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Arnd Heling (Hrsg.) Der Ostseeraum und seine Wälder Nachhaltigkeit im Zeichen des Klimawandels ISBN 978-3-86581-206-3 287 Seiten, 16,5 x 23,5 cm, 24,90 Euro oekom verlag, München 2010 ©oekom verlag 2010 www.oekom.de

Wälder Des Ostseeraums - bilder.buecher.de · Wiederbesiedlung durch die Vegetation und Tierwelt ... durch das Klima, unterschiedliche Böden und nicht ... Links: ›Laubwiese‹,

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Arnd Heling (Hrsg.)

Der Ostseeraum und seine Wälder

Nachhaltigkeit im Zeichen des Klimawandels

ISBN 978-3-86581-206-3 287 Seiten, 16,5 x 23,5 cm, 24,90 Euro

oekom verlag, München 2010

©oekom verlag 2010

www.oekom.de

W ä l d er D e s O s t s eer au m s

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W ä l d er u n d Wa l d n u t zu n g s f o r m en i m O s t s eer au m

Kl aus D ierßen

Flechten-Kiefernwald, Idre, Schweden © Klaus Dierßen

Zusammenfassung Ohne menschliche Nutzung wären die Landschaften entlang der Ostsee über­wiegend waldbedeckt. Die beherrschen­den Baumarten und Waldtypen dieser Region unterliegen großräumig dem Kli­magefälle von der temperaten Zone im Süden zur borealen Zone im nördlichen Skandinavien sowie einer abnehmenden Ozeanität von Jütland bis zum Finni­schen Meerbusen. Kleinräumig bestim­men die unterschiedlichen Böden und die regional verschiedene Landnutzung sowie die Nutzungsgeschichte durch die Menschen die aktuelle Struktur und Ar­tenzusammensetzung der Wälder. Ihr künftiges Schicksal dürfte eng mit der Landnutzungsintensität und deren Ver­änderung verknüpft sein.

Nat urr aumgliederungDie Ostsee mit ihren angrenzenden Landschaften verdankt ihre aktuelle Ge­stalt den Auswirkungen der kaltzeit­lichen Vergletscherungen sowie nach­eiszeitlichen Hebungen der Landmasse im Norden und Senkungen im Süden. Letzteres ist die Folge der abtauenden Gletschermassen der letzten Vereisung, die ihre größte Mächtigkeit über dem zentralen Skandinavien erreicht hat. Mit der Landschaftsentwicklung verknüpft sind Veränderungen der Ausdehnung und der Wasserstände in der Ostsee selbst. Dieser Wandel vollzieht sich dy­na­misch und ist keineswegs abgeschlossen. Die Böden haben sich im Norden vor­wiegend auf erdgeschichtlich altem Aus­gangsgestein gebildet, im Süden dagegen fast durchweg auf eiszeitlichen Sandern und Moränenablagerungen.

Seit der Weichselkaltzeit hat sich die Zusammensetzung der natürlichen Ve­getation entlang zweier Klimagradien­ten entwickelt. Vom Bottnischen Meer­busen südwärts steigen von der borealen (kühlen) zur temperaten (kühlgemäßig­ten) Zone die Jahresmitteltemperaturen an. Zugleich verkürzt sich die Länge der Vegetationsperiode als Phase des Pflan­zenwachstums von Süden nach Norden. Von Jütland zum Finnischen Meerbusen wird das Klima »kontinentaler«. Die Tem­peraturunterschiede zwischen Sommer und Winter wachsen, die Niederschläge fallen dagegen besonders während des Sommers ab.

Die Klimagradienten sowie die lokalen und regionalen Bodenverhältnisse mit unterschiedlichem Relief der Landschaf­ten, verschiedenem Ausgangsgestein für

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Rotbuche

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die Bodenbildung und der Wasserhaus­halt prägen das lokale und regionale Ve­getationsgefüge. In Skandinavien nörd­lich der heutigen Ostsee ist die Verwit­terung des anstehenden Gesteins die entscheidende Grundlage der Bodenbil­dung. Südwestlich bis südöstlich sind dies demgegenüber die unterschiedlich mächtigen Ablagerungen der Moränen und Urstromtäler vor allem der jüngsten Vereisung. Überformt werden diese »na­türlichen« Bedingungen und Prozesse durch eine regional unterschiedlich ver­laufene Siedlungsgeschichte und aktuel­le Bevölkerungsdichte der Menschen.

Nacheiszeitliche L andschaf t sent wick lungWährend der maximalen Ausdehnung des Inlandeises in Skandinavien in der Weichselkaltzeit waren neben Nordeu­ropa selbst auch die Landschaften süd­lich, westlich und östlich der Ostsee langfristig vom Inlandeis bedeckt. Die größten Eismächtigkeiten lagen im mitt­leren Bereich des Bottnischen Meer­busens. Nach der Entlastung der Land­masse durch den abgetauten Eiskörper erfolgte hier eine auch heute noch an­haltende nacheiszeitliche »isostatische« Landhebung um bis zu 295 Meter. Diese wird teilweise kompensiert durch einen durch das Abtauen erfolgenden »eu­statischen« Meeresspiegelanstieg sowie Senkungsvorgänge der Landmasse ent­lang der südlichen und südwestlichen Ostsee1.

Die Geschichte der nacheiszeitlichen Wiederbesiedlung durch die Vegetation und Tierwelt lässt sich aus Bohrkernen

von Seesedimenten und Torfen erschlie­ßen. Gleichermaßen gilt dies für die Re­konstruktion von Meeresspiegelschwan­kungen, die Veränderung von Ausdeh­nung und Gestalt der Ostsee sowie die Charakterisierung der Siedlungsgeschich­te entlang ihrer Küsten. Die Einwande­rung von Vegetation, Tierwelt und be­reits frühzeitig auch des Menschen er­folgte ganz überwiegend aus dem Süd­westen, Süden und Osten. Bevorzugte Siedlungsräume für die Menschen waren durchweg zunächst die Küsten.

Die vom Menschen unbeeinflusste Ve­getation entsprach in den Eisrandlagen zunächst den Verhältnissen arktischer Tundren. Phasenverzögert wanderten verschiedene Gehölzarten sukzessive aus kaltzeitlichen Rückzugsgebieten südlich der Alpen nach Mitteleuropa ein und damit auch, zeitlich verzögert, in den südlichen Ostseeraum. Die im Norden Skandinaviens vorherrschenden Bäume und Kräuter sind demgegenüber über­wiegend aus eisfreien Rückzugsgebieten Nordrusslands westwärts gewandert.

Die Einwanderungsgeschichte der be­herrschenden Gehölzarten im südlichen und mittleren Ostseeraum dürfte ähn­lich verlaufen sein und wurde regional durch das Klima, unterschiedliche Böden und nicht zuletzt durch die unterschied­liche Intensität menschlicher Aktivitäten modifiziert.

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Links: ›Laubwiese‹, Saaramaa, Estland; rechts: Buchenwald, Moens Klint, Dänemark; alle Fotos © Klaus Dierßen

Natürliche Waldgesellschaften des Os t seer aumesDer bei weitem größte Teil Mittel­ und Nordeuropas wäre ohne menschlichen Einfluss waldbedeckt. Die räumliche Va­riabilität und Artenfülle der ursprüng­lichen Wälder ist beträchtlich und hat zusätzlich durch regional unterschied­liche Landnutzungsformen eine Berei­cherung erfahren.

Die Baltischen Jungmoränen von Jüt­land, den dänischen Inseln und der Ost­seeküste von Schleswig­Holstein bis Nordpolen sind durch das Vorherrschen von Rotbuchenwäldern gekennzeichnet. Die Rotbuche kann hier auf nährstoff­reichen Böden geradstämmige, während des Sommers stark Schatten werfende Hallenwälder aufbauen, in denen die Buche Höhen bis über 40 Meter errei­chen kann. Bei stärkerer Durchsetzung mit anderen Baumarten wie Eichen, Esche und Ahorn wird das Kronendach

aufgelockert. Damit werden die Bestände lichter, und sowohl die Strauch­ als auch die Krautschicht werden merklich arten­reicher.

Heute sind alte Primärwälder eine selte­ne Ausnahme und sind vorwiegend auf Schutzgebiete und Nationalparks be­schränkt. Niederwaldartige Strukturen in ehemaligen Hutewäldern mit krumm­schäftigen, niedrigwüchsigen Buchen zeugen von einstiger Waldweide. Ästhe­tisch besonders ansprechend und biolo­gisch herausragend sind die waldbaulich ungenutzten Buchenwälder der Kreide­kliffs auf Moen und Rügen. Sie haben bereits begnadete Landschaftsmaler wie Caspar David Friedrich inspiriert und seither wenig von ihrem Charme einge­büßt.

Die Rotbuche ist nacheiszeitlich spät in Mitteleuropa und im Ostseegebiet ein­gewandert und kann, sofern Forstleute dies zulassen, wie ihre Begleitbaumarten 300 bis 600 Jahre alt werden (vergl. den

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V.l.n.r.: Erlenbruchwald, S-Litauen, Linden-Eichenwald, Bialovieza, E-Polen, Feuerspuren an Kiefern, Idre, Schweden.

Beitrag von H. Knapp). Natürliche Stör­faktoren sind Stürme, Feuer, Nassschnee­und Eisbruch, Sommerdürre sowie Spät­fröste im Frühjahr und Frühfröste im Herbst2,3. Dies erklärt ihre nördliche und östliche Ausbreitungsgrenze: nordwärts eine verkürzte Vegetationsperiode, ver­knüpft mit einer abgeschwächten Pro­duktion von Bucheckern und damit zu­gleich einer abnehmenden Regeneration der Bestände. Ostwärts steigt das Risiko von Spätfrösten und damit verbunden einer Schädigung der Knospen. Zusätzlich setzt an der Ostgrenze des Areals Som­mertrockenheit den Buchen stärker zu als beispielsweise Eichen, Linden und der Hainbuche.

Die heutigen Buchenwälder sind ganz überwiegend Wirtschaftswälder, die sich entweder erst in den vergangenen 150 Jahren aus Niederwäldern entwickelt ha­ben oder neu gepflanzt wurden. Insge­samt ist der Waldanteil am südwestli­chen und südlichen Rand der Ostsee bei

überwiegend landwirtschaftlicher Flächen­nutzung gering.

Östlich und nordöstlich des Buchen­areals im ostmitteleuropäischen Tief­ und Hügelland im überwiegenden Teil Polens sowie im Westen Litauens wird die Buche als vorherrschender Wald­baum ersetzt durch weniger spätfrost­empfindliche Arten wie Hainbuche, Stiel­ und Traubeneiche, Esche und Winter­ linde. Insgesamt ist der Waldanteil in den gut landwirtschaftlich nutzbaren Räumen deutlich geringer als im nördlichen Ost­seeraum. Allerdings haben sich in abge­legenen Gebieten des östlichen Polens zum Teil vom Menschen wenig beein­trächtige Primärwälder halten können. Das bekannteste Beispiel ist der seit 1921 als Reservat ausgewiesene Białowieza­Nationalpark in der Wojewodschaft Pod­landskie an der Grenze zu Weißrussland. Die ältesten Eichen sind hier über 400 Jahre alt, und die Fichten erreichen Hö­hen von über 50 Metern. Das Waldbild

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Die Ostsee zur Zeit der »Yoldia«-Phase

vor ca. 9.000 Jahren.

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ist im Vergleich zu jenem der Buchen­wäldern mehrstufig, im Regelfall drei­schichtig. Den hohen, oft locker verteil­ten Eichen (Quercus robur, Q. petraea) und Eschen folgen in der Stufung Win­terlinde, Spitzahorn, Hainbuche und Feldahorn (vgl. den Beitrag von R. Paluch et.al. in diesem Band). Im Vergleich zu den Hallenwäldern mit dominierender Buche dringt mehr Licht in das Wald­innere ein und erlaubt so die Entwick­lung einer üppigen Strauch­ und Kraut­schicht.

Die standörtliche Amplitude der Ei­chen­ Hainbuchenwälder ist bezüglich des Wasserhaushaltes größer als jene der Buchenwälder und umfasst auch stärker grund­ und stauwassergeprägte Böden4.

In Sandergebieten sowie in Südskan­dinavien auf sauren Böden über graniti­

schem Ausgangsgestein ersetzen Eichen­mischwälder die Buchen­ und Eichen­Hainbuchenwälder. Ihr im südlichen Ostseeraum regional auf magere Stand­orte beschränktes Verbreitungsgebiet reicht zudem weiter nach Osten und Norden als jenes der Buchenwälder5,6.

Die Böden haben durchweg geringe Basen­ und Nährstoffgehalte sowie un­günstige Humusformen. Die Masse der Bäume erreicht nur Wuchshöhen zwi­schen 15 und 25, selten bis zu 30 Metern. Der geringe Kronenschluss lässt die Ent­wicklung einer üppigen Strauch­ und Krautschicht zu. Die spärlich und klein­räumig vertretenen, historisch alten Waldstandorte sind teilweise bis in jün­gere Zeit deutlich durch Waldweide ge­prägt, mit deutlich aufgelichtetem Baum­bestand.

Ost­ und nordwärts werden diese bo­densauren Eichenwälder sukzessive durch Kiefernwälder abgelöst.

In der boreonemoralen Übergangszone in den baltischen und skandinavischen Ländern geht klimabedingt der Anteil reiner Laubwälder nordwärts zunehmend zurück. Sukzessive setzen sich auf den nährstoffreicheren Böden Fichten­ und Fichtenmischwälder durch7. Ein mildes Regionalklima forciert an den nährstoff­reichen Standorten auf Öland und Got­land sowie auf dem Festland Südost­Schwedens Lindenmischwälder mit va­riabler Baumschicht aus Spitz­Ahorn, Esche, Eichen und Berg­Ulme. Die klein­klimatisch günstigen Standorte dieser Wälder sind seit Jahrhunderten durch die Nutzung als Weiden oder Laubwie­sen dezimiert und überformt worden.

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frühen Ost­see (s. Abb.) vor rund 9.000 Jahren, als nordwest­lich des Bot­t­nischen Meerbusens die Rest­e des Inlandeises abt­aut­en, wurde der Südwest­en Schwe­dens dünn von alt­st­einzeit­lichen Jäger­kult­uren besiedelt­. Aus der Jüngeren St­einzeit­ vor et­wa 5.000 Jahren lassen sich die erst­en Formen eines primit­iven Ackerbaues und der Viehhalt­ung bele­gen. Bis Mit­t­elschweden wurden Spuren früher Brandrodung anget­roffen9. Eine umfassende Rekonst­rukt­ion der frühen Kult­urlandschaft­sent­wicklung liegt­ aus dem Raum Y­st­ad an der Südspit­ze Schwedens vor. Die Besiedlung erfolgt­e zunächst­ durch spät­mesolit­hische Jäger­kult­uren. Ihnen folgt­en jungst­einzeit­­liche und bronzezeit­liche Siedler. Im Umfeld ihrer Siedlungen dürft­en in Süd­schweden und ­finnland Brandrodung und Waldweide bereit­s zu einer merk­lichen Auflicht­ung der Wälder geführt­ haben.

Zu Beginn der Eisenzeit­ wurde das Klima zunehmend milder und zugleich t­rockener. Zwischen Christ­i Geburt­ und dem 8. Jahrhundert­ lassen sich für die Seen Südschwedens Tiefst­wasserst­ände rekonst­ruieren. Handwerklich hervorra­gend gearbeit­et­e Eisengerät­e macht­en die Bewirt­schaft­ung selbst­ schwerer Bö­den möglich, und eine Düngung mit­ Asche, Holzkohle sowie t­ierischen Ex­krement­en schuf die Vorausset­zung für eine zunehmend effekt­ive Landbewirt­­schaft­ung. Episodisch genut­zt­e Hut­un­gen im Süden des Landes dürft­en in jener Zeit­ sukzessive durch dauerhaft­e Sied­lungen erset­zt­ worden sein. Diese Ent­­wicklung wurde, regional unt­erschied­

Nördlich der »hemiborealen« Zone schließt­ sich auf der geographischen Breit­e von St­ockholm und Tallin die von Kiefern und Ficht­en beherrscht­e bo­reale Nadelwaldzone an. Sie umspannt­ als ausgedehnt­e Waldregion die gesamt­e Nordhemisphäre von Nordamerika über Skandinavien bis Ost­sibirien und Nord­japan. In Skandinavien ist­ sie aufgrund der kält­ezeit­lichen Verglet­scherungen und einer eingeschränkt­en Wiederein­wanderung von Gehölzart­en besonders arm an Koniferen­ und Laubholzart­en. Neben Ficht­e und Wald­Kiefer als vor­herrschenden Nadelbäumen sind Moor­Birke, Zit­t­er­Pappel und Grau­Erle die häufigst­en Laubbäume.

Bei in Det­ails deut­lichen Unt­erschie­den der Waldst­andort­e sind die bore­alen Nadelwälder gekennzeichnet­ durch eine st­arke Rohhumus­ und St­reuakku­mulat­ion und binden so erhebliche Koh­lenst­offvorrät­e. Episodisch auft­ret­ende, durch Blit­zschlag oder vorsät­zlich aus­gelöst­e Brände können demzufolge st­ark die Nährst­offdynamik dieser Wälder beeint­rächt­igen.

His torische Waldnu t zungÜber die Landschaft­s­ und Siedlungsge­schicht­e im Ost­seeraum sind wir heut­e aufgrund pollenanalyt­ischer Unt­ersu­chungen von Seesediment­en und Moo­ren sowie Grabungen von Prähist­orikern in Siedlungsräumen umfassend orien­t­iert­8. Ent­lang der südlichen und west­­lichen Ost­see ist­ der Waldant­eil durch ackerbauliche Nut­zung st­ark dezimiert­ worden. Im nördlichen Ost­seeraum st­eigt­ der Waldant­eil nordwärt­s st­et­ig an. Bereit­s während der »Yoldia-Phase« der

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Links: Subalpiner Fichtenwald, Lule Lappmark, Schweden, rechts: Flechten-Kiefernwald, Idre, Schweden

lich intensiv, zwischen 500 und 1.000 n. Chr. forciert. Ein weiterer Siedlungs­schub mit dauerhaftem Ackerbau und einer landschaftsformenden Erweiterung des Nutzungsspektrums um verschiede­ne Getreidesorten wie Spelzgerste und Weizen sowie durch Fischfang erfolgte zur Zeit der Wikinger im Süden Skandi­naviens vom 10. bis 13. Jahrhundert10.

Bis ins 18. Jahrhundert konzentrierte sich die Landnutzung mit Äckern, Nieder­waldinseln sowie Allmendwiesen und ­weiden um Siedlungskerne im Süden Schwedens und Finnlands. Lokal und regional wurden bereits Niedermoore als Feuchtwiesen genutzt und erste Entwäs­serungsmaßnahmen durchgeführt.

Nordschweden und ­finnland wurden deutlich später besiedelt. In Västerbotten führten Pottasche­ und Teergewinnung, Brandrodung, kombiniert mit Waldwei­de oder verknüpft mit Roggenanbau, zu einer kontinuierlichen Ausmagerung der Bö­den und einer Dezimierung der

Mischwälder11,12. Waldreichtum im Nor­den Skandinaviens ist daher nicht gleich­bedeutend mit »naturnahen« Waldstand­orten. Eine rigorose Kahlschlagwirtschaft und wenig Boden schonende Bewirt­schaftungsmaßnahmen mit Großgerä­ten werden selbst in abgelegenen Regio­nen Schwedens und Finnlands prakti­ziert.

Der Anteil historisch alter Primärwäl­der ist selbst im waldreichen Skandina­vien gering und bleibt vielerorts auf kleine Reservate beschränkt. Ihr Arten­bestand in der Stauden­, Zwergstrauch­ und Krautschicht kann vor allem an fri­schen, nährstoffreichen und etwas feuch­ten Standorten hoch sein. Bezeichnend sind unter anderem Christophskraut, Wald­Storchschnabel, Finger­Segge und Seidelbast. Abhängig von der Boden­feuchte der Humusdecke in den Wäldern entwickeln sich neben den Kräutern üp­pige Decken von Moosen und Flechten

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auf dem Waldboden und überziehen auch liegendes Totholz und die Baumstämme.

In den baltischen Ländern und im süd­lichen Skandinavien verliefen Waldbau, Waldweide und Grünlandnutzung viel­fach kleinräumig nebeneinander und zeit­lich fluktuierend, mit häufig unscharfen Nutzungsgrenzen beziehungsweise als Allmenden. Artenreich und von besonde­rem landschaftlichen Reiz sind von Süd­schweden über Öland, Gotland und die Åland­Inseln bis Südfinnland und Saa­remaa und Hiiumaa »Laubwiesen« mit einem nutzungsgeprägten, feinmaschigen Mosaik aus ungedüngten Wiesen, »ge­schneitelten« Haselsträuchern, beweide­ten Niederwäldern und einzelnen Laub­baumveteranen, überwiegend Eichen.

Laubstreu als Winterfutter für das Vieh, episodisches Brennen, Mahd, Wiesen­ und Weidenutzung und selbst gelegent­liche Getreideeinsaat schufen über die Jahrhunderte eine aus heutiger Sicht sehr abwechslungs­ und artenreiche, über­

wiegend extensiv genutzte Kulturland­schaft. Die Erhaltung dieser Nutzungs­formen wird derzeit zumindest regional als kombinierte Natur­ und Kulturland­schaftsschutzmaßnahme wieder for­ciert13­16.

In Litauen haben sich vor allem in dö­rf­lichen Regionen im Süden und Südosten das Sammeln von Pilzen und Beeren in den Wäldern und »archaisch« anmutende Formen der Imkerei in Wald­Kiefern bis heute gehalten und prägen die natur­räumliche Authentizität.

Ak t uelle Sit uation , künf tige R isik en und ChancenIn einer Welt mit sich rasch beschleuni­gendem Wachstum der menschlichen Be­vö­lkerung, mit steigenden Verteilungs­problemen knapper werdender Ressour­cen, einer zunehmenden Belastung mit Schadstoffen sowie zusätzlich durch eine Übernutzung von Lebensräumen verän­

Links: Durch ehemalige Waldweide geprägte Flechten-Kiefernwälder, Chepkeliai, S-Litauen; alle Fotos: © Klaus Dierßen

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dert sich auch im Ostseeraum die Ein­stellung zu Wäldern, freilich regional in unterschiedlicher Form und Intensität.

Das Erscheinungsbild der Wälder des Ostseeraumes spiegelt neben den vielsei­tigen regionalen naturräumlichen und landschaftsgeschichtlichen Eigenheiten markante Unterschiede in der Walddich­te, ihrer Nutzung und ihrer Gefährdung. Allgemein steigt der Waldanteil gegen­über der landwirtschaftlichen Nutzung in den einzelnen Ländern von Nord­deutschland und Dänemark nach Russ­land und Finnland deutlich an. Nord­ostwärts sind Land­ und Forstwirtschaft zunehmend gekoppelt. Tendenziell ge­winnt in den geringer besiedelten Räu­men im Nordosten die private und kom­munale Waldnutzung gegenüber einer kommerziellen und staatlichen an Be­deutung. In Litauen etwa sind Holz­schnitzerei, das Sammeln von Pilzen und Beeren sowie die Imkerei in Wäl­dern ein historisch gewachsenes und gepflegtes Element nationaler Authen­tizität. Das Betreten von Wäldern außer­halb von Wegen und Pfaden ist hier un­hinterfragt üblich, auch in den Schutz­gebieten und Nationalparks. Ein an­gemessenes Verhalten ist selbstver­ständlich.

Vor allem die Wälder Schleswig­Hol­steins und Dänemarks sind bis in jüngste Zeit beträchtlich dezimiert worden17. Ihr Flächenanteil in Schleswig­Holstein liegt aktuell bei unter 10 Prozent der Landes­fläche. Davon sind etwa ein Drittel Na­delholzforste in einem waldbaulich un­günstigen Zustand, unter anderem mit einer eingeschränkten Resilienz gegen­über potenziellen klimatischen Verän­

derungen. Die Nährstoffdy­namik dieser Wälder ist zusätzlich geprägt durch at­mosphärische Einträge von Mineraldün­ger und Gülleimmissionen aus landwirt­schaftlich genutzten Flächen in der Grö­ßenordnung von jährlich 40 kg Stickstoff pro Hektar18. Den ökologisch und von der Artenvielfalt her eindeutig »günstigsten« Zustand zeigen »historisch alte« Wälder, die fast durchweg innerhalb von Schutz­gebieten liegen.

Einträge von Schadstoffen in Wälder sind ein überregionales Problem. Als Bei­spiel für Emissionsprobleme sei Litauen herausgegriffen. Seit etwa 1940 ist hier die Holznutzung für den Hausbrand in den größeren Städten deutlich zurück­gegangen. Der Anteil von Öl­ und Gas­heizungen ist zunächst bis 1985 expo­nentiell angestiegen, aber seither gleich­falls wieder rückläufig. Die Emissions­raten bei der im Vergleich zu Deutschland geringeren Bevölkerungsdichte betragen derzeit bei klimawirksamen Substanzen und Schadstoffen bei Kohlendioxid in Litauen im Mittel 276 t / km2 jährlich, bei Schwefeloxiden 2 t/km2 und bei Stick­oxiden 1 t/km2. Die entsprechenden Wer­te für die Bundesrepublik sind bei CO2 etwa 11mal, bei SOx etwa 15mal und bei NOx 9mal so hoch19. Etwa 60 Prozent der Einträge von Schadgasen kommen offensichtlich mit Luftmassen aus den südwestlich angrenzenden Ländern. Waldschäden durch Schadgase bleiben, mit deutlichen regionalen Unterschie­den, ein weiterhin wachsendes globales Problem.

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unzulänglich, als die zunehmend wach­senden Eingriffe des Menschen in Wald­landschaften bereits seit der jüngeren Steinzeit zumindest in Europa tiefgrei­fend und flächendeckend erfolgt sind, wie sich aus der Analy­se vegetationsge­schichtlicher Archive belegen lässt23,2 4.Mittlerweile sind wir unstrittig im vom menschlichen Handeln umfassend ge­prägten Zeitalter des »Anthropozän« an­gekommen. Nichts ist harmlos, was Homo sapiens auf diesem Planeten 6,5 x 109­fach anstellt25. Insofern bedarf das vielfach in Naturschützerkreisen gefor­derte »Nicht Eingreifen« in »natürliche« Prozesse« (»Prozessschutz«) zusätzlich einer wesentlichen Ergänzung, nämlich eines vorausschauenden, weitestgehen­den Vermeidens von und Schützens vor indirekten Störungen dieser komplexen Sy­steme durch anthropogenen Stress. Hier sind gleichermaßen eine nachhaltig umweltverträgliche Land­ und Forstwirt­schaft, Industrie­ und Verkehrsentwick­lung notwendig.

Ein Problem für die Umsetzung ein­schneidender umweltpolitischer Maß­nahmen ist die latente Gewöhnung und Akzeptanz der Öffentlichkeit an nicht unmittelbar wahrnehmbare Veränderun­gen. So können wir uns etwa der ästhe­tischen Wirkung der »goldenen« Herbst­färbung eines Buchenwaldes nicht ent­ziehen, selbst dort nicht, wo waldbau­liche und standörtliche Veränderungen die Authentizität und Vielfalt eines konkreten Bestandes beeinträchtigen.

Fr agen eines ver ant wort ungs ­vollen Umgangs mit Wäldern , der Ethik und der Spirit ualitätIn komplexen Gesellschaften scheiden sich die Geister an mehrdeutigen und interpretationsfähigen Begriffen wie »Heimat« und »Wildnis«. Sie sind in­dessen in weiten Teilen Europas und damit auch im Baltischen Raum eng mit Wäldern oder auch alten Bäumen ver­knüpft. Die Achtung und der Schutz alter Bäume in ehemaligen Hudewäl­dern, denen vielfach ein »tausendjäh­riges« Alter angedichtet wird, ist für Menschen unterschiedlicher Kulturkreise unhinterfragt selbstverständlich. Das Be­treten alter Waldbestände als »heiliger Haine« ist regional, etwa in Äthiopien oder Indien, tabuisiert. Stand in Europa für Jahrhunderte die Zähmung einer »wilden« Natur im Vordergrund der Landnutzung durch den Menschen20, so spiegelt die jüngere populärwissen­schaftliche Literatur die Sehnsucht nach dem Ursprünglichen und regional Au­thentischen. Wäldern, gerade auch in waldärmeren Kulturlandschaften, kommt in diesem Zusammenhang unstrittig eine Schlüsselrolle zu21,22.

Für »nachhaltige« Schutz­ und Ent­wicklungskonzepte bleiben derzeit un­gelöste Probleme: Um Wälder natur­raumspezifischer und herausragender Qualität langfristig zu sichern, mag es hilfreich sein, sich im öffentlichen Dis­kurs griffiger Metaphern zu bedienen: »Urwald«, »Naturerbe« oder »Natur Na­tur sein lassen« sind stereoty­p wieder­holte und vermeintlich eingängige Flos­keln. Sie spiegeln die Realität insofern

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Einige SchlussfolgerungenArten- und Strukturvielfalt wenig be-einträchtigter Wälder haben einen au-thentischen-ideellen-Wert, aber keinen Preis. Bei den derzeitigen gesellschaft-lichen und ökonomischen Randbedin-gungen dürfte die Annahme realistisch sein, dass die Entwicklung der forst-lichen Nutzung weiterhin primär von der Preisentwicklung der Holzmärkte bestimmt wird. Wenn neuerdings der »ökonomische Wert der Artenvielfalt« verstärkt öffentlich diskutiert wird, so bleibt dabei nicht selten unberücksich-tigt, dass gesellschaftliche und private Interessen nicht durchweg koinzidieren. So mag es sich für einen Einzelnen »rech-nen«, für den individuellen Gewinn den Verlust von »Artenvielfalt« in Kauf zu nehmen, obgleich dies für die Gesell-

schaft mit »ex­ternen« Kosten verknüpft sein kann26. Dem herrschenden ökonomischen Pri-mat in der menschlichen Gesellschaft frö-nend, mangelt es nicht an Überlegungen, »Gratisdienste« der Natur kostenaufwän-digen technischen Maß­nahmen vorzuzie-hen, – teilweise mit absurden Schluss-folgerungen. So regte beispielsweise die Hamburger Forstverwaltung ernsthaft an, die »Filterleistung« von Waldbestän-den zur Staubbindung oder Ausfilterung von Schwefeldiox­id technischen Vermei-dungskosten für den Filtereinbau in Fabri-ken gegen zu rechnen27. Die betroffenen Wälder dürften, so man sie denn fragen könnte, eine solche Anregung ihrer Ver-waltung kaum danken.

© Klaus Dierßen

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Liter at ur

1 Sömme, A. (ed.) (1967): Die nordischen Länder. - 344 S., Westermann, Braunschweig.

2 Ot to, H.­J . (1994): Waldökologie.- 3�1 S., Ulmer, Stuttgart.

3 Dierschke, H., Bohn, U. (2004): Eutraphente Rotbuchenwälder in Europa.- Tuexenia 24: 1�0 – 1�6, Göttingen.

4 Matuszkiewicz, W. (1984): Die Karte der potentiellen natürlichen Vegetation von Polen.- Braun-Blanquetia 1: 1 – ��.

5 Bohn, U., Gollub, G., Het t wer, C., Neuhäuslová, Z., Schlüter, H. Weber, H. (2003): Karte der natürlichen Vegetation Europas. Maßstab 1: 2 500 000, Bundesamt für Naturschutz, Bonn.

6 Haerdtle, W. (2004): Bodensaure Eichen- und Eichenmischwälder Europas.- Tuexenia 24, 7 – 72, Göttingen.

7 Diekmann, M. (2004): Sommergrüne Laub-wälder der boreo-nemoralen Zone Nordeuropas. – Tuexenia 24, 73 – 88, Göttingen.

8 Berglund, B. E. (ed.) (1991): The cultural landscape. - Ecol. Bull. 41

9 Jokippii , M. (1987): The historical shaping of the Nordic countries.- In: Varjo, U. & W. Tietze (eds.): Norden – Man and Environment, 3 – 1�, Berlin.

10 Olsson, E. G. (1989): Akerbruket i Ystadomradet under medeltiden.- Lunds Stud. Medieval Archaeol. 5, 57 – 60, Stockholm.

1 1 Zackrisson, O. (1976): Vegetation dynamics and land use in the lower reaches of the River Umeälven.- Early Norrland �, 7 – 74.

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