X und {m ∈ N | 0 < m ≤ n}

gleich machtig sind. Wir schreiben dann #X = n und sagen X hat n Elemente.

22Leider habe ich in der Vorlesung die Bedingung X 6= ∅ vergessen!

7. RELATIONEN, FUNKTIONALE RELATIONEN, ABBILDUNGEN 29

• X ist unendlich, falls X nicht endlich ist. Wir schreiben dann #X =∞.• X ist abzahlbar , falls es eine injektive Abbildung X → N gibt.• X ist uberabzahlbar , wenn X nicht abzahlbar ist. Dann ist X machtiger als N.

UBUNG 7.23. Sei M ein Mengensystem. Fur A,B ∈M definieren wir

A ∼ B :⇐⇒ A und B sind gleichmachtig.

Zeigen Sie, dass ∼ eine Aquivalenzrelation auf M ist.

Beispiele 7.24.(1) #X = 0 ⇐⇒ X = ∅.(2) Endliche Mengen sind abzahlbar (Offensichtlich).(3) X ist abzahlbar unendlich⇐⇒ X und N sind gleich machtig. (Ein Beweis benotigt vollstandige

Induktion, oder die Peano-Axiome oder irgend etwas, was die naturlichen Zahlen charakteri-siert.)

(4) Z und N sind gleich machtig, Q und N sind gleich machtig (Ubung: Beweisen Sie dies!). Alsosind Z und Q abzahlbar unendlich.

(5) R is machtiger als N (wird spater bewiesen!)

!ACHTUNG!. Gilt #X =∞ und #Y =∞, so folgt daraus nicht, dass X und Y gleich machtigsind.

Ist f : X−→Y eine Abbildung und M ⊂ X, so definieren wir

f#(M) := {y ∈ Y | ∃x ∈M : y = f(x)} = {f(x) ‖x ∈M}.Man nennt f#(M) das Bild von M unter f . Wir erhalten eine Abbildung

P(X) −→ P(Y )(7.25)

M 7→ f#(M)

Analog definiert man fur N ⊂ Y :

f#(N) := {x ∈ X | f(x) ∈ N}.Man nennt f#(N) das Urbild von N unter f . Wir erhalten eine Abbildung

P(Y ) −→ P(X)(7.26)

N 7→ f#(N)

Die funktionalen Relationen f# bzw. f# werden in der Literatur (und auch in der Linearen Al-gebra I) oft mit f bzw. f−1 bezeichnet. Dies kann zu Missverstandnisse fuhren, da f und f#verschiedene funktionale Relationen sind und da f−1 nur dann eine funktionale Relation ist, wennf injektiv ist. Wir nutzen deswegen in den nachsten Wochen die Bezeichnungen f# und f# wieoben, um Missverstandnisse zu vermeiden. Spater (ab Analysis II) schreiben wir auch einfach fund f−1.

UBUNG 7.27. Sei f : X−→Y eine Abbildung, A,B ⊂ X und M,N ⊂ Y . Zeigen Sie

30 1. ELEMENTARE LOGIK UND GRUNDLAGEN DER MATHEMATIK

(1) f#(A ∩ B) ⊂ f#(A) ∩ f#(B). Geben Sie ein Beispiel an, das zeigt, dass diese Teilmengemanchmal eine echte Teilmenge ist.

(2) f#(A ∪B) = f#(A) ∪ f#(B).(3) A ⊂ B → f#(A) ⊂ f#(B).(4) f#(M ∩N) = f#(M) ∩ f#(N).(5) f#(M ∪N) = f#(M) ∪ f#(N).(6) M ⊂ N → f#(M) ⊂ f#(N).(7) A ⊂ f#(f#(A)). Geben Sie ein Beispiel an, das zeigt, dass diese Teilmenge manchmal

eine echte Teilmenge ist.(8) f#(f#(M)) ⊂ M . Geben Sie ein Beispiel an, das zeigt, dass diese Teilmenge manchmal

eine echte Teilmenge ist.(9) f#(M rN) = f#(M) r f#(N)

Die Aussagen (1) und (2) werden auf dem 3. Ubungsblatt dieser Vorlesung bewiesen. Die Aussagen(7), (8) und (9) wurden auf dem 2. Ubungsblatt der Linearen Algebra gezeigt.

8. Familien

Definition 8.1. Seien I und M Mengen. Eine (I-indizierte) Familie von Elementen von M istdasselbe wie eine Abbildung von I nach M . Wenn man eine Abbildung f : I−→M als Familieinterpretiert, so schreiben wir sie als (f(i))i∈I oder als (f(i) | i ∈M). Die Menge aller I-indiziertenFamilien von Elementen von M ist also M I = Abb(I,M). Eine Familie (f(i))i∈I heißt nicht-leer,falls I nicht die leere Menge ist. Die Menge I heißt Indexmenge. Ist die Indexmenge I := N oderI := N>0, so nennt man die Elemente in M I = Abb(I,M) oft auch M -wertige Folgen oder Folgenin M .

Beispiele 8.2. (a) Eine (reell-wertige) Folge ist definiert als N-indizierte Familie von reellen Zah-len. Eine solche Folge ist also eine Abbildung N−→R, die wir als (ai)i∈N schreiben. Alternativdarf man diese Folge auch in der Form (a0, a1, a2, a3, . . .) schreiben.

(b) Sei M eine Menge. Ein k-Tupel (a1, a2, . . . , ak) ∈Mk definiert dann die Familie (aj)j∈{1,2,...,k}.

Wir erhalten eine bijektive Abbildung F : Mk−→M{1,...,k}, (a1, a2, . . . , ak) 7→ (aj)j∈{1,2,...,k}.

Die Elemente von Mk wurden ganz anders”definiert“ als die Elemente von M{1,...,k}. Den-

noch haben die Elemente von Mk und die von M{1,...,k} nahezu identische Eigenschaften: beidesind durch eine geordnete Liste mit k Elementen von M beschreibbar. Damit uns die Forma-lien nun nicht erdrucken, ist es nun sinnvoll so zu tun, als ware (a1, a2, . . . , ak) dasselbe wie(aj)j∈{1,2,...,k}. Man sagt dazu (a1, a2, . . . , ak) wird mit (aj)j∈{1,2,...,k} identifiziert. Dadurch

identifizieren wir auch automatisch Mk mit M{1,...,k}. Um zu unterstreichen, dass dieses Iden-tifizieren von obigem F abhangt sagen wir: wir identifizieren Mk mit M{1,...,k} vermoge F .Wer das Wort

”vermoge“ nicht mag, kann auch

”mit Hilfe von“ sagen. 23

23Es stellt sich hier unweigerlich die Frage, wieso wir nicht gleich Elemente in M ×M als Abbildungen von{1, 2}−→M definiert haben. Dies geht aber leider nicht, da wir zur Einfuhrung von Abbildungen bereits wissenmussten, was ein Paar und was ein kartesisches Produkt ist.

8. FAMILIEN 31

(c) Die Basis eines Vektorraums ist eine Familie von Vektoren, die linear unabhangig sind und denVektorraum erzeugen.

Bemerkung 8.3. Wenn Sie eine ahnliche Aussage oder Definition wie das obige (b) in der Schu-le gesehen haben, so stand dort wahrscheinlich nicht eine

”Familie von Vektoren“, sondern eine

”Menge von Vektoren“. Dies ist aber aus mehreren Grunden problematisch, z.B. erhalten wir mit

dieser Mengendefinition, dass

B :=

{(10

),

(01

),

(10

)}eine Basis von R2 ist. Man beachte, dass B genau zwei Elemente enthalt, da zwischen obigenMengenklammern zweimal derselbe Vektor steht.Die Aussage

”Seien v1 und v2 Vektoren in R2. Dann ist {v1, v2} eine Basis von R2 genau dann wenn {v1, v2}

linear unabhangig sind.“

ist falsch, denn im Fall v1 = v2 6= 0 ist {v1, v2} = {v1} und somit linear unabhangig. Aber {v1} istkeine Basis von R2. Korrekt ist hingegen die Aussage:

”Seien v1 und v2 Vektoren in R2. Dann ist (vi)i∈{1,2} eine Basis von R2 genau dann wenn

(vi)i∈{1,2} linear unabhangig ist.“

Anschaulich gilt: Familien registrieren Mehrfachnennungen. Uber {1, 2 . . . , k} oder uber N indizier-te Mengen registrieren auch die Ordnung der Elemente.

Definition 8.4. Ist (Mi)i∈I eine Familie von Mengen, (d.h. jedes Mi ist eine Menge), so definierenwir ⋃

(Mi | i ∈ I) :=⋃{Mi | i ∈ I} = {x | ∃i ∈ I : x ∈Mi}

und falls (Mi)i∈I nicht-leer ist⋂(Mi | i ∈ I) :=

⋂{Mi | i ∈ I} = {x | ∀i ∈ I : x ∈Mi}.

Wir schreiben auch⋃i∈IMi fur

⋃(Mi | i ∈ I) und

⋂i∈IMi fur

⋂(Mi | i ∈ I).

Kartesische Produkte von Mengenfamilien.Wir haben bereits Mk mit M{1,...,k} identifiziert. Die Elemente von MN sind also eine Art

”un-

endliches kartesisches Produkt“. Solche Produkte sind seit Ende des 19. Jahrhunderts in vielenBereichen der Mathematik ganz wichtig. Dieser Begriff soll deswegen prazisiert werden. Wir wollenauch gleich Produkte in der Form M1 ×M2 × . . . zulassen, d.h. die Mi (genannt Faktoren) durfenverschieden sein.

32 1. ELEMENTARE LOGIK UND GRUNDLAGEN DER MATHEMATIK

Definition 8.5 (Kartesische Produkte von Mengenfamilien). Gegeben sei eine Familie (Mi)i∈Ivon Mengen, d.h. gegeben sei eine Indexmenge I und fur jedes i ∈ I eine Menge Mi. Wir definierenzunachst M :=

⋃i∈IMi. Das kartesische Produkt der Familie (Mi)i∈I ist definiert als∏

i∈IMi :=

{(mi)i∈I ∈M I | ∀i ∈ I : mi ∈Mi

}Beispiele 8.6.

∏i∈IM = M I

Analog zu Beispiele 8.2 (b) kann man∏i∈{1,...,k}Mi mit M1 × · · · ×Mk identifizieren.

Ein Mi in der obigen Definition nennt man den i-ten Faktor oder die i-te Komponente. Fur einfixiertes i0 ∈ I nennt man die Abbildung∏

i∈IMi −→ Mi0

(mi)i∈I 7→ mi0

die i0-te kanonische Projektion.

Literatur fur das bisherige Kapitel

Das Buch [12] ist eine recht ausfuhrliche und leicht lesbare Einfuhrung in die mengentheoretischenGrundlagen der Mathematik. Das Buch [17] ist deutlich kurzer und beschrankt sich mehr auf daswesentliche, aber fur manche Anfanger vielleicht etwas zu dicht geschrieben. Es fokussiert sichauch mehr auf besonders interssante Aspekte. Die wichtigsten Begriffe in Kurze finden sich auchim Buch von D. Grieser [18], das auf dem Skript seiner Analysis-Vorlesung [19] aufbaut. WeitereLiteratur ist das Buch von Halmos in einer deutschen und englischen Fassung [20]. Einen deutlichtiefer gehenden Einstieg in die Mengenlehre findet man in [13].

KAPITEL 2

Zahlen

2.11.

Ab jetzt schreiben wir → oder −→ fur Abbildungen, statt wie bisher das rote Symbol −→ zuverwenden. Wir schreiben {f(x) | x ∈M} statt {f(x) ‖x ∈M}. Die exakte Bedeutung kann manaus dem Kontext heraus ablesen.

Der einleitende Teil der Vorlesung ist nun beendet und wir — Professoren, Mitarbeiter, Tutorenund die Horer der Vorlesung — sollten uns bemuhen, ab jetzt deutlich rigorosere Begrundungenzu geben. Wenn aus Zeitgrunden nicht alles bewiesen werden kann, so mussen wir klar darstellen,wo genau wir kleinere Lucken lassen, und andeuten, wie diese geschlossen werden konnen (EigenesNachdenken, Anhang, Literatur, Zentralubung, Ubungsblatter, etc.).

1. Die naturlichen Zahlen

Die Axiome fur die naturlichen Zahlen bilden die Peano-Axiome, benannt nach dem italienischenMathematiker Guiseppe Peano (1858–1932).

AXIOME 1.1 (”Axiome“ der naturlichen Zahlen (Peano-Axiome)). Die naturlichen Zahlen beste-

hen aus

• einer Menge N,• einem (ausgewahlten) Element in N, das wir 0 nennen,• und einer Abbildung s : N −→ N, x 7→ s(x), genannt die Nachfolger-Abbildung.

Wir fordern, dass hierfur folgenden Eigenschaften, genannt die Peano-Axiome, erfullt sind:

(P1) 0 6∈ B(s) (das heißt: 0 ist nicht im Bild von s)(P2) Die Abbildung s : N −→ N ist injektiv.(P3) (Induktionsaxiom) Erfullt T ⊂ N die Bedingungen 0 ∈ T und s#(T ) ⊂ T , dann gilt bereits

T = N.

Alles, was Sie uber die naturlichen Zahlen kennen, kann man darauf aufbauen, zum Beispiel Addi-tion, Multiplikation und Exponieren von naturlichen Zahlen, die bekannten Gesetze (zum Beispiel:Kommutativitat von Addition und Multiplikation, Assoziativitat von Addition und Multiplikati-on, Distributivgesetz, Potenzgesetz) kann man daraus herleiten. Da dies in der Linearen Algebra

33

34 2. ZAHLEN

I detailiert besprochen werden soll, werden wir dies in der Analysis I nur erwahnen. Fur Detailsverweisen wir auch auf Anhang B, der manche dieser Aspekte ausfuhrt.

Auf den naturlichen Zahlen N definiert man eine Relation ≤ auf N wie folgt: Fur alle n,m ∈ Ngelte:

n ≤ m⇐⇒ ∃k ∈ N : n+ k = m.

Dies ist eine totale Ordnungsrelation auf N, was auch ein paar hier nicht ausgefuhrte Beweiseerfordert, wenn man alles von Grund auf beweist. Ferner definiert man

n ≥ m :⇐⇒ m ≤ nn < m :⇐⇒ n ≤ m ∧ ¬n = m

n > m :⇐⇒ m < n

Aus den Peano-Axiomen leitet man zwei wichtige Satze her: den Satz uber vollstandige Induktionund den Dedekindschen Rekursionssatz, beide werden in Anhang B bewiesen.

SATZ 1.2 (Dedekindscher Rekursionssatz). Sei M eine Menge, a ∈M und g : M ×N −→M eineAbbildung.1 Dann gibt es genau eine Abbildung f : N −→M so dass f(0) = a und

∀n ∈ N : f(n+ 1) = g(f(n), n).

Wenn man alles sauber aufbauen will, so sind zunachst die Summe +, das Produkt · und dasExponieren durch den Rekursionssatz zu definieren, siehe Anhang B. Wir wollen diese Operationenaber als gegeben voraussetzen.

Beispiel 1.3 (Definition der Fakultat). Wir setzen M := N, a = 1 und g(m,n) := (n + 1) · m.Dann nennt man die Abbildung f , die uns Satz 1.2 liefert, die Fakultat. Wir schreiben n! stattf(n). Klammerkonvention: ! wird vor + und · ausgefuhrt. Somit ist ! : N→ N die einzige Funktion,die die Eigenschaften

0! = 1

∀n ∈ Nr {0} : n! = n · (n− 1)!

erfullt. Es gilt somit 1! = 1, 2! = 1 · 2, 3! = 1 · 2 · 3, . . . , n! = 1 · 2 · · · · · n.

Beispiel 1.4 (Summen- und Produktsymbole). Oft ist es wichtig, Ausdrucke der Form

a1 + . . .+ an

exakt zu beschreiben. Hierzu fuhren wir ein Symbol∑nj=1 ein. Man definiert rekursiv

0∑j=1

aj := 0

1Man schreibt hier und immer in vergleichbaren Situationen dann g(m,n) statt g((m,n)).

1. DIE NATURLICHEN ZAHLEN 35

und fur alle n ∈ Nn+1∑j=1

aj :=

n∑j=1

aj

+ an+1.

Dann ist2n∑j=1

aj = a1 + . . .+ an.

Analog hierzu0∏j=1

aj := 1

und fur alle n ∈ Nn+1∏j=1

aj :=

n∏j=1

aj

· an+1.

Insbesondere gilt also n! =∏nj=1 j.

Wir nutzen3 auch folgende Verallgemeinerung: Es seien k, n ∈ Z und es gelte k ≤ n + 1. Danndefiniert mann∑j=k

aj :=

n−k+1∑j=1

aj+k−1 = ak + ak+1 + . . .+ an,

n∏j=k

aj :=

n−k+1∏j=1

aj+k−1 = ak · ak+1 · · · · · an.

SATZ 1.5 (Vollstandige Induktion). Sei A( · ) eine auf N definierte Aussageform. Wir setzenvoraus, dass Induktionsanfang und Induktionsschritt erfullt sind:Induktionsanfang: A(0) ist wahr.Induktionsschritt: Fur alle n ∈ N gilt: (A(n) =⇒ A(n+ 1))).Dann gilt fur alle n ∈ N die Aussage A(n).

Im Induktionsschritt nennt man A(n) die Induktionsvoraussetzung .

Beispiel 1.6. Wir wollen zeigen, dass fur alle n ∈ N die folgende Aussage wahr ist

A(n) :

n∑j=1

j =1

2n (n+ 1).

Induktionsanfang n = 0

Fur n = 0 steht auf der linken Seite (l.S.) nach Definition∑nj=1 j = 0.

Auf der rechten Seite (r.S.) haben wir 120 (0 + 1) = 0. Somit l.S. = r.S..

2Dies ist genau genommen keine Aussage, sondern die Definition des Ausdrucks a1 + . . .+ an, der bisher nichtso klar definiert war, da die Bedeutung der Punkte unklar blieb.

3Solange wir Z noch nicht eingefuhrt haben, sollte man k, n ∈ N annehmen.

36 2. ZAHLEN

Deswegen ist A(0) wahr.

Induktionsschritt von n auf n+ 1

Nach Induktionsvorraussetzung gilt bereits die Aussage A(n), also

n∑j=1

j =1

2n (n+ 1).

Zu zeigen ist A(n+ 1), also die Aussage

n+1∑j=1

j =1

2(n+ 1)

((n+ 1) + 1

).

Wir berechnen die linke Seite:n+1∑j=1

j =( n∑j=1

j)

+ (n+ 1) =1

2n (n+ 1) + (n+ 1) =

n (n+ 1) + 2 (n+ 1)

2) =

1

2(n+ 2) (n+ 1).

Wir berechnen die rechte Seite:

1

2(n+ 1)

((n+ 1) + 1

)=

1

2(n+ 1) (n+ 2).

Also wieder l.S. = r.S..

Damit haben wir gezeigt, dass A(n+ 1) aus A(n) folgt.

Schlussfolgerung (wird normalerweise nicht mehr aufgeschrieben, da es bei jeder vollstandigenInduktion immer dasselbe Argument ist)

Die Voraussetzungen von Satz 1.5 sind also erfullt, deswegen gilt fur alle n ∈ N die AussageA(n).

Beispiel 1.7 (Geometrische Summe). Sei q ∈ Nr {1} (oder q ∈ Rr {1} oder q ∈ Cr {1} oder inirgendeinem unitaren Ring R, so dass (1− q)−1 existiert).

Wir wollen zeigen, dass fur alle n ∈ N die folgende Aussage wahr ist

A(n) :

n∑j=0

qj =1− qn+1

1− q.

Wir multiplizieren auf beiden Seiten mit 1 − q und erhalten daraus die zu A(n) aquivalente Aus-sageform

A(n) : (1− q)n∑j=0

qj = 1− qn+1,

die wir durch Induktion uber n zeigen wollen.

Induktionsanfang n = 0

1. DIE NATURLICHEN ZAHLEN 37

Fur n = 0 rechnen wir

(1− q)0∑j=0

qj = (1− q)q0 = (1− q) 1 = 1− q1 = 1− q0+1.

Deswegen ist A(0) wahr.

Induktionsschritt von n auf n+ 1

Nach Induktionsvorraussetzung gilt bereits die Aussage A(n), also

(1− q)n∑j=0

qj = 1− qn+1.

Zu zeigen ist A(n+ 1), also die Aussage

(1− q)n+1∑j=0

qj = 1− q(n+1)+1.

Wir berechnen:

(1− q)n+1∑j=0

qj = (1− q)(( n∑

j=0

qj)

+ qn+1

)= (1− q)

( n∑j=0

qj)

︸ ︷︷ ︸=1−qn+1

+(1− q) qn+1

= 1− qn+1 + qn+1 − qn+2 = 1− qn+2.

Also haben wir A(n+ 1) gezeigt.

Auch die folgenden elementaren Gesetze der naturlichen Zahlen mussen bei einem logisch vollstandi-gen Aufbau durch vollstandige Induktion gezeigt werden. Genau genommen, lange bevor wir obigeBeispiele diskutieren konnen. Aus Zeitgrunden werden wir dies nicht ausfuhren, sondern ebenfallswieder auf Anhang B des Skripts verweisen.

SATZ 1.8. (N,+, ·) erfullt die folgenden Eigenschaften:

(Aa) Addition ist assoziativ.Fur alle x, y, z ∈ N gilt

(x+ y) + z = x+ (y + z).

(An) Addition hat neutrales Element.Es gibt ein Element 0 ∈ N, so dass fur alle x ∈ N gilt

x+ 0 = 0 + x = x.

(Diese Null ist unsere bisherige!)

38 2. ZAHLEN

(Ak) Addition ist kommutativ.Fur alle x, y ∈ N gilt

x+ y = y + x.

(Ma) Multiplikation ist assoziativ.Fur alle x, y, z ∈ N gilt

(x · y) · z = x · (y · z).(Mn) Multiplikation hat neutrales Element.

Es gibt ein Element 1 ∈ N, so dass fur alle x ∈ N gilt

x · 1 = 1 · x = x.

(Diese Eins ist unsere bisherige!)(Mk) Multiplikation ist kommutativ.

Fur alle x, y ∈ N gilt

x · y = y · x.(AMd) Addition und Multiplikation erfullen das Distributivgesetz.

Fur alle x, y, z ∈ N gilt

x · (y + z) = x · y + x · z

(y + z) · x = y · x+ z · x

Eine weitere elementare Eigenschaft von N, die in der Linearen Algebra gezeigt wurde, ist die Wohl-ordnung von N. Einen Beweis findet man in Anhang B, wo der Satz nochmals als Proposition 3.3wiederholt ist.

SATZ 1.9 (Wohlordnung von N). Jede nicht-leere Teilmenge T von N besitzt ein Minimum.

Hierbei nennen wir y ein Minimum von T , falls y ∈ T und ∀x ∈ T : y ≤ x. Wenn eine Mengemit Ordungsrelation ein Minimum besitzt, so ist dieses eindeutig; diese Eindeutigkeit folgt direktaus der Antisymmetrie. Falls ein Minimum y in M existiert, so schreiben wir y = minM . Wirerhalten analog die Definition eines Maximums, wenn y ≤ x durch y ≥ x ersetzen, und schreibendann y = maxM .

SATZ 1.10. Ist M eine abzahlbar unendliche Menge, dann sind M und N gleich machtig.

Beweis. Da M abzahlbar ist, gibt es eine injektive Abbildung f : M → N. Wir definieren Q :=f#(M). Da f injektiv ist, ist die Abbildung

M −→ Q

x 7→ f(x)

bijektiv. Also sind M und Q gleich machtig. Zu zeigen bleibt, dass Q und N gleich machtig sind.

Zeichnung mit Q in N und der Abbildung g, die das nachsthohere Element sucht.

2. ETWAS KOMBINATORIK 39

Wir definieren fur k ∈ N:Q>k := {x ∈ Q | x > k}.

Behauptung: ∀k ∈ N : Q>k 6= ∅.

Begrundung: Angenommen Q>k = ∅, dann ware Q ⊂ {1, 2, . . . , k}, also ware Q und somit Nendlich. Widerspruch.

Wir definieren g : Q −→ Q als

g(k) := das Minimum von Qk.

Die Funktion ist wohldefiniert wegen Satz 1.9. Aus der Definition von g ergibt sich insbesondereg(k) > k.

Definiere rekursiv mit Hilfe des Dedekindschen Rekursionssatzes die Funktion h : N→ Q durch

h(0) := das Minimum von Q,

∀n ∈ N : h(n+ 1) := g(h(n)).

Somit gilt h(n+ 1) > h(n), und deswegen zeigt man leicht (durch eine weitere vollstandige Induk-tion), dass h : N → Q injektiv ist.4 Da die Inklusion Q → N injektiv ist, folgt aus dem Satz 7.21von Schroder-Bernstein, dass Q und N gleich machtig sind.

2. Etwas Kombinatorik

Um den Umgang mit naturlichen Zahlen zu uben, zeigen wir einige Aussagen, die in der Kombi-natorik wichtig sind.

SATZ 2.1. Fur endliche Mengen N und Q gilt (#N) · (#Q) = #(N ×Q).

Beweis.

Sei also s := #N und t := #Q. Es gibt also bijektive Abbildung ϕ : N → {1, 2, . . . , s} 5 undψ : N → {1, 2, . . . , t}. Dann ist die Abbildung

ϕ× ψ : N ×Q −→ {1, 2, . . . , s} × {1, 2, . . . , t}(n, q) 7→ (ϕ(n), ψ(q))

bijektiv und man zeigt auch sofort, dass

p : {1, 2, . . . , s} × {1, 2, . . . , t} −→ {1, 2, . . . , ts}(a, b) 7→ a+ s(b− 1)

bijektiv ist. Also

#(N ×Q) = #({1, 2, . . . , s} × {1, 2, . . . , t}) = #({1, 2, . . . , ts}) = ts.

7.11.

4Die Abbildung h : N→ Q ist sogar bijektiv, aber wir benotigen dies im folgenden nicht.5Hier gilt immer: {1, 2, . . . , s} := {r ∈ N | 0 < r ≤ s}, insbesondere ist es die leere Menge, falls s = 0.

40 2. ZAHLEN

SATZ 2.2. Sei n ∈ Nr{0}. Angenommen M hat k Elemente. Dann ist kn die Anzahl der Elementevon Mn = M × · · · ×M︸ ︷︷ ︸

n−mal

.

Der Beweis ist eine einfach Induktion, die nun jeder selbst durchfuhren konnen sollte.

Beweis. Wir zeigen den Satz durch vollstandige Induktion uber n ∈ Nr {0}:

A(n) : #(Mn) = (#M)n.

2. ETWAS KOMBINATORIK 41

Induktionsanfang n = 1Offensichtlich wegen M1 = M und k1 = k.

Induktionsschritt von n auf n+ 1

#(Mn+1) = #(M ×Mn) = (#M) · (#(Mn)) = (#M) · (#M)n = (#M)n+1

Hierbei folgt das erste Gleichheitsszeichen direkt aus der Definition von Mn+1, das zweite aus demvorangehenden Satz, das dritte nach Induktionsvoraussetzung und das letzte aus der Definitionvon Potenzen in N.

SATZ 2.3. Angenommen, eine Menge M hat n ∈ N Elemente, dann gibt es 2n Elemente in P(M).

Auch dies beweist man durch Induktion uber n.

Beweis. Induktionsanfang n = 0

Die leere Menge ∅ ist die einzige Menge mit 0 Elementen. Sie hat einzige Teilmenge, namlich ∅.

Induktionsschritt von n auf n+ 1

Nun sei #M = n+ 1 und sei x ∈M . Definiere M ′ := M r {x}.

Wir definieren F : P(M ′)× {0, 1} −→ P(M) durch (A, 0) 7→ A und (A, 1) 7→M rA.

Die Umkehr-Abbildung ist

G : P(M) −→ P(M ′)× {0, 1}

B 7→

{(B, 0) falls x /∈ A(M rB, 1) falls x ∈ A

Man uberpruft leicht, dass G die Umkehrfunktion von F ist. Also ist F bijektiv. Wir erhalten nachInduktionsvoraussetzung

#P(M) = #(M ′ × {0, 1}) Satz 2.1= (#M ′)(#{0, 1}) = 2n · 2 = 2n+1.

Ahnlich zeigt man auch: sind M und N endliche Mengen, dann gilt

#(Abb(M,N)) = (#N)(#M),

oder in der anderen Schreibweise

#(NM ) = (#N)(#M).

Definition 2.4. Eine Permutation einer Menge M ist eine bijektive Abbildung von M nach M .

SATZ 2.5. Angenommen M hat n Elemente. Dann ist n! die Anzahl der Permutationen von M .

42 2. ZAHLEN

Interpretation: n! ist die Anzahl der Moglichkeiten, n unterscheidbare Objekte anzuordnen.

Satz 2.5 ist ein Spezialfall von Satz 2.6, folgt also bereits aus Satz 2.6.

SATZ 2.6. Seien M und N endliche Mengen mit #M ≥ #N . Dann ist die Anzahl der injektivenAbbildungen von N nach M gleich

(#M)!

(#M −#N)!.

Interpretation: m!/(m− n)! = m · (m− 1) · . . . · (m− n+ 1) ist die Anzahl der Moglichkeiten, auseiner Menge von m unterscheidbaren Objekten n Objekte herauszunehmen und anzuordnen.

Beweis. Wir zeigen durch Induktion uber n ∈ N fur festes k ∈ N .

A(n, k) :

{Gilt #M = n+ k und #N = n, dann gibt es(n+ k)!/k! viele injektive Abbildungen N −→M .

Induktionsanfang n = 0.

Also N = ∅. Dann ist ∅ : ∅ →M die einzige Abbildung von N nach M . Sie ist injektiv. Andererseitsgilt dann (n+ k)!/k! = k!/k! = 1.

Induktionsschritt von n auf n+ 1.

Sei #N = n+ 1 und #M = n+ 1 +k. Wir wahlen ein a ∈ N . Es gibt n+k+ 1 Moglichkeiten, demElement a ein Element von M zuzuweisen. Sobald festgelegt ist, dass a auf ein b ∈ M abgebildetwird, kann noch eine injektive Abbildung von N r {a} auf M r {b} gewahlt werden. Hierfur gibtes nach Induktionsvoraussetzung (n + k)!/k! Moglichkeiten. Somit ist die Anzahl der injektivenAbbildungen von N nach M durch

(n+ k + 1) · (n+ k)!

k!=

(n+ k + 1) (n+ k)!

k!=

(n+ k + 1)!

k!

gegeben.

SATZ 2.7. Seien m, k ∈ N. Die Anzahl der k-elementigen Teilmengen von einer Menge mit mElementen, m ≥ k ist: (

mk

):=

m!

k! (m− k)!.

Die oben definierte Zahl

(mk

)heißt Binomialkoeffizient .

Beweis. Sei N eine Teilmenge mit k Elementen von M , m = #M . Die Anzahl der bijektivenAbbildungen {1, 2, . . . , k} −→ N ist k!. Jede solche bijektive Abbildung {1, 2, . . . , k} −→ N ergibteine injektive Abbildung {1, 2, . . . , k} −→ M , und umgekehrt ergibt jede injektive Abbildung

2. ETWAS KOMBINATORIK 43

f : {1, 2, . . . , k} −→ M , x 7→ f(x) eine bijektive Abbildung f : {1, 2, . . . , k} −→ B(f), x 7→ f(x).Ist deswegen r die Anzahl der k-elementigen Teilmengen von M , dann ist r · k! die Anzahl derinjektive Abbildungen f : {1, 2, . . . , k} −→ M . Nach vorigem Satz also r · k! = m!/(m − k)! unddaraus ergibt sich

r =

(mk

).

Offensichtlich gilt

(mk

)=

(m

m− k

).

Wir setzen zudem

(mk

):= 0 fur m, k ∈ Z, falls k < 0 oder k > m.

Sei M = {1, 2, . . . ,m}. Dann hat M wegen Satz 2.3 2m Teilmengen. Da es

(mk

)Teilmengen mit

k Elementen gibt, folgt:

FOLGERUNG 2.8. Fur m ∈ N gilt

2m =

m∑k=0

(mk

).

SATZ 2.9. Es gelte m, k ∈ Z und m > 0. Dann gilt:

(m− 1k − 1

)+

(m− 1k

)=

(mk

).

Beweis. In den Fallen m = k ∈ Nr {0} und den Fallen k = 0, m ∈ Nr {0} haben wir

(mk

)= 1,

ein Summand ist 0 und der andere 1. Die Behauptung ist trivialerweise richtig, falls k < 0 oderk > m.

44 2. ZAHLEN

In den ubrigen Fallen rechnen wir

(m− 1k − 1

)+

(m− 1k

)=

(m− 1)!

(k − 1)! (m− 1− k + 1)!+

(m− 1)!

k! (m− 1− k)!

=k (m− 1)!

k (k − 1)! (m− k)!+

(m− k)(m− 1)!

k! (m− k) (m− 1− k)!

=(k +m− k) (m− 1)!

k! (m− k)!

=m!

k! (m− k)!

Pascalsches Dreieck

Bild eines Pascalschen Dreiecks

Alternativ auch hier zu sehen.

SATZ 2.10 (Binomische Formel). Seien x, y ∈ R oder in einem beliebigen kommutativen Ring6

mit 1. Sei n ∈ N.

Dann gilt

(x+ y)n =

n∑k=0

(nk

)xkyn−k.

Hierbei nutzen wir die Definition: x0 = y0 = (x+ y)0 = 1.

Beweis. Induktionsanfang n = 0

Auf beiden Seiten steht dann 1.

6Wenn Sie diesen Begriff des nachsten Abschnitts noch nicht kennen, ignorieren Sie bitte diesen Fall und

betrachten Sie zunachst den Fall x, y ∈ N oder x, y ∈ R.

3. DIE GANZEN ZAHLEN 45

Induktionsschritt von n− 1 auf n fur n ∈ N>0

(x+ y)n = (x+ y) (x+ y)n−1

= (x+ y)

(n−1∑k=0

(n− 1k

)xkyn−k−1

)

=

n−1∑k=0

(n− 1k

)xk+1yn−k−1 +

n−1∑k=0

(n− 1k

)xkyn−k

=

n∑k=1

(n− 1k − 1

)xkyn−k +

n−1∑k=0

(n− 1k

)xkyn−k

=n∑k=0

(n− 1k − 1

)xkyn−k +

n∑k=0

(n− 1k

)xkyn−k

=

n∑k=0

((n− 1k − 1

)+

(n− 1k

))xkyn−k

=

n∑k=0

(nk

)xkyn−k.

Hierbei nutzen wir die Induktionsvoraussetzung in der zweiten Zeile, das Distributivgesetz in derdritten, in der vierten Zeile wird im ersten Summand k durch k + 1 ersetzt. Danach nutzen wir(

n− 1−1

)=

(n− 1n

)= 0,

dann wieder das Distributivgesetz und letztendlich Satz 2.9.

3. Die ganzen Zahlen

Der nachste Schritt ist nun, die Menge der uns bekannten Zahlen Schritt fur Schritt zu erweitern:

N ⊂ Z ⊂ Q ⊂ R ⊂ C

Wir wollen diese Erweiterungen durch Eigenschaften charakterisieren.

Wir schreibenZ := {. . . ,−2,−1, 0, 1, 2, . . .} ⊃ N

fur die ganzen Zahlen.7

7Wir wollen wiederum Z nur durch charakterisierende Eigenschaften beschreiben, aber kein Modell konstruie-

ren, das diese Eigenschaften erfullt. Ein derartige Modell kann man zum Beispiel konstruieren in dem man auf N×N

46 2. ZAHLEN

Die Addition und die Multiplikation kann man zu Abbildungen

+ : Z× Z −→ Z, (a, b) 7→ a+ b· : Z× Z −→ Z, (a, b) 7→ a · b

erweitern, so dass die Eigenschaften (Aa), (Ak), (An), (Ma), (Mk), (Mn) und (AMd) weiterhingelten, wenn man dort N durch Z ersetzt. Außerdem gilt

(Ai) Addition hat inverse Elemente.Zu jedem x ∈ Z gibt es ein y ∈ Z, so dass

x+ y = y + x = 0.

Man nennt y das Inverse von x bezuglich der Addition und schreibt normalerweise −xanstelle von y.

Schreibweisex− y := x+ (−y).

Hinzu kommt eine Eigenschaft, die anschaulich besagt, dass die ganzen Zahlen”die kleinste Er-

weiterung“ der naturlichen Zahlen sind, die diese Eigenschaften erfullt. Prazise ausgedruckt:

(MEZ) Minimale Erweiterung.Ist T eine Teilmenge von Z mit N ⊂ T und gilt

∀x, y ∈ T : x+ y ∈ Tund

∀x ∈ T : −x ∈ T,dann gilt bereits T = Z.

Auch die Ordnung ≤ setzt sich auf Z fort und die Eigenschaften (1)–(5) in Lemma 3.1in Anhang B.3gelten weiter.

Eine mit Addition und Mulitplikation versehene Menge, die die Eigenschaften (Aa), (Ak), (An),(Ai), (Ma), und (AMd) erfullt, nennt man Ring . Gilt zusatzlich (Mn), so spricht man von einemRing mit Eins. Ein Ring, der zusatzlich (Mk) erfullt, nennt man einen kommutativen Ring.

Somit ist (Z,+, ·) ein kommutativer Ring mit Eins. Ein Ring (R, +, ·), der die naturlichen Zahlenenthalt 8 und (MEZ) erfullt, stimmt

”im wesentlichen“ mit den ganzen Zahlen uberein. Praziser:

es gibt eine bijektive Abbildung b : Z −→ R mit

∀x, y ∈ Z : b(x+ y) = b(x)+b(y) und b(x · y) = b(x)·b(y).

die Aquivalenzrelation (m,n) ∼ (a, b) ⇐⇒ m + b = n + a einfuhrt; dann sind die Element von Z die Aquivalenz-

klassen dieser Relation. Mit einer ahnlichen Konstruktion kann man aus den ganzen Zahlen die rationalen Zahlen

Q konstruieren. Diese beiden Konstruktion sollen in der Linearen Algebra erklart werden.8Gemeint ist hier: als Unterring enthalt, das heißt es wird gefordert, dass sich die bereits auf Z×Z definiterten

Operatoren + und · sich zu + und · fortsetzen.

4. DIE RATIONALEN ZAHLEN 47

Solche eine bijektive Abbildung, die Addition und Multiplikation erhalt, nennt man einen (Ring)-Isomorphismus oder Isomorphismus von Ringen. Wir sagen: (R, +, ·) ist isomorph (als Ring) zu(Z,+, ·) und schreiben (R, +, ·) ∼= (Z,+, ·).

Notation. Den Ring der ganzen Zahlen schreiben wir zumeist als Z an Stelle von (Z,+, ·), da dieAddition und die Multiplikation aus dem Kontext heraus klar sind.

4. Die rationalen Zahlen

Die rationalen Zahlen sind9

Q :={ zn

∣∣∣ z ∈ Z, n ∈ N>0

}.

Hierbei giltz

n=

y

m⇐⇒ zm = yn.

Die Addition und die Multiplikation setzen sich zu Abbildungen

+ : Q×Q −→ Q, (a, b) 7→ a+ b· : Q×Q −→ Q, (a, b) 7→ a · b

fort, und die Eigenschaften (Aa), (Ak), (An), (Ai), (Ma), (Mk), (Mn) und (AMd) gelten weiterhinfur (Q,+, ·). Außerdem gilt

(Mi) Multiplikation hat inverse Elemente.Zu jedem x ∈ Qr {0} gibt es ein y ∈ Q, so dass

x · y = y · x = 1.

Man nennt y das Inverse von x bezuglich der Multiplikation und schreibt normalerweisex−1 anstelle von y.

9.11.

Anschaulich: Q ist die kleinste Erweiterung von N, die diese Eigenschaften hat.Prazise Bedeutung:

(MEQ) Minimale Erweiterung.Ist T eine Teilmenge von Q mit N ⊂ T und gilt

∀x, y ∈ T : x− y ∈ T∀x ∈ T : ∀x ∈ T r {0} : x · y−1 ∈ T,

dann gilt bereits T = Q.

9An dieser Stelle musste eigentlich gesagt werden, wie zn

definiert ist. Dies wurde in der Linearen Algebra

diskutiert und wird deswegen hier nicht erklart.

48 2. ZAHLEN

Auch die Ordnung setzt sich fort. Die Ordnung auf Q ist total.

Mit Addition und Multiplikation versehene Mengen mit mindestens 2 Elementen nennt manKorper , falls die Eigenschaften (Aa), (Ak), (An), (Ai), (Ma), (Mk), (Mn), (Mi) und (AMd) erfulltsind.

Also ist (Q,+, ·) ein Korper. Wie bei den ganzen Zahlen schreiben wir oft Q fur (Q,+, ·). Je-der Korper, der die naturlichen Zahlen enthalt und (MEQ) erfullt, ist isomorph zum Korper derrationalen Zahlen.

In jedem Korper K gilt 0 6= 1. Denn angenommen, wir hatten 0 = 1, so folgt fur alle x ∈ K:x = 1 · x = 0 · x = 0. Also K = {0}. Dies widerspricht der Forderung, dass K mindestens zweiElemente hat.

UBUNG 4.1. Versehe F2 := {0, 1} mit der folgenden Addition und Multiplikation:

+ 0 1

0 0 11 1 0

· 0 1

0 0 01 0 1

Zeigen Sie, dass (F2,+, ·) ein Korper ist. Man nennt ihn den Korper mit 2 Elementen. Ist (K, +, ·)ein Korper, und hat K genau zwei Elemente, dann ist (K, +, ·) isomorph zu (F2,+, ·).

Die Ordnung auf Z setzt sich zu einer Ordnung auf Q wie folgt fort:

Wir definieren zunachst, wann eine Zahl großer oder gleich Null ist. Fur alle m ∈ Z und allen ∈ N>0 definiere

0 ≤ m

n:⇐⇒ 0 ≤ m · n

Dann definieren wir die Relation ≤ fur beliebige Zahlen a, b ∈ Q:

a ≤ b :⇐⇒ 0 ≤ b− a .

5. Geordnete Korper

Definition 5.1. Ein geordneter Korper ist ein Quadrupel (K,+, ·,≤), so dass die folgenden Ei-genschaften erfullt sind:

(a) (K,+, ·) ist ein Korper,(b) ≤ ist eine totale Ordnung auf K,(c) ∀x, y, z ∈ K : (x ≤ y → x+ z ≤ y + z),(d) ∀x, y, z ∈ K : ((x ≤ y ∧ 0 ≤ z)→ x · z ≤ y · z).

Beispiel 5.2. (Q,+, ·,≤) ist ein geordneter Korper.

5. GEORDNETE KORPER 49

Nicht-Beispiel: Sei (F2,+, ·) der Korper mit zwei Elementen aus Ubung 4.1. Dann gibt es keinetotale Ordnung ≤ auf F2, so dass (F2,+, ·,≤) ein geordneter Korper ist. Vergleiche Ubungsblatt4, Aufgabe 3.

Im Rest dieses Abschnitts sei (K,+, ·,≤) ein geordneter Korper.

Notation 5.3.

x < y :⇐⇒ x ≤ y ∧ x 6= y ⇐⇒ ¬(y ≤ x)

x ≥ y :⇐⇒ y ≤ xx > y :⇐⇒ y < x

x ist positiv :⇐⇒ x > 0

x ist negativ :⇐⇒ x < 0

K≤a := {x ∈ K | x ≤ a}K≥a, K<a, K>a analog.

UBUNG 5.4. Seien a, x, y, z ∈ K. Zeigen Sie, dass aus den Eigenschaften (a)–(d) der obigenDefinition folgt:

(a) a ist genau dann positiv, wenn −a negativ ist.(b) 1 > 0(c) Ist z > 0, dann auch z−1 > 0.(d) Ist z < 0, dann gilt auch z−1 < 0 und dann gilt fur alle x, y ∈ K:

x ≤ y ↔ x · z ≥ y · z.

Beweis: Teile (a) und (b) sind Teil von Ubungsblatt 4, Aufgabe 2. Teile (c) und (d) sind ahnlichzu zeigen.

Zu (c): Sei nun z > 0. Wir zeigen durch Widerspruch z−1 > 0. Wir nehmen hierzu an, dass z−1 ≤ 0.Dann folgt mit Lemma 5.1 (d)

1 = z−1z ≤ 0,

was offensichtlich 1 > 0 widerspricht.

Zu (d): z < 0 ⇐⇒ z−1 < 0 ist nun offensichtlich und man zeigt (d) durch Multiplikation mit −zbzw. −z−1 unter Verwendung von Lemma 5.1 (d).

Wir definieren rekursiv eine Abbildung iN : N −→ K, 0N 7→ 0K , iN(n+ 1) = iN(n) + 1.

LEMMA 5.5.

(a) iN erhalt Addition und Multiplikation, d.h. fur alle n,m ∈ N gilt:

iN(n+m) = iN(n) + iN(m) iN(n ·m) = iN(n) · iN(m)(5.6)

(b) ∀n ∈ N>0 : iN(n) > 0,(c) iN : N −→ K ist injektiv,

50 2. ZAHLEN

Beweis.

(a) durch Induktion uber m ∈ N.(b) und (c) sind Teil von Ubungsblatt 4, Aufgabe 2.

Sprechweise Wenn die Gleichungen (5.6) gelten, sagen wir: iN erhalt Addition und Multiplikation.

LEMMA 5.7. Sei (K,+, ·,≤) ein geordneter Korper. Dann gibt es eine injektive Abbildung iQ :Q −→ K, die iN fortsetzt (das heißt: iQ|N = iN) und so dass iQ Addition und Multiplikation erhalt.Außerdem erhalt iQ die Ordnung, das heißt es gilt fur a, b ∈ Q

a ≤ b⇐⇒ iQ(a) ≤ iQ(b).

Beweisskizze: Fur m ∈ N, n ∈ N>0 definieren wir

iQ

(mn

):=

iN(m)

iN(n)

iQ

(−mn

):= − iN(m)

iN(n)

iQ

(0

n

):= 0

Man muss nun zeigen, dass diese Definition Sinn ergibt. Wir durfen einer rationalen Zahl nichtzwei verschiedene Werte zuweisen. Zu uberprufen ist hierzu

m

n=p

q=⇒ iN(m)

iN(n)=iN(p)

iN(q)

fur alle m,n, p, q ∈ N>0. Die entsprechenden Aussagen sind fur m ≤ 0, p ≤ 0 zu uberprufen. Mansagt dann, die Abbildung iQ ist wohldefiniert . Danach kann man die anderen Eigenschaften leichtbeweisen.

Wir identifizieren nun Q mit B(iQ) vermoge iQ, das heißt wir machen keinen Unterschied mehrzwischen r ∈ Q und iQ(r) ∈ K.

Definition 5.8. Ein geordneter Korper (K,+, ·,≤) heißt archimedisch geordneter Korper , 10 falls

∀a ∈ K : ∃n ∈ N : a ≤ n.

Beispiele 5.9. (a) Q ist archimedisch: Man zeigt leicht fur m,n ∈ N>0: mn ≤ m und −mn ≤ m

und 0n ≤ 1.

(b) In Satz 6.6 werden wir zeigen, dass jeder geordnete Korper, der die Supremumseigenschafterfullt, archimedisch ist. Insbesondere: Sobald wir wissen,

”was R ist“, wissen wir auch, dass

R archimedisch geordnet ist.

10Man sagt manchmal auch: Der Korper erfullt das archimedische Axiom. Diese Sprechweise vermeiden wir

aber, da die archimedische Eigenschaft in dem von uns gewahlten Zugang kein Axiom ist.

5. GEORDNETE KORPER 51

(c) Sei dann K ein Korper mit Q ⊂ K ⊂ R mit der Addition, Multiplikation und Ordung von R.Dann ist auch K ein archimedisch geordneter Korper. Zum Beispiel fur q ∈ Q>0:

K := Q[√q] := {a+ b

√q | a, b ∈ Q} .

(d) Der Korper der rationalen Funktionen mit rationalen Koeffizienten 11

K :=

{x 7→ p(x)

q(x)

∣∣∣ p und q sind Polynome mit rationalen Koeffizienten, q 6= 0

}.

Wir definieren Addition und Multiplikation wie bei den rationalen Zahlen:

p(x)

q(x)+p(x)

q(x):=

p(x)q(x) + p(x)q(x)

q(x) · q(x)

p(x)

q(x)· p(x)

q(x):=

p(x) · p(x)

q(x) · q(x).

Dann ist (K,+, ·) ein Korper. Ein Polynom p wie oben schreiben wir im Fall p 6= 0 als p(x) =a0,p + a1,px+ a2,px

2 . . .+ ak,pxk, k ∈ N0, ak,p 6= 0. Dann heißt deg(p) := k ∈ N0 der Grad des

Polynoms. Wir definieren nun

P :=

{p(x)

q(x)∈ K

∣∣∣ adeg(p),p · adeg(q),q > 0

}Weiter definieren fur r, s ∈ K:

r < s :⇐⇒ s− r ∈ P.Zu zeigen, dass (K,+, ·,≤) ein geordneter Korper ist, ist einige Arbeit, aber nicht sehr schwie-rig.

Angenommen, der Korper ware archimedisch geordnet. Dann gibt es ein n ∈ N mit x ≤ n <n+1. Dann ware also x−(n+1) < 0. Dies ist aber ein Widerspruch zu x−(n+1) = x−(n+1)

1 ∈ P .Also ist dieser geordnete Korper nicht archimedisch.

Sei weiterhin (K,+, ·,≤) ein geordneter Korper.

Definition 5.10. Die Betragsfunktion | · | : K −→ K ist definiert durch

|a| := max{a,−a} =

a falls a > 0

−a falls a < 0

0 falls a = 0

Man nennt |a| auch den Absolutbetrag von a.

11Was wird hier eigentlich mit x 7→ p(x)q(x)

gemeint? Dies ist etwas subtil, es gibt verschiedene Moglichkeiten. 1.)

Man kann es als Abbildung von Qr q#({0}) nach Q auffassen, falls p und q keine gemeinsamen Nullstellen haben.Bei dieser Interpretation muss man den Definitionsbereich bei Addition und Multiplikation in naheliegnder Art und

Weise evtl. durch einzelne Punkte erganzen. 2.) Sobald wir die Korper R und C kennen, konnte man es in ahnlicher

Weise auch als Abbildung Rr q#({0}) −→ R oder als Abbildung Cr q#({0}) −→ C auffassen, auch Kombinationenwie Qr q#({0}) −→ R waren denkbar. 3.) Die mathematisch sinnvollste Interpretation des Ausdrucks ist aber eine

andere (die formale Interpretation), die ich leider derzeit noch nicht erklaren kann, und die Sie spater in der Linearen

Algebra kennen lernen werden. Da wir Koeffizienten in Q haben, ist es gar nicht so wichtig, wie wir den Ausdruckformal nun verstehen wollen. Wenn die Koeffizienten in Q durch Koeffizienten in einem endlichen Korper (wie zum

Beispiel F2) ersetzt werden, ist dieser Unterschied aber ganz erheblich.

52 2. ZAHLEN

LEMMA 5.11.

(a) |a| ≥ 0; |a| = 0⇐⇒ a = 0;(b) |−a| = |a|;(c) |a · b| = |a| · |b|;

∣∣ab

∣∣ = |a||b| falls b 6= 0;

(d) |a2| = |a|2 = a2 ≥ 0(e) |a+ b| ≤ |a|+ |b|;(f) |a1 + · · ·+ ak| ≤ |a1|+ · · ·+ |ak|;(g) |a− b| ≥

∣∣∣|a| − |b|∣∣∣Beweis. (a)-(d) folgen direkt aus den Definitionen 5.1 und 5.10.(e): ±a ≤ |a| und ±b ≤ |b| ergeben ±(a+ b) ≤ |a|+ |b|.(f): durch Induktion.(g): Wir setzen a := a− b. Dann gilt

| a+ b︸ ︷︷ ︸a

| ≤ |a|+ |b| = |a− b|+ |b|

Also

(5.12) |a− b| ≥ |a| − |b|

Durch Vertauschen von a und b erhalten wir

(5.13) |a− b| = |b− a| ≥ |b| − |a|.

Aus (5.12) und (5.13) erhalten wir das zu Beweisende.

SATZ 5.14. Seien n ∈ N>0; a1, . . . , an ∈ K≥0 gegeben. Dann gilt

a1 · a2 · . . . · an ≤(a1 + a2 + . . .+ an

n

)n.

Bemerkung 5.15. Wenn wir in K die n-te Wurzel ziehen konnen (in Q nicht erlaubt!), bedeutetdies

n√a1 · a2 . . . an︸ ︷︷ ︸

geometrisches Mittel

≤ a1 + a2 + . . .+ ann︸ ︷︷ ︸

arithmetisches Mittel

.

Beweis des Satzes. Wir beweisen den Satz durch Induktion nach n.

Induktionsanfang : n = 1 ist offensichtlich richtig.

Induktionsschritt von n− 1 nach n fur n ≥ 2:Seien a1, . . . , an ∈ K≥0 gegeben.O.B.d.A. a1 = min{a1, . . . , an}, a2 = max{a1, . . . , an}.

6. DIE REELLEN ZAHLEN 53

M := a1+...+ann . =⇒ a1 ≤M ≤ a2

Wir setzen d := a1 + a2 −M . Dann

Md− a1a2 = M ((a1 + a2)−M)− a1a2 = (a2 −M)(M − a1) ≥ 0

=⇒ a1 · a2 ≤Md(5.16)

Das arithmetische Mittel12 von d, a3, a4, . . . , an ist M , denn

d+ a3 + a4 + . . .+ an = a1 + a2 + . . .+ an −M = (n− 1)M.

Es folgt

a1a2 · · · an(5.16)

≤ M da3 · · · an︸ ︷︷ ︸≤Mn−1

nach Annahme

= Mn

6. Die reellen Zahlen

Da die reellen Zahlen R fur die Analysis eine zentrale Rolle spielen, wollen wir hier wieder formalvollstandiger vorgehen.

6.1. Unzulanglichkeit von Q. Wieso reichen uns die rationalen Zahlen nicht aus?

Problem 1 (Algebraisch):

Sei p eine Primzahl. Dann ist x2 = p in Q nicht losbar.

Angenommen es gabe eine Losung x = m/n, m ∈ Z, n ∈ N>0. O.B.d.A. m,n teilerfremd.

Wir erhalten m2

n2 = x2 = p, also m2 = pn2.

Es folgt p|m und daraus p2|m2 = pn2, was wiederum p|n impliziert. Also haben wir einen Wider-spruch zur Teilerfremdheit von m und n.

12Im Fall n = 2 bedeutet ist also das arithmetische Mittel von d, a3, . . . , an als das artithmetische Mittel von

d zu lesen, das heißt es ist d. Es git dann auch M = d.

54 2. ZAHLEN

Problem 2 (Geometrisch):

Bild von einem Kreis

π =Umfang

Durchmesser= 3, 14159265... 6∈ Q

Wichtige geometrische Funktionen konnen in Q nicht beschrieben werden, zum

Bild: Quadrat mit Diagonale runtergedreht

Problem 3 (Physikalisch):

BILD mit Pendel

Ein Pendel bewegt sich auf einem Kreis. Dazu muss es Punkte passieren, die keine rationalenKoordinaten haben, zum Beispiel den Punkt

(− cos(60◦)sin(60◦)

), sin(60◦) =

√3

26∈ Q .

14.11

6.2. Die Supremumseigenschaft. In diesem Abschnitt werden wir eine Eigenschaft ken-nenlernen, die im Korper der rationalen Zahlen Q nicht gilt, aber im Korper der reellen Zahlen R.Zunachst ein paar Vorbemerkungen.

Wiederholung: Sei ≤ eine partielle Ordnung auf einer Menge M . Sei x ∈ A ⊂M .

x = minA ⇐⇒ ∀y ∈ A : x ≤ y.

(Maximum analog mit ≥).

Gegeben sei eine totale Ordnung auf einer endlichen Menge A, dann besitzt A ein Maximum undein Minimum.

Definition 6.1. Sei ≤ eine (partielle) Ordnung auf einer Menge M . Eine Teilmenge A ⊂M heißtnach oben beschrankt in M (bzw. nach unten beschrankt in M), falls es ein r ∈ M gibt, so dassfur alle a ∈ A die Aussage a ≤ r (bzw. a ≥ r) gilt. Ein solches r heißt obere Schranke (bzw. untereSchranke) von A. Wir sagen A ist beschrankt in M , wenn A nach oben und unten beschrankt ist.

Besitzt die Menge

S(A,M) := {r ∈M | r ist obere Schranke von A}ein Minimum, so nennen wir minS(A,M) das Supremum von A in M .

Besitzt die Menge

S(A,M) := {r ∈M | r ist untere Schranke von A}ein Maximum, so nennen wir maxS(A,M) das Infimum von A in M .

Kurzschreibweise: supA und inf A

6. DIE REELLEN ZAHLEN 55

Beispiele 6.2. (a) M = Q, A = {2, 4, 8}. Dann ist r obere Schranke, gdw r ≥ 8. Und r ist untereSchranke, gdw r ≤ 2. Wir haben maxA = supA = 8 und minA = inf A = 2.

(b) Falls A ein Maximum besitzt, so ist dieses Maximum auch das Supremum. Denn sei a = maxA,dann folgt

S(A,M) = {r ∈M | r ≥ a} =: M≥a.

Also a = minS(A,M) = supA.(c) M = Q, A = {x ∈ Q | 0 < x < 1} besitzt kein Minimum. Denn fur alle x ∈ A gilt: x

2 ∈ A undx2 < x. Ahnlich zeigt man, dass A kein Maximum besitzt.

S(A,M) = Q≥1 S(A,M) = Q≤0supA = 1 und inf A = 0.

Bemerkungen 6.3.

(1) A ⊂ S(S(A,M),M) und A ⊂ S(S(A,M),M)(2) Gilt x ∈ A ∩ S(A,M), dann gilt ∀a ∈ A : a ≤ x, somit x = maxA und wegen (1) auch

x = minS(A,M).(3) Hat A ein Maximum x, dann ist x ∈ S(A,M).(4) A hat ein Maximum ⇐⇒ A∩ S(A,M) 6= ∅ ⇐⇒ #(A∩ S(A,M)) = 1 ⇐⇒ supA existiert und

supA ∈ A.

Definition 6.4. Sei ≤ eine partielle Ordnung auf M . Wir sagen (M,≤) erfullt die Supremumsei-genschaft (S) falls gilt

(S) SupremumseigenschaftSei A ⊂ M nicht-leer und nach oben beschrankt in M . Dann besitzt A ein Supremumin M .

Beispiel 6.5. (Q,≤) erfullt die Supremumseigenschaft nicht: Die Menge

A := {x ∈ Q |x2 ≤ 2}ist nach oben beschrankt.

S(A,Q) := {x ∈ Q |x > 0 und x2 ≥ 2}.Da es keine rationale Zahl x mit x2 = 2 gibt, folgt

S(A,Q) := {x ∈ Q |x > 0 und x2 > 2}.

Zu gegebenem x ∈ S(A,Q) definieren wir nun

y := x− x2 − 2

2x,

und man zeigt leicht 0 < y < x. Weiter gilt

y2 = x2 − 2xx2 − 2

2x+

(x2 − 2

2x

)2

> x2 − (x2 − 2) = 2,

56 2. ZAHLEN

also auch y ∈ S(A,Q). Da es zu jedem Element in S(A,Q) ein kleineres in S(A,Q) gibt, kann esin S(A,Q) kein Minimum geben. Also besitzt A kein Supremum in Q. Wir werden spater sehen,dass es in R eine positive Losung von x2 = 2 gibt, aufgrund der Supremumseigenschaft.

SATZ 6.6. Ist (K,+, ·,≤) ein geordneter Korper, der die Supremumseigenschaft erfullt, dann ister archimedisch.

Die Umkehrung gilt nicht: Beispiel K = Q.

Beweis. Angenommen (K,+, ·,≤) sei nicht archimedisch. Dann gibt es ein a ∈ K mit

∀n ∈ N : a > n.

Das heißt, N ist in K nach oben beschrankt. Wenn die Supremumseigenschaft erfullt ist, gibt esalso ein Supremum s von N in K. Fur ein beliebiges n gilt also s ≥ n+ 1 also s− 1 ≥ n. Also istauch s− 1 ein obere Schranke von N. Dann ist aber s nicht das Minimum aller oberen Schranken,was ein Widerspruch zur Wahl von s ist. Da wir einen Widerspruch erhalten haben, muss die obigeAnnahme falsch gewesen sein. Wir haben dadurch gezeigt, dass (K,+, ·,≤) archimedisch ist.

6.3. Axiome der reellen Zahlen. Im nachsten Abschnitt werden wir zwei Satze zeigen:

SATZ 6.7 (”Existenz der reellen Zahlen“). Es gibt einen geordneten Korper, der die Supremums-

eigenschaft erfullt.

SATZ 6.8 (”Eindeutigkeit der reellen Zahlen“). Seien (K,+, ·,≤) und (K, +, ·, ≤) zwei geordnete

Korper, die die Supremumseigenschaft erfullen, dann gibt es eine eindeutige bijektive Abbildung

F : K −→ K, die Addition, Multiplikation und Ordnung erhalt.F erhalt die Addition: ∀x, y ∈ K : F (x+ y) = F (x)+F (y)F erhalt die Multiplikation: ∀x, y ∈ K : F (x · y) = F (x)·F (y)

F erhalt die Ordnung: ∀x, y ∈ K : x ≤ y =⇒ F (x)≤F (y)

Man sagt dann oft: (K,+, ·,≤) und (K, +, ·, ≤) sind kanonisch isomorph und F nennt man einenIsomorphismus (von geordneten Korpern). 13.

Die Eigenschaften”geordneter Korper“ und “Supremumseigenschaft“ sind Eigenschaften, die wir

von den reellen Zahlen erwarten. Da sie nun also die reellen Zahlen bis auf Isomorphie festlegenist es sinnvoll, diese beiden Eigenschaft als die

”Axiome der reellen Zahlen “ zu betrachten. Dies

verpflichtet uns dazu, alles was wir fur die reellen Zahlen zeigen wollen, aus diesen Axiomen heraus

13Isomorph hat hier eine andere Bedeutung als bei den naturlichen Zahlen.”Isomorph“ kommt aus dem Grie-

chischen und heißt”von gleicher Gestalt“. Es gibt in der Mathematik viele Strukturen und zu jeder eine eigene

Definition von”isomorph“. Bei der Abbildung F oben im Text handelt es sich um einen Isomorphismus von ge-

ordneten Korpern: dies ist eine bijektive Abbildung, die Addition, Multiplikation und die Ordnung erhalt. Sobald

es einen Isomorphismus von A nach B gibt, nennt man A und B isomorph. Das Wort kanonisch ist nicht ganz so

leicht zu erklaren. Es bedeutet hier, dass es einen Isomorphismus gibt, der sich aus der Struktur bereits ergibt undnicht von zusatzlichen Wahlen abhangt. In der obigen Proposition gilt F (0) = 0 und F (1) = 1 und hierdurch ist der

Isomorphismus F bereits festgelegt. Er ist also bereits durch die Struktur festgelegt und deswegen kanonisch.

6. DIE REELLEN ZAHLEN 57

zu begrunden. Der große Vorteil dieses axiomatischen Zugangs ist es, dass alle danach hergeleitetenAussagen davon unabhangig sind, wie wir ein Modell der reellen Zahlen im Beweis von Satz 6.7konstruieren.

AXIOME 6.9 (Axiome der reellen Zahlen). Die reellen Zahlen bilden einen geordneten Korper(R,+, ·,≤), der die Supremumseigenschaft erfullt.

Um beispielhaft zu zeigen, wie wir die Supremumseigenschaft nutzen konnen, betrachten wir dasfolgende Lemma.

LEMMA 6.10. Sei a ∈ R, a ≥ 0, n ∈ N>0, so gibt es genau ein r ∈ R mit rn = a und r ≥ 0.

Beweis. Die Aussage ist klar fur n = 1 und klar fur a = 0. Sei nun n ≥ 2 und a > 0.

Eindeutigkeit. Hierzu genugt es zu zeigen:

∀x, y ∈ R : 0 < x < y =⇒ xn < yn

Dies folgt aus der folgenden Umformung

yn − xn = (y − x)

n−1∑i=0

yixn−i−1 > 0,

da∑n−1i=0 y

ixn−i−1 als Summe positiver Zahlen positiv ist.

Existenz. Wir betrachten die Menge A := {x ∈ R | xn ≤ a}. Die Menge A ist nach obenbeschrankt: max{1, a} ist eine obere Schranke von A. Man zeigt leicht, dass

S(A,R) = {x ∈ R | 0 < x ∧ xn ≥ a}.

Da A nicht-leer ist, existiert s := supA = minS(A,R). Offensichtlich gilt s ≥ 0 und sn ≥ a.

Wir nehmen nun an sn > a.

Behauptung: Es gibt ein δ ∈ R, 0 < δ < 1 mit

sn(1− nδ) ≥ a.(6.11)

Mit der Behauptung argumentieren wir wie folgt:

Die Bernoulli-Ungleichung liefert (s(1− δ))n ≥ sn(1− nδ), siehe Ubungsblatt 4, Aufgabe 1 c) mitx := −δ

Es gilt also s > s(1− δ) ∈ S(A,R). Somit ist dann s kein Minimum von S(A,R). Wir haben danneinen Widerspruch zur Annahme sn > a gefunden, und haben deswegen sn = a, was die Existenzliefert.

Begrundung der Behauptung:

58 2. ZAHLEN

Man zeigt mit Standard-Umformungen, dass (6.11) aquivalent zu

δ ≤ 1

n

(1− a

sn

)ist. Die rechte Seite ist zwischen 0 und 1. Wenn wir als δ := 1

n

(1− a

sn

)wahlen, so gilt die

Behauptung.

Bemerkung. Fur b ∈ R, b > 0, dann konnen wir jetzt alle Potenzen der Form bt, mit t ∈ Qbilden. Wir schreiben hierzu t = p/q mit p ∈ Z, q ∈ N. Wenn wir das vorangehende Lemma fura := bp und n := q anwenden, dann besagt dieses Lemma, dass es genau eine Zahl r ∈ R>0 gibt,so dass rq = bp. Wir wurden nun gerne definieren at := r fur dieses r. Damit dies eine sinnvolleDefinition ist, muss man uberprufen, dass r unahangig davon ist, wie wir t als Bruch schreiben.Dazu muss man die folgende Aussage uberprufen:14 Es gelte t = p/q = p/q, p, p ∈ Z, q, q ∈ N. Wirwahlen r, r ∈ R>0 mit rq = bp und rq = bp. Dann gilt r = r.

Man beachte, dass wir den Ausdruck bt fur eine positive reelle Zahl b und eine reelle, nicht-rationaleZahl t noch nicht definieren konnen.

Man kann aus dem bisher Bekannten nun auch leicht zeigen, dass fur b, b ∈ R>0, t, t ∈ Q gilt:

(bb)t = btbt bt+t = btbt

Fr 16.11.

Zur Konstruktion eines Modells der reellen Zahlen, das heißt zum Beweis von Satz 6.7, gibt esverschiedene Methoden, zum Beispiel:

• Die Konstruktion als Dezimalzahlen. Hier muss man zum Beispiel darauf achten, dass1, 49 = 1, 5. Geht genauso im Binarsystem oder bezuglich anderer Basen.• Die Konstruktion durch Intervallschachtelungen. Recht beliebt in Schulen, da anschaulich

und unabhangig davon, ob man in der Basis 10 (=Dezimaldarstellung), in der Basis2 (=Binardarstellung) oder noch einer anderen Basis arbeitet. Siehe zum Beispiel [22,Abschnitt 2.3].• Cauchy-Folgen. Dies fuhrt unter anderem zum Begriff der Vollstandigkeit, der nicht nur in

diesem Kontext wichtig ist, sondern auch zum Beispiel bei Hilbert- und Banach-Raumen.Solche Raume sind z.B. wichtig, um partielle Differentialgleichungen zu losen und umQuantenmechanik zu beschrieben.• Dedekindsche Schnitte. Mathematisch elegant und intuitivere Definition als beim Zugang

uber Intervallschachtelung und Cauchy-Folgen. Wir werden diesem Zugang folgen.

6.4. Dedekindsche Schnitte. Ideen von Richard Dedekind, 1872, Link zur Orginalarbeit

Definition 6.12. Sei K ein archimedisch geordneter Korper. Ein Dedekindscher Schnitt in K isteine Teilmenge α ⊂ K mit den folgenden Eigenschaften

(1) α 6= ∅, α 6= K,

14Diese Uberprufung sollten Sie inzwischen selbst tun konnen.

6. DIE REELLEN ZAHLEN 59

(2) fur a ∈ α und x ∈ K<a gilt x ∈ α,(3) α besitzt kein Maximum.

Man nennt Dedekindsche Schnitte auch Unterklassen. Das Komplement von α schreiben wir alsα′ := K r α und wird die zugehorige Oberklasse genannt.

Wir definieren

K := {α ∈ P(K) | α ist ein Dedekindscher Schnitt}.

Beispiel 6.13. Sei q ∈ K. Dann ist K<q eine Unterklasse.

(1) q − 1 ∈ K<q, also K<q 6= ∅. Und q + 1 6∈ K<q, also K<q 6= K.(2) Sei a ∈ K<q und x ∈ K<a. Dann haben wir x < a und a < q, also auch x < q und somit

x ∈ K<q.(3) Zu jedem a ∈ K<q ist a′ := (a+ q)/2 ein Element a′ ∈ K<q mit a′ > a.

Die Abbildung iK : K −→ K, q 7→ K<q ist injektiv. Denn ist p < q so ist p ∈ K<q und p /∈ K<p.

Anschauliche Motivation fur diese Konstruktion. Wir nehmen mal an, dass wir bereitsQ ⊂ R mit den gewunschten Eigenschaften hatten, K = Q. Definiere Q wie oben. Zu r ∈ Rdefinieren wir die Unterklasse in Q

U(r) := {q ∈ Q | q < r}.

Bild mit einem Zahlenstrahl mit Ober- und Unterklasse

Wir erhalten eine Abbildung U : R −→ Q, r 7→ U(r). Man uberlegt sich leicht, dass sup |Q : Q −→R, α 7→ supα die Umkehrabbildung von U : R −→ Q ist. Somit ist U bijektiv. Wir definierennun Addition +, Multiplikation · und Ordnung ≤ auf Q so, dass U diese Strukturen erhalt; undzwar so, dass wir die Existenz von R gar nicht nutzen. Zu zeigen ist dann, dass (Q,+, ·,≤) eingeordneter Korper ist, der die Supremumseigenschaft erfullt. Wir identifizieren wiederum Q mitB(iQ) ⊂ Q vermoge iQ.

Es stellen sich dann unter anderem die Fragen:

• Was passiert, wenn man die Konstruktion wiederholt zu Q , also K := Q?• Was wissen wir uber K, fur andere archimedisch geordnete Korper K, zum BeispielK := Q[

√2]?

Es ist deswegen sinnvoll, im folgenden immer fur (K,+, ·,≤) einen beliebigen archimedisch geord-neten Korper zuzulassen, aber sich immer den Spezialfall K = Q vorzustellen.

Sei also von nun an (K,+, ·,≤) ein beliebiger archimedisch angeordneter Korper.

LEMMA 6.14. Fur jede Oberklasse α′ gilt:

(a) α′ = {x ∈ K | ∀a ∈ α : a < x}

60 2. ZAHLEN

(b) fur a′ ∈ α′ und x′ ∈ K>a′ gilt x′ ∈ α′.

Beweis. Zu (a): Sei x ∈ α′. Wenn fur (mindestens) ein a ∈ α die Ungleichung a < x nicht gilt,dann haben wir den Widerspruch x ∈ α. Somit α′ ⊂ {x ∈ K | ∀a ∈ α : a < x}.

Sei x ∈ K mit ∀a ∈ α : a < x. Da x < x falsch ist, gilt x 6∈ α. Also α′ ⊃ {x ∈ K | ∀a ∈ α : a < x}.

Zu (b): Dies folgt nun aus der Transitivitat von <.

LEMMA 6.15. Erfullt (K,+, ·,≤) die Supremumseigenschaft, dann ist iK : K −→ K, q 7→ K<q

bijektiv.

Beweis. Ist α eine Unterklasse, dann ist jedes a′ ∈ α′ eine obere Schranke von α. Ist b ∈ S(α,K),dann ist b nicht in α, denn sonst ware ja b ein Maximum von α, welches nicht existiert. Somitb ∈ α′. Deswegen haben wir

α′ = S(α,K).

Erfullt (K,+, ·,≤) die Supremumseigenschaft, dann hat also jede Oberklasse ein Minimum. Wennwir q := supα = minα′ setzen, so ist dann α = K<q.

Beispiel 6.16. In einem geordneten Korper K ist

α := K<0 ∪ {x ∈ K | x2 < 2}.eine Unterklasse. Wenn diese Menge ein Supremum s besitzt, so gilt s2 = 2.

Im Fall K = Q gibt es kein solches s, das heißt α hat kein Supremum. Dann ist iK : K → K nichtsurjektiv.

Im Fall K = R hat α ein Supremum in R, das wir√

2 nennen.

Definition 6.17 (Addition). Zu Dedekindschen Schnitten α und β definieren wir ihre Summe als

α+ β := {a+ b | a ∈ α, b ∈ β}.

Dies ist wiederum ein Dedekindscher Schnitt, denn:

(1) Sei a ∈ α und b ∈ β, dann gilt a+ b ∈ α+ β, also α+ β 6= ∅.Sei a′ ∈ α′ und b′ ∈ β′, dann gilt fur alle a ∈ α und b ∈ β zunachst a < a′ und b < b′ unddeswegen auch a+ b < a′ + b′. Somit a′ + b′ /∈ α+ β, und dies ergibt α+ β 6= K.

(2) Sei x < a+b, a ∈ α, b ∈ β. Setze a0 := x−b < a, somit a0 ∈ α. Deswegen gilt x = a0+b ∈ α+β.(3) Angenommen, es gabe ein Maximum in α + β, dann konnten wir es als a + b mit a ∈ α und

b ∈ β schreiben. Da a kein Maximum von α ist, gibt es ein a1 ∈ α mit a1 > a. Wir erhaltenden Widerspruch

a+ b < a1 + b ∈ α+ β.

Wir erhalten also eine Abbildung + : K ×K → K.

PROPOSITION 6.18. (K,+) ist eine kommutative Gruppe, das heißt es gelten (Aa), (Ak), (An),(Ai).

6. DIE REELLEN ZAHLEN 61

Beweis. Die Kommutativitat (Ak) ist offensichtlich.

Zu (Aa):

α+ (β + γ) = α+ {b+ c | b ∈ β, c ∈ γ} = {a+ b+ c | a ∈ α, b ∈ β, c ∈ γ}und man erhalt ahnlich denselben Ausdruck fur (α+ β) + γ.

Zu (An): Das neutrale Element ist K<0. Zu zeigen: α = α + K<0. Aus Definition 6.12 (2) folgtdirekt α + K<0 ⊂ α. Um α ⊂ α + K<0 zu zeigen, wahlen wir ein a ∈ α. Da a kein Maximumvon α ist, gibt es ein a1 ∈ α mit a1 > a. Dann ist b := a − a1 < 0 ein Element von K<0. Somita = a1 + b ∈ α+K<0.

Zu (Ai): Sei α ∈ K. Die zugehorige Oberklasse α′ kann ein Minimum besitzen oder nicht. Falls α′

ein Minimum besitzt, dann definiere

β := {−a′ | a′ ∈ α′ r {minα′}},falls α′ kein Minimum besitzt, so definiere

β := {−a′ | a′ ∈ α′}.Da wir in dieser Definition das Minimum von α′ weggenommen haben, falls es existiert, hat β keinMaximum, also (3). Aus Lemma 6.14 ergibt sich (2). Außerdem (1) β 6= ∅ und β 6= K. Wir habenalso β ∈ K.

Nun zeigen wir α+ β = K<0, das heißt β ist das additive Inverse zu α.

Sei a ∈ α und b ∈ β, dann folgt −b ∈ α′ und deswegen −b > a. Dies ergibt a + b < 0, in anderenWorten a+ b ∈ K<0. Also α+ β ⊂ K<0.

Sei nun x ∈ K<0. Wir suchen a ∈ α und b ∈ β mit x = a+ b.

Ansatz: Zu einem festen a0 ∈ α wahle

a := a0 + (n− 1)|x|︸ ︷︷ ︸∈α

und b := −(a0 + n|x|︸ ︷︷ ︸∈α′

kein Min

)

fur n ∈ N>0. Damit dieser Ansatz erfolgreich ist, muss n das Minimum der Menge

M := {m ∈ N>0 | a0 +m|x| ∈ α′}sein.

Durchfuhrung: Definiere also M wie oben. Als ersten Schritt zeigen wir M 6= ∅.

Wahle ein a′ ∈ α′.a0 +m|x| ≥ a′ ↔ m ≥ a′ − a0

|x|Da K archimedisch ist, gibt es ein m ∈ N>0, das die rechte Ungleichung und damit auch die linkeUngleichung erfullt. Es folgt m ∈ M , also M 6= ∅. Auf Grund der Wohlordnung der naturlichenZahlen (Satz 1.9) besitzt M ein Minimum. Sei n := minM . Definieren wir a und b wie oben, folgt

62 2. ZAHLEN

a ∈ α, −b ∈ α′, a + b = x. Wenn −b nicht ein/das Minimum von α′ ist, so gilt b ∈ β, und wirhaben das zu Zeigende gezeigt.

Wenn α′ ein Minimum besitzt und wenn −b = minα′, dann setze

a := a0 +(n− 1

2

)|x| = −b− 1

2|x| < −b = minα′ ,

und damit a ∈ α, und

b := −(a0 +

(n+

1

2

)|x|︸ ︷︷ ︸

∈α′kein Min

)= b− 1

2|x| ∈ β.

Dann gilt a+ b = −|x| = x.Mi 21.11.

Definition 6.19 (Ordnung). Wir definieren auf K eine Relation

α ≤ β :⇐⇒ α ⊂ β.

Da ⊂ eine Ordnungsrelation auf P(M) ist, ist die so definierte Relation ≤ eine Ordnungsrelationauf K.

LEMMA 6.20. Die Ordnung ≤ auf K ist total.

Beweis. Zu zeigen ist: fur alle α, β ∈ K gilt α ⊂ β oder β ⊂ α.

Wenn α keine Teilmenge von β ist, dann konnen wir ein a ∈ α r β wahlen. Fur jedes b ∈ β giltdann b < a, denn sonst ware a ∈ β. Somit ist b ∈ α. Es folgt β ⊂ α.

Schreibe nun 0K := 0K . Wir schreiben |α| = α fur α ≥ 0K und |α| = −α fur α < 0K .

Zeichnung und Beispiel zur Motivation der Multiplikation

Definition 6.21 (Multiplikation). Seien α, β ∈ K.

(a) Falls α ≥ 0K und β ≥ 0K so definieren wir das Produkt von α und β als

α · β := {c ∈ K | c < 0 ∨ ∃a ∈ α : ∃b ∈ β : (a ≥ 0 ∧ b ≥ 0 ∧ c = a · b)}= {a · b | a ∈ α≥0 ∧ b ∈ β≥0} ∪K<0 .

(b) In den anderen Fallen definieren wir

α · β := ±|α| · |β|,

wobei das Vorzeichnen genau dann + ist, wenn α < 0K und β < 0K .

LEMMA 6.22. α · β ∈ K.

Beweis. Die folgenden Argumente werden aus Zeitgrunden in der Vorlesung nicht ausgefuhrt.

6. DIE REELLEN ZAHLEN 63

(1) −1 ∈ α · β, also α · β 6= ∅.Wahle a′ ∈ α′ und b′ ∈ β′. Fur alle a ∈ α und b ∈ β gilt a < a′ und b < b′, somit ab < a′b′.Somit ist a′b′ /∈ α · β. Also α · β 6= K.

(2) Sei c = a · b mit a ∈ α und b ∈ β. Wir mussen zeigen, dass jedes d ∈ K<c in α · β liegt. dies istklar, falls d < 0. Im Fall 0 ≤ d < c gilt

d = a︸︷︷︸∈α

· d

a︸︷︷︸∈β

,

da da <

ca ∈ β. Somit d ∈ α · β.

(3) Sei a, b, c wie oben. Da α kein Maximum besitzt, gibt es ein a0 ∈ α, a0 > a. Dann ist c0 :=a0 · b ∈ α · β, c0 > c. Somit hat auch α · β kein Maximum.

PROPOSITION 6.23. (K,+, ·) ist ein Korper.

Beweisskizze. Leicht zu prufen sind (Ma), (Mk), (AMd) und die Tatsache, dass es mindestenszwei Elemente gibt (iQ : Q −→ K ist injektiv).

Zu (Mn): Es ist einfach zu zeigen, dass 1K := K<1 ein neutrales Element fur die Multiplikationist. (Beweis ahnlich wie fur das additive Inverse.)

Wir wollen zeigen, dass 1K := K<1 ein neutrales Element fur die Multiplikation ist, das heißt furalle Unterklassen α gilt α ·K<1 = α.

Fall 1: α > 0.

Es gilt dann:

α·K<1def={a·b | a ∈ α≥0∧b ∈ {x ∈ K | 0 ≤ x < 1}

}∪K<0 ⊂ {c ∈ K | ∃a ∈ α : 0 ≤ c < a}∪K<0 ⊂ α.

Um α ⊂ K<1 · α zu zeigen, nehmen wir ein a ∈ α≥0. Da a kein Maximum von α ist, gibt es eina1 ∈ α mit a1 > a. Setze b := a/a1, dann 0 ≤ b < 1. Somit gilt a = a1 · b ∈ α ·K<1. Hieraus folgtα ⊂ K<1 · α aus der Definition der Multiplikation.

Fall 2: α = 0K . Fur alle β ∈ K

0K · β = (0K − 0K) · β = 0K · β − 0K · β = 0K .

Dies gilt insbesondere fur β = 1K .

Fall 3: α < 0.

α ·K<1def= −|α| ·K<1

Fall 1= −|α| = α.

Zu (Mi): Sei α ∈ K, α 6= 0K .Fall 1: α > 0K .

64 2. ZAHLEN

Wenn minα′ nicht existiert, so definieren wir

β := K≤0 ∪ {b ∈ K>0 | b−1 ∈ α′} ,und wenn es existiert, dann

β := K≤0 ∪ {b ∈ K>0 | b−1 ∈ α′ ∧ b 6= minα′} .

Es ist nicht schwer zu zeigen, dass β ∈ K. Mit ahnlichen Argumenten wie im Beweis von (Ai) zeigtman α · β = 1K (etwas Arbeit!). Diese Argumente werden aus Zeitgrunden in der Vorlesung nichtausgefuhrt.

Zu β ∈ K:

(1) 0 ∈ β, also β 6= ∅.Wahle a ∈ α, a > 0. Dann gilt a−1 /∈ β, denn fur alle a′ ∈ α′ gilt (a′)−1 < a−1.

(2) Ist b ∈ β und c ∈ K<b. Im Fall c ≤ 0 gilt c ∈ β. Im Fall 0 < c < b gilt c−1 > b−1 ∈ α′, somitc ∈ β.

(3) Angenommen b ware ein Maximum von β. Im Fall b = 0 bekommt man leicht einen Wider-spruch, da β positive Elemente hat. Im Fall b > 0 ist dann b−1 ein Minumum von α′. dies istaber ausgeschlossen in der Definition von β.

Zu α · β = 1K :

Wir nehmen ein c ∈ α · β. O.B.d.A. c ≥ 0. Wir konnen also schreiben c = a · (a′)−1 mit a ∈ α,a′ ∈ α′, a ≥ 0. Aus a′ > a folgt c < 1. Somit α · β ≤ 1K .

Sei nun c ∈ 1K , also c < 1. Wir wollen c ∈ α · β zeigen. Dies ist trivial, falls c ≤ 0. Deswegen seinun c > 0. Wahle ein festes a0 ∈ α mit a0 > 0. Wir zeigen, die Menge

M := {m ∈ N | a0 · c−m ∈ α}ist endlich. Hierzu wahlen wir ein a′ ∈ α′ und rechnen mit der Bernoulli-Ungleichung

a0 · c−m = a0 ·(

1 +1− cc

)m≥ a0 ·

(1 +m · 1− c

c

)> a′

fur alle ausreichend großen m, da K archimedisch ist. Somit gibt es ein m0 ∈ N, so dass fur allem ≥ m0 gilt: a0 · c−m 6∈ α. Also hat M hochstens m0 Elemente und somit ein Maximum.

Sei nun n := maxM . Setze a := a0 · c−n ∈ α und a′ := a0 · c−n−1 ∈ α′. Den Spezialfall, dass(a′)−1 das Minimum von α′ ist, betrachten wir in einer Fussnote.15 Wir setzen b := (a′)−1 ∈ β,und erhalten c = a · b.

Fall 2: α < 0K

Bestimme ein β ∈ K mit |α| · β = 1. Ein multiplikatives Inverse von α ist dann −β.

15Man kann dann a0 ”etwas“ zu a1 vergroßern, so dass a := a1 · c−n ∈ α immer noch in α liegt, und dann ist

a′ := (a1 · c−n−1)−1 ist dann ein nicht-minimales Element von α′.

6. DIE REELLEN ZAHLEN 65

SATZ 6.24. (K,+, ·,≤) ist ein archimedischer geordneter Korper. Die Abbildung

iK : K → K

a 7→ K<a

ist eine injektive Abbildung, die Addition, Multiplikation und Ordnung erhalt.

Beweis.

1.) Um zu zeigen, dass (K,+, ·,≤) ein geordneter Korper ist, gehen wir (a)–(d) in der Definition 5.1von geordneten Korpern durch.

Zu (a): (K,+, ·) ist ein Korper (Proposition 6.23).Zu (b): ≤ ist totale Ordnung auf K (Lemma 6.20).Zu (c): Gilt α ⊂ β, dann haben wir

α+ γ = {a+ c | a ∈ α, c ∈ γ} ⊂ {b+ c | b ∈ β, c ∈ γ} = β + γ.

Zu (d): Wir wollen zeigen

(α ≤ β ∧ 0K ≤ γ)→ α · γ ≤ β · γ .

Fall 1: γ ≥ 0K und 0K ≤ α ≤ β

α · γ = {a · c | a ∈ α≥0 ∧ c ∈ γ≥0} ∪K<0

⊂ {b · c | b ∈ β≥0 ∧ c ∈ γ≥0} ∪K<0

= β · γ

Fall 2: γ ≥ 0K und α < 0K ≤ βDann ist α · γ ≤ 0K ≤ β · γ.Fall 3: γ ≥ 0K und α ≤ β < 0KDann gilt −β ≤ −α =⇒ −β · γ ≤ −α · γ =⇒ α · γ ≤ β · γ.

Somit ist (K,+, ·) ein geordneter Korper.2.) Wir wissen bereits, dass iK : K −→ K injektiv ist, und es ist leicht zu prufen, dass diese

Abbildung Addition, Multiplikation und Ordnung erhalt.3.) Nun zeigen wir, dass K archimedisch ist, das heißt: Fur jedes α ∈ K ist ein n · 1K ∈ N zu

finden mit α ≤ n.Wahle ein a′ ∈ α′. Da K archimedisch ist, gibt es ein m ∈ N mit m ≥ a′. Wahle nun

12 ∈ 1K . Dann gilt fur alle a ∈ α

2m · 1

2≥ a′ ≥ a.

Es folgt

2m · 1K ≥ α.

LEMMA 6.25. x ∈ α⇐⇒ iK(x) < α

66 2. ZAHLEN

Beweis.

iK(x) < α ⇐⇒ iK(x) ( α

⇐⇒ Es existiert ein y in αr iK(x)

⇐⇒ ∃y ∈ α : y ≥ x⇐⇒ x ∈ α .

In der letzten Aquivalenz ist”⇒“ eine Konsequenz von Definition 6.12 (2) und

”⇐“ ergibt sich

mit y := x.

PROPOSITION 6.26. Sei (K0,+, ·,≤) ein archimedisch angeordneter Korper. Wir identifizierenQ mit seinem Bild in K0 vermoge der in Lemma 5.7 definierten Abbildung iQ : Q −→ K0. Seiena, b ∈ K0, a < b. Dann gibt es ein q ∈ Q mit a < q < b.

Interpretation fur K0 := R: zwischen zwei verschiedenen reellen Zahlen liegt eine rationale Zahl.

Beweis. Da K0 archimedisch ist, existieren n,m ∈ N mit n > 1b−a und m > −b. Setze b :=

b+m+ 1 > 1 und a := a+m+ 1.

p := max {r ∈ N>0 | r < nb}︸ ︷︷ ︸endlich, 6=∅

.

Wegen b− a > 0 erhalten wir n(b− a) = n(b− a) > 1, also na < nb− 1. Also na < p < nb. Somit

a <p

n−m− 1︸ ︷︷ ︸∈Q

< b.

SATZ 6.27 (Satz von Dedekind). Sei K = A ∪A′, A 6= ∅, A′ 6= ∅. Es gelte

∀a ∈ A : ∀a′ ∈ A′ : a < a′.

Dann existiert ein eindeutiges β ∈ K mit

∀a ∈ A : ∀a′ ∈ A′ : a ≤ β ≤ a′ .

Man nennt β die Trennungszahl .16

Vorstellung: Im obigen Satz ist A so etwas ahnliches wie eine Unterklasse. Wenn man in Definiti-on 6.12 K durch K ersetzen wurde, dann waren (1) und (2) erfullt, aber es verbleibt unbestimmt,ob A ein Maximum hat. Man stellt sich somit am besten auch dies als die Aufteilung von K ineinem linken Teil A und einen rechten Teil A′ vor.

16Im Satz von Dedekind kann man sich nun uber die gewahlte Bezeichnung wundern: Wieso schreibe ich hier

a ∈ A? Denn dieses a ist ja ein Element von K und damit eine Unterklasse, die bisher typischerweise mit dem

Buchstaben α bezeichnet wurden. Wenn wir aber letzterer Bezeichnungslogik folgen, dann mussen wir die Elementevon A′ mit α′ bezeichnen. In der bisherigen Notation ist α′ immer die Oberklasse zur Unterklasse α definiert. Um

diese Verwechslungsgefahr zu vermeiden, schreibe ich a und a′ in der Aussage des Satzes.

6. DIE REELLEN ZAHLEN 67

Zahlenstrahl, der K symbolisiert. In der Mitte β, links davon A, rechts davon A′.

Beweis. Existenz:Fall 1: A besitzt ein Maximum.Dann ist maxA eine Trennungszahl.

Fall 2: A besitzt kein Maximum.Setze

β := {b ∈ K | iK(b) ∈ A} .

β ist Dedekindscher Schnitt in K.

Denn

(1) Wahle17 ein α ∈ A und dann ein b ∈ α. Mit Lemma 6.25 folgt iK(b) < α. =⇒ iK(b) ∈ A =⇒b ∈ β =⇒ β 6= ∅.Wahle ein α ∈ A′ und dann ein b′ /∈ α. Mit Lemma 6.25 folgt iK(b′) ≥ α. =⇒ iK(b′) ∈ A′ =⇒b′ /∈ β =⇒ β 6= K.

(2) Sei b ∈ β und x ∈ K<b =⇒ iK(x) = K<x < K<b = iK(b) ∈ A =⇒ iK(x) ∈ A =⇒ x ∈ β.(3) Sei b ∈ β. Somit iK(b) ∈ A. Da A kein Maximum hat, existiert ein α ∈ A mit iK(b) < α. Nach

Proposition 6.26 mit K0 := K gibt es ein a ∈ Q ⊂ K mit iK(b) < iK(a) < α und somit b < a.Aus iK(a) < α ∈ A folgt iK(a) ∈ A, also a ∈ β. Somit war das beliebig vorgegebene b ∈ β keinMaximum.

Somit β ∈ K. Zu zeigen bleibt, dass β eine Trennungszahl ist.

Zu jedem α ∈ A gibt es ein α1 ∈ A mit α < α1. Proposition 6.26 liefert ein b ∈ Q ⊂ K mitα < iK(b) < α1. =⇒ iK(b) ∈ A =⇒ b ∈ β. Mit Lemma 6.25 sehen wir iK(b) < β und somit α < β.

Angenommen es gabe ein α ∈ A′ mit α < β. Proposition 6.26 liefert ein p ∈ Q ⊂ K mit α <iK(p) < β. Wegen Lemma 6.25 haben wir p ∈ β, also iK(p) ∈ A. Gleichzeitig erhalten wir ausα < iK(p) auch iK(p) ∈ A′, also einen Widerspruch.

Eindeutigkeit:Angenommen es gabe zwei Trennungszahlen β1, β2 mit β1 < β2. Setze βm := (β1 + β2)/2 ∈ K.Wir haben β1 < βm und somit βm /∈ A. Wegen βm < β2 folgt βm /∈ A′. Dies widersprichtA ∪A′ = K. Fr 23.11.

SATZ 6.28. Ist K ein archimedisch geordneter Korper, dann ist K ein archimedisch geordneter

Korper, der die Supremumseigenschaft erfullt. Die Abbildung iK : K −→ K ist ein Isomorphismus.

Daraus folgt dann direkt Satz 6.7.

17Im Beweis benotige ich nun Elemente von Elementen von A, deswegen wechsle ich zur alten Notation a ∈α ∈ A. Wir schreiben α fur Elemente von A′, um Verwechslungen zur Oberklasse α′ von α zu vermeiden.

68 2. ZAHLEN

Beweis. Sei B eine nicht-leere nach oben beschrankte Teilmene von K. Wenn B ein Maximumbesitzt, so ist dieses auch das Supremum und wir sind fertig. Andernfalls definieren wir A′ :=S(B,K) und A := K r A′. Die Voraussetzungen in Satz 6.27 sind erfullt. Deswegen gibt es eineTrennungszahl β zur Zerlegung K = A ∪A′.

Dann haben wir β ∈ S(A,K) und damit18 auch β ∈ S(B,K) = A′. Wegen der Folgerung inSatz 6.27 ist dann β das Minimum von A′ = S(B,K) und damit das Supremum von B. Insbeson-dere: das Supremum existiert.

Also erfullt K die Supremumseigenschaft. Deswegen ist iK : K −→ K nach Lemma 6.15 einIsomorphismus.

Wir wenden uns nun dem Beweis von Satz 6.8 zu.

Sei (K,+, ·,≤) ein geordneter Korper, der die Supremumseigenschaft erfullt. Nach Lemma 5.7 gibtes eine injektive Abbildung iKQ : Q −→ K, die Addition, Multiplikation und Ordnung erhalt. Wir

identifizieren im folgenden Q mit dem Bild von iKQ vermoge iKQ . Also Q ⊂ K und Q ⊂ Q.

Sei α ∈ Q, also α sei eine Unterklasse in Q. Dann liefert jedes a′ ∈ α′ eine obere Schranke vonα in K. Somit ist α eine nicht-leere, nach oben beschrankte Teilmenge von K. Somit existiertsupK α ∈ K, wobei supK das Supremum in K bezeichnet. Wir definieren eine Abbildung

s : Q −→ K, α 7→ supK α .

LEMMA 6.29. Zu jedem x ∈ K ist U(x) := {a ∈ Q | a < x} eine Unterklasse in Q.

Beweis. Der geordnete Korper K ist insbesondere archimedisch (Satz 6.6).

K archimedischdef⇐⇒ ∀a ∈ K : ∃n ∈ N : a ≤ n⇐⇒ ∀a ∈ K : ∃n ∈ N : a < n

⇐⇒ ¬ (∃a ∈ K : ∀n ∈ N : n ≤ a)

⇐⇒ N unbeschrankt

Somit ist Z und damit auch Q nach oben und unten unbeschrankt.

Nun zeigen wir, dass U(x) eine Unterklasse in Q ist:

(1) Nutze die Unbeschranktheit von Q:U(x) 6= ∅, da Q nach unten unbeschrankt in K.U(x) 6= Q, da Q nach oben unbeschrankt in K.

(2) a ∈ U(x) und y < a dann haben wir y < a < x.(3) Angenommen a ware ein Maximum von U(x). Also a < x. Nach Proposition 6.26 mit K0 := K

existiert ein q ∈ Q mit a < q < x. Also q ∈ U(x). Widerspruch!

18Es gilt hier sogar S(A,K) = S(B,K): wir haben diese Tatsache aber weder gezeigt noch benutzt. Wir nutzen

hier lediglich C ⊂ D → S(D,K) ⊂ S(C,K).

7. DIE KOMPLEXEN ZAHLEN 69

LEMMA 6.30. Die Abbildung

U : K −→ Q, x 7→ U(x)

ist die Umkehrabbildung von s : Q −→ K.

Beweis. ∀a ∈ α : a < s(α) =⇒ α ⊂ U(s(α))∀a′ ∈ α′ : a′ ∈ S(α,Q) ⊂ S(α,Q) =⇒ a′ ≥ s(α) =⇒ a′ /∈ U(s(α)).Somit α = U(s(α)).

Sei x ∈ K, y := s(U(x)) = supK{q ∈ Q | q < x}. Es folgt y ≤ x. Angenommen y < x, dann existiertnach Proposition 6.26 mit K0 := K ein q ∈ Q mit y < q < x, also q ∈ U(x). Widerspruch!

Man kann zeigen, dass s Addition, Multiplikation und Ordnung bewahrt.19 Nach all diesen Vorar-beiten ist der Beweis von Satz 6.8 ganz kurz.

Beweis von Satz 6.8. Sei nun (K, +, ·, ≤) ein weiterer geordneter Korper ist, der die Supremums-

eigenschaft erfullt. Wir erhalten analog s : Q → K. Dann erfullt F := s ◦ s−1 : K −→ K die inSatz 6.8 geforderten Eigenschaften.

FOLGERUNG 6.31. Ist (K,+, ·,≤) ein archimedisch geordneter Korper, dann gibt es eine injek-tive Abbildung f : K −→ R, die Addition, Multiplikation und Ordnung erhalt.

Interpretation: Jeder archimedisch geordnete Korper ist im wesentlich gleich (mathematisch prazi-ser: als geordneter Korper isomorph) zu einem Unterkorper von R. Ein Unterkorper ist eine Teil-menge von R, die selber ein Korper ist; auf der Teilmenge sollen Addition, Multiplikation undOrdnung wie in R defniert sein.

Beweis. Schranke die bijektive Abbildung K −→ R auf K ein.

7. Die komplexen Zahlen

Motivation. x2 = −1 besitzt keine reelle Losung.

Idee: Erweitere die reelle Zahlengerade zu einer Ebene, der Gaußschen Zahlenebene. Die Elementedieser Ebene sind komplexe Zahlen.

Ein Modell fur die komplexen Zahlen.

19Der Beweis ist wiederum nicht schwer, aber besteht aus einigen Teilbehauptungen, die sich direkt aus der

Definition von +, · und ≤ ergeben.

70 2. ZAHLEN

Definition 7.1. Auf C := R2 definieren wir die folgenden Verknupfungen:

Addition: + : C× C −→ C((x1, y1), (x2, y2)) 7→ (x1, y1) + (x2, y2) := (x1 + x2, y1 + y2)

Multiplikation: · : C× C −→ C((x1, y1), (x2, y2)) 7→ (x1, y1) · (x2, y2) := (x1x2 − y1y2, x1y2 + x2y1)

Gaußsche Zahlenebene und Addition

Die Abbildung iR : R ↪→ C, a 7→ (a, 0) ist injektiv und erhalt Addition und Multiplikation. Wiridentifizieren a mit (a, 0). Wir schreiben i := (0, 1). Dann gilt fur x, y ∈ R:

x+ yi = (x, 0) + (y, 0) · (0, 1) = (x, 0) + (0, y) = (x, y).

Man nennt dann x den Realteil von z = x+ yi und y den Imaginarteil , geschrieben x = Re z undy = Im z.

C = {x+ yi | x, y ∈ R}.

Wir haben i2 = (0− 1) + (0 + 0)i = −1.

Komplexe Zahlen z = x+ yi, x, y ∈ R heißen

• imaginar , falls y = Im z 6= 0,• rein imaginar , falls x = Re z = 0 und y = Im z 6= 0.

LEMMA 7.2. (C,+, ·) ist ein Korper.

Beweis. Assoziativitat und Kommutativitat von Addition und Multiplikation ist einfach nachzu-rechnen: (Aa), (Ak), (Ma), (Mk). Ebenso das Distributivgesetz (AMd). Das neutrale Element derAddition (bzw. Multiplikation) ist 0 = 0 + 0i, (bzw. 1 = 1 + 0i), (An) bzw. (Mn). Das additiveInverse von x+ yi ist (−x) + (−y)i, (Ai).

(Mi): Gegeben sei z := x+ yi ∈ Cr {0}. Es folgt dann x 6= 0 ∨ y 6= 0 und somit x2 + y2 ∈ R>0.

Wir benotigen ein multiplikatives Inverses von z, also ein w ∈ C mit wz = 1. Wir zeigen: Es gibtgenau ein solches w ∈ C.20

Zur Eindeutigkeit:

Angenommen wz = 1 mit z = x+ yi und w = a+ bi. Multipliziere beide Seiten mit x− iy:

(x− yi) = (a+ bi)(x+ yi)(x− yi) = (a+ bi)(x2 + y2) = a(x2 + y2) + b(x2 + y2)i .

20man muss eigentlich hier gar nicht die Eindeutigkeit zeigen, die Existenz reicht aus. Wenn man sich aber die

Eindeutigkeit anschaut, bekommt man eine Idee, wie man die Existenz zeigen kann.

7. DIE KOMPLEXEN ZAHLEN 71

Hieraus folgt x = a(x2 + y2) und −y = b(x2 + y2), also

a =x

x2 + y2,(7.3)

b = − y

x2 + y2.(7.4)

Zur Existenz:

Wir definieren a und b wie in (7.3) und (7.4). Die Definition ergibt Sinn, da x2 + y2 > 0. Manrechnet nach

(x+ yi) · (a+ bi) = 1 .

Fur x, y ∈ R definieren wirx+ yi := x− yi.

Wir erhalten eine R-lineare bijektive Abbildung C −→ C, z 7→ z, die komplexe Konjugation genanntwird.

Die Abbildung

C −→ R, x+ yi 7→ |x+ yi| :=√x2 + y2 =

√(x+ yi)(x+ yi)

heißt die Betragsfunktion der komplexen Zahlen.

Eigenschaften: Seien z, z1, z2 ∈ C.z1 ± z2 = z1 ± z2z1 · z2 = z1 · z2z1/z2 = z1/z2

|z1 + z2| ≤ |z1|+ |z2||z1z2| = |z1| · |z2|

Es gelten auch die anderen in Lemma 5.11 aufgezahlten Eigenschaften mit Ausnahme von (d), denman wie folgt abandern muss

|a2| = |a|2 = aa ≥ 0.

Polarkoordinaten und Veranschaulichung der Multiplikation in C.21

21Ein Kommentar, um die logische Stellung dieser Veranschaulichung zu klaren: um eine geometrische Vorstel-lung zu entwickeln, wie man komplexe Zahlen multipliziert, wurde hier die Polar-Darstellung eingefuhrt, obwohl wireigentlich zum jetzigen Zeitpunkt noch gar nicht wissen, was sin und cos bedeuten. Die Ubungsaufgabe (Ubungsblatt

6 Aufgabe 4), die mit dieser Veranschaulichung verbunden ist, nutzt die Additionstheoreme fur Sinus und Cosinus,die wir ebenfalls noch nicht bewiesen haben, die aber wahrscheinlich jeder schon in der Schule gesehen hat. Fur

einen exakten und streng logischen Aufbau ware diese Veranschaulichung und die oben genannte Aufgabe besser

erst dann zu behandeln, wer wir all dies eingefuhrt haben. Da es aber mindestens genauso wichtig ist, dass Siemoglichst bald eine gute Vorstellung von den komplexen Zahlen entwickeln, ist es dennoch richtig hier und nichtspater diese Veranschaulichung zu behandeln.

72 2. ZAHLEN

Bilder zur Polar-Darstellung

Schreibe z1, z2, z3 in Polar-Darstellung

zn = rn(cosϕn + (sinϕn)i), rn ∈ R>0, ϕn ∈ R.rn := |zn|; ϕn = arg(zn), falls ϕn ∈ [0; 2π).

UBUNG 7.5 (Ubungsblatt 6 Aufgabe 4). z3 = z1 · z2 ist aquivalent zu

r3 = r1 · r2 undϕ3 − (ϕ2 + ϕ1)

2π∈ Z

Mi 28.11.

Definition 7.6. Sei d ∈ N und seien a0, a1, . . . , ad ∈ C. Eine Funktion der Form

C −→ C

z 7→ P (z) :=d∑k=0

akzk = a0 + a1z

1 + a2z2 + · · ·+ adz

d

nennt man eine polynomiale Funktion22 uber C. Die Zahlen a0, . . . , ad nennt man die Koeffizienten.Gilt ad 6= 0, so sagen wir P hat Grad d, deg(P ) = d. Die polynomiale Funtion mit C −→ C, z 7→ 0hat Grad −∞, deg(0) = −∞. Hierbei ist −∞ ein Symbol23 mit den Eigenschaften ∀n ∈ N : −∞ <n und ∀n ∈ N : −∞+ n := −∞. Gilt deg(P ) = d ∈ N, so nennt ad den Leitkoeffizient .

Jede polynomiale Funktion P hat einen Grad deg(P ) ∈ {−∞, 0, 1, . . .}.(P +Q)(z) := P (z) +Q(z), (P ·Q)(z) := P (z) ·Q(z), deg(P ·Q) = deg(P ) + deg(Q).

THEOREM 7.7 (Fundamentalsatz der Algebra). Sei P : C −→ C ein Polynom von Grad d ≥ 1.Dann gibt es ein z ∈ C mit P (z) = 0.

Ein solches z nennt man eine Nullstelle von P .

Mindestens einen Beweis dieses Theorems lernen wir in der Analyis III kennen.

KOROLLAR 7.8. Zu jeder polynomialen Funktion P uber C von Grad d ≥ 1 gibt es komplexeZahlen b1, . . . , bd mit

∀z ∈ C : P (z) = ad(z − b1)(z − b2) · · · (z − bd).Die Losungsmenge der komplexen Zahlen z, die P (z) = 0 erfullen, ist somit

{bj | j ∈ {1, . . . , d}}und hat deswegen hochstens d Elemente und mindestens 1 Element.

22Sie haben im Rahmen der Schulmathematik hierfur vielleicht das Wort”Polynom“ statt

”polynomialer Fun-

tion“ benutzt, dies ist nun aber nicht mehr erlaubt, denn das Wort”Polynom“ hat in der Mathematik eine etwas

andere Bedeutung, siehe Lineare Algebra.23Man sollte sich nicht fragen, was −∞ ist. Es ist nur ein Symbol, das N erweitert zu {−∞} ∪ N, und die

Definition der Ordnung ≤ und der Addition + erweitern sich wie in diesen Eigenschaften beschrieben.

7. DIE KOMPLEXEN ZAHLEN 73

Beweis. Man zeigt zuerst die Zerlegung P (z) = an(z − b1)(z − b2) · · · (z − bd) durch Induktionuber d.

Induktionsanfang.Ist P eine polynomiale Funktion von Grad 1, dann gilt P (z) = a1z+ a0 mit a1 6= 0. Daraus ergibtsich

P (z) = a1

(z +

a0a1

),

also die Aussage mit b1 = −a0/a1.

Induktionsschritt.Sei d ≥ 2 gegeben, und eine polynomiale Funktion P von Grad d. Das Korollar gelte fur d − 1.Nach dem Fundamentalsatz der Algebra gibt es eine Nullstelle bd von P . Wir dividieren P (z) durch(z − bd):

P (z) = Q(z)(z − bd) +R(z),

wobei Q eine polynomiale Funktion von Grad d − 1 ist und R eine polynomiale Funktion ist, dieden Divisionsrest angibt. Nun gilt24 deg(R) < deg(z − bd) = 1, also deg(R) = 0 oder R = 0. Daoffensichtlich R(bd) = 0, folgt R = 0. Die polynomialen Funktionen Q und P haben denselbenLeitkoeffizient, den wir a nennen. Wir wenden nun die Induktionsvoraussetzung auf Q an undschreiben:

Q(z) = a(z − b1) · · · (z − bn−1),

woraus wir

P (z) = a(z − b1) · · · (z − bn)

erhalten.

Nun rechnet man leicht P (bj) fur alle j ∈ {1, . . . , n} nach. Umgekehrt, sieht man fur z 6∈ {bj | j ∈{1, . . . , n}} leicht, dass P (z) als Produkt von nicht-verschwindenden25 Faktoren ebenfalls nicht-verschwindet.

Ist w eine Nullstelle von P , dann nennt man

#{j ={

1, 2, . . . , d} | w = bj

}∈ N

die Multiplizitat der Nullstelle.

Bemerkung 7.9. Die Berechnung der Nullstellen ist im allgemeinen sehr schwierig. Fur polyno-miale Funktionen von Grad d ≤ 4 gibt es eine Losungsformel. In der Schule lernt man die furd = 2, die Formel fur d = 3 und d = 4 sind zunehmend komplizierter. Fur Grad d ≥ 5 gibt eskeine Losungsformel, genauer man kann aus den Koeffizienten ai, den Grundrechenarten +,+, ·, /und Wurzelziehen keinen Ausdruck herleiten, der die Nullstellen angibt. Und man kann zeigen,dass es solche einen Ausdruck gar nicht gibt. Diese Aussagen werden in der Vorlesung

”Algebra“

24Beweis: Lineare Algebra oder Mathematische-Methoden-Vorlesung25

”nicht-verschwindend“ ist eine noblere Form fur

”ungleich 0“

74 2. ZAHLEN

im Rahmen der Galois-Theorie behandelt. Die Galois-Theorie ist nach Evariste Galois benannt,dessen Leben und fruher Tod eine sehr erstaunlich ist, siehe Wikipedia.

KAPITEL 3

Folgen und Reihen

1. Folgen

1.1. Konvergenz von Folgen. Im folgenden sei K = Q, K = R oder K = C. 1 Es gibt danneine Betragsfunktion K → R, x 7→ |x|.

|x+ y| ≤ |x|+ |y|, |xy| ≤ |x| |y|Definition 1.1. Eine (K-wertige) Folge ist eine Abbildung von N nach K.

Oft bezeichnet man auch auf N>k definierte Abbildungen als Folgen, z.B. N>0 → K.

Definition 1.2. Eine K-wertige Folge (aj)j∈N heißt beschrankt , wenn es ein s ∈ R gibt, so dass

∀j ∈ N : |aj | ≤ s.Ist K ⊂ R, dann ist (aj)j∈N beschrankt genau dann, wenn die Menge {aj | j ∈ N} nach obenund unten beschrankt ist. Fur K ⊂ R nennen wir (aj)j∈N nach oben bzw.2 nach unten beschranktgenau dann, wenn {aj | j ∈ N} nach oben bzw. nach unten beschrankt ist. Die Begriffe obereSchranke, untere Schranke, Minimum, Maximum, Supremum, Infimum definiert man fur Folgenanalog, also z.B. a ∈ R ist obere Schranke von (aj)j∈N genau dann, wenn es obere Schranke von{aj | j ∈ N} ist.

Beispiele 1.3.

(a) (2j)j∈N ist nach unten, aber nicht nach oben beschrankt.(b) (3 + 4/j)j∈N>0

ist nach unten beschrankt durch 3 und nach oben beschrankt durch 7.

Definition 1.4 (Konvergenz von Folgen). Eine K-wertige Folge (aj)j∈N konvergiert gegen a ∈ K,falls gilt

∀ε ∈ R>0 : ∃j0 ∈ N : ∀j ∈ N : (j ≥ j0 =⇒ |aj − a| ≤ ε).Man nennt a den Grenzwert oder Limes der Folge (aj)j∈N und schreibt a = limj→∞ aj oder aj → afur j → ∞. Wir sagen (aj)j∈N konvergiert (in K), falls es ein derartiges a ∈ K gibt. Folgen, die

1Alles, was wir im folgenden zeigen werden, gilt auch fur jeden archimedisch geordneten Korper. Da aber alle

diese Korper zu einem Unterkorper von R isomorph sind, ist dies keine wirkliche Verallgemeinerung.2Die Abkurzung

”bzw.“ steht fur

”beziehungsweise“ und dieses Wort besagt, dass diese Definition nun in zwei

Version gelesen werden kann. Zunachst mit den Worten”nach oben“ an beiden Stellen, aber auch mit den Worten

”nach unten“. Hierbei ist wichtig, dass im Haupt- und im Nebensatz denselben Begriff nutzt.

75

76 3. FOLGEN UND REIHEN

gegen 0 konvergieren, nennt man Nullfolgen. Falls eine Folge nicht konvergiert, so sagen wir dazusie divergiert.

!ACHTUNG!. Wenn wir a = limj→∞ aj schreiben, so bedeutet dies immer:

• der Grenzwert existiert, und• der Grenzert ist a.

Bemerkungen 1.5.

(a) Falls eine Folge einen Grenzwert besitzt, so ist dieser eindeutig bestimmt. Seien a und a′ zweiGrenzwerte von (aj)j∈N. Zu einem gegebenen ε ∈ R>0 gilt also:

∃j0 ∈ N : ∀j ∈ N : (j ≥ j0 =⇒ |aj − a| ≤ ε).∃j′0 ∈ N : ∀j ∈ N : (j ≥ j′0 =⇒ |aj − a′| ≤ ε).

Wahle nun so ein j0 und j′0. Dann gilt fur alle j ≥ max{j0, j′0}:

|a− a′| ≤ |a− aj |+ |aj − a′| ≤ ε+ ε = 2ε.

Dies gilt fur alle ε ∈ R>0. Angenommen wir haben a 6= a′, so gilt dies insbesondere furε := |a − a′|/3 > 0. Also folgt 3ε ≤ 2ε und somit ergibt sich der Widerspruch ε ≤ 0. DieAnnahme a 6= a′ war also falsch, d.h. es gilt a = a′.

(b) Falls (aj)j∈N konvergiert, so ist (aj)j∈N beschrankt. Begrundung: sei a := limj→∞aj . Wirwahlen zu ε := 1 ein passendes j0. Es gilt somit fur alle j ∈ N mit j ≥ j0:

|aj | ≤ |aj − a|+ |a| ≤ |a|+ 1.

Nun setzen wir

r := max{|a0|, |a1|, . . . , |aj0−1|, |a|+ 1}.Dann gilt fur alle j ∈ N: |aj | ≤ r. Somit ist (aj)j∈N beschrankt.

(c) Zu jedem ε ∈ R>0 existiert ein n ∈ N>0 mit ε ≥ 1/n (siehe Ubungsblatt 5 Aufgabe 3).Deswegen gilt3

a = limj→∞

aj gdw ∀n ∈ N>0 : ∃j0 ∈ N : ∀j ∈ N : (j ≥ j0 =⇒ |aj − a| ≤1

n).

Beispiele 1.6.

(a) Eine Folge (aj)j∈N heißt konstant, falls a0 = a1 = a2 = . . .. Konstante Folgen sind beschranktund konvergieren. a0 = limj→∞ ai.

(b) ( 1j )j∈N>0

ist eine Nullfolge. (Nutze z.B. Bem. 1.5 (c) und setze j0 := n).

(c) Die Folge((−1)j

)j∈N hat 1 als obere und −1 als untere Schranke und ist somit beschrankt.

Wir werden bald sehen, dass sie nicht konvergiert.

3Um die Gefahr von Verwechslungen zwischen dem Grenzwert-Pfeil (z.B. j → ∞) und dem Pfeil fur logischeImplikation (z.B. (a∧ b)→ (c∨ d) klein z halten, benutzen wir ab nun oft =⇒ an Stellen, wo wir bisher → benutzthatten, z.B. in der folgenden Formel

1. FOLGEN 77

(d) Gilt |q| < 1, dann ist (qj)j∈N eine Nullfolge. (Hierbei ist q0 := 1.)Um dies zu zeigen, bestimme mit dem folgenden Lemma zu gegebenem ε ∈ R>0 ein n ∈ N mit|q|n < ε. Dann gilt fur alle j ∈ N, j ≥ n:

|qj | = |q|j = |q|j−n︸ ︷︷ ︸≤1

|q|j ≤ ε.

Wir haben also gezeigt:

∀ε ∈ R>0 : ∃n ∈ N : ∀j ∈ N :(j ≥ n =⇒ |qj − 0| ≤ ε

).

LEMMA 1.7. Sei r ∈ R>0 mit r < 1 und ε ∈ R>0. Dann gibt es ein n ∈ N mit rn < ε.

Beweis. Offensichtlich gilt

rn < ε⇐⇒(1

r

)n>

1

ε(1.8)

Auf Ubungsblatt 4 Aufgabe 1 c) haben wir fur x ∈ R≥−1 die Bernoulli-Ungleichung gezeigt:

(1 + x)n ≥ 1 + nx .

Wende die Bernoulli fur x := (1/r)− 1 > 0 an und erhalte

(1.9)

(1

r

)n≥ 1 + nx .

Aufgrund der archimedischen Eigenschaft existiert ein n ∈ N mit

n >1

x

(1

ε− 1

).

und dies ist aquivalent zu

1 + nx >1

ε,

und mit (1.9) impliziert dies (1.8) und somit rn < ε. Fr 30.11.

PROPOSITION 1.10. Seien (aj)j∈N und (bj)j∈N konvergente Folgen. Dann gilt:

limj→∞

(aj + bj) = limj→∞

aj + limi→∞

bj(1)

limj→∞

(aj − bj) = limj→∞

aj − limi→∞

bj(2)

limj→∞

(aj · bj) = limj→∞

aj · limi→∞

bj(3)

Gilt zusatzlich: ∀i ∈ N : bj 6= 0, und ist (bj)i∈N keine Nullfolge, so gilt auch

(4) limj→∞

ajbj

=

limj→∞

aj

limi→∞

bj.

78 3. FOLGEN UND REIHEN

Beweis von Proposition 1.10 (1).

(1): Angenommen a = limj∈N aj und b = limj∈N bj . Dies bedeutet, dass wir fur jedes ε ∈ R>0 diefolgenden Aussagen haben:

∃j0 ∈ N : ∀j ∈ N : (j ≥ j0 =⇒ |aj − a| ≤ ε)∃k0 ∈ N : ∀j ∈ N : (j ≥ k0 =⇒ |bj − b| ≤ ε)

Wir wahlen nun solch ein j0 und solch ein k0. Dann gilt fur `0 := max{j0, k0}.∀j ∈ N : (j ≥ `0 =⇒ |aj − a| ≤ ε ∧ |bj − b| ≤ ε).

Wir rechnen fur j ≥ `0:

|(aj + bj)− (a+ b)| = |(aj − a) + (bj − b)| ≤ |aj − a|+ |bj − b| ≤ ε+ ε = 2ε.

Also ergibt sich insgesamt

∀ε ∈ R>0 : ∃`0 ∈ N : ∀j ∈ N :(j ≥ `0 =⇒ |(aj + bj)− (a+ b)| ≤ 2ε.

)︸ ︷︷ ︸

A(2ε):=

Nach dem folgenden Lemma konnen wir in dieser Aussage 2ε durch ε zu ersetzen. Somit ist

a+ b = limj→∞

(aj + bj)

und damit auch (1) gezeigt.

LEMMA 1.11. Sei A( • ) eine auf R>0 definierte Aussageform, und q ∈ R>0. Dann gilt

∀ε ∈ R>0 : A(ε) ⇐⇒ ∀ε ∈ R>0 : A(qε)

Das Lemma gibt es vielen Variationen. Wichtiger als die Aussage des Lemmas ist es, zu verstehen,wie man das Lemma (oder eine Variation davon!) kurz beweist.

Beweis des Lemmas.

”=⇒“: Es gelte

(1.12) ∀ε ∈ R>0 : A(ε).

Fur ein gegebenes ε > 0 wollen wir nun A(qε) zeigen. Wir wenden (1.12) fur ε := qε an, und habendann das gewunschte.

”⇐=“: Analog mit ε := q−1ε

Beweis von Proposition 1.10 (Fortsetzung).(2): Der Beweis fur (aj − bj)j∈N ist vollig analog zur Summe.

(3): Sei wieder a := limj→∞ aj und b := limj→∞ bj . Fur das Produkt (aj · bj)j∈N muss man etwasanders vorgehen. Zunachst nutzen wir die Tatsache, dass (aj)j∈N beschrankt ist. Also gibt es einr ∈ R mit

∀j ∈ N : |aj | ≤ r

1. FOLGEN 79

Dann argumentieren wir wie bei der Summe, rechnen aber wie folgt:

|ajbj − ab| = |aj(bj − b) + (aj − a)b| ≤ |aj ||bj − b|+ |aj − a||b| ≤ rε+ ε|b| = (r + |b|)ε.

Nun argumentiert man wie bei der Summe, wobei man das Lemma mit q := r + |b| nutzt.

(4): Sei b := limj→∞ bj 6= 0. Wir zeigen, dass 1/bj gegen 1/b konvergiert. Die Aussage (4) folgtdann mit (3).

Fur ε1 := |b|/2 gibt es ein j0 ∈ N, so dass fur alle j ∈ N≥j0 gilt |bj − b| ≤ ε1 = |b|/2. NachLemma 5.11 (g) haben wir dann

|bj | ≥ |b| − |b− bj | ≥ |b| −|b|2

=|b|2.

Wir nutzen nun wieder die Definition des Grenzwerts: fur jedes ε ∈ R>0 haben wir

∃k0 ∈ N : ∀j ∈ N : (j ≥ k0 =⇒ |bj − b| ≤ ε)

Fur j ≥ `0 := max{j0, k0} rechnen wir

∣∣∣∣ 1

bj− 1

b

∣∣∣∣ =

∣∣∣∣b− bjbbj

∣∣∣∣ =|b− bj ||b| |bj |

≤ ε

(|b|/2) |b|=

2

|b|2ε .

Wir haben also gezeigt

∀ε > 0 : ∃`0 ∈ N : ∀j ∈ N :(j ≥ `0 =⇒

∣∣∣∣ 1

bj− 1

b

∣∣∣∣ ≤ 2

|b|2ε).

Aus dem Lemma mit q := 2|b|2 folgt dann

1

b= limj→∞

1

bj.

80 3. FOLGEN UND REIHEN

1.2. Monotone Folgen.

Definition 1.13. Seien (M,≤) und (N,≤) geordnete Mengen, f : M → N . Wir sagen f ist

monoton wachsend :⇐⇒ ∀i, j ∈M :(i ≤ j =⇒ f(i) ≤f (j))

)⇐⇒ f erhalt die Ordnung

monoton fallend :⇐⇒ ∀i, j ∈M :(i ≤ j =⇒ f(i) ≥ f(j)

)⇐⇒ f ist ordnungsumkehrend

streng monoton wachsend :⇐⇒ ∀i, j ∈M :(i < j =⇒ f(i) < f(j)

)streng monoton fallend :⇐⇒ ∀i, j ∈M :

(i < j =⇒ f(i) > f(j)

)monoton:⇐⇒ f ist monoton wachsend oder monoton fallend

streng monoton:⇐⇒ f ist streng monoton wachsend oder streng monoton fallend

⇐⇒ f ist monoton und injektiv

Beispiele 1.14.

(1) R −→ R, x 7→ x3 ist streng monoton wachsend,(2) (n)n∈N und (1− 1

n )n∈N>0 sind streng monoton wachsende Folgen.(3) Fur r ∈ R ist

brc := max(S({r},R) ∩ Z

),

also die großte ganze Zahl ≤ r. Analog ist dre als die kleinste ganze Zahl ≥ r definiert.Dann ist (bn2 c)n∈N = (0, 0, 1, 1, 2, 2, 3, 3, . . .) monoton wachsend, aber nicht streng monoton.Gleiches gilt fur (dn2 e)n∈N = (0, 1, 1, 2, 2, 3, 3, . . .).

(4) Injektive monotone Funktionen sind streng monoton.(5) Ist (M,≤) total geordnet, (N,≤) partiell geordnet und ist f : M −→ N streng monoton, dann

ist f : M −→ N injektiv. Denn seien x, y ∈M . Es gilt x < y, x = y oder x > y. Falls f strengmonoton wachsend ist und falls x < y, dann folgt f(x) < f(y), also f(x) 6= f(y). Die anderenFalle sind analog.

Nun betrachten wir reell-wertige Folgen, also M = N, N = R.

Monoton wachsende (bzw. fallende) Folgen (ai)i∈N haben a0 als Minimum (bzw. Maximum), sindalso immer nach unten (bzw. oben) beschrankt.

PROPOSITION 1.15. Alle beschrankten monotonen R-wertige Folgen konvergieren (in R).

Beweis. Sei (aj)j∈N eine beschrankte monotone Folge, o.B.d.A. monoton wachsend, aj ∈ R. Defi-nieren A := {aj | j ∈ N}, a := supA. Zu jedem ε ∈ R>0 gibt es ein j0 ∈ N mit aj0 > a − ε, dennsonst ware a− ε eine obere Schranke von A.

1. FOLGEN 81

Also gilt fur alle j ∈ {j0, j0 + 1, . . .}: a − ε < aj0 ≤ aj ≤ a. Daraus ergibt sich |a − aj | ≤ ε. Wirerhalten a = limj→∞ aj .

Beispiel 1.16. Sei

aj :=

j∑k=1

1

k2 + k5.

Die Folge (aj)j∈N ist streng monoton. Spater werden wir sehen: (aj)j∈N ist beschrankt. Somitkonvergiert (aj)j∈N.

In Abschnitt 2 uber Reihen im aktuellen Kapitel werden wir viele ahnliche Beispiele sehen.

Beispiel 1.17. Wallissches Produkt und ein Algorithmus zur Wurzelberechnung, siehe Zentralubungoder [22, Abschnitt 5.3 und 5.4].

1.3. Teilfolgen. Von nun an wieder K = Q, R oder C.

Definition 1.18. Ist f : N −→ N eine streng monotone wachsende Abbildung, dann nennt man(af(k))k∈N eine Teilfolge von (aj)i∈N.

Beispiel 1.19. Die Folge (j)j∈N = (0, 1, 2, 3, . . .) hat unter anderem folgende Teilfolgen: 4

• sich selbst, das heißt (j)j∈N = (k)k∈N, also f(k) = k• die Folge der ungeraden Zahlen (1, 3, 5, 7, . . .), also f(k) = 2k + 1• die Folge der Primzahlen (2, 3, 5, 7, . . .).

LEMMA 1.20. Konvergiert (aj)j∈N gegen a, so konvergiert jede Teilfolge ebenfalls gegen a.

Beweis. Sei (af(k))k∈N eine Teilfolge von (aj)j∈N, also f : N −→ N streng monoton.

Sei ε ∈ R>0 gegeben. Wir haben

∃j0 ∈ N : ∀j ∈ N≥j0 : |aj − a| ≤ ε.Wahle zu solch einem j0 ein k0 ∈ N mit f(k0) ≥ j0, zum Beispiel k0 := j0. Dann gilt fur dieses k0

∀k ∈ N≥k0 : |af(k) − a| ≤ ε.Insgesamt also

∀ε ∈ R>0 : ∃k0 ∈ N : ∀k ∈ N : (k ≥ k0 =⇒ |ak − a| ≤ ε).Ingesamt also a = limk→∞ af(k).

Anwendung 1.21. Die Folge((−1)j

)j∈N aus Beispiele 1.6 (c) divergiert.

Beweis. Angenommen, die Folge((−1)j

)j∈N konvergiert gegen ein a ∈ K. Dann konvergieren auch

die Teilfolgen((−1)2k

)k∈N = (1)k∈N und

((−1)2k+1

)k∈N = (−1)k∈N gegen a. Da diese Teilfolgen

konstant sind, erhalten wir den Widerspruch a = 1 und a = −1. Mi 5.12.

4Diese Folge hat naturlich noch viel mehr Teilfolgen!

82 3. FOLGEN UND REIHEN

Sei K = Q, R oder C.

Definition 1.22. Sei (ai)i∈N eine K-wertige Folge, a ∈ K. Wir sagen a ist ein Haufungspunkt derFolge (ai)i∈N, falls eine Teilfolge existiert, die gegen a konvergiert.

Beispiele 1.23. Die Haufungspunkte der Folge((−1)n

)n∈N sind −1 und +1.

K = C. Die Haufungspunkte der Folge(in)n∈N = (1, i,−1,−i, . . .) sind −1, +1, −i und +i.

1.4. Erweiterte reelle Zahlen und uneigentliche Konvergenz. In diesem Unterab-schnitt ist immer K = R.

Nach unseren bisherigen Definition besitzen zum Beispiel die folgenden Teilmenge von R wederSupremum noch Infimum: ∅, Z, Q, R, . . ..

Notation 1.24. Wir definieren sup ∅ := −∞, inf ∅ := ∞. Und supM := ∞, falls M nicht nachoben beschrankt. Und inf M := −∞, falls M nicht nach unten beschrankt.

Fortsetzung der Ordnung auf R := R ∪ {−∞,+∞}. ∞ = +∞.

∀x ∈ R : −∞ ≤ x ≤ ∞.Man nennt R die erweiterten reellen Zahlen. Addition und Multiplikation sind hierauf nicht defi-niert.

Intervalle5: Seien a, b ∈ R, a ≤ b(a, b) := {x ∈ R | a < x < b} offenes Intervall[a, b) := {x ∈ R | a ≤ x < b} halboffenes Intervall(a, b] := {x ∈ R | a < x ≤ b} halboffenes Intervall[a, b] := {x ∈ R | a ≤ x ≤ b} abgeschlossenes Intervall

Definition 1.25. Sei (an)n∈N eine reell-wertige Folge. Wir sagen

(an)n∈N konvergiert gegen unendlich

⇐⇒ ∀x ∈ R : ∃n0 ∈ N : ∀n ∈ N≥n0: an ≥ x

Alternative Ausdrucksweisen:an →∞ fur n→∞(an)n∈N konvergiert gegen ∞.limj→∞ aj =∞

Wir sagen (an)n∈N konvergiert gegen −∞, wenn (−an)n∈N gegen +∞ konvergiert. Konvergenzgegen ∞ oder −∞ nennt man uneigentliche Konvergenz .6 Wir sagen, dass ∞ (bzw. −∞) einHaufungspunkt von (an)n∈N ist, falls eine Teilfolge gegen ∞ (bzw. −∞) konvergiert.

5An Stelle von (0, 1] schreibt man in Schulen oft ]0, 1]. Dies ist in der Mathematik in den Universitaten weniger

ublich, da eine Klammer ] am Ende eines einzuklammernden Ausdrucks stehen sollte. In den meisten Buchern

schreibt man deswegen (0, 1].6In manchen Buchern, z.B. [14] wird der Begriff

”uneigentliche Konvergenz“ durch

”bestimmte Divergenz“

ersetzt.

1. FOLGEN 83

Wir nutzen den Begriff”eigentlich konvergent“ inhaltlich aquivalent zu

”konvergiert“, das Wort

”eigentlich“ wird benutzt, wenn man nochmals unterstreichen will, dass es sich nicht um

”unei-

gentliche Konvergenz“ handelt.

Wir sagen eine Folge konvergiert in R, falls sie eigentlich oder uneigentlich konvergiert.

Beispiel 1.26. Sei k ∈ N>0. Dann gilt:

limn→N

nk =∞.

Wenn wir a = limn→∞ an schreiben, so bedeutet dies ab jetzt (fur K = R):

• der Grenzwert existiert im eigentlichen oder uneigentlichen Sinn,• der Grenzwert ist a ∈ R.

!ACHTUNG!. Wenn wir ohne weitere Zusatze sagen:”die reell-wertige Folge konvergiert“, dann

ist hier immer die Konvergenz im eigentlichen Sinne gemeint, d.h. gegen eine reelle Zahl. Uneigent-lich konvergente Folgen sind somit immer divergent. 7

!ACHTUNG!. In der gesamten Analysis I und II gilt: Im Fall K = C gibt es keine uneigentlicheKonvergenz von Folgen. Wer diesen Begriff in der Klausur oder auf dem Ubungsblatt fur K = Cnutzt, macht einen Fehler.

LEMMA 1.27. Eine Folge ist genau dann nach oben (bzw. nach unten) beschrankt, wenn ∞ (bzw.−∞) kein Haufungspunkt ist.

Beweis. Sei (aj)j∈N eine Folge.

Angenommen ∞ ist ein Haufungspunkt. Sei f : N → N ist streng monoton wachsend undlimn→∞ af(n) =∞. Fur x ∈ R gilt dann

∃n0 ∈ N : ∀n ∈ N≥n0: af(n) ≥ x.

Also ist x− 1 keine obere Schranke. Also (aj)j∈N unbeschrankt.

Sei (aj)j∈N nach oben unbeschrankt.

(1.28) ∀x ∈ R : ∃k ∈ N : ak > x

Definiere induktiv f : N→ N. Wahle f(0) := 0. Seien nun f(0), f(1), . . . , f(n) fur n ∈ N definiert.Wende (1.28) fur x := max{af(0), af(1) . . . , af(n), n} an und erhalte ein k. Setze f(n + 1) := k.Dann konvergiert die Teilfolge (af(n))n∈∞ gegen ∞.

Also ist die Folge nach oben unbeschrankt genau dann, wenn ∞ Haufungspunkt ist.

7Aber wir haben schon gesehen, dass es divergente Folgen gibt, die nicht uneigentlich konvergieren, z.B.

((−1)n)n∈N.

84 3. FOLGEN UND REIHEN

(aj)j∈N nach unten beschrankt

⇐⇒(−aj)j∈N nach oben beschrankt

⇐⇒∞ kein Haufungspunkt von (−aj)j∈N⇐⇒−∞ kein Haufungspunkt von (aj)j∈N

PROPOSITION 1.29. Jede monotone R-wertige Folge konvergiert eigentlich oder uneigentlich (inR).

Beweis. Ist die Folge beschrankt, so wissen wir bereits, dass sie eigentlich konvergiert.

Sei (aj)j∈N unbeschrankt und o.B.d.A. monoton wachsend. Dann ist die Folge also nach obenunbeschrankt. Dies impliziert insbesondere

∀x ∈ R : ∃j0 ∈ N : aj0 > x.

Wegen der Monotonie gilt dann auch aj > x fur alle j ≥ j0. Wir erhalten also limj→∞ aj =∞.

Wir definieren nun die Abbildung ϕ : [−1, 1] −→ R,

ϕ(x) =

1

1−x −1

1+x fur x ∈ (−1, 1)

∞ fur x = 1

−∞ fur x = −1

Diese Abbildung ist streng monoton und bijektiv. Sei ψ := ϕ−1 : R −→ [−1, 1].

PROPOSITION 1.30. Sei (an)n∈N eine R-wertige Folge. Es gilt fur alle a ∈ R:

a = limn→∞

an ⇐⇒ ψ(a) = limn→∞

ψ(an)

a Haufungspunkt von (an)n∈N ⇐⇒ ψ(a) Haufungspunkt von (ψ(an))n∈N

Graphen der Funktion x 7→ ϕ(x) und ihrer Umkehrfunktion

In wenigen Wochen (Bemerkung 5.14 in Kapitel 4) werden wir starke Hilfsmittel haben, um dieseProposition ganz einfach zu zeigen. Der Beweis wird deswegen hier ausgelassen.

1.5. Limes inferior und superior. In diesem Unterabschnitt ist wiederum immer K = R.

Sei (aj)j∈N eine R-wertige Folge. Definiere fur k ∈ N

bk := inf{aj | j ∈ N≥k} ∈ [−∞,∞).

Es gilt bk ≤ bk+1, denn fur A ⊂ B ⊂ R gilt inf B ≤ inf A.

1. FOLGEN 85

Somit ist (bk)k∈N eine monoton wachsende R-wertige Folge und limk→∞ bk existiert in R. Im Fall∀k ∈ N : bk = −∞ definiert man hierfur limk→∞ bk = −∞.

Definition 1.31. Sei (ai)i∈N eine R-wertige Folge.

(1) Wir definieren den Limes inferior als

lim infj→∞

aj := limk→∞

inf{aj | j ∈ N≥k} ∈ R.

(2) Der Limes superior ist

lim supj→∞

aj := − lim infj→∞

(−aj) = limk→∞

sup{aj | j ∈ N≥k} ∈ R.

Beispiel 1.32. lim infj→∞(−1)j = −1, lim supj→∞(−1)j = 1

lim infj→∞

aj ≤ lim supj→∞

aj

SATZ 1.33. Sei (ai)i∈N eine R-wertige Folge.

(1) lim infj→∞

aj ∈ R ist ein Haufungspunkt von (aj)j∈N.

(2) lim supj→∞

aj ∈ R ist ein Haufungspunkt von (aj)j∈N.

(3) Konvergiert (aj)j∈N in R, dann haben wir

lim infj→∞

aj = limj→∞

aj = lim supj→∞

aj

(4) Gilt b := lim infj→∞

aj = lim supj→∞

aj ∈ R, dann konvergiert (aj)j∈N gegen b.

(5) Ist (af(`))`∈N eine Teilfolge von (aj)j∈N, dann gilt

lim infj→∞

aj ≤ lim inf`→∞

af(`)

lim sup`→∞

af(`) ≤ lim supj→∞

aj

(6) Ist b ein Haufungspunkt der Folge (aj)i∈N gilt

lim infj→∞

aj ≤ b ≤ lim supj→∞

aj .

Beweis.Zu (1): Wir definieren wieder bk := inf{aj | j ∈ N≥k}. Sei b := lim infj→∞ aj = limk→∞ bk. Wirhaben dann bk ≤ b.

Wir betrachten zunachst den Fall b ∈ R. Wir geben eine rekursive Definition von f : N → N an.Wir wahlen f(0) := 0. Zu gegebenem n ∈ N>0 nehmen wir nun an, dass f(n− 1) definiert ist undwir wollen nun f(n) definieren. Wegen b = limk→∞ bk und bk ≤ b gibt es ein k0 ∈ N, so dass furalle k ∈ N≥k0 die Ungleichung b− 1

n ≤ bk ≤ b gilt. Wahle k := max{k0, f(n− 1) + 1} nun fest.

86 3. FOLGEN UND REIHEN

Auf Grund der Definition von bk0 als Infimum gibt es ein ` ∈ N≥k mit bk ≤ a` ≤ bk + 1n . Wir

setzen f(n) := ` und erhalten somit

b− 1

n≤ bk ≤ af(n) ≤ bk +

1

n≤ b+

1

n.

Das heißt, das Kriterium in Bemerkung 1.5 (c) fur die Konvergenz b = limn→∞ af(n) ist erfullt.

Die Falle lim infj→∞

aj = ∞ und/oder lim infj→∞

aj = −∞ gehen ahnlich und werden auf dem Ubungs-

blatt 8 behandelt.

Zu (2): Wende (1) auf die Folge (−aj)j∈N an. Wir erhalten eine Teilfolge (−af(n))n∈N mit

limn→∞

(−af(n)) = lim infj→∞

(−aj) ∈ R.

Somitlimn→∞

af(n) = − lim infj→∞

(−aj) = lim supj→∞

aj ∈ R.

Zu (3): Wahle eine Teilfolge gemaß (1) die gegen lim infj→∞

aj konvergiert. Wegen Lemma 1.20 konver-

giert sie auch gegen limj→∞

aj . Also lim infj→∞

aj = limj→∞

aj . Genauso zeigt man die die andere Gleichung

mit (2).Fr 7.12.

Zu (4): Wir haben

bj := inf{ak | k ≥ j} ≤ aj ≤ bj := sup{ak | k ≥ j}(bj) ist monoton wachsend, (bj) monoton fallend, also beide konvergent in R.

b = limj→∞ bj = limj→∞ bj , also konvergiert nach Ubungsblatt 7, Aufgabe 3 b) (Sandwich-Lemma)auch (aj) gegen diesen Grenzwert.

Zu (5): Wir haben{aj | j ∈ N≥f(`)} ⊃ {af(m) | m ∈ N≥`}

und somitbf(`) = inf{aj | j ∈ N≥f(`)} ≤ inf{af(m) | m ∈ N≥`} =: b`

Also

lim infj→∞

aj = limj→∞

bjTF= lim

`→∞bf(`)

(∗)≤ lim

`→∞b` = lim inf

`→∞af(`)

(bj) und (b`) sind monoton wachsende Folgen, also konvergieren sie in RZu TF: Ubergang zu Teilfolge, siehe Lemma 1.20(∗): siehe Ubungsblatt 7, Aufgabe 3, a)

Zu (6): Folgt nun aus (3) und (5)

Aus Satz 1.33 folgt:

1. FOLGEN 87

KOROLLAR 1.34. Jede reell-wertige Folge besitzt eine in R konvergente Teilfolge.

In anderen Worten: Jede reell-wertige Folge besitzt einen Haufungspunkt in R.

KOROLLAR 1.35 (Satz von Bolzano-Weierstraß). Jede beschrankte reell-wertige Folge besitzt eine(in R) konvergente Teilfolge.

In anderen Worten: Jede beschrankte reell-wertige Folge besitzt einen Haufungspunkt in R.

Beweis. Auf Grund des Korollars 1.34 besitzt jede reell-werte Folge mindestens einen Haufungs-punkt in R. Wegen Lemma 1.27 sind −∞ und∞ keine Haufungspunkte, wenn die Folge beschranktist. Wir haben also einen Haufungspunkt in R.

SATZ 1.36 (Satz von Bolzano-Weierstraß in C). Jede beschrankte C-wertige Folge besitzt eine(in C) konvergente Teilfolge.

Beweis. Sei (an)n∈N eine beschrankte Folge, an ∈ C. Dann sind auch (Re an)n∈N und (Im an)n∈Nbeschrankt. Es gibt somit eine streng monotone Abbildung f1 : N −→ N, so dass (Re af1(n))n∈Nkonvergiert. Da auch (Im af1(n))n∈N beschrankt ist, gibt es eine streng monotone Abbildungf2 : N −→ N, so dass auch (Im af1◦f2(n))n∈N konvergiert. Wir folgern, dass (af1◦f2(n))n∈N inC konvergiert.

1.6. Cauchy-Folgen. In diesem Unterabschnitt sei K = C oder sei K ein archimedischgeordneter Korper (z.B. K = R oder K = Q).

Betragsfunktion | • | : K → R, x 7→ |x|.

Definition 1.37. Eine K-wertige Folge (aj)i∈N heißt K-wertige Cauchy-Folge, falls

∀ε ∈ R>0 : ∃j0 ∈ N : ∀j, k ∈ N≥j0 : |aj − ak| ≤ ε.

SATZ 1.38. Jede konvergente Folge ist eine Cauchy-Folge.

Beweis. Es gelte limj→∞ aj = a. Das heißt: fur alle ε ∈ R>0 gibt es ein j0 ∈ N, so dass fur allenaturlichen Zahlen j ≥ j0 gilt: |aj − a| ≤ ε.

Fur solch ein ε und ein passendes j0 nehmen wir nun naturliche Zahlen j ≥ j0 und k ≥ j0 undrechnen nach:

|aj − ak| ≤ |aj − a|+ |a− ak| ≤ ε+ ε = 2ε.

Wir haben nun also gezeigt:

∀ε ∈ R>0 : ∃j0 ∈ N : ∀j, k ∈ N≥j0 : |aj − ak| ≤ 2ε.

Wegen Lemma 1.11 ist dies aquivalent zur definierenden Eigenschaft einer Cauchy-Folge.

LEMMA 1.39. Jede Cauchy-Folge ist beschrankt.

88 3. FOLGEN UND REIHEN

Beweis. Sei (aj)j∈N eine Cauchy-Folge. Wir wahlen zu ε := 1 ein passendes j0 wie in Definiti-on 1.37. Es gilt somit fur alle j ∈ N mit j ≥ j0:

|aj | ≤ |aj − aj0 |+ |aj0 | ≤ |aj0 |+ 1.

Nun setzen wirr := max{|a0|, |a1|, . . . , |aj0−1|, |aj0 |+ 1}.

Dann gilt fur alle j ∈ N: |aj | ≤ r. Somit ist (aj)j∈N beschrankt.

Definition 1.40. Sei K = C oder ein archimedisch geordneter Korper. Wir nennen K vollstandig ,wenn jede K-wertige Cauchy-Folge in K konvergiert.

SATZ 1.41. Sei K = C oder sei K ein archimedisch geordneter Korper, in dem jede beschrankteFolge einen Haufungspunkt besitzt. Dann ist K vollstandig. Insbesondere sind R und C vollstandig.

Beweis. Sei (aj)j∈N eine K-wertige Cauchy-Folge. Nach Lemma 1.39 ist die Folge beschrankt undbesitzt deswegen aufgrund der Annahmen im Satz eine konvergente Teilfolge (af(n))n∈N, der Limesdieser Teilfolge sei a ∈ K. Zu gegebenem ε ∈ R>0 bestimmen wir nun ein n0 ∈ N, so dass

∀n ∈ N≥n0 : |af(n) − a| ≤ ε .Wir bestimmen zudem ein j0 ∈ N, so dass

∀j, k ∈ N≥j0 : |aj − ak| ≤ ε.Wir wahlen nun ein n ∈ N≥n0

mit f(n) ≥ j0. (Eine mogliche Wahl ist n := max{j0, n0}, denndann gilt f(n) ≥ n ≥ j0.) Fur j ≥ j0 erhalten wir

|aj − a| ≤ |aj − af(n)|+ |af(n) − a| ≤ 2ε .

Mit Lemma 1.11 folgt a = limj→∞ aj .

Bemerkung 1.42. Man kann zeigen: Ist K ein vollstandiger archimedisch geordneter Korper, soerfullt er die Supremums-Eigenschaft. Somit sind fur einen archimedisch geordneten Korper diefolgenden Eigenschaften aquivalent:

(1) K erfullt die Supremums-Eigenschaft(2) Jede beschrankte Folge besitzt einen Haufungspunkt (Bolzano-Weierstraß-Eigenschaft)(3) K ist vollstandig(4) K ist isomorph zu R

Beispiel 1.43. Wir konstruieren rekursiv eine Q-wertige Folge (vergleiche Zentralubung)

a0 := 2, an+1 =1

2

(an +

2

an

).

In R — das heißt, wenn wir sie als R-wertige Folge interpretieren — konvergiert diese Folge gegen√2 6∈ Q. Deswegen ist sie eine Cauchy-Folge in R und in Q.

Andererseits konvergiert sie nicht in Q, denn wenn sie in Q gegen a ∈ Q konvergieren wurde,so hatte sie in R auch a 6=

√2 als Grenzwert, was nicht moglich ist. Deswegen konvergiert diese

Cauchy-Folge nicht in Q.

2. REIHEN 89

Cauchy-Folgen sind wichtig, denn man kann hiermit die Konvergenz von Folgen zeigen, ohne denGrenzwert im voraus angeben zu mussen.

2. Reihen

2.1. Motivation von Reihen: Dezimal-Darstellung reeller Zahlen. Notationen.

Eine Dezimal-Darstellung einer positiven reellen Zahl x ist gegeben durch eine Zahl ` ∈ Z undeiner Abbildung

Z≥` → {0, 1, 2 . . . , 9}, n 7→ an.

Wir erhalten hieraus die reelle Zahl

x =

∞∑n=`

10−n · an.

Nun sind mehrere Punkte ungeklart:

• Was ist solch eine unendliche Summe? (Siehe Abschnitt 2.2)• Hat jede positive reelle Zahl eine Dezimal-Darstellung?• Wenn ja, ist sie eindeutig?

Sobald dies geklart ist, kann man”schreiben“, falls ` ≤ 0:

x = a`a`+1 . . . a0, a1a2 . . .

bzw. falls ` > 0:x = 0, 0 . . . , 0︸ ︷︷ ︸

`−1 mal

a`a`+1 . . . . . .

Wir sagen:(an)n∈Z≥` ist eine Dezimal-Darstellung von x .

Beispiele 2.1.

(1)1

7= 0, 142857142857 . . . = 0, 142857

1

13= 0, 076923

1

17= 0, 0588235294117647

1

28= 0, 03571428

3, 14159265 . . .

(2) Die Dezimal-Darstellung ist periodisch, genau dann wenn die dadurch beschriebene zu-gehorige reelle Zahl eine rationale Zahl ist.

90 3. FOLGEN UND REIHEN

Problem: Man kann im allgemeinen nicht alle Ziffern hinschreiben, da es ja unendlich viele sind.

UBUNG 2.2. Gegeben sei die Dezimal-Darstellung (an)n∈Z einer positiven rationalen Zahl pq ,

p, q ∈ N teilerfremd. Wir zerlegen

q = 2a5bqc11 · · · qcrrwobei 2, 5q1, . . . , qr verschiedene Primzahlen sind, a, b, c1, . . . , cr ∈ N. Dann teilt die Periodenlange

die Zahl∏rj=1(qj−1)q

cj−1j . Die Zahl der Ziffern zwischen dem Komma und dem Beginn der Periode

ist max{a, b}.

Im Fall r = 1 kann man dies mit Schulwissens beweisen. Einen Beweis erhalt man (im Fall r = 1)eigentlich schon, wenn man sich genau anschaut, wie man in der 4. Klasse das Dividieren lernt. Fureinen systematischeren Beweis, der auch r > 1 abdeckt, sind Kongruenzen hilfreich. Ein Web-Linkhierzu ist auch

http://m.schuelerlexikon.de/mobile mathematik/Endliche und periodische Dezimalbrueche.htm

Im aktuellen Abschnitt wollen wir nun solche unendlichen Summen einfuhren. Man benutzt aberdas Wort

”Reihe“ an Stelle des Wortes

”Unendliche Summe“.

Bemerkung 2.3. (a) Jede Dezimal-Darstellung”beschreibt“ eine reelle Zahl.

(b) Jede positive reelle Zahl besitzt eine Dezimal-Darstellung.(c) Die Dezimal-Darstellung ist nicht eindeutig. Sind (an)n∈Z≥` , a` 6= 0, und (bn)n∈Z≥k , bk 6=

0, verschiedene Dezimal-Darstellungen derselben positiven Zahl, so hat mindestens eine derbeiden Darstellungen eine Periode 9.

Zu (a): Im nachsten Abschnitt wird klar werden, was hier mit”beschreibt“ gemeint ist, namlich

der Grenzwert einer konvergenten Reihe. Die Aussage wird auch im nachsten Abschnitt gezeigt.

Zu (b) und (c): Dies sollte nach dem nachsten Abschnitt jeder als Ubungsaufgabe beweisen konnen.Tipp zu (b): Zunachst mal uberlegt man sich zu einer gegebenen reellen Zahl x, wie eine Dezimal-darstellung aussehen muss, wenn sie existiert. Danach uberlegt man sich, dass diese Darstellungtatsachlich die gegebene Zahl x beschreibt. Man muss hier u.a. die Supremums-Eigenschaft von Rnutzen.

Beispiele 2.4.

(1) 0, 9 und 1, 0 sind Dezimal-Darstellungen von 1(2) Jede positive reelle Zahle hat also eine eindeutige Periode-9-freie Dezimal-Darstellung.

In der Zentralubung wurde bereits das folgende gezeigt:

PROPOSITION 2.5. Es gibt keine surjektive Abbildung von N nach R.

Beweis. Angenommen es gibt eine surjektive Abbildung f : N −→ R.

2. REIHEN 91

Fur k ∈ N schreiben f(k) als Dezimalzahl

f(k) = ±ak`k . . . ak0 , a

k1ak2 . . .

O.B.d.A. konnen wir annehmen, dass j(k) keine Periode 9 hat. Wir definieren h : {0, 1, . . . , 9} −→{0, 1, . . . , 9} durch

h(m) :=

{1 fur m = 2

2 fur m 6= 2

Also h(m) 6∈ {m, 9, 0}. Fur k ∈ N setze nun bk := h(akk), und dann

x := 0, b1b2b3 . . .

Nun ist x 6= f(k), den die beiden reellen Zahlen haben in ihrer Periode-9-freien Darstellung eineverschiedene Ziffer an der k-ten Stelle. Also gilt x 6∈ B(f) = f#(N). Somit ist f gar nicht surjektiv,entgegen der Annahme. Mi 12.12.

2.2. Definition und elementare Eigenschaften. Ziel: Definiere∑∞j=0 aj

Alle Folgen in diesem Abschnitt sind Folgen in K = R oder K = C. In anderen Worten es sindR-wertige oder C-wertige Folgen. Der Fall Q-wertiger Folgen ist naturlich damit auch abgedeckt,da Q ⊂ R, wir diskutieren aber nicht die Konvergenz in Q, sondern nur die Konvergenz in R.

Beachte im folgenden: eine Folge (an)n∈N ist genau dann eine Nullfolge, wenn (|an|)n∈N eine Null-folge ist.

Definition 2.6. Sei (aj)j∈N eine Folge in K. Wir definieren die n-te Teilsumme oder Partialsummeals

sn :=

n∑j=0

aj .

Die Folge (sn)n∈N nennt man dann (unendliche) Reihe mit den Summanden aj . Man schreibt eineReihe in der Form

∞∑j=0

aj .

Falls die Folge der Partialsummen (sn)n∈N konvergiert, so sagen wir die Reihe konvergiert undman definiert

∞∑j=0

aj := limn→∞

sn.

Die Reihe divergiert, wenn die Folge der Partialsummen divergiert. Bei Folgen in R definiert mananalog die uneigentliche Konvergenz.

Wir erlauben auch, dass Reihen nicht bei 0, sondern bei einer beliebigen anderen ganzen Zahl k0beginnen und schreiben dann eben

∑∞j=k0

aj .

92 3. FOLGEN UND REIHEN

!ACHTUNG!.∑∞j=1 aj hat zwei Bedeutungen:

1.) die Folge der Partialsummen. Dann ist∑∞j=0 aj ∈ Abb(N,K)

2.) der Limes dieser Folge (falls er existiert). Dann ist∑∞j=0 aj ∈ K

Welche Bedeutung gemeint ist, wird immer aus dem Kontext heraus deutlich. Wenn man sagt”die

Reihe∑∞j=1 aj konvergiert oder divergiert in K“, dann ist immer die Folge der Partialsummen

gemeint. Wenn man 5 =∑∞j=1 aj schreibt, dann ist der Limes der Folge der Partialsummen gemeint

(und es ist dann implizit klar, dass wir fordern, dass dieser dann existieren muss). Um diesenUnterschied deutlicher zu machen, schreiben wir in den nachsten Zeilen aus didaktischen Grunden1.) die Folge der Partialsummen immer in dieser Farbe2.) den Limes dieser Folge immer in dieser Farbe

∞∑j=1

aj konvergent

⇐⇒ ∃s ∈ K : ∀ε ∈ R>0 : ∃n0 ∈ N : ∀n ∈ N≥n0:∣∣∣( n∑j=1

aj)− s∣∣∣ ≤ ε

⇐⇒ ∀ε ∈ R>0 : ∃n0 ∈ N : ∀n ∈ N≥n0: ∀m ∈ N≥n :

∣∣∣ m∑j=n+1

aj

∣∣∣ ≤ ε (Cauchy-Kriterium)

8

Jede Folge kann realisiert werden als Folge von Partialsummen. Denn sei (sn)n∈N gegeben. Definieredann a0 := s0 und fur n ≥ 1: an = sn − sn−1. Dann ist sn die n-te Partialsumme von (an)n∈N.

Beispiele 2.7.

(a) Konvergente geometrische Reihe:∑∞r=0 z

r = 11−z fur |z| < 1.

Denn wir rechnen:

(z0 + z1 + z2 + · · ·+ zn︸ ︷︷ ︸sn=

)(1− z) = 1− zn+1,

Nun ist (zn+1)n∈N eine Nullfolge, da (|z|n+1)n∈N ebenfalls eine Nullfolge ist.(b) Divergente geometrische Reihe:

∑∞r=0 z

r divergiert fur |z| ≥ 1: siehe unten (Prop. 2.8) undbeachte, dass (zr)r∈N keine Nullfolge ist.

(c) Die harmonische Reihe∑∞r=1

1r divergiert:

Dieser Teil ist noch nicht gesetzt.

(d)∑∞r=1

1r2 konvergiert:

Dieser Teil ist noch nicht gesetzt.

PROPOSITION 2.8. Wenn∑∞j=0 aj konvergiert, dann ist (aj)j∈N eine Nullfolge.

8Hier gilt die Konvention∑nj=n+1 aj = 0

2. REIHEN 93

Beweis. Sei s =∑∞j=0 aj . Dann gilt

an =

n∑j=0

aj −n−1∑j=0

aj → s− s = 0 fur n→∞.

Die Umkehrung dieser Aussage ist falsch: Die Reihe∑∞r=1

1r divergiert, aber ( 1

r )r∈Nr{0} ist Null-folge.

EIGENSCHAFTEN 2.9.

(a) Wenn∑∞j=0 aj und

∑∞j=0 bj konvergieren, dann gilt

∞∑j=0

(aj ± bj) =

∞∑j=0

aj ±∞∑j=0

bj .

(b) In einer konvergenten Reihe durfen Klammern gesetzt werden (Ubergang zu einer Teilfolge derPartialsummen). Man darf im allgemeinen Klammern nicht weglassen:1 − 1 + 1 − 1 + 1 · · · divergiert, aber (1 − 1) + (1 − 1) + (1 − 1) · · · konvergiert gegen 0 und1 + (−1 + 1) + (−1 + 1) · · · konvergiert gegen 1.

(c) Es gelte fur alle r ∈ N: ar ∈ R≥0. Dann ist (sn)n∈N monoton wachsend. Also ist nach Propo-sition 1.15

∑∞r=0 ar genau dann konvergent in K, wenn (sn)n∈N beschrankt ist.

2.3. Konvergenzkriterien.

Einige vereinfachende Notationen

Um in Zukunft uber Folgen und Reihen effizienter sprechen zu konnen, fuhren wir noch einigeNotationen ein.

Definition 2.10. Sei A( • ) eine auf N definierte Aussageform.

Fur fast alle j ∈ N gilt A(j)

:⇐⇒ Es gibt ein j0 ∈ N, so dass fur alle j ∈ N≥j0 : A(j)

⇐⇒ Die Menge {j ∈ N | ¬A(j)} ist endlich

Beispiel:

limj→∞

aj = a

⇐⇒ Fur alle ε ∈ R>0 gilt fur fast alle j ∈ N: |aj − a| ≤ ε6⇐⇒ Fur fast alle j ∈ N gilt fur alle ε ∈ R>0: |aj − a| ≤ ε

Die Bedingung der letzten Zeile ist genau dann erfullt, wenn die Folge (aj)j∈N nach endlich vielenpotentiellen Ausnahmen konstant gleich a ist. Solche Folgen konvergieren zwar gegen a, aber esgibt viel mehr Folgen, die gegen a konvergieren.

94 3. FOLGEN UND REIHEN

Notation:Da wir immer wieder Ausdrucke der Art

∀j ∈ N≥j0 : A(j)

haben, schreiben wir hierfur kurz

∀j ∈ {j0, j0 + 1, . . .} : A(j).

PROPOSITION 2.11 (Majoranten-Kriterium). Sei (ar)r∈N eine Folge in R oder C und (br)r∈Neine Folge in R≥0, so dass fur fast alle r ∈ N: |ar| ≤ br. Konvergiert

∑∞r=0 br, dann auch

∑∞r=0 ar.

Man nennt in diesem Fall∑∞r=0 br eine konvergente Majorante.

Beweis. Fur alle ε ∈ R>0 existiert n0 ∈ N so dass fur alle n ∈ {n0, n0 + 1, . . .}:

|an+1 + · · ·+ am| ≤ |an+1|+ · · ·+ |am| ≤ bn+1 + · · ·+ bm ≤ ε.

Das Majoranten-Kriterium liefert sofort: Divergiert∑∞r=0 ar, so divergiert auch

∑∞r=0 br. In die-

sem Fall gilt dann:∑∞r=0 br = ∞ (uneigentliche Konvergenz), da die Folge der Partialsummen

(∑nr=0 br)n∈N monoton wachsend ist.

Beispiele 2.12. (a)∑∞r=1

1rk

konvergiert fur k ≥ 2, denn∑∞r=1

1r2 ist eine konvergente Majorante.

(b)∑∞r=1

1√r

divergiert, denn es ist eine Majorante von∑∞r=1

1r .

(c)∑∞r=1

1r! konvergiert, weil

∑∞r=2

1(r−1)2 =

∑∞k=1

1k2 eine konvergente Majorante von

∑∞r=2

1r!

ist.

LEMMA 2.13. Sei (bj)j∈N eine Folge in R.

(i) lim infj→∞ bj > 1 genau dann, wenn es ein q ∈ R , q > 1, gibt, so dass fur fast alle j ∈ N:bj ≥ q.

(ii) lim supj→∞ bj < 1 genau dann, wenn es ein q ∈ R, q < 1 gibt, so dass fur fast alle j ∈ N:bj ≤ q.

Beweis. Zu (i) =⇒:

cn := inf{bj | j ≥ n}.cn monoton wachsend, c := limn→∞ cn = lim infj→∞ bj > 1.

q :=c+ 1

2.

Somit gilt fur fast alle n ∈ N: cn > q. Also fur fast alle j ∈ N: bj > q.

Hieraus folgt die Aussage”=⇒“ fur den Limes inferior.Fr 14.12.

Zu (i) ⇐=: Sei wieder

cn := inf{bj | j ≥ n}.

2. REIHEN 95

Gegeben sei q ∈ R>1, so dass fur fast alle j ∈ N gilt: bj ≥ q. In anderen Worten: es gibt ein j0 ∈ N,so dass fur j ∈ N≥j0 : bj ≥ q. Somit

q ≤ cj0 ≤ lim infj→∞

bj .

Zu (ii): Die Aussagen fur den Limes superior zeigt man ganz analog.

Die Ausdrucke limn→∞ an, lim infn→∞ an und lim supn→∞ an ergeben immer noch Sinn, wenn angar nicht mehr fur alle n ∈ N, sondern nur noch fur fast alle n ∈ N definiert ist.

PROPOSITION 2.14 (Quotienten-Kriterium). Sei∑∞j=0 aj eine Reihe in R oder in C, so dass

fur fast alle j ∈ N: aj 6= 0.

(a) Gilt lim supj→∞

∣∣∣aj+1

aj

∣∣∣ < 1 dann konvergiert∑∞j=0 aj.

(b) Gilt lim infj→∞

∣∣∣aj+1

aj

∣∣∣ > 1, dann divergiert∑∞j=0 aj.

Beweis. Zu (a): Lemma 2.13 liefert uns ein j0 ∈ N und q < 1, so dass gilt:

∀j ∈ N≥j0 : aj 6= 0 und ∀j ∈ N≥j0 :

∣∣∣∣aj+1

aj

∣∣∣∣ ≤ q.Dann zeigt man durch Induktion fur n ∈ N≥j0 : |an| ≤ qn−j0 |aj0 |. Somit ist

∑∞n=0 q

n−j0 |aj0 | einekonvergente Majorante von

∑∞j=0 aj und deswegen ist

∑∞j=0 aj konvergent.

Zu (b): Man geht ahnlich vor wie oben und erhalt |an| ≥ qn−j0 |aj0 | fur q > 1. Daraus folgt, dass(|an|)n∈N keine Nullfolge ist, damit auch nicht (an)n∈N und somit divergiert die Reihe

∑∞n=0 an.

Beispiel 2.15. Sei t = pq ∈ Q, p ∈ Z, q ∈ Nr {0}. Definiere fur r ∈ R≥0:

rt := ( q√r)p

Sei x ∈ C. 9 Betrachte die Reihe∑∞n=0 an fur an = ntxn. Fur n ≥ 1:

an+1

an=

(n+ 1

n

)t· x

1 ≤(n+ 1

n

)t=

(q

√1 +

1

n

)p(∗)≤(

1 +1

n

)p→ 1

fur n→∞, wobei wir in (∗) genutzt haben, dass fur s ≥ 1 gilt: 1 ≤ q√s ≤ s und somit q

√sp ≤ sp.

Wir erhalten dann

limn→∞

∣∣∣∣an+1

an

∣∣∣∣ = |x| limn→∞

(n+ 1

n

)t= |x|

Also ist∑∞n=0 n

txn konvergent fur |x| < 1; und∑∞n=0 n

txn ist divergent fur |x| > 1.

9Wir beschranken uns hier auf rationale t, da wir rt noch nicht fur beliebige reelle t definiert haben.

96 3. FOLGEN UND REIHEN

PROPOSITION 2.16 (Wurzel-Kriterium). Sei (ar)r∈N eine Folge. 10

(a) Wenn lim supr→∞r√|ar| < 1, dann konvergiert

∑∞r=0 ar.

(b) Gilt fur unendlich viele r ∈ N: r√|ar| ≥ 1, dann ist

∑∞r=0 ar divergent.

(c) Wenn lim supr→∞r√|ar| > 1, dann ist

∑∞r=0 ar divergent.

Beweis. Zu (a): Unter Benutzung des Lemmas 2.13 gilt fur ein geeignetes q und fast alle r ∈ Nr√|ar| ≤ q < 1.

Also |ar| ≤ qr. Also ist∑∞r=0 q

r eine konvergente Majorante von∑∞r=0 ar.

Zu (b): r√|ar| ≥ 1 ⇐⇒ |ar| ≥ 1. Gilt dies fur unendlich viele r, dann ist (ar)r∈N keine

Nullfolge, also kann∑∞r=0 ar nicht konvergent sein.

Zu (c): Im Fall lim supr→∞r√|ar| > 1 gibt es eine Teilfolge (af(n))n∈N so dass limn→∞ n

√|af(n)| =

lim supr→∞r√|ar| > 1. Es gilt dann n

√|af(n)| > 1 fur fast alle n ∈ N. Also gibt es unendlich viele

r ∈ N mit |ar| > 1.

Beispiele 2.17. Eine Reihe der Form∑∞r=0 arx

r nennt man eine Potenzreihe in x.

(a) Sei x ∈ R≥0 und ar ≥ 0 11

∞∑r=0

arxr

lim supr→∞

r√arxr = x lim sup

r→∞r√ar, falls x 6= 0

lim supr→∞

r√arxr =∞ =⇒ ∀x ∈ R>0 :

∞∑r=0

arxr divergiert

0 < lim supr→∞

r√arxr <∞ =⇒ ∀x ∈

0,1

lim supr→∞

r√ar

:

∞∑r=0

arxr konvergiert

∀x ∈

1

lim supr→∞

r√ar,∞

:

∞∑r=0

arxr divergiert

lim supr→∞

r√arxr = 0 =⇒ ∀x ∈ R≥0 :

∞∑r=0

arxr konvergiert

10In der folgenden Formel ist r√|ar| < 1 fur r = 0 nicht definiert. Dies stort uns nicht, da die Folge nur fur fast

alle r ∈ N definiert zu sein braucht, damit wir den Limes superior definieren konnen.11Wdh: Fur x ∈ C definieren wir x ≥ 0 als: x ∈ R und x ≥ 0. Es ist hier im Text also implizit die Information

enthalten, dass x ∈ R und ar ∈ R.

2. REIHEN 97

Wir definieren

ρ :=

1

lim supr→∞

r√ar

falls lim supr→∞

r√ar ∈ R>0

0 falls lim supr→∞

r√ar =∞

∞ falls lim supr→∞

r√ar = 0∑∞

r=0 arxr konvergiert fur x < ρ und divergiert fur x > ρ.

ρ heißt Konvergenzradius der Potenzreihe.

x

0 ρ

Konvergenz Divergenz

Abbildung 4:

(b) Sei nun x ∈ C und ai ∈ C. Wir definieren dann

ρ :=

1

lim supr→∞

r√|ar|

falls lim supr→∞

r√|ar| ∈ R>0

0 falls lim supr→∞

r√|ar| =∞

∞ falls lim supr→∞

r√|ar| = 0

Dann konvergiert∑∞r=0 arx

r im Fall |x| < ρ und divergiert im Fall |x| > ρ.Die Begrundung kann man vollig analog zu Beispiel (a) fuhren, wenn man |x| an Stelle

von x und |ar| an Stelle von ar schreibt. Alternativ kann die Konvergenz auch aus (a) mitdem Majoranten-Kriterium gezeigt werden.

(c) Fur |x| = ρ kann keine Aussage getroffen werden. Die Potenzreihen∑∞r=0 rx

r und∑∞r=1

1r2x

r

besitzen beide Konvergenzradius 1, denn limr→∞

r√r = 1 und lim

r→∞r√r−2 = ( lim

r→∞r√r)−2 = 1.

(Details hier12) Nun ist die Reihe∑∞r=0 rx

r fur x ∈ C, |x| = 1 offensichtlich divergent. Wirhaben gesehen, dass fur x = 1 die Reihe

∑∞r=1

1r2x

r konvergiert (Beispiel 2.7 (d)), und aufGrund des Majoranten-Kriteriums konvergiert diese Reihe dann fur alle x ∈ C mit |x| = 1.

LEMMA 2.18. Sei ar ∈ Cr {0}. Dann gilt

lim supn→∞

n√|an| ≤ lim sup

n→∞

|an+1||an|

.

12Wir wollen zeigen, dass limr→∞

r√r = 1. Hierzu ist zu zeigen, dass xr := r

√r− 1 eine Nullfolge ist. Man rechnet

nun mit der binomischen Formel nach, dass (xr + 1)r︸ ︷︷ ︸r=

≥ r(r−1)2

x2r. Also 0 ≤ x2r ≤ 2/(r − 1).

98 3. FOLGEN UND REIHEN

Beweis. Sei α := lim supn→∞|an+1||an| . Fixiere ein β > α. Es gilt also13 fur fast alle n ∈ N:

(2.19)|an+1||an|

≤ β.

Bestimme also ein n0 ∈ N, so dass fur alle n ∈ N≥n0die Ungleichung (2.19) gilt.

|an| ≤ βn−n0 |an0|

n√|an| ≤ n

√βn︸ ︷︷ ︸

β=

n√β−n0 |an0

|︸ ︷︷ ︸→1

Wr haben genutzt, dass fur jedes s ∈ R>0 die Aussage limn→∞n√s = 1 gilt. 14 Daraus folgt also

lim supn→∞

n√|an| ≤ β.

Da dies fur alle β > α gilt, folgt die Aussage.

Bemerkung 2.20. Die Konvergenzaussage im Wurzel-Kriterium (Prop. 2.16 (a)) ist also starkerals die Konvergenzaussage im Quotienten-Kriterium (Prop. 2.3 (a)), denn es zeigt dieselbe Aussagemit einer schwacheren Voraussetzung.

Mi 19.12.

2.4. Absolute Konvergenz.

Definition 2.21 (Absolute Konvergenz). Seien ar ∈ C. Wir sagen die Reihe∑∞r=0 ar konvergiert

absolut , falls∑∞r=0 |ar| konvergiert.

Das Majoranten-Kriterium fur br := |ar| impliziert also: Jede absolut konvergente Reihe ist kon-vergent.

Majoranten-Kriterium, Quotienten-Kriterium und Wurzel-Kriterium liefern nicht nur die Konver-genz einer Reihe, sondern sogar ihre absolute Konvergenz, siehe unten.15 Insbesondere ist einePotenzreihe

∑∞n=0 anx

n absolut konvergent, wenn |x| kleiner als der Konvergenzradius ist.

PROPOSITION 2.22 (Majoranten-Kriterium mit absoluter Konvergenz). Sei (ar)r∈N eine Folge16

und (br)r∈N eine Folge in R≥0, so dass fur fast alle r ∈ N: |ar| ≤ br. Konvergiert∑∞r=0 br, dann

ist∑∞r=0 ar absolut konvergent.

PROPOSITION 2.23 (Quotienten-Kriterium mit absoluter Konvergenz). Sei∑∞j=0 aj eine Reihe,

so dass fur fast alle j ∈ N: aj 6= 0.

13eine Moglichkeit, dies zu sehen, ist Lemma 2.13 (ii) fur bj =|aj+1|α|aj |

anzuwenden.

14Beweis fur s > 1: s = ( n√s)n = ( n

√s− 1 + 1)n =

∑nj=0

(n

j

)( n√s− 1)j1n−j ≥ n( n

√s− 1). Somit 1 ≤ n

√s ≤

1 + 1n

. Im Fall s < 1 wissen wir deswegen n√

1/s→ 1 und somit konvergiert n√s = 1

n√

1/sauch gegen 1.

15Die Beweise sind wortwortlich gleich16Wenn wir nichts anderes hinschreiben, ist unter einer Folge immer eine Folge in C gemeint, und eine Folge

in R ist auch eine Folge in C.

2. REIHEN 99

(a) Gilt lim supj→∞

∣∣∣aj+1

aj

∣∣∣ < 1, dann konvergiert∑∞j=0 aj absolut.

(b) wie zuvor.

PROPOSITION 2.24 (Wurzel-Kriterium mit absoluter Konvergenz). Sei (ar)r∈N eine Folge.

(a) Wenn lim supr→∞r√|ar| < 1, dann konvergiert

∑∞r=0 ar absolut.

(b) und (c) wie zuvor.

2.5. Alternierende Reihen.

Definition 2.25. Eine alternierende Reihe ist eine Reihe in der Form∞∑n=0

(−1)nan

oder17∞∑n=0

(−1)n+1an,

wobei ∀n ∈ N : an ∈ R≥0.

PROPOSITION 2.26 (Regel von Leibniz). Sei (an)n∈N eine monoton fallende Nullfolge, an ≥ 0.Dann konvergiert die Reihe

∞∑n=0

(−1)nan.

Beweis. Gegeben seien naturliche Zahlen m,n, n0 mit m ≥ n ≥ n0.

Idee (noch nicht prazise):Um das Cauchy-Kriterium anzuwenden, wollen wir

(−1)n+1an+1 + (−1)n+2an+2 + · · ·+ (−1)mam

kontrollieren.

Prazise Ausfuhrung der Idee:

an+1 + (−1)an+2 + · · ·+ (−1)m−n+1am

=

(an+1 − an+2)︸ ︷︷ ︸

≥0

+ · · ·+ (am−1 − am)︸ ︷︷ ︸≥0

≥ 0 falls m− n gerade

(an+1 − an+2)︸ ︷︷ ︸≥0

+ · · ·+ am︸︷︷︸≥0

≥ 0 falls m− n ungerade

17Wir betrachten ab jetzt immer nur den ersten Fall, um die Notation einfach zu halten

100 3. FOLGEN UND REIHEN

an+1 + (−1)an+2 + · · ·+ (−1)m−n+1am

=

an+1 +

≤0︷ ︸︸ ︷((−1)an+2 + an+3) + · · ·+

≤0︷ ︸︸ ︷(−1)am

≤ an+1 falls m− n gerade

an+1 +

≤0︷ ︸︸ ︷((−1)an+2) + an+3) + · · ·+

≤0︷ ︸︸ ︷((−1)am−1 + am)

≤ an+1 falls m− n ungerade

Also

|m∑

k=n+1

(−1)kak| = |(−1)n+1an+1 + (−1)n+2an+2 + · · ·+ (−1)mam| ≤ |an+1|.

Da (an) eine Nullfolge ist, haben wir gezeigt:

∀ε ∈ R>0 : ∃n0 ∈ N : ∀n ∈ N≥n0: ∀m ∈ N≥n : |

m∑k=n+1

(−1)kak| ≤ ε.

Beispiele 2.27.

(a) Die harmonische alternierende Reihe

∞∑n=1

(−1)n+1 1

n

konvergiert.(b) Die Reihe

∑∞n=1(−1)nan mit

an :=

{1n fur n gerade1n2 fur n ungerade

divergiert. Denn sei

α :=

∞∑k=0

1

(2k + 1)2.

(Anschaulich ist α die unendliche Summe der an uber alle ungeraden n.)Dann gilt

2r∑n=1

an ≥ (

r∑k=1

1

2r)− α

und dies konvergiert uneigentlich gegen ∞ fur r →∞, da die harmonische Reihe konvergiert.

2. REIHEN 101

2.6. Umordnung von Reihen.

Definition 2.28. Sei∑∞n=0 an eine Reihe. Ein Umordnung dieser Reihe ist eine Reihe der Form∑∞

n=0 af(n), wobei f : N −→ N eine Bijektion ist.

SATZ 2.29 (Umordnungssatz). Ist∑∞n=0 an eine absolut konvergente Reihe in R oder C, so ist

jede Umordnung∑∞n=0 af(n) dieser Reihe ebenfalls absolut konvergent und es gilt

∞∑n=0

an =

∞∑n=0

af(n).

Beweis spater.

SATZ 2.30 (Riemannsche Umordnungssatz). Ist∑∞n=0 an eine konvergente Reihe in R, die nicht

absolut konvergiert.

(1) Sei α ∈ R gegeben. Dann gibt es eine Umordnung dieser Reihe, die gegen α eigentlich oderuneigentlich konvergiert.

(2) Es gibt eine Umordnung, die beschrankt und divergent ist.

Beispiel 2.31. Die Folge∑∞n=1(−1)n 1

n ist konvergent, aber nicht absolut konvergent. Zu jedem

α ∈ R gibt es eine Umordnung von∑∞n=1(−1)n 1

n , die gegen α konvergiert.

Beweis von Satz 2.29. Sei∑∞n=0 an absolut konvergent. Dies bedeutet nach dem Cauchy-Kriterium:

Zu jedem ε ∈ R>0 gibt es ein n0 ∈ N, so dass fur alle n, n ∈ N mit n0 ≤ n ≤ n gilt18 :∑nj=n+1 |aj | ≤ ε.

Wir fixieren nun ε und ein passendes n0. Sei nun∑∞n=0 af(n) eine Umordnung dieser Reihe. Ins-

besondere sei f : N→ N als bijektiv vorausgesetzt. Wir setzen nun

m0 := max f#({0, 1, . . . , n0}) := max{f−1(0), f−1(1), . . . , f−1(n0)}.

Hier steht eine Zeichnung, die noch nicht gesetzt ist.

Dies bedeutet, fur alle ` > m0 gilt f(`) > n0. Somit gilt fur m, m ∈ N mit m0 ≤ m < m:

m∑`=m+1

|af(`)| ≤N∑

j=n0+1

|aj | ≤ ε

wobei N ∈ N eine “genugend große” naturliche Zahl ist, zum Beispiel

(2.32) N := max f#({m+ 1,m+ 2, . . . , m}) = max{f(m+ 1), f(m+ 2), . . . , f(m)} > n0

oder jede Zahl die mindestens so groß wie dieses Maximum ist. Dann ist also das Cauchy-Kriteriumfur die Reihe

∑∞n=0 |af(n)| erfullt, in anderen Worten

∑∞n=0 af(n) ist absolut konvergent.

18Ja, die Betragsstriche sind hier um den richtigen Ausdruck, denn es handelt sich um absolute Konvergenz!

102 3. FOLGEN UND REIHEN

Wir wissen nun also, dass die Reihen (absolut) konvergieren, und wir studieren nun deren Grenz-werte

∑∞n=0 an und

∑∞n=0 af(n). Wir wahlen zu ε ∈ R>0 passende Zahlen n0 und m0 wie oben.

Außerdem definieren wir

N0 := max{f(0), f(1), . . . , f(m0)} = max f#({0, 1, . . . ,m0}) ≥ n0.Fur alle n, n ∈ N mit n0 ≤ n ≤ n gilt

(2.33) |n∑j=0

aj −n∑j=0

aj | = |n∑

j=n+1

aj | ≤n∑

j=n+1

|aj | ≤ ε

und dies impliziert im Limes n→∞ fur n := N0(≥ n0)

|∞∑j=0

aj −N0∑j=0

aj | ≤ ε.

Wenn wir N wie in (2.32) definieren ergibt sich analog:

|m∑`=0

af(`) −m0∑`=0

af(`)| = |m∑

`=m0+1

af(`)| ≤N∑

j=n0+1

|aj | ≤ ε

und somit im Limes m→∞

|∞∑`=0

af(`) −m0∑`=0

af(`)| ≤ ε.

AußerdemN∑j=0

aj −m0∑`=0

af(`) =∑j∈I

aj

wobei I := {0, 1, . . . , N}rf#({0, 1, . . . ,m0}).19 Nach Konstruktion vonm0 sind I und {0, 1, . . . , n0}disjunkt20. Es folgt mit (2.33)

|∑j∈I

aj | ≤∑j∈I|aj | ≤

N∑j=n0+1

|aj | ≤ ε.

Dies ergibt∣∣∣∣∣∣∞∑j=0

aj −∞∑`=0

af(`)

∣∣∣∣∣∣ ≤∣∣∣∣∣∣∞∑j=0

aj −N∑j=0

aj

∣∣∣∣∣∣︸ ︷︷ ︸≤ε

+

∣∣∣∣∣∣N∑j=0

aj −m0∑`=0

af(`)

∣∣∣∣∣∣︸ ︷︷ ︸≤ε

+

∣∣∣∣∣m0∑`=0

af(`) −∞∑`=0

af(`)

∣∣∣∣∣︸ ︷︷ ︸≤ε

≤ 3ε

19An dieser Stelle gab es in der Vorlesung gegen Vorlesungsende eine Frage: es stimmt so wie es an der Tafelstand und so wie hier im Skript.

20Denn sei j ∈ I. Dann folgt j /∈ f#({0, 1, . . . ,m0}) und somit f−1(j) > m0 und mit der Definition von m0

erhalten wir dann, j /∈ {0, 1, . . . , n0}.

2. REIHEN 103

Da diese Aussage fur alle ε ∈ R>0 gilt, sind die Grenzwerte gleich. Fr 21.12.

Beweis von Satz 2.30. Wir beweisen (1) im Fall α ∈ R. Die anderen Falle und Ausage (2) beweistman ahnlich, wir geben hierfur aus Zeitgrunden aber keine Details.

Zu (1) fur α ∈ R: Sei∑∞n=0 an eine konvergente Reihe, die nicht absolut konvergiert. Wir definieren

I+ := {n ∈ N | an ≥ 0} und I− := {n ∈ N | an < 0}.Die Mengen I+ oder I− sind unendlich. (Denn: Wenn eine endlich ware, dann ware die Reiheabsolut konvergent; Widerspruch.)

Somit existieren streng monoton wachsende Abbildungen f± : N → N, mit B(f±) = I±. Wdh:B(f+) ist das Bild von f+.

Wir setzen nun bn := af+(n), cn := af−(n).∑∞n=0 bn ist die Teilreihe der nicht-negativen Glieder, und

∑∞n=0 cn die Teilreihe der negativen

Glieder. Fur jede dieser Teilreihen gilt

beschrankt⇐⇒ konvergent⇐⇒ absolut konvergent.

Wenn genau eine dieser beiden Teilreihen nicht beschrankt ist, dann ist∑∞n=0 an nicht beschrankt,

also nicht konvergent. Widerspruch.

Wenn beide Teilreihen beschrankt sind, dann ist∑∞n=0 an absolut konvergent. Widerspruch.

Also sind beide Teilreihen unbeschrankt.

lim`→∞

∑n=0

bn =∞ lim`→∞

∑n=0

cn = −∞.

Nach Proposition 2.8 ist (an)n∈N eine Nullfolge, deswegen auch (bn)n∈N und (cn)n∈N, somit auchderen Teilfolgen (brj )j∈N und (csj )j∈N. Ohne Beschrankung der Allgemeinheit konnen wir anneh-men, dass (cn)n∈N monoton wachsend ist. (Wenn nicht, dann konnen wir dies durch Umordnenerreichen; jede R<0-wertige Nullfolge kann in eine monoton wachsende umgeordnet werden.) Ana-log konnen wir annehmen, dass die Teilfolge der positiven Summanden in (bn)n∈N monoton fallendist.21

Bestimme nun zuerst das kleinste r1 ∈ N mit

b0 + b1 + b2 + · · ·+ br1 ≥ α.

21Subtilitat: Wir konnen dies nicht fur die gesamte Folge erreichen: denn die Nullen machen Probleme. Da

(bn)n∈N unbeschrankt ist, muss es unendlich viele positive bn geben. Jede monoton fallende Nullfolge, die eineNull als Folgenglied hat, hat aber nur endlich viele positive Folgenglieder. Man lasst also die Folgenglieder, die

Null sind einfach an ihrer Position stehen. Diese Folgenglieder haben sowieso auf die Partialsumme keine Wirkung.

Didaktische Anmerkung: die Nullen sind also zum einen ziemlich unerheblich fur das Verstandnis des Beweises, aberein bisschen lastig fur die Ausformulierung, da sie Spezialfalle erzeugen; deswegen habe ich die Diskussion in der

Vorlesung nicht im Detail diskutiert.

104 3. FOLGEN UND REIHEN

Bestimme dann das kleinste s1 ∈ N mit

b0 + b1 + · · ·+ br1 + c0 + c1 + c2 · · ·+ cs1 < α.

Dann gilt b0+b1+· · ·+br1 +c0+c1+c2 · · ·+cs1−1 ≥ α. 22 Hieraus folgt |α−(b0+b1+· · ·+cs1)| ≤ |cs1 |

Bestimme nun das kleinste r2 ∈ N>r1 mit

b0 + b1 + · · ·+ br1 + c0 + c1 · · ·+ cs1 + br1+1 + br1+2 + · · ·+ br2 ≥ α.

Wir erhalten |α − (b0 + b1 + · · ·+ br2)| ≤ br2 .23 Wir machen so weiter24 und erhalten letztendlicheine Reihe

∞∑n=0

dn := b0 + b1 + · · ·+ br1 + c0 · · ·+ cs1 + br1+1 + · · ·+ br2 + cs1+1 + · · ·+ cs2 + · · · .

Fur j ∈ N und ` ≥ rj + sj + 1 gilt also

α+ csj ≤∑n=0

dn ≤ α+ bsj .

Deswegen gilt

α = limj→∞

(α+ csj ) = lim`→∞

∑n=0

dn︸ ︷︷ ︸∞∑n=0

dn

= limj→∞

(α+ bsj ).

Es gibt nun viele Variationen des Umordnungssatzes. Eine davon liegt der nun folgenden Multipli-kation von Reihen zu Grunde. Wenn man diese (verallgemeinerten) Umordnungen systematischerverstehen will, sollte man sich mit summierbaren Familien und dem Großen Umordnungssatz (z. B.[22, Abschnitt 6.3]) beschaftigen. Wir uberspringen aber aus Zeitgrunden diesen Aspekt und kon-zentrieren uns auf die fur uns wichtige Multiplikation.

Multiplikation von Reihen.

Definition 2.34. Seien∑∞n=0 an und

∑∞n=0 bn Reihen in R oder in C. Wenn N → N × N, n 7→

(kn, `n) bijektiv ist, so nennen wir die Reihe∑∞n=0 aknb`n eine Produktreihe von

∑∞n=0 an und∑∞

n=0 bn.

Beispiele 2.35.

(a) Eine Anordnung nach Quadraten(b) Eine Anordnung nach Diagonalen

22Im Fall s1 = 0 ist dies zu lesen als b0 + b1 + b2 + · · ·+ br1 ≥ α.23Insbesondere gilt dann br2 > 0.24Genau genommen werden nun alle rj und sj rekursiv definiert und alle Aussagen dann rekursiv gezeigt

2. REIHEN 105

SATZ 2.36 (Produktreihen). Sind∑∞n=0 an und

∑∞n=0 bn absolut konvergent, so ist jede Produkt-

reihe von∑∞n=0 an und

∑∞n=0 bn absolut konvergent und hat den Grenzwert( ∞∑

n=0

an

) ( ∞∑n=0

bn

).

Beweis.1.) pn := aknb`n , rn := max{k0, k1, . . . , kn}, tn := max{`0, `1, . . . , `n} Dann gilt fur alle n ∈ N

|p0|+ |p1|+ · · ·+ |pn| ≤

rn∑j=0

|aj |

tn∑j=0

|bj |

∞∑j=0

|aj |

∞∑j=0

|bj |

Somit sind die Partialsummen der Reihe

∑∞n=0 |pn| beschrankt, sie bilden also eine beschrankte

monoton wachsende Folge, die somit konvergiert.

Wir haben somit gesehen, dass alle Produktreihen absolut konvergieren.

2.) Wir betrachten nun zunachst den Spezialfall, dass die Produktreihe nach Quadraten geordnetist.

Dann erhalten wir

p0 + p1 + · · ·+ pn2−1 =

n−1∑j=0

aj

︸ ︷︷ ︸→

∑∞j=0 aj

n−1∑j=0

bj

︸ ︷︷ ︸→

∑∞j=0 bj

.

Wir haben somit eine Teilfolge der Partialsummen, die gegen( ∞∑n=0

an

) ( ∞∑n=0

bn

)konvergiert. Da die Folge der Partialsummen konvergiert, konvergiert sie ebenfalls gegen diese Zahl.Die Aussage fur diese spezielle Anordnung ist somit gezeigt.

3.) Durch eine Umordnung im Sinne von Definition 2.28 kann man jede Produktreihe in einenach Quadraten angeordnete Produktreihe umformen. Deswegen ist jede Produktreihe absolutkonvergent.

Aus der Anordnung nach Diagonalen ergibt sich durch Klammersetzen25 das folgende:

25dies ist erlaubt, vergleiche Eigenschaften 2.9 (b)

106 3. FOLGEN UND REIHEN

KOROLLAR 2.37 (Satz vom Cauchy-Produkt). Sind∑∞n=0 an und

∑∞n=0 bn absolut konvergent,

und setzen wir

cn :=

n∑k=0

akbn−k,

dann ist auch∑∞n=0 cn absolut konvergent und

∞∑n=0

cn =

( ∞∑n=0

an

) ( ∞∑n=0

bn

).

Anwendung auf Potenzreihen:

Seien∑∞n=0 anz

n und∑∞n=0 bnz

n, Potenzreihen an, bn ∈ C mit Konvergenzradien ρa und ρb. Seiz ∈ C gegeben mit |z| < min{ρa, ρb}. Wieder cn :=

∑nk=0 akbn−k. Dann ist |z| auch kleiner als der

Konvergenzradius von∑∞n=0 cnx

n, denn wenn∑∞n=0 an|z|n und

∑∞n=0 bn|z|n konvergieren, dann

konvergiert nach dem Satz vom Cauchy-Produkt (Korollar 2.37) auch∑∞n=0 cn|z|n.

(a0 + a1z + a2z2 + · · · )(b0 + b1z + b2z

2 + · · · )= (a0b0)︸ ︷︷ ︸

c0

+ (a0b1 + a1b0)︸ ︷︷ ︸c1

z + (a0b2 + a1b1 + a2b0)︸ ︷︷ ︸c2

z2 + · · ·

Anschaulich: Man darf hier nach Potenzen in z ordnen. Alle Grenzwerte existieren und es giltGleichheit.

3. Einige durch Reihen definierte Funktionen

Sei z ∈ C. Potenzreihen definieren mehrere wichtige Funktionen:

3.1. Exponentialfunktion.

exp z :=

∞∑n=0

1

n!zn.

Diese Reihe nennt man die Exponentialreihe.

Wir bestimmen den Konvergenzradius: Wir wenden hierzu das Quotienten-Kriterium an

∣∣∣∣an+1zn+1

anzn

∣∣∣∣ =|z|n+ 1

lim supn→∞

∣∣∣∣an+1

an

∣∣∣∣ = limn→∞

|z|n+ 1

= 0 < 1

3. EINIGE DURCH REIHEN DEFINIERTE FUNKTIONEN 107

Die Exponentialreihe konvergiert also absolut fur alle z ∈ C. Wir sagen sie konvergiert (absolut)auf C. 26 Der Konvergenzradius muss dann ρ = ∞ sein, denn angenommen wir hatten ρ < ∞,dann wurde die Reihe fur z := ρ+ 1 divergieren, was einen Widerspruch ergibt.

Wir erhalten eine Funktion27 exp : C −→ C, z 7→ exp(z), die komplexe Exponentialfunktion.

Ist z ∈ R, so ist auch exp(z) ∈ R. Wir erhalten somit eine Funktion exp : R −→ R, x 7→ expx, diereelle Exponentialfunktion. 28

PROPOSITION 3.1 (Funktionalgleichung der Exponentialfunktion). Fur alle x,w ∈ C gilt

exp(z + w) = exp z · expw

Beweis. Wir rechnen:

1

n!(z + w)n =

1

n!

n∑k=0

(nk

)zkwn−k =

n∑k=0

1

k! (n− k)!zkwn−k =

n∑k=0

1

k!zk

1

(n− k)!wn−k

Wende den Satz vom Cauchy-Produkt an fur

an :=1

n!zn und bn :=

1

n!wn und cn :=

1

n!(z + w)n.

Mi 9.1.

Spezialfall: exp(0) :=∑∞n=0 = 00 + 01 + 02 + . . . = 1

Man definiert immer 00 := 1.

Also exp 0 = 1.

Es folgt dann auch1 = exp 0 = exp(z − z) = (exp z)(exp(−z)).

Also

exp(−z) =1

exp z.

Es gilt (Ubung) limn→∞(1 + z

n

)n= ez.

Klammer-”Regel“ fur exp und die demnachst definierten Funktionen sin und cos.

26Das Wort absolut wird hier normalerweise weggelassen, denn fur jede Potenzreihe gilt: wenn sie in allen

Punkten z ∈ C konvergiert, so ist der Konvergenzradius ∞ und deswegen konvergiert sie in allen z ∈ C sogarabsolut.

27Wie gesagt: wir nutzen den Begriff”Funktion“ gleichbedeutend zum Begriff

”Abbildung“, allerdings ist es

ublich, dass Funktionen den Zielbereich R oder C haben.28Die Relation, die der reellen Exponentialfunktion unterliegt, erhalt man durch Restriktion der Relation,

die der komplexen Exponentialfunktion unterliegt. Es handelt sich also um zwei verschiedene Relationen, die gemaßunseren Definitionen im ersten Kapitel auch verschiedene Symbole haben sollte. Wir benutzen aber dennoch dasselbeSymbol exp, da dies so ublich ist und in der Praxis nur selten zu Missverstandnissen fuhrt.

108 3. FOLGEN UND REIHEN

Man lasst bei exp und anderen wichtigen Funktionen die sonst bei Funktionen ublichen Klammernweg. Man schreibt also exp z und nicht exp(z). Nun stellt sich die Frage, ob bei Ausdrucken in derArt exp ab und exp a+ b zuerst exp ausgefuhrt wird oder zuerst verknupft wird.

Ein Blick in die Literatur ergibt leider: das ist nicht ganz so klar geregelt, man nutzt hier eine bunteMischung spezieller Konventionen. Im allgemeinen reiht man — wenn keine Klammern stehen —aber wie folgt, wobei die oben stehenden Operationen zuerst ausgefuhrt werden:

(1) Potenzen,(2) Produkte, Vorzeichen, Quotienten29

(3) exp, sin, cos,(4) Addition und Subtraktion

Oft wird jedoch (3) vor (2) oder hinter (4) ausgefuhrt. Also lieber großzugig Klammern setzen!

exp it = exp(it)

cos 2a = cos(2a)

cos−α/2 = cos(−α/2)

exp a+ b = (exp a) + b meistens! Besser also Klammern setzen.

sin a sin b =? Nach den obigen Regeln hatten wir dann sin(a(sin b)). Das interpretiert aber niemandso. Solch ein Ausdruck wird immer als (sin a)(sin b) interpretiert.

Besser treffend ware also

(1) Potenzen,(2) Produkte mit kurzen Faktoren, Vorzeichen, Quotienten(3) exp, sin, cos,(4) Produkte mit langen Faktoren(5) Addition

Nur: was ist lang und was ist kurz? Ab wann wird exp abcdefghijklm · · · lang?

Die Verwirrung wird noch schlimmer: Da man ja fur Funktionen f : M −→M immer definiert

f2(x) := f(f(x))

wurde dann sin2 a als sin(sin(a)) zu lesen sein. Das macht aber auch niemand. Solch ein Ausdruckwird immer als (sin a)2 interpretiert.

Um das Durcheinander zu beseitigen, wurde nur eine von der Kultusminister-Konferenz eingesetzteExperten-Kommission helfen, die sich zuerst mit europaischen Instanzen zusammenschließt undnach reiflicher, mehrjahriger Diskussion eine DIN-Norm erlasst.30 Das ware Burokratismus pur.

29Quotienten werden oft als Bruch geschrieben, dann ist die Reihenfolge zumeist klar30Gibt es vielleicht sogar?

3. EINIGE DURCH REIHEN DEFINIERTE FUNKTIONEN 109

Und selbst, wenn die DIN erlassen ware, ginge es dieser Reform vielleicht nicht anders als mitder letzten Rechtschreibreform: manche Bundeslander wurden sie einfuhren, andere ablehnen. Etc.Oder es gibt sie und niemand kennt sie. 31

Und den meisten Mathematiker sind solche Diskussionen sowieso lastig.

Also: da leben wir lieber mit weniger Ordnungen und setzen ein paar Klammern mehr.

3.2. Sinus- und Kosinus-Funktion. Sei wieder i die komplexe Zahl mit i2 = −1.

Betrachte nun

exp iz =

∞∑n=0

1

n!(iz)n =

∞∑n=0

n gerade

1

n!(iz)n +

∞∑n=0

n ungerade

1

n!(iz)n

32

Wir definieren den Kosinus

cos z :=

∞∑n=0

n gerade

1

n!(iz)n =

∞∑k=0

1

(2k)!(iz)2k =

∞∑k=0

1

(2k)!(−1)kz2k = 1− 1

2z2 +

1

24z4 − · · ·

Was ist der Konvergenzradius dieser Reihe?

n gerade: | 1n! (iz)n| ≤ 1

n! |z|n

n ungerade: 0 ≤ 1n! |z|

n

Nach dem Majoranten-Kriterium und der Konvergenz der Exponentialfunktion, konvergiert dieKosinusreihe auf ganz C. Der Konvergenzradius ist also ∞.

Wir definieren den Sinus

sin z :=1

i

∞∑n=0

n ungerade

1

n!(iz)n =

1

i

∞∑k=0

1

(2k + 1)!(iz)2k+1

=

∞∑k=0

1

(2k + 1)!(−1)kz2k+1 = z − 1

6z3 +

1

120z5 − · · ·

Der Konvergenzradius ist ebenfalls ∞.

31Vielleicht ist es sogar so?32Hier handelt es sich rechts um zwei Reihen, wo eigentlich an den ungeraden bzw. geraden Stellen n eine Null

steht. Nullen in einer Reihen haben keinen Einfluss auf den Grenzwert einer Reihe, sie konnen beliebig hinzugefugt

oder gestrichen werden. Mit dieser Interpretation ist die letzte Gleichung eine Folge von∑n=0(an+bn) =

∑n=0 an+∑

n=0 bn

110 3. FOLGEN UND REIHEN

exp iz = cos z + i sin z

cos(−z) = cos z

sin(−z) = − sin z

exp iz + exp(−iz)2

=cos z + i sin z + cos z − i sin z

2= cos z

exp iz − exp(−iz)2i

= sin z

Ist x reell, dann sind auch cosx und sinx reell. Dann gilt also

cosx = Re exp ix sinx = Im exp ix.

Man uberlegt sich auch leicht, dass fur jede Reihe in C gilt

∞∑n=0

an =

∞∑n=0

an, Re

∞∑n=0

an =

∞∑n=0

Re an, Im

∞∑n=0

an =

∞∑n=0

Im an .

Somit gilt fur x ∈ R:

| exp(ix)|2 = exp ix exp ix = exp ix exp(−ix) = (exp ix) (exp ix)−1 = 1

exp ix exp(−ix) = (cosx+ i sinx) · (cosx− i sinx) = (cosx)2 + (sinx)2

Also | exp(ix)|2 = cos2 x+ sin2 x = 1.

Hier nutzen wir die Schreibwweisen sin2 x := (sinx)2 und cos2 := (cosx)2.

PROPOSITION 3.2 (Additionstheoreme). Fur alle a, b ∈ C gilt

cos(a+ b) = cos a cos b− sin a sin b,

sin(a+ b) = sin a cos b+ cos a sin b.

Wir geben zunachst einen Beweis fur a, b ∈ R und dann einen fur a, b ∈ C. Der erste Beweis ist alsoaus Sichtweise des logischen Aufbaus der Vorlesung unnotig. Allerdings ist der erste Beweis vielbesser zu merken und die Additionstheoreme sind vor allem fur reelle a und b wichtig. Deswegenist der erste fur unser Verstandnis der wichtigere.

3. EINIGE DURCH REIHEN DEFINIERTE FUNKTIONEN 111

Beweis fur reelle a und b.

cos(a+ b) = Re exp i(a+ b) = Re ((exp ia)(exp ib))

= Re((cos a+ i sin a)(cos b+ i sin b)

)= cos a cos b− sin a sin b

sin(a+ b) = Im exp i(a+ b) = Im ((exp ia)(exp ib))

= Im((cos a+ i sin a)(cos b+ i sin b)

)= cos a sin b+ sin a cos b

Beweis fur alle a und b.

cos(a+ b) =exp i(a+ b) + exp(−i(a+ b))

2=

exp ia exp ib+ exp(−ia) exp(−ib)2

cos a cos b =exp ia exp ib+ exp ia exp(−ib) + exp(−ia) exp ib+ exp(−ia) exp(−ib)

4

sin a sin b =exp ia exp ib− exp ia exp(−ib)− exp(−ia) exp ib+ exp(−ia) exp(−ib)

−4

Dies ergibt die Formel fur cos(a+ b). Der Beweis der Formel fur sin(a+ b) geht vollig analog.

33

3.3. Eulersche Zahl. Die Eulersche Zahl ist

e := exp(1) =

∞∑n=0

1

n!> 1 + 1 +

1

2+

1

6= 2, 6666 . . .

Numerisch34: e = 2, 718 281 828 459 045 235 360 287 471 352 662 497 757 247 . . .

Wdh: Fur t ∈ R>0, n ∈ N, m ∈ Nr {0} ist definiert:

tn: rekursivm√t: durch Lemma 6.10 in Kapitel 2.

tn/m := m√tn.

t−n/m := 1tn/m

:

33Wir hatten gerne naturlich noch ganz andere Eigenschaften: zum Beispiel, dass sin und cos die ublichengeometrischen Eigenschaften haben, und dass sie periodisch sind, genauer dass cos(z+2π) = cos z und sin(z+2π) =sin z. Das konnen wir aber noch nicht sagen, denn wir mussen ja erst mal π definieren. Man definiert π/2 als dieerste positive Nullstelle von sin, aber wir konnen leider noch gar nicht zeigen, dass die oben definierte Funktion

uberhaupt eine positive Nullstelle beseitzt.34Dieser Wert ist hier nicht vollstandig angegeben, kann auch nicht vollstandig als Dezimalzahl angegeben

werden. Wir wollen hier nicht begrunden, wieso dies die ersten Stellen der Eulerschen Zahl sind. Wir werden diesen

Naherungswert im folgenden nie benotigen. Der Naherungswert dient allein der Anschauung und dem Vergleich zuanderer Literatur und anderen Konstanten!

112 3. FOLGEN UND REIHEN

LEMMA 3.3. Fur alle q ∈ Q gilteq = exp(q)

Beweis. Durch Induktion zeigt man zunachst fur alle n ∈ N und alle z ∈ C: exp(nz) = (exp z)n.Angewendet auf z := 1 ergibt dies exp(n) = exp(n · 1) = en > 0. Fur m ∈ Nr {0} gilt dann

exp(n/m) :=

∞∑j=0

1

j!

( nm

)j> 0.

Nun setzen wir z := n/m in exp(nz) = exp(z)n und erhalten

(expn/m)m = exp(mn/m) = en.

Somit ist x := exp(n/m) eine positive reelle Zahl, die xm = en erfullt. Also x = en/m. Wir habensomit die Aussage fur alle q ∈ Q>0 gezeigt. Die Aussage ist trivial fur q = 0 und folgt direkt ausder Funktionalgleichung der Exponentialfunktion (Proposition 3.1) fur q ∈ Q<0.

Definition 3.4. Fur z ∈ C definieren wir ez := exp(z).

Funktionalgleichung: ez+w = ez · ew

Bemerkung 3.5. Die Eulersche Zahl ist irrational. Sie ist sogar transzendent, d.h. ist p(x) =adx

d + · · · + a0x0, p 6≡ 0, 35 eine polynomiale Funktion mit rationalen Koeffizienten, dann gilt

p(e) 6= 0. (Ohne Beweis)

3.4. Exponentialfunktion (Fortsetzung). In diesem Abschnitt studieren wir die reelleExponentialfunktion exp : R −→ R.

SATZ 3.6.

(a) ∀r ∈ R : exp r > 0, also exp#(R) ⊂ R>0.(b) Die reelle Exponentialfunktion exp : R −→ R ist streng monoton wachsend.(c) Sie wachst schneller als jede polynomiale Funktion im folgenden Sinn: Fur jede polynomiale

Funktion p(x) = adxd + · · ·+ a0x

0, gilt:

∀ε ∈ R>0 : ∃x0 ∈ R : ∀x ∈ R≥x0 :

∣∣∣∣ p(x)

exp(x)

∣∣∣∣ ≤ εInsbesondere: ist (ak)k∈N eine Folge, die uneigentlich gegen ∞ konvergiert, dann ist(

p(ak)

exp(ak)

)k∈N

eine Nullfolge.

35Fur eine Funktion f : M → R bedeutet f ≡ 0, dass fur alle x ∈M gilt f(x) = 0. Oben gilt dann also

p 6≡ 0 ⇐⇒ ¬(p ≡ 0) ⇐⇒ ¬(ad = ad−1 = · · · = a0 = 0)

.

3. EINIGE DURCH REIHEN DEFINIERTE FUNKTIONEN 113

Beweis.Zu (a): bereits gezeigt.Zu (b): Es gelte x, y ∈ R, x < y.

exp y

expx= exp(y − x) = 1 +

∞∑n=1

1

n!(y − x)n︸ ︷︷ ︸

>0

> 1.

Zu (c): Sei ε ∈ R>0 gegeben. Wir setzen

x0 :=max{1! |a0|, 2! |a1|, . . . , (d+ 1)! |ad|}

ε> 0.

Somit haben wir fur ∀x ∈ R≥x0∣∣a`x`∣∣ ≤ ε

(`+ 1)!|x0| · |x`| ≤

ε

(`+ 1)!x`+1,

|p(x)| = |adxd + · · ·+ a0x0| ≤ ε

d+1∑n=1

1

n!xn < ε exp(x).

KOROLLAR 3.7. Konvergiert (ak)k∈N uneigentlich gegen∞, dann konvergiert exp(−ak)→ 0 undexp(ak)→∞.

Frage 3.8. Ist exp(R) = R>0?

Es erscheint uns, dass die Antwort ja sein sollte, obwohl wir es noch nicht zeigen konnen. Die Frageist auch wichtig, weil wir gerne den (naturlichen) Logarithmus als Umkehrfunktion der reellenExponentialfunktion definieren wollen, und der Logarithmus sollte auf allen positiven reellen Zahlendefiniert sein.

Beispiel 3.9. Betrachte die Funktion f : R −→ R

f(x) :=

{expx x ≤ 0

1 + expx x > 0

Die Funktion f : R→ R aus Beispiel 3.9

Diese Funktion erfullt alle Eigenschaften in Satz 3.6 und Korollar 3.7. Aber f#(R) = (0; 1]∪(2;∞) 6=R>0.

Anschaulich: Da exp : R −→ R keine”Sprunge macht“, sollte jeder Wert zwischen 0 und ∞ von

der Funktion einmal angenommen werden.

Uns fehlt also ein wichtiges Hilfsmittel. Wir wollen deswegen im folgenden Kapitel klaren, was esbedeutet, dass eine Funktion

”keine Sprunge macht“. Dies fuhrt zum Begriff

”Stetigkeit“.

KAPITEL 4

Stetigkeit und Grenzwerte von Funktionen

Fr 11.1.

1. Stetigkeit

Notationswiederholung f#(D) = {f(x) | x ∈ D}, siehe (7.25).

Im folgenden sei: D ⊂ C, x0 ∈ D, f : D −→ C.

Stellen Sie sich am besten zunachst den SpeziallfallD ⊂ R vor und nehmen Sie zunachst f#(D) ⊂ Ran. Wenn Sie diesen Fall richtig verstanden haben, betrachten Sie den Fall D ⊂ C. In spaterenSemestern werden wir aber noch wesentlich allgemeinere Definitionsbereiche D benotigen, zumBeispiel 4-dimensionale gekrummte Raumzeiten, unendlich-dimensionale Vektorraume oder

”topo-

logische Raume“ und wir wollen die jetzt gemachten Definitionen moglichst so wahlen, dass sichalles auf diesen allgemeineren Kontext verallgemeinert.

Frage 1.1. Sind Funktionen mit dem Grenzwert von Folgen vertraglich?Es gelte an → x0. Folgt dann f(an)→ f(x0)?

Definition 1.2. Eine Funktion f : D −→ C heißt folgenstetig in x0, falls gilt: 1

(1.3) Ist (an)n∈N eine beliebige Folge in D mit limn→∞

an = x0, dann folgt limn→∞

f(an) = f(x0).

Eine Funktion f : D −→ C heißt folgenstetig , falls sie in allen x0 ∈ D folgenstetig ist.

Beispiele 1.4.

(a) Konstante Funktionen folgenstetig. Die Identitaten idR : R → R und idC : C → C sindfolgenstetig.

(b) Ist f : D → C folgenstetig in x0 und x0 ∈ D ⊂ D, dann ist auch f |D : D −→ C in x0folgenstetig. 2

1Damit es keine Missverstandnisse gibt, wie (1.3) zu verstehen ist, wollen wir noch eine logisch prazisereFormulierung von (1.3) geben, in der der Allquantor deutlich wird. Es ist: Fur allle Folgen (an)n∈N in D gilt:

limn→∞

an = x0 =⇒ limn→∞

f(an) = f(x0).

2Denn: Wenn man D verkleinert, muss man weniger Folgen uberprufen.

115

116 4. STETIGKEIT UND GRENZWERTE VON FUNKTIONEN

(c) Die Heaviside-Funktion Θ1 : R→ R

Θ1(x) :=

{0 x ≤ 0

1 x > 0

ist nicht folgenstetig in 0. Denn die Folge (1/n)n∈Nr{0} konvergiert gegen 0, aber Θ1(1/n) = 1konvergiert nicht gegen Θ1(0) = 0.

Funktionsgraph der Heaviside-Funktion Θ1

Anderseits ist Θ1 in allen anderen x0 folgenstetig. Denn ist zum Beispiel x0 > 0, und gilt an →x0, dann folgt fur fast alle n ∈ N: an > 0, also Θ1(an) = 1, und somit Θ1(an) → Θ1(x0) = 1.Der Fall x0 < 0 ist analog.

(d) Ist p : C −→ C, x 7→∑dk=0 bkx

k eine polynomiale Funktion, so ist p in jedem x0 ∈ Rfolgenstetig. Es gelte limn→∞ an = x0. Dann

limn→∞

p(an) =

d∑k=0

limn→∞

bk(an)k =

d∑k=0

bk( limn→∞

an)k = p(x0).

Dies folgt direkt aus Proposition 1.10 in Kapitel 3.(e) Realteil Re : C → C, Imaginarteil Im : C → C und Konjugation C → C, z 7→ z sind

folgenstetig.(f) Die Funktion f aus Beispiel 3.9 in Kapitel 3 ist in 0 nicht folgenstetig. Denn fur an := 1

n gilt:

f(an) > 2, f(0) = f(lim an) = 1; deswegen kann f(an) nicht gegen f(lim an) konvergieren. 3

Definition 1.5.

(a) Eine Funktion f : D −→ C heißt stetig in x0, falls gilt:

(1.6) ∀ε ∈ R>0 : ∃δ ∈ R>0 : ∀x ∈ D : (|x− x0| < δ =⇒ |f(x)− f(x0)| < ε).

(b) f : D −→ C heißt stetig , wenn f in jedem x0 ∈ D stetig ist.

Bild zur Veranschaulichung der Stetigkeit

LEMMA 1.7. x0 ∈ D ⊂ C, f : D −→ C

f ist folgenstetig in x0 ⇐⇒ f ist stetig in x0.

In anderen Worten: (1.3) ⇐⇒ (1.6).

Beweis.

Zu”=⇒“: Sei f nicht stetig in x0. Dann gilt

∃ε ∈ R>0 : ∀δ ∈ R>0 : ∃x ∈ D : (|x− x0| < δ ∧ |f(x)− f(x0)| ≥ ε).

3Achtung: Diese Aussage ist — so wie sie steht — korrekt. Wir haben noch nicht gezeigt, dass f(an) konvergiert,denn wir wissen noch nicht, ob die Exponentialfunktion stetig in 0 ist. Wir haben aber im obigen Satz auch nichtbehauptet, dass diese Folge konvergiert!

1. STETIGKEIT 117

Wir fixieren solch ein ε ∈ R>0. Fur ein n ∈ N r {0} setzen wir δ := 1/n, und wahlen ein an ∈ Dmit

|an − x0| < 1/n und |f(an)− f(x0)| ≥ ε.Dann konvergiert (an)n∈Nr{0} gegen x0, aber (f(an))n∈Nr{0} konvergiert nicht gegen f(x0).

Zu”⇐=“: Sei f stetig in x0, und (an) sei eine Folge in D, die gegen x0 konvergiert.

Zu zeigen ist: f(an)→ f(x0), d.h.: 4

(1.8) ∀ε ∈ R>0 : ∃n0 ∈ N : ∀n ∈ N≥n0: |f(an)− f(x0)| < ε

Wir fixieren also ein ε ∈ R>0. Wir wahlen ein dazu passendes δ ∈ R>0 wie in (1.6), d.h. es gilt:

(1.9) ∀x ∈ D : (|x− x0| < δ =⇒ |f(x)− f(x0)| < ε).

Wegen an → x0 gibt es ein n0 ∈ N mit

(1.10) ∀n ∈ N≥n0 : |an − x0| < δ

Die Aussagen (1.9) und (1.10) zusammen ergeben

(1.11) ∀n ∈ N≥n0 : |f(an)− f(x0)| < ε

Insgesamt haben wir nun (1.8) verifiziert.

Sprachgebrauch: Wir nennen (1.3) das Folgen-Kriterium fur Stetigkeit und (1.6) das ε-δ-Kriteriumfur Stetigkeit.

LEMMA 1.12. Seien f, g : D −→ C in x0 stetige Funktionen, a, b ∈ C. Dann sind auch diefolgenden Funktionen D −→ C stetig in x0:

(a · f + b · g)(x) := a · f(x) + b · g(x)

(f · g)(x) := f(x) · g(x)

Gilt außerdem 0 6∈ g#(D), dann ist auch(f

g

)(x) :=

f(x)

g(x)

stetig in x0.

Aus Proposition 1.10 in Kapitel 3 folgt obiges Lemma mit dem Folgenkriterium fur Stetigkeit.

LEMMA 1.13. Sei f : D −→ C stetig in x0 ∈ D und sei g : D −→ C stetig in y0 ∈ D. Es gelte

f(x0) = y0 und B(f) = f#(D) ⊂ D. Dann ist g ◦ f : D −→ C ebenfalls stetig in x0.

Beweis. Wir uberprufen das Folgenkriterium. Es gelte fur n → ∞: an → x0. Aus den Vor-aussetzungen folgt zunachst f(an) → f(x0) = y0 und daraus dann g(f(an)) → g(y0), also(g ◦ f)(an)→ (g ◦ f)(x0). Somit ist g ◦ f folgenstetig in x0.

4Bisher hatten wir in der Definition von Konvergenz von Folgen ≤ ε. Es ist aber klar, dass man hier auch < ε

schreiben kann.

118 4. STETIGKEIT UND GRENZWERTE VON FUNKTIONEN

Beispiel 1.14. Sei K = C oder K = R. Dann ist die Betragsfunktion

| • | : K → R, z 7→ |z|stetig.

Begrundung: Wir zeigen die Stetigkeit in x0 ∈ K. Fur ε ∈ R>0 wahle δ := ε. Zu zeigen ist

|x− x0| < ε =⇒∣∣|x| − |x0|∣∣ < ε.

Dies folgt direkt aus Lemma 5.11 (g) in Kapitel 2.

UBUNG 1.15 (Ubungsblatt 11, 2. Aufgabe). Sei D ⊂ C, x0 ∈ D und f : D → C eine Funktion,und sei r ∈ R>0 fixiert. Wir definieren Br(x0) := {z ∈ C | |z − x0| < r}. Zeigen Sie: f ist stetig inx0 genau dann, wenn f |D∩Br(x0) stetig in x0 ist.

Wir sagen hierzu: Stetigkeit ist eine lokale Eigenschaft.

2. Zwischenwertsatz

In diesem Abschnitt ist der Definitionsbereich D von f eine Teilmenge von R, f : D −→ R.

SATZ 2.1 (Zwischenwertsatz). Sei f : [a, b] −→ R eine stetige Funktion, und sei f(a) ≤ y ≤ f(b)oder f(a) ≥ y ≥ f(b). Dann gibt es ein c ∈ [a, b] mit f(c) = y.

Wir haben dann also

[f(a), f(b)] ⊂ f#([a, b]) oder [f(b), f(a)] ⊂ f#([a, b])

Bild mit der obigen Funktion f

Beweis. O.B.d.A. f(a) ≤ y ≤ f(b).

Wir definieren rekursiv die Folgen (an) und (bn).

a0 := a, b0 := b.

Seien an−1 und bn−1 definiert. Setze

zn−1 :=an−1 + bn−1

2Wir definieren dann an und bn wie folgt:

• Im Fall f(zn−1) ≤ y setzen wir an := zn−1 und bn := bn−1.• Im Fall f(zn−1) > y setzen wir an := an−1 und bn := zn−1.

Die Folge (an) ist monoton wachsend und beschrankt. Also existiert c := limn→∞ an. Da bn−an =(b− a)/2n → 0 haben wir auch c = limn→∞ bn. Mit der Folgenstetigkeit von f in c sehen wir:

f(c) = limn→∞

f(an) ≤ y und f(c) = limn→∞

f(bn) ≥ y.Mi 16.1.

2. ZWISCHENWERTSATZ 119

Beispiel 2.2. Die Funktion f : [−1, 2]→ R, f(x) = x2 ist stetig. Es gilt

[f(−1), f(2)] = [1, 4] ( [0, 4] = f#([−1, 2]).

Beispiel 2.3. Sei a ∈ R>0 und n ∈ N≥2. Betrachte die stetige Funktion f : R −→ R, x 7→ xn − a.Es gilt f(0) = −a < 0 und

f(a+ 1) =

n∑j=0

(nj

)aj

− a ≥ (n− 1)a+ 1 > 0.

Also besitzt f eine Nullstelle im Intervall [0, a + 1]. Dies ist ein alternativer Beweis der Existenzvon n

√a.

KOROLLAR 2.4. Sei I ⊂ R ein Intervall und f : I −→ R stetig. Dann ist f#(I) ebenfalls einIntervall.

Beachte: Intervalle konnen hier offen, halboffen oder abgeschlossen sein! Sie konnen beschranktoder unbeschrankt sein!

Voruberlegung: Eine Teilmenge J von R ist genau dann ein Intervall, wenn gilt:

∀u, v ∈ J : u ≤ v =⇒ [u, v] ⊂ J

Beweis. Seien u, v ∈ f#(I). Wir schreiben u = f(a), v = f(b), a, b ∈ I. O.B.d.A. a ≤ b. Nach demZwischenwertsatz gilt

[u, v] = [f(a), f(b)] ⊂ f#([a, b]) ⊂ f#(I).

Also ist f#(I) ein Intervall.

Beispiel 2.5. Die Funktion f : (−1, 2] → R, f(x) = x2 ist stetig. f#((−1, 2]) = [0, 4]. Die Bilderhalboffener Intervalle konnen also abgeschlossen sein.

Beispiel 2.6. f : (−1, 1) −→ R x 7→ x2. Dann ist f#((−1, 1)) = B(f) = [0, 1). Wir haben hier ein

Intervall erhalten. Das Bild-Intervall ist nicht mehr offen, sondern nur noch halb-offen. AhnlicheBeispiele zeigen: die Bilder offener Intervalle konnen abgeschlossen sein.

SATZ 2.7. Sei I ⊂ R ein Intervall, und f : I −→ R eine streng monotone, stetige Funktion,J := f#(I). Dann ist f−1 : J −→ I wohldefiniert und stetig.

Beweis. Da f : I −→ J eine bijektive Funktion ist, ist die Umkehrfunktion f−1 : J −→ Iwohldefiniert.

Graph einer stetigen streng monotonen Funktion f : I → J

Wir zeigen nun die Stetigkeit von f−1 in einem beliebigen y0 ∈ J . O.B.d.A. sei f streng monotonwachsend.5 Zu zeigen ist:

∀ε ∈ R>0 : ∃δ ∈ R>0 : ∀y ∈ J : (|y − y0| < δ =⇒ |f−1(y)− f−1(y0)| < ε).

5Dies bedeutet: Wir betrachten nur den Fall, dass f streng monoton wachsend ist. Der Fall, dass f strengmonoton fallend ist, folgt dann durch Vorzeichenwechsel.

120 4. STETIGKEIT UND GRENZWERTE VON FUNKTIONEN

Setze x0 := f−1(y0).

1. Fall: inf J < y0 < sup J . Dies ist aquivalent zu inf I < x0 < sup I. In Worten anschaulich: y0liegt nicht am Rand des Intervalls J .

Sei ε ∈ R>0 gegeben. Setze

ε := min{ε, (x0 − inf I)/2, (sup I − x0)/2} > 0

Dann inf I < x0− ε < x0 < x0+ ε < sup I. Setze y± := f(x0± ε) und δ := min{(y+−y0), (y0−y−)}.Also

y− ≤ y0 − δ < y0 < y0 + δ ≤ y+.

Da f−1 ebenfalls streng monoton wachsend ist, gilt fur alle y ∈ (y0 − δ, y0 + δ):6

x0 − ε ≤ x0 − ε = f−1(y−) ≤ f−1(y0 − δ)

≤ f−1(y) ≤ f−1(y0 + δ) ≤ f−1(y+) = x0 + ε ≤ x0 + ε .

Also

|f−1(y)− f−1(y0)| = |f−1(y)− x0| ≤ ε.

2. Fall: inf J = y0 oder sup J = y0. Anschaulich: y0 ist am Rand des Intervalls J .

Geht ganz ahnlich. Man muss dabei nur eine der Seiten weglassen.

Beispiele 2.8. Die folgenden Funktionen sind streng monoton, stetig und surjektiv und habendeswegen eine stetige Umkehrabbildung:

f : R −→ R, f(x) := x3 + x

f : R −→ R, f(x) = x2n+1, n ∈ N

f : R≥0 −→ R≥0, f(x) = xn, n ∈ Nr {0}

Also sind die Wurzelfunktionen n√

: R≥0 −→ R≥0 und 2n+1√

: R −→ R stetig.

3. Stetigkeit von exp, cos und sin und Definition von log

LEMMA 3.1. Sei∑∞j=1 aj eine absolut konvergierende Reihe, aj ∈ C. Dann gilt∣∣∣ ∞∑

j=1

aj

∣∣∣ ≤ ∞∑j=1

|aj |.

6Das heißt: fur alle y ∈ J mit y0 − δ < y < y0 + δ

3. STETIGKEIT VON exp, cos UND sin UND DEFINITION VON log 121

Beweis. ∣∣∣ ∞∑j=1

aj

∣∣∣ Bsp. 1.14= lim

n→∞

∣∣∣ n∑j=1

aj

∣∣∣Dreiecks-

Ungl.

≤ limn→∞

n∑j=1

∣∣aj∣∣ def=

∞∑j=1

∣∣aj∣∣SATZ 3.2. Die komplexe Exponentialfunktion exp : C→ C ist stetig.

Beweis. Wir zeigen zunachst die Stetigkeit in 0. Dazu rechnen wir fur x ∈ C mit |z| ≤ 12 :

| exp z − exp 0| = | exp z − 1| =∣∣∣ ∞∑j=1

1

j!zj∣∣∣

Lem. 3.1≤

∞∑j=1

∣∣∣ 1

j!zj∣∣∣ ≤ ∞∑

j=1

∣∣∣zj∣∣∣ =

∞∑j=1

|z| |z|j−1

≤ |z|∞∑k=0

|z|k ≤ |z|∞∑k=0

∣∣∣∣12∣∣∣∣k︸ ︷︷ ︸

=2

= 2 |z|.

Fur gegebenes ε ∈ R>0 setze nun δ := min{ 12 ,ε2}. Dann gilt

|z − 0| < δ =⇒ | exp z − exp 0| < ε.

Also ist exp : C→ C in 0 stetig.

Ist f : C → C in 0 stetig, dann auch af : z 7→ a · f(z) fur a ∈ C. Wir setzen f := exp unda := exp z0. Somit ist

g : C→ C, z 7→ g(z) := (exp z0) · (exp z) = exp(z + z0)

stetig in 0. Da h : C→ C, h(z) := z − z0 stetig ist, folgt mit Lemma 1.13 die Stetigkeit von g ◦ hin z0. Offensichtlich exp = g ◦ h.

Es folgt daraus, dass auch die folgenden Funktionen C→ C stetig sind:

z 7→ exp(iz), z 7→ exp(−iz)

z 7→ cos z =exp iz + exp(−iz)

2

z 7→ sin z =exp iz − exp(−iz)

2i

Durch Einschrankung auf R folgt auch, dass exp : R → R, cos : R → R und sin : R → R stetigsind. Aufgrund des Zwischenwertsatzes ist exp(R) ein Intervall. Wegen limn→∞ expn = ∞ undlimn→∞ exp(−n) = 0 folgt exp#(R) = R>0.

122 4. STETIGKEIT UND GRENZWERTE VON FUNKTIONEN

KOROLLAR 3.3. Die reelle Exponentialfunktion exp : R −→ R>0 ist streng monoton, stetig undbijektiv.

Definition 3.4. Die Umkehrfunktion von exp : R −→ R>0 nennt man den (naturlichen)7 Loga-rithmus log : R>0 −→ R.

Wegen Satz 2.7 des aktuellen Kapitels 4 ist der Logarithmus stetig. Die Funktionalgleichung derExponentialfunktion, siehe Satz 3.1 in Kapitel 3 ubersetzt sich nun in die Funktionalgleichung derLogarithmusfunktion:

∀r, s ∈ R>0 : log(rs) = log r + log s.

log 1 = 0, log e = 1

LEMMA 3.5. Sei r ∈ R>0 und z ∈ C. Es gilt

rz = exp(z log r)

in den folgenden Fallen.

(1) r = e und z ∈ C(2) r ∈ R>0 und z ∈ Q

Fur alle anderen Kombination von r ∈ R>0 und z ∈ C wurde rz noch gar nicht definiert.8

Beweis.(1) folgt direkt aus Definition 3.4 in Kapitel 3.(2) Die Aussage ist klar fur z = 1. Dann folgt (2) ganz analog wie Lemma 3.3 in Kapitel 3.

Definition 3.6. Fur r ∈ R>0 und z ∈ C definiert man nun

rz := exp(z log r)

Auf Grund des obigen Lemmas verallgemeinert dies also bisherige Definitionen von rz in den beidenobigen Fallen.

rz+w = rzrw (rs)z = rzsz

log rs = log exp(s log r) = s log r

fur r, s ∈ R>0, z, w ∈ C. Es gilt auch(rs)t = rst

fur r ∈ R>0 und s, t ∈ R.

7In der Mathematik wird der naturliche Logarithmus fast immer mit log bezeichnet. In technischen und vielenalltaglichen Bereichen wird der naturliche Logarithhmus mit dem Symbol ln bezeichnet und das Symbol log wird

dann – anders als in unserer Vorlesung – fur den Zehner-Logarithmus, also den Logarithmus zur Basis 10 genutzt.

Im Mathematik-Studium wird aber nur der naturliche Logarithmus eine Rolle spielen. Deswegen wird der Zehner-Logarithmus hier weder definiert, noch mit einem Symbol versehen.

8Wir haben auch schon (−1)3 und (1 + i)−2 definiert, aber es interessieren uns derzeit nur r ∈ R>0.

4. DIE KREIZAHL π UND PERIODIZITAT VON cos UND sin. 123

4. Die Kreizahl π und Periodizitat von cos und sin.

cosx =

∞∑n=0

(−1)n1

(2n)!x2n︸ ︷︷ ︸

an

Fur x ∈ (0, 2] und n ≥ 1 gilt an > 0 und

an+1

an=

x2

(2n+ 1)(2n+ 2)≤ 1.

Also

cosx = a0 − a1 + (a2 − a3)︸ ︷︷ ︸≥0

+ (a4 − a5)︸ ︷︷ ︸≥0

. . . ≥ a0 − a1 = 1− x2

2

cosx = a0 − a1 + a2 + (−a3 + a4)︸ ︷︷ ︸≤0

+ (−a5 + a6)︸ ︷︷ ︸≤0

. . . ≤ a0 − a1 + a2 = 1− x2

2+x4

24

Also fur x ∈ [0, 2]

1− x2

2 ≤ cosx ≤ 1− x2

2 + x4

24

Ganz ahnlich fur 0 ≤ x ≤ 4

x− x3

6 ≤ sinx ≤ x.

cos 0 = 1, cos 2 ≤ 1− 2 +2

3= −1

3< 0.

Aus dem Zwischenwertsatz folgt:

A := {x ∈ [0, 2] | cosx = 0} 6= ∅.

Setze α := inf A. Zu jedem n ∈ N wahle ein xn ∈ A mit xn ≤ α+ 1n . Dann gilt xn → α fur n→∞

und

cosα = cos( limn→∞

xn) = limn→∞

cosxn︸ ︷︷ ︸0

= 0.

π := 2α ∈ [0, 4].

Definition 4.1. Die Kreiszahl π ist definiert als das Doppelte der ersten positiven Nullstelle derreellen Kosinusfunktion.

124 4. STETIGKEIT UND GRENZWERTE VON FUNKTIONEN

π = 3, 14159265...

Es folgt aus den bisher bewiesenen Eigenschaften in Abschnitt 3.2 in Kapitel 3 nun durch einfacheRechnung:

• sinπ/2 = 1, da sinπ/2 ≥ π2

(1−

(π2

)2/6)> 0 und sin2 α+ cos2 α = 1,

• sin(x+ (π/2)) = cosx, cos(x+ (π/2)) = − sinx, (Additionstheoreme)• cos(2π + x) = − cos(π + x) = cosx, sin(2π + x) = − sin(π + x) = sinx,• e2πi = cos 2π + i sin 2π = 1

Aus

cosx− cos y = cos

(x− y

2+x+ y

2

)− cos

(y − x

2+x+ y

2

)= cos

x− y2

cosx+ y

2− sin

x− y2

sinx+ y

2− cos

y − x2

cosx+ y

2+ sin

y − x2

sinx+ y

2

= 2 siny − x

2sin

x+ y

2

folgt cosx > cos y fur 0 ≤ x < y ≤ 2.

−2 −1 1 2 3 4 5 6 7

−1

1

x

cos(x) and sin(x)

Abbildung 5: Die Graphen von cos und sinFr 18.1.

5. Metrische Raume und Grundbegriffe der Topologie

Der Begriff der”Stetigkeit“ gehort zum mathematischen Teilgebiet mit dem Namen

”Topologie“,

so wie der Begriff”lineare Abbildungen“ zum Teilgebiet

”Lineare Algebra“ gehort. Im Laufe Ihres

Studiums werden Sie immer wieder von stetigen Abbildungen horen, und die topologischen Begriffewerden dann immer wichtiger.

Dies betrifft zum einen die Mathematiker unter Ihnen, und zwar sowohl diejenigen die sich an ReinerMathematik orientieren (Topologische Raume sind da fast schon omniprasent), als auch diejenigen,die sich an Angewandter Mathematik orientieren (Beschreibung von Flachen im Raum, Mannigfal-tigkeiten, partielle Differentialgleichung, Modellierung von physikalischen Systemen). Und es trifftauch auf Physiker zu. Zum Beispiel benotigt eine prazise Formulierung selbst einfacher quanten-mechanischer Systeme wie dem Wasserstoff-Atom solche topologischen Grundbegriffe (Energie-,

5. METRISCHE RAUME UND GRUNDBEGRIFFE DER TOPOLOGIE 125

Orts-, Impulsoperatoren sind”dicht definierte“

”unstetige“

”abgeschlossene“ Operatoren)9 und die

zugrundeliegenden Raume der klassischen Mechanik, der Allgemeinen Relativitatstheorie und derElektrodynamik sind Mannigfaltigkeiten und damit mit einer Topologie versehen. Naturlich trifftvieles davon auch auf Computational Science und Nanoscience zu.

In diesem Abschnitt lernen wir nun einige Grundbegriffe der Topologie kennen: Stetigkeit in einemetwas allgemeineren Sinn, offene Mengen, abgeschlossene Mengen, Haufungspunkte und Umge-bungen. Diese Begriffe werden (in noch allgemeinerer Form) Ihnen haufig im Studium begegnen.Wir wollen aber noch nicht das zentrale Objekt der Topologie, namlich

”topologische Raume“

einfuhren, sondern uns zunachst auf metrische Raume spezialisieren.

Definition 5.1. Ein metrischer Raum ist ein Paar (M,d), wobei M eine Menge ist und d :M ×M −→ R≥0 eine Abbildung ist mit folgenden Eigenschaften, die fur alle x, y, z ∈ M geltensollen:

(a) d(x, y) = 0 ⇐⇒ x = y (Definitheit)(b) d(x, y) = d(y, x) (Symmetrie)(c) d(x, y) ≤ d(x, z) + d(z, y) (Dreiecks-Ungleichung)

Man nennt d eine Metrik auf M .

Beispiele 5.2.

(1) Sei M ⊂ R oder M ⊂ C. Fur z, w ∈M definieren wir

d(z, w) := |z − w| =√

(Re (z − w))2 + (Im (z − w))2.

(2) Sei M ⊂ Rn. Zu x = (x1, x2, . . . , xn) ∈ M ⊂ Rn und y = (y1, y2, . . . , yn) ∈ M ⊂ Rndefinieren wir den euklidischen Abstand als

deukl(x, y) := ‖x− y‖ =√

(x1 − y1)2 + (x2 − y2)2 + · · ·+ (xn − yn)2.

In beiden Beispielen sind (a) und (b) klar. Fur (1) wurde (c) schon diskutiert. Die Ungleichung (c)fur (2) wird in der Linearen Algebra I (und dem Kurs

”Mathematische Methoden“ fur Physiker)

gezeigt.

Beispiel 5.3. Ist (M,d) ein metrischer Raum und N ⊂ M . Dann ist (N, d|N×N ) ebenfalls einmetrischer Raum. Wir nennen dN×N die von (M,d) auf N induzierte Metrik .

Schreibweise: Sei f : M −→ M eine Abbildung und sind (M,d) und (M, d) metrische Raume, dann

schreiben wir hierfur oft f : (M,d) −→ (M, d).

Ist eine Abbildung f : (M,d) −→ (M, d) bijektiv und gilt fur alle x, y ∈M : d(x, y) = d(f(x), f(y)),dann nennt man die Abbildung eine Isometrie. Man sieht sofort, dass (x, y) 7→ x+iy eine Isometrievon (R2, deukl) nach (C, d) ist, wobei d die Metrik im obigen Beispiel ist. Da wir oft R2 mitCidentifizieren, schreiben wir ebenfalls deukl fur diese Metrik auf C.

9Es ist derzeit nicht wichtig, dass Sie diese Begriffe kennen, wichtig ist: es sind Begriffe der Topologie.

126 4. STETIGKEIT UND GRENZWERTE VON FUNKTIONEN

Definition 5.4 (ε-δ-Kriterium fur Stetigkeit fur Abbildungen zwischen metrischen Raumen). f :

(M,d) −→ (M, d) ist stetig in x0 ∈M , falls gilt:

(5.5) ∀ε ∈ R>0 : ∃δ ∈ R>0 : ∀x ∈M : (d(x, x0) < δ =⇒ d(f(x), f(x0)) < ε).

f stetig ⇐⇒ f stetig in allen x0 ∈M .

Im Fall M ⊂ C, d(z, w) = |z−w| stimmt diese Definition offensichtlich mit Definition 1.5 uberein.

Definition 5.6. Sei (M,d) ein metrischer Raum, x ∈M , r ∈ R>0. Der (offene) Ball von Radius rum x in (M,d) ist die Menge

Br(x) := {y ∈M | d(y, x) < r}.Eine Teilmenge U ⊂ M heißt Umgebung von x in (M,d), falls es ein r ∈ R>0 gibt, so dassBr(x) ⊂ U .

Definition 5.7. Eine Teilmenge O von M heißt offen in (M,d), wenn fur jeden Punkt x ∈ Ogilt, dass O eine Umgebung von x in (M,d) ist. Eine Teilmenge A von M heißt abgeschlossen in(M,d), falls M rA offen ist.

Beispiele 5.8.

(a) Die leere Menge und M sind offen in (M,d). Diese beiden Mengen sind auch abgeschlossen.(b) O ⊂ R2 ∼= C

Bild einer offenen Menge O in R2, darin ein x und ein geeigneter Ball Br(x).

(c) Alle offenen Intervalle in R sind offen in (R, deukl). Alle abgeschlossenen Intervalle in R sindabgeschlossen in (R, deukl).

(d) Die Menge (0, 1)× (0, 1) ist offen in (R2, deukl)(e) Fur alle r ∈ R>0 und alle x ∈M ist Br(x) eine offene Teilmenge von (M,d). Begrundung: Sei

y ∈ Br(x), ρ := d(x, y). Dann gilt Br−ρ(y) ⊂ Br(x) (Dreiecks-Ungleichung).

Zeichnung von Br−ρ(y) ⊂ Br(x) in R2.

(f) Ist U Umgebung von x und U ⊂ V ⊂M , dann ist V ebenfalls Umgebung von x.

LEMMA 5.9. Sei x ∈ M und U ⊂ M . Dann ist U eine Umgebung von x, genau dann wenn esein O ⊂M gibt, das

• in (M,d) offen ist, und• so dass x ∈ O ⊂ U .

Solch ein O ist also eine offene Umgebung von x.

Beweis.

”=⇒“: klar, da offene Balle offen sind.

”⇐=“: Wenn O offen ist und x ∈ O, dann ist O eine Umgebung von x. Aus O ⊂ U ergibt sich,

dass U Umgebung von x ist.

5. METRISCHE RAUME UND GRUNDBEGRIFFE DER TOPOLOGIE 127

PROPOSITION 5.10.

(a) Sei x ∈ M und seien U1 und U2 Umgebungen von x in (M,d). Dann ist auch U1 ∩ U2 eineUmgebung von x.

(b) Sind O1 und O2 offene Teilmengen von (M,d), so ist O1 ∩O2 offen.(c) Sei (Oj)j∈I eine Familie offener Teilmengen von (M,d), dann ist auch⋃

j∈IOj

eine offene Teilmenge.

Beweis.Zu (a): Da U1 und U2 Umgebungen von x sind, gibt es r1, r2 ∈ R>0 mit Br1(x) ⊂ U1 undBr2(x) ⊂ U2. Fur r := min{r1, r2} gilt Br(x) ⊂ U1 ∩ U2.

Zu (b): Gegeben sei ein x ∈ O1 ∩ O2 ist. Da O1 und O2 offen sind, sind sie Umgebungen von x.Aus (a) folgt, dass O1 ∩ O2 ebenfalls Umgebung von x ist. Da dies fur jedes x ∈ O1 ∩ O2 gilt, istO1 ∩O2 offen.

Zu (c): Sei x ∈⋃j∈I Oj . Fixiere ein k ∈ I mit x ∈ Ok. Da Ok offen ist, ist Ok eine Umgebung von x

in (M,d), und damit auch⋃j∈I Oj ⊃ Ok. Also ist

⋃j∈I Oj eine Umgebung von jedem x ∈

⋃j∈I Oj ,

also offen.

!ACHTUNG!.

• Fur n ∈ Nr {0} ist (−1/n, 1/n) offen in R, aber nicht offen in C.• Proposition 5.10 besagt: endliche Durchschnitte offener Mengen sind offen und beliebi-

ge (also auch unendliche!) Vereiningung offener Mengen sind auch wieder offen. Aller-dings ist ein unendlicher Durchschnitt offener Mengen im allgemeinen nicht mehr offen:⋂n∈N(−1/n, 1/n) = {0} ist nicht offen!

•”Abgeschlossen“ ist nicht das Gegenteil zu

”offen“.

PROPOSITION 5.11 (Umgebungskriterium fur Stetigkeit). Gegeben sei eine Abbildung f : (M,d) −→(M, d) und ein x0 ∈M . Diese Abbildung ist stetig in x0 genau dann, wenn gilt:

fur alle Umgebungen U von f(x0) in (M, d) gilt: f#(U) ist eine Umgebung von x0 in (M,d).

Beweis. Die umrahmte Aussage ist eine Umformulierung des ε-δ-Kriteriums unter Nutzung desoben definierten Begriffs

”Umgebung“.

Kurz kann man hierfur sagen: Urbilder von Umgebungen sind Umgebungen.

PROPOSITION 5.12. Eine Funktion f : (M,d) −→ (M, d) ist genau dann stetig, wenn fur alle

offenen Teilmengen O von (M, d) gilt: f#(O) ist offen in (M,d).

Kurz kann man hierfur sagen: Urbilder offener Mengen sind offen.

128 4. STETIGKEIT UND GRENZWERTE VON FUNKTIONEN

Beweis. Folgt direkt aus dem Umgebungskriterium fur Stetigkeit (Proposition 5.11).

Definition 5.13. Eine Folge (an)n∈N konvergiert in (M,d) gegen x0 ∈ M , falls fur jede Umge-bung U von x0 gilt:

∃n0 ∈ N : ∀n ∈ N≥n0: an ∈ U.

Die ist aquivalent zu

∀ε ∈ R>0 : ∃n0 ∈ N : ∀n ∈ N :(n ≥ n0 =⇒ d(an, x0) < ε

),

und dies stimmt mit Definition 1.4 uberein, falls d(an, x0) = |an − x0|. Die Folge konvergiertin (M,d), wenn es in M solch ein x0 gibt.

Diese Definition verallgemeinert die Konvergenz von Folgen in R und C. Man definiert limn→∞und die Folgenstetigkeit gleich wie zuvor. Folgenstetigkeit und Stetigkeit sind wieder aquivalenteEigenschaften. Um dies zu beweisen, ersetze man im Beweis von Lemma 1.7 |x − x0| < δ durchd(x, x0) < δ und so weiter.Mi 23.1.

Bemerkung 5.14. R := R∪{−∞,∞}. In der Diskussion vor Proposition 1.30 in Kapitel 3 habenwir eine bijektive Abbildung ϕ : [−1, 1] −→ R definiert,

ϕ(x) =

1

1−x −1

1+x fur x ∈ (−1, 1)

∞ fur x = 1

−∞ fur x = −1

Graph der Funktion ϕ.

Wir versehen nun R mit der Metrik

dR(x, y) :=∣∣ϕ−1(x)− ϕ−1(y)

∣∣ .Dann ist (R, dR) ein metrischer Raum. Fur eine reell-wertige Folge (an)n∈N und ein a ∈ R gilt

Fur im klassischen Sinn im Sinn metrischer Raume

a ∈ R limn→∞ an = aim eigentlichen Sinn

⇐⇒ limn→∞ an = aim metrischen Raum (R, dR)

a = ±∞ limn→∞ an = aim uneigentlichen Sinn

⇐⇒ limn→∞ an = aim metrischen Raum (R, dR)

Proposition 1.30 aus Kapitel 3, folgt nun unmittelbar.

!ACHTUNG!. Wir wiederholen nochmals erlaubte und unerlaubte Sprechweisen klaren an Handdes Beispiels an := n2.Erlaubt: (an)n∈N konvergiert uneigentlich gegen ∞.

(an)n∈N konvergiert in (R, dR) gegen ∞.Nicht erlaubt: (an)n∈N konvergiert.

5. METRISCHE RAUME UND GRUNDBEGRIFFE DER TOPOLOGIE 129

Schreibweise: Wenn aus dem Kontext heraus klar ist, welche Metrik gemeint ist, dann schreibt manoft einfach M statt (M,d). Teilmengen X ⊂ M tragen die induzierte Metrik d|X×X , wenn nichtsanderes angegeben.

Definition 5.15. Sei X Teilmenge eines metrischen Raums (M,d). Wir nennen x0 ∈ M einenHaufungspunkt von X in (M,d), falls jede Umgebung von x0 unendlich viele Punkte von X enthalt.

Beispiele 5.16.

(a) Endliche Mengen haben keine Haufungspunkte.(b) Die Mengen N und Z haben keine Haufungspunkte in R und C.(c) Die Menge aller Haufungspunkte von Q in C ist R.(d) Seien a, b ∈ R, a < b. Die Menge aller Haufungspunkte von (a, b) in R (oder in C) ist die Menge

[a, b].

LEMMA 5.17. Sei X Teilmenge eines metrischen Raums (M,d), und sei y ∈M . Aquivalent sinddann die folgenden Aussagen:

(1) y ist Haufungspunkt von X

(2) Fur jede Umgebung U von y gilt U ∩X r {y} 6= ∅(3) Es gibt eine Folge (an) in X r {y} mit limn→∞ an = y

(4) Es gibt eine Folge in X r {y}, so dass y Haufungspunkt dieser Folge ist.

Beweis.

”(1)=⇒(2)“: klar.

”(2)=⇒(3)“: B1/n(y) ∩X besitzt ein Element an 6= y. Dann d(an, y) ≤ 1/n→ 0.

”(3)=⇒(1)“: Sei (an)n∈N eine Folge wie in (2), und U eine Umgebung von y. Es gibt ein n0 ∈ N,

so dass ∀n ∈ N≥n0: an ∈ U . Wenn P := {d(an, y) | n ∈ N≥n0

} nur endlich viele Elementeenthalt, dann ist inf{d(an, y) | n ∈ N} > 0. Widerspruch. Somit hat P unendlich viele Elementeund deswegen auch U ∩X.

”(3)⇐⇒(4)“: siehe Definition 1.22 in Kapitel 3.

!ACHTUNG!. Die Definitionen von”Haufungspunkt einer Menge“ (siehe oben) und

”Haufungs-

punkt einer Folge“ (Definition 1.22 in Kapitel 3) sind zwar verwandt, aber doch verschieden, wiedas folgende Beispiel zeigt. Die reell-wertige Folge (an)n∈N mit an := 1 hat den Haufungspunkt 1,aber die Menge {an | n ∈ N} hat keine Haufungspunkte.

Bemerkung 5.18 (Aufgabe 4 auf Blatt 12). Eine Teilmenge eines metrischen Raumes (M,d) istabgeschlossen, genau dann wenn sie alle ihre Haufungspunkte enthalt.

Definition 5.19. Wir nennen einen metrischen Raum (M,d) folgenkompakt , wenn jede Folge inM eine in (M,d) konvergente Teilfolge besitzt. Eine Teilmenge X ⊂M nennt man folgenkompakt,wenn (X, d|X×X) folgenkompakt ist.10.

10Achtung: Der Grenzwert muss dann in X liegen!

130 4. STETIGKEIT UND GRENZWERTE VON FUNKTIONEN

LEMMA 5.20. Folgenkompakte Teilmengen eines metrischen Raumes sind abgeschlossen.

Beweis. Sei X eine folgenkompakte Teilmenge von (M,d) und y ein Haufungspunkt von X. Danngibt es eine Folge (an)n∈N in X mit limn→∞ an = y. Da X folgenkompakt ist, gibt es eine Teilfolge(af(k))k∈N in X, f : N→ N streng monoton wachsend, mit z := limk→∞ af(k) ∈ X. Diese Teilfolgekonvergiert auch in M , also haben wir y = z. Somit enthalt X jeden Haufungspunkt und ist somitabgeschlossen (Bemerkung 5.18).

Beispiel 5.21. Sei I ein Interval mit der von deukl induzierten Metrik. Dann ist I folgenkompaktgenau dann, wenn I abgeschlossen und beschrankt ist. Denn:

• Ist I folgenkompakt, dann ist I abgeschlossen in (R, deukl) aufgrund des obigen Lemmas.• Ist I folgenkompakt, dann ist I beschrankt. Denn wenn I nicht nach oben (bzw. unten)

beschrankt ist, dann gibt es eine Folge, die uneigentlich gegen +∞ (bzw. −∞) konvergiert.Diese Folge hat keine konvergente Teilfolge. 11

• Ist I beschrankt, dann besitzt jede Folge in I aufgrund des Satzes von Bolzano-Weierstraß(Satz 1.35 in Kapitel 3) einen Haufungspunkt, also eine in R konvergente Teilfolge. Ist Izusatzlich abgeschlossen, dann ist der Grenzwert in I. Somit ist I folgenkompakt.

SATZ 5.22. Seien (M,d) und (M, d) metrische Raume. Ist (M,d) folgenkompakt und f : (M,d)→(M, d) stetig, dann ist B := f#(M) mit der Metrik d|B×B ebenfalls folgenkompakt.

Beweis. Sei (yn)n∈N eine Folge in f#(M). Wahle xn ∈ M mit f(xn) = yn und danach einekonvergente Teilfolge (xh(k))k∈N, h : N→ N streng monoton wachsend. Dann gilt

limk→∞

yh(k) = limk→∞

f(xh(k)) = f(

limk→∞

xh(k)︸ ︷︷ ︸∈M

)∈ f#(M).

Also ist f#(M) folgenkompakt.

FOLGERUNG 5.23. Seien a, b ∈ R, a ≤ b und f : [a, b] → R stetig. Dann ist f#([a, b]) einabgeschlossenes beschranktes Intervall. Es existieren also x1, x2 ∈ [a, b] mit

∀x ∈ [a, b] : f(x1) ≤ f(x) ≤ f(x2).

Die Folgerung folgt direkt aus dem obigen Beispiel und dem obigen Satz.

6. Grenzwerte von Funktionen

LEMMA 6.1. Seien (M,d) und (N, d) metrische Raume, D ⊂M , und x0 ∈M ein Haufungspunktvon D. Zu jeder Abbildung f : D → N gibt es hochstens eine Abbildung F : D∪{x0} → N , so dass

11Alternative Beweise: a) Ubungsblatt 13, Aufgabe 4. Zweiter Beweis: Ist (I, deukl) folgenkompakt,d ann ist

auch (I, dR|I×I) folgenkompakt. Also ist I abgeschlossen in R. Somit sind −∞ und +∞ keine Haufungspunkte von

I in (R, dR), was bedeutet, dass I beschrankt ist.

6. GRENZWERTE VON FUNKTIONEN 131

• F |Dr{x0} = f |Dr{x0}• und so dass F stetig in x0 ist.

Definition 6.2. Wenn solch ein F existiert, so sagen wir der Grenzwert oder Limes

limx→x0

f(s)

existiert. Wir nennen F (x0) den Grenzwert oder Limes von f in x0 und schreiben

limx→x0

f(x) := F (x0).

Bemerkung 6.3. Es sind die Falle x0 ∈ D und x0 6∈ D zugelassen. Im Fall x0 ∈ D muss nichtf(x0) = F (x0) gelten.

Beweis des Lemmas. Wahle eine Folge (an)n∈N in D r {x0} mit an → x0. Wenn ein F wie obenexistiert, dann gilt

F (x0) = F ( limn→∞

an) = limn→∞

F (an) = limn→∞

f(an).

Es gibt also hochstens einen passenden Wert fur F (x0). Auf Dr{x0} ist F sowieso schon bestimmt.Also kann es hochstens eine solche Abbldung F geben.

Definition 6.4. Sei D ⊂ R, und sei x0 ∈ R ein Haufungspunkt von D ∩ [x0,∞). Dann definiertman den rechtsseitigen Grenzwert/Limes als

limx↘x0

f(x) := limx→x0

(f |D∩[x0,∞)).

Wenn wir [x0,∞) durch (−∞, x0] ersetzen, erhalten wir die Definition des linksseitigen Grenz-werts/Limes

limx↗x0

f(x).

Fur x0 ∈ D ⊂ R, x0 Haufungspunkt von D ∩ [x0,∞) und D ∩ (−∞, x0]:

f : D → R ist stetig in x0

⇐⇒ limx→x0

f(x) existiert und limx→x0

f(x) = f(x0)

⇐⇒ limx↘x0

f(x) und limx↗x0

f(x) existieren und limx↘x0

f(x) = limx↗x0

f(x) = f(x0)

Beispiel 6.5. Definiere f : R −→ R.

f(x) :=

1 fur x > 0

0 fur x = 0

−1 fur x < 0

limx→0 f(x) existiert nicht. Hingegen existieren limx↘0 f(x) = 1 und limx↗0 f(x) = −1.

132 4. STETIGKEIT UND GRENZWERTE VON FUNKTIONEN

Bemerkung 6.6. Wir versehen N ∪ {∞} mit der Metrik12

dinv(x, y) =

∣∣∣∣ 1

x+ 1− 1

y + 1

∣∣∣∣ ,wobei wir in diesem13 Zusammenhang 1

∞ := 0 setzen. Dieses dinv ist eine Metrik auf N∪ {∞}. Sei(an) eine Folge in (M,d), und sei f : N −→M die Abbildung mit f(n) = an. Dann gilt

limn→∞

an = a im Sinne von Kap. 2 ⇐⇒ limn→∞

f(n) = a im Sinne des aktuellen Abschnitts

12Die folgende Metrik ist nur ein Beispiel einer Metrik, die verwendet werden kann. Die Einchranung von dRauf (N ∪ {∞})× (N ∪ {∞}) ist zum Beispiel ebenfalls eine Metrik, fur die die folgenden Aussagen richtig sind.

13Wenn wir es brauchen, wird 1∞ jedesmal neu definiert, denn man kann diese Definition nicht so machen,

dass alle ulichen Rechenregeln gelten. Man kommt dann immer wieder zu Fragen wie: 10

= ∞ oder 10

= −∞. Ist∞−∞ = 0 oder ∞−∞ = 17?

”Beweis“ der letzten Aussage: ∞+ 17 =∞. Lose diese Gleichung nach 17 auf. Beim

Rechnen mit ∞ funktioniert eben alles mogliche nicht mehr richtig.

KAPITEL 5

Differential-Rechnung fur Funktionen einer Veranderlichen

1. Definition und elementare Eigenschaften

Ab sofort nutzen wir ε > 0 oft im Sinne von ε ∈ R>0, falls aus dem Kontext heraus klar ist,dass ε eine reelle Zahl ist. Wir betrachten in den folgenden Abschnitten nur Funktionen der Formf : D −→ R, D ⊂ R.

Definition 1.1. Sei D ⊂ R offen, x0 ∈ D.1 Eine Funktion f : D −→ R nennt man differenzierbarin x0, wenn der Grenzwert

limx→x0

f(x)− f(x0)

x− x0existiert. Wenn er existiert, so nennt man

f ′(x0) := limx→x0

f(x)− f(x0)

x− x0die Ableitung von f an der Stelle x0. Die Funktion f ist differenzierbar, wenn sie in jedem x0 ∈ Ddifferenzierbar ist. Den Quotient

f(x)− f(x0)

x− x0nennt man den Differenzenquotient .

Graph einer Funktion f mit einem Dreieck, das den Differenzenquotient andeutet.

Interpretation: Die Zahl f ′(x0) gibt an, wie stark der Graph der Funktion an der Stelle (x0, f(x0))ansteigt.

Alternative Bezeichnungen:

f ′(x0) =df

dx(x0) =

∂f

∂x(x0) = Df(x0)

f differenzierbar in x0 ⇐⇒ Die Ableitung von f existiert in x0

⇐⇒ f ′(x0) existiert

1Damit diese Definition sinnvoll ist, reicht hier eigentlich bereits, dass D eine Umgebung von x0, oder sogar

nur, dass x0 ein Haufungspunkt von D ist.

133

134 5. DIFFERENTIAL-RECHNUNG FUR FUNKTIONEN EINER VERANDERLICHEN

Beispiele 1.2.

(1) Konstante Funktionen R→ R, x 7→ a sind differenzierbar und f ′(x0) = 0 fur alle x0 ∈ R.(2) Die Identitat idR : R −→ R, x 7→ x ist differenzierbar und f ′(x0) = 1 fur alle x0 ∈ R.(3) Differenzierbarkeit ist eine lokale Eigenschaft: Ist U eine Umgebung von x0, enthalten in

den Definitionsbereichen von f und f , und gilt f |U = f |U , dann ist f differenzierbar in

x0 genau dann, wenn f in x0 differenzierbar ist. Dann gilt f ′(x0) = f ′(x0).(4) Die Funktion f : Rr {0} → Rr {0}, x 7→ x−1 ist differenzierbar und es gilt

f ′(x0) = − 1

x20.

Denn:

1x −

1x0

x− x0=

x0 − xxx0(x− x0)

=−1

xx0→ − 1

x20fur x→ x0

Fr 25.1.

Umformungen:

f ′(x0) existiert

⇐⇒ ∀ε > 0 : ∃δ > 0 : ∀x ∈ D r {x0} :

(|x− x0| < δ =⇒

∣∣∣∣f(x)− f(x0)

x− x0− f ′(x0)

∣∣∣∣ < ε

)⇐⇒ ∀ε > 0 : ∃δ > 0 : ∀x ∈ D :(

|x− x0| < δ =⇒ |f(x)− f(x0)− f ′(x0)(x− x0)| ≤ ε |x− x0|)

Interpretation:Differenzierbarkeit =

”gute“ Approximierbarkeit durch eine lineare Funktion

SATZ 1.3. Seien D und f wie oben. Ist f differenzierbar in x0, so ist f stetig in x0.

Die Umkehrung gilt nicht, siehe Ubungen.

Beweis. Definiere

g(x) :=f(x)− f(x0)

x− x0fur x 6= x0

limx→x0

((x− x0)g(x)) = ( limx→x0

(x− x0))( limx→x0

g(x)) = 0 · f ′(x0) = 0

1. DEFINITION UND ELEMENTARE EIGENSCHAFTEN 135

2

f(x) = f(x0) + (x− x0)g(x) fur x 6= x0

Alsolimx→x0

f(x) = f(x0) + 0 · f ′(x0) = f(x0).

Somit ist f stetig in x0.

REGELN 1.4. Im folgenden sei D offen in R, f, fj , g : D −→ R.

(1) Sind fj differenzierbar in x0, aj ∈ R fur j ∈ {1, 2, . . . , r}, dann gilt r∑j=1

ajfj

′ (x0) =

r∑j=1

ajf′j(x0).

Solche Aussagen sind immer so zu verstehen, dass alle angegebenen Ableitungen in x0existieren und die obige Gleichung fur die so erhaltenen Zahlen gilt.

(2) Produktregel.Sind f und g differenzierbar in x0, dann gilt

(f · g)′(x0) = f ′(x0)g(x0) + f(x0)g′(x0).

Die Existenz der Ableitung (f · g)′(x0) ist wieder eine implizite Teilaussage der obigenFormelzeile.Begrundung:

(f · g)(x)− (f · g)(x0)

x− x0=f(x)(g(x)− g(x0))

x− x0+

(f(x)− f(x0))g(x0)

x− x0→ f(x0)g′(x0) + f ′(x0)g(x0)

fur x→ x0.(3) Quotientenregel.

Sind f und g differenzierbar in x0, g(x0) 6= 0, dann gilt(f

g

)′(x0) =

f ′(x0)g(x0)− f(x0)g′(x0)

g(x0)2.

Die Existenz der Ableitung auf der linken Seite ist wieder eine implizite Teilaussage derobigen Formelzeile.Begrundung 1: Ahnlich wie oben, siehe [22].Begrundung 2: Folgt unten aus Kettenregel

2Hier haben wir benutzt: sind g : D −→ R und h : D −→ R Funktionen, x0 ein Haufungspunkt von D und

existieren limx→x0 g(x) und limx→x0 h(x), dann existiert auch limx→x0 (g(x)h(x)) und es gilt

limx→x0

(g(x)h(x)) =

(limx→x0

g(x)

)(limx→x0

h(x)

).

Dies ist eine leichte Ubungsaufgabe. Analoges gilt fur Summen, Differenzen und, falls limx→x0 h(x) 6= 0, auch fur die

Quotientenfuntion x 7→ g(x)/h(x) nach Einschrankung des Definitionsbereichs auf D∩h#(Rr {0}) = Drh#({0}).

136 5. DIFFERENTIAL-RECHNUNG FUR FUNKTIONEN EINER VERANDERLICHEN

(4) Kettenregel.Sei f : D −→ R, g : E −→ R mit f#(D) ⊂ E. Sei f in x0 ∈ D differenzierbar und sei gin f(x0) differenzierbar. Dann gilt

(g ◦ f)′(x0) = g′(f(x0))f ′(x0).

Die Existenz der Ableitung auf der linken Seite ist wieder eine implizite Teilaussage derobigen Formelzeile.Begrundung: fur y0 := f(x0) Wir rechnen

(g ◦ f)(x)− (g ◦ f)(x0)

x− x0=g(f(x))− g(y0)

f(x)− y0· f(x)− f(x0)

x− x0Aus

limy→y0

g(y)− g(y0)

y − y0= g′(y0)

und Lemma 1.13 in Kapitel 4 folgt

limx→x0

g(f(x))− g(y0)

f(x)− y0= g′(y0)

Wir erhalten

limx→x0

(g ◦ f)(x)− (g ◦ f)(x0)

x− x0= g′(y0)f ′(x0)

Begrundung der Quotientenregel: Sei h(x) := 1/x. Dann(1

g

)′(x0) = (h ◦ g)′(x0) = − 1

g(x0)2g′(x0)

(f

g

)′(x0) = f ′(x0)

1

g(x0)+ f(x0)

(− 1

g(x0)2g′(x0)

)=f ′(x0)g(x0)− f(x0)g′(x0)

g(x0)2

Bemerkung 1.5. Sei D ⊂ R, f : D −→ R injektiv und stetig.

(1) Ist D ein Intervall, dann ist f streng monoton. Denn angenommen f ist nicht streng monoton,dann gibt es a, b, c ∈ D mit a < b < c und (f(a) < f(b) > f(c) oder f(a) > f(b) < f(c)). Diesergibt mit dem Zwischenwertsatz einen Widerspruch zur Injektivitat.

(2) Ist D offen, dann auch f#(D). Denn sei y ∈ f#(D), dann schreibe y = f(x). Wahle a, b ∈ Dso dass x ∈ (a, b) ⊂ [a, b] ⊂ D. Wegen (1) ist f |[a,b] streng monoton. O.B.d.A. streng monotonwachsend (sonst ersetze x 7→ f(x) durch x 7→ f(−x)). Somit gilt y ∈ (f(a), f(b)) ⊂ f#(D).

(3) Ist D offen und f differenzierbar in x0 ∈ D und f−1 differenzierbar in f(x0), dann gilt

1 = id′D(x0) = (f−1)′(f(x0)) (f ′(x0)).

Also f ′(x0) 6= 0.

1. DEFINITION UND ELEMENTARE EIGENSCHAFTEN 137

PROPOSITION 1.6. Ableitung der Umkehrfunktion. Sei D offen, f : D −→ R injektiv und stetig,und sei f differenzierbar in x0 ∈ D, f ′(x0) 6= 0. Dann ist f−1 differenzierbar in y0 := f(x0) und

(f−1)′(y0) =1

f ′(x0).

Beweis. Wahle a, b ∈ D, so dass x0 ∈ (a, b) ⊂ D. Dann ist f |(a,b) streng monoton. y = f(x),y0 = f(x0).

f−1(y)− f−1(y0)

y − y0=

x− x0f(x)− f(x0)

y→y0−→ 1

f ′(x0),

denn mit y → y0 geht auch x→ x0, da f−1 stetig ist (Satz 2.7 und Lemma 1.13 in Kapitel 4).

Beispiel 1.7.

(1) Wir betrachten exp : R→ R.

exp′(x) = limh→0

exp(x+ h)− exp(x)

(x+ h)− x= limh→0

((expx)

exp(h)− exp(0)

h

)= (expx) lim

h→0

(exph)− 1

h= (expx) lim

h→0

( ∞∑n=1

1

n!hn−1

)(∗)= expx.

Bei (∗) haben wir genutzt, dass wir wegen Lemma 3.1 in Kapitel 4 wissen, dass∣∣∣ ∞∑n=2

1

n!hn−1

∣∣∣ ≤ ∞∑n=2

∣∣ 1

n!hn−1

∣∣ ≤ ∞∑n=2

∣∣hn−1∣∣ =|h|

1− |h|,

falls |h| < 1 und dies konvergiert gegen 0 fur h→ 0.(2) Aus log = (exp)−1 folgt dann mit Proposition 1.6 fur x ∈ R>0

log′(x) =1

exp(log x)=

1

x.

Beispiel 1.8. Sei f : R>0 −→ R, f(x) = xa, a ∈ Q. Dann gilt

(1.9) f ′(x0) = axa−10 .

Dies zeigt man

• fur a ∈ N mit id′R(x0) = 1 und der Produktregel.• fur a = 1/n, n ∈ N r {0} mit Umkehrfunktion. Sei f(x) = xa = n

√x. Dann f = g−1 mit

g(x) = xn.

f ′(x0) =1

g′(f(x0))=

1

n( n√x0)n−1

= ax(1−n)/n0 = axa−10 .

• Dann fur a ∈ Q≥0 mit der Kettenregel xp/q = q√xp.

• Dann fur a ∈ Q<0 mit der Quotientenregel

138 5. DIFFERENTIAL-RECHNUNG FUR FUNKTIONEN EINER VERANDERLICHEN

Ein anderer Beweis gilt sogar fur alle a ∈ R:3

f(x) = xa = exp(a log x)

f ′(x) = exp′(a log x) · (a log′ x) = exp(a log x) · ax

= xa · ax

= axa−1 ,

und somit (1.9) fur alle a ∈ R.30.1.

2. Lokale Extrema

Definition 2.1. Sei (M,d) ein metrischer Raum, f : M −→ R, x0 ∈ M . Wir sagen f hat einlokales Maximum (bzw. lokales Minimum) in x0, falls es eine Umgebung U von x0 gibt, so dass

∀x ∈ U : f(x) ≤ f(x0) (bzw. f(x) ≥ f(x0)).

lokales Extremum in x0 :⇐⇒ lokales Maximum oder Minimum in x0

SATZ 2.2. Sei D ⊂ R offen, f : D −→ R, f differenzierbar in x0 ∈ D. Wenn f ein lokalesExtremum in x0 besitzt, so gilt f ′(x0) = 0.

Beweis. O.B.d.A. lokales Maximum in x0.

f(x)− f(x0)

x− x0≤ 0 fur x > x0, x ∈ U

Somit f ′(x0) ≤ 0.

f(x)− f(x0)

x− x0≥ 0 fur x < x0, x ∈ U

Somit f ′(x0) ≥ 0.

3. Mittelwertsatze

Wiederholung: (Folgerung 5.23 aus Kapitel 4)

Seien a, b ∈ R, a ≤ b, f : [a, b]→ R stetig. Dann nimmt f ein Maximum und ein Minimum an, d.h.es gibt x1, x2 ∈ [a, b], so dass fur alle x ∈ [a, b]:

f(x1) ≤ f(x) ≤ f(x2).

SATZ 3.1 (Satz von Rolle, benannt nach Michel Rolle, 1652–1719). Sei a < b. Sei f : [a, b] −→ Rdifferenzierbar4 auf (a, b) und stetig auf [a, b] und f(a) = f(b). Dann existiert ein c ∈ (a, b) mitf ′(c) = 0.

Zeichnung zu Satz von Rolle

3Er gilt sogar fur alle a ∈ C, wenn man obige Definitionen sinngemaß auf Funktionen f : D → C mit D ⊂ Rverallgemeinert.

4Differenzierbar auf A (bzw. stetig auf A) bedeutet differenzierbar (bzw. stetig) in allen x ∈ A.

3. MITTELWERTSATZE 139

Beweis. A := [a, b], wahle x1 und x2 wie oben.1. Fall: x1 ∈ {a, b} und x2 ∈ {a, b}. Dann gilt

f(a) = f(b) = max f#([a, b]) = min f#([a, b])

Also f konstant, also f ′(x0) = 0 fur alle x0 ∈ (a, b).2. Fall: x1 ∈ (a, b) oder x2 ∈ (a, b), o.B.d.A. x1 ∈ (a, b). Dann gilt f ′(x1) = 0 wegen Satz 2.2.

SATZ 3.2 (1. Mittelwertsatz). Sei a < b. Sei f : [a, b] −→ R differenzierbar auf (a, b) und stetigauf [a, b]. Dann existiert ein c ∈ (a, b) mit

f(b)− f(a) = (b− a)f ′(c).

Zeichnung zu 1. Mittelwertsatz

Beweis.

F (x) := f(x)− f(b)− f(a)

b− a(x− a)

F (a) = f(a) = F (b). Wende den Satz von Rolle an.

0 = F ′(c) = f ′(c)− f(b)− f(a)

b− a

SATZ 3.3 (2. Mittelwertsatz). Sei a < b. Seien f, g : [a, b] −→ R differenzierbar auf (a, b) undstetig auf [a, b]. Ferner gelte fur alle x ∈ (a, b): g′(x) 6= 0. Dann existiert ein c ∈ (a, b) mit

f(b)− f(a)

g(b)− g(a)=f ′(c)

g′(c).

Beweis. Der Satz von Rolle liefert: g(b) 6= g(a). Definiere

F (x) := f(x)− f(a)− f(b)− f(a)

g(b)− g(a)(g(x)− g(a)).

Also F (a) = F (b) = 0. Nach dem Satz von Rolle gibt es ein c ∈ (a, b) mit

0 = F ′(c) = f ′(c)− f(b)− f(a)

g(b)− g(a)g′(c).

KOROLLAR 3.4. Sei f : (a, b) −→ R differenzierbar, so gilt:

f ′(x) > 0 fur alle x ∈ (a, b) =⇒ f ist streng monoton wachsend

f ′(x) < 0 fur alle x ∈ (a, b) =⇒ f ist streng monoton fallend

f ′(x) ≥ 0 fur alle x ∈ (a, b)⇐⇒ f ist monoton wachsend

f ′(x) ≤ 0 fur alle x ∈ (a, b)⇐⇒ f ist monoton fallend

f ′(x) = 0 fur alle x ∈ (a, b)⇐⇒ f ist konstant

140 5. DIFFERENTIAL-RECHNUNG FUR FUNKTIONEN EINER VERANDERLICHEN

Beweis. Die =⇒-Pfeile folgen direkt aus dem Mittelwertsatz. Sei nun f monoton wachsend, dann

gilt f ′(x0) = limx→x0

f(x)−f(x0)x−x0

≥ 0. Und analog folgt aus”monoton fallend“ dann f ′(x0) ≤ 0.

Der dritte ⇐⇒-Pfeil folgt aus den beiden ersten.

4. Hohere Ableitungen und Taylorscher Satz

Sei I ⊂ R ein offenes Intervall.

C0(I) := {f : I −→ R | f stetig}Ist f auf I differenzierbar, so erhalten wir f ′ : I −→ R, x 7→ f ′(x).

Falls zusatzlich f ′ stetig ist, so nennen wir f stetig differenzierbar .

Ist f ′ differenzierbar, so nennt man f zweimal differenzierbar.. . . . Ist f ′ k-mal differenzierbar, sosagen wir: f ist (k + 1)-mal differenzierbar.

f (0) := f , f (1) := f ′, f (k+1) := (f ′)(k).

f nennt man (k+1)-mal differenzierbar in x0 ∈ I, wenn f k-mal differenzierbar auf einer Umgebungvon x0 ist und f (k) in x0 differenzierbar ist.

Fur k ∈ N nennt man

Ck(I) := {f : I −→ R | f ist k-mal differenzierbar und f (k) ∈ C0(I)}die Menge der k-mal stetig differenzierbaren Funktionen.

C∞(I) :=⋂k∈N C

k(I), die Menge der unendlich oft differenzierbaren Funktionen, glatt = unendlichoft differenzierbar.

SATZ 4.1. Sei f : (a, b) −→ R differenzierbar auf (a, b) und 2-mal differenzierbar in x0 ∈ (a, b).

(1) Es gelte f ′(x0) = 0 und f ′′(x0) < 0. Dann besitzt f in x0 ein lokales Maximum.(2) Es gelte f ′(x0) = 0 und f ′′(x0) > 0. Dann besitzt f in x0 ein lokales Minimum.(3) Besitzt f in x0 ein lokales Maximum, so gilt f ′(x0) = 0 und f ′′(x0) ≤ 0.(4) Besitzt f in x0 ein lokales Minimum, so gilt f ′(x0) = 0 und f ′′(x0) ≥ 0.

Beweis.Zu (1): Die Funktion

g(x) :=

{f ′(x)−f ′(x0)

x−x0fur x 6= x0

f ′′(x0) fur x = x0

ist stetig in x0. Aus f ′′(x0) < 0 folgt dann mit dem ε-δ-Kriterium: Zu ε := |f ′′(x0)|/2 gibt es dannein δ > 0, so dass fur alle x ∈ (x0 − δ, x0 + δ) gilt:

x ∈ (a, b) und

∣∣∣∣f ′(x)− f ′(x0)

x− x0− f ′′(x0)

∣∣∣∣ < ε.

4. HOHERE ABLEITUNGEN UND TAYLORSCHER SATZ 141

Daraus folgt

f ′(x)−

=0︷ ︸︸ ︷f ′(x0)

x− x0< f ′′(x0) + ε =

1

2f ′′(x0) < 0.

Also gilt f ′(x) < 0 fur x ∈ (x0, x0+δ) und f ′(x) > 0 fur x ∈ (x0−δ, x0). Dies impliziert, zusammenmit Korollar 3.4 und der Stetigkeit von f in x0, dass f(x0) = max f#((x0 − δ, x0 + δ)).

Zu (2): Analog.

Zu (3): Es folgt zunachst f ′(x0) = 0. Wenn f ′′(x0) > 0 ware, so hatte f in x0 ein lokales Maximumund Minimum, ware also konstant auf einer Umgebung von x0. Somit f ′′(x0) = 0. Widerspruch.

Zu (4): Analog.

SATZ 4.2 (Satz von Taylor). Sei f : (a, b) −→ R (n + 1)-mal differenzierbar, x, x0 ∈ (a, b).Definiere das Restglied Rx0

n (x) durch

f(x) = f(x0) + (x− x0)f ′(x0) +(x− x0)2

2!f (2)(x0) + · · ·+ (x− x0)n

n!f (n)(x0) +Rx0

n (x)

=

n∑j=0

(x− x0)j

j!f (j)(x0) +R x0

n (x)

Dann gilt:

(1) limx→x0

Rx0n (x)

(x− x0)n+1existiert und ist gleich

f (n+1)(x0)

(n+ 1)!.

(2)Rx0n (x)

(x− x0)n+1=f (n+1)(x0 + ϑ(x− x0))

(n+ 1)!fur ein ϑ ∈ (0, 1).

Lagrangesche Restglieddarstellung

Bemerkung: Der Fall n = 0 ist der 1. Mittelwertsatz.

142 5. DIFFERENTIAL-RECHNUNG FUR FUNKTIONEN EINER VERANDERLICHEN

Beweis. Wir fixieren ein x0. Setze g(x) := Rx0n (x), x 6= x0. Man rechnet nach 0 = g(x0) = g′(x0) =

g(2)(x0) = · · · = g(n)(x0) und g(n+1)(x0) = f (n+1)(x0).

Rx0n (x)

(x− x0)n+1=

g(x)− g(x0)

(x− x0)n+1 − (x0 − x0)n+1

2.MWS=

g′(ξ1)

(n+ 1)(ξ1 − x0)n

=g′(ξ1)− g′(x0)

(n+ 1)(ξ1 − x0)n − (n+ 1)(x0 − x0)n

2.MWS=

g(2)(ξ2)

n(n+ 1) (ξ2 − x0)n−1

...

=g(n)(ξn)− g(n)(x0)

(n+ 1)! (ξn − x0)

2.MWS=

g(n+1)(ξn+1)

(n+ 1)!=f (n+1)(ξn+1)

(n+ 1)!

fur geeigenete ξj , mit x0 < ξn+1 < ξn < · · · < ξ1 < x oder x0 > ξn+1 > ξn > · · · > ξ1 > x. Hierausfolgt Teil (2) des Satzes.

In der zweitletzten Zeile der Umformung steht (bis auf den Faktor (n+1)!) der Differenzenquotientvon g(n), der fur ξn → x0 gegen

1

(n+ 1)!g(n+1)(x0) =

1

(n+ 1)!f (n+1)(x0)

konvergiert.

Wegen |ξn − x0| ≤ |x− x0| haben wir dieselbe Aussage auch im Limes x→ x0. Somit

limx→x0

Rx0n (x)

(x− x0)n+1=

1

(n+ 1)!f (n+1)(x0)

Somit gilt auch (1).

Definition 4.3. Sei f : (a, b) −→ R n-mal differenzierbar, x0 ∈ (a, b). Dann nennt man

T x0n f (x) :=

n∑j=0

f (j)(x0)

j!(x− x0)j

das Taylor-Polynom n-ten Grades von f mit Entwicklungspunkt x0. Ist f ∈ C∞((a, b)), dann nenntman

T x0f (x) =

∞∑j=0

f (j)(x0)

j!(x− x0)j

die Taylorreihe von f mit Entwicklungspunkt x0.

4. HOHERE ABLEITUNGEN UND TAYLORSCHER SATZ 143

!ACHTUNG!. Die Konvergenz der Taylor-Reihe ist zunachst unklar. Und selbst wenn sie kon-vergiert, ist unklar, ob sie mit der ursprunglichen Funktion ubereinstimmt. Man kann zeigen: jedePotenzreihe (also auch jede Potenzreihe mit Konvergenzradius 0) ist die Taylor-Reihe einer glattenFunktion, siehe https://www.semanticscholar.org/paper/Peano’s-Unnoticed-Proof-of-Borel’s-Theorem-Besenyei/3f06a77700dfdfb470d1786fc9348b1865b286ca fur einen Beweis.

In Analysis II und III werden wir sehen: Ist f durch eine konvergente Potenzreihe gegeben, dannstimmt die Taylorreige T 0f mit Entwicklungspunkt 0 mit dieser Potenzreiheuberein. 1.2.

Anwendung: Potenzreihendarstellung der Logarithmus-Funktion.

Entwicklungspunkt: x0 = 1

log′(x) = 1x , log(j)(x) = (−1)j−1 (j−1)!

xj

log(1) = 0, log(j)(1) = (−1)j−1(j − 1)!

T 1n log(x) =

log(1)

0!(x− 1)0︸ ︷︷ ︸0

+∑nj=1

(−1)j−1(j−1)!j! (x− 1)j =

∑nj=1

(−1)j−1

j (x− 1)j

Fragen 4.4.

• Konvergiert die Potenzreihe T 1log (x) fur manche x 6= 1? In anderen Worten: ist derKonvergenzradius der Reihe positiv?• Falls ja: gilt im Konvergenzbereich log(x) = T 1log (x)?

Antwort: Ja fur x ∈ (0, 2).

Wir wollen die Aussage fur x ∈ [1, 2) zeigen. Fur x ∈ (0, 1) kann man die Ausage mit einer anderenVersion des Satzes von Taylor zeigen, der Cauchyschen Restglieddarstellung, siehe [1, Kap. IV,Korollar 3.8 und Anwendungen].

Nach dem Satz von Taylor existiert ein ϑ ∈ (0, 1) mit

log x− T 1n log (x) = R1

n(x) =(x− 1)n+1

(n+ 1)!log(n+1)(1 + ϑ(x− 1))

= (−1)n(x− 1)n+1

(n+ 1)!

n!

(1 + ϑ(x− 1))n+1

Also

| log x− T 1n log (x)| =

∣∣∣∣ (x− 1)n+1

(n+ 1)!

n!

(1 + ϑ(x− 1))n+1

∣∣∣∣ ≤ 1

n+ 1

Somit T 1n log (x)

n→∞−→ log(x) fur x ∈ [1, 2).

144 5. DIFFERENTIAL-RECHNUNG FUR FUNKTIONEN EINER VERANDERLICHEN

PROPOSITION 4.5. Die Taylorreihe von log : R>0 → R mit Entwicklungspunkt 1 ist

T 1log (x) =

∞∑j=1

(−1)j−1

j(x− 1)j .

Die Reihe konvergiert fur |x − 1| < 1, also fur insbesondere fur x ∈ (0, 2). Außerdem gilt fur allex ∈ (0, 2):

log x = T 1log (x).

Beweis. Dass die Reihe fur x ∈ [1, 2) gegen log x konvergiert, wurde oben gezeigt. Dass die Reihefur |x − 1| < 1 konvergiert, folgt (z.B.) aus dem Quotientenkriterium. Die Aussage T 1log (x) =log(x) fur x ∈ (0, 1) zeigen wir aus Zeitgrunden nicht mehr, einen Beweis findet man wieder in [1,Kap. IV, Korollar 3.8 und Anwendungen].

Ubrigens: In der Analysis III werden Sie Satze kennenlernen, die besagen: wenn log x = T 1log (x)fur alle x ∈ [1, 2) gilt, dann auch fur alle x ∈ (0, 1).

KAPITEL 6

Integral-Rechnung fur Funktionen einer Veranderlichen

Ziel: Integration von Funktionen. Flacheninhalt unter dem Graphen einer Funktion.

Graph einer Funktion. Flacheninhalt darunter im Intervall [a, b] markiert.

1. Partitionen und Treppenfunktionen

Sei I eine Menge. (Partielle) Ordnung auf Abb(I,R) = RI 3 f, g:

f ≤ g :⇐⇒ ∀x ∈ I : f(x) ≤ g(x).

Definition 1.1. Eine Zerlegung oder Partition von I = [a, b], a, b ∈ R ist ein Tupel (t0, t1, . . . , tk) ∈Rk+1 mit a = t0 < t1 < · · · < tk = b. Wir schreiben Z = {t0 < t1 < · · · < tk}. Man nenntZ1 = {s0 < s1 < · · · < s`} eine Verfeinerung von Z2 = {t0 < t1 < · · · < tk}, wenn Z1 durchHinzufugen von Punkten aus Z2 entsteht, in anderen Worten falls

{ti | i = 0, 1, . . . , k} ⊂ {si | i = 0, 1, . . . , `}.

Zu zwei Zerlegungen Z1 und Z2 von [a, b] gibt es Zerlegung Z3 die feiner als Z1 und feiner als Z2

ist: vereinige hierzu die Mengen der Zerlegungspunkte und ordne sie.

Definition 1.2. Eine Funktion f : [a, b] → R heißt Treppenfunktion, falls es eine ZerlegungZ = {t0 < t1 < · · · < tk} gibt, so dass f |(tj−1,tj) konstant ist fur alle j ∈ {1, 2, . . . , k}. Wir nennendieses Z eine Zerlegung, die zu der Treppenfunktion passt. Jede Verfeinerung einer passendenZerlegung passt ebenfalls. Die Menge der Treppenfunktionen [a, b]→ R nennen wir T [a, b].

Treppenfunktionen sind beschrankt, da sie nur endlich viele Werte annehmen.

LEMMA 1.3. Sind f, f1, f2 ∈ T [a, b], λ1, λ2 ∈ R, dann folgt auch

(a) λ1f1 + λ2f2 ∈ T [a, b], d.h. T [a, b] ist ein Vektorraum.1

(b) f1f2 ∈ T [a, b], d.h. T [a, b] ist ein Ring bzw. eine Algebra.2

1Hier wird wieder wie immer definiert (λ1f1 + λ2f2)(x) := λ1f1(x) + λ2f2(x).2Hier wird wieder wie immer definiert (f1f2)(x) := f1(x)f2(x).

145

146 6. INTEGRAL-RECHNUNG FUR FUNKTIONEN EINER VERANDERLICHEN

(c) max{f1, f2} ∈ T [a, b] und min{f1, f2} ∈ T [a, b] 3

(d) |f | = max{f,−f} ∈ T [a, b]

Beweis klar.

Definition 1.4. Fur eine Treppenfunktion f ∈ T [a, b] mit passender Zerlegung Z = {t0 < t1 <· · · < tk} definieren wir das Integral∫ b

a

(Z) f(x) dx :=

k∑j=1

(tj − tj−1) f

(tj−1 + tj

2

)∈ R.

Positive Treppenfunktion. Die Flache darunter ist bunt und ergibt das Integral

Wenn Z1 und Z2 zu einer Treppenfunktion f passen, so gilt∫ b

a

(Z1) f(x) dx =

∫ b

a

(Z2) f(x) dx.

Wir schreiben hierfur deswegen ab sofort einfach∫ b

a

f(x) dx.

PROPOSITION 1.5. Die Abbildung∫ ba

: T [a, b]→ R ist

(1) linear, d.h.

∀f1, f2 ∈ T [a, b] : ∀λ1, λ2 ∈ R :

∫ b

a

(λ1f1(x) + λ2f2(x)) dx = λ1

∫ b

a

f1(x) dx+ λ2

∫ b

a

f2(x) dx

(2) monoton, d.h.

∀f1, f2 ∈ T [a, b] :(f1 ≤ f2 =⇒

∫ b

a

f1(x) dx ≤∫ b

a

f2(x) dx)

Beweis klar aus der Konstruktion des Integrals.

2. Das Riemann-Integral

f ∈ R[a,b] ist nach oben beschrankt ⇐⇒ ∃g ∈ T [a, b] : g ≥ f ⇐⇒ (T [a, b])≥f 6= ∅

f ∈ R[a,b] ist nach unten beschrankt ⇐⇒ ∃g ∈ T [a, b] : g ≤ f ⇐⇒ (T [a, b])≤f 6= ∅

3Hier wird wieder wie immer definiert max{f1, f2}(x) := max{f1(x), f2(x)} und min{f1, f2}(x) :=

min{f1(x), f2(x)}

2. DAS RIEMANN-INTEGRAL 147

Definition 2.1. Sei f : [a, b] → R eine beschrankte Funktion. Wir definieren das riemannscheOberintegral als ∫ b

a

f(x) dx := inf

{∫ b

a

g(x) dx∣∣∣ g ∈ (T [a, b])≥f

}und das riemannsche Unterintegral als∫ b

a

f(x) dx := sup

{∫ b

a

g(x) dx∣∣∣ g ∈ (T [a, b])≤f

}

Fur die beschrankte Funktion f gilt

−∞ <

∫ b

a

f(x) dx ≤∫ b

a

f(x) dx < ∞

Ist f ∈ T [a, b], so gilt ∫ b

a

f(x) dx =

∫ b

a

f(x) dx =

∫ b

a

f(x).

Definition 2.2. Man nennt f ∈ R[a,b] Riemann-integrierbar , falls f beschrankt ist und falls∫ b

a

f(x) dx =

∫ b

a

f(x) dx.

In diesem Fall nennt man ∫ b

a

f(x) dx :=

∫ b

a

f(x) dx

das Riemann-Integral von f .

R[a, b] := {f ∈ R[a,b] | f ist Riemann-integrierbar}

LEMMA 2.3 (Riemannsches Kriterium). Sei f ∈ R[a,b]. Dann gilt

f ∈ R[a, b] ⇐⇒ ∀ε ∈ R>0 : ∃gu, go ∈ T [a, b] : ( gu ≤ f ≤ go)∧

(∫ b

a

go(x) dx−∫ b

a

gu(x) dx ≤ ε

).

Fur gu und go wie oben gilt dann wegen der Monotonie∫ b

a

gu(x) dx ≤∫ b

a

f(x) dx ≤∫ b

a

go(x) dx.

Eine stetige Funktion mit Treppenfunktionen gu darunter und go daruber.

148 6. INTEGRAL-RECHNUNG FUR FUNKTIONEN EINER VERANDERLICHEN

Beweis.

”=⇒“: Auf Grund der Definition des Oberintegrals gibt es eine Treppenfunktion go ≥ f mit∫ bago(x) dx ≤

∫ baf(x) dx+ ε/2. Auf Grund der Definition des Unterintegrals gibt es eine Treppen-

funktion gu ≤ f mit∫ bagu(x) dx ≥

∫ baf(x) dx−ε/2. Da da Oberintegral von f mit dem Unterintegral

ubereinstimmt, gilt ∫ b

a

go(x) dx−∫ b

a

gu(x) dx ≤ ε

”⇐=“: Gilt die rechte Seite, so haben wir fur jedes ε > 0:

0 ≤∫ b

a

f(x) dx−∫ b

a

f(x) dx ≤∫ b

a

go(x) dx−∫ b

a

gu(x) dx ≤ ε.

Daraus folgt die Riemann-Integrierbarkeit.Mi 6.2.

LEMMA 2.4. Sei a ≤ b. Sind f, f1, f2 ∈ R[a, b], λ1, λ2 ∈ R dann gilt:

(a) −f ∈ R[a, b] und ∫ b

a

(−f)(x) dx = −∫ b

a

f(x) dx .

(b) λ1f1 + λ2f2 ∈ R[a, b], d.h. R[a, b] ist ein Vektorraum. Die Abbildung∫ b

a

: R[a, b]→ R, f 7→∫ b

a

f(x) dx

ist linear.(c) f1f2 ∈ R[a, b], d.h. R[a, b] ist ein Ring bzw. eine Algebra.(d) max{f1, f2} ∈ R[a, b] und min{f1, f2} ∈ R[a, b](e) |f | = max{f,−f} ∈ R[a, b]

Beweis.(a): Aus

g ∈ (T [a, b])≤−f ⇐⇒ −g ∈ (T [a, b])≥f

folgt ∫ b

a

(−f)(x) dx = −∫ b

a

f(x) dx

und genauso ∫ b

a

(−f)(x) dx = −∫ b

a

f(x) dx .

2. DAS RIEMANN-INTEGRAL 149

(b):Fall λ1 ≥ 0 und λ2 ≥ 0: Sei f1,u ∈ (T [a, b])≤f1 und f2,u ∈ (T [a, b])≤f2 , dann gilt wegen Lem-ma 1.3 (a) λ1f1,u + λ2f2,u ∈ (T [a, b])≤λ1f1+λ2f2 . Es folgt∫ b

a

(λ1f1(x) + λ2f2)(x) dx ≥∫ b

a

(λ1f1,u + λ2f2,u)(x) dx

Prop. 1.5(1)= λ1

∫ b

a

f1,u(x) dx+ λ2

∫ b

a

f2,u(x) dx

und somit durch Bildung der Suprema∫ b

a

(λ1f1(x) + λ2f2)(x) dx ≥ λ1∫ b

a

f1(x) dx+ λ2

∫ b

a

f2(x) dx.

Analog mit oberen Schranken:∫ b

a

(λ1f1(x) + λ2f2)(x) dx ≤ λ1∫ b

a

f1(x) dx+ λ2

∫ b

a

f2(x) dx.

Der allgemeine Fall: folgt dann mit (a).

(d): Wir zeigen zunachst: Ist f ∈ R[a, b], dann auch f+ := max{f, 0}.

Sei also f ∈ R[a, b] und ε > 0 gegeben. Wir nehmen g, h ∈ T [a, b] mit g ≤ f ≤ h und∫ bah(x) dx−∫ b

ag(x) dx ≤ ε. Wir setzen g+ := max{g, 0} ∈ T [a, b] und h+ := max{h, 0} ∈ T [a, b]. Dann gilt

g+ ≤ f+ ≤ h+ und

h+(x)− g+(x) =

{h(x)− g+(x) falls h(x) ≥ 0

0 falls h(x) < 0

}≤ h(x)− g(x)

Also ∫ b

a

h+(x) dx−∫ b

a

g+(x) dx ≤∫ b

a

h(x) dx−∫ b

a

g(x) dx ≤ ε.

Also ist dann f+ ∈ R[a, b].

Wegen max{f1, f2} = f2 + max{f1− f2, 0} und min{f1, f2} = f2−max{f2− f1, 0} folgt dann (d).

(c):Der Fall f1 ≥ 0 und f2 ≥ 0: Bestimme zu j ∈ {1, 2}: fj,u, fj,o ∈ T [a, b] mit

0 ≤ fj,u ≤ fj ≤ fj,o ≤ Cj := sup{fj(x) | x ∈ [a, b]}

und ∫ b

a

fj,o(x) dx−∫ b

a

fj,u(x) dx ≤ ε.

150 6. INTEGRAL-RECHNUNG FUR FUNKTIONEN EINER VERANDERLICHEN

Aus Lemma 1.3 (b) folgt f1,uf2,u ∈ T [a, b] und f1,of2,o ∈ T [a, b]. Ferner gilt∫ b

a

f1,o(x)f2,o(x) dx−∫ b

a

f1,u(x)f2,u(x) dx

≤∫ b

a

f1,o(x)(f2,o(x)− f2,u(x)

)dx+

∫ b

a

(f1,o(x)− f1,u(x)

)f2,u(x) dx

≤ C2ε+ C1ε .

Der allgemeine Fall folgt dann aus der Gleichung

f1f2 = max{f1, 0}max{f2, 0} −max{−f1, 0}max{f2, 0}−max{f1, 0}max{−f2, 0}+ max{−f1, 0}max{−f2, 0}.

(e): folgt direkt aus (d).

LEMMA 2.5 (Monotonie). Seien, f1, f2 ∈ R[a, b]. Ist f1 ≤ f2, so haben wir∫ b

a

f1(x) dx ≤∫ b

a

f2(x) dx.

Beweis. 0 ∈ T [a, b], 0 ≤ f2 − f1. Es folgt

0 =

∫ b

a

0 dx(∗)≤∫ b

a

(f2 − f1)(x) dxLemma 2.4(b)

=

∫ b

a

f2(x) dx−∫ b

a

f1(x) dx .

Die Ungleichung (∗) gilt nach Definition des Unterintegrals: 4 es ist definiert als das Supremumder Menge

A :={∫ b

a

g(x) dx∣∣ g ∈ (T [a, b])≤f

}3∫ b

a

0 dx = 0.

Notation: Fur f : D → R definiere ‖f‖∞ := sup{|f(x)|

∣∣x ∈ D} ∈ [0,∞].

PROPOSITION 2.6. Fur f ∈ R[a, b] gilt:∣∣∣∫ b

a

f(x) dx∣∣∣ ≤ ∫ b

a

|f(x)| dx ≤ ‖f‖∞(b− a)

4 An der Stelle (∗) kann man nicht mit der Monotonie des Integrals argumentieren. Denn die Monotonie fur

Treppenfunktion (Proposition 1.5 (2)) ist nicht anwendbar, da f im allgemeinen keine Treppenfunktion ist. Und die

Monotonie fur Riemann-integrierbare Funktionen wollen wir ja hier erst zeigen. Wenn wir sie verwenden wurden, soware dies ein Zirkelschluss: Ein Beweis, in dem man die zu beweisende Aussage bereits verwendet und der deswegen

nicht zulassig ist.

2. DAS RIEMANN-INTEGRAL 151

Beweis. Wegen f = max{f, 0} −max{−f, 0} und |f | = max{f, 0}+ max{−f, 0} folgt∣∣∣∫ b

a

f(x) dx∣∣∣ ≤

∣∣∣∫ b

a

max{f(x), 0} dx︸ ︷︷ ︸≥0

−∫ b

a

max{−f(x), 0} dx︸ ︷︷ ︸≥0

∣∣∣(∗)≤

∫ b

a

max{f(x), 0} dx+

∫ b

a

max{−f(x), 0} dx

=

∫ b

a

|f(x)| dx,

wobei wir an der Stelle (∗) die Dreiecks-Ungleichung |a− b| ≤ |a|+ |b| benutzt haben.

Wegen |f(x)| ≤ ‖f‖∞ folgt mit der Monotonie∫ b

a

|f(x)| dx ≤∫ b

a

‖f‖∞ dx ≤ ‖f‖∞(b− a).

LEMMA 2.7. Seien a, b, c ∈ R mit a < b < c, und f : [a, c]→ R. Dann gilt

f ∈ R[a, c] ⇐⇒ f |[a,b] ∈ R[a, b] und f |[b,c] ∈ R[b, c]

und wenn f Riemann-integrierbar ist, so gilt∫ c

a

f(x) dx =

∫ b

a

f |[a,b](x) dx+

∫ c

b

f |[b,c](x) dx.

Beweis. Man wahlt wieder geeignete Treppenfunktionen oberhalb und unterhalb von f und setztdiese zusammen oder durchtrennt sie an der Stelle b.

Notation 2.8. Die Integrationsvariable (bis jetzt immer x) kann durch jede andere noch nichtvergebene Variable ersetzt werden:∫ b

a

f(x) dx =

∫ b

a

f(y) dy = · · · =∫ b

a

f(t) dt .

Aber bereits vergebene Variablen durfen nicht als Integrationsvariable benutzt werden, zum Bei-spiel ist ∫ b

a

f(a) da

ist nicht erlaubt.

Gilt [a, b] ⊂ [c, d] und f ∈ R[c, d], dann schreiben wir∫ b

a

f(x) dx :=

∫ b

a

f |[a,b](x) dx.

152 6. INTEGRAL-RECHNUNG FUR FUNKTIONEN EINER VERANDERLICHEN

Gilt a > b, und f ∈ R[b, a], so definieren wir∫ b

a

f(x) dx := −∫ a

b

f(x) dx.

Insbesondere gilt fur alle reelle Zahlen a, b, c ∈ [d, e] ⊂ R und fur alle f ∈ R[d, e]:∫ c

a

f(x) dx =

∫ b

a

f(x) dx+

∫ c

b

f(x) dx.

3. Monotone Funktionen sind Riemann-integrierbar

SATZ 3.1. Sei a, b ∈ R, a < b, und f : [a, b]→ R eine monotone Funktion. Dann ist f ∈ R[a, b].

Beweis. O.B.d.A. sei f monoton wachsend. Sei ε ∈ R>0 gegeben. Zu einer Zahl k ∈ N, die wirnoch geeignet wahlen werden, definieren wir:

tj := a+ jb− ak

.

Insbesondere ist {t0 < t1 < · · · < tk} eine Zerlegung von [a, b]. Wir definieren die Treppenfunktio-nen go, gu ∈ T [a, b], so dass fur alle j ∈ {1, 2, . . . k} und alle x ∈ [tj−1, tj) gilt

go(x) = f(tj), gu(x) = f(tj−1);

und go(b) = gu(b) = f(b).

Bild einer monoton wachsenden Funktion f und von Treppenfunktionen gu, go wie oben.

Da f monoton wachsend ist gilt gu ≤ f ≤ go. Außerdem∫ b

a

go(x) dx =

k∑j=1

(tj − tj−1) go

(tj−1 + tj

2

)=

k∑j=1

b− ak

f(tj),

∫ b

a

gu(x) dx =

k∑j=1

(tj − tj−1) gu

(tj−1 + tj

2

)=

k∑j=1

b− ak

f(tj−1).

Somit ∫ b

a

go(x) dx−∫ b

a

gu(x) dx =b− ak

k∑j=1

f(tj)−k−1∑`=0

f(t`)

=b− ak

(f(b)− f(a))

Wenn wir also bei der obigen Konstruktion der tj , die Zahl k ∈ N so groß wahlen, dass

k ≥ b− aε

(f(b)− f(a)),

dann gilt∫ bago(x) dx −

∫ bagu(x) dx ≤ ε. Mit dem riemannschen Kriterium Lemma 2.3 folgt die

Riemann-Integrierbarkeit.

4. STETIGE FUNKTIONEN SIND RIEMANN-INTEGRIERBAR 153

4. Stetige Funktionen sind Riemann-integrierbar

LEMMA 4.1. Sei f : [a, b]→ R stetig. Dann ist f auch gleichmaßig stetig, d.h.

(4.2) ∀ε ∈ R>0 : ∃δ ∈ R>0 : ∀x, y ∈ [a, b] :(|x− y| < δ =⇒ |f(x)− f(y)| < ε

).

Beweis. Angenommen f ist nicht gleichmaßig stetig. Es gibt dann ein ε > 0, so dass

(4.3) ∀δ ∈ R>0 : ∃x, y ∈ [a, b] :(|x− y| < δ

)∧(|f(x)− f(y)| ≥ ε

).

Zu jedem n ∈ N, und δ := δn := 1/n wahlen wir xn, yn ∈ [a, b] wie in (4.3). Auf Grund des Satzesvon Bolzano-Weierstraß (Korollar 1.35 in Kapitel 2) gibt es eine Teilfolge (xnk)k∈N, so dass

limk→∞

xnk

existiert. Sei x := limk→∞ xnk ∈ [a, b]. Wegen |xnk − ynk | < 1/nk gilt auch x = limk→∞ ynk . Da fstetig ist gilt dann auch

f(x) = limk→∞

f(xnk) = limk→∞

f(ynk),

alsolimk→∞

(f(xnk)− f(ynk)) = 0.

Dies widerspricht jedoch der obigen Wahl von xnk und ynk , denn diese haben wir so gewahlt, dassfur alle k ∈ N die Ungleichung |f(xnk)− f(ynk)| ≥ ε gilt.5

Wir haben gezeigt, dass die Annahme, f sei nicht gleichmaßig stetig, einen Widerspruch impliziert.Also muss f gleichmaßig stetig sein.

SATZ 4.4. Sei f : [a, b]→ R stetig. Dann ist f Riemann-integrierbar. In anderen Worten:

C0([a, b]) ⊂ R[a, b].

Beweis. Zu einem gegebenen ε > 0 wahle δ > 0 wie in (4.2). Dann wahlen wir kε ∈ N r {0} sogroß, dass (b− a)/kε < δ. Definiere ahnlich wie oben

tj := a+ jb− akε

.

Wir definieren die Treppenfunktionen go, gu ∈ T [a, b], so dass fur alle j ∈ {1, 2, . . . k} und allex ∈ [tj−1, tj) gilt

go(x) = sup{f(x) | x ∈ [tj−1, tj)}, gu(x) = inf{f(x) | x ∈ [tj−1, tj)}und go(b) = gu(b) = f(b). Dann gilt 0 ≤ go(x)− gu(x) ≤ ε, und deswegen∫ b

a

go(x) dx−∫ b

a

gu(x) dx ≤ ε(b− a),

und offensichtlich gu ≤ f ≤ go. Mit Lemma 2.3 folgt die Riemann-Integrierbarkeit.

5Und naturlich fur das feste oben gewahlte ε > 0!

154 6. INTEGRAL-RECHNUNG FUR FUNKTIONEN EINER VERANDERLICHEN

!ACHTUNG!. Wenn eine Funktion f : (a, b)→ R stetig ist, so kann man daraus nicht schließen,dass f Riemann-integrierbar ist. Beispiel: Die Funktion f : (0, 1) → R, x 7→ 1/x, ist stetig, abernicht beschrankt und somit auch nicht Riemann-intergierbar.

5. Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung

SATZ 5.1 (Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung, Teil I). Sei f ∈ R[a, b], γ ∈ [a, b].Definiere

F : [a, b] → R, F (x) :=

∫ x

γ

f(t) dt.

Dann gilt

(1) F ist stetig auf [a, b].(2) Ist f stetig in x0 ∈ (a, b), so ist F differenzierbar in x0, und F ′(x0) = f(x0).

Fr 8.2.

Beweis.

(1) f ∈ R[a, b], also f beschrankt, somit

‖f‖∞(def)= sup

{|f(x)|

∣∣x ∈ [a, b]}<∞.

Sei x, x0 ∈ [a, b].∣∣∣F (x)− F (x0)∣∣∣ =

∣∣∣∣∫ x

x0

f(t) dt

∣∣∣∣ ≤ ∣∣∣∣∫ x

x0

|f(t)| dt∣∣∣∣ ≤ |x− x0| ‖f‖∞

Zu gegebenem ε > 0 wahlen wir nun δ := ε/‖f‖∞ > 0 und dann ist das ε-δ-Kriterium furStetigkeit in x0 erfullt.

(2) ∣∣∣∣F (x)− F (x0)

x− x0− f(x0)

∣∣∣∣ =

∣∣∣∣ 1

x− x0

∣∣∣∣ ∣∣∣∣∫ x

x0

(f(t)− f(x0)) dt

∣∣∣∣≤

∣∣∣∣ 1

x− x0

∣∣∣∣ ∣∣∣∣∫ x

x0

|(f(t)− f(x0))| dt∣∣∣∣

≤ sup{|f(t)− f(x0)|

∣∣∣ t ∈ [x, x0] bzw. t ∈ [x0, x]}

Wir fixieren nun ein ε > 0. Da f in x0 stetig gibt es zu diesem ε > 0 ein δ > 0, so dass fur allet ∈ [a, b] mit |t− x0| ≤ δ gilt:

|f(t)− f(x0)| ≤ ε,insbesondere gilt fur x ∈ [a, b] ∩ [x0 − δ, x0 + δ]:∣∣∣∣F (x)− F (x0)

x− x0− f(x0)

∣∣∣∣ ≤ sup{|f(t)− f(x0)|

∣∣∣ t ∈ [x, x0] bzw. t ∈ [x0, x]}≤ ε.

5. HAUPTSATZ DER DIFFERENTIAL- UND INTEGRALRECHNUNG 155

Daraus ergibt sich

limx→x0

(F (x)− F (x0)

x− x0− f(x0)

)= 0

und somit die Behauptung im zweiten Teil.

Ist I 6= ∅ ein Intervall, so sei◦I := (inf I, sup I) das offene Intervall mit denselben Grenzen wie I.

Bsp: I := [a, b],◦I = (a, b). Ist J ein offenes Intervall in R, dann

◦J = J .

Fur offene Teilmengen U definieren wir◦U := U .

Definition 5.2. Sei I ein Intervall oder eine offene Teilmenge von R, und f : I → R. Wir sagenF : I → R ist eine Stammfunktion von f , wenn F stetig ist, F |◦

Idifferenzierbar ist und F ′(x) = f(x)

fur alle x ∈◦I.

Beispiele 5.3.

(1) Der Hauptsatz der Diff.- und Int.-Rechnung I besagt, dass stetige Funktionen f : [a, b]→R immer eine Stammfunktion haben.

(2) Auch stetige Funktionen f : (c, d) → R besitzen immer eine Stammfunktion: wahleγ ∈ (c, d), dann ist F (x) =

∫ xγf(t) dt eine Stammfunktion.

(3) Ist U ⊂ R offen und f : U → R stetig, dann besitzt f ebenfalls eine Stammfunktion.Denn ist U ⊂ R offen, dann gibt es eine Familie offener Intervalle (Uα)α∈A, so dass U =⋃α∈A Uα, Uα∩Uβ = ∅ fur α 6= β6. Man konstruiert nun auf jedem Uα die Stammfunktion

wie in (2).(4) Es gibt Riemann-integrierbare Funktionen ohne Stammfunktion. Beispiel

f : [−1, 1]→ R, f(x) :=

{−1 , falls x ≤ 0

1 , falls x > 0

f ∈ R[−1, 1], da f eine Treppenfunktion ist. Angenommen f hatte eine StammfunktionF : [−1, 1]→ R. Dann gilt F ′(x) = 1 fur x > 0, somit gibt es eine c ∈ R, so dass fur allex ∈ (0, 1) gilt: F (x) = c + x. Es gilt F ′(x) = −1 fur x ≤ 0, somit gibt es ein d ∈ R mirF (x) = d−x fur d ≤ 0. Da F stetig ist, gilt c = d, also F (x) = c+ |x| fur alle x ∈ [−1, 1].Diese Funktion ist nicht in 0 differenzierbar, also ist F keine Stammfunktion.

(5) Es gibt nicht-Riemann-integrierbare Funktionen mit Stammfunktion. Wir definieren:

F : R→ R, F (x) :=

x2 sin

(1

x2

), falls x > 0

0, falls x ≤ 0.

6Man sagt zu letzterer Eigenschaft: (Uα)α∈A ist eine Familie von paarweise disjunkten offenen Intervallen

156 6. INTEGRAL-RECHNUNG FUR FUNKTIONEN EINER VERANDERLICHEN

Dann ist F differenzierbar auf ganz R und somit ist F |[−1,1] eine Stammfunktion vonf := F ′|[−1,1] : [−1, 1]→ R. Man rechnet nach fur j →∞:

xj := (2πj + π)−1/2 → 0

f(xj) = 21√

2πj + πsin (2πj + π)︸ ︷︷ ︸

=0

− 2√

2πj + π cos (2πj + π)︸ ︷︷ ︸=−1

→ ∞

Deswegen ist f nicht beschrankt und deswegen auch nicht Riemann-integrierbar.

SATZ 5.4 (Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung, Teil II). Sei f : [a, b]→ R Riemann-integierbar, und F sei eine Stammfunktion von f . Dann gilt fur x, y ∈ [a, b]:

(5.5)

∫ x

y

f(t) dt = F (x)− F (y).

Beweis.

1. Fall: f ist stetig.F0(x) :=

∫ xyf(t) dt ist eine Stammfunktion von f , und deswegen F (x) = F0(x) + F (y). Daraus

folgt die Aussage.

2. Fall: allgemeinO.B.d.A. y < x. Sei go ∈ T [y, x], go ≥ f , und sei Z = {t0 < t1 < . . . < tk} eine zu go passendeZerlegung von [y, x].

F (x)− F (y) =

k∑j=1

(F (tj−1)− F (tj))

1.MWS=

k∑j=1

(tj − tj−1)F ′(ξj)

fur geeignete ξj ∈ (tj−1, tj). Wir rechnen weiter

F (x)− F (y) =

k∑j=1

(tj − tj−1)f(ξj)

≤k∑j=1

(tj − tj−1)go(ξj)

=

∫ x

y

go(t) dt

5. HAUPTSATZ DER DIFFERENTIAL- UND INTEGRALRECHNUNG 157

Da dies fur alle Treppenfunktionen oberhalb von f gilt, folgt durch Infimumsbildung:

F (x)− F (y) ≤∫ x

y

f(t) dt

Die Gleichung

F (x)− F (y) ≥∫ x

y

f(t) dt

zeigt man ganz analog. Da f Riemann-integrierbar ist, folgt die Aussage.

Beispiele 5.6.

(1) Eine Stammfunktion der Funktion f : R → R, x 7→∑nk=0 akx

k ist F : R 7→ R, x 7→∑nk=0

akk+1x

k+1.

(2) Die Stammfunktion der Funktion

f : R→ R, x 7→ 1

x2 + 1

ist F = arctan : R→ (−π/2;π/2) ⊂ R, die Umkehr-Funktion des Tangens. Denn mit

tan′(y) =1

cos2 y=

sin2 y + cos2 y

cos2 y= tan2 y + 1

und mit Proposition 1.6 in Kapitel 5 sieht man

arctan′(x) =1

tan2(arctan(x)) + 1=

1

x2 + 1.

(3) Es gibt viele Tabellen mit vielen Stammfunktionen, siehe zum Beispiel:

http://de.wikipedia.org/wiki/Tabelle_von_Ableitungs-_und_Stammfunktionen

Notation 5.7.

F (x)∣∣∣bx=a

:= F (b)− F (a)

Dann schreibt sich (5.5) als ∫ b

a

f(x) dx = F (x)∣∣∣bx=a

.

C0([a, b]) :={f : [a, b]→ R | f stetig

}f ∈ C1([a, b]) ⇐⇒ f ∈ C0([a, b]), f |(a,b) differenzierbar und f ′ kann man zu einer stetigen Funk-

tionen f ′ : [a, b]→ R fortsetzen.7

7Wir bezeichnen diese Fortsetzung auch einfach mit f ′ und es gilt dann auch

f ′(a) = limx↘a

f(x)− f(a)

x− a, f ′(b) = lim

x↗b

f(x)− f(b)

x− b.

158 6. INTEGRAL-RECHNUNG FUR FUNKTIONEN EINER VERANDERLICHEN

SATZ 5.8 (Partielle Integration). Seien a, b ∈ R, a < b und f, g ∈ C1([a, b]). Dann∫ b

a

f ′(x)g(x) dx = f(x)g(x)∣∣∣bx=a−∫ b

a

f(x)g′(x) dx

Beweis. x 7→ f(x)g(x) ist Stammfunktion von x 7→ f ′(x)g(x) + f(x)g′(x).

Beispiel 5.9. Zu berechnen ist A :=∫ ba

cos3 x dx. Setze f(x) = sinx und g(x) = cos2 x. Es folgtmit partieller Integration:

A =

∫ b

a

f ′(x)g(x) dx = sinx cos2 x∣∣∣bx=a−∫ b

a

(sinx)(−2) sinx cosx dx

Wenn wir nun sin2 x = 1− cos2 x nutzen, so ergibt sich

A = sinx cos2 x∣∣∣bx=a

+ 2

∫ b

a

cosx dx− 2A.

Also

A =1

3(sin b cos2 b− sin a cos2 a)− 2

3(sin b− sin a).

SATZ 5.10 (Integration durch Substitution). Seien a, b, c, d ∈ R, a < b und c < d. Gegeben sei

• f ∈ C0([a, b]),• ϕ ∈ C1([c, d]) mit ϕ#([c, d]) ⊂ [a, b]

Dann gilt ∫ ϕ(d)

ϕ(c)

f(s) ds =

∫ d

c

f(ϕ(t))ϕ′(t) dt.

Beweis. Die Integranden, d.h. die Funktionen f und t 7→ f(ϕ(t))ϕ′(t) =: f(t) sind stetig, alsoRiemann-integrierbar und besitzen Stammfunktionen. Sei F : [a, b] → R eine Stammfunktion

von f , dann ist nach Kettenregel F ◦ ϕ : [c, d]→ R eine Stammfunktion von f .∫ ϕ(d)

ϕ(c)

f(s) ds = F (ϕ(d))− F (ϕ(c)) =

∫ d

c

f(ϕ(t))ϕ′(t) dt.

Merkregel: Die Leibnizsche Differentialschreibweise (= Verwendung von den”unendlich kleinen“

Zahlen ds, dt) liefert eine gute Merkregel. 8

s = ϕ(t),

8Sie ist nicht mathematisch prazise, denn es bleibt ja unklar, was eine unendlich kleine Zahl denn sein soll. Sie

ist aber sehr effizient als Merkregel.

6. UNEIGENTLICHE RIEMANN-INTEGRALE 159

also auch f(ϕ(t)) = f(s). Schreibe

ϕ′(t) = limt→t

ϕ(t)− ϕ(t)

t− t= limt→t

s− st− t

=ds

dt

Man lost aufds = ϕ′(t) dt

und ersetzt die t-Integrationsgrenzen c und d durch die s-Integrationsgrenzen ϕ(c) und ϕ(d). Undman hat die Subsitutionsformel.

Typische Anwendungen.1.) ∫ b

a

tet2

dt =1

2

∫ b2

a2es ds =

1

2eb

2

− 1

2ea

2

Hier wurde f(s) = es und ϕ(t) = t2 genutzt.

2.) Sei 0 < a < b.∫ b

a

1

(et − 1)(et + 1)dt =

∫ b

a

1

et(et − 1)(et + 1)et dt =

∫ eb

ea

1

s(s− 1)(s+ 1)ds = siehe Zentralubung

Hier wurde f(s) = 1s(s−1)(s+1) und ϕ(t) = et genutzt.

Wir machen einen Partialsummenansatz1

s(s− 1)(s+ 1)=a

s+

b

s− 1+

c

s+ 1

und rechnen aus, dass dieser Ansatz fur a = 1 und b = c = −1/2 funktioniert. somit hat f : Rrdie Stammfunktion

log(s)− 1

2log(s− 1)− 1

2log(s+ 1)

und damit kann dieses Integral explizit berechnet werden.

6. Uneigentliche Riemann-Integrale

Wdh.: F : R→ R, a ∈ Ra = lim

x→∞F (x) ⇐⇒ ∀ε ∈ R>0 : ∃x0 ∈ R : ∀x ∈ R≥x0 : |F (x)− a| < ε

Analog fur F : [a,∞)→ R und andere Definitionsbereiche.

Definition 6.1 (Uneigentliches Riemann-Integral, oberes Ende). Sei a ∈ R, b ∈ R ∪ {∞}, a < b,f : [a, b)→ R.Wir sagen f ist (am oberen Ende) uneigentlich Riemann-integrierbar falls f |[a;β] ∈ R[a;β] fur alleβ ∈ (a, b) und falls

(6.2)

∫ b

a

f(x) dx := limβ↗b

∫ β

a

f(x) dx

160 6. INTEGRAL-RECHNUNG FUR FUNKTIONEN EINER VERANDERLICHEN

existiert. Wir sagen dazu auch∫ baf(x) dx konvergiert. Wir sagen: das Integral konvergiert absolut,

falls∫ ba|f(x)| dx konvergiert.

Man beachte: die linke Seite von (6.2) ist eine Definition!

Spezialfall: Wenn b <∞ und falls f = f[a,b) fur ein f ∈ R[a, b] ist, dann gilt wegen dem Hauptsatz

der Differential- und Integralrechnung9:∫ b

a

f(x) dx = limβ→b

∫ β

a

f(x) dx

In diesem Fall gilt also ∫ b

a

f(x) dx =

∫ b

a

f(x) dx.

Definition 6.3 (Uneigentliches Riemann-Integral, unteres Ende und an beiden Enden). Sei a ∈R ∪ {−∞}, b ∈ R, a < b, f : (a, b]→ R.Wir sagen f ist (am unteren Ende) uneigentlich Riemann-integrierbar falls f |(α,b] ∈ R[α, b] fur alleα ∈ (a, b) und falls

(6.4)

∫ b

a

f(x) dx := limα↘a

∫ b

α

f(x) dx

existiert.

Sei a ∈ R ∪ {−∞}, b ∈ R ∪ {∞}, a < b, f : (a, b) → R. Wir sagen f ist (an beiden Enden)uneigentlich Riemann-integrierbar, falls fur ein γ ∈ (a, b) die Summe

(6.5)

∫ b

a

f(x) dx :=

∫ γ

a

f(x) dx+

∫ b

γ

f(x) dx

existiert.10

Beispiele 6.6.

(1)∫∞1xa dx konvergiert genau dann, wenn a < −1. Denn

F (r) :=

∫ r

1

xa dx =

{1a+1 (ra+1 − 1) fur a 6= −1

log r fur a = −1

Im Limes r →∞ gilt

F (r)→

{∞ fur a ≥ −1

− 1a+1 fur a < −1

9Die folgende Zeile ist keine Definition, sondern eine Aussage!10Hierzu mussen beide Integrale der rechten Seite von (6.5) konvergieren. Die Existenz und der Wert von∫ b

a f(x) dx ist dann unabhangig von γ.

6. UNEIGENTLICHE RIEMANN-INTEGRALE 161

(2)∫ 1

0xa dx konvergiert genau dann, wenn a > −1.

ENDE DER VORLESUNG ANALYSIS I

ANHANG A

Mehr Details zu den Grundlagen der Logik

1. Das Russellsche Paradoxon

(Auch Russellsche Antinomie genannt. Vorlaufer sind die Cantorsche Antinomie und das Burali-Forti-Paradoxon, siehe Wikipedia.)

Am Anfang der Vorlesung haben wir gesagt, dass unser Ziel ist, eine axiomatisch aufgebauteMathematik zu erhalten. Diesem Anspruch sind wir bisher nicht gerecht geworden. Immer wiederwurde die Intuition genutzt, um Objekte zu definieren, anstatt wirklich saubere mathematischeDefinitionen hinzuschreiben. Das Vorgehen war bis weit ins 19. Jahrhundert ganz ahnlich. Dasintuitive Verwenden des Mengenbegriffs fuhrte dann aber zu dem Russellschen Paradoxon.

Frage 1.1. Gibt es die Menge aller Mengen?

Stand der Mathematik gegen Ende des 19. Jahrhunderts: Nach Cantors Beschreibung (Beschrei-bung 3.1) sollte es die Menge M aller Mengen geben. Das Elementzeichen ∈ ist dann eine aufE ×M definierte Aussageform, wobei E die Menge aller Elemente irgendeiner Menge bezeichne,also E =

⋃M.

E ×M −→ {w, f}(x,M) 7→ x ∈M

Russell bildete nun daraus

N := {x ∈M | x 6∈ x}.

Gilt nun N ∈ N ? Fur alle Mengen x gilt

x ∈ N ⇐⇒ x 6∈ x

und wenn wir x := N setzen, so erhalten wir

N ∈ N ⇐⇒ N 6∈ N .

Aussagen in der Form A↔ ¬A sind aber immer falsch, also haben wir einen Widerspruch erhalten.

163

164 A. MEHR DETAILS ZU DEN GRUNDLAGEN DER LOGIK

Um die Mengenlehre und somit die Mathematik sauber auf Axiomen aufzubauen, mussen wir alsoviel genauer als bisher vorgehen und intuitive Argumente durch formal korrekte Beweise ersetzen.

Wie lost man dieses Paradoxon auf: Nicht jede”Zusammenfassung von bestimmten wohlunterschie-

denen Objekten“ ist eine Menge. Die Axiome sollen regeln, wann solche eine Zusammenfassung eineMenge ist. Insbesondere ist die

”Zusammenfassung“ M aller Mengen selbst keine Menge, sondern

etwas großeres, das wir Klasse nennen wollen. Analog sind auch N und E keine Mengen, sondernKlassen.

2. Axiomatische Mengenlehre

Wir wollen nun skizzieren, wie man die Mengenlehre sauber auf Axiomen aufbauen kann. Mannimmt hierzu mehrere Axiomen an, all diese Axiome zusammen nennt man dann ein Axiomen-System. Historisch sind hier wichtige Fortschritte zu Ende zu 19. Jahrhunderts und zu Beginndes 20. Jahrhunderts gemacht worden. Nun haben verschiedene Mathematiker verschiedene Axio-mensysteme entwickelt und benutzt. Das wohl bekannteste Axiomensystem heißt ZFC nach denMathematikern Zermelo und Fraenkel und C fur

”Axiom of Choice“ (= Auswahlaxiom). Wir stel-

len ein anderes vor (NBG), das sehr ahnliche Eigenschaften hat. Man kann zeigen, dass man mitZFC und NBG dieselben Satze uber Mengen herleiten kann. Die Axiome von ZFC machen oftrein mengentheoretische Argumente einfacher, wahrend die Axiome von NBG fur das praktischeArbeiten oft besser geeignet sind.

Grundlegende Ideen:

• Man will gar nicht mehr erklaren, was eine Menge ist, sondern fordert axiomatischeEigenschaften fur Mengen.• Man nimmt an, dass auch alle Elemente von Mengen ebenfalls Mengen sind. In anderen

Worten: jede Menge ist ein Mengensystem uber einer geeigneten Menge. In der Notationdes letzten Abschnitts gilt also nun M = E . Die Zusammenfassung aller RegensburgerAutos ist dann keine Menge. Der Satz

”Es existiert kein Auto“ ist also in einer streng

axiomatisch aufgebauten Vorlesung uber Logik und Mengenlehre eine wahre Aussage,denn ein Auto ist ja keine Menge von Mengen.• Trotz dieser Einschrankungen kann man immer noch naturliche, ganze, rationale und

reelle Zahlen und vieles mehr als Mengen definieren. Die Zahl π ist also eine Menge,deren Elemente wieder Mengen sind, deren Elemente wieder Mengen sind, . . . . Siehedazu auch die Peano-Axiome in Abschnitt B in Kapitel

”Zahlen“.

Die Axiome ubernehme ich aus [17], siehe auch [25]. Zum Vergleich zu ZFC verweise ich auf [13].

AXIOME 2.1 (Axiome der Mengenlehre nach von Neumann, Bernays, Godel (NBG)).

• Es gibt zwei Sorten von Objekten, Mengen und Klassen. Außerdem gibt es noch die Be-ziehung ∈, die besagt, wann eine Klasse das Element einer anderen Klasse ist.• Jede Menge ist eine Klasse.

2. AXIOMATISCHE MENGENLEHRE 165

• Alle Elemente von Klassen sind Mengen.• Extensionalitat. Zwei Klassen sind genau dann gleich, wenn sie dieselben Elemente ent-

halten.• Komprehension. Ist C eine auf allen Mengen definierte Aussagenform, die nach strikt

festgelegten Regeln aufgebaut ist, die wir hier der Kurze halber nicht genauer diskutieren.1

Dann ist {x ist eine Menge

∣∣ C(x)}

eine Klasse.• Die leere Klasse ∅ := {x ist eine Menge | x 6= x} ist eine Menge.• Aussonderungsmengenaxiom. Jede Teilklasse einer Menge ist eine Menge.

Benutzt wurde hierbei die folgende Definition: Eine Klasse A ist eine Teilklasse einerKlasse B, wenn jedes Element von A ein Element von B ist.• Paarmengenaxiom. Sind A und B Mengen, so ist auch {A,B} eine Menge.• Vereinigungsaxiom. Ist A eine Menge, so ist auch⋃

A :={x∣∣ ∃y ∈ A : x ∈ y

}eine Menge, die Vereinigungsmenge von A.• Potenzmengenaxiom. Ist A eine Menge, so ist auch P(A) := {x | x ⊂ A} eine Menge,

die Potenzmenge von A.• Fundierungsaxiom. Ist A 6= ∅, so gibt es ein x ∈ A mit x ∩A = ∅.• Ersetzungsaxiom.Sind X und Y Klassen und ist F eine funktionale

”Relationsklasse“2

mit D(F ) = X und B(F ) ⊂ Y . Ist die Teilklasse A ⊂ X eine Menge, so ist auch B(F |A)eine Menge.• Unendlichkeitsaxiom. Es gibt eine induktive Menge; eine Menge A heißt induktiv, wenn∅ ∈ A und wenn fur alle x ∈ A auch x ∪ {x} ∈ A ist.• Auswahlaxiom. Sei I eine nicht-leere Menge und (Mi)i∈I eine Familie von nicht-leeren

Mengen. Dann ist∏i∈IMi nicht die leere Menge.

Bemerkungen 2.2.

(a) Besonders interessant ist das Auswahlaxiom. Es folgt bereits aus den Axiomen zuvor, dass∏i∈IMi eine Menge ist. Falls I endlich ist, so gilt offensichtlich

∏i∈IMi 6= ∅. Fur unendliche

Indexmengen kann man aber∏i∈IMi 6= ∅ im allgemeinen nicht aus den anderen Axiomen

herleiten. Wenn man es annimmt,”weiß“ man zwar, dass

∏i∈IMi mindestens ein Element

besitzt, es kann aber vorkommen, dass kein einziges Element von∏i∈IMi angegeben werden

kann.Es ist nun ganz lehrreich, zu untersuchen, welche Aussagen der Mathematik nur unter Hin-zunahme des Auswahlaxioms gezeigt werden konnen, und fur welche Aussagen, das Auswahl-axiom notig ist. Angenommen wir hatten nur die Axiome bis zum Unendlichkeitsaxiom. Dann

1Siehe hierzu [17] und [13]. Gemeint ist eine Aussagenform 1. Stufe, in der nicht uber Klassenvariable quanti-

fiziert wird.2Unter einer Relationsklasse verstehen wir eine Klasse, deren Elemente Paare sind. Man kann dann die ublichen

Begriffe einer Relation definieren, z.B.”funktional“, Definitionsbereich, Bild, etc.

166 A. MEHR DETAILS ZU DEN GRUNDLAGEN DER LOGIK

kann man zeigen, dass das Auswahlaxiom aquivalent zur Aussage”Jeder Vektorraum besitzt

eine Basis“ ist.Wenn wir das Auswahlaxiom annehmen, dann gibt es einen Vektorraum, der zwar eine Basisbesitzt, aber zugleich kann keine Basis angegeben werden.Das Auswahlaxiom ist auch aquivalent zur Aussage:

”Sind X und Y Mengen, dann gibt es eine

injektive Abbildung f : X −→ Y oder es gibt eine injektive Abbildung f : Y −→ X“.(b) Man kann aus den Axiomen der Mengenlehre nicht folgern, dass die Mengenlehre widerspruchs-

frei ist! (Zweiter Godelscher Unvollstandigkeitssatz). Die Mathematik beruht auf der Annahme,dass die Axiome der Mengenlehre widerspruchsfrei sind.

(c) Es gibt Aussagen, von denen gezeigt werden kann, dass weder diese Aussage noch die Negationdieser Aussage beweisbar ist. Die Cantorsche Kontinuumshypothese ist solch eine Aussage:

”Sei M eine Menge, so dass es keine injektive Abbildung M −→ N gibt.

Dann gibt es eine injektive Abbildung R −→M .“

Solche Aussagen gibt es in jedem hinreichend großen logischen System (Erster GodelscherUnvollstandigkeitssatz).

Bemerkung 2.3. Das Auswahlaxiom ist”unabhangig“ von den anderen Axiomen der Mengen-

lehre. Aufgrund der Nicht-Konstruktivitat und etwas ungewohnlicher Konsequenzen wird im Nor-malfall explizit angegeben, wenn ein Beweis das Auswahlaxiom verwendet.

Aus den obigen Axiomen kann man nun Schritt fur Schritt die ganze Mathematik heraus herleiten.

ANHANG B

Die Peano-Axiome

1. Die Axiome und erste Konsequenzen

Die naturlichen Zahlen wurden von Dedekind (1888) und Peano (1889) axiomatisiert. Siehe [17,Kapitel 3 und 4], [20], oder [13, Kapitel V] fur mehr Details.

AXIOME 1.1 (”Axiome“ der naturlichen Zahlen (Peano-Axiome)). Gegeben sei

• eine Menge N ,• ein (ausgewahltes) Element in N , das wir 0 nennen,• eine Abbildung s : N −→ N , x 7→ s(x), genannt die Nachfolger-Abbildung.

Wir sagen, dass (N, 0, s) die Peano-Axiome erfullt, falls gilt:

(P1) 0 6∈ B(s)(P2) Die Abbildung s : N −→ N ist injektiv.(P3) (Induktionsaxiom) Erfullt T ⊂ N die Bedingungen 0 ∈ T und s#(T ) ⊂ T , dann gilt bereits

T = N .

Wenn (N, 0, s) die Peano-Axiome erfullt, sagt man (N, 0, s) ist ein Modell der naturlichen Zahlen.

PROPOSITION 1.2. Es gibt eine Menge N ein Element 0 ∈ N und eine Nachfolger-Abbildungs : N −→ N , so dass (N, 0, s) die Peano-Axiome erfullt.

Beweis folgt unten.

PROPOSITION 1.3. Wenn (N , 0, s) und (N , 0, s) die Peano-Axiome erfullen, dann gibt es eine

bijektive Abbildung F : N −→ N , so dass F (0) = 0 und F ◦ s = s ◦ F .

Man sagt dann oft: (N , 0, s) und (N , 0, s) sind kanonisch isomorph.

Beweis spater.

Die letzte Gleichung schreibt man am besten als Diagramm, ein sogenanntes kommutatives Dia-gramm

167

168 B. DIE PEANO-AXIOME

N N

N N

F

F

s s

Alles, was man ublicherweise mit naturlichen Zahlen macht (Addition, Multiplikation, Teilbarkeit,Primzahlen, etc.) beruht letztendlich auf dem Tripel (N, 0, s) und den Peano-Axiomen. Deswegenbesagt Prop. 1.3, dass alle Eigenschaften von (N, 0, s) die man aus den Peano-Axiomen herleitenkann, entweder in allen Modellen gelten oder in keinem. Beispiele: In jedem Modell gibt es unendlich

viele Primzahlen, n ist eine Zahl mit 4 Teilern in (N , 0, s) genau dann wenn F (n) eine Zahl mit 4

Teilern in (N , 0, s) ist. Es kann uns also egal sein, welches Modell die naturlichen Zahlen beschreibt,wichtig sind allein die Peano-Axiome.

Bemerkung 1.4. Sind die Peano-Axiome weitere Axiome? Oder eine Definition? Oder Aussagen?Es gibt hier zwei verschiedene Sichtweisen. Je nach Anwendung und Dozent wird die eine oderandere bevorzugt.

(a) Die mengentheoretische Sichtweise: Die Peano-Axiome sind eine Definition.Proposition 1.2 besagt: Es gibt mindestens ein Tripel (N, 0, s), das die Peano-Axiome erfullt.

Und: Erfullen (N , 0, s) und (N , 0, s) die Peano-Axiome, so sind (N , 0, s) und (N , 0, s)”im

wesentlichen gleich“ (Proposition 1.3).(b) Die axiomatische Sichtweise: wir wollen im mathematischen Teilgebiet

”Theorie der naturlichen

Zahlen“ annehmen, dass es eine Menge N , ein 0 ∈ N und eine Nachfolger-Abbildung gibt undnehmen die Peano-Axiome als Axiome dieses Teilgebiets. Proposition 1.2 besagt dann,dass es ein mengentheoretisches Modell gibt, das die Axiome erfullt. Wie dieses Modell aberaussieht, ist fur unsere weiteren Uberlegungen irrelevant, da wir nur die Axiome fur weitereSchritte nutzen.

Beweis von Proposition 1.2. Wiederholung: eine Menge A heißt induktiv , wenn ∅ ∈ A und wennfur alle x ∈ A auch x ∪ {x} ∈ A ist.

Nach dem Unendlichkeitsaxiom gibt es eine induktive Menge A. Wir setzen 0 := ∅. Wir definierennun die Nachfolger-Abbildung

s : A −→ A, x 7→ x ∪ {x}.Das Tripel (A, 0, s) erfullt offensichtlich (P1).

Fur (P2) muss etwas gearbeitet werden, wir beweisen die Injektivitat von s : A −→ A mit einemWiderspruchsbeweis.

Angenommen die Abbildung sei nicht injektiv. Dies bedeutet:

(1.5) ∃x, y ∈ A : x 6= y ∧ s(x) = s(y)

1. DIE AXIOME UND ERSTE KONSEQUENZEN 169

Es folgt x ∪ {x} = y ∪ {y} und hieraus folgen wiederum die Aussagen

(1.6) x ∈ y ∨ x ∈ {y}

und

(1.7) y ∈ x ∨ y ∈ {x}.

Nun ist aber x ∈ {y} gleichbedeutend mit x = y und dies haben wir oben ausgeschlossen. Somiterhalten wir aus (1.6) dann x ∈ y, und analog erhalten wir y ∈ x aus (1.7).

Wir definieren nun B := {x, y}. Wegen B 6= ∅ ergibt das Fundierungsaxiom die Existenz einesb ∈ B mit b ∩ B = ∅. Im Fall b = x erhalten wir x ∩ {x, y} ⊃ {y} also b ∩ B 6= ∅. Im Fallb = y zeigen wir b ∩ B 6= ∅ analog. Wir haben einen Widerspruch erhalten, da wir gleichzeitigb∩B 6= ∅ und b∩B = ∅ erhalten haben. Also war eine Annahme (1.5) falsch. Wir haben mit einemWiderspruchsbeweis die Injektivitat von s gezeigt.

Es verbleibt aber unklar, ob (A, 0, s) auch (P3) erfullt.

Wir setzen nun

N :=⋂{B ∈ P(A) | B ist induktiv}.

Der Schnitt dieser induktiven Mengen ist wieder induktiv. Das Tripel (N, 0, s|N ) erfullt offen-sichtlich (P1) und (P2). Erfullt T die Voraussetzungen in (P3), so ist T induktiv und es giltT ∈ P(N) ⊂ P(A). Also folgt N ⊂ T , somit T = N . Wir erhalten (P3).

Beispiel 1.8. Die Konstruktion liefert dann 0 = ∅, 1 = s(0) = {∅}, 2 = s(1) = {∅, {∅}}, 3 =s(2) = {∅, {∅}, {∅, {∅}}}.

PROPOSITION 1.9. Jede naturliche Zahl ungleich 0 ist der Nachfolger genau einer naturlichenZahl.

Beweis (Direkter Beweis). Wir wissen bereits, dass jede naturliche Zahl der Nachfolger hochstenseiner naturlichen Zahl ist. Zu zeigen bleibt also, dass jede naturlichen Zahl n ungleich 0 Nachfolgereiner naturlichen Zahl ist. Wir definieren:

U := {n ∈ N |n ist Nachfolger einer naturlichen Zahl}

und dann

T := U ∪ {0}.

Die Menge T erfullt die Eigenschaften im Peano-Axiom (P3): 0 ist in T , und wenn n in T enthaltenist, dann ist n eine naturliche Zahl, und somit ist s(n) eine naturliche Zahl, die Nachfolger einernaturlichen Zahl ist. Somit ist s(n) in T . Axiom 3 besagt also, dass T gleich N ist. Daraus folgtU = N oder U = N r{0}. Also ist jede Zahl ungleich 0 Nachfolger einer naturlichen Zahl. Mankann den Beweis auch anders fuhren, als sogenannten Widerspruchsbeweis.

170 B. DIE PEANO-AXIOME

Beweis (Widerspruchsbeweis). Wir nehmen an, die Aussage des Lemmas ist falsch, undwollen daraus einen Widerspruch herleiten. Wenn die Aussage des Lemmas falsch ist,dann konnen wir annehmen: Es gebe eine naturliche Zahl n ungleich 0, die nicht Nachfolgereiner naturlichen Zahl ist. Wir definieren T := N r {n}. Die Menge T enthalt 0, da n 6= 0. Istt ∈ T , so ist t auch eine naturliche Zahl und somit ist auch der Nachfolger s(t) eine naturlicheZahl. Da n kein Nachfolger einer naturlichen Zahl ist, folgt s(t) 6= n und somit s(t) ∈ T . DieMenge T erfullt also die Eigenschaften in Peano-Axiom (P3) und somit gilt T = N . Zusammenmit n ∈ N und n 6∈ T ergibt sich ein Widerspruch. Da die Existenz einer Zahl n mit denobigen Eigenschaften zu einem Widerpruch fuhren wurde, wissen wir, dass es einsolches Gegenbeispiel nicht gibt, und die Aussage des Lemmas ist somit bewiesen.

2. Vollstandige Induktion und rekursive Definition

In diesem Abschnitt nehmen wir an, dass (N, 0, s) die Peano-Axiome erfullt. Die Addition + istnoch nicht definiert! Wir schreiben 1 fur s(0), 2 fur s(1) etc.. Die Notation n+ 1 ist im Sinne vons(n) zu lesen.

SATZ 2.1 (Vollstandige Induktion). Sei A( · ) eine auf N definierte Aussageform. Wir setzenvoraus, dass Induktionsanfang und Induktionsschritt erfullt sind:Induktionsanfang: A(0) ist wahr.Induktionsschritt: Fur alle n ∈ N gilt: (A(n) =⇒ A(n+ 1))).Dann gilt fur alle n ∈ N die Aussage A(n).

Im Induktionsschritt nennt man A(n) die Induktionsvoraussetzung .

Beweis. SeiT := {n ∈ N | A(n)}.

Auf Grund des Induktionsanfangs ist 0 in T . Der Induktionsschritt besagt: wenn n ∈ T , dann istauch n + 1 in T . Die Menge T erfullt also die Eigenschaften in Peano-Axiom (P3) und somit giltT = N .

Viele Variation hiervon, z.B.

SATZ 2.2 (Vollstandige Induktion, Starke Version). Sei A(n) eine auf N definierte Aussage. Wirsetzen voraus, dass Induktionssanfang und der modifizierte Induktionsschritt erfullt sind:Induktionsanfang: A(0) ist wahr.Modifizierter Induktionsschritt: Fur alle n ∈ N gilt: Aus A(0) ∧A(1) ∧ . . . ∧A(n) folgt A(n+ 1)).Dann gilt fur alle n ∈ N die Aussage A(n).

Beweis. Ubungsblatt 4, Aufgabe 4

SATZ 2.3 (Dedekindscher Rekursionssatz). Sei M eine Menge, a ∈ M und g : M × N −→ Meine Abbildung. Dann gibt es genau eine Abbildung f : N −→M so dass f(0) = a und

∀n ∈ N : f(s(n)) = g(f(n), n).

2. VOLLSTANDIGE INDUKTION UND REKURSIVE DEFINITION 171

Naturlich kann man hier auch wieder n+ 1 statt s(n) schreiben.

Wenn eine Abbildung auf diese Art und Weise definiert wird, nennen wir dies eine rekursive Defi-nition.

Beweis. Wir beweisen zunachst durch vollstandige Induktion die folgende Aussage A(n), n ∈ N :

Es gibt eine eindeutige1 Abbildung fn : {0, 1, 2, . . . , n} −→M mit den Eigenschaften2

fn(0) = m und ∀i ∈ {0, 1, 2, . . . , n− 1} : fn(i+ 1) = g(fn(i), i).

Induktionsanfang: n = 0. Die Abbildung f0 : {0} −→ M , 0 7→ m ist solch eine Abbildung. Undes ist offensichtlich die einzige.

Induktionsschritt:Induktionsvoraussetzung: A(n)Also wir haben eine Abbildung fn wie oben.

Wir definieren dann

fn+1(i) :=

{fn(i) falls i ∈ {0, 1, 2, . . . , n},g(fn(n), n) falls i = n+ 1.

Diese Abbildung erfullt die in A(n + 1) genannte Eigenschaft und man sieht leicht, dass es dieeinzige ist.

Wir setzen nun: f(n) := fn(n). Die so definierte Abbildung f : N −→M erfullt die Eigenschaftendes Satzes.

Wir konnen nun Proposition 1.3 zeigen.

Beweis von Prop. 1.3. Wir definieren rekursiv F (1) = 1 und fur n ∈ N : F (s(n)) = s(F (n)). Dies

ergibt eine Abbildung F : N −→ N . Analog definiert man eine G : N −→ N durch G(1) = 1und G(s(n)) = s(G(n)). Man zeigt nun durch Induktion G ◦ F = ∆N und F ◦ G = ∆N , d.h.

G : N −→ N ist die Umkehrfunktion von F : N −→ N und somit ist F : N −→ N bijektiv. Dieubrigen Eigenschaften dieser Abbildung folgen direkt aus der Definition von F .

Aus Proposition 1.3 folgt: alles was wir fur aus den Peano-Axiomen heraus fur (N, s, 0) zeigen, giltauch fur (N ′, s′, 0′). Es ist also unerheblich, welches Modell wir nutzen. Wir nehmen nun eines her

1”eindeutig“ bedeutet: es gibt so eine Funktion, und dies ist die einzige Funktion, die das erfullt!

2Man muss sich an dieser Stelle eigentlich Gedanken machen, was hier mit {0, 1, 2 . . . , n} gemeint ist. Es ist die

Menge Kn mit den Eigenschaften

(1) 0 ∈ Kn,

(2) s#(Kn r {n}) ⊂ Kn,(3) Ist T eine Menge mit 0 ∈ T und s#(T r {n}) ⊂ T , dann gilt Kn ⊂ T .

Dann ist zu zeigen dass s(n) 6∈ Kn und Kn+1 = Kn ∪ {s(n)}. Man sieht also, dass Kn genau das ist, was wir uns

unter {0, 1, 2, . . . , n} vorstellen.

172 B. DIE PEANO-AXIOME

und schreiben ab sofort N an Stelle von N , n 7→ n+ 1 an Stelle von s und weiterhin 0. Wir nennenN die Menge der naturlichen Zahlen.

Beispiele 2.4.

(1) Addition: Sei M = N, g(m,n) := s(m), a ∈ N. Wir erhalten eine Abbildung αa : N −→ Nmit αa(0) = a und mit ∀n ∈ N : αa(s(n)) = s(aa(n)). Wir schreiben a+ n := αa(n). Furn = 1 stimmt dies mit der bisherigen Definition von a+ 1 uberein.

(2) Multiplikation: Sei M = N, i ∈ N, g : N × N −→ N, (m,n) 7→ m + i. Wir erhalten eineAbbildung µi : N −→ N mit µi(0) = 0 und mit ∀n ∈ N : µi(s(n)) = µi(n) + i. Wirschreiben i ·m := µi(m).

(3) Potenzieren: Sei M = N, i ∈ N, g : N × N −→ N, (m,n) 7→ m · i. Wir erhalten eineAbbildung pi : N −→ N mit pi(0) = 1 und mit ∀n ∈ N : pi(s(n)) = pi(n) · i. Wirschreiben im := pi(m).

(4) Fakultat : Sei M = N, g : N× N −→ N, (m,n) 7→ (n+ 1) ·m. Wir definieren dadurch dieAbbildung ! : N −→ N durch 0! := 1 und (m+ 1)! := m! · (m+ 1). Also n! = 1 · 2 · · · · · n.

SATZ 2.5. (N,+, ·) erfullt die folgenden Eigenschaften:

(Aa) Addition ist assoziativ.Fur alle x, y, z ∈ N gilt

(x+ y) + z = x+ (y + z).

(An) Addition hat neutrales Element.Es gibt ein Element 0 ∈ N, so dass fur alle x ∈ N gilt

x+ 0 = 0 + x = x.

(Ak) Addition ist kommutativ.Fur alle x, y ∈ N gilt

x+ y = y + x.

(Ma) Multiplikation ist assoziativ.Fur alle x, y, z ∈ N gilt

(x · y) · z = x · (y · z).(Mn) Multiplikation hat neutrales Element.

Es gibt ein Element 1 ∈ N, so dass fur alle x ∈ N gilt

x · 1 = 1 · x = x.

(Mk) Multiplikation ist kommutativ.Fur alle x, y ∈ N gilt

x · y = y · x.(AMd) Addition und Multiplikation erfullen das Distributivgesetz.

Fur alle x, y, z ∈ N gilt

x · (y + z) = x · y + x · z

3. ORDNUNG DER NATURLICHEN ZAHLEN 173

(y + z) · x = y · x+ z · x

Den Beweis kann man mit vollstandiger Induktion durchfuhren, die wir im nachsten Abschnittkennenlernen werden. Es ist eine gute Ubung, einmal die Kommutativitat der Addition durchvollstandige Induktion oder direkt aus den Peano-Axiomen herzuleiten. Dies ist etwas muhsam,aber prinzipiell moglich.

Offensichtlich ist 0 die einzige Zahl, die an Stelle von 0 die obige Eigenschaft erfullt. Wir nennen0 = 0 das neutrale Element der Addition. Analoges gilt fur 1 und 1, und man nennt 1 = 1 dasneutrale Element der Multiplikation.

LEMMA 2.6 (Kurzungsregel). Seien n,m, k ∈ N mit n+ k = m+ k. Dann gilt auch m = n.

In anderen Worten

∀n,m, k ∈ N : n+ k = m+ k =⇒ m = n.

Der Beweis folgt durch Induktion nach k (wird nicht im Detail ausgefuhrt).

LEMMA 2.7. Jede von 0 verschiedene naturliche Zahl ist Nachfolger einer naturlichen Zahl.

Beweis. Angenommen k ∈ N, k 6= 0 und k 6∈ s#(N). Definiere T := Nr {k}. Dann gilt 0 ∈ T unds#(T ) ⊂ T und somit erhalten wir den Widerspruch T = N.

LEMMA 2.8. Sind n,m ∈ N. Es gelte n+m = 0. Dann gilt n = m = 0.

Beweis. (Widerspruchsbeweis) Wir nehmen an, dass n 6= 0 oder m 6= 0. Da der Fall m 6= 0 ganzanalog zum Fall n 6= 0, genugt es den Fall n 6= 0 zu betrachten. 3 Dann gibt es eine Zahl k ∈ N mitn = s(k). Es folgt 0 = s(k) +m = s(k+m), was der Tatsache widerspricht, dass 0 kein Nachfolgereiner naturlichen Zahl ist.

Hier gabe es noch viel hinzuzufugen. Deswegen wird der Anhang evtl. hier noch erweitert.

3. Ordnung der naturlichen Zahlen

Wir definieren nun eine Relation:

≤:= {(n,m) ∈ N× N | ∃k ∈ N : m = n+ k}.

LEMMA 3.1. Diese Relation ≤ ist eine totale Ordnung auf N. Es gilt:

(1) Reflexivitat auf N: Fur alle m in N ist m ≤ m wahr.

3Da Satze in dieser Art oft vorkommen, sagt man”Ohne Beschrankung der Allgemeinheit (OBdA) gilt n 6= 0.“

174 B. DIE PEANO-AXIOME

(2) Antisymmetrie: Fur alle n und m in N gilt

n ≤ m ∧m ≤ n =⇒ n = m.

(3) Transitivitat: Fur alle n, m und k in N gilt:

n ≤ m ∧m ≤ k =⇒ n ≤ k.

(4) Totalitat: Fur alle n und m in N gilt

n ≤ m ∨m ≤ n

(5) Fur alle n ∈ N gilt n ≤ n+ 1.

Beweis. Aussagen (1), (3) und (5) sind offensichtlich.

Zu (2) (Antisymmetrie): Es gelte n ≤ m und m ≤ n. Dann gibt es k1, k2 ∈ N mit m = n+ k1 undn = m+ k2. Daraus folgt

n = m+ k2 = n+ k1 + k2.

Mit der Kurzungsregel (Lemma 2.6) folgt k1 + k2 = 0 und mit Lemma 2.8 ergibt sich k1 = k2 = 0.Also n = m.

Zu (4) (Totalitat): Zu n ∈ N definieren wir

Tn := {m ∈ N | m ≤ n ∨ n ≤ m}.

Man zeigt mit etwas Aufwand 0 ∈ Tn und s#(Tn) ⊂ Tn. Mit (P3) folgt Tn = N, also die Behaup-tung.

Definition 3.2. Sei R eine (partielle) Ordnungsrelation auf M . Ein Minimum (beziehungsweiseMaximum) ist ein Element m ∈M , so dass fur alle n ∈M gilt: mRn (bzw. nRm).

Bemerkung. Wegen der Antisymmetrie gibt es hochstens ein Minimum.

Beispiele: Das offene Intervall ]0, 1[ in R hat kein Minimum bezuglich ≤.

Die Menge M := {{a}, {b}, {a, b}} tragt die Ordnungsrelation ⊂. Es existiert kein Minimum in M .

PROPOSITION 3.3 (Wohlordnung von N). Sei A eine nichtleere Teilmenge von N, dann besitztA ein Minimum.

Beweis. Wir nehmen an, A besaße kein Minimum. Definiere

T := {n ∈ N | ∀k ∈ A : k > n}= {n ∈ N | ∀k ∈ N : (k ≤ n =⇒ k 6∈ A)}= {n ∈ N | ¬(∃k ∈ N : (k ≤ n ∧ k ∈ A))}.

Offensichtlich gilt 0 ∈ T : denn wenn 0 /∈ T ware, dann gabe es ein k ∈ N mit k ≤ 0 und k ∈ A,also 0 ∈ A; und dann ware 0 ein Minimum von A.

3. ORDNUNG DER NATURLICHEN ZAHLEN 175

Wir zeigen nun

(3.4) (n ∈ T ) =⇒ (n+ 1 ∈ T ).

Daraus folgt dann mit (P3) die Aussage T = N, also A = ∅.

Um (3.4) zu zeigen, nehmen wir an, es gebe ein n ∈ T mit n+ 1 6∈ T . Daraus folgt dann n+ 1 ∈ A,und aus n ∈ T folgt mit der Totalitat dann, dass n + 1 ein Minimum von A ist. Dies ist einWiderspruch zur obigen Annahme.

4

Bemerkung 3.5. Sei R eine totale Ordnung auf einer Menge M . Wir sagen, R ist eine Wohlord-nung oder (M,R) ist eine wohlgeordnete Menge, wenn jede nicht-leere Teilmenge A ein Minimumbesitzt. Die letzte Proposition besagt also, dass (N,≤) wohlgeordnet ist. Hingegen ist (R,≤) nichtwohlgeordnet. Man kann aber zeigen:

Zu jeder Menge M gibt es eine Wohlordnung auf M .

Diese Aussage ist zum Auswahlaxiom aquivalent, wenn wir die ubrigen Axiome der Mengenlehreannehmen.

4Alternativer Beweis: Wir nehmen an, A besitze kein Minimum. Zu zeigen ist, dass A die leere Menge ist. Wir

zeigen induktiv die AussageP (n) :⇐⇒ {0, 1, 2, . . . , n} ∩A = ∅,

woraus die Aussage folgt.

Induktionsanfang: Angenommen 0 ware in A. Dann ist 0 das Minimum. Da es aber kein Minimum in A gibt, folgt

0 6∈ A, also P (0).Induktionsschritt : Es gelte P (n). Falls n+ 1 ∈ A, so ist n+ 1 ein Minimum von A. Da es aber kein Minimum gibt,

gilt n+ 1 6∈ A, und somit P (n+ 1).

ANHANG C

Konstruktion von R mit Hilfe von Cauchy-Folgen

In diesem Anhang stellen wir eine alternative Moglichkeit dar, ein Modell fur die reellen Zahlen zukonstruieren, namlich mit Hilfe von Cauchy-Folgen. Wenn man die Einfuhrung von Cauchy-Folgenin diesem Anhang mit der Einfuhrung im Hauptteil in Abschnitt 1.6 vergleicht, so sieht man, dasswir in diesem Anhang einige Eingeschaften explizit prufen mussen, die im Hauptteil aus den imAbschnitt 6 behandelten Aussagen folgen. In Abschnitt 1.6 setzen wir voraus, dass wir bereitswissen, was R ist und dass jeder archimedisch geordnete Korper Teilkorper von R ist. Auch dieDefinition einer Cauchy-Folge muss leicht angepasst werden. 1

1. Mehr zu Aquivalenzrelationen

Wir besprechen hier Aquivalenzrelationen noch etwas detailierter als zuvor. Derartige Sachver-halte wurden bereits in der Linearen Algebra I im Detail behandelt. Wir wiederholen sie in derZentralubung am 26.11.2013, u.a. um sicherzustellen, dass auch diejenigen folgen konnen, die dieLineare Algebra I nicht horen.

UBUNG 1.1. Seit f : M −→ N eine Abbildung. Wir definieren

Rf := {(x, y) ∈M ×M | f(x) = f(y)}.Zeigen Sie, R ist eine Aquivalenzrelation.

Sei R eine Aquivalenzrelation auf M .

Fur x ∈M definieren wir die Aquivalenzklasse von x als

[x] := {y ∈M | xRy}.Man sagt auch x ist ein Reprasentant von [x] oder x reprasentiert [x].

UBUNG 1.2. Zeigen Sie, dass fur alle x, y ∈M gilt:

(a)y ∈ [x]⇐⇒ [x] = [y]

1Dieser Teil wurde von meinem fruheren Skript der Vorlesung im Wintersemester 2013/14 ubernommen. Leiderkonnen kleinere ubernahmebedingten Druckfehler nicht ganz ausgeschlossen werden. Auch werden manche Themender Hauptvorlesung hier potentiell verdoppelt.

177

178 C. KONSTRUKTION VON R MIT HILFE VON CAUCHY-FOLGEN

(b)

[x] = [y] Y [x] ∩ [y] = ∅.

UBUNG 1.3. Sei Rf wie oben definiert. Bestimmen Sie die Aquivalenzklassen.

Ist R eine Aquivalenzrelation auf M , so definieren wir den Quotient von M nach R als

M/R := {[x] | x ∈M}.

Die Abbildung [ • ] : M →M/R, x 7→ [x] nennt man die kanonische Projektion.

UBUNG 1.4. Sei eine Abbildung F : M −→ X gegeben und R eine Aquivalenzrelation auf M .

Zeigen Sie, es gibt genau dann eine Abbildung F : M/R −→ X, so dass F ◦ [ • ] = F , falls fur allex, y ∈M gilt

xRy =⇒ F (x) = F (y).

Die Abbildung F : M/R −→ X ist daraus eindeutig bestimmt.

M X

M/R

F

[ • ]F

Gilt sogar

xRy ⇐⇒ F (x) = F (y),

dann wissen wir noch zusatzlich, dass F injektiv ist.

Beispiel: Sei f : M −→ N , Rf wie oben. Dann gibt es eine eindeutige Abbildung f : M/Rf −→ N ,so dass

M N

M/Rf

f

[ • ]f

kommutiert. Außerdem ist f injektiv. Wir erhalten eine bijektive Abbildung f : M/Rf −→ B(f).

2. FOLGEN, KONVERGENZ UND CAUCHY-FOLGEN 179

2. Folgen, Konvergenz und Cauchy-Folgen

Wenn wir die reellen Zahl uber Cauchy-Folgen konstruieren wollen, so benotigen wir Begriffe wieKonvergenz, Cauchyfolgen und ahnliche fur beliebige archimedisch geordnete Korper. Wir durfenja insbesondere nicht nutzen, dass jeder solche Korper ein Unterkorper von R ist. Deswegen mussenwir in großen Teilen unsere Einfuhrung in Folgen und Reihen nochmals in etwas großerer Allge-meinheit wiederholen.

Wir schreiben im folgenden zumeist K fur einen geordneten Korper (K,+, ·,≤). Und |a| ∈ K≥0sei (wie immer) der Betrag von a ∈ K.

Definition 2.1. Eine K-wertige Folge (ai)i∈N heißt beschrankt2 ,

:⇐⇒ {ai | i ∈ N} ist (nach oben und unten) beschrankt in K

⇐⇒ ∃r1, r2 ∈ K : ∀i ∈ N : r1 ≤ ai ≤ r2⇐⇒ ∃r ∈ K : ∀i ∈ N : |ai| ≤ r⇐⇒ {|ai| | i ∈ N} ist beschrankt in K

Bemerkung 2.2. Falls K archimedisch ist, so gilt auch:

(ai)i∈N ist beschrankt in K ⇐⇒ ∃n ∈ N : ∀i ∈ N : |ai| ≤ n.

Die Implikation ⇐= ist klar, und =⇒ folgt direkt aus der archimedischen Eigenschaft

Definition 2.3 (Konvergenz von Folgen). Eine K-wertige Folge (ai)i∈N konvergiert 3 gegen a ∈ K,falls gilt

∀ε ∈ K>0 : ∃i0 ∈ N : ∀i ∈ N : (i ≥ i0 =⇒ |ai − a| ≤ ε).Man nennt a den Grenzwert der Folge (ai)i∈N und schreibt a = limi→∞ ai oder ai → a fur i→∞.Wir sagen (ai)i∈N konvergiert, falls es ein derartiges a ∈ K gibt. Folgen, die gegen 0 konvergieren,

nennt man Nullfolgen. Falls eine Folge nicht konvergiert, so sagen wir dazu sie divergiert.

!ACHTUNG!. Wenn wir a = limi→∞ ai schreiben, so bedeutet dies immer:

• der Grenzwert existiert, und• der Grenzert ist a.

2Wenn man hier ganz exakt sein will, sollte man hier besser”beschrankt in K“ oder

”K-beschrankt“ sagen,

denn ob eine Folge beschrankt ist, hangt von K ab. Beispiel: Die Folge (i)i∈N ist unbeschrankt in Q, aber beschranktim Korper der rationalen Funktionen mit rationalen Koeffizienten. Sind aber K1 und K2 archimedische geordnete

Korper, so sieht man mit der unten stehenden Bemerkung, dass K1-Beschranktheit und K2-Beschranktheit die

gleiche Bedeutung haben.3Wenn man hier ganz exakt sein will, sollte man hier besser

”K-konvergiert“ sagen, denn ob eine Folge konver-

giert, hangt von K ab. Beispiel: Die Folge (1/i)i∈N Q-konvergiert in Q gegen 0, aber nicht im Korper der rationalenFunktionen mit rationalen Koeffizienten. Sind aber K1 und K2 archimedische geordnete Korper, so sieht man mit

einer der unten stehenden Bemerkungen, dass K1-Konvergenz und K2-Konvergenz die gleiche Bedeutung haben.

180 C. KONSTRUKTION VON R MIT HILFE VON CAUCHY-FOLGEN

Bemerkungen 2.4.

(a) Falls eine Folge einen Grenzwert besitzt, so ist dieser eindeutig bestimmt. Seien a und a′ zweiGrenzwerte von (ai)i∈N. Zu einem gegebenen ε ∈ K>0 gilt also:

∃i0 ∈ N : ∀i ∈ N : (i ≥ i0 =⇒ |ai − a| ≤ ε).∃i′0 ∈ N : ∀i ∈ N : (i ≥ i′0 =⇒ |ai − a′| ≤ ε).

Wahle nun so ein i0 und i′0. Dann gilt fur alle i ≥ max{i0, i′0}:|a− a′| ≤ |a− ai|+ |ai − a′| ≤ ε+ ε = 2ε.

Dies gilt fur alle ε ∈ K>0. Angenommen wir haben a 6= a′, so gilt dies insbesondere furε := |a − a′|/3 > 0. Also folgt 3ε ≤ 2ε und somit ergibt sich der Widerspruch ε ≤ 0. DieAnnahme a 6= a′ war also falsch, d.h. es gilt a = a′.

(b) Falls (ai)i∈N konvergiert, so ist (ai)i∈N beschrankt. Um dies zu zeigen, wahlen wir zu ε := 1ein passendes i0. Es gilt somit fur alle i ∈ N mit i ≥ i0:

|ai| ≤ |ai − a|+ |a| ≤ |a|+ 1.

Nun setzen wirr := max{|a1|, |a2|, . . . , |ai0−1|, |a|+ 1}.

Dann gilt fur alle i ∈ N: |ai| ≤ r. Somit ist (ai)i∈N beschrankt.(c) Ist K archimedisch, so gilt

a = limi→∞

ai ⇐⇒ ∀n ∈ N : ∃i0 ∈ N : ∀i ∈ N : (i ≥ i0 =⇒ |ai − a| ≤1

n).

Die Implikation =⇒ ist klar, und ⇐= folgt aus Lemma 2.5.

LEMMA 2.5. Ist K archimedisch, dann gibt es fur alle ε ∈ K>0 ein n ∈ N mit ε ≥ (1/n).

Beweis. Zu 1/ε ∈ K gibt es ein n ∈ N mit 1/ε ≤ n, und dies ist aquivalent zu ε ≥ (1/n).

Beispiele 2.6. (a) Eine Folge (ai)i∈N heißt konstant, falls a1 = a2 = a3 = . . .. Konstante Folgensind beschrankt und konvergieren. a1 = limi→∞ ai.

(b) Sei K = Q. Dann ist ( 1i )i∈N eine Nullfolge. (Nutze z.B. Bem. 2.4 (c) und setze i0 := n).

(c) Die Folge((−1)i

)i∈N hat 1 als obere und −1 als untere Schranke und ist somit beschrankt.

Wir werden bald sehen, dass sie nicht konvergiert.

Definition 2.7. Sei (ai)i∈N eine Folge von Elementen ai ∈M . Sei f : N→ N eine Abbildung mitder Eigenschaft

∀i, j ∈ N : i < j =⇒ f(i) < f(j)

(Man sagt zu dieser Eigenschaft: f ist streng monoton wachsend .) Dann nennt man (af(k))k∈N eineTeilfolge von (ai)i∈N.

Beispiel 2.8. Die Folge (i)i∈N hat folgende Teilfolgen:4

4Diese Folge hat naturlich noch viel mehr Teilfolgen. U.a. gibt es sogar Teilfolgen, die man gar nicht beschreiben

kann. Wieso es nicht beschreibbare Teilfolgen gibt, kann erst spater erklart werden.

2. FOLGEN, KONVERGENZ UND CAUCHY-FOLGEN 181

• sich selbst,• die Folge der ungeraden Zahlen (1, 3, 5, 7, . . .),• die Folge der Primzahlen (2, 3, 5, 7, . . .).

Konvergiert (ai)i∈N gegen a, so konvergiert jede Teilfolge ebenfalls gegen a.

LEMMA 2.9. Die Folge((−1)i

)i∈N aus Beispiele 2.6 (c) divergiert.

Beweis. Angenommen, die Folge((−1)i

)i∈N konvergiert gegen ein a ∈ K. Dann konvergieren auch

die Teilfolgen((−1)2k

)k∈N = (1)k∈N und

((−1)2k+1

)k∈N = (−1)k∈N gegen a. Da diese Teilfolgen

konstant sind, erhalten wir a = 1 und a = −1, was in K nicht moglich ist, denn es gilt ja−1 < 0 < 1.

UBUNG 2.10. Seien (ai)i∈N und (bi)i∈N konvergente Folgen. Dann gilt:

limi→∞

(ai + bi) = limi→∞

ai + limi→∞

bi

limi→∞

(ai − bi) = limi→∞

ai − limi→∞

bi

limi→∞

(ai · bi) = limi→∞

ai · limi→∞

bi

Gilt zusatzlich: ∀i ∈ N : bi 6= 0, und ist (bi)i∈N keine Nullfolge, so gilt auch

limi→∞

aibi

=limi→∞

ai

limi→∞

bi.

Die Beweise sind ahnlich wie in der folgenden Proposition.

Definition 2.11. Eine K-wertige Folge (ai)i∈N heißt Cauchy-Folge,5 falls

∀ε ∈ K>0 : ∃i0 ∈ N : ∀i, j ∈ N : (i ≥ i0 ∧ j ≥ i0) =⇒ |ai − aj | ≤ ε.PROPOSITION 2.12.

(1) Jede konvergente Folge ist eine Cauchy-Folge.(2) Jede Cauchy-Folge ist beschrankt.(3) Seien (ai)i∈N und (bi)i∈N Cauchy-Folgen. Dann sind (ai + bi)i∈N, (ai − bi)i∈N und (ai · bi)i∈N

ebenfalls Cauchy-Folgen.

(4) Zusatzlich zu den Voraussetzungen in (3) gelte ∀i ∈ N : bi 6= 0, und die Folge (bi)i∈N sei keine

Nullfolge. Dann ist auch(aibi

)i∈N

eine Cauchy-Folge.

Um die Proposition zu zeigen, nutzen wir ein Lemma.

5Genau genommen musste man hier wieder sagen: eine K-Cauchy-Folge, da die Definition zuachst von K

abhangt. Die Bedeutung ist dann aber fur alle archimedischen Korper dieselbe.

182 C. KONSTRUKTION VON R MIT HILFE VON CAUCHY-FOLGEN

LEMMA 2.13. Sei A( • ) eine auf K>0 definierte Aussageform, und q ∈ K>0. Dann gilt

∀ε ∈ K>0 : A(ε) ⇐⇒ ∀ε ∈ K>0 : A(qε)

Das Lemma gibt es vielen Variationen. Wichtiger als die Aussage des Lemmas ist es, zu verstehen,wie man das Lemma (oder eine Variation davon!) kurz beweist.

Beweis des Lemmas.

”=⇒“: Es gelte

(2.14) ∀ε ∈ K>0 : A(ε).

Fur ein gegebenes ε > 0 wollen wir nun A(qε) zeigen. Wir wenden (2.14) fur ε := qε an, und habendann das gewunschte.

”⇐=“: Analog mit ε := q−1ε

Beweis der Proposition.(1): Es gelte limi→∞ ai = a. Das heißt: fur alle ε ∈ K>0 gibt es ein i0 ∈ N, so dass fur allenaturlichen Zahlen i ≥ i0 gilt: |ai − a| ≤ ε.

Fur solch ein ε und ein passendes i0 nehmen wir nun naturliche Zahlen i ≥ i0 und j ≥ i0 undrechnen nach:

|ai − aj | ≤ |ai − a|+ |a− aj | ≤ ε+ ε = 2ε.

Wir haben nun also gezeigt:

∀ε ∈ K>0 : A(2ε),

wobei A(·) die folgende auf K>0 definierte Aussageform ist

A(ε) :⇐⇒ ∃i0 ∈ N : ∀i, j ∈ N : (i ≥ i0 ∧ j ≥ i0) =⇒ |ai − aj | ≤ ε

Nach dem obigen Lemma ist dies aquivalent zu

∀ε ∈ K>0 : A(ε)

und dies ist gerade die Definition einer Cauchy-Folge.

(2): Ahnlich wie Bemerkung 2.4 (b).

(3): Angenommen (ai)i∈N und (bi)i∈N seien Cauchy-Folgen. Dies bedeutet, dass wir fur jedes ε ∈K>0 die folgenden Aussagen haben:

∃i0 ∈ N : ∀i, j ∈ N : (i ≥ i0 ∧ j ≥ i0) =⇒ |ai − aj | ≤ ε∃j0 ∈ N : ∀i, j ∈ N : (i ≥ j0 ∧ j ≥ i0) =⇒ |bi − bj | ≤ ε

Wir wahlen nun solch ein i0 und solch ein j0. Wir setzen k0 := max{i0, j0}. Dann gilt fur diesesk0:

∀i, j ∈ N : (i ≥ k0 ∧ j ≥ k0) =⇒ |ai − aj | ≤ ε ∧ |bi − bj | ≤ ε.

2. FOLGEN, KONVERGENZ UND CAUCHY-FOLGEN 183

Wir rechnen fur i, j ≥ k0:

|(ai + bi)− (aj + bj)| = |(ai − aj) + (bi − bj)| ≤ |ai − aj |+ |bi − bj | ≤ ε+ ε = 2ε.

Also ergibt sich insgesamt

∀ε ∈ K>0 : ∃k0 ∈ N : ∀i, j ∈ N : (i ≥ k0 ∧ j ≥ k0) =⇒ |(ai + bi)− (aj + bj)| ≤ 2ε.

Nach dem obigen Lemma konnen wir auch hier 2ε durch ε ersetzen. Dann steht hier gerade dieDefinition, dass (ai + bi)i∈N eine Cauchy-Folge ist.

Der Beweis fur (ai − bi)i∈N ist vollig analog.

Fur das Produkt (ai · bi)i∈N muss man etwas anders vorgehen. Zunachst nutzen wir die Tatsache,dass (ai)i∈N und (bi)i∈N beschrankt sind. Also gibt es ein r ∈ K mit

∀i ∈ N : |ai| ≤ r ∧ |bi| ≤ r

Dann argumentieren wir wie bei der Summe, rechnen dann aber:

|aibi − ajbj | = |ai(bi − bj) + (ai − aj)bj | ≤ |ai||bi − bj |+ |ai − aj ||bj | ≤ rε+ εr = 2rε.

Nun argumentiert man wie bei der Summe, wobei man das Lemma mit q := 2r nutzt.

(4): Es reicht zu zeigen: Sei (bi)i∈N eine Folge wie oben, dann ist ( 1bi

)i∈N ebenfalls eine Cauchy-

Folge. Die eigentliche Aussage folgt dann mit (3).

Wir zeigen zunachst durch Widerspruch, dass ( 1bi

)i∈N beschrankt ist. Angenommen ( 1bi

)i∈N seinicht beschrankt, dann gilt

∀r ∈ K : ∃n ∈ N :

∣∣∣∣ 1

bn

∣∣∣∣ > r.

Dies impliziert

∀r ∈ K>0 : ∃n ∈ N : |bn| <1

rund dies ergibt

(2.15) ∀δ ∈ K>0 : ∃n ∈ N : |bn| < δ,

wobei die folgende Variation des obigen Lemmas benutzt wurde

∀r ∈ K>0 : A(1/r) ⇐⇒ ∀δ ∈ K>0 : A(δ).

Die Folge (bi)i∈N ist eine Cauchy-Folge. Zu einem gegebenen ε ∈ K>0 gibt es also ein i0 ∈ N, sodass gilt

(2.16) ∀i, j ∈ N : i ≥ i0 ∧ j ≥ i0 =⇒ |bi − bj | ≤ ε

Wir wahlen nun zu diesem i0:

δ :=min{ε, |b1|, |b2|, . . . , |bi0 |}

2.

184 C. KONSTRUKTION VON R MIT HILFE VON CAUCHY-FOLGEN

Mit (2.15) erhalten wir ein n ∈ N mit |bn| < δ. Auf Grund der Definition von δ gilt n > i0. Mit(2.16) folgt:

∀j ∈ N : j ≥ i0 =⇒ |bn − bj | ≤ εund mit der Rechnung

|bj | ≤ |bj − bn|+ |bn| ≤ ε+ε

2≤ 2ε

folgt

∀ε ∈ K>0 : ∃i0 ∈ N : ∀j ∈ N : j ≥ i0 =⇒ |bj − 0| ≤ 2ε.

Dies ergibt unter Nutzung des Lemmas fur q = 2, dass (bj)j∈N eine Nullfolge ist. Dies ist einWiderspruch zur Annahme. Also haben wir die Beschranktheit gezeigt, d.h.

∃r ∈ K : ∀n ∈ N :

∣∣∣∣ 1

bn

∣∣∣∣ ≤ r.Nun sei wiederum ε > 0 und i0 wie oben. Wir rechnen dann∣∣∣∣ 1

bi− 1

bj

∣∣∣∣ ≤ ∣∣∣∣bj − bibibj

∣∣∣∣ ≤ |bj − bi||bi||bj |≤ r2ε

Unter Nutzung des Lemmas fur q = r2 erhalten wir, dass ( 1bi

)i∈N eine Cauchy-Folge ist.

Definition 2.17. Wir sagen K ist vollstandig , falls jede K-wertige Cauchy-Folge in K konvergiert.

Definition 2.18. Sei A( • ) eine auf N definierte Aussageform.

Fur fast alle i ∈ N gilt A(i)

:⇐⇒ Es gibt ein i0 ∈ N, so dass fur alle i ∈ N: i ≥ i0 =⇒ A(i)

⇐⇒ Die Menge {i ∈ N | ¬A(i)} ist endlich

Beispiel: limi→∞ ai = a ⇐⇒ Fur alle ε ∈ K>0 gilt fur fast alle i ∈ N: |ai − a| ≤ ε 6⇐⇒ Fur fastalle i ∈ N gilt fur alle ε ∈ K>0: |ai − a| ≤ ε

Notation: Da wir immer wieder Ausdrucke der Art

∀i ∈ N : i ≥ i0 =⇒ A(i)

haben, schreiben wir hierfur kurz

∀i ∈ {i0, i0 + 1, . . .} : A(i).

LEMMA 2.19. Besitzt eine Cauchy-Folge eine konvergente Teilfolge, so ist die Cauchy-Folge be-reits konvergent.

Beweis. Sei nun (ai)i∈N eine Cauchy-Folge, sei f : N −→ N eine streng monotone wachsendeAbbildung, und sei (af(n))n∈N eine konvergente Teilfolge mit Grenzwert a.

Es gilt fur ein zunachst fixiertes ε ∈ K>0:

(2.20) ∃i0 ∈ N : ∀i, j ∈ {i0, i0 + 1, . . .} : |ai − aj | ≤ ε.

2. FOLGEN, KONVERGENZ UND CAUCHY-FOLGEN 185

und

(2.21) ∃n0 ∈ N : ∀n ∈ {n0, n0 + 1, . . .} : |af(n) − a| ≤ ε.

Fur solche i0 und n0 setzen wir k0 := max{i0, f(n0)}. Da f streng monoton wachsend ist, konnenwir ein n ∈ {n0, n0 + 1, . . .} wahlen mit f(n) ≥ k0. 6 Wir wahlen dann j := f(n) und haben somitfur alle i ∈ {i0, i0 + 1, . . .} erhalten:

|ai − a| ≤ |ai − af(n)|+ |af(n) − a| ≤ ε+ ε ≤ 2ε.

Wir haben also insgesamt gezeigt:

∀ε ∈ K>0 : ∃i0 ∈ N : ∀i ∈ {i0, i0 + 1, . . .} : |ai − a| ≤ 2ε.

Und wenn wir Lemma 2.13 verwenden mit q = 2, erhalten wir limi→∞ ai = a.

SATZ 2.22. Sei K ein geordneter Korper. Dann sind aquivalent:

(1) K erfullt die Supremumseigenschaft(2) K ist archimedisch und vollstandig

Beweis.”(1) =⇒ (2)“: Angenommen K erfulle die Supremumseigenschaft. Wir haben bereits

gesehen, dass dann K archimedisch ist.

Sei nun (ai)i∈N eine Cauchy-Folge. Wir definieren

M := {x ∈ K | Fur fast alle i ∈ N gilt: x ≤ ai},= {x ∈ K | ∃i0 ∈ N : ∀i ∈ {i0, i0 + 1, . . .} : x ≤ ai}.

Jede Cauchy-Folge ist beschrankt. Es gibt also r1, r2 mit ∀i ∈ N : r1 ≤ ai ≤ r2. Dann gilt r1 ∈Mund r2 ist eine obere Schranke von M . Da M nicht-leer und nach oben beschrankt ist, existierta := supM ∈ K.

Wir wollen zeigen: limi→∞ ai = a.

Sei ε ∈ K>0. Dann ist a+ ε 6∈M , denn sonst ware a keine obere Schranke von M . Also

(2.23) ∀i0 ∈ N : ∃i ∈ {i0, i0 + 1, . . .} : a+ ε > ai.

Andererseits gilt: x′ ≤ x ∈M =⇒ x′ ∈M . Ware a− ε 6∈M wahr, dann ware auch a− ε eine obereSchranke, also a nicht das Supremum. Somit wissen wir a− ε ∈M . Wir erhalten

(2.24) ∃k0 ∈ N : ∀k ∈ {k0, k0 + 1, . . .} : a− ε ≤ ak.

Sei nun j0 ∈ N gegeben. Wir wahlen ein k0 wie in (2.24). Wende (2.23) mit i0 := max{k0, j0} an.Dann existiert ein i ∈ {i0, i0 + 1, . . .} mit a + ε > ai und a − ε ≤ ai, also mit |ai − a| ≤ ε. Wirhaben gezeigt

(2.25) ∀ε ∈ K>0 : ∀j0 ∈ N : ∃i ∈ {j0, j0 + 1, . . .} : |ai − a| ≤ ε.

6Man zeigt dazu zunachst f(a+ b) ≥ f(a) + b. Dann sieht man, dass es fur n := n0 + (k0 − f(n0)) erfullt ist.

186 C. KONSTRUKTION VON R MIT HILFE VON CAUCHY-FOLGEN

Wir definieren nun f : N −→ N rekursiv. Wahle f(1) := 1. Ist f(n) gewahlt, so wenden wir (2.25)mit ε := 1/(n + 1) und j0 := f(n) + 1 an. Fur das so erhaltene i setzen wir f(n + 1) := i. Dannist (af(n))n∈N eine Teilfolge und |af(n)− a| ≤ 1/n. Daraus folgt a = limn→∞ af(n). Da (ai)i∈N eineCauchy-Folge mit einer konvergenten Teilfolge ist, folgt mit Lemma 2.19 dann limi→∞ ai = a.

”(2) =⇒ (1)“: Angenommen K ist archimedisch und vollstandig. Sei ∅ 6= M ⊂ K, r ∈ K, ∀x ∈M : x ≤ r. Fur jedes q ∈ N finden wir ein p ∈ N mit qr ≤ p. Die Menge

Aq := {p ∈ Z | pq

ist obere Schranke von M}

ist somit nicht-leer. Zu einem x ∈M bestimme nun s ∈ Z mit s ≤ qx < s+ 1 (analog zu Aufgabe4a) auf Ubungsblatt 6). Dieses s ist untere Schranke von Aq ⊂ Z. Jede nach unten beschranktenicht-leere Teilmenge von Z hat ein Minimum. 7 Somit existiert

pq := minAq ∈ Z.

Dann ist also aq :=pqq ∈ Q eine obere Schranke von M , wohingegen

pq−1q keine obere Schranke

von M ist, d.h. es gibt ein xq ∈ M mit aq − (1/q) < xq. Es folgt fur alle q, i ∈ N: aq − (1/q) ≤ aiund dies wiederum besagt |aq − ai| ≤ max{1/q, 1/i}. Deswegen ist (ai)i∈N eine Cauchy-Folge, dieauf Grund der Annahme gegen ein a ∈ K konvergiert. Man sieht leicht, dass der Grenzwert vonoberen Schranken wieder eine obere Schranke ist. Ebenso sind alle ai− (1/i) keine obere Schranke,und da K archimedisch ist, gibt es keine kleinere obere Schranke von M . Mit anderen Worten: aist die kleinste obere Schranke von M , also a = supM .

3. Existenz und Eindeutigkeit der reellen Zahlen

Wir wollen nun zeigen, dass es mindestens ein Modell der reellen Zahlen gibt (Existenzaussa-ge), und dass je zwei Modelle (kanonisch) isomorph sind (Eindeutigkeitsaussage). Im Gegensatzzu Abschnitt 6.4 in Kapitel 2 wollen wir dies nicht mit Dedekindschen Schnitten, sondern mitCauchy-Folgen durchfuhren. Wie so oft in der Mathematik ist es am besten mit der Eindeutig-keitsaussage anzufangen, denn der Beweis der Eindeutigkeit liefert entscheidende Ideen fur denBeweis der Existenz. Die verwendete Technik heißt Vervollstandigung und ist in leicht veranderterForm fur viele Anwendungen der Mathematik (partielle Differentialgleichungen, Quantenmechanik,Allgemeine Relativitatstheorie,. . . ) sehr wichtig.

Sei CF die Menge aller Q-wertigen Cauchy-Folgen.

Angenommen (K,+, ·,≤) sei ein Modell der reellen Zahlen, d.h. (K,+, ·,≤) ist ein geordneterKorper mit Supremumseigenschaft. Wir betrachten wieder die injektive Abbildung iQ : Q −→ K,die Addition, Multiplikation und die Ordnung erhalt, siehe Lemma ??. Fur (ai)i∈N ∈ CF ist dann(iQ(ai))i∈N eine Cauchy-Folge in K. Da K die Supremumseigenschaft hat, existiert f((ai)i∈N) :=limi→∞ iQ(ai). Wir erhalten eine Abbildung f : CF −→ K.

7Denn ist A solche eine Teilmenge und s eine unter Schranke dann ist {p− s | p ∈ A} ⊂ N0 und hat deswegen

nach Proposition ?? ein Minimum. Dann aber auch A.

3. EXISTENZ UND EINDEUTIGKEIT DER REELLEN ZAHLEN 187

Nun definieren wir eine Addition und Multiplikation auf CF :

+ : CF × CF → CF (ai)i∈N + (bi)i∈N := (ai + bi)i∈N

· : CF × CF → CF (ai)i∈N · (bi)i∈N := (ai · bi)i∈NMan sieht leicht, dass (CF,+, ·) ein kommutativer Ring mit Eins ist. Hierbei ist (0)i∈N das neu-trale Element der Addition und (1)i∈N das neutrale Element der Multiplikation. Es ist aber keinKorper, denn die Cauchy-Folge (0, 1, 1, 1, . . .) besitzt kein multiplikatives Inverses. Außerdem be-sagt Ubung 2.10, dass f Addition und Multiplikation erhalt.

Die Abbildung f ist nicht injektiv. Es gilt:

f((ai)i∈N) = f((bi)i∈N) ⇐⇒ (ai − bi)i∈N ist eine Nullfolge.

Definition 3.1. Fur (ai)i∈N, (bi)i∈N ∈ CF definieren wir die Relation ∼⊂ CF × CF durch

(ai)i∈N ∼ (bi)i∈N ⇐⇒ (ai − bi)i∈N ist eine Nullfolge.

Auf R := CF/ ∼ definieren wir Addition und Multiplikation wie folgt:

+ : R× R→ R [(ai)i∈N] + [(bi)i∈N] := [(ai + bi)i∈N]

· : R× R→ R [(ai)i∈N] · [(bi)i∈N] := [(ai · bi)i∈N]

Die Ordnung definieren wir wie folgt:

[(ai)i∈N] > [(bi)i∈N] :⇐⇒ ∃ε ∈ Q>0 : fur fast alle i ∈ N gilt ai ≥ bi + ε.

Man kann sich uberlegen, dass hierdurch eine totale Ordnung auf R definiert wird.

PROPOSITION 3.2. Die Addition und Multiplikation auf R sind wohldefiniert 8 und (R,+, ·,≤)ist ein geordneter Korper. Die Abbildung [ • ] : CF −→ R, (aj)j∈N 7→ [(aj)j∈N] bewahrt die Addi-tion, die Multiplikation und sendet die Eins von CF auf die Eins von R. (Man nennt dies einenHomomorphismus von Ringen mit Eins.)

Beweisskizze. Der Beweis ist nun einfach, nur die Existenz eines multiplikativen Inversen ist etwastrickreich. Das Null-Element ist [(0)i∈N] =: 0.

Sei [(bi)i∈N] 6= 0. Dann ist (bi)i∈N keine Nullfolge. Das heißt:

∃ε ∈ Q>0 : ∀i0 ∈ N : ∃i ∈ {i0, i0 + 1, . . .} : |bi| ≥ εWir 9 zeigen zunachst, dass {i ∈ N | bi = 0} endlich ist. 10

Angenommen {i ∈ N | bi = 0} ware unendlich groß, dann gibt es eine injektive Funktion f : N −→N mit ∀n ∈ N : bf(n) = 0. Dies bedeutet, dass (bi)i∈N eine Cauchy-Folge mit einer konvergenten

8”Wohldefiniert“ bedeutet hier: die Definition hangt nur von der Aquivalenzklasse ab und nicht von der Wahl

des Reprasentanten. Da wir ja eine Abbildung definieren wollen, die einer Aquivalenzklasse etwas zurodnet, ist dieseEigenschaft das, was wir zeigen mussen, um zu sehen, dass diese Definitionen von + und · sinnvolle Definitionen

sind.9Beweis ab hier etwas anders als in der Vorlesung auf Grund einer Nachfrage10Die leere Menge ist auch endlich, ist also hier nicht ausgeschlossen.

188 C. KONSTRUKTION VON R MIT HILFE VON CAUCHY-FOLGEN

Teilfolge ist. Wenn wir nun Lemma 2.19 anwenden, folgt daraus, dass (bi)i∈N eine Nullfolge ist. Dasheißt wir erhalten den Widerspruch [(bi)i∈N] = 0. Wir haben somit gesehen, dass {i ∈ N | bi = 0}endlich ist.

Nun definieren wir

bi :=

{bi falls bi 6= 0

1 falls bi = 0

Fur fast alle i ∈ N gilt bi = bi, und somit bekommen wir auch [(bi)i∈N] = [(bi)i∈N]. Auf die Folge

(bi)i∈N konnen wir nun Proposition 2.12 (4) anwenden. Wir sehen, dass

ci :=1

bi=

{(bi)−1 falls bi 6= 0

1 falls bi = 0

eine Cauchy-Folge ist.

Es gilt dann fur fast alle i ∈ N: ci · bi = 1, und deswegen gilt

[(ci)i∈N] · [(bi)i∈N] = [(ci)i∈N] · [(bi)i∈N] = [(1)i∈N].

Man beachte: die obige Definition, die obige Proposition und der Beweis benotigen die Existenzeines Modells nicht.

Beweis der Eindeutigkeit bis auf Isomorphie. Nehmen wir also wieder wie oben an, dass einModell (K,+, ·,≤) existiert. Dann gibt es genau eine Abbildung F : R −→ K, so dass das folgendeDiagramm kommutiert11

CF K

R

f

[ • ]F

Alle Abbildungen hier erhalten Addition und Multiplikation und bilden die Eins auf die Eins ab.Außerdem ist F injektiv und erhalt die Ordnung. Da R archimedisch geordnet ist, erhalten wir ausWS 2013/14 Aufgabe 4d) von Ubungsblatt 6, dass f : CF −→ K und somit F : R −→ K surjektivist. Also ist F : CF −→ K ein Isomorphismus von geordneten Korpern und Satz ?? aus Kapitel ??

folgt im Fall K = R. Wenn nun (K,+, · ≤) und (K, +, ·, ≤) zwei Modelle der reellen Zahlen sind,

so erhalten wir Isomorphismen F : R −→ K und F : R −→ K. Dann ist auch F ◦ F−1 : K −→ K

ein Isomorphismus und Satz ?? aus Kapitel ?? ist fur alle K gezeigt.

11”kommutiert“ bedeutet hier F ◦ [ • ] = f .

3. EXISTENZ UND EINDEUTIGKEIT DER REELLEN ZAHLEN 189

Wie bereits in Lemma ?? gesehen, gibt es nun eine injektive Abbildung iQ : Q −→ R, die Addition,Multiplikation und die Ordnung erhalt. Es gilt hier iQ(a) = [(a)i∈N], d.h. die rationalen Zahlenwerden von konstanten Cauchy-Folgen reprasentiert.

Beweis Existenz. Wir zeigen, dass (R,+, ·,≤) archimedisch und vollstandig ist. Dann haben wiralso ein Modell, d.h. Satz ?? aus Kapitel ?? ist gezeigt.

Zur archimedischen Eigenschaft: Sei ein Element x ∈ R gegeben. Zu zeigen ist: es gibt ein n ∈ Nmit x ≤ iN(n). Es gibt nun eine Q-wertige Cauchy-Folge (ai)i∈N mit x = [(ai)i∈N]. Die Cauchy-Folge ist beschrankt, d.h. es gibt ein r ∈ Q mit ∀i ∈ N : |ai| ≤ r. Da Q archimedisch ist, gibt esein n ∈ N mit r ≤ n. Man zeigt dann leicht, dass

x = [(ai)i∈N] ≤ [(n)i∈N] = iN(n).

Zur Vollstandigkeit: Sei (xi)i∈N eine R-wertige Cauchy-Folge. Falls es ai ∈ Q gibt mit xi = iQ(ai) =(ai)n∈N,12 dann (ai)i∈N ∈ CF und es gilt dann

limi∈N

xi = [(ai)i∈N].

Der allgemeine Fall ist ein bisschen aufwandiger und soll nur skizziert werden. Wir schreiben

xi = [(ai,n)n∈N].

Man nutzt nun die Tatsache, dass sowohl (xi)i∈N eine Cauchy-Folge in R ist als auch dass fur allei ∈ N die Folge (ai,n)n∈N eine Cauchy-Folge in Q ist, und konstruiert damit eine streng monotonwachsende Abbildung f : N −→ N,13 so dass wiederum (ai,f(i))i∈N eine Cauchy-Folge ist. Mannennt solch eine Folge eine Diagonalfolge. Außerdem kann man nun

limi∈N

xi = [(ai,f(i))i∈N]

zeigen.

Ab jetzt identifizieren wir Q mit seinem Bild in R vermoge iQ.

12Hier ist kein Druckfehler. Gemeint ist die konstante Folge, die konstant ai ist.13Hier steckt etwas Konstruktionsarbeit, die wir (momentan) uberspringen.

ANHANG Z

Uberblick uber algebraische Strukturen

(Aa) Addition ist assoziativ.Fur alle x, y, z ∈ X gilt

(x+ y) + z = x+ (y + z).

(An) Addition hat neutrales Element.Es gibt ein Element 0 ∈ X, so dass fur alle x ∈ X gilt

x+ 0 = 0 + x = x.

Man nennt 0 das neutrale Element der Addition.(Ai) Addition hat inverse Elemente.

Zu jedem x ∈ X gibt es ein y ∈ X, so dass

x+ y = y + x = 0.

Man nennt y das Inverse von x bezuglich der Addition und schreibt normalerweise −xanstelle von y.

(Ak) Addition ist kommutativ.Fur alle x, y ∈ X gilt

x+ y = y + x.

(Ma) Multiplikation ist assoziativ.Fur alle x, y, z ∈ X gilt

(x · y) · z = x · (y · z).(Mn) Multiplikation hat neutrales Element.

Es gibt ein Element 1 ∈ X, so dass fur alle x ∈ X gilt

x · 1 = 1 · x = x.

Man nennt 1 das neutrale Element der Multiplikation.(Mi) Multiplikation hat inverse Elemente.

Zu jedem x ∈ X r {0} gibt es ein y ∈ X, so dass

x · y = y · x = 1.

Man nennt y das Inverse von x bezuglich der Multiplikation und schreibt normalerweisex−1 anstelle von y.

191

192 Z. UBERBLICK UBER ALGEBRAISCHE STRUKTUREN

(Mk) Multiplikation ist kommutativ.Fur alle x, y ∈ X gilt

x · y = y · x.(AMd) Addition und Multiplikation erfullen das Distributionsgesetz.

Fur alle x, y, z ∈ X gilt

x · (y + z) = x · y + x · z(y + z) · x = y · x+ z · x

Literaturverzeichnis

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[35] W. Walter, Gewohnliche Differentialgleichungen, Springer

193

Stichworte

Aquivalenzklasse, 177

Aquivalenzrelation, 23aquivalent, 6, 8

uberabzahlbar, 29

Abbildung, 25

abgeschlossen, 126

Ableitung, 133der Umkehrfunktion, 137

Absolutbetrag, 51

absolute Konvergenz, 98abzahlbar, 29

Addition, 172

von Dedekindschen Schnitten, 60Allquantor, 16

alternierende Reihe, 99

antisymmetrisch, 23archimedisch geordneter Korper, 50

archimedisches Axiom, 50Aussage, 5

Aussageform, 7

aussagenlogische Formel, 7aussagenlogische Verknupfung, 6

Aussonderungsmengenaxiom, 165

Auswahlaxiom, 165Axiom

archimedisches, 50

Axiome der Mengenlehre, 164Axiome der reellen Zahlen, 4

Ball , 126beschrankt, 54, 75, 179

Betragsfunktion, 51der komplexen Zahlen, 71

bijektiv, 27Bild, 29

Bild der Relation, 24Binomialkoeffizient, 42

Bolzano-Weierstraß, Satz von, 87

Cauchy-Folge, 87, 181

Cauchy-Produkt, 105

Dedekindscher Schnitt, 58

Definitionsbereich, 24

Definitionsmenge, 12

Dezimal-Darstellung, 89

Differenz

symmetrische, 14

Differenzenquotient, 133

differenzierbar, 133

disjunkt, 15

Divergenz

von Folgen, 75, 179

Einschrankung, 27

endlich, 28

Entwicklungspunkt, 142

Ersetzungsaxiom., 165

erweiterten reellen Zahlen, 82

euklidischen Abstand, 125

Eulersche Zahl, 111

Existenzquantor, 16

Exponentialfunktion, 107

Exponentialreihe, 106

Extensionalitat, 165

Fakultat, 172

Familie, 30

fast alle, 93, 184

Folge

M -wertige, 30

in M , 30

Folgen, 75

beschrankte, 75

monotone, 80

folgenkompakt, 129

folgenstetig, 115

Formel

195

196 STICHWORTE

aussagenlogische, 7

Fundamentalsatz der Algebra, 72

Fundierungsaxiom, 165

Funktion

reell-wertige, 25

Funktionalgleichung

der Exponentialfunktion, 107

der Logarithmusfunktion, 122

Godelscher Unvollstandigkeitssatz, erster, 166

Godelscher Unvollstandigkeitssatz, zweiter, 166

ganze Zahlen, 45

Gaußschen Zahlenebene, 69

geometrische Reihe, 92

geordneter Korper, 48

gleich machtig, 28

gleichmaßig stetig auf [a, b], 153

Grad, 72

Grad des Polynoms, 51

Graph, 25

Grenzwert, 75

Grenzwert der Folge, 179

Grenzwert von Funktionen, 131

Haufungspunkt der Folge, 82

Haufungspunkt einer Menge, 129

harmonische alternierende Reihe, 100

harmonische Reihe, 92

Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung

Teil I, 154

Teil II, 156

Homomorphismus von Ringen mit Eins, 187

Identitat, 26

imaginar, 70

Imaginarteil, 70

Induktionsanfang, 35, 170

Induktionsaxiom, 33, 167

Induktionsschritt, 35, 170

Induktionsvoraussetzung, 35, 170

induktiv, 165, 168

induzierte Metrik, 125

Infimum, 54

injektiv, 27

Inklusion, 26

Integration

durch Substitution, 158

partielle, 158

Intervalle, 82

Isometrie, 125

isomorph (als Ring), 47

Isomorphismus von Ringen, 47

k-mal stetig differenzierbar, 140

Korper, 48

archimedisch geordneter, 50

der komplexen Zahlen, 69

der rationalen Zahlen, 47

der reellen Zahlen, 53

geordneter, 48

Korper der rationalen Funktionen, 51

kanonische Projektion, 178

Klassen, 164

Koeffizienten, 72

kommutativer Ring, 46

Komplement, 14

komplexe Exponentialfunktion, 107

komplexe Konjugation, 71

komplexe Zahlen, 69

Komponente, 32

Komposition, 27

Komprehension, 165

Konvergenz

von Folgen, 75

Konvergenz von Folgen, 75, 179

Konvergenzradius, 97

konvergiert, 128

konvergiert absolut, 98

konvergiert gegen −∞, 82

konvergiert gegen ∞, 82

konvergiert gegen unendlich, 82

konvergiert in R, 83

Kosinus, 109

Kreiszahl π, 123

Lagrangesche Restglieddarstellung, 141

leere Menge, 12

Leibniz-Regel, 99

Leitkoeffizient, 72

Limes, 75

Limes inferior, 85

Limes superior, 85

linksseitige Grenzwert oder Limes, 131

Logarithmus, 122

lokales Extremum, 138

lokales Maximum, 138

lokales Maximum oder Minimum, 138

lokales Minimum, 138

machtiger, 28

Majorante, 94

Majoranten-Kriterium, 94

STICHWORTE 197

Maximum, 38, 174

Menge, 11

der ganzen Zahlen, 45

der komplexen Zahlen, 69

der naturlichen Zahlen, 34, 172

der rationalen Zahlen, 47

der reellen Zahlen, 53

leere, 12

Mengensystem, 19

Metrik, 125

metrischer Raum, 125

Minimum, 38, 174

Mittel

arithmetisches, 52

geometrisches, 52

Mittelwertsatz

erster, 139

zweiter, 139

Modell der naturlichen Zahlen, 167

Multiplikation, 172

von Dedekindschen Schnitten, 62

Multiplizitat der Nullstelle, 73

nach oben beschrankt, 54

nach unten beschrankt, 54

Nachfolger-Abbildung, 33, 167

Naturliche Zahlen, 3

Negation, 6

Nullfolgen, 76, 179

Nullstelle, 72

obere Schranke, 54

Oberintegral, 147

Oberklasse, 59

offen, 126

Ordnung, 23

partielle, 23

totale, 23

Ordnungsrelation, 23

Paar, (geordnetes), 19

Paarmengenaxiom, 165

Partialsumme, 91

Partielle Integration, 158

partielle Ordnung, 23

Partition, 145

Peano-Axiome, 33, 167

Permutation, 41

polynomiale Funktion, 72

Potenzieren, 172

Potenzmenge, 18

Potenzmengenaxiom, 165

Potenzreihe, 96

Produkt

von Dedekindschen Schnitten, 62

Produkt, (kartesisches), 19

Produkt, (kartesisches,) von Mengenfamilien, 32

Produktregel, 135

Produktreihe, 104

Produktreihensatz, 104

Produktzeichen, 34

Quadrupel, 22

Quintupel, 22

Quotienten-Kriterium, 95

Quotientenregel, 135

rationale Zahlen, 47

Realteil, 70

rechtsseitige Grenzwert oder Limes, 131

reelle Exponentialfunktion, 107

Reelle Zahlen, 53

reflexiv, 23

Regel

von Leibniz, 99

Reihe, 91

alternierende, 99

rein imaginar, 70

rekursive Definition, 171

Relation, 22

Relation, funktionale, 24

Reprasentant, 177

reprasentiert, 177

Restglied, 141

Restriktion, 27

Riemann-Integral, 147

Riemann-integrierbar, 147

Riemannscher Umordnungssatz, 101

Riemannsches Kriterium, 147

Ring, 46

der ganzen Zahlen, 45

kommutativer, 46

Ring mit Eins, 46

Russellsche Paradoxon, 163

Satz

uber 1. Ableitung in Extrema, 138

uber 2. Ableitung in Extrema, 140

vom Cauchy-Produkt, 105

von Blozano-Weierstraß, 87

von Dedekind, 66

von Rolle, 138

198 STICHWORTE

von Schroder-Bernstein, 28

von Taylor, 141

Schnitt, 13, 14

Schnittmenge, 14

Sinus, 109

Stammfunktion, 155

stetig, 116, 126

stetig differenzierbar, 140

streng monoton wachsend, 180

Substitution, 158

Summe

von Dedekindschen Schnitten, 60

Summenzeichen, 34

Supremum, 54

Supremumseigenschaft, 55

surjektiv, 27

symmetrisch, 23

Taylor-Polynom, 142

Taylorreihe, 142

Teilfolge, 81, 180

Teilmenge, 12

echte, 12

Teilsumme, 91

tertium non datur, 5

totale Ordnung, 23

transitiv, 23

Trennungszahl, 66

Treppenfunktion, 145

Tripel, 22

Umgebung, 126

Umkehrabbildung, 28

Umkehrung, 28

Umordnung, 101

uneigentliche Konvergenz, 82

Uneigentliches Riemann-Integral, 159

unendlich, 29

Unendlichkeitsaxiom, 165

untere Schranke, 54

Unterintegral, 147

Unterklassen, 59

Urbild, 29

Vereinigung, 14

Vereinigungsaxiom, 165

Verkettung, 27

Verknupfung

aussagenlogische, 6

Vervollstandigung, 186

vollstandig, 88, 184

Vollstandige Induktion, 35, 170

Wahrheitstafel, 6wohldefiniert, 50

wohlgeordnete Menge, 175

Wohlordnung, 175Wohlordnung von N, 38

Wurzel-Kriterium, 95

Zerlegung, 145

Zielbereich, 25

Symbole

:=, 2

C0((a, b)), 140

C∞((a, b)), 140

Ck((a, b)), 140

∩, ∪, r, ∆, 14

◦, 27

deg(P ), 72

∅, 12

∃,∀, 16

exp, 107

⇐⇒, =⇒, 9

inf, Infimum, 54

limi→∞ ai, 179

limj→∞ aj , 75

limx→x0 , Grenzwert von Funktionen, 131

lim inf, Limes inferior, 85

lim sup, Limes superior, 85

N, 3

N>0, 3

Q, 47

R, 12, 53

R>0, 12

Z, 45

P(M), 18

max, Maximum, 38

min, Minimum, 38

¬, 6∏nj=1, 34

dre, 80

brc, 80

⊂, (, 12∑nj=1, 34

sup, Supremum, 54

×, 19

∧, ∨, Y, →, ←, ↔, 6

{}, 12

ai → a, 179

aj → a, 75

f ′, Ableitung von f , 133f#(N), Urbild von N unter f , 29

f (k), k-te Ableitung, 140

f#(M), Bild von M unter f , 29

199