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Inklusion
10.12.2013
Heterogenitätstag Lüneburg
Univ.-Prof. Dr. Matthias v. SaldernMitglied des Fachausschusses Bildung Deutschen UNESCO-Kommission
Mitglied des Beirates Inklusion des BMZ
(Copyright dieser Folien, soweit nicht anders angegeben, bei Matthias von Saldern)
Vorschau
1. Einleitung: Normative und empirische Rahmen2. Separation – Integration - Inklusion 3. Fiktion Homogenität4. Denkfehler in Deutschland und ihre Umsetzung5. Mögliche Wege 6. Evtl. Bedenken7. Fazit
UNO1948 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR)
1965 Internationale Konvention zur Beseitigung von Rassendiskriminierung
1966 Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte
1966 Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte
1979 Konvention zur Beseitigung jeglicher Diskriminierung der Frau
1984 UN-Konvention gegen die Folter
1989 UN-Konvention über die Rechte des Kindes
1993 Vienna Declaration and Programme of Action
2009 Convention on the Rights of Persons with Disabilities
Grundsätze
● Fokus: Menschen mit Beeinträchtigungen, die Behinderungen erfahren („soziales Modell“ von Behinderung)
● Assistierte Selbstbestimmung● Nichtdiskriminierung● Partizipation● Soziale Inklusion● Schattenübersetzung, weil Original:
● „States Parties shall ensure an inclusive education system at all levels ...“
Dr. Valentin Aichele, LL.M.
Besonderheiten der BRK
● Rechtlich bindend, im Gegensatz zu früheren Papieren mit Empfehlungscharakter, z. B.:● Rahmenbestimmungen für die Herstellung der
Chancengleichheit für Beeinträchtigte, 1993● Am schnellsten verhandelte Konvention● Höchste Beteiligung der Zivilgesellschaft
(Organisationen Menschen mit Beeinträchtigung)● Verbindliche Grundlage für die Politik: von einer
Politik der Fürsorge hin zu einer Politik der Rechte (Perspektivwechsel)
Students with special ecucational needs (SEN) in allgemeinen Schulen in Europa (Stand: 2008; Klemm & Preuss-Lausitz, 2011)
Lernen und S+E häufig nicht dabei
Regelschule Theorie des unwerten LebensExtinktion
RegelschuleRegelschuleRegelschuleRegelschuleRegelschuleRegelschuleRegelschuleRegelschuleRegelschuleRegelschule Theorie der egalitären DifferenzNach UN-BRHKInklusion
Zwei-Gruppen-TheorieNach Salamanca, 1994
Regelschule Förderschule Zwei-Schulen-TheorieSeparation
Regelschule Theorie der BildungsunfähigkeitExklusion
Nach Wocken; Sander 2004
2. Begriffe Ganz einfach!
Inklusion heißt:
Alle Kinder kommen in die gleiche Kita.
Alle Kinder werden eingeschult, keines wird ausgeschult.
Inklusion ist eine Geisteshaltung!
● Wo ist hier der Gebärdendolmetscher?
● Wo ist das Mikrofon für Träger eines Chochlea-Implantats?
● …● Also: SIE als
Verantwortliche und Vorbilder müssen überall auf Inklusion achten!
Phil Hubbe
Die aktuelle Diskussion
● Viele denken, Inklusion ist IntegrationPlus - und verkennen damit die gesamt-gesellschaftliche Aufgabe.
● Viele denken, die Trennung zwischen Schulpädagogik und Sonderpädagogik macht Sinn – und zementieren damit die bisherige Lehrerausbildung.
● Viele denken, Regelschullehrer und Sonderschullehrer müssten „kooperieren“ - und bestätigen damit die Separation.
Neu denken!
● Nahezu alle Beteiligten versuchen, neue Probleme in alten Strukturen zu lösen.
● Folgen sind Probleme der Umsetzung, Ängste vor Unbekanntem, usw.
● Die Lösung liegt darin, die Gesamtsituation neu zu betrachten:● Roman Herzog (1963)● Paul Watzlawik (1992) - “Lösung 2. Art“
Friedrich Jahresheft XXVI 2008
IQSH Schlieker
3. Ein Blick in die heutige Kita- und Schul-Praxis!
Geschlecht
Alter
Familie, Elternhaus
Muttersprache
Kulturelle Bindungen
ReligionErfahrungshintergrund
Fähigkeiten und BegabungMotivation
Lieblingsfächer
Leistungsstand
Arbeitstempo
„Ein weiterer Bereich, in dem ich ebenfalls einen dringenden
Handlungsbedarf sehe, ist der Umgang mit Heterogenität. (…) In der Verbesserung des Umgangs mit
Differenz liegt vermutlich die eigentliche Herausforderung der Modernisierung des Systems.“
Baumert 2002
„Wie hast Du dies alles anzufangen bei einem Haufen
Kinder, deren Anlagen, Fähigkeiten, Fertigkeiten,
Neigungen, Bestimmungen verschieden sind, die aber doch
in einer und eben derselben Stunde von Dir erzogen werden
sollen?“
Trapp 1780
Inklusion umfasst …… Armut
Karikaturen von Renate Alf
Inklusion umfasst …… andere
Begabungen
Heterogenität umfasst …
… Hochbegabung
usw. usw.
Perspektive ändern - Zwei Welten werden zu einer!
MigrationADHS
Hochbegabung Armut
Religion Geschlecht
Alter...
Lernen SehenHören
SpracheKörperliche und
motorische Entwicklung Geistige Entwicklung Emotionale und soziale
Entwicklung ...
Förderschwerpunkte Andere Diversitäten
Reduktion der Komplexität durch Inklusion
Denke, bevor zu handelst!
Angenommen, morgen würden alle Förderschulen aufgelöst.
Wie viele Schüler kämen in eine Klasse neu hinzu?
Differenzielle Entwicklungsmilieus(vier Schüler mit gleichen Voraussetzungen)
GymnasiumRealschuleHauptschule
Milieu 1 Milieu 4Milieu 2
Förderschule
Milieu 3
G8 ??
4. Folge: Denkfehler als Inklusionshemmnisse
● Bisher nur EINE Kita und EINE Grundschule, aber:● Gegliedertes Schulwesen mit
● Gymnasium als Einheitsschule● xxx als Einheitsschule● Förderschule als Einheitsschule(n)
● dabei Inkonsequenz● Förderschule ADHS ??● Förderschule Hochbegabung ??● Förderschule für Nähnadelbegabte (nicht Ernst gemeint,
falls es einer nicht merken sollte)
Trennungsalterin Europa
1
Reaktionen der anderen selektiven Nationen:Schweiz: „Neue Volksschule“Österreich: „Neue Mittelschule“Tschechien: Wechsel auf Gym nach 5., 7. oder 9. Klasse
Lokal und OECD
● „Generell sollte man bei der Betrachtung von Schulmerkmalen berücksichtigen, dass innerhalb eines strukturell insgesamt wenig veränderten Systems zwischen PISA 2000 und PISA 2012 das Leistungsniveau in Deutschland deutlich verbessert werden konnte. … Für die Entwicklung der Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern scheinen Eingriffe in Strukturen weniger relevant zu sein als Anstrengungen und Maßnahmen, die Einzelschulen unterstützen und sie darin bestärken, ihre Qualität kritisch zu prüfen und in kollegialer Zusammenarbeit weiterzuentwickeln.“
● „Bildungsreformen in Deutschland haben in den letzten zehn Jahren dazu geführt, dass ein größerer Teil der Schülerinnen und Schüler Schulen besucht, die verschiedene Bildungsgänge kombinieren. Was früher für das deutsche Schulsystem kennzeichnend war, nämlich die Aufteilung der Schülerinnen und Schüler auf verschiedene Schulen entsprechend ihren Leistungen, weicht also einem integrativeren Ansatz, bei dem Schüler mit unterschiedlichen Fähigkeiten in den gleichen Schulen unterrichtet werden.“
Denkfehler: Lernen verläuft linear über die Zeit
Rot: lineare Lernentwicklung – unrealistischSchwarz: Der UnsteteBlau: Der Spätzünder
Zeit
Leistung
Hirnforscher M. Spitzer 2007
"Die Lehrer sind nicht faul, die Schüler sind nicht blöd, aber die Rahmenbedingungen passen nicht." Bestes
Beispiel ist für den Forscher der Leistungsdruck, der bereits am Ende der Grundschule aufgebaut werde, wenn es um die weitere Laufbahn gehe. "Schule als Ernst des Lebens. Falscher geht's aus Sicht des Gehirns gar nicht."
Augsburger Allgemeine 22.10.2007
Konsequente Umsetzung
1. Gleiches Lerntempo für alle (Klassenarbeiten als stärkste Waffe gegen Individualisierung)
2. Alle Schüler erhalten gleiche Anzahl von Fachstunden.
3. Abschlüsse nach einer festgelegten Anzahl von Jahren.
4. Aber: Verschiebung der Sommerferien
5. Wege ...
Das Kind lacht ja – das ist typisch Kuschelpädagogik!
Bessere Wege
a) Flexible Anpassung der Lernwege, -inhalte, -zeiten und -ziele an den jeweiligen Entwicklungsstand (adaptiver Unterricht)
b) Differenzierte Lerndiagnosenc) Individualisierung und Differenzierungd) Neue Leistungsmessunge) Vernetzung
Im Einzelnen:
a. Flexible Anpassung der Lernwege
● Basis aller Entscheidungen: individueller Lernweg● Alle andere ist nachrangig● Nicht fragen: Wie organisiere ich Schule? Sondern: Wie
ermögliche ich eine flexible, „weiche“ Lernbiographien?
● Merke: ● In der Schule soll nicht unterrichtet werden, in der
Schule soll gelernt werden.● Entwicklung: GS 3-6 Jahre
Praxishinweis schulinterner Fortschritt
● z. B. Altersmischung● Grundschulen: bereits 1.-4.
zusammen● Sek-I-Schulen: Am 5-7 und 8-10● Sek-II-Schulen: Oberstufe
unterschiedlich schnell durchlaufen (2-4 Jahre)
● Lernen in Kooperation ist die Voraussetzung für Altersmischung
b. Differenzierte Lerndiagnosen
● Derzeit zu viel Diagnostik Richtung Systemevaluation, und
● derzeit zu wenig Diagnostik als Grundlage individueller Förderung
Leipziger Lehrerverein und Wilhelm Wundt!
Aufgabenverlagerung
Zwei konträre Aufgaben der Schule: Erteilung von Qualifikationen
und/oder Verbesserung des Lernens. „ ... verhängnisvoll ... , dass die Erteilung von
Qualifikationen und Berechtigungen überwiegend der Schule übertragen wurde
und dort alle anderen diagnostischen Aufgaben überlagert hat.“ (Ingenkamp 1997)
c. Individualisierung
Willi schläft und keiner merkt es.
Lernausfall im Unterricht!
Mehr selbstständigkeitsorientierte und kooperative Lernformen
Vorgehen:
Gleichbehandlung unter einer Pädagogik
des Nürnberger Trichters
Vorgehen:
Individualisierung unter einer konstruktivistischen
Pädagogik
Allgemeine Regeln für Unterricht
● Zügiger Stundenbeginn mit gemeinsam erarbeiteten Ritualen,● Schnelle, nonverbale Reaktion auf Störungen,● Die Einführung einfacher, gemeinsam erarbeiteter Regeln bei Störungen
und Beleidigungen, aber auch für ‚Belohnungen’,● Die Einbeziehung der Freunde und der Klasse bei Verhaltensabsprachen
mit einzelnen Schülerinnen und Schülern,● Eine sanfte Steuerung der Partner- und Gruppenzusammensetzung
innerhalb des Unterrichts zur Vermeidung von ‚sozialdarwinistischen’ Trends,
● Vermeidung zu vieler bzw. zu diffuser Wahlmöglichkeiten und die Beratung einzelner Schüler/innen, die Orientierungsprobleme haben,
● Gruppen nicht außerhalb des Klassenzimmers
(Klemm & Preuss-Lausitz, 2011)
d. Leistungsmessung: Bezugsnormen
Modelle
Population bezogener Maßstab
Anforde-rungen
bezogener Maßstab
Individuum bezogener Maßstab
(Gruppenbezug)
„Du hat die beste Arbeit der Klasse geschrieben.“
(Kriteriumsbezug)
„Du hast 50% richtige Antworten.“
(Individualbezug)
„Du hast weniger Fehler als beim letzten Diktat.“
Ziel: Kombination aus kriterialer und individueller Bezugsnorm
e. Vernetzen!
Kita undSchule usw. als
Kern eines kommunalen
Bildungs-zentrums
6. Bedenken der Lehrkräfte
● Kann ich mit Heterogenität umgehen?
● Kann ich mich in neue Unterrichtsmethoden einarbeiten?
Ja, du kannst!Du tust es seit
Jahren!
Europ. Agency for Development in Special Needs Education
● Was Kindern mit Förderbedarf hilfreich ist, nützt auch allen übrigen Kindern.
● Die konstruktive Einstellung der Lehrkräfte gegenüber Verschiedenartigkeit in der Klasse ist eine zentrale Kompetenz für gemeinsamen Unterricht. (eng verbunden mit der Fähigkeit, soziale Beziehungen in der Klasse zu fördern)
● Lehrkräfte brauchen schulinterne und schulexterne Unterstützung bei ihrer inklusiven Arbeit. (Schulleitung, Kollegen, Schulaufsicht, Region).
● Unterrichtsmethodisch sind Techniken des kooperativen Lernens („Peer-Tutoring“), der Binnendifferenzierung, einer systematischen Beobachtung der Lernentwicklung gemeinsam mit den Kindern, Eltern und Kollegen, planvolle Teamarbeit zwischen den (beiden) Lehrkräften und eine Evaluation der Förderarbeit besonders wichtig.
● Größte Herausforderung: Arbeit mit verhaltensschwierigen Kindern. Lösung: Systemische Ansätze, außerunterrichtliche Unterstützungs-systeme sowie klare Verhaltensnormen und Spielregeln.
Bedenken der Eltern
●Mein Kind wird ...
Nein, dein Kind wird nicht … .
Es wird mehr lernen als vorher und eine höhere Sozialkompetenz haben.
Empirie: Gemeinsamer Unterricht ...
● ... ist für Kinder mit Förderbedarf in leistungsgemischten Klassen lerneffektiver als das Lernen in (Behinderungs-)homogenen Lerngruppen, für Kinder ohne Förderbedarf sind die kognitiven Leistungen etwa gleich, die sozialen Kompetenzen werden bei beiden Gruppen gestärkt.
● … fördert das Klassenklima und baut Abwertungen ab.● ... fördert soziale Beziehungen auch außerhalb des Unterrichts.● … stärkt Selbstverantwortung, Selbstsicherheit und realistische
Selbsteinschätzungen.● … hat langfristig wirkende positive Wirkungen auf die berufliche
und soziale und die gesamte Lebensgestaltung im Erwachsenenalter.
(Klemm & Preuss-Lausitz, 2011)
Bedenken derSonderpädagoginnen und Sonderpädagogen
●Wir müssen aus unser Nische raus!
Gut so!
Danke für deine historische Leistung!Du kannst deine Fähigkeiten endlich allen Schülern zur Verfügung stellen.
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Kritische Nachfrage
● Arbeitet meine Schule/unsere Universität selbst konsequent und nachhaltig inklusiv?
● Wurde schon einmal eine Analyse auf der Basis des Index für Inklusion gemacht?
http://www.eenet.org.uk/
Der Index
Schulen: Entschlacken Sie Ihren Alltag!
● Schulentwicklung ist wichtig und richtig.● Derzeit führt sie zu einer strukturellen Überlastung,
weil zu viele Programme gleichzeitig gefahren werden. ● Dies äußert sich z.B. durch
● Erhöhten Koordinierungsbedarf (Massive Erhöhung der Zahl der Sitzungen)
● usw.● ... bei gleichzeitiger Zunahme von Aufgaben …● Also: Was können Sie streichen/ruhen lassen??
Fehler sind normal!
„Einen Fehler machen und ihn nicht korrigieren – das erst heißt wirklich einen Fehler machen.“
Konfuzius (551-479 v.Chr.)
7. Zusammenfassung
● Allgemeine Denkfehler: ● Inklusion ist nur und Schule da.● Inklusion meint nur „Behinderte“.
● Denkfehler in Schule:● Wir müssen gruppieren.● Wir müssen gleichschrittig voranschreiten.
● Wir können das besser - es gibt genügend Beispiele.
7. Fazit: Aufgaben für die Politik
● Inklusion gilt für alle Lebensbereiche.● Beeinträchtigung, nicht Behinderung.● Alle Fördermaßnahmen harmonisieren.● Alle Erlasse hinsichtlich Inklusion überprüfen.● Steuerung und Finanzierung völlig neu denken.● „Überprüfung ...“ und Leistungsbewertung überdenken
hinsichtlich Diskriminierung und Etikettierung● Lehrer_innen-Ausbildung überdenken.● Widersprüche Schulpädagogik-Sonderpädagogik
aufarbeiten.
7. Fazit: Gelingensbedingungen
● Haltung !!● Übung im Co-Teaching● Fachlicher Austausch● Zieldifferent Unterrichten● Das System Schule ist verantwortlich, nicht
nur eine einzelne Lehrkraft!
7. Fazit
● Eine Inklusive Schule ist● möglich● pädagogisch sinnvoll● rechtlich angesagt
● Aber: Es gibt noch viel zu tun!● Ihnen wünsche ich für Ihren Weg
● Beharrlichkeit● Kraft● und …. Humor