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Vorwort Die 33. Auflage der „HÜTTE“ ist eine Jubiläumsausgabe. 150 Jahre hat die HÜTTE das Grundlagenwissen der Ingenieure bereitgestellt und die Zeiten der stürmischen Entwicklung der Natur- und Ingenieurwissenschaften begleitet: von den Entwicklun- gen des Maschinenbaus und der Produktionstechnik, der Elektrotechnik, Elektronik und Computertechnik bis zur heutigen Technischen Informatik, Mikrosystemtechnik und der interdisziplinären Mechatronik. Die HÜTTE erschien erstmalig im Jahr 1857 als „Des Ingenieurs Taschenbuch“ mit folgender Zielsetzung: Grundlage für das Studium und Unterstützung der prakti- schen Ingenieurarbeit durch eine geschickte Verbindung wissenschaftlicher Grundla- gen mit praktischen Erfahrungen, die starre Rezepte ebenso wie weitschweifige Theo- rie zu vermeiden weiß. Die Erstauflage von 1857 enthielt in einem Band drei Teile, Mathematik und Mechanik, Maschinenbau und Technologie sowie Bauwissenschaft. Bereits 1864 erschien die 5. Auflage, 1875 die 10. und 1908 die 20. Auflage. Mit der 25. Auflage im Jahr 1925 betrug die Gesamtauflagenhöhe mehr als 1/3 Million Exemplare. Die bis heute gültige Konzeption dieses Standardwerks der Ingenieurwissenschaf- ten wurde zum 100-jährigen Jubiläum der HÜTTE im Vorwort der 28. Auflage von 1955 wie folgt dargestellt: Die HÜTTE bringt mit Grundlagen für Studium und Inge- nieurarbeit eine Zusammenfassung des grundsätzlich Wichtigen aus möglichst allen technischen Fachgebieten sowohl für den praktisch als auch für den wissenschaftlich tätigen Ingenieur. Mit der 31. Auflage erhielt die HÜTTE im Jahr 2000 eine neue Struktur – inhalt- lich orientiert am Stand von Wissenschaft und Technik im 21. Jahrhundert und den Studienplänen der Technischen Universitäten und Fachhochschulen. Die Jubiläumsauflage zeichnet sich durch eine Reihe von Erweiterungen und Neue- rungen aus: Aufnahme des neuen Kapitels Management, gegliedert in Personalmanagement, Qualitätsmanagement, Projektmanagement Fachliche Ergänzungen, Beispiele: Biochemisch relevante Makromoleküle, Mate- rial und Umwelt, Recycling, Mikrosensorik, Binäre Steuerungstechnik, Software Engineering, Mensch-Maschine-Relationen und Antropotechnik

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Vorwort

Die 33. Auflage der „HÜTTE“ ist eine Jubiläumsausgabe. 150 Jahre hat die HÜTTEdas Grundlagenwissen der Ingenieure bereitgestellt und die Zeiten der stürmischenEntwicklung der Natur- und Ingenieurwissenschaften begleitet: von den Entwicklun-gen des Maschinenbaus und der Produktionstechnik, der Elektrotechnik, Elektronikund Computertechnik bis zur heutigen Technischen Informatik, Mikrosystemtechnikund der interdisziplinären Mechatronik.

Die HÜTTE erschien erstmalig im Jahr 1857 als „Des Ingenieurs Taschenbuch“mit folgender Zielsetzung: Grundlage für das Studium und Unterstützung der prakti-schen Ingenieurarbeit durch eine geschickte Verbindung wissenschaftlicher Grundla-gen mit praktischen Erfahrungen, die starre Rezepte ebenso wie weitschweifige Theo-rie zu vermeiden weiß. Die Erstauflage von 1857 enthielt in einem Band drei Teile,Mathematik und Mechanik, Maschinenbau und Technologie sowie Bauwissenschaft.Bereits 1864 erschien die 5. Auflage, 1875 die 10. und 1908 die 20. Auflage. Mitder 25. Auflage im Jahr 1925 betrug die Gesamtauflagenhöhe mehr als 1/3 MillionExemplare.

Die bis heute gültige Konzeption dieses Standardwerks der Ingenieurwissenschaf-ten wurde zum 100-jährigen Jubiläum der HÜTTE im Vorwort der 28. Auflage von1955 wie folgt dargestellt: Die HÜTTE bringt mit Grundlagen für Studium und Inge-nieurarbeit eine Zusammenfassung des grundsätzlich Wichtigen aus möglichst allentechnischen Fachgebieten sowohl für den praktisch als auch für den wissenschaftlichtätigen Ingenieur.

Mit der 31. Auflage erhielt die HÜTTE im Jahr 2000 eine neue Struktur – inhalt-lich orientiert am Stand von Wissenschaft und Technik im 21. Jahrhundert und denStudienplänen der Technischen Universitäten und Fachhochschulen.Die Jubiläumsauflage zeichnet sich durch eine Reihe von Erweiterungen und Neue-rungen aus:

� Aufnahme des neuen Kapitels Management, gegliedert in Personalmanagement,Qualitätsmanagement, Projektmanagement

� Fachliche Ergänzungen, Beispiele: Biochemisch relevante Makromoleküle, Mate-rial und Umwelt, Recycling, Mikrosensorik, Binäre Steuerungstechnik, SoftwareEngineering, Mensch-Maschine-Relationen und Antropotechnik

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XIV Vorwort

� Neufassung der Kapitel Normung, Recht, Patente unter Berücksichtigung neuerEntwicklungen im europäischen Rechts- und Wirtschaftsraum.

Das Ingenieurwissen ist gegliedert in fachübergreifende Themenfelder, um das fürdie Anwendung in der Technik besonders wichtige interdisziplinäre Systemdenken zubetonen:

� Mathematisch-naturwissenschaftliche Grundlagen� Technologische Grundlagen� Grundlagen für Produkte und Dienstleistungen� Ökonomisch-rechtliche Grundlagen.

Die 33. Auflage der HÜTTE ist wiederum das Werk einer guten Zusammenarbeit derlangjährig bewährten und der neuen Autoren mit den Herausgebern. Unser herzlicherDank gilt allen Kolleginnen und Kollegen, die durch ihre Beiträge das Ingenieurwissenaktualisiert und erweitert haben sowie Dr. Angelika Recknagel für die sachkundigeMitarbeit bei der technisch-wissenschaftlichen Koordinierung. Den Mitarbeiterinnenund Mitarbeitern des Springer-Verlages und der Herstellung sei für die redaktionelleBearbeitung und dem Verlag für die vorzügliche Ausstattung des Buches im neuenDesign der internationalen Springer Handbooks gedankt.

Berlin, im August 2007 Horst CzichosManfred Hennecke

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D

Wer

ksto

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D1

DWerkstoffe H. CzichosB. Skrotzki

F.-G. Simon

1 Übersicht

1.1 Der Materialkreislauf

Die Prozesse und Produkte der Technik erfordern zuihrer Realisierung eine geeignete materielle Basis.Material ist die zusammenfassende Bezeichnung füralle natürlichen und synthetischen Stoffe, Material-forschung, Materialwissenschaft und Materialtechniksind die sich mit den Stoffen befassenden Gebiete derForschung, Wissenschaft und Technik.Werkstoffe im engeren Sinne nennt man Materialienim festen Aggregatzustand, aus denen Bauteile undKonstruktionen hergestellt werden können [1]. Beiden Konstruktionswerkstoffen stehen die mechanisch-technologischen Eigenschaften im Vordergrund.Funktionswerkstoffe sind Materialien, die besondere

Bild 1-1. Der Materialkreislauf

funktionelle Eigenschaften, z. B. physikalischer undchemischer Art oder spezielle technisch nutzbareEffekte realisieren, z. B. optische Gläser, Halbleiter,Dauermagnetwerkstoffe [2].Die Energieträger, wie Kraftstoffe, Brennstoffe,Explosivstoffe gehören im strengen Sinne nicht zuden genannten Gruppen, d. h. sie sind als Materialien,aber nicht als Werkstoffe zu bezeichnen. Den stoff-lichen Grundprozess der gesamten Technik fasst derim Bild 1-1 skizzierte Materialkreislauf zusammen.Er stellt den Weg der (späteren) Materialien vonden natürlichen Vorräten über Rohstoffe, Werkstoffezu technischen Produkten dar und ist durch dieAufeinanderfolge unterschiedlichster Technologiengekennzeichnet:

– Rohstofftechnologien zur Ausnutzung der natürli-chen Ressourcen,

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D2 D Werkstoffe

– Werkstofftechnologien zur Erzeugung von Werk-stoffen und Halbzeugen aus den Rohstoffen,

– Konstruktionsmethoden und Produktionstechnolo-gien für Entwurf und Fertigung von Bauteilen undtechnischen Produkten,

– Betriebs-, Wartungs- und Reparaturtechnologienzur Gewährleistung von Funktionsfähigkeit undWirtschaftlichkeit des Betriebs,

– Wiederaufbereitungs- und Rückgewinnungstech-nologien zur Schließung des Materialkreislaufsdurch Recycling oder – falls dies nicht möglich ist– durch Deponierung.

Unter wirtschaftlichen Aspekten ist der Mate-rialkreislauf auch als Wertschöpfungskette zubetrachten. Die für technische Produkte benötigtenKonstruktions- und Funktionswerkstoffe müssen demjeweiligen Anwendungsprofil entsprechen und gezieltbezüglich Material- und Energieverbrauch, Qualität,Zuverlässigkeit, Wirtschaftlichkeit, Gebrauchsdauer,Umweltschutzerfordernissen usw. optimiert werden.

1.2 Werkstoffe in Kultur, Wirtschaft, Technikund Umwelt

Kultur- und Technikgeschichte der Werkstoffe

Werkstoffe bilden die stoffliche Basis aller von Men-schen geschaffenen Erzeugnisse: von den Gebrauchs-gegenständen der Kupfer-, Bronze- und Eisenzeit biszu den heutigen „High-Tech-Produkten“. Materialei-genschaften prägen damit nicht nur das Erscheinungs-bild und die Originalität von Kulturgütern und Kunst-werken [3], sondern auch die Funktionalität techni-scher Bauteile und Konstruktionen. Die folgendenStichworte geben eine kurze Übersicht über kulturelleund technische Entwicklungen:

Kulturgeschichte– Altsteinzeit vor etwa 10 000 Jahren– Jungsteinzeit, 8000 bis 7000 v. Chr.– Kupferzeit, 7000 bis 3000v. Chr.– Bronzezeit, 3000 bis 1000v. Chr.– Eisenzeit seit Mitte 2. Jahrtausend v. Chr.

„Eiserne Engel“– Maschinen von der Antike bis zur industriellen Re-

volution (Walter Kiaulehn)

Werkstoffe im 20. Jahrhundert:Basis für Technologien und Industrien [4]

– Aluminiumlegierungen seit den 20ern → Flug-zeugbau, Luftfahrtindustrie

– Hartmetalle seit den 30ern → Fertigungs-, Produk-tionstechnik

– Polymere seit den 40ern → Kunststoffe, Chemi-sche Industrie

– Superlegierungen seit den 50ern → Düsentriebwer-ke, Turbinenbau

– Halbleiter seit den 60ern → Transistortechnik,Elektronikindustrie

– Neue Keramiken seit den 70ern → „High-Tech-Industrien“

– Bio-Materialien seit den 80ern → Biotechnologien,Medizintechnik

– Nano-Materialien seit den 90ern → Mikro- undNanotechnik

Wirtschaftliche Bedeutung

„Leistungsfähigkeit, Wirtschaftlichkeit und Akzep-tanz industrieller Produkte und Systeme hängenentscheidend von den eingesetzten Materialienab. Die zentrale Rolle von Materialien und maß-geschneiderten Werkstoffen für die Entwicklungzukunftsorientierter Technologien ist einer breiterenÖffentlichkeit jedoch kaum bewusst und wird oftverkannt, da die eingesetzten Materialien vielfachhinter das fertige System oder das Endproduktzurücktreten. Die technologische und volkswirt-schaftliche Bedeutung von Materialien liegt vorallem in den Produkt- und Systeminnovationen, diesie ermöglichen.“ (Wissenschaftsrat, 1996 [5]).

Die wirtschaftliche Bedeutung des Produktions-faktors Material geht z. B. aus Tabelle 1-1 hervor.

Ressourcen für Werkstoffe

Die Erzeugung von Metallen, Baustoffen undKunststoffen basiert naturgemäß auf der Welt-Rohstoffförderung. Tabelle 1-2 gibt einen Überblicküber die Weltproduktion zahlreicher Rohstoffe. DieEnergierohstoffe Kohle, Erdöl und Erdgas sind eben-falls aufgeführt. Als Ressource für die Herstellungvon Werkstoffen und anderen Chemieprodukten wer-den nur etwa 8% des Erdöls genutzt. Der Anteil von

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1 Übersicht D3

Tabelle 1-1. Materialien als Produktionsfaktor der Wirt-schaft (Quelle: Statist. Jahrbuch für die BundesrepublikDeutschland 2005)

− KraftfahrzeugbauBruttoproduktionswert 280,2 Mrd.e, davon− Materialverbrauch 50,8%− Personalkosten 18,3%− Sonstiges 30,9%

− MaschinenbauBruttoproduktionswert 162,8 Mrd.e, davon− Materialverbrauch 40,2%− Personalkosten 30,9%− Sonstiges 28,9%

− Chemische IndustrieBruttoproduktionswert 140,1 Mrd.e, davon− Materialverbrauch 35,1%− Personalkosten 20,6%− Sonstiges 44,3%

− Elektrizitätserzeugung, GerätetechnikBruttoproduktionswert 85,1 Mrd.e, davon− Materialverbrauch 41,4%− Personalkosten 28,6%− Sonstiges 30,3%

− Rundfunk- u. NachrichtentechnikBruttoproduktionswert 41,1 Mrd.e, davon− Materialverbrauch 35,1%− Personalkosten 19,4%− Sonstiges 45,5%

Kohle, Erdöl und Erdgas am Primärenergieverbrauchbetrug 2001 in Deutschland 24, 39 bzw. 22%.Die derzeit bekannten Vorräte führen unter denjetzigen Verbrauchsbedingungen zu geschätztenNutzungsdauern von etwa 200, 40 bzw. 60 Jahren.Die statische Nutzungsdauer der Metalle (Moment-aufnahme eines dynamischen Systems) variiertzwischen 20 und 40 Jahren; sie liegt bei Aluminium(Bauxit) und Eisenerz bei über 100 Jahren.Der spezifische Energiebedarf für die Erzeugung vonStahl, Kunststoffen und Aluminium ist in Tabelle 1-3

dargestellt [6, 7]. Die Analyse des Energieverbrauchsfür ein technisches Produkt hat den kumuliertenEnergiebedarf im Materialkreislauf zu berücksich-tigen, der sich als Summe des Energieverbrauchsfür die Herstellung, bei der Nutzung und für dieEntsorgung des Produktes ergibt.

Tabelle 1-2. Weltproduktion von mineralischen Rohstoffenund Energierohstoffen. Bei den Metallen beziehen sich dieZahlenwerte auf den Metallgehalt, wenn nicht ausdrücklichdas Erz genannt wird

Rohstoff Weltjahresproduktion(1000 t, Erdgas in 106 m3)

Kohle 5 535 000Rohöl 3 826 000Erdgas 2 785 000Eisenerz 1 363 000Salz 230 300Bauxit 163 000Phosphat 146 000Gips 111 600Schwefel 58 500Pottasche 32 100Aluminium 29 900Kaolin 22 600Magnesit 22 300Chromerze 18 300Feldspat 15 500Kupfer 14 500Bentonit 13 000Zink 9 400Baryt 7 200Titanoxid 5 000Blei 3 100Nickel 1 358Zirkon 1 187Brom 499Zinn 275Molybdän 153Antimon 148Vanadium 64Wolfram 51,3Kobalt 48Uran 42,8Jod 23,5Silber 19,7Cadmium 18,6Wismut 3,7Gold 2,49Quecksilber 1,2Platin-Metalle 0,514Diamanten 0,032

Stand 2004, Quelle: British Geological Survey, WorldMineral Production 2000 – 04, Keyworth, Nottingham, UK

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D4 D Werkstoffe

Tabelle 1-3. Abschätzung des spezifischen Energiebedarfsfür die Erzeugung von Werkstoffen

Werkstoff spezifischerEnergiebedarf

MJ/kgAluminium (Halbzeug)

Primäraluminium (aus Bauxit) 160 . . . 240Sekundäraluminium (auf Schrottbasis) 12 . . . 20

Kunststoffe (Granulat)Polyvinylchlorid 48Polyethylen 68Polystyrol 75

Stahl (Halbzeug)Oxygenstahl (auf Erzbasis) 16 . . . 27Elektrostahl (auf Schrottbasis) 10 . . . 18

Werkstoffe und die Eigenschaften technischerProdukte

Wie ebenfalls aus dem Materialkreislauf, Bild 1-1,abgelesen werden kann, werden Werkstoffe durchKonstruktion und Fertigung in technische Produkte„transformiert“, formelartig geschrieben:

KonstruktionMaterialien −−−−−−−−−−−−−−−−−→ technisches ProduktFertigung

Informationsbezogen kann das heißen: Kenntnis derBeschaffenheit und des Verhaltens der Materialienist Voraussetzung einer erfolgreichen Konstruktion.Stoffbezogen: Die Verfügbarkeit und Verwendungvon technologisch und funktionell geeigneten Stoffenist Voraussetzung guter Produktionsqualität. Auchdrückt die Formel die Tatsache aus, dass durchingeniöse Konstruktion und Fertigung die Materialei-genschaften in eine Fülle von Produkteigenschaftenaufgefächert und übersetzt werden können.Ein besonders für Erwerber und Benutzer wichtigesMerkmal technischer Produkte ist deren Qualität,sie ist eng mit den Merkmalen Zuverlässigkeit undSicherheit verknüpft. Qualität ist die Beschaffenheiteiner Betrachtungseinheit bezüglich ihrer Eignung,festgelegte und vorausgesetzte Erfordernisse undFunktionen zu erfüllen. Zuverlässigkeit ist die Eigen-schaft, funktionstüchtig zu bleiben. Sie ist definiertals die Wahrscheinlichkeit, dass ein Werkstoff,

Bauteil oder System seine bestimmungsgemäßeFunktion für eine bestimmte Gebrauchsdauer unterden gegebenen Funktions- und Beanspruchungsbe-dingungen ausfallfrei, d. h. ohne Versagen, erfüllt.Sicherheit ist die Wahrscheinlichkeit, dass von einerBetrachtungseinheit während einer bestimmten Zeit-spanne keine Gefahr ausgeht, bzw. dass das Risiko– gekennzeichnet durch Schadenswahrscheinlichkeitund Schadensausmaß – unter einem vertretbarenGrenzrisiko bleibt.Die Beurteilung der Qualität, Zuverlässigkeit und Si-cherheit von Werkstoffen, Bauteilen oder Systemengeschieht mit den Mitteln der Materialprüfung, sie-he Kap. 11. Dabei ist insbesondere auch festzustellen,inwieweit oder auf welche Weise die Ergebnisse vonWerkstoffprüfungen auf Bauteile oder Systeme über-tragen werden können.

Werkstoffe und die Umwelt

Bild 1-1 erinnert daran, dass Werkstoffe als Be-standteile technischer Produkte bei deren technischerFunktion in Wechselwirkung mit ihrer Umweltstehen. Die Wechselwirkungen beschreibt manallgemein als den einen oder anderen von zweikomplementären Prozessen:

– Immission, die Einwirkung von Stoffen oder Strah-lung auf einen Werkstoff, die z. B. zur Korrosionführen kann.

– Emission, der Austritt von Stoffen oder Strahlung(auch Schall). Eine Emission aus einem Werkstoffist in der Regel gleichzeitig eine Immision in dieUmwelt.

Auf Umweltbeanspruchung und Umweltsimulationwird in Kap. 8.4 näher eingegangen.Zum Schutz der Umwelt – und damit des Menschen –bestehen gesetzliche Regelungen für den Emissions-und Immissionsschutz mit Verfahrensregelungen undGrenzwerten für schädliche Stoffe und Strahlungen.Hinsichtlich des Umweltschutzes sind an die Werk-stoffe selbst hauptsächlich die folgenden Forderungenzu stellen:

– Umweltverträglichkeit, die Eigenschaft, bei ihrertechnischen Funktion die Umwelt nicht zu beein-trächtigen (und andererseits von der jeweiligenUmwelt nicht beeinträchtigt zu werden).

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2 Aufbau der Werkstoffe D5

Tabelle 1-4. Recyclingquoten von Werkstoffen bezogen aufden Verbrauch

Werkstoff Recyclingquote %Aluminium 35Blei 59Kupfer 54Eisen 55Zink 41

Quelle: BGR, Rohstoffwissenschaftliche Steckbriefe, 2006

– Recyclierbarkeit (siehe auch Kap. 7.2), die Mög-lichkeit der Rückgewinnung und Wiederaufberei-tung nach dem bestimmungsgemäßen Gebrauch.Einen Eindruck von den gegenwärtig erzielbarenRecyclingquoten von Metallen in Deutschland gibtTabelle 1-4.

– Abfallbeseitigung, die Möglichkeit der Entsorgungvon Material, wenn ein Recycling nicht möglichist [9].

Nach dem Vorbild der Stoffkreisläufe in der belebtenNatur sind heute auch für die Materialien der Tech-nik im Prinzip stets geschlossene Kreisläufe anzustre-ben und ggf. durch „Ökobilanzen“ zu kennzeichnen.Auf die Wechselwirkungen von Material und Umweltwird in Kap. 7 näher eingegangen.

1.3 Gliederung des Werkstoffgebietes

Für die fachliche Gliederung des Werkstoffgebietesgibt es mehrere Aspekte, die mit den Methoden derSystemtechnik kombiniert werden können. Werkstof-fe sind bestimmungsgemäß Bestandteil von Gegen-ständen oder technischen Systemen. Jedes technischeSystem ist durch die beiden Merkmale Funktion undStruktur gekennzeichnet, vgl. K 2. Entwicklung undAnwendung technischer Systeme erfordern neben derKennzeichnung struktureller und funktioneller Eigen-schaften Mess- und Prüftechniken zur Beurteilungdes Systemverhaltens sowie Auswahl- und Gestal-tungsmethoden für ihre Bauelemente.Für das Werkstoffgebiet ist ein mehrdimensionalesGliederungsschema mit folgenden Schwerpunktenzweckmäßig:

a) Aufbau der Werkstoffe: Stoffliche Natur, unter-schiedlich hinsichtlich chemischer Zusammenset-zung, Bindungsart und Mikrostruktur.

b) Beanspruchung: Einflüsse, die auf Werkstoffe beider Anwendung einwirken, deren Parameter undzeitlicher Verlauf.

c) Eigenschaften: Kenngrößen und Systemdaten, diedas Verhalten von Werkstoffen gegenüber den ver-schiedenen Beanspruchungen und in ihren tech-nisch-funktionellen Anwendungen beschreiben.

d) Schädigungsmechanismen: Veränderungen derStoff- oder Formeigenschaften von Werkstoffenbzw. Bauteilen, die deren Funktion beeinträchti-gen können.

e) Materialprüfung: Techniken und Methoden zurUntersuchung und Beurteilung von Materialien,Bauteilen und Konstruktionen.

f) Materialauswahl: Techniken und Methoden zuranwendungsbezogenen Auswahl von Materialien.

g) Referenzmaterialien und Referenzverfahren zurQualitätssicherung des Materialverhaltens intechnischen Anwendungen.

2 Aufbau der Werkstoffe

Der Aufbau eines Werkstoffs ist durch folgendeMerkmale bestimmt:

a) Die chemische Natur seiner atomaren oder mole-kularen Bausteine.

b) Die Art der Bindungskräfte (Bindungsart) zwi-schen den Atomen bzw. Molekülen.

c) Die atomare Struktur, das ist die räumlicheAnordnung der Atome bzw. Moleküle zu elemen-taren kristallinen, molekularen oder amorphenStrukturen, diese bilden bei kristallinen StoffenElementarzellen, die als eigentliche Grundbau-steine des Stoffs angesehen werden können.

d) Die Kristallite oder Körner, das sind einheitlichaufgebaute Bereiche eines polykristallinen Stoffs,die durch sog. Korngrenzen voneinander getrenntsind.

e) Die Phasen der Werkstoffe, das sind Bereiche miteinheitlicher atomarer Struktur und chemischerZusammensetzung, die durch Grenzflächen (Pha-sengrenzen) von ihrer Umgebung abgegrenzt sind.

f) Die Gitterbaufehler, das sind Abweichungen vonder idealen Kristallstruktur:– Punktfehler: Fremdatome, Leerstellen, Zwi-

schengitteratome, Frenkel-Defekte

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D6 D Werkstoffe

– Linienfehler: Versetzungen– Flächenfehler: Stapelfehler, Korngrenzen,

Phasengrenzeng) Die Mikrostruktur oder das Gefüge, das ist der

mikroskopische Verbund der Kristallite, Phasenund Gitterbaufehler.

2.1 Aufbauprinzipien von Festkörpern

Alle Materie ist aus den im Periodensystem derElemente zusammengefassten Atomen aufgebaut(siehe C 2 und C 4). Die Bindung zwischen je zweiAtomen eines Festkörpers resultiert aus elektrischenWechselwirkungen zwischen den beiden Partnern,siehe Bild 2-1. Die Überlagerung der Abstoßungs-und Anziehungsenergien (oder Potenziale) führtzu einem Potenzialminimum, dessen Tiefe dieBindungsenergie UB und dessen Lage den Gleichge-wichtsabstand r0 (Größenordnung 0,1 nm) angibt.Die chemischen Bindungen zwischen den Elementar-bausteinen fester Körper werden eingeteilt in (star-ke) Hauptvalenzbindungen (Ionenbindung, Atombin-dung, metallische Bindung) und (schwache) Neben-valenzbindungen:

Ionenbindung (heteropolare Bindung): Jedes Kationgibt ein oder mehrere Valenzelektronen an ein odermehrere Anionen ab. Bindung durch ungerichteteelektrostatische (Coulomb-)Kräfte zwischen denIonen.

Bild 2-1. Wechselwirkungsenergien zwischen zwei isolier-ten Atomen (UB Bindungsenergie; r0 Gleichgewichtsab-stand)

Atombindung (homöopolare oder kovalente Bin-dung): Gemeinsame (Valenz-)Elektronenpaarezwischen nächsten Nachbarn; gerichtete Bindung miträumlicher Lokalisierung der bindenden Elektronen-paare.

Metallische Bindung: Gemeinsame Valenzelektronenaller beteiligten Atome (Elektronengas); ungerichteteBindung zwischen dem Elektronengas und denpositiv geladenen Atomrümpfen.

Van-der-Waals-Bindung: Interne Ladungspolarisation(Dipolbildung) benachbarter Atome oder Moleküle;schwache elektrostatische Dipoladsorptionsbindung.Aus der Bindungsart und den Atomabständen (bzw.den Molekülformen) der Elementarbausteine ergebensich die elementaren Kristallstrukturen fester Stoffe.Die atomaren Bestandteile von Kristallen sind wie dieKnoten eines räumlichen Punktgitters (Raumgitters)angeordnet, das entsteht, wenn drei Scharen paralle-ler Ebenen (Netzebenen) sich kreuzend durchdringen.Das kleinste Raumelement, durch dessen wiederhol-te Verschiebung um die jeweilige Kantenlänge in je-der der drei Achsrichtungen man sich ein Raumgit-ter aufgebaut denken kann, wird als Elementarzellebezeichnet. Die möglichen Raumgitter der Kristallewerden durch 7 Koordinatensysteme bzw. 14 Bravais-Gittertypen gekennzeichnet, siehe Bild 2-2.Die Lage eines Atoms in der Elementarzelle einesKristalls wird durch den Ortsvektor

r = xa + yb + zc (0 ≤ x, y, z < 1)

beschrieben, wobei a, b, c die Einheitsvektoren aufden drei kristallographischen Achsen a, b, c einesKristallgitters und x, y, z die Koordinaten des Atomsdarstellen. Ein Gitterpunkt mit den Koordinaten uvwwird gefunden, indem vom Koordinatenursprungaus der Vektor ua in a-Richtung, vb in b-Richtungund wc in c-Richtung zurückgelegt wird. Mit derVerbindungsgeraden vom Koordinatenursprung zumGitterpunkt uvw kann auch eine Richtung im Gitterbeschrieben werden: [uvw]. Damit ist gleichzeitigauch eine Fläche charakterisiert, nämlich diejenigeFläche, deren Flächennormale die Richtung vomKoordinatenursprung zum Punkt uvw hat. Zur Be-zeichnung einer Kristallfläche oder einer Schar vonparallelen Gitterebenen dienen Miller’sche Indizes:die durch Multiplikation mit dem Hauptnenner

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2 Aufbau der Werkstoffe D7

ganzzahlig gemachten reziproken Achsabschnitte derbetreffenden Fläche. In Bild 2-3 ist die Koordina-tenschreibweise am Beispiel eines kubischen Gittersillustriert.Während ideale Kristalle durch eine regelmäßigeAnordnung ihrer Elementarbausteine gekennzeichnetsind (Fernordnung), besteht bei amorphen Festkör-pern nur eine strukturelle Nahordnung im Bereich dernächsten Nachbaratome. Sie ähneln Schmelzen undwerden daher auch als Gläser, d. h. als unterkühlte,

Bild 2-2. Die 7 Kristallsysteme und die 14Bravais-Gitter

in den festen Zustand eingefrorene Flüssigkeitenbezeichnet.Als einphasige Festkörper werden feste Stoffe miteinheitlicher chemischer Zusammensetzung undatomarer Struktur bezeichnet. Die unterschiedlichenZustände mehrphasiger Festkörper werden – inAbhängigkeit von der chemischen Zusammensetzungund der Temperatur – durch Zustandsdiagrammebeschrieben (s. 2.7).

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D8 D Werkstoffe

Bild 2-3. Indizierung von Richtungen und Ebenen in einemkubischen Gitter

2.2 Mikrostruktur

Der mikrostrukturelle Aufbau technischer Werkstoffeunterscheidet sich von der idealer Festkörper durchGitterbaufehler, die für die Werkstoffeigenschaftenvon grundlegender Bedeutung sind. Nach ihrer Geo-metrie ist folgende Klassifizierung üblich:

a) Nulldimensionale Gitterbaufehler (Punktfehler),siehe Bild 2-4:

Es werden neben der Substitution von Gitterbaustei-nen durch Fremdatome die folgenden Grundformenunterschieden:

– Leerstellen: Jeder Kristall enthält eine mit der Git-tertemperatur zunehmende Anzahl von Leerstellen.Der Anteil der Leerstellen bezogen auf die Zahl derGitterbausteine in einem fehlerfreien Kristall be-trägt bei Raumtemperatur ca. 10−12. Die Bildungs-energie für Leerstellen ist in Metallen etwa der Ver-dampfungsenthalpie proportional. Durch Punktfeh-ler in Kristallen mit Ionenbindung entsteht im Git-ter örtlich eine positive oder negative Polarisation.

– Zwischengitteratome: In zahlreichen Kristall-gittern können, besonders kleine, Gitteratome,wie z. B. H, C, N, auf Zwischengitterplätze ab-wandern. Die Kombination einer Leerstelle miteinem entsprechenden Zwischengitteratom heißtFrenkel-Paar oder Frenkel-Defekt.

b) Eindimensionale Gitterbaufehler (Linienfehler),siehe Bild 2-5:

Eindimensionale Gitterbaufehler stellen eine lini-enförmige Störung des Gitters dar und werden als

Bild 2-4. Nulldimensionale Gitterbaufehler (Punktfehler)

Versetzungen bezeichnet. Eine Versetzung lässtsich als Randlinie eines zusätzlich in das Gittereingefügten (oder aus ihm herausgenommenen)Ebenenstückes A–B darstellen. Das Maß für dieGröße der Verzerrung eines Kristallgitters durcheine Versetzung ist der Burgers-Vektor b. Bei ei-ner Stufenversetzung liegen Burgers-Vektor undVersetzungslinie rechtwinklig, bei einer Schrauben-versetzung parallel zueinander. Eine Versetzungsliniemuss im Gitter stets in sich geschlossen sein oderan einer Grenzfläche oder Oberfläche enden. Ver-setzungen ermöglichen den energetisch günstigenElementarschritt der plastischen Deformation, bei

Bild 2-5. Eindimensionale Gitterbaufehler: a Stufenverset-zung in einem kubischen Kristall, b Versetzungsbewegung(Abgleitung) unter Schubspannung, c Resultierende Gleit-stufe; b Burgers-Vektor

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2 Aufbau der Werkstoffe D9

dem durch eine Schubspannung τ ein Gitterblockgegenüber einem anderen stufenweise um den Betragdes Burgers-Vektors verschoben wird. Die Abglei-tung erfolgt bei reinen Metallen längs bestimmterkristallographischer Ebenen (Gleitebenen) in de-finierten Gleitrichtungen. Das aus Gleitebene undGleitrichtung bestehende Gleitsystem ist für Gittertypund Bindungsart charakteristisch (siehe 9.2.3).

c) Zweidimensionale Gitterbaufehler (Flächenfeh-ler):

Zweidimensionale Gitterbaufehler kennzeichnendiskontinuierliche Änderungen der Gitterorientierungoder der Gitterabstände. Man unterscheidet:

– Stapelfehler: Das sind Störungen der Stapelfolgevon Gitterebenen. Sie erschweren die Versetzungs-bewegung und beeinflussen die Verfestigung derMetalle bei plastischer Verformung.

– Korngrenzen: Grenzflächen zwischen Kristallitengleicher Phase mit unterschiedlicher Gitterorien-tierung. Sie sind Übergangszonen mit gestörtemGitteraufbau. Nach der Größe des Orientierungs-unterschieds benachbarter Kristallite unterscheidetman Kleinwinkelkorngrenzen (aufgebaut aus flä-chig angeordneten Versetzungen) und Großwinkel-korngrenzen mit (amorphen) Grenzbereichen vonetwa zwei bis drei Atomabständen.

– Phasengrenzen: Grenzflächen zwischen Gitterbe-reichen mit unterschiedlicher chemischer Zusam-mensetzung oder Gitterstruktur.

Als Gefüge eines Werkstoffs bezeichnet man denkennzeichnenden mikroskopischen Verbund derKristallite (Körner), Phasen und Gitterbaufehler.Mittlerer Korndurchmesser (beeinflussbar durchWärmebehandlung und Umformung): wenige μm bismehrere cm. Ein- oder mehrphasige Polykristalle miteinem Kristallitdurchmesser zwischen 5 und 15 nmund etwa gleichen Atomanteilen in Kristalliten undGrenzflächen werden als nanokristalline Materialienbezeichnet. Sie können nach der herkömmlichenTerminologie weder den Kristallen (ferngeordnet)noch den Gläsern (nahgeordnet) zugerechnet werden.

2.3 Werkstoffoberflächen

Gegenüber dem Werkstoffinnern weisen Oberflächenfolgende Unterschiede auf:

– Veränderte Mikrostruktur;– Veränderung der Oberflächenzusammensetzung

durch Einbau von Bestandteilen des Umge-bungsmediums (Physisorption, Chemisorption,Oxidation, Deckfilmbildung);

– Änderung von Werkstoffeigenschaften.

Bei technischen Oberflächen ist außerdem noch derEinfluss der Fertigung zu beachten. Spanend bearbei-tete und umgeformte Oberflächen zeigen in der Ober-flächenzone folgende Veränderungen:

– Unterschiedliche Verfestigung durch plastischeVerformungen,

– Aufbau von Eigenspannungen infolge Oberflä-chenverformung,

– Ausbildung von Texturinhomogenitäten zwischenRandzone und Werkstoffinnerem.

Der Schichtaufbau technischer Oberflächen ist inBild 2-6 wiedergegeben [1]. Die innere Grenzschichtbesteht aus einer an den Grundwerkstoff anschlie-ßenden Verformungs- oder Verfestigungszone.Die äußere Grenzschicht besitzt meist eine vomGrundwerkstoff abweichende Zusammensetzung undbesteht aus Oxidschicht, Adsorptionsschicht undVerunreinigungen.Die Mikrogeometrie von Oberflächen (Oberflächen-rauheit) wird durch verschiedene „Rauheitskenngrö-ßen“ gekennzeichnet (siehe 11.3.2).

2.4 WerkstoffgruppenNach der dominierenden Bindungsart und der Mi-krostruktur lassen sich die folgenden hauptsächlichenWerkstoffgruppen unterscheiden, siehe Bild 2-7.

Metalle

Die Atomrümpfe werden durch das Elektronengaszusammengehalten. Die freien Valenzelektronen desElektronengases sind die Ursache für die hohe elek-trische und thermische Leitfähigkeit sowie den Glanzder Metalle. Die metallische Bindung – als Wech-selwirkung zwischen der Gesamtheit der Atomrümp-fe und dem Elektronengas – wird durch eine Ver-schiebung der Atomrümpfe nicht wesentlich beein-flusst. Hierauf beruht die gute Verformbarkeit der Me-talle. Die Metalle bilden die wichtigste Gruppe der

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D10 D Werkstoffe

Bild 2-6. Werkstoffoberflächen-Schichtaufbau: schemati-sche Darstellung des Querschnitts einer Metalloberfläche

Konstruktions- oder Strukturwerkstoffe, bei denen esvor allem auf die mechanischen Eigenschaften an-kommt.

Halbleiter

Eine Übergangsstellung zwischen den Metallen undden anorganisch-nichtmetallischen Stoffen nehmendie Halbleiter ein. Ihre wichtigsten Vertreter sind dieElemente Silicium und Germanium mit kovalenterBindung und Diamantstruktur sowie die ähnlich

Bild 2-7. Klassifikation der Werkstoffgruppen

strukturierten sog. III-V-Verbindungen, wie z. B.Galliumarsenid (GaAs) und Indiumantimonid (InSb).In den am absoluten Nullpunkt nichtleitenden Halb-leitern können durch thermische Energie oder durchDotierung mit Fremdatomen einzelne Bindungselek-tronen freigesetzt werden und als Leitungselektronenzur elektrischen Leitfähigkeit beitragen. Halblei-ter stellen wichtige Funktionswerkstoffe für dieElektronik dar.

Anorganisch-nichtmetallische Stoffe

Die Atome werden durch kovalente Bindung undIonenbindung zusammengehalten. Aufgrund fehlen-der freier Valenzelektronen sind sie grundsätzlichschlechte Leiter für Elektrizität und Wärme. Da dieBindungsenergien erheblich höher sind als bei dermetallischen Bindung, zeichnen sich anorganisch-nichtmetallische Stoffe, wie z. B. Keramik, durchhohe Härten und Schmelztemperaturen aus. Eineplastische Verformung wie bei Metallen ist analognicht begründbar, da bereits bei der Verschiebungder atomaren Bestandteile um einen Gitterabstandtheoretisch eine Kation-Anion-Bindung in eineKation-Kation- oder Anion-Anion-Abstoßung um-gewandelt oder eine gerichtete kovalente Bindungaufgebrochen werden muss.

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2 Aufbau der Werkstoffe D11

Organische Stoffe

Organische Stoffe, deren technisch wichtigste Ver-treter die Polymerwerkstoffe sind, bestehen ausMakromolekülen, die im Allgemeinen Kohlenstoffin kovalenter Bindung mit sich selbst und einigenElementen niedriger Ordnungszahl enthalten. DerenKettenmoleküle sind untereinander durch (schwa-che) zwischenmolekulare Bindungen verknüpft,woraus niedrige Schmelztemperaturen resultieren(Thermoplaste). Sie können auch chemisch mitein-ander vernetzt sein und sind dann unlöslich undunschmelzbar (Elastomere, Duroplaste).

Naturstoffe

Bei den als Werkstoff verwendeten Naturstoffen wirdunterschieden zwischen mineralischen Naturstoffen(z. B. Marmor, Granit, Sandstein; Glimmer, Saphir,Rubin, Diamant) und organischen Naturstoffen (z. B.Holz, Kautschuk, Naturfasern). Die Eigenschaftenvieler mineralischer Naturstoffe, z. B. hohe Härte undgute chemische Beständigkeit, werden geprägt durchstarke Hauptvalenzbindungen und stabile Kristall-gitterstrukturen. Die organischen Naturstoffe weisenmeist komplexe Strukturen mit richtungsabhängigenEigenschaften auf.

Verbundwerkstoffe, Werkstoffverbunde

Verbundwerkstoffe werden mit dem Ziel, Struktur-oder Funktionswerkstoffe mit besonderen Eigen-schaften zu erhalten, als Kombination mehrererPhasen oder Werkstoffkomponenten in bestimmter

Bild 2-8. a Regellose Verteilung der Legierungsatome. b In einer Ordnungsstruktur nehmen beide Atomarten bestimmteGitterplätze ein. c Entmischung beider Atomarten

geometrisch abgrenzbarer Form aufgebaut, z. B. inForm von Dispersionen oder Faserverbundwerkstof-fen. Werkstoffverbunde vereinen unterschiedlicheWerkstoffe mit verschiedenen Aufgaben, z. B. beiEmail.

2.5 Mischkristalle und Phasengemische

Strukturwerkstoffe bestehen eigentlich nie aus nur ei-ner Atomart, da reine Stoffe keine ausreichenden me-chanische Eigenschaften für technische Anwendun-gen aufweisen. Daher werden Atome einer anderenArt zugefügt (Legieren). Wenn es gelingt, diese in derfesten Phase zu lösen, dann spricht man von Misch-kristallen. In idealen Mischkristallen sind die zuge-fügten Atome stochastisch verteilt (Bild 2-8a). DieFremdatome ersetzen entweder die Atome auf denGitterplätzen oder sie nehmen Zwischengitterplätzeein (Bild 2-4).Die Mischbarkeit von Kristallen ist gewöhnlich be-grenzt, sie ist bei hoher Temperatur größer als beiniedriger Temperatur. Voraussetzung für eine voll-ständige Mischbarkeit von Kristallen ist die gleicheKristallstruktur beider Komponenten. Unterscheidensich die Gitterkonstanten oder Atomradien um mehrals 15%, so ist die Mischbarkeit meist begrenzt. EinSonderfall sind interstitielle Atome, die sehr kleinsind und in Gitterlücken eingebaut werden. Ein be-stimmtes Verhältnis der Atomradien darf dabei aller-dings nicht überschritten werden. Chemische Voraus-setzungen bestimmen ebenfalls die Löslichkeit, denndie äußeren Elektronen beider Atomarten treten inWechselwirkung miteinander.

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D12 D Werkstoffe

Die Zusammensetzung der Mischphasen wird alsStoffmengengehalt x (in Atomprozent oder Molpro-zent) oder als Massegehalt c (in Gewichtsprozent)angegeben. Letzterer hat den Vorteil, dass er direktmit der Einwaage der Elemente in Zusammen-hang steht. Folgende Beziehungen erlauben dieUmrechnung:

cA =xA · AA · 100

xA · AA + xB · AB=

mA

mA + mB· 100 [Gew.%]

(2-1)

xA =

cAAA

· 100cAAA+ cB

AB

=nA

nA + nB· 100 [Atom.%] (2-2)

Die Umrechnung von Massegehalt in Volumengehalterfolgt mit:

VA =100

1 + cBρA

cAρB

=100

1 + xBABρB

ρA

xAAA

[Vol.%] (2-3)

AA und AB sind die Atomgewichte, mA und mB ent-sprechen der Masse und nA und nB der Anzahl derAtome. A und B sind die Dichten der Komponen-ten A und B. Für die Masse gilt mA = nAAA bzw.mB = nBAB und xA = nA/(nA + nB). Es gilt immer,dass

i∑n=1

xn = 100% (2-4)

ist. Die Anzahl der Elemente ist i. Häufig werdendiese Gehalte nicht in Prozent, sondern in Bruchtei-le von 1 angegeben.In realen Mischkristallen sind die gelösten Atomenicht immer stochastisch verteilt. Wenn sich die bei-den Atomarten anziehen, besteht eine Neigung zurBildung einer chemischen Verbindung. Ist die An-ziehung sehr groß, so bilden sich Ordnungsstruktu-ren (Bild 2-8b). Ist die Anziehung zwischen gleichenNachbarn groß, so gibt es eine Tendenz zur Trennungin A-reiche und B-reiche Bereiche. Dieser Vorgangwird als Entmischung bezeichnet (Bild 2-8c).Oftmals sind Werkstoffe nicht nur aus einer Kris-tallart, sondern aus zwei oder mehr Kristallartenzusammengesetzt. Bereiche mit konstanter Atom-struktur und chemischer Zusammensetzung werdenals Phase bezeichnet. Die Grenze zwischen zweiPhasen wird als Phasengrenze bezeichnet. Diese kannzwischen zwei verschiedenen Kristallarten verlaufen,aber auch zwischen einem Glas und einem Kristall

(z. B. in Keramiken und Kunststoffen). TechnischeWerkstoffe bestehen vornehmlich aus Phasenge-mischen. Beispiele dafür sind Stahl, aushärtbareAluminiumlegierungen, Verbundwerkstoffe.

2.6 Gleichgewichte

Analog zum mechanischen Gleichgewicht wird auchin der Thermodynamik nach labilen, metastabilenund stabilen Gleichgewichten unterschieden. Imstabilen Gleichgewicht weist die Energie ein Mini-mum auf, während im metastabilen Gleichgewichtdie Energie nach Aktivierung noch weiter erniedrigtwerden kann. Im labilen Gleichgewicht genügenhingegen kleinste Schwankungen zur Erniedrigungder Energie. Das thermodynamische Gleichgewichtumfasst das mechanische, thermische (kein Tem-peraturgradient) und chemische (keine chemischeReaktion) Gleichgewicht. Befindet sich ein Stoff imthermodynamischen Gleichgewicht, so ändert sichsein Druck, seine Temperatur, sein Volumen undseine Zusammensetzung mit der Zeit nicht mehr.In diesem Zustand weist die Freie Energie bzw. dieFreie Enthalpie ihr Minimum auf.Häufig sind Werkstoffe im Zustand ihrer Anwendungnicht im thermodynamischen Gleichgewicht. Dies hatzur Folge, dass sie während ihres Einsatzes eine Ten-denz zeigen, ihren Zustand z. B. durch Kristallisati-on oder Entmischung oder Bildung einer chemischenVerbindung zu ändern, wenn man ihnen Gelegen-heit dazu gibt. Dies ist in der Regel mit einer Ände-rung ihrer Eigenschaften (Festigkeit, Härte) verbun-den. Mischphasen und Phasengemische, die sich imGleichgewicht befinden, bleiben jedoch unverändert.Folglich sind Kenntnisse über Gleichgewichte undUngleichgewichte sehr nützlich, sowohl für die Her-stellung von Werkstoffen, als auch zur Einschätzungihres Verhaltens im Einsatz. Es wird zwischen homo-genen und heterogenen Gleichgewichten unterschie-den. Letzere betreffen Stoffe mit mehr als einer Phase.Jedem Stoff kann in seinem vorliegenden Zustandeine charakteristische Freie Enthalpie G = H − TSzugeschrieben werden. H bezeichnet die Enthalpie,S die Entropie und T die Temperatur. Die Änderungder Freien Enthalpie dG = dH − TdS , die eineZustandsänderung begleitet, stellt die treibende Kraftfür diesen Prozess dar. Alle spontan ablaufenden

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2 Aufbau der Werkstoffe D13

Zustandsänderungen müssen mit einer Erniedri-gung der gesamten Freien Enthalpie des Systemsverbunden sein, d. h. ΔG muss negativ sein. ImGleichgewichtszustand, in dem keine treibende Kraftfür eine Zustandsänderungen vorhanden ist, mussfolglich ΔG = 0 gelten. Jede Phase in einem System,ob stabil oder instabil, besitzt ihre Funktion G(T).Dies sei am Beispiel der technisch bedeutendenUmwandlung des (reinen) Eisens verdeutlicht(Bild 2-9a). Bei tiefer Temperatur ist das krz α-Eisenstabil, oberhalb von 911 ◦C (= Tαγ) jedoch daskfz γ-Eisen. Bei 1392 ◦C (= Tγδ) tritt eine weitereUmwandlung in das ebenfalls krz δ-Eisen ein undbei 1536 ◦C (= TδL) beginnt das Eisen zu schmelzen.Die γ → α Umwandlung tritt bei T < 911 ◦C ein,da dann Gα < Gγ und daher eine treibende Kraft fürdie Umwandlung vorhanden ist (Bild 2-9b). DieseUmwandlung ist entscheidende Voraussetzung fürdie Stahlhärtung (siehe 3.3).Ähnliche Überlegungen können für Mehrstoff-systeme angestellt werden. Für die Betrachtungeines Zweistoffsystems wird ein zweidimensionalesTemperatur-Konzentrations-Diagramm benötigt.Bild 2-10a zeigt einen Mischkristall γ, der sichbei tiefen Temperaturen in einen α-Kristall (reichan A) und einen β-Kristall (reich an B) entmischt:das System weist eine Mischungslücke auf. Dieisothermen G(x)-Kurven sind ebenfalls in Bild 2-10

für 3 verschiedene Temperaturen T1 bis T3 gezeigt.Die Konzentration der Phasen, die sich bei einerbestimmten Temperatur im Gleichgewicht befin-den, wird durch die gemeinsame Tangente an dieG(x)-Kurve ermittelt.

Bild 2-9. a Zustandsdiagramm des reinen Eisens mit zweiPhasenumwandlungen (α → γ und γ → δ) im festen Zu-stand. b Freies Enthalpie-Temperatur-Diagramm für Eisenmit γ → α-Umwandlung bei 911 ◦C und Gγ = Gα

Bild 2-10. a Zustandsdiagramm eines Zweistoffsystems mitMischungslücke. Der Mischkristall γ entmischt sich in α-und β-Kristalle. Der stabile Zustand ist der mit der niedrigs-ten Freien Enthalpie: b bei T3 und c T2: Phasengemischeaus α- und β-Kristallen mit bestimmten Zusammensetzun-gen. d Bei T1 ist die Mischphase γ stabil

2.7 Zustandsdiagramme

Phasendiagramme erweisen sich bei der Interpreta-tion metallischer oder keramischer Gefüge als sehrnützlich. Sie zeigen auf, welche Phasen vermutlichvorliegen und geben Daten zu ihrer chemischen Zu-sammensetzungen. Leider geben Phasendiagrammekeine Hinweise darauf, in welcher Form und Vertei-lung die Phasen vorliegen, ob sie sich z. B. lamellar,globular oder intergranular ausbilden. Dies ist aber fürdie mechanischen Eigenschaften entscheidend. Eineweitere Einschränkung besteht darin, dass Zustands-

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D14 D Werkstoffe

diagramme lediglich Gleichgewichtszustände reprä-sentieren, die sich nur bei langsamer Abkühlung bzw.Aufheizung einstellen. Abschrecken, also schnellesAbkühlen, wie es z. B. für die Härtung von Stählenerforderlich ist, erzeugt metastabile Zustände, die inZustandsdiagrammen nicht dargestellt werden. Auchin diesem Fall gibt aber das Zustandsdiagramm dar-über Auskunft, welchen Zustand ein Stoff im Gleich-gewicht anstrebt.Zustandsdiagramme geben z. B. an, bei welcher Zu-sammensetzung die höchste oder geringste Schmelz-temperatur vorliegt; die Anzahl von Phasen und de-ren Volumenanteile bei einer bestimmten Zusammen-setzung; die günstigste Zusammensetzung einer aus-scheidungshärtbaren Legierung; die Temperatur, biszu der aufgeheizt werden darf, ohne dass eine Um-wandlung in eine andere Kristallstruktur oder Auflö-sung oder Entmischung eintritt.Die Gibbs’sche Phasenregel gibt den Zusammenhangzwischen der Anzahl der Phasen P eines Systemsmit K Komponenten und dem äußeren Druck sowieTemperatur und der chemischen Zusammensetzungan. Die Freiheitsgrade F des Systems ergeben sich zu:

F = K − P + 2 (2-5)

In der Praxis ist der Druck meist konstant, sodasssich die Zahl der Freiheitsgrade um 1 reduziert:

F = K − P + 1 (2-6)

Wenden wir dies auf das System mit der Mi-schungslücke (Bild 2-10) an, so erhalten wir K = 2(Komponenten A und B), P = 1 im Gebiet des homo-genen Mischkristalls γ, P = 2 im heterogenen Gebiet(α + β). Somit ergibt sich F = 2 im homogenen undF = 1 im heterogenen Gebiet. Dies bedeutet, dass imhomogenen Gebiet die Freiheitsgrade Temperatur undKonzentration geändert werden können, ohne dasseine Zustandsänderung eintritt. Im Zweiphasengebiet(α+ β) existiert jedoch nur ein Freiheitsgrad, d. h. beiTemperaturänderung ändert sich notwendigerweiseauch die Zusammensetzung und umgekehrt.Es gibt vielfältige Ausbildungen von Zustandsdia-grammen. Im Folgenden werden einige wichtige bi-näre Grundtypen vorgestellt. Kompliziertere Systemesetzen sich aus diesen zusammen (Bild 2-11).

Bild 2-11. Grundtypen einiger wichtiger binärer Zustands-diagramme. a Nahezu vollständige Unmischbarkeit imflüssigen (L) und festen (S) Zustand. Beispiel: Fe-Mg,Fe-Pb. b Vollständige Mischbarkeit im flüssigen und festenZustand. xL = Konzentration der Schmelze, xS = Kon-zentration des Kristalls beim Erstarren. Beispiel: Cu-Au.c Eutektisches System mit vollständiger Mischbarkeit imflüssigen und begrenzter Mischbarkeit im festen Zustand.Beispiel: Al-Si. d Peritektisches System vollständigerMischbarkeit im flüssigen und begrenzter Mischbarkeitim festen Zustand. Niedrig schmelzende Komponente Aund hoch schmelzende Komponente B. Beispiel: Cu-Zn(Messing). e Verbindung V bildet mit den ElementenA und B eutektische Teilsysteme. f Verbindung V mitstöchiometrischer Zusammensetzung AxBy, zersetzt sichbeim Schmelzen in L + B

� (Fast) völlige Unmischbarkeit der Komponen-ten A und B im flüssigen und festen Zustand(Bild 2-11a): Es gibt im Diagramm lediglich ho-rizontale Linien bei den Schmelz- und Siedetem-peraturen. Mischbarkeit liegt erst im Gaszustandvor. Stoffe, die nicht miteinander reagieren dür-fen, sollten dieses Zustandsdiagramm besitzen.Beispiel: Schmelzen von Blei in Eisentiegeln.

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2 Aufbau der Werkstoffe D15

� Völlige Mischbarkeit im festen und flüssigenZustand (Bild 2-11b): Die jeweiligen reinenKomponenten A und B besitzen einen Schmelz-punkt, die Gemische jedoch ein Schmelzintervall.Beim Abkühlen einer Schmelze mit der Kon-zentration x bildet sich zuerst ein Kristall derZusammensetzung xS. Bei weiterer Abkühlungändert sich diese bis zu x. Parallel dazu ändertsich die Zusammensetzung der Schmelze von xnach xL. Beispiele für Mischkristallsysteme sindAl-Mg-Legierungen und α-Messing.

� Vollständige Mischbarkeit im flüssigen Zustandbei begrenzter Mischbarkeit im festen Zustand:Die Komponenten A und B weisen ähnlicheSchmelztemperatur auf. Zumischen von B in A(sowie A in B) erniedrigt den Schmelzpunkt(Bild 2-11c). Der Schnittpunkt der beidenLöslichkeitslinien flüssig → kristallin ist dereutektische Punkt. Bei dieser Temperatur sinddrei Phasen im Gleichgewicht, nämlich dieMischkristalle α und β sowie die Schmelze. BeimAbkühlen einer Schmelze mit Zusammenset-zung xE tritt bei TE die Reaktion L → α + βein, wobei sich α und β gleichzeitig bilden.Gusslegierungen sind häufig eutektische Sys-teme, da ihre Schmelztemperatur niedrig unddie Gefügeausbildung fein ist. Beispiele sindAl-Si-Gusslegierungen sowie Gusseisen, aberauch Lote. Sind die Schmelztemperaturen derbeiden Komponenten sehr verschieden, so kannsich ein Dreiphasengleichgewicht einstellen,das als peritektisches System bezeichnet wird(Bild 2-11d). Beim Abkühlen aus der Schmelzeentsteht zuerst ein Mischkristall entsprechenddem Zweiphasengleichgewicht L + β. BeiTP tritt die Reaktion L + β = α ein, bei derα-Mischkristalle gebildet werden. Beispieledafür sind Mischkristalle in Messing- undBronzelegierungen.

� Bildung einer Verbindung: Die Komponenten Aund B reagieren miteinander und bilden eineneue Phase V mit der Zusammensetzung AxBy

(Bild 2-11e). Diese hat eine andere Kristallstruk-tur als die Komponenten A und B. Manchmalbesitzt die Verbindung ein definiertes stöchiome-trisches Verhältnis von A und B und erscheintals vertikale Linie im Diagramm (Bild 2-11f).

Häufig existiert sie aber über einen gewissenBereich der Zusammensetzung, sodass der Be-griff Verbindung dann nicht ganz korrekt ist.Der Schmelzpunkt der Phase V kann höheroder niedriger sein als der der Komponenten.Dies gibt erste Hinweise auf die Stabilität derVerbindung. Weist die Verbindung nur einegeringe Mischbarkeit mit A und B auf, soergibt sich ein einfaches Zustandsdiagramm,das sich auf A + AxBy sowie AxBy + B zu-rückführen lässt. Ein Beispiel für ein solchesZustandsdiagramm findet sich im System Mg-Simit der Verbindung Mg2Si. Häufig sind Ver-bindungen hart und spröde und weisen einekomplexe Kristallstruktur auf (z. B. Fe3C, Al2Cu)

Systeme mit drei und mehr Komponenten könnenebenfalls dargestellt werden. Dies erfordert jedoch ei-ne räumliche Darstellung, auf die hier nicht weitereingegangen werden soll. Zusammenfassende Dar-stellungen binärer und ternärer Zustandsdiagrammelassen sich in der Literatur z. B. in [4] finden.Abschließend bleibt die Frage zu beantworten, wiedie sich bildenden Mengenanteile für eine bestimmteZusammensetzung ermittelt werden kann. Hierzuwendet man die Hebelregel an, was im Folgenden mitBild 2-12 erläutert werden soll. Man denke sich beieiner bestimmten Temperatur im Zweiphasengebieteinen zweiarmigen Hebel mit Drehpunkt bei c undden Gewichten mL (Schmelze) und mS (Kristall).Dann ergeben sich die Mengenanteile zu:

mL · (c − cL) = mS · (cS − c) (2-7)

Anschaulich ausgedrückt: kurzer Hebelarm in Rich-tung A bedeutet viel Schmelze, langer Hebelarm inRichtung B bedeutet wenig Kristall. Die Hebelre-gel kann immer im Zweiphasengebiet angewendetwerden, also auch um z. B. die Menge an α- undβ-Mischkristall im Gebiet (α + β) zu bestimmen (vgl.Bild 2-11).

2.8 Diffusionsprozesse

Diffusionsvorgänge sind in der Werkstofftechnikvon großer Bedeutung, denn sie kontrollierenz. B. die Wärmebehandlung, Phasenumwandlungen,Hochtemperaturkorrosionsprozesse, Erholung undRekristallisation und die Hochtemperaturverformung.

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D16 D Werkstoffe

Bild 2-12. Bestimmung der Mengenanteile von Schmelzeund Mischkristall aus dem Zustandsdiagramm mit Hilfe derHebelregel

Der Begriff Diffusion beschreibt thermisch aktivierteStofftransportvorgänge, die mit der Wanderungeinzelner Atome verbunden ist. Diffusion kann inGasen, Flüssigkeiten und Festkörpern stattfinden.Im Folgenden wird die Diffusion in Festkörpernbeschrieben. Dafür gibt es verschiedene Mecha-nismen. Zwischengitteratome besitzen eine geringeLöslichkeit, daher stehen ihnen meistens alle benach-barten Zwischengitterplätze frei. Die Diffusion vonZwischengitteratomen tritt häufig in Legierungenauf, die H, C oder N enthalten, z. B. Diffusion vonKohlenstoff im Stahl. Gitteratome (Selbstdiffusion)und Substitutionsatome (Fremddiffusion) benötigenfür Platzwechsel Leerstellen, deren Konzentration isterheblich geringer. Daher hängen diese Prozesse vonder Leerstellenkonzentration und deren Temperatur-abhängigkeit ab. Leerstellen liegen immer auch imGleichgewicht vor, im Ungleichgewicht (z. B. nachAbschrecken von hoher Temperatur, nach plastischerVerformung) ist ihre Konzentration höher als imGleichgewicht. Diffusionsprozesse machen sichbemerkbar bei Temperaturen, die etwa 0,3 bis 0,5mal der Schmelztemperatur in Kelvin entsprechen.Liegen verschiedene Atomarten vor und ist im Misch-kristall oder in Phasengemischen ein Konzentrations-unterschied vorhanden, so streben Diffusionsvorgän-ge zur Einstellung der Gleichgewichtskonzentration.Dies wird durch das 1. Fick’sche Gesetz beschrieben:

j = −D

(c1 − c2

x1 − x2

)= −D

(ΔcΔx

)= −D

∂c∂x

(2-8)

Über eine Entfernung Δx im Gitter besteht ein(negativer) Konzentrationsgradient ∂c/∂x, sodass sichaufgrund der Diffusion ein (positiver) Stofftrans-portstrom j einstellt. j beschreibt die transportierteMasse pro Flächen- und Zeiteinheit und ist demKonzentrationsgradienten ∂c/∂x proportional. Das2. Fick’sche Gesetz beschreibt die zeitlichen Konzen-trationsänderungen:

∂c∂t= − d j

dx= D

∂2c∂x2

(2-9)

Die expliziten Lösungsformen des 2. Fick’schenGesetzes hängen von den Anfangsbedingungen desjeweils betrachteten Diffusionsproblems ab undhaben die Form c(x, t). Der Diffusionskoeffizient Dist ein Maß für die Beweglichkeit der diffundierendenAtome und wird durch den folgenden Zusammen-hang beschrieben:

D = D0 · exp(− QD

RT

)(2-10)

QD ist die Aktivierungsenergie für Diffusion undwird durch die Bildungs- und Wanderungsenergie derLeerstellen bestimmt. Die Temperaturabhängigkeitdes Diffusionskoeffizienten ist in Bild 2-13 alsArrhenius-Diagramm dargestellt. Häufig genügt dieNäherungsformel

x̄ = 2√

Dt , (2-11)

um den mittleren Weg x̄ anzugeben, den ein Atom miteinem Diffusionskoeffizienten D(T ) bei einer Tempe-ratur T nach einer Zeit t zurückgelegt hat. Dies er-möglicht z. B. die Abschätzung, welche Zeit für denKonzentrationsausgleich einer Probe mit Konzentra-tionsunterschieden bei einer Glühung bei einer kon-stanten Temperatur erforderlich ist.Die vorangegangenen Beschreibungen (Volumendif-fusion) setzten voraus, dass abgesehen von den Leer-stellen keine Gitterbaufehler vorliegen. Im realen Git-ter sind aber Versetzungen, Korngrenzen und freieOberflächen vorhanden, die die Diffusion beeinflus-sen, denn sie sind Pfade bevorzugter Diffusion (Ver-setzungsdiffusion, Korngrenzendiffusion). In der Um-gebung dieser Defekte können sich die Atome ein-facher bewegen und die Platzwechselhäufigkeit istdaher höher. Beispiele für die Folge dieser Prozes-se sind das bevorzugte Wachstum von Ausscheidun-gen entlang von Versetzungen und Korngrenzen oder

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2 Aufbau der Werkstoffe D17

Bild 2-13. Temperaturabhängigkeit des Diffusionskoeffizienten D für Kohlenstoff und Eisen (Selbstdiffusion) im Ferrit-und Austenitkristallgitter (unter Verwendung von Daten aus [5])

auch das Diffusionskriechen bei tieferen Temperatu-ren. Bei tiefen Temperaturen ist Diffusion über Git-terfehler sehr viel größer als die Volumendiffusion,während bei hoher Temperatur die Volumendiffusionschneller abläuft als über Gitterfehler.

2.9 Keimbildung von Phasenumwandlungen

Die Keimbildung als Startvorgang von Phasenum-wandlungen ist für verschiedene Prozesse in derWerkstofftechnik von Bedeutung. Beispiele sinddie Erstarrung beim Gießen (Übergang flüssig-fest)oder das Vergüten von Stahl (Übergang fest-fest).Keimbildung im flüssigen und festen Zustand kannanalog behandelt werden. Bei der Keimbildung imflüssigen Zustand entfällt der Term für die Verzer-rungsenergie. Im Folgenden wird die Keimbildungim festen Zustand beschrieben.Unter der Annahme, dass sich Ausscheidun-gen (= Keime) im festen Zustand durch homogeneKeimbildung bilden, kann die folgende Energiebilanzaufgestellt werden:

ΔG = VΔgV + Aγ + VΔgs (2-12)

ΔgV ist der Gewinn an Freier Enthalpie pro Volumengebildeter Ausscheidung (also ist ΔgV negativ), γdie aufzubringende Grenzflächenenergie durch dieneu zu bildende Oberfläche der Ausscheidung undΔgs die aufzubringende Verzerrungsenergie, da das

Teilchen aufgrund der Volumendifferenz nicht ganzgenau in das Matrixgitter passt. Unter der Annahmekugelförmiger Keime ergibt sich:

ΔG =43πr3 (ΔgV + Δgs) + 4πr2γ (2-13)

Die in (2-13) auftretenden Terme sind schematischin Bild 2-14 dargestellt. Durch die Umwandlungwird Energie gewonnen. Die frei werdende FreieEnthalpie ist proportional r3. Die Kurve für ΔG hatein Maximum bei ΔG∗ und r∗. Nach Nullsetzen derersten Ableitung von (2-13) erhält man den kritischenTeilchenradius:

r∗ = − 2γ(ΔgV + Δgs)

(2-14)

Ist der Radius des Teilchens größer als r∗, so kann eswachsen. Wird diese Beziehung in (2-13) eingesetzt,so erhält man:

ΔG∗ =16πγ3

3 (ΔgV + Δgs)2(2-15)

Die Keimbildungsrate N ist die Anzahl der Keime,die pro Zeit- und Volumeneinheit überkritisch wer-den. Sie ist proportional zur Oberfläche des Keimsund zur Platzwechselhäufigkeit an der Oberfläche.

N = C exp(− Q

kT

)exp

(−ΔG∗

kT

)(2-16)

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D18 D Werkstoffe

Bild 2-14. Schematische Darstellung der Energiebilanz fürhomogene Ausscheidung im festen Zustand

Dabei ist C die Anzahl der Keimbildungsorte pro Vo-lumen, Q die Aktivierungsenergie für Diffusion, k dieBolzmann-Konstante und T die absolute Temperatur.Ausscheidungen werden nach der Natur ihrerGrenzfläche unterschieden: kohärent ohne Verzer-rung, kohärent mit Verzerrung, teilkohärent undinkohärent. Kohärente Ausscheidungen haben einegeringe Grenzflächenenergie (0–200mJ m−2), aberdie Verzerrung kann groß sein. Teilkohärente Aus-scheidungen haben eine höhere Grenzflächenenergie(200–500mJ m−2). Inkohärente Ausscheidun-gen besitzen die höchste Grenzflächenenergie(500–1000mJ m−2) aber keine Kohärenzspannun-gen.Bei der heterogenen Keimbildung wirken Gitterde-fekte als bevorzugte Keimbildungsorte, zum Beispiel(mit steigender Wirksamkeit):

� homogene Orte� Leerstellen� Versetzungen� Korngrenzen und Phasengrenzen� freie Oberflächen.

2.10 Metastabile Zustände

In 2.6 wurde das thermodynamische Gleichgewichtals Zustand niedrigster Freier Enthalpie definiert.Häufig begegnen uns allerdings Zustände, die dieseVoraussetzung nicht erfüllen und trotzdem für relativlange Zeit stabil sind. Strukturwerkstoffe wie z. B.gehärteter Stahl, ausscheidungsgehärtete Aluminium-legierungen oder Kunststoffe befinden sich währendihres Einsatzes im metastabilen Gleichgewicht. DieseZustände treten auf, wenn die Keimbildung einerstabileren Phase aufgrund der dafür erforderlichenAktivierungsenergie (z. B. aufgrund von hoherGrenzflächen- und Verzerrungsenergie) wenigerwahrscheinlich ist. Dies ist z. B. in dem technischwichtigen Kohlenstoffstahl der Fall. Eisen bildetein stabiles Gleichgewicht mit Graphit. Das CarbidFe3C ist weniger stabil, trotzdem bildet sich fastausschließlich Carbid im Stahl, der auch nach langerZeit nicht in Graphit umwandelt. Es gibt also imZustandsdiagramm Fe-C ein stabiles System Eisen-Graphit und ein metastabiles System Fe-Fe3C, diehäufig gemeinsam dargestellt werden. Die Gleichge-wichtskonzentrationen und -temperaturen sind darinetwas verschieden.Die Ausscheidungshärtbarkeit von Aluminiumlegie-rungen (2.12) basiert ebenfalls auf der Bildung ver-schiedener metastabiler Phasen. Sie treten in der Rei-henfolge zunehmender Aktivierungsenergie auf.Die Struktur stark verformte Metalle ist ebenfalls me-tastabil und kann durch Erholung und Rekristallisa-tion (siehe 2.11) in einen Zustand geringerer Energiegelangen.Die Tatsache, dass sich nahezu kein Strukturwerk-stoff im thermodynamischen Gleichgewicht befindet,hat Folgen für die Stabilität von Gefügen, da diesesich mehr oder weniger stark mit den entsprechen-den Konsequenzen für die Eigenschaften während desEinsatzes von Werkstoffen ändern kann. Dies wirdvon Martin, Doherty und Cantor [6] ausführlich be-handelt.

2.11 Erholung und Rekristallisation

Erholungsprozesse erfordern thermisch aktivierteProzesse, also Platzwechsel im Gitter bei Temperatu-ren, die dieses ermöglichen. Die Erholung plastischverformter und verfestigter Kristalle besteht aus der

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2 Aufbau der Werkstoffe D19

Umordnung von Versetzungen durch Annihilation(Auslöschung von Versetzungen mit gegensätzlichemVorzeichen, wenn diese auf verschiedenen Gleitebe-nen aufeinander zuklettern) oder durch Bildung vonKleinwinkelkorngrenzen, eine Anordnung, die nied-rigere Energie besitzt als die homogene Verteilungvon Versetzungen (Bild 2-15). Die Versetzungsdichtewird dabei nur teilweise abgebaut. Bei Wechselwir-kung der Versetzungen mit Leerstellen können dieVersetzungen klettern, wobei die Leerstellen in denBereich der Druckspannungen der Versetzung dif-fundiert und sich dort anlagert. Dadurch wandert einAtom von der Versetzung fort und die Versetzungs-linie wird normal zum Burgers-Vektor verschoben.Ein erholtes Gefüge ist durch ein Subkorngefüge mitKleinwinkelkorngrenzen gekennzeichnet. Währenddes Erholungsprozesses nehmen innere Spannungenund die Streckgrenze ab. Während der Erholungbewegen sich die Korngrenzen nicht.Bei Temperaturen oberhalb von 0,5 mal der Schmelz-temperatur (in Kelvin) tritt in stark verformtenMetallen Rekristallisation ein. Dieser Begriff umfasstalle Prozesse, die mit Neubildung und Wachstum vonweitgehend versetzungsfreien Körnern verbundensind (Bild 2-15). Treibende Kraft dafür ist diegesamte Versetzungsenergie, die in den durch dieVerformung eingebrachten Versetzungen steckt. DieNeubildung kann durch Keimbildung und -wachstum

Bild 2-15. Schematische Darstellung von Erholungs- undRekristallisationsprozessen

bestimmt sein (diskontinuierliche Rekristallisation)oder durch Vergröberung der Subkörner des Erho-lungsgefüges, verbunden mit einer Zunahme desOrientierungsunterschieds (kontinuierliche Rekris-tallisation). Der auftretende Mechanismus hängtu. a. vom Werkstoff, von der Verformung, vomTemperatur-Zeit-Verlauf der Wärmebehandlung ab.Nach der Rekristallisation weist der Werkstoff Eigen-schaften (Streckgrenze, Bruchdehnung, Härte) auf,wie sie auch für den unverformten Zustand vorliegen.Einen guten und umfassenden Überblick über diesesGebiet geben Humphreys und Hatherly [7].

2.12 Ausscheidungs-und Umwandlungsprozesse

Voraussetzung für die Ausscheidungshärtung ist ei-ne mit sinkender Temperatur abnehmende Löslichkeitim Mischkristall, wie es schematisch in Bild 2-16agezeigt ist. Ein wichtiges Beispiel dafür ist das Sys-tem Aluminium-Kupfer, an dem die Aushärtbarkeitvon Aluminiumlegierungen von Alfred Wilm 1906entdeckt wurde. Zur Ausscheidungshärtung von Le-gierungen müssen folgende Schritte eingeleitet wer-den (Bild 2-16b):

� Lösungsglühen zur Auflösung löslicher Phasenund Maximierung der Gehalte gelöster Atomeund Leerstellen

� Abschrecken zur Erhaltung der Übersättigung ge-löster Atome und Leerstellen

� Kaltauslagerung (bei Raumtemperatur) oder� Warmauslagerung (bei erhöhter Temperatur).

Nach dem Abschrecken wird die Übersättigung abge-baut durch:

� homogene Keimbildung (ohne Hilfe von bereitsexistierenden Keimbildungsorten),

� heterogene Keimbildung (Keimbildung an Hete-rogenitäten wie Versetzungen, Korngrenzen) oder

� spinodale Entmischung (keine Barriere für denEntmischungsprozess).

Die Keimbildung im festen Zustand basiert auf dengleichen Einflussgrößen wie bei der Erstarrung.Die Stadien während des Ausscheidungsprozesses(beim Kalt- oder Warmauslagern) sind in der Regel

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D20 D Werkstoffe

Bild 2-16. a Voraussetzung für eine Ausscheidungshärtung ist eine mit sinkender Temperatur abnehmende Löslichkeit.b Wärmebehandlung zum Herbeiführen einer Ausscheidungshärtung: Aufheizen auf Lösungsglühtemperatur und Haltenbei dieser Temperatur, Abschrecken, Aushärten bei Raumtemperatur oder erhöhter Temperatur

Keimbildung, Wachstum der Ausscheidungen unterZunahme ihres Volumenbruchteils und schließ-lich Vergröberung, wobei sich der ausgeschiedeneVolumenbruchteil nicht mehr ändert.

3 Metallische Werkstoffe3.1 Herstellung metallischer Werkstoffe

Metallische Werkstoffe werden aus metallhaltigenMineralien (Erzen) in den Verfahrensstufen Rohstoff-gewinnung, Aufbereitung und Metallurgie gewonnen.Die Technologien zur Gewinnung von Rohstoffengehören zum Bereich der Bergbautechniken. Sieumfassen das Erkunden, Erschließen, Gewinnen,Fördern und Aufbereiten von abbauwürdigen Lager-stätten mineralischer Rohstoffe und Erze. Die Erzeenthalten das gewünschte Metall nicht in metallischerForm, sondern in Form chemischer Verbindungen:Oxide, Sulfide, Oxidhydrate, Carbonate, Silicate.Bei der Aufbereitung, der Vorstufe der Umwandlungvon Rohstoffen in Werkstoffe wird das geförderteErz zunächst durch Brechen und Mahlen der Zer-kleinerung unterworfen und dann Trennprozessenzugeführt, welche die metalltragenden Komponentenseparieren, z. B. Trennung durch (a) unterschiedlichemagnetische Eigenschaften, (b) Schwerkraft, (c)unterschiedliche Löslichkeit in Säuren oder Lau-gen, (d) unterschiedliches Benetzungsverhalten inorganischen Flüssigkeiten (Flotation). Eisenerze,die Sulfide, aber auch Oxidhydrate oder Carbonateenthalten, werden durch Erhitzen an Luft („Rösten“)

in Oxide überführt, wobei SO2 bzw. H2O oder CO2

frei werden; SO2 wird abgebunden oder verwertet.Die Herstellung metallischer Werkstoffe aus den auf-bereiteten Erzen oder metallhaltigen Rückständen, ih-re Raffination und Weiterverarbeitung (insbesonde-re zu Legierungen) erfolgt mit Methoden der Me-tallurgie (Hüttenwesen). Ein grundlegender metallur-gischer Prozess besteht darin, die in Erzen z. B. inForm von Metalloxiden gebundenen Metallbestand-teile durch Aufbrechen der Bindung zwischen Me-tall (M) und Sauerstoff (O) freizusetzen. Der Reduk-tionsvorgang

MxOy + ΔGMxOy → xM + (y/2)O2

erfordert die Zufuhr der Bildungsenthalpie ΔGM desOxids.Kennzeichnend für die verschiedenen metallurgi-schen Verfahren sind sowohl die Prozesstechnologieals auch der für die Erzreduktion erforderlicheEinsatz an chemischen Reduktionsmitteln undelektrischer Energie.

3.2 Einteilung der Metalle

Die Einteilung der Metalle kann nach verschiedenenMerkmalen, wie z. B. Stellung im Periodensystem,Dichte, Schmelztemperatur, sowie physikalischenoder technologischen Eigenschaften erfolgen.Knapp 70 der 90 natürlichen Elemente sind Metalle,wobei je nach Stellung im Periodensystem die folgen-de Einteilung üblich ist:

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3 Metallische Werkstoffe D21

– Alkali- (oder A-)Metalle: Gruppe Ia (ohne H)– Edle Metalle: Gruppe Ib– B-Metalle: Gruppe II, Gruppe IIIa (ohne B), Grup-

pe IVa (ohne C), Gruppe Va (ohne N, P)– Übergangsmetalle: Gruppe IIIb bis Gruppe VIIIb– Lanthanoide– Actinoide

Nach der Dichte werden unterschieden (vgl. Tabel-le 9-1):

– Leichtmetalle: Dichte < 4,5 kg/dm3

– Schwermetalle: Dichte > 4,5 kg/dm3.

Das Kriterium Schmelztemperatur führt zu folgenderEinteilung (vgl. Tabelle 9-8, Abschnitt 9.3.3):

– Niedrigschmelzende Metalle:Schmelztemperatur < 1000 ◦C

– Mittelschmelzende Metalle:∼ 1000 ◦C < Schmelztemperatur < 2000 ◦C

– Hochschmelzende Metalle:Schmelztemperatur > 2000 ◦C .

Die metallischen Werkstoffe sind nach wie vor diewichtigsten Konstruktions- oder Strukturwerkstoffe.Sie werden in die beiden großen Gruppen der Eisen-werkstoffe und der Nichteisenmetalle (NE-Metalle)eingeteilt.„Hartmetalle“ kennzeichnen eine Übergangsgruppezu den „Keramiken“ (siehe 4.3.4).

3.3 Eisenwerkstoffe

Als Eisenwerkstoffe werden Metalllegierungenbezeichnet, bei denen der Massenanteil des Eisenshöher ist als der jedes anderen Legierungselements.Reines Eisen ist wegen seiner geringen Festigkeitnicht als Konstruktionswerkstoff geeignet; seinebesonderen magnetischen Eigenschaften sind je-doch für die Elektrotechnik von Bedeutung. Daswichtigste Legierungselement des Eisens ist Kohlen-stoff. Abhängig vom Kohlenstoffgehalt und von derWärmebehandlung erhält man verschiedene Stähleund Gusseisen, für deren Verständnis das Eisen-Kohlenstoff-Zustandsdiagramm eine wesentlicheBasis darstellt [1]. (Eigenschaften und technischeDaten der Eisenwerkstoffe: siehe 9.)

3.3.1 Eisen-Kohlenstoff-Diagramm

Im thermodynamischen Gleichgewicht liegen ineinem Eisen-Kohlenstoff-System Eisen und Koh-lenstoff als Graphit nebeneinander vor (stabilesSystem). In der Praxis häufiger benutzt wird dasmetastabile Eisen-Zementit-Diagramm. Zementit istdas Eisenkarbid, Fe3C, das bei langen Glühzeiten ineine Eisenphase und Graphit zerfällt. Aus dem Eisen-Kohlenstoff-Zustandsdiagramm, Bild 3-1, lassensich die verschiedenen Gefügezustände als Funktionvon Kohlenstoffgehalt und Temperatur entnehmen.Die Zustandsfelder der einzelnen Phasen werdenvon Linien begrenzt, die durch die Buchstaben ihrerEndpunkte bezeichnet werden. Diese Linien könnenals Verbindungslinien der Haltepunkte, die als Ver-zögerungen bei Erwärmung oder Abkühlung infolgeGefügeumwandlung auftreten, angesehen werden.Bei Temperaturen oberhalb der Liquiduslinie ABCDliegen Eisen-Kohlenstoff-Lösungen als Schmelzevor. Sie erstarren in Temperaturbereichen, die zwi-schen der Liquiduslinie ABCD und der SoliduslinieAHIECF liegen. Mit abnehmender Temperaturnimmt der Anteil der ausgeschiedenen Kristalle inder Schmelze zu, bis an der Soliduslinie die Schmelzevollständig erstarrt ist. Das am niedrigsten Erstar-rungspunkt aller Schmelzen (Punkt C) einheitlicherstarrende Gefüge wird Eutektikum genannt.Im erstarrten Zustand ergeben sich für verschiedeneBereiche von C-Gehalt und Temperatur unterschiedli-che Phasen und Gefüge. Beim reinen Eisen treten Mo-difikationen mit kubisch raumzentriertem (krz) oderdem dichteren kubisch flächenzentriertem (kfz) Git-ter auf, die sich an den Haltepunkten Ar, Ac (r re-froidissement: Abkühlung; c chauffage: Erwärmung)umwandeln. Man unterscheidet:

• α-Fe (Ferrit); krz; ϑ < 911 ◦C (A3) (unter ϑ =769 ◦C, Curie-Temperatur, ist α-Fe ohne Gitterum-wandlung ferromagnetisch)

• γ-Fe (Austenit); kfz; 911 ◦C < ϑ < 1392 ◦C (A4)• δ-Fe (δ-Eisen); krz; 1392 ◦C < ϑ < 1536 ◦C

Bei C-Gehalten > 0 wird Kohlenstoff im α-, γ- undδ-Eisen in Zwischengitterplätzen eingelagert, wobeiMischkristalle (MK) bis zu den folgenden maximalenLöslichkeiten des Kohlenstoffs in Eisen entstehen:

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D22 D Werkstoffe

• α-Mischkristall; 0,02 Gew.-% C bei 723 ◦C (A1)• γ-Mischkristall (Austenit); 2,06 Gew.-% C bei

1147 ◦C• δ-Mischkristall; 0,1 Gew.-% C bei 1493 ◦C

Wird der maximal lösliche C-Gehalt überschritten,so werden im stabilen System Kohlenstoff (Graphit)oder im technisch wichtigeren metastabilen SystemZementit Fe3C ausgeschieden. Das metastabileSystem beschreibt dann die Reaktionen zwischenEisen und Zementit. Ein Gehalt von 100% Zementitentspricht 6,69 Gew.-% C. Fe3C weist eine relativhohe Härte (1400 HV) auf und besitzt ein kompli-ziertes Gitter (orthorhombisch) mit 12 Fe-Atomenund 4 eingelagerten C-Atomen je Elementarzelle.Eisen-Kohlenstoff-Legierungen mit einem C-Gehalt> 6,69 Gew.-% besitzen keine technische Bedeutung.Die am niedrigsten Liquiduspunkt C bei 4,3 Gew.-% C vorliegende Schmelze zerfällt bei Erstarrung imfesten Zustand in ein als Eutektikum bezeichnetesfeinverteiltes Gemenge von γ-Mischkristallen (Auste-

Bild 3-1. Eisen-Kohlenstoff-Diagramm (metastabiles System)

nit) mit 2,06 Gew.-% C und Fe3C-Kristallen (Zemen-tit) mit 6,69 Gew.-% C. Im übereutektischen Bereich(> 4,3 Gew.-% C) bilden sich Gefüge aus Ledebu-rit und Primärzementit, im untereutektischen Bereich(< 4,3 Gew.% C) Gefüge aus Austenit, Ledeburit undSekundärzementit. (Sekundärzementit entsteht durchAusscheidung von Eisenkarbid aus Austenit).Das bei der Abkühlung von homogenem Austenit(γ-Mischkristalle) bei einem C-Gehalt von 0,8Gew.-% entstehende Eutektoid Perlit besteht ausnebeneinanderliegendem lamellenförmigem Ferrit(α-Mischkristalle) und Zementit. Bei untereutektoi-den Legierungen (< 0,8 Gew.-% C) scheiden sich vorErreichen des Perlitpunktes (S) Ferritkristalle aus,bei übereutektoiden Legierungen (> 0,8 Gew.-% C)bildet sich Sekundärzementit.Die im Eisen-Kohlenstoff-Zustandsdiagramm an-gegebenen Zustandsfelder gelten nur dann, wennfür die Einstellung der Gleichgewichte und dieerforderlichen Diffusionsvorgänge genügend Zeit zurVerfügung steht.

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3 Metallische Werkstoffe D23

3.3.2 Wärmebehandlung

Die zur Erzeugung bestimmter Gefügezuständeoder Werkstoffeigenschaften eingesetzten Verfahrender Wärmebehandlung bestehen aus den Verfah-rensschritten Erwärmen, Halten und Abkühlen undumfassen das Härten und die Glühbehandlungen.

a) HärtenBeim Härten werden durch rasches Abkühlen ausdem Austenitfeld des Fe-C-ZustandsdiagrammsGefügezustände mit höherer Härte und Festigkeiterzeugt.Die Kinetik der Umwandlung des Austenits inandere Phasen wird durch ein Zeit-Temperatur-Umwandlungsdiagramm (ZTU-Diagramm) beschrie-ben (Bild 3-2). In einem Zeit-Temperatur-Koordina-tensystem werden Kurven gleichen Umwandlungs-grades eingetragen (0%: Beginn, 100%: Ende derUmwandlung). Die Umwandlungsmechanismen unddie Gefügeausbildung der Umwandlungsprodukte(Austenit, Perlit, Bainit und Martensit) hängen vonder Abkühlgeschwindigkeit ab. In Abhängigkeit vonder Abkühlgeschwindigkeit lässt sich Austenit diffu-sionsgesteuert in Perlit oder in ein als Bainit bezeich-netes feines Gemenge von Ferrit und Carbid umwan-deln. Durch sehr rasche Abkühlung (Abschrecken)kann die diffusionsgesteuerte Umwandlung in diebeiden Gleichgewichtsphasen unterdrückt und nachUnterschreiten der sog. Martensit-Starttemperatur

Bild 3-2. Isothermes Zeit-Temperatur-Umwandlungsschaubild (ZTU-Schaubild):schematische Darstellung für eutektoiden Stahl

(Ms) eine diffusionslose Umwandlung (Umklappen)der kfz Elementarzellen des Austenits in die tetra-gonal verzerrten Gefügestrukturen des Martensitsbewirkt werden. Infolge der hohen Übersättigung anZwischengitter-C-Atomen und einer durch die Git-terverzerrungen erhöhten Versetzungsdichte zeichnetsich das aus latten- und plattenförmigen Strukturenbestehende Martensitgefüge durch hohe Härte aus.Das beim Härten entstehende hart-spröde Mar-tensitgefüge wird meist angelassen oder vergütet:Erwärmen auf 200 bis 600 ◦C, um spröden Martensitdurch Abbau von Spannungen und Ausscheidungvon Carbiden in einen duktileren Zustand zu überfüh-ren. Eine auf die Oberflächen beschränkte Härtung(Randschichthärten) ist mit Flammenhärten, La-serhärten und dem Induktionshärten möglich. Beizu geringem C-Gehalt eines Bauteils kann durchAufkohlen (Einsetzen in C-abgebende Mittel) eineC-Anreicherung erreicht und durch das Einsatzhärteneine hohe Oberflächenhärte bei hoher Zähigkeitdes Kern erzielt werden. Eine Oberflächenhärtungkann auch durch thermochemische Behandlungenunter Eindiffundieren bestimmter Elemente, wie z. B.Stickstoff, Bor oder Vanadium, vorgenommen wer-den. Von besonderer technischer Bedeutung ist dasNitrieren, das im Ammoniakstrom (Gasnitirieren), inSalzbädern (Badnitrieren) oder unter Ionisation desStickstoffs durch Glimmentladung (Plasmanitrieren)durchgeführt werden kann.

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D24 D Werkstoffe

b) GlühbehandlungenDurch Glühbehandlungen bei einer bestimmten Tem-peratur und Haltedauer sowie nachfolgendem Ab-kühlen werden bestimmte Gefügezustände und Werk-stoffeigenschaften erreicht. Wichtige Verfahren sind:

– Normalglühen, (Normalisieren). Erwärmen kurzüber die Gleichgewichtslinie (GOS) im Austenit-gebiet und anschließendes Abkühlen an Luft führtzur völligen Umkristallisation und Ausbildungeines feinkörnigen perlitisch ferritischen Gefüges.

– Weichglühen. Verbesserung des Formänderungs-vermögens durch längeres Pendelglühen imTemperaturbereich der Perlitumwandlung, wobeisich die im streifigen Perlit vorliegenden Ze-mentitlamellen in die energieärmere rundlicheCarbidform umwandeln.

– Rekristallisationsglühen. Glühen kaltverformterWerkstoffe unterhalb der Temperatur der Perlit-reaktion, sodass Versetzungen durch Erholungoder Rekristallisation ausheilen können unddie Verformbarkeit wieder hergestellt wird. DieKorngröße ist verformungsabhängig.

– Spannungsarmglühen. Beseitigung von Eigenspan-nungen durch Erwärmen unterhalb der Temperaturbeginnender Rekristallisation und langsamesAbkühlen.

3.3.3 Stahl

Eisen-Kohlenstoff-Legierungen mit einem Kohlen-stoffanteil i. Allg. unter 2 Gew.-%, die kalt oder warmumformbar (schmiedbar) sind, werden als Stähle,nichtschmiedbare Eisenwerkstoffe, C-Anteil über2 Gew.-%, als Gusseisen bezeichnet [1].Die gezielt zur Herstellung der verschiedenen Stäh-le zugefügten Legierungselemente bilden mit Eisenmeist Mischkristalle. Die Elemente

Cr, Al, Ti, Ta, Si, Mo, V, W

lösen sich bevorzugt in Ferrit (Ferritbildner); die Ele-mente

Ni, C, Co, Mn, N, Cu

vorwiegend in Austenit. Sie erweitern das γ-Gebietund machen den Stahl austenitisch. Stähle mit ho-hen Ni- oder Mn-Gehalten sind bis zur Raumtempe-ratur austenitisch. Neben Mischkristallen können sichin Stählen Verbindungen bilden, wenn zwischen min-

destens zwei Legierungselementen starke Bindungs-kräfte vorhanden sind, wodurch sich komplizierte,harte Kristallgitter bilden können. Wichtig sind dabeiCarbide, Nitride und Carbonitride. Wichtige Carbid-bildner sind:

Mn, Cr, Mo, W, Ta, V, Nb, Ti.

Schwache Carbidbildner (Mn, Cr) lagern sich z. B.in Fe3C als Mischkristalle ein, z. B. (Fe, Cr)3C, (Fe,Mn)3C); starke Carbidbildner (Ti, V) bilden Sonder-karbide mit einer von der des Fe3C abweichendenGitterstruktur, z. B, Mo2C, TiC, VC.Durch die Nitritbildner

Al, Cr, Zr, Nb, Ti, V

werden harte Nitride (bis 1200 HV) gebildet undbeim Nitrierhärten technisch genutzt. Carbonitrid-ausscheidungen erzeugen ein sehr feinkörnigesUmwandlungsgefüge (Feinkornbaustähle).Bei den Stählen werden nach der Verwendung Be-reiche mit den folgenden Hauptsymbolen unterschie-den [2]:

S Stähle für den allgemeinen StahlbauP Stähle für den DruckbehälterbauL Stähle für den Rohrleitungsbau

E MaschinenbaustähleB BetonstahlY SpannstahlR Stähle für oder in Form von SchienenH Kaltgewalzte Flacherzeugnisse in höher-

festen ZiehgütenD Flacherzeugnisse aus weichen Stählen zum

KaltumformenT Verpackungsblech- und -bandM Elektroblech und -band [mit besonderen

magnetischen Eigenschaften]

Bei entsprechenden Gusswerkstoffen wird dem Kurz-namen z. B. G- vorangestellt.Für die systematische Bezeichnung von Stahlwerk-stoffen gibt es nach DIN EN 10027–1 (Bezeichnungs-systeme für Stähle), die folgenden Möglichkeiten:

a. Kurznamen, beruhend auf der Verwendung, mitdem Aufbau– Hauptsymbol (siehe oben)

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3 Metallische Werkstoffe D25

– Kennwert der charakteristischen mechani-schen (oder physikalischen) Eigenschaft, z. B.Streckgrenze in MPa, Zugfestigkeit in MPa,Ummagnetisierungsverlust in 0,01 × W/kg bei1,5 Tesla.

– Zusatzsymbole gemäß DIN V 17 006-100:Bezeichnungssysteme für Stähle bzgl. Kerb-schlagarbeit bei unterschiedlicher Prüftempe-ratur sowie besonderer Eigenschafts-, Einsatz-oder Erzeugnisbereiche, z. B. „F“ zum Schmie-den geeignet, „L“ für tiefe Temperaturen, „Q“vergütet.

Beispiel: S690Q bedeutet Stahl für den Stahl-bau mit einer Streckgrenze von 690 MPa, vergütet.

b. Kurznamen, basierend auf der chemischen Zusam-mensetzung, mit vier Typen:1. Unlegierte Stähle: Hauptsymbol C (Kohlen-

stoff) und Zahlenwert des 100fachen mittlerenC-Gehaltes in Gew.-% für unlegierte Stähle mitMangan-Gehalt < 1 Gew.-% (Beispiel: C 15)

2. Unlegierte Stähle mit Mn-Gehalt > 1 Gew.-%,unlegierte Automatenstähle und legierte Stähle(außer Schnellarbeitsstähle) mit Gehalten dereinzelnen Legierungselemente < 5 Gew.-%:Hauptsymbol 100facher mittlerer C-Gehalt inGew.-% dazu Nennung der charakteristischenLegierungselemente und ganzzahlige Angabeihrer mit folgenden Faktoren multipliziertenMassenanteileLegierungselemente FaktorCr, Co, Mn, Ni, Si, W 4Al, Be, Cu, Mo, Nb, Pb, Ta, Ti, V, Zr 10C, N, P, S, Ca 100B 1000

Beispiel: 13 CrMo4-4 ist legierter Stahl mit0,13% C, 1% Cr und 0,4% Mo;

3. Hochlegierte Stähle: Hauptsymbol X, dazuAngabe 100fachen mittleren C-Gehaltes inGew.-% sowie der charakteristischen Legie-rungselemente (chem. Symbole und Anteilein Gew.-%) für legierte Stähle, wenn für min-destens ein Legierungselement der Gehalt 5Gew.-% übersteigt.

Beispiel: X5CrNiMo18-10 ist hochlegierter Stahlmit 0,05% C, 18% Cr, 10% Ni sowie auch Mo;

4. Schnellarbeitsstähle: Hauptsymbol HS undZahlen, die in gleichbleibender Reihenfolgeden Massenanteil folgender Legierungsele-mente angeben: W, Mo, V, Co.

Beispiel: HS 2-9-1-8.

c. Werkstoffnummern, die durch die EuropäischeStahlregistratur vergeben werden, mit folgendemAufbau:– Bei Stählen steht an erster Stelle der Werkstoff-

nummer eine 1.

– Nach einem Punkt folgt eine zweistelligeStahlgruppennummer, z. B. 00 für Grundstähleoder 01 bis 09 für Qualitätsstähle. Bei denlegierten Edelstählen gelten die Gruppennum-mern 20 bis 28 für Werkzeugstähle, 40 bis 49für chemisch beständige Stähle, sowie die vierDekaden 50 bis 89 für Bau-, Maschinen- undBehälterstähle.

– Es folgt eine zweistellige Zählnummer für dieeinzelne Stahlsorte.

Beispiel: 1.2312 bedeutet: 1 für Stahl, 23 für mo-lybdänhaltige Werkzeugstähle, Zählnummer 12.

Stähle stellen nach wie vor die wichtigsten und viel-fältigsten Konstruktions- sowie auch Funktionswerk-stoffe dar. Eine kurze Zusammenstellung technischwichtiger Stähle mit stichwortartigen Angaben überAufbau, Eigenschaften und Verwendungszweck so-wie Sortenbeispielen und zugehörigen Normbezeich-nungen gibt Tabelle 3-1.

3.3.4 Gusseisen

Gebräuchliche Gusseisenwerkstoffe haben C-Anteilezwischen 2 und ca. 4 Gew.-% und sind im Allge-meinen nicht schmiedbar. Die LegierungselementeKohlenstoff und Silicium bestimmen in Verbindungmit der Erstarrungsgeschwindigkeit das Gefügebezüglich der entstehenden Kohlenstoffphasen, sieheBild 3-3.Mit zunehmendem C- und Si-Gehalt werden die fol-genden hauptsächlichen Felder unterschieden:

I. Weißes Gusseisen (Hartguss, metastabiles Sys-tem),

II. Graues Gusseisen (Grauguss, stabiles System),III. Graues Gusseisen (Grauguss, stabiles System),

ferritisches Gefüge: Graphit und Ferrit;

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D26 D Werkstoffe

Tabelle 3-1. Technische Stahlsorten (Übersicht)

Stahlsorten Merkmale, Beispiele

• Baustähle für Hoch-, Tief-, Brückenbau, Fahrzeug-, Behälter- und Maschinenbau

Allgemeine Baustähle (DIN EN 10 025-1, -2) Unlegierte und niedriglegierte ferritisch-perlitische Gefüge; Mindest-

streckgrenzen 180 bis 360 MPa

Hochfeste Baustähle (DIN EN 10 113-1/3) Mikrolegierte (TiC-NbC-VC-Dispersionen), schweißgeeignete Fein-

kornbaustähle, z. B. S460N

Baustähle für spezielle Erzeugnisse Blankstahl nach DIN 1652-1/4; Feinbleche, DIN 1623; Band und Blech

aus unlegiertem Stahl, DIN 1614, kaltgewalzte Flacherzeugnisse aus

weichen Stählen zum Kaltumformen nach DIN EN 10130; warmgewalz-

te Flacherzeugnisse aus Stählen mit hoher Streckgrenze zum Kaltumfor-

men nach DIN EN 10 149-1/3

• Stähle für eine Wärmebehandlung

Vergütungsstähle (DIN EN 10083-1/3) Mn/Cr/Mo/Ni/V-legiert; 0,2 bis 0,6% C, für dynamisch beanspruchte

Bauteile hoher Festigkeit; z. B. C45E, 42CrMo4

Stähle für das Randschichthärten (DIN 17 212) Vergütungsstähle für kernzähe, oberflächenharte Bauteile durch Flamm-

und Induktionshärten, z. B. 45Cr2 (55 HRC)

Einsatzstähle (DIN EN 10084) Mn/Cr/Mo/Ni-legiert, niedr. C-Gehalt; kernzäh und oberflächenhart

durch Aufkohlen und Härten, z. B. C10, 20MoCrS4

Nitrierstähle (DIN EN 10 085) Vergütungsstähle mit perlitisch-martensitischem Gefüge und Nitridbild-

nern (Cr, Mo, Al); z. B. 31CrMo12, 34CrAlMo5

• Stähle für besondere Fertigungsverfahren

Automatenstähle (DIN EN 10 087) Durch S- und Pb-Zusätze gut zerspanbar und spanbrüchig bei hohen

Schnittgeschwindigkeiten; einsatzhärtbar (z. B. 10S20), vergütbar (z. B.

45S20)

Stahlguss Fe-C-Legierungen mit < 2% C; allg. Stahlguss (z. B. GS-60) DIN EN

10293; warmfester Stahlguss (z. B. G17CrMo 5-5), DIN EN 10 213-2

• Stähle mit besonderen technologischen Eigenschaften

Kaltzähe Stähle (DIN EN 10 028-4) Ni-legierte Stähle mit ausreichender Zähigkeit bei −60 bis 195 ◦C; z. B.

X8Ni9

Hochwarmfeste austenitische Stähle (DIN EN 10 028-7, DIN EN 10 222-

5, DIN EN 10 302)

Ferritisch perlitisches Gefüge; z. B. X3CrNiMoN17-13 (T <800 ◦C),

X8NiCrAlTi32-21 (T <1000 ◦C)

Nichtrostende Stähle (DIN EN 10 088-1/3) ferritisch, z. B. X6Cr17, martensitisch, z. B. X39Cr13; austenitisch, z. B.

X2CrNi19-11; austenitisch-ferritisch, z. B. X2CrNiMoCuWN25-7-4

• Stähle für Konstruktionsteile

Federstähle (DIN EN 10 089) Si/Mn/Cr/Mo/V-legiert, z. B. 38Si7, 60SiCr7

Stähle für Schrauben und Muttern unlegierte Stähle, DIN EN 10 263-2; Einsatzstähle, DIN EN 10263-

3; Vergütungsstähle, DIN 1654-4; nichtrostende Stähle, DIN 1654-5;

warmfeste und hochwarmfeste Stähle, DIN EN 10 269

Ventilstähle (DIN EN 10 090) Beständig gegen mechanische, thermische, korrosive und tribologische

Beanspruchung, z. B. X45CrSi9-3, X45CrNiW18-9

Wälzlagerstähle (DIN EN ISO 683-17) Zug-druck-wechselbeständig, hochhart; maßbeständig, z. B. 100Cr6,

17MnCr5, X102CrMo17

• Werkzeugstähle (DIN EN ISO 4957)

Kaltarbeitsstähle Unlegiert und legiert (Cr/Mo/V/Mn/Ni/W) für T < 200 ◦C; z. B.

C105W1 (Handwerkszeug), 90MnCrV8 (Schneidwerkzeug)

Warmarbeitsstähle Warmfest, Cr/Mo/V/Ni-legiert für T > 200 ◦C (z. B. X40CrMoV5-1);

anlassbeständig

Schnellarbeitsstähle für hohe Schnittgeschwindigkeiten und -temperaturen (bis 600 ◦C),

höchste Warmhärte und Anlassbeständigkeit, hoher W/Cr/Mo/V-

Carbidanteil (C > 0,75%); z. B. S10-4-3-10

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3 Metallische Werkstoffe D27

Gusseisen wird in folgende Gruppen eingeteilt:

– Gusseisen mit Lamellengraphit (GJL, DIN EN1561). Eisengusswerkstoff mit lamellarem Graphitim Gefüge, geringe Verformbarkeit durch hete-rogenes Gefüge, steigende (Zug-)Festigkeit (100bis 400 MPa) mit feiner werdender Graphitvertei-lung, gute Dämpfungseigenschaften, Druckfestig-keit etwa viermal so hoch wie Zugfestigkeit.

– Gusseisen mit Kugelgraphit (GJS, DIN EN 1563)Kugelige (globulitische) Ausbildung des Graphitsdurch Zusatz geringer Mengen von Magnesium,Cer und Calcium, Festigkeit erheblich höher alsbei GJL bei erheblich erhöhter Duktilität.

– Temperguss (GJM, DIN EN 1562): Fe-C-Legierungen, die zunächst graphitfrei erstarren unddurch anschließende Glühbehandlung in weißenTemperguss (entkohlend geglüht) oder schwar-zen Temperguss (nichtentkohlend geglüht) mitferritisch perlitischem Gefüge und Temperkohleumgewandelt werden. Temperguss vereinigt guteGusseigenschaften des Graugusses mit nahezustahlähnlicher Zähigkeit, er ist schweißbar und gutzerspanbar.

– Hartguss (GJH): Zementitbildung durch schnellesAbkühlen und Manganzusatz zur Schmelze, durchsog. Schalenhartguss Erzielung von Bauteilenmit weißem (sehr harten) Gusseisen in der Ober-flächenschicht und Grauguss im Kern, dadurchKombination hochbeanspruchbarer Oberflächenmit verbesserter Kernzähigkeit. Es gibt auchhochlegiertes Gusseisen mit Cr und Mo und somitharten Carbiden.

Bild 3-3. Gusseisendiagramm nach Maurer

3.4 Nichteisenmetalle und ihre Legierungen

Die als Werkstoffe genutzten Nichteisenmetalle (NE-Metalle) werden traditionell eingeteilt in

– Leichtmetalle (Dichte � 4,5 kg/dm3): Al, Mg,Ti; [3]

– Schwermetalle (Dichte � 4,5 kg/dm3): Cu, Ni, Zn,Sn, Pb;

– Edelmetalle: Au, Ag, Pt-Metalle.

Im Folgenden sind Gewinnung, Eigenschaften undAnwendungen der technisch wichtigsten Leichtme-talle und Schwermetalle stichwortartig beschrieben.Eigenschaftswerte und technische Daten der NE-Metalle sind im Kap. 9 zusammengestellt; eineÜbersicht über die wichtigsten DIN-Normen gibtTabelle 3-2.

3.4.1 Aluminium

Gewinnung durch Schmelzflusselektrolyse von auf-bereitetem Bauxit bei 950 bis 970 ◦C; 4 t Bauxit lie-fern 1 t Hütten-Al mit 99,5 bis 99,9% Al.Aluminium hat einen kfz Gitteraufbau und istausgezeichnet warm- und kaltverformbar (Walzen,Ziehen, Pressen, Strangpressen, Fließpressen, Kalt-verformen). Es besitzt günstige Festigkeits-Dichte-und Leitfähigkeits-Dichte-Verhältnisse sowie einegute Korrosionsbeständigkeit gegenüber Witte-rungseinflüssen in sauren wie schwach alkalischenLösungen durch Bildung von (ca. 0,01 μm dicken)Oxid-Oberflächenschichten, die vor der Herstellungvon Schweißverbindungen entfernt werden müssen(„Schutzgasschweißen“ unter Argon oder Helium).Wichtige Legierungselemente für Aluminium sindCu, Mg, Zn und Si. Durch geeignete Wärmebe-handlung (Lösungsglühen, Abschrecken, Auslagern)kann eine Ausscheidungshärtung erzielt werden:feindisperse Ausscheidungen und die von ihnenbewirkten Matrixgitterverzerrungen behindern dieVersetzungsbeweglichkeit und erhöhen damit dieFestigkeit. Wichtig sind besonders die Knetlegierun-gen AlCuMg, AlMgSi, AlZnMg, AlZnMgCu und dieGusslegierung AlSi. Die Hauptanwendungsgebieteliegen in der Luft- und Raumfahrt, im Bauwesenund Fahrzeugbau (z. B. Profilsätze, Motorenblöcke,Gleitlager, Aufbauten), im Behälter- und Gerätebau(z. B. Leichtbaukonstruktionen), in der chemischen

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D28 D Werkstoffe

Tabelle 3-2. Normen über Nichteisenmetalle und ihre Legierungen (Übersicht, Kurzbegriffe)

Metall Normen Gegenstand

Aluminium (Al) DIN EN 576, Al rein, Masseln; HalbzeugDIN EN 573-3, -4DIN EN 573-3, -4; Al, Knetlegierungen (T1), Gusslegierungen (T2)DIN EN 1706DIN EN 485-2, Al-Halbzeug (Bleche, Rohre, Profile), FestigkeitDIN EN 546-2DIN 17 611 Anodisch oxidiertes Al (Eloxal), LieferbedingungenDIN EN 14 121-1, DIN EN 40 501-2 Al für die Elektrotechnik, DIN EN 1715-1, -2

Magnesium (Mg) ISO 8287 HüttenmagnesiumDIN 1729-1, DIN EN 1753 Mg, Knetlegierungen (T1), GusslegierungenDIN 9715 Mg-Halbzeug, Festigkeit

Titan (Ti) DIN 17 850/51 Ti/Ti-Knetlegierungen, ZusammensetzungDIN 17 860 Bleche und Bänder aus Ti und Ti-KnetlegierungenDIN 17 862/64 Halbzeug aus Ti und Ti-Legierungen (Stangen, Drähte,

Schmiedestücke)Kupfer (Cu) DIN EN 1976, DIN EN 1978 Cu rein, Sorten; Halbzeuge

DIN EN 1652, Cu-Halbzeug (Bleche, Rohre, Profile), FestigkeitDIN EN 12 163/65DIN EN 1982 CuSn-Legierungen (Zinnbronze; Guss-Zinnbronze)DIN EN 1982 CuZn-Legierungen (Messing; Guss-Messing)DIN EN 1982 CuAl-Legierungen (Al-Bronze; Guss-Al-Bronze)

Nickel (Ni) DIN 1701 HüttennickelDIN 17 740 Nickel in Halbzeug; ZusammensetzungDIN 17 741/43 Ni-Knetlegierungen, mit Cr, mit Cu; Zusammensetzung

Zinn (Sn) DIN EN 610 Sn, Sorten und LieferformenDIN 1742 Sn-Druckgusslegierungen, VerwendungsrichtlinienDIN EN 611-1 Zinngerät, Zusammensetzung der Sn-Legierungen

Zink (Zn) DIN EN 1179 Zn, Feinzink, HüttenzinkDIN EN 1774, DIN EN 12844 Feinzink-GusslegierungenDIN EN 988 Zn-Halbzeug für das Bauwesen (Bleche, Bänder)

Blei (Pb) DIN 17640-1 Pb-DruckgusslegierungenDIN 17 640-1 Pb und Pb-Legierungen; allgemeine Verwendung (T1)

Kabelmäntel (T2), Akkumulatoren (T3)

Industrie (z. B. Behälter, Rohrleitungen), im Verpa-ckungswesen (z. B. Folien) und in der Elektrotechnik(z. B. Schienen, Kabel und Freileitungsseile).

3.4.2 Magnesium

Gewinnung durch Schmelzflusselektrolyse von auf-bereitetem Magnesiumchlorid bei 700 ◦C (70 bis 80%der Mg-Weltproduktion) oder direkter Reduktion von

Magnesiumoxid durch karbothermische oder silico-thermische Verfahren.Magnesium kristallisiert in hexagonal dichtesterKugelpackung, ist leicht zerspanbar und hat bei mitt-leren Festigkeitseigenschaften die niedrigste Dichtealler metallischen Werkstoffe (1,74 kg/dm3). Diehohe Affinität zum Sauerstoff macht trotz Bildungvon Oxid-Oberflächenschichten Korrosionsschutz-maßnahmen erforderlich.

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3 Metallische Werkstoffe D29

Die wichtigsten Legierungselemente (Al, Zn, Mn)verbessern die Festigkeit, vermindern die hoheKerbempfindlichkeit und erhöhen die Korrosionsbe-ständigkeit (Mn). Die bei Raumtemperatur mehrpha-sigen Legierungen (Mischkristalle, intermetallischePhasen) lassen sich durch Wärmebehandlung bezüg-lich Zähigkeit (Lösungsglühen, Abschrecken) oderFestigkeit (Lösungsglühen, langsames Abkühlen)beeinflussen. Umformung der Knetlegierungengeschieht durch Strangpressen, Warmpressen,Schmieden, Walzen und Ziehen oberhalb 200 ◦C.Hauptanwendungsgebiete der Legierungen sind derFlugzeugbau (z. B. Türen, Cockpitkomponenten),der Automobilbau (z. B. Getriebegehäuse) sowie derInstrumenten-und Gerätebau (z. B. Kameragehäuse,Büromaschinen).

3.4.3 Titan

Herstellung kompakten Titans durch Vakuumschmel-zen von porösem Titan, das aus Rutil bzw. Ilmenitüber die Zwischenstufen Titandioxid und Titantetra-chlorid durch Aufschließen, Fällung und Reduktiongewonnen wird.Titan hat bei Raumtemperatur eine hexagonale (ver-formungsungünstige) Gitterstruktur (α-Phase), diesich oberhalb von 882 ◦C in die kubisch raumzentrier-te β-Phase umwandelt. Es hat eine hohe Festigkeit,relativ geringe Dichte, sowie eine ausgezeichneteKorrosionsbeständigkeit durch Oxidschichtbildunginfolge hoher Sauerstoffaffinität und kann unterSchutzgas und im Vakuum geschweißt werden.Legierungszusätze von Al, Sn oder O begünstigendie hexagonale α-Phase, solche von V, Cr und Fedie kubisch raumzentrierte β-Phase mit bessererKaltumformbarkeit und höherer Festigkeit. Ähnlichwie bei Stahl können durch geeignete Wärmebehand-lung (z. B. Ausscheidungshärtung, Martensithärtung)die mechanischen Eigenschaften beeinflusst undzweiphasige (α + β)-Legierungen mit günstigemFestigkeits-Dichte-Verhältnis hergestellt werden.Hauptanwendungsgebiete sind die Flugzeug- undRaketentechnik (z. B. Leichtbauteile hoher Fes-tigkeit), Chemieanlagen (z. B. Wärmetauscher,Elektroden), Schiffsbau (z. B. seewasserbeständigeTeile, wie Schiffsschrauben) und die Medizintechnik(biokompatible Implantate).

3.4.4 Kupfer

Gewinnung durch Pyrometallurgie (75% derCu-Weltproduktion), Elektrometallurgie und Hydro-metallurgie.Kupfer hat ein kfz Gitter und eine Elektronenkonfi-guration mit abgeschlossenen d-Niveaus der zweitäu-ßersten Schale und einem s-Elektron in der äußerstenSchale. Es besitzt gute Verformbarkeit, ausgezeich-nete elektrische und thermische Leitfähigkeit sowiehohe Korrosionsbeständigkeit infolge des relativ ho-hen Lösungspotenzials und der Fähigkeit zur Deck-schichtbildung in verschiedenen Medien. Es lässt sichgut schweißen und löten, ist jedoch gegen Erhitzungin reduzierender Atmosphäre empfindlich, sog. Was-serstoffkrankheit.Geringe Legierungszusätze steigern die Festigkeitvon Kupfer durch Mischkristallbildung (Ag, Mn, As)oder durch Aushärten (Cr, Zr, Cd, Fe, P). Wichtigsind folgende Kupferlegierungen:

– Messing: Kupfer-Zink-Legierungen mit den haupt-sächlichen Gefügegruppen: α-Messing mit einemZn-Anteil < 32 Gew.-% (gut kaltumformbar,schwieriger warmumformbar, schlecht zerspan-bar), β-Messing mit 46% bis 50% Zn (schwierigkaltverformbar, gut warmverformbar, gut zerspan-bar) und (α + β)-Messing mit einem Zn-Gehaltvon 32 bis 46%. Sondermessing enthält weitereLegierungsbestandteile, wie z. B. Ni oder Al, zurErhöhung von Festigkeit, Härte, Feinkörnigkeitoder Mn, Sn zur Verbesserung von Warmfestigkeitund Seewasserbeständigkeit.

– Neusilber: Kupfer-Zink-Legierungen, bei denenein Teil des Kupfers durch einen Nickelanteil(10 bis 25%) zur Verbesserung der Anlaufbestän-digkeit ersetzt ist.

– Bronze: Kupfer-Legierungen mit einem Anteilvon mehr als 60% Cu und den HauptgruppenZinnbronze (Knetlegierungen < 10% Sn, Guss-legierungen < 20% Sn), Aluminiumbronze (<11% Al), Bleibronze für Lager (< 22% Pb),Nickelbronze (< 44% Ni), Manganbronze (< 5%Mn), Berylliumbronze (< 2% Be).

Hauptanwendungsgebiet von legiertem und unlegier-tem Kupfer sowie von Mangan- und Berylliumbronzeist die Elektrotechnik (z. B. Kabel, Drähte; Wider-

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D30 D Werkstoffe

standswerkstoffe, z. B. CuNi44 ,Konstantan‘) undder (Elektro-)Maschinenbau (z. B. Kommutatorla-mellen in Elektromotoren, Punktschweißelektroden).Messing eignet sich besonders für die spanende Bear-beitung (z. B. Drehteile, Bauprofile) und die spanloseFormgebung (z. B. extreme Tiefziehbeanspruchungbei 28% Zn möglich). Neusilber ist sowohl fürRelaisfedern in der Nachrichtentechnik als auch fürTafelgeräte und Geräte der Feinwerktechnik geeig-net. Bronze findet Anwendung in der Tribotechnik(z. B. Gleitlager, Schneckenräder, kavitations- underosionsbeanspruchte Bauteile).

3.4.5 Nickel

Gewinnung aus sulfidischen oder silikatischenErzen durch komplizierte metallurgische Prozes-se: Flotationsaufbereitung, Rösten, Schmelzen imSchacht- oder Flammenofen, Verblasen im Konverter,Raffination.Nickel hat wegen seines kubisch flächenzentriertenGitters gute Umformbarkeit und Zähigkeit; es ist sehrkorrosionsbeständig und bis zur Curietemperaturvon 360 ◦C ferromagnetisch. Gegenüber Eindif-fusion von Schwefel ist Nickel empfindlich undneigt dann zum Aufreißen bei der Kaltumformung,zur Warmrissigkeit beim Schweißen und bei derWarmumformung (sog. Korngrenzenbrüchigkeit).Wichtige Legierungen sind:

– Nickel-Kupfer-Legierungen: Ni bildet eine lücken-lose Mischkristallreihe und ist mit Cu durchGießen, spanlose und spanende Formgebung sowiedurch Löten und Schweißen verarbeitbar. Legie-rungen mit 30% Cu (z. B. NiCu30Fe, ,Monel‘) sindsehr korrosionsbeständig, Festigkeitssteigerungdurch Aushärten (Zusatz von Al und Si).

– Nickel-Chrom-Legierungen: Massenanteile von 15bis 35% Cr erhöhen die Zunderbeständigkeit unddie Warmfestigkeit, z. B. bei Heizleitern mit hohemspezifischem Widerstand.

– Nickelbasis-Gusslegierungen, z. B. mit 0,1% C,16% Cr, 9% Co, 1,7% Mo, 2% Ta, 3,5% Ti,3,5% Al, 2,7% W (Inconel 738 LC) besitzenhohe Warmfestigkeit durch Ausscheidung ei-nes hohen Volumenanteils der intermetallischenγ′-Phase Ni3(Al, Ti) in die γ-Matrix (sog. Su-perlegierungen). Eine weitere Erhöhung der

Warmfestigkeit, besonders der Kriechfestigkeitund der Lebensdauer wird erzielt durch besondereGießtechniken zur Vermeidung von Korngrenzensenkrecht zur Richtung maximaler Beanspru-chung (gerichtete oder einkristalline Erstarrung).Superlegierungen dienen auch als Basis für oxid-dispersionsgehärtete (ODS) mechanisch legiertehochwarmfeste Werkstoffe, z. B. MA 6000.

– Nickel-Eisen-Legierungen: WeichmagnetischeWerkstoffe (29 bis 75 Gew.-% Ni) mit hoherPermeabilität und Sättigungsinduktion sowiegeringen Koerzitivfeldstärken und Ummagne-tisierungsverlusten. Al, Co, Fe-Ni-Legierungensind dagegen hartmagnetische Werkstoffe ho-her, möglichst unveränderlicher Magnetisierung;FeNi36 (,Invar‘) mit sehr kleinem thermischenAusdehnungskoeffizienten.

Nickelbasis-Hochtemperaturwerkstoffe werdenhauptsächlich in der Kraftfahrzeug- und Luftfahrt-technik(z.B. Verbrennungsmotorventile, Turbinen-schaufeln) sowie in der chemischen Anlagentechnik(z. B. Reaktorwerkstoffe, Heizleiter) eingesetzt.Nickel-Eisen-Legierungen sind im Bereich derElektrotechnik unentbehrlich (z. B. als weich- undhartmagnetische Werkstoffe).

3.4.6 Zinn

Gewinnung durch Reduktion von Zinnstein (Zinndi-oxid) nach nassmechanischer Aufbereitung (z. B. Flo-tation) und Abrösten, anschließend Raffination durchSeigerung oder durch Elektrolyse.Zinn hat ein tetragonales Gitter, das sich unterhalbvon 13,2 ◦C (träge) in die kubische Modifikationumwandelt („Zinnpest“ bei tiefen Temperaturen). Esist gegen schwache Säuren und schwache Alkalienbeständig. Infolge seiner niedrigen Rekristallisation-stemperatur tritt bei der Umformung (Walzen, Pres-sen, Ziehen) bereits bei Raumtemperatur Rekristalli-sation ein, sodass die Kaltverfestigung ausbleibt (ho-he Bruchdehnung). Wichtige Zinnlegierungen sind:

– Lagermetalle: Weißmetall-Legierungen, z. B. Gl-Sn80 (80% Sn, 12% Sb, 7% Cu, 1% Pb), dessenGefüge aus harten intermetallischen Verbindungen(Cu6Sn) sowie Sn-Sb-Mischkristallen besteht, diein ein weicheres bleihaltiges Eutektikum eingela-gert sind.

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4 Anorganisch-nichtmetallische Werkstoffe D31

– Weichlote: L-Sn60 (60% Sn, 40% Pb), erstarrtzu 95% eutektisch (dünnflüssig, für feine Lötar-beiten), L-Sn30 (30% Sn, 70% Pb), bei niedrigerArbeitstemperatur (190 ◦C dünnflüssig besitztgroßes Erstarrungsintervall (für großflächigeLötarbeiten).

Hauptanwendungen der Zinnlegierungen betreffendie Tribotechnik (Lagermetalle), die Fügetechnik(Lote) und den Korrosionsschutz von Metallen durchVerzinnen (z. B. Weißblech).

3.4.7 Zink

Gewinnung aus (einheimischer) Zinkblende (Wurtzit,ZnS) durch Aufbereiten (Flotation) Rösten, Redukti-on mit Kohle und Kondensation des zunächst als Me-talldampf entstandenen Zn in der Ofenvorlage; alter-nativ durch Auslaugung des Erzes und Elektrolyse.Zink ist ein Schwermetall mit hexagonalerGitterstruktur, guten Gusseigenschaften, ani-sotropen Verformungseigenschaften. DurchZinkhydrogenkarbonat-Deckschichtbildung aus-gezeichnete Beständigkeit gegen atmosphärischeKorrosion. Negatives Potenzial gegen Fe in wässri-gen Lösungen begründet guten Korrosionsschutz aufStahl (Feuerverzinkung, galvanische Verzinkung) als„Opferanode“ (Abtrag von Zn statt Fe).Zinklegierungen mit technischer Bedeutung sind vorallem die aus Feinzink (99,9 bis 99,95% Zn) herge-stellten Gusslegierungen, die 3,5 bis 6% Al sowie biszu 1,6% Cu zur Erhöhung der Festigkeit durch Misch-kristallbildung und 0,02 bis 0,05% Mg zur Verhinde-rung interkristalliner Korrosion enthalten.Hauptanwendungsgebiete sind neben der Feuerver-zinkung von Stahl (ca. 40% der Zinkproduktion)vor allem der allgemeine Maschinenbau (z. B.Zn-Druckguss für kleinere Maschinenteile undGegenstände komplizierter Gestaltung) sowie dasBauwesen (z. B. Bleche für Dacheindekkungen,Dachrinnen, Regenrohre). Zink ist toxisch: dasLebensmittelgesetz verbietet die Verwendung vonZinkgefäßen zum Zubereiten und Aufbewahren vonNahrungs- und Genussmitteln.

3.4.8 Blei

Gewinnung aus Bleiglanz (PbS) durch Aufbe-reiten (Flotation zur Pb-Anreicherung), Rösten,Schachtofenschmelzen und Raffination.

Blei lässt sich wegen seines kubisch flächenzentrier-ten Gitters gut verformen, sowie außerdem gut gie-ßen, schweißen und löten. Da die Rekristallisation-stemperatur bei Raumtemperatur liegt, ist die Festig-keit sehr gering und die Neigung zum Kriechen hoch.Blei ist gegen Schwefelsäure beständig, da es unlös-liche Bleisulfate bildet, die weiteren Korrosionsan-griff ausschließen. Wegen seiner hohen Massenzahlist Blei ein wirksamer Strahlenschutz für Röntgenge-räte und radioaktive Stoffe.Zusatz von Legierungsbestandteilen (Sb, Sn, Cu) er-höht die Festigkeit durch Mischkristallbildung undAushärtung und verbessert die Korrosionsbeständig-keit. Bei der Blei-Antimon-Legierung Hartblei sindbei Raumtemperatur 0,24% Sb im Mischkristall lös-lich, im Eutektikum ca. 3% Sb. Hauptanwendungs-gebiete sind die Kraftfahrzeugtechnik (50% des Pb-Verbrauchs für Starterbatterien), die Elektrotechnik(z. B. Bleikabel), der chemische Apparatebau (Be-schichtungslegierungen) und der Strahlenschutz. Bleiund seine Verbindungen sind stark toxisch; die Ver-wendung von bleihaltigen Legierungen im Nahrungs-und Genussmittelwesen ist verboten.

4 Anorganisch-nichtmetallischeWerkstoffe

4.1 Mineralische Naturstoffe

Die in technischen Anwendungen verwendeten an-organischen Naturstoffe sind Minerale oder zumeistGesteine, d. h. Aggregate kristalliner oder amorpherMinerale aus der (zugänglichen) Erdkruste. Mineralewerden nach ihrer chemischen Zusammensetzung inneun Mineralklassen klassifiziert und nach ihrer Här-te gemäß der Mohs’schen Härteskala gekennzeich-net, siehe Tabelle 4-1. Nach Mohs liegt die Härteeines Minerals zwischen der Härte des Skalenmine-rals, von dem es geritzt wird und derjenigen des Mi-nerals, das es selbst ritzt. Die qualitative Härteskalanach Mohs lässt sich durch quantitative Härtemessun-gen (siehe 11.5.3) ergänzen [1], deren Mittelwerte fürdie Minerale der Mohsskala annähernd eine geometri-sche Folge bilden. (Im Mittel Multiplikation der Här-tewerte mit dem Faktor 1,6 beim Übergang von einerMohs-Härtestufe zur nächsthöheren.)