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WIR MACHEN BADEN BEINE Auf der Spur von Faust, Mephisto und Karl May WANDERN FÜR WISSBEGIERIGE (14): Von Bollschweil nach Staufen und zurück in Erinnerung an Schriftsteller und literarische Gestalten / Von Peter Gürth W as hat Wandern mit Lite- ratur zu tun? Zumindest im südlichen Breisgau eine Menge. Um das zu beweisen, benennen wir einfach den Bettlerpfad von Bollschweil nach Staufen in einen Literaturweg um und suchen bei unserer Wanderung nach Schriftstellern und Dichtern, die im südlichen Breisgau gelebt und gearbeitet haben. Wir beginnen mit Bollschweil, weil es als „Beschreibung eines Dorfes“ von Ma- rie Luise Kaschnitz (1966) einen beson- deren Platz in der modernen deutschen Literatur einnimmt. Die Dichterin benutzt einen Kunstgriff. Sie beschreibt das Dorf, seine Umgebung, seine Menschen und ihre Schicksale nicht direkt, son- dern sie berichtet, worü- ber sie an 21 einzelnen Tagen schreiben wird. Und sie wusste, wovon sie schrieb! Als Tochter des Freiherrn Max von Hol- zing-Berstett und seiner Frau Elsa 1901 geboren, war sie im Schloss von Boll- schweil aufgewachsen und bis zu ihrem Tod in Rom 1974 immer wieder in die Heimat zurückgekommen. Die Familie und das Schloss treten freilich nur in ver- deckter Form in ihrer Erzählung auf. Am kleinen Alten Rathaus erinnert ei- ne Tafel an ihre Trauung mit dem Wiener Archäologen Guido Kaschnitz von Wein- berg im Jahre 1925. Auf dem Dorffriedhof ruhen beide im Familiengrab derer von Holzing-Bers- tetts. Wir wandern von der Kirche in Boll- schweil am Schloss vorbei, immer der Landstraße entlang bis Gütighofen. Dort überqueren wir die Landstraße nach Os- ten (Wegweiser) und treffen kurz nach dem Waldrand auf den Bettlerpfad (gelbe Raute). Durch einen schönen Eichenwald kommen wir zur Schopbachhütte mit Rast- und Spielplatz. Danach überqueren wir die Wiesen des Ehrenstetter Grundes. Hinten im Tal sehen wir die alte Streicher- kapelle. Über den Bach und am Schützenhaus vorbei erreichen wir den Lehen- hof. Der gehörte seit etwa 1890 als Jagdhaus dem Freiburger Verleger Friedrich Ernst Fehsen- feld. Der hatte die Reise- erzählung „Im Schatten des Großherrn“ (später „Durch die Wüste“) eines noch wenig bekannten Schriftstel- lers namens Karl May gelesen und war Feuer und Flamme. Er wurde Mays Verleger, und durch die 33 „Grünen Bände“ aus seinem Verlag wur- de Karl May zum Bestsellerautor und bei- de zu wohlhabenden Leuten. Kein Wun- der, dass sich die beiden Ehepaare auch befreundeten. Karl May besuchte Fehsenfeld mehr- fach in Freiburg. Bei einem dieser Besu- che fuhren die Freunde zum Lehenhof. Und dort rauchten sie bei ihrem Herren- abend so viele Zigarren, dass man am nächsten Morgen den Kanarienvogel tot in seinem Käfig fand. Vom Lehenhof führt der Bettlerpfad durch Wald und Wiesen, über mehrere Bäche (an einem davon eine Lourdesgrotte), am Rothof vorbei zum St. Gotthardhof mit der St. Gotthardkapelle oberhalb von Staufen. Über den Bötzen geht es hinunter in die idyllische Altstadt. Hier lebte und starb der Held des bedeutendsten deutschen Dramas – Faust. In der Chronik der Herren von Zimmern wird be- richtet: „Es ist auch umb die Zeit (1539) der Faustus zu oder doch nit weit von Staufen, dem stetlin im Breisgew, gestorben.“ Der sei, wie die Inschrift am Hotel Löwen sagt, ein „wunderbarlicher Nigro- manta“ (Schwarzkünstler) gewe- sen. Im heutigen Zimmer Nummer 5 des Löwen soll ihm der Mephis- topheles, „der obersten Teufel ei- ner, den er in seinen Lebzeiten nur seinen Schwager genannt“, das Genick gebrochen haben. Den Schriftstellern und Dichtern, die in unserer Zeit Staufen zum Wohnsitz ge- wählt haben, ist es viel besser ergangen.. Der heitere Feuilletonist Helmuth Holt- haus (1909–1966) sprach von einer Märchenstadt, „mitten im großen, son- nenhellen Park zwischen Schwarzwald und Oberrhein“. Peter Huchel (1903–1981), der großen Einfluss auf die jüngere deutsche Lyrik hatte, wohnte hier, nachdem er 1971 die DDR verlassen konnte. Er war mit Erhart Kästner (1904–1974) und seiner Frau Anita be- freundet, der als junger Mann Sekretär Gerhart Hauptmanns gewesen war. Durch seine Griechenlandbücher wurde Kästner bekannt. In seinem letzten Werk klagt er den „Herrenwahn der Wissen- schaft“ an, die nichts zur Humanisierung beigetragen habe. Wir steigen den Staufener Schlossberg zur Burgruine hinauf. Am westlichen Fuß der Ruine, beim Gutleuthaus, führt ein mit der gelben Raute markierter Rad- und Fußweg zum Jugend-Reitstall „Wasen- haus“. Von dort gehen wir weiter gerade- aus. Kurz vor der Landstraße nach Ehren- stetten biegen wir rechts ab und laufen auf der Höhe links abwärts durch einen kleinen Hohlweg bis zu einem Kreuz am Panoramaweg. Geradeaus weiter zum Sportplatz von Ehrenstetten, links in den Ort. Dort rechts entlang der Straße nach Bollschweil, nach der Mattenmühle links über die Straße und am Fuß des Ölbergs (Steinzeithöhlen!) über Gütighofen und das Kuckucksbad zurück nach Boll- schweil. DIE TOUR Tageswanderung 15 Kilometer: Rundweg, wenig Steigung. Anfahrt nach Bollschweil über Merz- hausen–Sölden oder über Staufen. Parken beim Rathaus. Mit dem Bus von Freiburg oder Staufen nach Boll- schweil. Abkürzung: Rückfahrt mit dem Bus ab Staufen. Einkehr: In Bollschweil China- Restaurant Löwen , (t 07633/6151); unterwegs Gasthaus Zum St. Gotthard (RT: Mo, Di, t 07633/7420); in Stau- fen viele Gasthäuser und Hotels, zum Beispiel Hotel Löwen (Fauststube; t 07633/9089390), Café Decker, (t 07633/5316). Alle bisher erschienenen Teile der BZ-Wanderserie finden Sie unter www-badische-zeitung.de/wandern Im Gebäude des Gasthauses Zum Löwen soll Faust gewohnt haben – wäh- rend es sicher ist, dass die Dichterin Marie Luise Kaschnitz immer wieder in Bollschweil gelebt hat. FOTO: THOMAS KUNZ/DPA

W I R M A C H E N B A D E N B E I N E Auf der Spur von ...media.badische-zeitung.de/pdf/wandern/2008_wandern_14.pdf · b a d i s c h e z e i t u n g m i t t w o c h , 3 0 . a p r

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b a d i s c h e z e i t u n g mittwoch, 30 . apr il 2008

W I R M A C H E N B A D E N B E I N E

Auf der Spur von Faust, Mephisto und Karl MayW A N D E R N F Ü R W I S S B E G I E R I G E ( 1 4 ) : Von Bollschweil nach Staufen und zurück in Erinnerung an Schriftsteller und literarische Gestalten / Von Peter Gürth

Was hat Wandern mit Lite-ratur zu tun? Zumindestim südlichen Breisgaueine Menge. Um das zu

beweisen, benennen wir einfach denBettlerpfad von Bollschweil nach Staufenin einen Literaturweg um und suchen beiunserer Wanderung nach Schriftstellernund Dichtern, die im südlichen Breisgaugelebt und gearbeitet haben.

Wir beginnen mit Bollschweil, weil esals „Beschreibung eines Dorfes“ von Ma-rie Luise Kaschnitz (1966) einen beson-deren Platz in der modernendeutschen Literatur einnimmt.Die Dichterin benutzt einenKunstgriff. Sie beschreibtdas Dorf, seine Umgebung,seine Menschen und ihreSchicksale nicht direkt, son-dern sie berichtet, worü-ber sie an 21 einzelnenTagen schreiben wird.

Und sie wusste, wovon sie schrieb!Als Tochter des Freiherrn Max von Hol-zing-Berstett und seiner Frau Elsa 1901geboren, war sie im Schloss von Boll-schweil aufgewachsen und bis zu ihremTod in Rom 1974 immer wieder in dieHeimat zurückgekommen. Die Familieund das Schloss treten freilich nur in ver-deckter Form in ihrer Erzählung auf.

Am kleinen Alten Rathaus erinnert ei-ne Tafel an ihre Trauung mit dem WienerArchäologen Guido Kaschnitz von Wein-berg im Jahre 1925.

Auf dem Dorffriedhof ruhen beide imFamiliengrab derer von Holzing-Bers-tetts. Wir wandern von der Kirche in Boll-

schweil am Schloss vorbei, immer derLandstraße entlang bis Gütighofen. Dortüberqueren wir die Landstraße nach Os-ten (Wegweiser) und treffen kurz nachdem Waldrand auf den Bettlerpfad (gelbeRaute). Durch einen schönen Eichenwaldkommen wir zur Schopbachhütte mitRast- und Spielplatz. Danach überquerenwir die Wiesen des Ehrenstetter Grundes.Hinten im Tal sehen wir die alte Streicher-kapelle.

Über den Bach und am Schützenhausvorbei erreichen wir den Lehen-

hof. Der gehörte seit etwa1890 als Jagdhaus demFreiburger VerlegerFriedrich Ernst Fehsen-

feld. Der hatte die Reise-erzählung „Im Schattendes Großherrn“ (später

„Durch die Wüste“) eines nochwenig bekannten Schriftstel-lers namens Karl May gelesenund war Feuer und Flamme. Er

wurde Mays Verleger, und durch die 33„Grünen Bände“ aus seinem Verlag wur-de Karl May zum Bestsellerautor und bei-de zu wohlhabenden Leuten. Kein Wun-der, dass sich die beiden Ehepaare auchbefreundeten.

Karl May besuchte Fehsenfeld mehr-fach in Freiburg. Bei einem dieser Besu-che fuhren die Freunde zum Lehenhof.Und dort rauchten sie bei ihrem Herren-abend so viele Zigarren, dass man amnächsten Morgen den Kanarienvogel totin seinem Käfig fand.

Vom Lehenhof führt der Bettlerpfaddurch Wald und Wiesen, über mehrere

Bäche (an einem davon eineLourdesgrotte), am Rothof vorbeizum St. Gotthardhof mit der St.Gotthardkapelle oberhalb vonStaufen. Über den Bötzen geht eshinunter in die idyllische Altstadt.

Hier lebte und starb der Helddes bedeutendsten deutschenDramas – Faust. In der Chronikder Herren von Zimmern wird be-richtet: „Es ist auch umb die Zeit(1539) der Faustus zu oder dochnit weit von Staufen, dem stetlinim Breisgew, gestorben.“ Der sei,wie die Inschrift am Hotel Löwensagt, ein „wunderbarlicher Nigro-manta“ (Schwarzkünstler) gewe-sen.

Im heutigen Zimmer Nummer5 des Löwen soll ihm der Mephis-topheles, „der obersten Teufel ei-ner, den er in seinen Lebzeitennur seinen Schwager genannt“,das Genick gebrochen haben.

Den Schriftstellern und Dichtern, diein unserer Zeit Staufen zum Wohnsitz ge-wählt haben, ist es viel besser ergangen..Der heitere Feuilletonist Helmuth Holt-haus (1909–1966) sprach von einerMärchenstadt, „mitten im großen, son-nenhellen Park zwischen Schwarzwaldund Oberrhein“. Peter Huchel(1903–1981), der großen Einfluss auf diejüngere deutsche Lyrik hatte, wohntehier, nachdem er 1971 die DDR verlassen

konnte. Er war mit Erhart Kästner(1904–1974) und seiner Frau Anita be-freundet, der als junger Mann SekretärGerhart Hauptmanns gewesen war.Durch seine Griechenlandbücher wurdeKästner bekannt. In seinem letzten Werkklagt er den „Herrenwahn der Wissen-schaft“ an, die nichts zur Humanisierungbeigetragen habe.

Wir steigen den Staufener Schlossbergzur Burgruine hinauf. Am westlichen Fuß

der Ruine, beim Gutleuthaus, führt einmit der gelben Raute markierter Rad- undFußweg zum Jugend-Reitstall „Wasen-haus“. Von dort gehen wir weiter gerade-aus. Kurz vor der Landstraße nach Ehren-stetten biegen wir rechts ab und laufenauf der Höhe links abwärts durch einenkleinen Hohlweg bis zu einem Kreuz amPanoramaweg. Geradeaus weiter zumSportplatz von Ehrenstetten, links in denOrt. Dort rechts entlang der Straße nachBollschweil, nach der Mattenmühle linksüber die Straße und am Fuß des Ölbergs(Steinzeithöhlen!) über Gütighofen unddas Kuckucksbad zurück nach Boll-schweil.

D I E T O U RTageswanderung 15 Kilometer:Rundweg, wenig Steigung.Anfahrt nach Bollschweil über Merz-hausen–Sölden oder über Staufen.Parken beim Rathaus. Mit dem Busvon Freiburg oder Staufen nach Boll-schweil. Abkürzung: Rückfahrt mitdem Bus ab Staufen.Einkehr: In Bollschweil China-

Restaurant Löwen , (t07633/6151);unterwegs Gasthaus Zum St. Gotthard(RT: Mo, Di, t07633/7420); in Stau-fen viele Gasthäuser und Hotels, zumBeispiel Hotel Löwen (Fauststube;t 07633/9089390), Café Decker,(t07633/5316).

Alle bisher erschienenen Teileder BZ-Wanderserie finden Sie unterwww-badische-zeitung.de/wandern

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Im Gebäude des Gasthauses Zum Löwen soll Faust gewohnt haben – wäh-rend es sicher ist, dass die Dichterin Marie Luise Kaschnitz immer wieder inBollschweil gelebt hat. F O T O : T H O M A S K U N Z / D P A