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Walter Hanesch Die soziale Dienstleistung Schuldner- und Insolvenzberatung Erwartungen 2003 und Bewertungen 2008

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Walter Hanesch

Die soziale Dienstleistung Schuldner- und Insolvenzberatung

Erwartungen 2003 und Bewertungen 2008

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Übersicht

• Überschuldung und Schuldnerberatung• Schuldnerberatung im SGB II• Erwartungen zu den Auswirkungen• Die Entwicklung seit 2005• Eine vorläufige Bewertung

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Überschuldung und Schuldnerberatung 1

• Seit Mitte der 90er Jahre wird Deutschland durch eine zunehmende Ungleichheit der Einkommen und Vermögen gekennzeichnet

• Dabei signalisiert die Zunahme der Armut eine kontinuierliche Zunahme materieller Existenzrisiken und Problemlagen

• Vor diesem Hintergrund hat auch die Überschuldung in Deutschland kontinuierlich zugenommen

• Die Zunahme materieller Existenzrisiken und Notlagen ist zurückzuführen – Auf einen beschleunigten wirtschaftlichen und sozialen Strukturwandel – Aber ebenso auf einen Umbau der sozialen Sicherungssysteme

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Überschuldung und Schuldnerberatung 2

• Die Einführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende im Rahmen der sog. Hartz IV-Reform galt und gilt als Kernstück des Paradigmenwechsel hin zum „aktivierenden Staat“

• Ausgehend von einer individuumzentrierten Problemdiagnose sollte mit dieser Reform die Verringerung materieller Hilfebedürftigkeit vor allem durch eine Stärkung der Eigenverantwortung erreicht werden

• Bis heute wird sehr kontrovers diskutiert, inwieweit durch dieses Reformprojekt sich die Lebensbedingungen und Lebenschancen für die betroffenen (Langzeit-) Arbeitslosen verbessert oder verschlechtert haben

• Zugleich haben sich mit diesem Gesetz aber auch die Handlungsbedingungen für die Schuldnerberatung verändert

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Überschuldung und Schuldnerberatung 3

• Das Handlungsfeld der Schuldnerberatung (SB) hatte sich erst im Laufe der 80er und 90er Jahre allmählich etabliert und sich zu einem „unverzichtbaren Bestandteil der sozialen Infrastruktur“ entwickelt

• Die SB war und ist anerkannt als ein mehrdimensionaler Hilfeprozess, der sowohl die wirtschaftliche als auch die psychosoziale Stabili-sierung umfassen kann

• Die Fachverbände der SB haben Standards einer Sozialberatung für Schuldner entwickelt, die heute die Grundlage ihres professionellen Selbst- und Handlungsverständnisses ausmachen

• Und mit der Einführung der Verbraucherinsolvenz im Rahmen der Insolvenzordnung ist das Aufgabenfeld zusätzlich rechtlich verankert und zugleich inhaltlich erweitert worden

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Überschuldung und Schuldnerberatung 4

• In meinem Beitrag werde ich mich vor allem mit folgenden Fragen auseinandersetzen:

• In welcher Form ist die Schuldnerberatung in das SGB II aufgenommen worden?

• Welche Erwartungen waren mit diesen Regelungen für die SB verbunden?

• Welche Entwicklung ist bis heute tatsächlich eingetreten und • Wie ist diese Entwicklung bewerten

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Schuldnerberatung im SGB II 1

• Seit 2005 ist die Schuldnerberatung – nicht nur Aufgabe der Sozialhilfe (§ 11 Abs. 5 SGB XII), – sondern auch Aufgabe der Grundsicherung für Arbeitsuchende (§ 16 Abs.

2 Nr. 2 SGB II)• Während der Personenkreis der Nichterwerbsfähigen im neugefassten

SGB XII verblieben ist, sind die Erwerbsfähigen in das neue SGB II eingegliedert worden.

• Mit der Einführung des SGB II wurde der Großteil der bisherigen Arbeitslosenhilfe- und HLU-Empfänger in das neue SGB II überführt. – Damit ging eine drastische Verringerung des Personenkreises einher, der

nach SGB XII einen Anspruch auf SB-Leistungen geltend machen kann– Parallel dazu hat eine sprunghafte Erhöhung des nach SGB II anspruchs-

berechtigten Personenkreises stattgefunden• War die SB schon bisher eine kommunale Aufgabe und Verpflichtung,

so sind die Kommunen auch im SGB II für diese flankierende Eingliederungsleistung zuständig

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Schuldnerberatung im SGB II 2

• Mit dem neuen Leistungsrecht fand eine Veränderung der Zielsetzung von SB statt:– Während auch im neuen Sozialhilferecht des SGB XII ein umfassender

Anspruch auf SB-Leistungen für Leistungsbezieher ebenso wie für Personen, die von einer entsprechenden Notlage bedroht sind, enthalten ist,

– Handelt es sich im SGB II um eine Ermessensleistung, die zudem primär an einer arbeitsmarktpolitischen Zielsetzung (Herstellung der Vermittlungsfähigkeit) ausgerichtet ist

– Ob aus § 16 Abs. 5 auch ein Leistungsanspruch auf präventive SB für erwerbstätige Leistungsempfänger abgeleitet werden kann, war bei Einführung des SGB II umstritten, wird jedoch heute allgemein bejaht

– Mit der veränderten Zielsetzung können sich auch Art und Umfang der SB-Leistungen verschieben

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Schuldnerberatung im SGB II 3

• Über Eingliederungsleistungen wird auf der Basis einer Einglie-derungsvereinbarung entschieden, deren Nichteinhaltung durch den Klienten mit Sanktionen bedroht ist

• Während die bisherige SB auf Basis des BSHG/SGB XII auf Freiwilligkeit basierte und Vertraulichkeit beinhaltete, sind beim Zugang auf Basis des SGB diese Prinzipien nicht mehr garantiert

• Bei Einführung des SGB II sind in den meisten Kommunen, die im Rahmen von ARGEn an der Bereitstellung von SGB II-Leistungen beteiligt sind, Vereinbarungen mit den jeweiligen ARGEn zur Ausgestaltung der SB geschlossen worden

• Darin werden u.a. verschiedene Phasen und Inhalte von SB-Leistungen unterschieden (z.B. Basisberatung, Existenzsicherung, Forderungs-überprüfung, Psychosoziale Beratung, Entschuldung)

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Schuldnerberatung im SGB II 4

• Soweit die Kommunen in der Optionsvariante allein zuständig sind, wurden entsprechende verwaltungsinterne Vereinbarungen zur Zusammenarbeit von SGB II-Agentur und SB-Stellen erlassen

• Ob die SB innerhalb der SGB II-Agenturen oder bei den bisher vorhandenen SB-Stellen durchgeführt wurde, ist bisher sehr unterschiedlich geregelt

• Überwiegend findet jedoch die SB auch weiterhin in freier Trägerschaft statt

• Auch der Zugang zu den SB-Stellen (über Eigeninitiative oder Zuweisung) wird unterschiedlich gehandhabt

• Neuerdings wird eine Vergabe der SB-Leistungen im Wege der Ausschreibung erwogen, was jedoch sehr kontrovers diskutiert wird

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Erwartungen 1

• Welche Auswirkungen auf die SB wurden von der Einführung des SGB II erwartet und was hat sich bis heute bestätigt?

• In meinem Vortrag 2003 habe ich hervorgehoben, dass Auswirkungen auf der Nachfrage- wie auf der Angebotsseite zu erwarten sind

• Nachfrage: • Erwartet wurde eine Destabilisierung der Einkommenslage der

Arbeitslosen (soweit eine Eingliederung in Erwerbsarbeit nicht gelingt) insbes.– durch die anreizorientierte Festschreibung des Leistungsniveaus auf der

Höhe der bisherigen HLU – Sowie durch eine strikte Pauschalierung der Transferleistungen

(Reduzierung einmaliger Leistungen, Fehlen von Öffnungsklauseln etc.)– Und die am Workfare-Konzept ausrichtete Leistungsgewährung mit

strikten Sanktionsvorgaben

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Erwartungen 2• Trotz des Vorrangs der Eingliederung vor Transferleistungen wurden

nur begrenzte Eingliederungserfolge erwartet, – Zumindest solange sich die Arbeitsmarktlage nicht grundlegend ändert – Auch das neue Haupt-Eingliederungsinstrument der Ein-Euro-Jobs wurde

als wenig effektiv eingeschätzt • Aber auch wenn eine Eingliederung in Erwerbsarbeit gelingen sollte,

wurde eine Zunahme prekärer Beschäftigungs- und Einkommenslagen erwartet, – da im SGB II weniger eine nachhaltige Eingliederung in qualifizierte

Beschäftigung – sondern eine kurzfristige Eingliederung in Niedriglohn-Jobs im

Vordergrund stehen • Insgesamt wurde daher eine weitere Zunahme materieller Not- und

Bedarfslagen sowie ein Zuwachs an Nachfrage nach SB-Leistungen erwartet

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Erwartungen 3• Angebot• Durch die neue, ergänzende Rechtsgrundlage könnte sich die

Finanzierungsbasis und das Angebot an SB-Diensten verbessern• Allerdings steht die SB als flankierende Eingliederungsleistung unter

einem Ermessensvorbehalt und soll vor allem zur Verbesserung der Vermittlungsfähigkeit und zur Erhaltung der Beschäftigung dienen

• Daraus und aus dem Workfare-Kontext der SGB II-Förderung wurden neue Anforderungen an das Selbstverständnis und die Konzeptionen der Dienstleistungsanbieter erwartet

• Ausgehend von diesen Anforderungen des SGB II wurden Spannungen zum traditionellen Selbst- und Handlungsverständnis der SB prognostiziert

• Im folgenden soll zunächst auf die Bedarfs- und dann auf die Angebotsentwicklung eingegangen werden

• Wie hat sich der Bedarf und die Nachfrage nach SB-Leistungen entwickelt?

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Entwicklungen 1

• Maßgeblich für die Bedarfsentwicklung ist die Entwicklung materieller Problemlagen im Zeitraum seit 2005:– Bis 2006 war die Wirtschafts- und Arbeitsmarktlage durch eine anhaltend

hohe Unterbeschäftigung gekennzeichnet. Ab Mitte 2006 hat eine allmähliche Besserung der Wirtschafts- und Beschäftigungslage eingesetzt, die bis Mitte 2008 angehalten hat

– Bis 2005 hat die Zunahme der Armut und Ungleichheit angehalten, 2006 scheint – als Folge des Beschäftigungsanstiegs eine leichte Entspannung der Armutsproblematik eingesetzt zu haben

– Der gegenwärtig einsetzende Konjunkturabschwung lässt erwarten, dass sich ab 2009 die bisherigen Ungleichheitstrends fortsetzen bzw. weiter verschärfen werden

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Entwicklungen 2

• Vieles spricht dafür, dass auch die Überschuldung in Deutschland in den letzten Jahren weiter zugenommen hat

• Allerdings fehlt es nach wie vor an einer zuverlässigen Datenbasis für gesicherte Aussagen.

• Der 3. AuRB kam zu dem Ergebnis, dass sich die Überschuldung seit Einführung des SGB II verringert habe

• Dieser Befund ist allerdings auf vehemente fachliche Kritik gestoßen und viele Indikatoren weisen darauf hin, dass der Bedarf an Beratung und Hilfe für überschuldete Menschen nach wie vor zunimmt

• Als wesentlicher Bedarfsfaktor soll hier die Entwicklung der Fallzahlen im neuen SGB II betrachtet werden

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Entwicklungen 3a 

Bezieher von SGB II-LeistungenBestand jeweils August des Jahres

2005 2006 2007 2008Arbeitslosengeld II-Empfänger 4.845.000 5.161.000 5.241.000 4.991.000 - davon arbeitslos (2.844.000) (2.818.000) (2.419.000) (2.279.000/April) - davon erwerbstätig ( - ) ( - ) (1.263.000) (1.318.000/April) Sozialgeld-Empfänger 1.718.000 1.880.000 1.953.000 1.896.000 - davon unter 15 Jahren (1.658.000) (1.809.000) (1.882.000) (1.864.000April)---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------Summe Empfänger vonSGB II-Leistungen 6.553.000 7.041.000 7.193.000 6.887.000  Bedarfsgemeinschaften 3.634.000 3.799.000 3.730.000 3.563.000  Quelle: Amtliche Nachrichten der Bundesagentur für Arbeit

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Entwicklungen 3b

Bezieher von SGB II-Leistungen (Bestand jeweils August des Jahres)

2007 2008 Hilfebedürftigenquote 10,9% 10,5%(Anteil der Hilfebedürftigenan der Bevölkerung unter 65 Jahren) Quote der erwerbsfähigen 9,6% 9,2% Hilfebedürftigen Quote der nicht erwerbsfähigen Hilfebedürftigen 3,3% 2,9%  - Darunter unter 15 Jahren 16,7% 16,6% (April) 

Quelle: Amtliche Nachrichten der Bundesagentur

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Entwicklungen 3c

• Die Fallzahl der SGB II-Leistungsempfänger hat sich zunächst dramatisch erhöht und ist trotz Konjunkturanstieg bisher kaum zurückgegangen

• Dem Anstieg arbeitsloser Leistungsempfänger folgte ein Verharren auf hohem Niveau

• Trotz erhöhter Anstrengungen blieben die Eingliederungserfolge lange Zeit sehr bescheiden

• Erst seit die Konjunktur angezogen hat, ist eine allmähliche Verschiebung in Richtung Working Poor zu beobachten

• Mit knapp 7 Mio. SGB II-Leistungsempfängern leben heute mehr Menschen als je zuvor von Fürsorgeleistungen

• Zugleich hat die Armut einen neuen Höchststand erreicht (mehr als jeder zweite Langzeitarbeitslose lebt in Armut, zugleich steigt die Armut bei Erwerbstätigkeit)

• Insgesamt hat sich damit die Erwartung einer Zunahme prekärer Beschäftigungs- und Einkommenslagen bisher erfüllt

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Entwicklungen 4

• Wie hat sich die effektive Nachfrage nach SB-Leistungen vor diesem Hintergrund entwickelt?

• Nach Angaben der SB-Stellen hat die Nachfrage nach SB-Dienstleistungen seit 2005 weiter zugenommen.

• Aus den in BA-Statistik erfassten Fallzahlen lässt sich dieser Anstieg jedoch nur bedingt ablesen, da angesichts hohen Untererfassung der Fallzahlanstieg wohl mehr auf den Anstieg der Agenturen, die Daten liefern, als auf ein steigendes Angebot zurückzuführen ist)

• Flankierende Leistungen nach § 16 Abs. 2 Satz 2 :– Jahr Insgesamt davon SBMeldende Agenturen– 2006 7.471 5.438 ( 72 von 442)– 2007 17.592 10.801 (136 von 443)– 2008 (1-9) 34.834 16.415 (292 von 439)

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Entwicklungen 5

• Leider liegen keine systematischen Auswertungen zur Entwicklung der Zusammensetzung der SB-Klienten vor und seit 2005 vor

• Den für das Jahr 2006 erstmals und 2007 erneut vom Statistischen Bundesamt erhobenen Merkmalen von Teilnehmern an SB stehen keine entsprechenden Informationen aus früheren Jahren gegenüber

• Auch dem Überschuldungsreport des iff 2008 lässt sich nur eine aktuelle Momentaufnahme der Struktur der Überschuldeten entnehmen, die mit früheren Auswertungsergebnissen nur bedingt vergleichbar ist

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Entwicklungen 6

• Aus der Forschung ist bekannt, – dass der Tatbestand der Armut eng mit dem Tatbestand der

Überschuldung korreliert ist und– Dass die Arbeitslosigkeit der Hauptauslöser von Überschuldung ist– Wobei vor allem bei Langzeitarbeitslosigkeit das Armuts- wie

Überschuldungsrisiko besonders hoch ist– Mit dem Anstieg der Fallzahlen im SGB II hat sich somit auch das

Überschuldungsrisiko erhöht• Vieles spricht dafür, dass der Anteil der Langzeitarbeitslosen unter den

Überschuldeten gestiegen ist, da sich deren materielle Lage durch Hartz IV gravierend verschlechtert hat

• Zugleich dürfte der Anteil der Working poor unter den Überschuldeten ebenfalls zugenommen haben, da viele, die in den drei letzten Jahren einen Job gefunden haben, im Niedriglohnsegment prekärer Arbeit verblieben sind

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Entwicklungen 7

• Wie hat sich die Schuldnerberatung auf Grundlage des SGB II in qualitativer Hinsicht entwickelt?

• In einer ersten Befragung von Schuldnerberatungsstellen durch die AG Schuldnerberatung der Verbände im Frühjahr 2005 waren die Auswirkungen des neuen SGB II noch kaum spürbar

• Den Ergebnissen einer gerade erst veröffentlichten erneuten Befragung von 2007 lassen sich erste Entwicklungstrends entnehmen:

• (1) Adressaten der Schuldnerberatung– Auch heute steht die ganz überwiegende Zahl von Schuldner-

beratungsstellen allen Ratsuchenden offen– Nur ein geringer Anteil ist auf spezielle Personengruppen eingegrenzt – Und nur noch kleinerer Anteil ist allein SGB II-Klienten vorbehalten

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Entwicklungen 8

• (2) Zugang zur Schuldnerberatung (bei SB-Stellen, die Leistungen nach dem SGB II erbringen)

– Bei fast 90% aller SB-stellen ist ein freier Zugang möglich – Ein ausschließlich freier Zugang ist aber nur bei einem Drittel der SB-

Stellen vorhanden– Bei einer Mehrheit von 70% findet eine Zuweisung durch Fallmanager

statt, davon zur Hälfte verpflichtend

• (3) Der Umfang der Beratung – In jeder 3. Beratungsstelle ist der Beratungsumfang offen– Nur in seltenen Fällen wird der Beratungsumfang vom Fallmanagement

vorgegeben– In der Mehrzahl der Einrichtungen wird er durch die Schuldnerberatung

festgelegt (aber an Vereinbarungen mit Leistungsträger gebunden)– Häufig werden Beratungskontingente vereinbart; erst wenn das

Basiskontingent überschritten wird, müssen zusätzliche Beratungs-einheiten vom FM genehmigt werden

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Entwicklungen 9

• (4) Informationspflichten gegenüber dem FM– Bestehen in der Mehrzahl der Einrichtungen. Sie beziehen sich auf – Mitteilungen über die Kontaktaufnahme (65% der Zuweisungsfälle)– Mitteilungen über nicht wahrgenommene Beratungstermine (36%) – Mitteilungen über weitergehende Mitwirkung (14%) – Mitteilungen über anderes (Beratungsabbruch, Beratungsende,

Beratungserfolg etc.)

• (5) Hartz IV-Probleme als Beratungsgegenstand:– Probleme der Rücklagenbildung aus Regelbeträgen– Unvollständige Übernahme von Wohnungs- oder Heizkosten– Probleme bei der Begleichung der Stromrechnung– Probleme bei Rückzahlung von SGB II-Darlehen

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Entwicklungen 10

• Die Ergebnisse einer Studie zur Wirksamkeit von 2007 zeigen, – dass die Schuldnerberatung ein hochwirksames Instrument der

Armutsprävention und –überwindung darstellt– Sowohl in finanz-wirtschaftlicher als auch in psychosozialer Hinsicht

führt SB zu deutlichen Verbesserungen, von denen die Klienten, aber auch die Träger von Sozialleistungen profitieren

– Mit Blick auf Hartz IV sind besonders die beträchtlichen Steigerung der Erwerbstätigkeit und der erzielten Erwerbseinkommen hervorzuheben

• Es ist daher umso erstaunlicher, dass die neue Rechtsgrundlage nicht zu einer massiven Zunahme der SGB II-finanzierten Inanspruchnahme von SB-Leistungen geführt hat

• Es scheint, dass das Potential der SB bisher von der BA wie von den lokalen SGB II-Agenturen noch nicht hinreichend erfasst worden ist und in eine entsprechende Förderstrategie umgesetzt worden ist

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Bewertungen 1

• Mehr als 3 Mio. Haushalte waren im Jahr 2006 überschuldet, das war jeder 12. Haushalt in Deutschland

• Auch wenn die ca. 950 Beratungsstellen mit etwa 2000 Beratern hochprofessionelle Arbeit leisten und in Wissenschaft und (Medien-) Öffentlichkeit Anerkennung finden,

• klaffen Nachfrage und Angebot heute weiter denn je auseinander (nur jeder 10.-15. Überschuldete kann Beratung in Anspruch nehmen), die Warteschlangen werden immer länger

• Trotz Vorhandensein der Insolvenzordnung klafft eine riesige Lücke zwischen der Zahl der überschuldeten Haushalten und der Zahl derer, denen die Restschuldbefreiung gelingt

• Die derzeitige Finanzierung der Beratungsstellen durch die Bundes-länder (Insolvenzordnung) und Kommunen (SGB II und XII) hat bislang keine funktionsfähige Grundlage geschaffen

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Bewertungen 2

• Bisher ist nicht erkennbar, dass es zu einer starken Ausweitung des SGB II-finanzierten Beratungsangebots gekommen ist; insofern haben sich entsprechende Erwartungen/Hoffnungen bisher nicht erfüllt

• Dies ist umso bemerkenswerter, da ja erste Wirkungsstudien die Wirksamkeit der SB nicht zuletzt auch für die Ziele des SGB II unterstreichen

• Ob dies den immer noch nicht ganz überwundenen Anlaufproblemen des neuen Leistungsrechts geschuldet ist, bleibt abzuwarten. Zu vermuten ist, dass das SGB II als Rechtsgrundlage der Finanzierung und Bereitstellung von SB künftig weiter an Gewicht gewinnen wird

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Bewertungen 3

• Umso wichtiger sind die qualitativen Veränderungen der Leistungs-gewährung einzuschätzen:– Durch den Zugang über das SGB II wächst der Anteil derer, die nicht

freiwillig bzw. von sich aus die SB aufsuchen, sondern vom Fallmanager zugewiesen werden

– Entsprechend haben die Informationspflichten gegenüber dem FM zugenommen, was umso brisanter ist, da

– die Zuweisung auf Basis einer Eingliederungsvereinbarung erfolgt, die sanktionsbewehrt ist

• Auch wenn durch die Pflichtberatung gewisse Erfolgschancen bestehen, wird das bisherige Selbst- und Handlungsverständnis der SB davon nicht unberührt bleiben

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Bewertungen 4

• Ebenso brisant ist die Frage, inwieweit im Beratungsprozess noch über Art und Umfang der Beratung entschieden werden kann – Zunehmend dominieren standardisierte Verfahren wie die Festlegung

eines Basisberatungsmoduls, das ohne weitere Rückfragen vereinbart werden kann, während weitergehende Beratungsziele wie eine Schuldenregulierung und eine begleitende längerfristige Beratung mit dem Fallmanagement ausgehandelt werden muss

– Die Beratungszielsetzung selbst ist ja im SGB II auf die Herstellung der Vermittlungsfähigkeit oder die Erhaltung der Beschäftigung festgelegt. Dem steht gegenüber, dass bei vielen Klienten komplexe Problemlagen vorliegen, die mit einer kurzfristigen Krisenintervention allein nicht behoben werden können

– Es wird differenzierteren Untersuchungen vorbehalten bleiben, zu ermitteln, wie es am ehesten gelingen kann, die notwendigen Handlungsspielräume auszuloten und zu sichern

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Bewertungen 5

• Bis heute ist nicht erkennbar, dass die neue Rechtsgrundlage der SB zu einer grundlegenden Neuorientierung im Selbst- und Handlungs-verständnis bei den SB-Stellen und –Fachkräften geführt hat

• Dies kann aber auch darauf zurück geführt werden, dass die SB bisher nicht in dem Maße als flankierenden Eingliederungsleistungen finanziert und angeboten wird, wie dies angesichts der enormen Hilfebedarfs geboten wäre

• Dadurch hat diese Variante der SB bisher noch nicht das Gewicht erhalten, das ihr zukommt. Bei einer weiteren Ausweitung der SGB II-finanzierten SB wird der Druck auf die SB-Stellen zweifellos zunehmen

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Bewertungen 6

• Arbeitsprinzipien der SB – wie Freiwilligkeit, Eigenverantwortlichkeit, Vertraulichkeit/

Verschwiegenheit, Ergebnisoffenheit, Nachvollziehbarkeit, Ganzheitlichkeit • werden durch die Workfare-Philosophie und –Praxis der SGB II-

Agenturen – Die zum Ausdruck kommen in Pflichtberatung, Zuweisung,

Informationspflicht, Sanktionsdrohung etc. • massiv in Frage gestellt• Mit der Folge:

– Zum einen wird die Zusammenarbeit zwischen SGB II-Agenturen und SB erschwert,

– Zum anderen werden auch die Erfolgschancen der Beratungstätigkeit gefährdet

– Allerdings werden die genannten Workfare-Elemente in den einzelnen SGB II-Agenturen durchaus unterschiedlich eingesetzt

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Bewertungen 7

• Ein grundlegender Konstruktionsfehler der Umsetzung des SGB II liegt m.E. darin, dass die Beratung und Vermittlung auf kurzfristige Eingliederungserfolge ausgerichtet ist – Darin ist die Gefahr von Creaming-Effekten angelegt, dass das

Fallmanagement sich also auf die „Fälle“ konzentrieren muss, die die besten Eingliederungschancen haben (daher der bislang geringe Umfang flankierender Hilfen)

– Zugleich endet die Unterstützung im Regelfall mit der erfolgreichen Eingliederung (wodurch auch die SB nur auf die kurzfristige Krisen-intervention fokussiert sein kann)

• Durch die möglichst rasche Eingliederung ist jedoch weder ein längerfristiger Verbleib in Erwerbsarbeit gewährleistet, noch eine langfristiger Entschuldungsprozess gesichert

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Bewertungen 8

• Für die SB stellt sich die Frage, wie sie mit den veränderten Rahmenbedingungen umgehen soll

• Ihr professionelles Selbstverständnis verlangt eine Strategie der aktiven Gestaltung statt einer bloßen Anpassung

• Notwendig erscheint daher eine intensivere Zusammenarbeit – zwischen SB und BMAS und BA auf Bundesebene ebenso wie– zwischen SB und SGB II-Agenturen auf örtlicher Ebene

• Auf Bundesebene fehlt es nach dem Rückzug des Familienministeriums für das Thema Überschuldung an klaren Zuständigkeiten und moderationsbereiten Dialogpartnern

• Auf der örtlichen Ebene sollten vor allem die Kommunen eine Moderatorenrolle übernehmen