W i s s e n s c h a f t s e t h i k - uni- · PDF fileGrenzen Halt macht. Es ... Philipp Bode, M.a. studium der Philosophie, Wissenschafts-, technik- und Pharmaziegeschichte, Germa-nistik

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    l e i b n i z u n i v e r s i t t h a n n o v e rW i s s e n s c h a f t s e t h i k

    es ist ein zunehmendes Phno-

    men, auch an Universitten:

    hirndoping. Doch schon der

    Begriff zeigt an, dass es hier

    offenbar nicht mit rechten Din-

    gen zugeht. Warum eigentlich?

    ein Beispiel aus der wissen-

    schaftsethischen Praxis.

    Was ist falsch an hirndoping?

    skizze einer ethischen kriteriensuche

    Hirndoping meint allgemein die Einnahme verschreibungspflichtiger Medikamente zur Stimulierung der kognitiven Leistungsfhigkeit ohne zugrundeliegende Erkrankung. Die hierfr gebrauchten Me dikamente werden als Neuro- oder Cognitive Enhancers bezeichnet.1 Ihr Entwicklungszweck galt ursprnglich der Behandlung neurodegenerativer und psychischer Erkrankungen, wie etwa ADHS, Depression, Alzheimer oder Parkinson.

    Doch diese Medikamente erfahren in zunehmendem Ma eine Anwendung auerhalb der medizinischen Indikation, denn an sie ist die Hoffnung gebunden, Erinnerungs, oder Konzentrationsvermgen wrden sich auch bei gesunden Menschen durch ihre Einnahme verbessern eine womglich segensreiche Hilfe in Prfungssituationen oder im Arbeitsalltag.

    Die Einnahme etwa von Hirnstimulanzien durch gesunde Menschen wirft allerdings ethische Probleme auf, die sich im Spannungsfeld einer zunehmend interessierten ffentlichkeit, Konsumenten, Krankenkassen, rzten und Pharmaunternehmen bewegen.

    Die Grundfrage lautet: Ist Hirndoping ethisch falsch?

    Diese Frage zielt nicht primr auf die zahlreichen und be

    denkenswerten Konsequenzen einer medikaments gesttzten Leistungssteigerung ab, etwa auf Probleme der Verteilungsgerechtigkeit, Wettbewerbsverzerrung oder des sozialen Konsumdrucks2, sondern auf eine intrinsische, das heit in der Handlung des Hirndopings selbst innewohnenden Falschheit.

    Eine Art moralischer Reflex in uns scheint die Antwort bereits zu kennen: Ja, es ist falsch! Doch die Ethik muss es

    genauer wissen: Warum ist es falsch? Whlen wir fr die Krieriensuche ein populres Beispiel: Ritalin.

    fallbeispiel Ritalin

    Ritalin ist hauptschlich zur Behandlung von ADHS im Gebrauch. Es enthlt den Wirk

    stoff Methylphenidat und gehrt zu den amphetaminhnlichen Substanzen. Seit 1954 auf dem deutschen Markt erhltlich, ist es seit 1971 dem Betubungsmittelgesetz unterstellt. Bis in die frhen 90er Jahre blieb die Verschreibungsmenge berschaubar.

    Doch in nur 14 Jahren ist die an bundesdeutsche Apotheken ausgelieferte Menge an Methyl phenidat von 34 Kilogramm (1993) auf fast zwei Tonnen (2007) jhrlich an

    geschwollen, Tendenz steigend. Mit der zwar bedenklichen Zahl von rund 150.000 Kindern mit ADHSDiagnose kann diese Menge nicht erklrt werden, denn fast eine Viertelmillion Menschen nehmen verordnetes Ritalin.

    1 von engl. enhance = verbessern2 vgl. hierzu den artikel von Dietmar

    hbner in diesem heft.

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    bild 1Handelsbliches Ritalin im deut-schen Verkauf

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    l e i b n i z u n i v e r s i t t h a n n o v e rW i s s e n s c h a f t s e t h i k

    bild 2Nebenwirkungen des heutigen Studentenlebens: Mdigkeit, Leistungsdruck, KonkurrenzQuelle: Pressestelle Leibniz Universi-tt, Frank Wilde

    Besser erklren kann es die Zahl geschtzter tatschlicher Konsumenten und die geht in die Millionen. Offenbar ist Ritalin innerhalb und auerhalb der Verschreibungspflicht ein gefragtes Medikament geworden. Doch warum? Die Antwort: Weil es in vielen Fllen die Konzentration frdert, das kognitive Fokussieren erleichtert und beruhigend wirken kann auch bei gesunden Menschen. Das macht es fr Hirndoping so attraktiv.

    ein Gefhl der Ungerechtigkeit

    Der dramatische Anstieg tatschlicher RitalinVerschreibungen lsst zunchst keinen Rckschluss auf Illegalitt zu, im Gegenteil: Der Begriff Hirn doping suggeriert, es sei Unrecht am Werk. Doch solange ein Mensch rztlich verordnetes Ritalin in den Hnden hlt, handelt er formal rechtens, unabhngig von einer gesicherten Diagnose.

    Ist also die zwar verschriebene, aber aus medizinischer Sicht unntige Einnahme von Ritalin zu akzeptieren, da nicht gegen geltendes Recht verstoen wird? Wenn ja, bezge sich der Begriff Hirndoping tatschlich nur auf illegal erworbene und konsumierte Medikamente.

    So plausibel dies auch klingen mag, der Einnahme von Cognitive Enhancers durch gesunde Menschen haftet noch etwas anderes an: ein Gefhl der Ungerechtigkeit. Diese Ungerechtigkeit scheint die Ursache fr eine intrinsische Falschheit von Hirndoping zu sein, zumal sie nicht durch die Grenze der Legalitt bestimmbar ist, sondern vielmehr durch die Motivation der Einnahme: dem Wunsch nach Selbstoptimierung.

    Immerhin landen viele Medikamente bei Menschen, die sie

    nicht mit dem Vorhaben einnehmen, einem psychischen Leiden entgegen zu wirken, sondern um den eigenen gesunden Organismus zu verbessern und damit evtl. einen Vorteil zu erlangen.

    Es ist also eine Anwendung jenseits der medizinischen Behandlung eines Defizits gelufig reicht dieser Tatbestand hin fr den Begriff Miss-brauch. Und Missbrauch liegt dem Dopinggedanken zugrunde.

    Doch nicht nur fragliche Verschreibungen erzeugen ein Gefhl der Ungerechtigkeit, sofern die Medikamente ihren Konsumenten denn tatschlich kognitive Vorteile verschaffen, auch die rechtswidrige Beschaffung ist davon betroffen.

    In Deutschland ist der Schwarzmarkt fr Cognitive Enhancers stark gewachsen:

    Eine im Auftrag der DAK durchgefhrte bundesweite Befragung ergab, dass jeder fnfte Bundesbrger mindestens eine Person kennt, die Hirndoping betrieben hat oder aktiv betreibt. Dabei fhrte nur knapp die Hlfte der Bezugswege ber die rztliche Verschreibung. Auch hier zhlt Ritalin zu den Spitzenreitern.

    kriteriensuche fr Missbrauch

    Diese skizzierten Entwicklungen zeigen den ethischen Rahmen an, in welchem sich die Ausgangsfrage nun neu stellt: Was ist ungerecht daran, als vermeintlich gesunder Mensch ein Psychopharmakon wie Ritalin einzunehmen zu Zwecken, die nichts mehr mit der ursprnglichen Herstellungsintention gemeinsam haben? Eine solche ethische Richtlinie kann bei der Bewltigung der bereits genannten Anschlussprobleme eine wichtige Hilfestellung sein.

    Fr eine erste grobe Beantwortung dieser Frage bedarf es eines Kriteriums fr Missbrauch. Ein solcher Missbrauchsbegriff muss in der Lage sein, den Eindruck der Ungerechtigkeit einzufangen und diesen sinnvoll als Hirn-doping zum Ausdruck zu brin

    gen. Fr eine Kriteriensuche scheinen zunchst drei Mglichkeiten in Frage zu kommen:

    (1) Illegalitt. Hirndoping lge nur dann vor, wenn Beschaffung und Konsum illegal, das heit ohne rztliche Verschreibung erfolgen. Jegliche Einnahme verschriebener Sub

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    stanzen wre kein Missbrauch und so eine ethisch zu tolerierende Handlung.

    Dieses verlockende Kriterium erweist sich aber als zu schwach fr eine klare Definition von Missbrauch. Der Begriff Missbrauch berschreitet im Falle des Hirndopings den Rechtsraum und betritt ein ethisches Konfliktfeld, welches den Kategorien von Legalitt und Illegalitt nicht gehorcht.

    Es wrde die Einnahme verschriebener Prparate, die auf keiner gesicherten Diagnose fuen und bewusst der Stimulation eines gesunden Gehirns dienen, von jeglicher juristischen wie ethischen Belastung befreien, womit ebenfalls ausgedrckt wre: Was das Gesetz nicht verbietet, ist richtig.

    Doch dieser Ansatz bindet die Ethik an die Justiz, ein aus guten Grnden als unvollstndig abzulehnender Vorschlag. Allein deswegen, weil die Gesetzeslage mitunter kontingent sein kann, eine Eigenschaft, welcher sich die ethische Beurteilung nicht unterwerfen darf.3

    (2) Herstellungsintention. Eine weitere Mglichkeit wre die Festlegung, dass Hirndoping dann vorliegt, wenn ein Prparat zwar rechtens, also mit rztlicher Verordnung, aber entgegen seiner Herstellungsintention, also der Behandlung einer Erkrankung, eingenommen wird.

    Das Kriterium der Herstellungsintention greift allerdings gleich an zwei Stellen zu kurz. Zum einen darf davon ausgegangen werden, dass die Hersteller etwa von Ritalin den Kuferkreis auerhalb der Patientengruppe lngst mit einkalkulieren auch wenn sie nicht den ursprnglich intendierten Konsumentenkreis darstellen. Zum anderen werden viele Prparate heute bewusst und rztlich verordnet

    auerhalb ihrer Herstellungsintention gebraucht (off-label-use).

    (3) Bedrftigkeit. Dieses scheint das bisher strkste zur Verfgung stehende Kriterium zu sein. Solange es sich auf einen Kreis tatschlicher Patienten beschrnkt, ist damit auch eine legale Verschreibung an unbedrftige Menschen missbruchlich. Eine in diesem Sinne gerechte Zuteilung begrenzt sich ausschlielich auf jene Menschen, die diese Medikamente zur Behandlung eines medizinischen Leidens auch brauchen.

    Doch wann ist ein Mensch bedrftig? Ist dies nur der Fall, wenn eine Gesetzesvorlage die Bedrftigkeit festlegt? Und wenn ja, wie verlsslich sind die entsprechenden Parameter? Der Begriff der Bedrftigkeit ist zunchst zu unscharf.

    Denn was passiert, wenn das Verstndnis von Krankheit oder eines psychischen Defizits derart ausgeweitet wird, dass vormals gesunde Menschen in den Kreis der Bedrftigen fallen? Die skizzierte Verschreibungshufigkeit von Ritalin zeigt genau in diese Richtung.

    Dennoch lohnt es, an der Bedrftigkeit als Kriterium einer Falschheit von Hirndoping festzuhalten. Es unterscheidet sich von dem der Illegalitt nmlich dadurch, dass es nicht nur legale Verschreibungen als missbruchlich enttarnen kann, sondern auch bedrftige Menschen erfasst, die mit ihrem Leiden nicht in den Akten einer Arztpraxis gefhrt werden zum Beispiel junge Lehrer, die trotz Beschwerden aufgrund einer nahenden Verbeamtung den Weg zum Arzt scheuen.

    Mit dem Kriterium