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WANN VERLÄSST ÖDIPUS DIE BÜHNE? Zum Schluss der Teiresias-Szene in Sophokles’ König Ödipus Ödipus empfängt den ungeduldig erwarteten Seher Teiresias mit überschwänglichen Worten (OT 300–315), sind doch alle – Kreon, der den Rat gegeben hatte, Teiresias zu befragen (288; 555– 557), Ödipus selbst (287–289) und der Chor (284–286) – der Über- zeugung, mit seiner Hilfe ausfindig machen zu können, wer König Laïos tötete, und mit der Sühnung der Blutschuld die verheerende Seuche in Theben zu beenden. Denn in dem von Kreon eingehol- ten Orakel hatte Apollon als Sühnung verlangt, die noch im Lande (97) befindliche ‚Befleckung‘ zu verbannen oder zu töten (100). Teiresias aber will, als er endlich gekommen ist, sich nicht zu der Sache äußern, was zu einer heftigen Auseinandersetzung mit Ödi- pus führt. Ödipus verdächtigt ihn schließlich, er stecke selbst hin- ter der Ermordung des Laïos (345–349) und sei von Kreon nur vor- geschickt, der ihn, Ödipus, aus der Herrschaft vertreiben wolle (378–403). Teiresias beschuldigt seinerseits Ödipus offen, er habe Laïos getötet (353; 362), und deutet in verrätselter Form das inzes- tuöse Verhältnis an, in dem Ödipus lebt (412–425). Ödipus sieht in den Vorwürfen nur Unverschämtheiten des Teiresias (354; 363; 429–431), da er informiert worden war, Laïos sei von einer Räu- berbande getötet worden (122 f.), und überzeugt ist, Sohn des korinthischen Königspaares Polybos und Merope zu sein (774 f.; 827). So endet das Gespräch in größtmöglichem Dissens: „So gehe ich denn; und du, Junge, bring mich weg!“ (444) sagt Teiresias, und Ödipus antwortet: „Ja, er soll dich wegbringen! Denn hier bist du im Weg und lästig; bist du gegangen, wirst du mich nicht noch mehr betrüben“ (445 f.). 1 1) Τε. πειμι τονυν· κα σ, πα, κμιζ με. / Οδ. κομιζτω δθ’· ς παρν σ γ’ μποδν / χλες, συθες τ’ ν οκ ν λγναις πλον. – Texte und Überset- zungen sind nach meiner demnächst in der Reihe Griechische Dramen (de Gruyter) erscheinenden kommentierten Ausgabe des König Ödipus zitiert. RhM 155 (2012) 128–141

WANN VERLÄSST ÖDIPUS DIE BÜHNE? Zum Schluss der … · 130 Bernd Manuwald ist er Bruder zugleich und Vater, und der Frau, von der er stammt, Sohn und Gatte, und mit dem Vater teilt

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Page 1: WANN VERLÄSST ÖDIPUS DIE BÜHNE? Zum Schluss der … · 130 Bernd Manuwald ist er Bruder zugleich und Vater, und der Frau, von der er stammt, Sohn und Gatte, und mit dem Vater teilt

WANN VERLAumlSST OumlDIPUS DIE BUumlHNEZum Schluss der Teiresias-Szene

in Sophoklesrsquo Koumlnig Oumldipus

Oumldipus empfaumlngt den ungeduldig erwarteten Seher Teiresiasmit uumlberschwaumlnglichen Worten (OT 300ndash315) sind doch alle ndashKreon der den Rat gegeben hatte Teiresias zu befragen (288 555ndash557) Oumldipus selbst (287ndash289) und der Chor (284ndash286) ndash der Uumlber-zeugung mit seiner Hilfe ausfindig machen zu koumlnnen wer KoumlnigLaiumlos toumltete und mit der Suumlhnung der Blutschuld die verheerendeSeuche in Theben zu beenden Denn in dem von Kreon eingehol-ten Orakel hatte Apollon als Suumlhnung verlangt die noch im Lande(97) befindliche sbquoBefleckunglsquo zu verbannen oder zu toumlten (100)Teiresias aber will als er endlich gekommen ist sich nicht zu derSache aumluszligern was zu einer heftigen Auseinandersetzung mit Oumldi-pus fuumlhrt Oumldipus verdaumlchtigt ihn schlieszliglich er stecke selbst hin-ter der Ermordung des Laiumlos (345ndash349) und sei von Kreon nur vor-geschickt der ihn Oumldipus aus der Herrschaft vertreiben wolle(378ndash403) Teiresias beschuldigt seinerseits Oumldipus offen er habeLaiumlos getoumltet (353 362) und deutet in verraumltselter Form das inzes -tuoumlse Verhaumlltnis an in dem Oumldipus lebt (412ndash425) Oumldipus sieht in den Vorwuumlrfen nur Unverschaumlmtheiten des Teiresias (354 363429ndash431) da er informiert worden war Laiumlos sei von einer Raumlu-berbande getoumltet worden (122 f) und uumlberzeugt ist Sohn des korinthischen Koumlnigspaares Polybos und Merope zu sein (774 f827) So endet das Gespraumlch in groumlszligtmoumlglichem Dissens bdquoSo geheich denn und du Junge bring mich wegldquo (444) sagt Teiresias undOumldipus antwortet bdquoJa er soll dich wegbringen Denn hier bist duim Weg und laumlstig bist du gegangen wirst du mich nicht nochmehr betruumlbenldquo (445 f)1

1) Τε πειμι τονυνmiddot κα σ πα κμιζ με Οδ κομιζτω δθrsquomiddot ς παρνσ γrsquo μποδν χλες συθες τrsquo ν οampκ ν λγναις πλον ndash Texte und Uumlberset-zungen sind nach meiner demnaumlchst in der Reihe Griechische Dramen (de Gruyter)erscheinenden kommentierten Ausgabe des Koumlnig Oumldipus zitiert

RhM 155 (2012) 128ndash141

129Wann verlaumlsst Oumldipus die Buumlhne

Teiresias geht aber nicht sondern richtet noch 16 Verse (447ndash462) an Oumldipus (449 461 f) auf die dieser nicht mehr reagiert

επν πειμrsquo (ν ο)νεκrsquo λθον οamp τ+ σ+νδεσας πρσωπονmiddot οamp γ-ρ σθrsquo 0που μrsquo λεςλγω δ σοιmiddot τ+ν νδρα το1τον 2ν π3λαιζητες πειλ5ν κνακηρσσων φνον 450τ+ν Λα8ειον ο9τς στιν νθ3δεξνος λγ μτοικοςmiddot εltτα δrsquo γγεν=ςφανgtσεται Θηβαος οampδrsquo AσθgtσεταιτB ξυμφορCmiddot τυφλ+ς γ-ρ κ δεδορκτοςκα πτωχ+ς ντ πλουσου ξνην πι 455σκgtπτρ προδεικνDς γααν μπορεσεταιφανgtσεται δE παισ τος αFτο1 ξυννδελφ+ς αFτ+ς κα πατgtρ κξ Gς φυγυναικ+ς υH+ς κα πσις κα το1 πατρ+ςIμσπορς τε κα φονες κα τα1τrsquo ν 460εJσω λογζουmiddot κν λ3βKς ψευσμνονφ3σκειν μrsquo Mδη μαντικB μηδEν φρονεν

Ich gehe wenn ich das gesagt habe weswegen ich gekommen bin

ohne Furcht vor deinem (zornigen) Gesicht denn in keiner Weise kannst du mich vernichten

Und ich sage dir Dieser Mann den du die ganze Zeitsuchst drohend und verkuumlndend eine Unter- 450

suchung des Mordesan Laiumlos der ist hierein Fremder wie man sagt der bei uns wohnt

Doch dann wird er sichals gebuumlrtiger Thebaner erweisen und er wird

sich nicht freuenuumlber diese Wendung Denn blind geworden aus

einem Sehendenund ein Bettler statt eines Beguumlterten wird er 455

im fremden Landumherziehen den Boden vor sich mit dem Stab

ertastendUnd es wird offenbar werden Seinen Kindern

mit denen er zusammenlebt

130 Bernd Manuwald

ist er Bruder zugleich und Vater und der Frau von der er stammt

Sohn und Gatte und mit dem Vaterteilt er die Frau und ist sein Moumlrder Nun geh 460

hineinund bedenke dies Und wenn du mich ertappst

als Luumlgnerdann sage dass ich nichts verstehe von der Seherkunst

Diese eindrucksvolle Rede des Teiresias bereitet wie in der For-schung bereits festgestellt einige Probleme die sich aufgrund ihresKontextes ergeben2

1) Teiresias hatte vor seiner Rede angekuumlndigt wegzugehenund schon den Jungen der ihn fuumlhrt beauftragt ihn zu geleitenDem widerspricht dass er danach nicht geht sondern das wie erausfuumlhrt erst tun will wenn er gesagt hat weswegen er gekommensei (447)3 Aber am Anfang der Teiresias-Szene hatte sich heraus-gestellt dass der Seher nicht gekommen war um etwas zu sagenvielmehr hatte er sich geweigert Auskunft zu geben (320 ff 343)und was er gereizt dann doch aumluszligerte wurde ihm nach seiner Aus-sage gegen seinen Willen abgepresst (358)4 Gerade diese Verwei-gerungshaltung hatte den Zorn des Oumldipus ausgeloumlst Das Verhal-ten des Teiresias ist also in zweifacher Hinsicht widerspruumlchlich

2) Dass Teiresias ohne Furcht vor Oumldipusrsquo sbquozornigem Ge-sichtlsquo sprechen will (447 f) klingt aus dem Munde eines Blindenzumindest merkwuumlrdig5

2) Vgl besonders A Schoumlll (ed) Sophoklesrsquo Werke verdeutscht in den Vers-maszligen der Urschrift und erklaumlrt Erstes Baumlndchen Koumlnig Oedipus Stuttgart 185692ndash101 und B M W Knox Sophocles Oedipus Tyrannos 446 Exit OedipusGRBS 21 1980 321ndash332

3) Knox (wie Anm 2 326) haumllt es fuumlr moumlglich dass sich επNν (447a) auf dasbeziehe was Teiresias bereits gesagt hat und z B R D Dawe (ed Sophocles Oedipus Rex [1982] Rev edition Cambridge 2006 9) uumlbersetzt bdquoI have said whatI came to say and now I am going home ldquo Bei dieser Auffassung waumlre es abernicht verstaumlndlich warum Teiresias dann noch zu einer neuen Rede ansetzt derenEinleitung (λγω δ σοι 449) nimmt επNν auf Auch muumlsste Teiresias dann nichtmehr sagen οamp τ+ σ+ν δεσας πρσωπονmiddot οamp γ-ρ σθrsquo 0που μrsquo λες (447bndash448)wenn er damit sein schon zuruumlckliegendes Verhalten meinte

4) Vgl auch Schoumlll (wie Anm 2) 995) Vgl auch Schoumlll (wie Anm 2) 95

131Wann verlaumlsst Oumldipus die Buumlhne

3) Teiresias beschuldigt in dieser Rede nicht mehr Oumldipus direkt er macht sbquoobjektivelsquo Angaben uumlber den Taumlter (451ndash460)Das ist jedenfalls formal genau das was Oumldipus von ihm wollteund trotzdem reagiert er darauf nicht Es gibt sonst in der Teire-sias-Szene keine Anzeichen dass Oumldipus vor lauter Zorn nicht bemerkte worum es jeweils geht Die Mordanschuldigung hat ersehr wohl verstanden nur auf Grund seines Informationsstandesfuumlr absurd gehalten Und als Teiresias gegen Ende des emotionalaufgeladenen Dialogs mit Oumldipus von dessen Eltern spricht horchtOumldipus sofort auf und fragt nach (435ndash437)6 Hier beruumlhrte Teire-sias etwas das Oumldipus schon fruumlher beunruhigte als ihm bei einemBankett in Korinth von einem Betrunkenen vorgehalten wordenwar er sei nicht der Sohn des dortigen Koumlnigs Polybos (779 f) under deswegen das Orakel in Delphi aufsuchte Sophokles stellt alsoOumldipus als hellwach dar wenn sein Gegenuumlber etwas sagt das erauf sich beziehen kann bzw auf sein Informationsbeduumlrfnis stoumlszligtund laumlsst ihn sofort darauf reagieren Es ist daher sehr verwunder-lich wenn Oumldipus die Auskuumlnfte uumlber den Taumlter die er doch drin-gend haben wollte an dieser Stelle nicht aufgreift Immerhin ist diepraumlzise Auskunft dabei der Moumlrder sei h i e r (451)7

4) Am Ende seiner Rede schickt Teiresias Oumldipus ins Hausund fordert ihn auf das Gesagte zu bedenken (460 f) Man mussalso annehmen dass dieser sich nach allem was sich zwischen denbeiden abgespielt hat wortlos dem Befehl des Sehers beugt

5) Im anschlieszligenden Chorlied malt sich der Chor aus wie derTaumlter aufgrund der durch das Orakel angeordneten Verfolgung aufder Flucht ist und zwar in der Wildnis (477 ff) Fuumlr den Chor ist derTaumlter daher gerade nicht mehr sbquohierlsquo Wie kann er das so uneinge-schraumlnkt zum Ausdruck bringen wenn er eben von Teiresias gehoumlrthat der Taumlter sei sbquohierlsquo Welchen Grund kann er haben die sbquoobjek-tivelsquo Angabe uumlber den Aufenthaltsort des Taumlters zu ignorieren8

6) Anders als bei der zuvor gestellten Frage des Teiresias ob Oumldipus wissewoher er stamme (415) reagiert Oumldipus auf die eher beilaumlufige Bemerkung des Teiresias weil dieser sich jetzt so aumluszligert dass Oumldipus daraus entnehmen kann Tei-resias kenne seine Eltern und er damit eine Moumlglichkeit sieht die Frage beantwor-tet zu bekommen die ihn seit der Aumluszligerung des Betrunkenen in Korinth umtreibt(vgl 774 ff)

7) Vgl dagegen v 97 f wo es nur heiszligt die sbquoBefleckunglsquo werde sbquoim Landelsquogenaumlhrt

8) Vgl Schoumlll (wie Anm 2) 93 f

132 Bernd Manuwald

Andererseits entsprechen die Uumlberlegungen die der Choruumlber die Situation des Oumldipus anstellt dem Informationsstand ausdem dialogischen Teil der Teiresias-Szene wie sie bis v 446 vor-liegt Der Chor geht auf den geradeheraus formulierten Mordvor-wurf gegen Oumldipus ein (der ihm allerdings zweifelhaft bleibt 483ndash511) nicht aber auf den Inzest was sich dadurch erklaumlren laumlsst dassdie Anspielungen des Teiresias darauf im fruumlheren Teil der Szenenicht sehr deutlich sind Nach den klaren Hinweisen auf den Inzestin der Schlussrede des Teiresias (457ndash460) ist diese Zuruumlckhaltungdes Chores eigentlich nicht erklaumlrlich

Man hat auf verschiedene Weise versucht mit diesen Schwie-rigkeiten fertig zu werden

Eine Gruppe der Interpreten nimmt an Oumldipus bleibe waumlhrendder ganzen Rede des Teiresias auf der Buumlhne und bietet zT unter-schiedliche Erklaumlrungen warum Oumldipus trotz der relativen Deut-lichkeit der Aumluszligerungen des Teiresias nicht versteht oder nicht ant-wortet J C Kamerbeek haumllt es fuumlr natuumlrlich dass Teiresias auf dieveraumlchtlichen letzten Worte des Oumldipus (445 f) reagieren muumlsse er-laumlutert jedoch nicht warum Oumldipus dessen Rede deren gesteigerteDeutlichkeit Kamerbeek konstatiert wortlos hinnimmt9 H Lloyd-Jones und N G Wilson sind der Auffassung Oumldipus sei zu zornigund zu sehr davon uumlberzeugt dass Teiresias Teil einer Intrige gegenihn sei als dass er dessen letzte Aumluszligerungen wirklich beachte10 FuumlrJ Bollack hat Oumldipus auf die Rede des Teiresias hin einfach nichtsmehr zu sagen was Aussicht auf Erfolg haumltte11 R D Dawe wendetsich gegen die Erklaumlrung dass Oumldipus wegen seines Zorns nicht er-fasse was Teiresias sage und will so scheint es die Besonderheitenauf dramaturgische Notwendigkeit zuruumlckfuumlhren Es duumlrfe keinefruumlhe Aufdeckung geben und dass Oumldipus nicht verstehe muumlsseman eben hinnehmen Er sieht den Sinn der Teiresias-Rede darindass sie bdquoa moment of tense theatrical horrorldquo biete12 ndash Szenisch

9) J C Kamerbeek The Plays of Sophocles Commentaries Part IV TheOedipus Tyrannus Leiden 1967 111 (zu OT 449ndash462 und 449)

10) H Lloyd-Jones N G Wilson Sophocles Second Thoughts Goumlttingen1997 (Hypomnemata 100) 52 zu OT 445ndash446

11) J Bollack (ed) LrsquoOedipe roi de Sophocle Le texte et ses interpreacutetationsVol II Commentaire Premiegravere partie Lille 1990 (Cahiers de philologie 12) 283

12) Dawe (wie Anm 3) 8ndash10 Eine vergleichbare Position vertritt jetzt auchV Liapis Oedipus Tyrannus in K Ormand (Hrsg) A Companion to SophoclesChichester 2012 87

133Wann verlaumlsst Oumldipus die Buumlhne

muumlsste man sich bei allen diesen Interpretationen den Ablauf so vorstellen dass am Schluss der Rede Oumldipus sbquobefehlsgemaumlszliglsquo in seinden Buumlhnenhintergrund bildendes Haus geht Teiresias zur Seite wegin die Stadt geleitet wird

Mit diesem Deutungsmuster lassen sich jedoch weder dasdoppelt widerspruumlchliche Verhalten des Teiresias noch die Aumluszlige-rungen des Chores erklaumlren Auszligerdem war Oumldipus nicht zu zor-nig kurz zuvor die Bemerkung uumlber seine Eltern zu uumlberhoumlrenund da er nun von Teiresias in den Aussagen uumlber den Taumlter nichtdirekt beschuldigt wird ist bei Oumldipus auch keine sbquoBlockadelsquo an-zunehmen die verstaumlndlich machte warum er auf die Feststellunghin der Taumlter sei sbquohierlsquo nichts sagt L Edmunds Auffassung Oumldi-pus bestehe aus Vornehmheit nicht auf dem letzten Wort13 hilftebenfalls nicht weiter Denn Oumldipus hat in dieser Szene laumlngst seineVornehmheit abgelegt Teiresias zum Teufel gewuumlnscht (ες Oλε-θρον 430) und forciert zugestimmt der Junge solle den Seher weg-bringen damit er ihn nicht weiter betruumlbe (445 f)

Andere Interpreten halten es denn auch fuumlr unmoumlglich dassOumldipus die Rede des Teiresias gehoumlrt hat ohne irgendwie daraufzu reagieren und lassen deswegen Oumldipus ins Haus gehen bevorTeiresias zu reden anfaumlngt bzw zum Haus hin waumlhrend er redet14

Dieser wuumlrde dann 16 Verse hinter dem bereits abwesenden bzwweggehenden Oumldipus her reden und ihn am Schluss in direkter An-rede auffordern ins Haus zu gehen Selbst wenn man die Blindheitdes Teiresias beruumlcksichtigt ist die damit gegebene Szenerie nichtuumlberzeugend und koumlnnte sogar zu einem komischen Effekt fuumlhrenUnd vor allem Der Chor houmlrt die Rede auf jeden Fall

13) L Edmunds The Teiresias Scene in Sophoclesrsquo Oedipus Tyrannus Syllecta Classica 11 2000 34ndash73 hier 60

14) R Kassel bei Lloyd-Jones Wilson (wie Anm 10) der seinerseits aufKock Wolff Bellermann Wilamowitz und die Athetese von Schoumlll (siehe obenAnm 2) verweist Vgl Th Kock Sophokleische Studien II Berlin 1857 25 (bdquoOedi-pus zieht sich in seinen Palast zuruumlck Der blinde Greis in der Meinung er seinoch anwesend wiederholt nochmals im Zusammenhange seine fruumlheren Verkuumln-digungen aber seine Worte erreichen den Herrscher nicht mehrldquo) Sophokles Koumlnig Oumldipus Fuumlr den Schulgebrauch erkl von G Wolff 5 Aufl bearb vonL Bellermann Leipzig Berlin 1908 49 zu vv 447 f (Oumldipus verlasse die Buumlhne beiv 446 der blinde Teiresias merke es nicht) Sophokles Oumldipus Gr u dt Uumlbertra-gen von U v Wilamowitz-Moellendorff hrsg von C Kappus Berlin Frankfurta M 1949 71 (Regieanweisung vor v 447 bdquoOumldipus wendet sich ab houmlrt nicht auf die Rede und geht langsam ins Hausldquo)

134 Bernd Manuwald

B M W Knox der die Probleme der Szene detailliert disku-tiert vertritt eine Art Kompromissloumlsung die von WilamowitzrsquoRegieanweisung ausgeht15 und plaumldiert fuumlr folgendes VerstaumlndnisOumldipus gehe nachdem er Teiresias weggeschickt hat also ab v 447langsam nach hinten auf das Haus zu der blinde Teiresias sprechegegen den Ruumlcken des Oumldipus der sich weigere zuzuhoumlren16 undbei v 457 durch die Tuumlr gehe17 Er koumlnne also die vv 457ndash460 diesich inhaltlich mit dem Orakel das er in Delphi auf seine Anfragenach seinen Eltern hin erhalten hatte (er muumlsse mit seiner MutterKinder zeugen und seinen Vater toumlten) in Beziehung bringen las-sen nicht mehr houmlren Teiresias reagiere mit seiner Aufforderungan Oumldipus hineinzugehen und die Dinge zu bedenken (460 f) aufdas Geraumlusch der sich bewegenden Tuumlr18 D h Oumldipus aumluszligert sichnicht mehr weil er bereits im Haus ist

Bei seiner Hypothese unterscheidet Knox faktisch Aumluszligerun-gen die Oumldipus (noch) houmlren darf und solche die er nicht (mehr)houmlren sollte Dabei bleibt aber unberuumlcksichtigt wie Sophoklessonst an vergleichbaren Stellen Oumldipusrsquo Verhalten dargestellt hatDenn einerseits waumlre gerade bei der Aussage der Taumlter sei sbquohierlsquo(451) wie ausgefuumlhrt eine Reaktion des Oumldipus zu erwarten ndash daist Oumldipus auch fuumlr Knox noch auf der Buumlhne Andererseits ist esein unbegruumlndetes Postulat Oumldipus muumlsse auf Ausfuumlhrungen re -agieren die ihn an das ihm gegebene Orakel erinnerten (duumlrfe dasalso nicht mehr gehoumlrt haben) Auch spaumlter als Iokaste ihm vondem Orakel erzaumlhlt nach dem Laiumlos von seinem Sohn getoumltet werden sollte laumlsst ihn Sophokles keine Beziehung zu dem gleich-artigen ihm erteilten herstellen sondern nur bei dem StichwortsbquoDreiweglsquo als Ort der Ermordung des Laiumlos aufmerksam werden(711 ff) ebenso wie es bei dem Stichwort sbquoElternlsquo der Fall war(436 f) also jeweils bei Dingen die mit konkreten Erlebnissen desOumldipus zu tun haben

Auszligerdem wird in den vv 457ndash460 das Inzestmotiv zwardeutlich ausgefuumlhrt aber die fruumlheren Anspielungen des Teiresiasdarauf hatte Oumldipus offenbar nur als unverschaumlmte Anwuumlrfe be-trachtet (429ndash431) die Inzest-Thematik spielt sogar noch dann als

15) Vgl die vorige Anm ndash Knox (wie Anm 2) 32516) Knox (wie Anm 2) 330 33217) Knox (wie Anm 2) 326ndash32918) Knox (wie Anm 2) 331

135Wann verlaumlsst Oumldipus die Buumlhne

bei Oumldipus spaumlter im Stuumlck die Befuumlrchtung aufkommt der Seherhabe vielleicht recht keine Rolle Diese Befuumlrchtung richtet sichausschlieszliglich darauf er koumlnne vielleicht doch Koumlnig Laiumlos (den erda noch nicht als seinen Vater identifiziert hat) getoumltet haben Oumldi-pus ist bis zur endguumlltigen Aufklaumlrung davon uumlberzeugt dass daskorinthische Koumlnigspaar Polybos und Merope seine Eltern seienInsbesondere hatte er niemals Grund die Mutterschaft Meropesanzuzweifeln da die Bemerkung des Betrunkenen nur den Vaterbetroffen hatte Es ist daher nicht unproblematisch allein auf derBasis der Ausfuumlhrungen des Teiresias zur Sache auf die An- oderAbwesenheit des Oumldipus ruumlckzuschlieszligen

Knox nimmt fuumlr seine Deutung an dass Teiresias mit seinerabschlieszligenden Aufforderung an Oumldipus ins Haus hineinzugehenauf das Geraumlusch der sich bewegenden Tuumlr des Buumlhnenhauses re -agiere Es sei dahingestellt ob man das uumlberhaupt houmlren konntebzw so deutlich dass das Publikum in der Lage war einen Zu-sammenhang zwischen diesem Geraumlusch und den Worten des blin-den Teiresias herzustellen Wie dem auch sei wenn Teiresias ausdem Tuumlrgeraumlusch schlieszligen soll dass Oumldipus bereits das Haus be-tritt ist seine Aufforderung an ihn ins Haus zu gehen funktions-los Das Partizip Nν (460) steht fuumlr einen beigeordneten Impera-tiv Teiresias kann nicht meinen Oumldipus solle waumlhrend des Vor-gangs des Hineingehens bedenken was er gesagt hat Allenfallswaumlre in dieser Situation eine Bemerkung vorstellbar wie sbquoUnddrinnen denke uumlber das nach was ich gesagt habelsquo oder etwasAumlhnliches So aumluszligert sich Teiresias aber nicht

Es kommt noch hinzu dass die Situation hier insofern andersist als an den Stellen die Knox auffuumlhrt um zu zeigen dass einerdie Buumlhne verlassenden Person etwas hinterher gesprochen wirddas diese nicht mehr houmlrt oder houmlren darf (Soph Ant 327ndash331Eur El 1139ndash1146 Her 726ndash733 Ba 971ndash976)19 als Teiresiasnicht nur am Anfang (447ndash449) Oumldipus direkt anredet sondernsich auch am Schluss (460ndash462) von neuem unmittelbar mit einerAufforderung an ihn wendet20 Schlieszliglich bleibt unerklaumlrt wel-chen Sinn Teiresiasrsquo Schlussbemerkung bdquoUnd wenn du mich er-

19) Knox (wie Anm 2) 32920) Mit Verweis auf diese Stellen weist Dawe (wie Anm 3 114) die Deutung

von Knox entschieden zuruumlck Vgl auch die Ablehnung der These von Knox beiLiapis (wie Anm 12) 87

136 Bernd Manuwald

tappst als Luumlgner dann sage dass ich nichts verstehe von der Seherkunstldquo (461 f) haben soll wenn Oumldipus sie nicht mehr houmlrtHier besteht letztlich dasselbe Problem wie wenn man Oumldipusschon vor der abschlieszligenden Rede des Teiresias ins Haus gehenlaumlsst

Da alle diese Erklaumlrungsversuche unbefriedigend sind sollteman eine Loumlsung diskutieren die A Schoumlll im Jahre 1856 in seinerannotierten Uumlbersetzung des Koumlnig Oumldipus vorgeschlagen undausfuumlhrlich begruumlndet hat21 wobei er allerdings nicht die Fragethematisierte ob Oumldipus die Rede des Teiresias gehoumlrt haben kannbzw warum er nicht reagiert22 sondern von anderen der aufge-fuumlhrten Anstoumlszlige ausging Auf die These von Schoumlll wurde zwarverschiedentlich verwiesen23 sie fand aber inhaltlich bisher keineResonanz Im Folgenden soll Schoumllls Vorschlag mit zusaumltzlichenArgumenten wieder aufgegriffen werden

Schoumlll haumllt die vv 444ndash462 fuumlr unecht also die Schlussrede desTeiresias und auch die unmittelbar vorausgehenden Verse (444ndash446) In der letzten Aumluszligerung des Oumldipus im Dialog mit Teiresias(445 f) glaubt er bei Oumldipus einen gewissen Mangel an klarer Hal-tung beobachten zu koumlnnen weil an fruumlheren Stellen seine Dro-hungen (255 363 368) und seine Verachtung (365 374 f 402 f433) viel deutlicher zum Ausdruck gekommen seien Die vv 444ndash446 scheinen Schoumlll ein schwaches Anhaumlngsel zu den wuumlrdigerenSchlussworten des Teiresias bdquoEben dieser gluumlckliche Erfolg (sc dieVernichtung der Sphinx) hat dich vernichtetldquo (442) und des Oumldi-pus bdquoAber wenn ich diese Stadt gerettet habe kuumlmmert mich dasnichtldquo (443)24 zu sein25 Das ist vielleicht doch eine etwas subjek-tive Wertung weil man fuumlr die Echtheit dagegen halten kann So-phokles wolle Oumldipus seine Erleichterung ausdruumlcken lassen dassTeiresias endlich geht im Kontrast zum Anfang der Szene wo er

21) Schoumlll (wie Anm 2) 92ndash10122) Allerdings legt eine Bemerkung Schoumllls (wie Anm 2 101) nahe anzu-

nehmen dass er fuumlr die Gespraumlchssituation des uumlberlieferten Textes voraussetzt beiden letzten Worten des Teiresias sei Oumldipus nicht mehr auf der Buumlhne

23) Knox (wie Anm 2) 322 mit Anm 2 der Schoumllls Argumentation abernicht einsehen konnte R Kassel bei Lloyd-Jones Wilson (wie Anm 10) 52

24) Τε α)τη γε μντοι σrsquo A τχη διNλεσεν Οδ λλrsquo ε πλιν τgtνδrsquo ξσωσrsquoοQ μοι μλει

25) Schoumlll (wie Anm 2) 94 f 100 f

137Wann verlaumlsst Oumldipus die Buumlhne

ihn sehnlichst erwartet hatte Und die Willensaumluszligerung des Blin-den gegenuumlber dem Jungen der ihn fuumlhren soll ist ein deutlichesdramaturgisches Signal

Tilgt man gemaumlszlig dem Vorschlag von Schoumlll die vv 447ndash462also die gesamte Rede des Teiresias loumlsen sich die genannten mitdieser Textstelle verbundenen Probleme Waumlre das auf die Teire-sias-Szene folgende Chorlied (463 ff) im Anschluss an v 446 uumlber-liefert so haumltte wohl kein Philologe eine Luumlcke postuliert eherfestgestellt wie folgerichtig sich das abrupte und unversoumlhnlicheEnde als Gegenstuumlck zum Beginn der Szene aus der heillosen Ent-zweiung ergibt die sich im Laufe des Gespraumlchs entwickelt hatte

Nun wuumlrde man kein Textstuumlck nur deswegen athetieren weiles im Ganzen verzichtbar erscheint sondern der Grund sind diegenannten Probleme Allerdings ist auch zu pruumlfen ob der Texteinzelne Elemente enthaumllt die bei naumlherem Zusehen unverzichtbarerscheinen indem sie gegenuumlber dem im Dialog zwischen Teiresiasund Oumldipus Gesagten eine fuumlr das Drama wesentliche weitere Information bieten oder ob es sich um Gedanken handelt die alsWiederholungen oder Ausgestaltungen keine tragende Funktionfuumlr das Drama haben

Geht man die Verse der Rede unter diesem Gesichtspunktdurch zeigt sich folgender Befund

447bndash448 Die Ankuumlndigung des Teiresias sich furchtlosaumluszligern zu wollen (bdquoohne Furcht vor deinem [zornigen] Gesichtdenn in keiner Weise kannst du mich vernichtenldquo)26 entspricht inder Sache bdquoWenn du auch Koumlnig bist so muss so weit Gleichheitherrschen in gleicher Weise zu erwidern dazu habe auch ich dieMacht Denn nicht fuumlr dich als Diener lebe ich sondern fuumlr Loxiasldquo(408ndash410)27 Auszligerdem hatte Teiresias bereits in den vv 356 und369 auf seine im Besitz der Wahrheit beruhende Staumlrke und damitseine Unangreifbarkeit gepocht

449ndash452a Teiresiasrsquo klare Aussagen dass der Moumlrder desLaiumlos sbquohierlsquo und kein Einheimischer sei (bdquoUnd ich sage dir DieserMann den du die ganze Zeit suchst drohend und verkuumlndend eineUntersuchung des Mordes an Laiumlos der ist hier ein Fremder wie

26) Fuumlr den griechischen Text der Zitate aus Teiresiasrsquo abschlieszligender Redesiehe oben S 129

27) (Τε) ε κα τυραννες ξισωτον τ+ γο1ν Jσrsquo ντιλξαιmiddot το1δε γ-ρ κγκρατ5 οamp γ3ρ τι σο ζ5 δο1λος λλ- ΛοξTmiddot

138 Bernd Manuwald

man sagt der hier wohntldquo) sind was den ersten Punkt angeht inBeziehung zu bringen mit seinen fruumlheren Angaben (353 bdquodenn du bist es dieses Landes unreiner Befleckerldquo und 362 bdquoDu bist der Moumlrder sag ich des Mannes dessen Moumlrder du suchstldquo)28 in denen das Vor-Ort-Sein des Moumlrders impliziert ist wenn dies auch von Oumldipus nicht durchschaut wird ndash Von sich als Fremden(Korinther) der jetzt zu den Buumlrgen zaumlhlt hatte an fruumlherer StelleOumldipus selbst gesprochen (219ndash222) der Gedanke wuumlrde alsonicht wegfallen

452bndash454a Die von Teiresias angekuumlndigte Entwicklung dassder Moumlrder (sc Oumldipus) uumlber die Erkenntnis Thebaner zu seinnicht erfreut sein werde (bdquoDoch dann wird er sich als gebuumlrtigerThebaner erweisen und er wird sich nicht freuen uumlber diese Wen-dungldquo) war vorher so deutlich nicht thematisiert worden ist aberin den fruumlheren Aussagen des Teiresias dass Oumldipus der Moumlrder desLaiumlos (362) und seinem Vater Feind sei (415 f) bereits mit erfasst

454bndash456 Wenn Teiresias die Blindheit des Moumlrders und seinBettlerdasein voraussagt (bdquoDenn blind geworden aus einem Sehen-den und ein Bettler statt eines Beguumlterten wird er im fremden Landumherziehen den Boden vor sich mit dem Stab ertastendldquo) soentspricht diese Zukunftsperspektive in ihrem inhaltlichen Gehaltder Aussage von vv 372 f wo auf die Bemerkung des Oumldipus Tei-resias sei blind dieser entgegnet bdquoUnd du erbaumlrmlich der du michdamit schmaumlhst womit dich ein jeder hier schon bald schmaumlhenwirdldquo29 und vv 417ndash419 bdquound doppelt treffend wird deiner Mut-ter und deines Vaters Fluch dich einst aus diesem Lande treiben mitfuumlrchterlichem Schritt dich der du jetzt noch richtig siehst dannaber Finsternisldquo30 Hier ist nicht ausdruumlcklich vom Status einesBettlers die Rede aber einen elenden Zustand sagt ihm Teiresias daschon voraus

457ndash460a bdquoUnd es wird offenbar Seinen Kindern mit denener zusammen lebt ist er Bruder zugleich und Vater und der Frauvon der er stammt Sohn und Gatte und mit dem Vater teilt er die

28) (Τε) ς Oντι γς τσδrsquo νοσ μι3στορι (353) und (Τε) φονα σ φημιτνδρ+ς ο9 ζητες κυρεν (362)

29) (Τε) σD δrsquo θλις γε τα1τrsquo νειδζων U σο οampδες 2ς οampχ τ5νδrsquo νει-διε τ3χα

30) (Τε) κα σrsquo μφιπλ=ξ μητρς τε κα το1 σο1 πατρ+ς λC ποτrsquo κ γςτσδε δεινπους ρ3 βλποντα ν1ν μEν Oρθrsquo πειτα δE σκτον

139Wann verlaumlsst Oumldipus die Buumlhne

Frau und ist sein Moumlrderldquo Dass in der Sache die Hinweise auf denInzest bereits im Dialog zwischen Oumldipus und Teiresias gegebensind wurde bereits besprochen sie sind allerdings weniger deutlichformuliert Zu vergleichen sind vor allem die vv 422ndash425 bdquo wenn du deiner Ehe gewahr geworden bist in deren Hafen woman nicht ankern kann du in deinem Haus nach gluumlcklicher Fahrteingelaufen bist Und die Menge anderer schlimmer Dinge nimmstdu nicht wahr die dich dir und deinen Kindern gleichmachen wer-denldquo31 Auszligerdem vv 366 f bdquoDir ist verborgen sag ich dass du mitdenen die dir am naumlchsten sind aufs schaumlndlichste zusammenlebst und du siehst auch nicht das Unheil in dem du dich befin-destldquo32 und vv 414ndash416 (Du siehst nicht) bdquowo du wohnst nochmit wem du zusammenlebst ndash weiszligt du von wem du stammst Esist dir verborgen dass du Feind bist den Deinen unten und denenoben auf der Erdeldquo33

462 Teiresiasrsquo siegesgewisse Schlussbemerkung (bdquodann sagedass ich nichts verstehe von der Seherkunstldquo) ist eine Antwort aufden von Oumldipus in den vv 395 f gegenuumlber Teiresias erhobenenVorwurf bdquoDie (sc die Seherkunst) du wie sich zeigte weder vonden Voumlgeln noch von einem der Goumltter als Erkenntnis hastldquo34 Die-se Antwort ist inhaltlich in Teiresiasrsquo fruumlherer Aussage er habe dieKraft der Wahrheit in sich (356) schon vorweggenommen

Nach dieser Durchsicht laumlsst sich feststellen Die Schlussrededes Teiresias ist zwar im Effekt vielleicht bdquoa moment of tense theatrical horrorldquo35 aber in ihrem Aussagewert eine konzentrierteund verdeutlichende Zusammenstellung von Informationen diezuvor verstreut und zT verraumltselter aber dem aufmerksamen Zu-schauer aufgrund seines Vorwissens durchaus nicht unverstaumlndlichgegeben wurden oder von ihm zu erschlieszligen waren Man kannsich daher fragen warum Sophokles neben den mehr oder wenigerandeutenden Hinweisen noch eine solche intensivierende Wieder-

31) (Τε) 0ταν κατασθK τ+ν Fμναιον 2ν δμοις νορμον εσπλευσαςεampπλοας τυχNν λλων δE πλθος οampκ παισθ3νK κακ5ν W σX ξισNσει σο τεκα τος σος τκνοις

32) (Τε) λεληθναι σ φημι σDν τος φιλτ3τοις αJσχισθrsquo Iμιλο1ντrsquo οampδrsquoIρYν Zνrsquo εlt κακο1

33) (Τε) (οamp βλπεις) νθα ναεις οampδrsquo 0των οκες μτα ndash [ρrsquo οltσθrsquo φrsquo(ν εlt κα λληθας χθρ+ς ν τος σοσιν αampτο1 νρθε κπ γς νω

34) (Οδ) ]ν οQτrsquo πrsquo οων5ν σD προampφ3νης χων οQτrsquo κ θε5ν του γνωτν35) Dawe (wie Anm 3) 9

140 Bernd Manuwald

aufnahme (einen bdquoSammelspruchldquo wie sich Schoumlll ausdruumlckte) fuumlrnoumltig gehalten haben sollte wobei er ndash und darauf kommt es an ndashohne Not Widerspruumlche und Unwahrscheinlichkeiten in derZeichnung des Teiresias des Oumldipus und des Chores in Kauf ge-nommen haumltte36 Sollte man da nicht eher das Werk eines Interpo-lators im Zusammenhang mit einer Wiederauffuumlhrung der Tragouml-die vermuten Dieser koumlnnte den umherziehenden mittellosenOumldipus den sbquoBettlerlsquo aus dem Oumldipus auf Kolonos entnommen ha-ben und haumltte sich fuumlr die Formulierungen des Inzestvorwurfsdurch spaumltere Stellen im Koumlnig Oumldipus anregen lassen wo Oumldipusals ihm alles klar ist sagt bdquoO ihr Ehen Ehen ihr brachtet uns her-vor und nachdem ihr uns hervorgebracht lieszliget ihr wiederumdenselben Samen aufgehen und offenbartet (der Welt) Vaumlter alsBruumlder Soumlhne als Ursache vergossenen Verwandtenbluts Braumluteals Frauen und Muumltter ldquo (1403ndash1407)37

Als Motivation des Interpolators ndash vielleicht eines Schauspie-lers ndash kann man sich vorstellen dass er mit seinem Zusatz die sotheaterwirksamen Diskrepanzen zwischen dem sehenden Oumldipusder die Aumluszligerungen des Teiresias in ihrer Relevanz fuumlr sich selbstnicht erkennt und dem Blinden der alles weiszlig einerseits und demmit dem Stoff vertrauten Zuschauer andererseits uumlber das Vorhan-dene hinaus ausdehnen und steigern wollte Demgegenuumlber koumlnn-ten ihm die sich durch die Einfuumlgung der Rede ergebenden Inkon-gruenzen falls sie ihm bewusst geworden sein sollten als wenigergewichtig erschienen sein Indem das markante πειμι des sehrwahrscheinlich noch echten Verses 444 als Stichwort fuumlr die an -schlieszligende Rede fungiert (πειμX 447) wird jedenfalls aumluszligerlichein glatter Uumlbergang erreicht

Geht man davon aus dass die vv 447ndash462 urspruumlnglich nichtvorhanden waren ergibt sich fuumlr die Zuschauer das Bild eines Oumldipus der in der Teiresias-Szene trotz seiner Auseinanderset-zung mit dem Seher ndash von einer kurzen Verunsicherung als seineEltern zur Sprache kommen abgesehen ndash noch von keinerlei Zwei-feln befallen38 und entsprechend selbstsicher in seiner Machtposi-

36) Vgl auch Schoumlll (wie Anm 2) 95ndash9837) _ γ3μοι γ3μοι φσαθrsquo AμYς κα φυτεσαντες π3λιν νετε ταampτ+ν

σπρμα κπεδεξατε πατρας δελφος παδας α`μrsquo μφλιον νμφας γυ-νακας μητρας τε

38) So auch Knox (wie Anm 2) 326

141Wann verlaumlsst Oumldipus die Buumlhne

tion ist So tritt er auch noch in der Kreon-Szene auf als er Kreonden er der Intrige gegen sich verdaumlchtigt toumlten oder verbannen will(623 641) Erst als Iokaste den sbquoDreiweglsquo erwaumlhnt (716) und Oumldi-pus befuumlrchtet Teiresias koumlnne ihn doch zu Recht des Mordes anLaiumlos beschuldigt haben (747) erscheint er in seiner Sicherheit er-schuumlttert und ist motiviert Nachforschungen hinsichtlich seinereigenen Taumlterschaft anzustellen Haumltte Oumldipus die Rede des Teire-sias zur Gaumlnze gehoumlrt ndash und darauf ist die Rede zweifellos angelegtwenn Oumldipus am Ende noch einmal ausdruumlcklich angesprochenwird ndash und unwidersprochen hingenommen wuumlrde beim Zu-schauer schon hier der Eindruck entstehen Oumldipus gebe sich ge-genuumlber Teiresias geschlagen Der sich in der Mitte der Tragoumldieabzeichnende Umbruch waumlre nicht mehr so herausgehoben

Es spricht also viel dafuumlr dass die vv 447ndash462 unecht sind undOumldipus und Teiresias nach v 446 gleichzeitig die Buumlhne verlassender eine in sein Haus der andere in die Stadt

Koumlln Bernd Manuwald

Page 2: WANN VERLÄSST ÖDIPUS DIE BÜHNE? Zum Schluss der … · 130 Bernd Manuwald ist er Bruder zugleich und Vater, und der Frau, von der er stammt, Sohn und Gatte, und mit dem Vater teilt

129Wann verlaumlsst Oumldipus die Buumlhne

Teiresias geht aber nicht sondern richtet noch 16 Verse (447ndash462) an Oumldipus (449 461 f) auf die dieser nicht mehr reagiert

επν πειμrsquo (ν ο)νεκrsquo λθον οamp τ+ σ+νδεσας πρσωπονmiddot οamp γ-ρ σθrsquo 0που μrsquo λεςλγω δ σοιmiddot τ+ν νδρα το1τον 2ν π3λαιζητες πειλ5ν κνακηρσσων φνον 450τ+ν Λα8ειον ο9τς στιν νθ3δεξνος λγ μτοικοςmiddot εltτα δrsquo γγεν=ςφανgtσεται Θηβαος οampδrsquo AσθgtσεταιτB ξυμφορCmiddot τυφλ+ς γ-ρ κ δεδορκτοςκα πτωχ+ς ντ πλουσου ξνην πι 455σκgtπτρ προδεικνDς γααν μπορεσεταιφανgtσεται δE παισ τος αFτο1 ξυννδελφ+ς αFτ+ς κα πατgtρ κξ Gς φυγυναικ+ς υH+ς κα πσις κα το1 πατρ+ςIμσπορς τε κα φονες κα τα1τrsquo ν 460εJσω λογζουmiddot κν λ3βKς ψευσμνονφ3σκειν μrsquo Mδη μαντικB μηδEν φρονεν

Ich gehe wenn ich das gesagt habe weswegen ich gekommen bin

ohne Furcht vor deinem (zornigen) Gesicht denn in keiner Weise kannst du mich vernichten

Und ich sage dir Dieser Mann den du die ganze Zeitsuchst drohend und verkuumlndend eine Unter- 450

suchung des Mordesan Laiumlos der ist hierein Fremder wie man sagt der bei uns wohnt

Doch dann wird er sichals gebuumlrtiger Thebaner erweisen und er wird

sich nicht freuenuumlber diese Wendung Denn blind geworden aus

einem Sehendenund ein Bettler statt eines Beguumlterten wird er 455

im fremden Landumherziehen den Boden vor sich mit dem Stab

ertastendUnd es wird offenbar werden Seinen Kindern

mit denen er zusammenlebt

130 Bernd Manuwald

ist er Bruder zugleich und Vater und der Frau von der er stammt

Sohn und Gatte und mit dem Vaterteilt er die Frau und ist sein Moumlrder Nun geh 460

hineinund bedenke dies Und wenn du mich ertappst

als Luumlgnerdann sage dass ich nichts verstehe von der Seherkunst

Diese eindrucksvolle Rede des Teiresias bereitet wie in der For-schung bereits festgestellt einige Probleme die sich aufgrund ihresKontextes ergeben2

1) Teiresias hatte vor seiner Rede angekuumlndigt wegzugehenund schon den Jungen der ihn fuumlhrt beauftragt ihn zu geleitenDem widerspricht dass er danach nicht geht sondern das wie erausfuumlhrt erst tun will wenn er gesagt hat weswegen er gekommensei (447)3 Aber am Anfang der Teiresias-Szene hatte sich heraus-gestellt dass der Seher nicht gekommen war um etwas zu sagenvielmehr hatte er sich geweigert Auskunft zu geben (320 ff 343)und was er gereizt dann doch aumluszligerte wurde ihm nach seiner Aus-sage gegen seinen Willen abgepresst (358)4 Gerade diese Verwei-gerungshaltung hatte den Zorn des Oumldipus ausgeloumlst Das Verhal-ten des Teiresias ist also in zweifacher Hinsicht widerspruumlchlich

2) Dass Teiresias ohne Furcht vor Oumldipusrsquo sbquozornigem Ge-sichtlsquo sprechen will (447 f) klingt aus dem Munde eines Blindenzumindest merkwuumlrdig5

2) Vgl besonders A Schoumlll (ed) Sophoklesrsquo Werke verdeutscht in den Vers-maszligen der Urschrift und erklaumlrt Erstes Baumlndchen Koumlnig Oedipus Stuttgart 185692ndash101 und B M W Knox Sophocles Oedipus Tyrannos 446 Exit OedipusGRBS 21 1980 321ndash332

3) Knox (wie Anm 2 326) haumllt es fuumlr moumlglich dass sich επNν (447a) auf dasbeziehe was Teiresias bereits gesagt hat und z B R D Dawe (ed Sophocles Oedipus Rex [1982] Rev edition Cambridge 2006 9) uumlbersetzt bdquoI have said whatI came to say and now I am going home ldquo Bei dieser Auffassung waumlre es abernicht verstaumlndlich warum Teiresias dann noch zu einer neuen Rede ansetzt derenEinleitung (λγω δ σοι 449) nimmt επNν auf Auch muumlsste Teiresias dann nichtmehr sagen οamp τ+ σ+ν δεσας πρσωπονmiddot οamp γ-ρ σθrsquo 0που μrsquo λες (447bndash448)wenn er damit sein schon zuruumlckliegendes Verhalten meinte

4) Vgl auch Schoumlll (wie Anm 2) 995) Vgl auch Schoumlll (wie Anm 2) 95

131Wann verlaumlsst Oumldipus die Buumlhne

3) Teiresias beschuldigt in dieser Rede nicht mehr Oumldipus direkt er macht sbquoobjektivelsquo Angaben uumlber den Taumlter (451ndash460)Das ist jedenfalls formal genau das was Oumldipus von ihm wollteund trotzdem reagiert er darauf nicht Es gibt sonst in der Teire-sias-Szene keine Anzeichen dass Oumldipus vor lauter Zorn nicht bemerkte worum es jeweils geht Die Mordanschuldigung hat ersehr wohl verstanden nur auf Grund seines Informationsstandesfuumlr absurd gehalten Und als Teiresias gegen Ende des emotionalaufgeladenen Dialogs mit Oumldipus von dessen Eltern spricht horchtOumldipus sofort auf und fragt nach (435ndash437)6 Hier beruumlhrte Teire-sias etwas das Oumldipus schon fruumlher beunruhigte als ihm bei einemBankett in Korinth von einem Betrunkenen vorgehalten wordenwar er sei nicht der Sohn des dortigen Koumlnigs Polybos (779 f) under deswegen das Orakel in Delphi aufsuchte Sophokles stellt alsoOumldipus als hellwach dar wenn sein Gegenuumlber etwas sagt das erauf sich beziehen kann bzw auf sein Informationsbeduumlrfnis stoumlszligtund laumlsst ihn sofort darauf reagieren Es ist daher sehr verwunder-lich wenn Oumldipus die Auskuumlnfte uumlber den Taumlter die er doch drin-gend haben wollte an dieser Stelle nicht aufgreift Immerhin ist diepraumlzise Auskunft dabei der Moumlrder sei h i e r (451)7

4) Am Ende seiner Rede schickt Teiresias Oumldipus ins Hausund fordert ihn auf das Gesagte zu bedenken (460 f) Man mussalso annehmen dass dieser sich nach allem was sich zwischen denbeiden abgespielt hat wortlos dem Befehl des Sehers beugt

5) Im anschlieszligenden Chorlied malt sich der Chor aus wie derTaumlter aufgrund der durch das Orakel angeordneten Verfolgung aufder Flucht ist und zwar in der Wildnis (477 ff) Fuumlr den Chor ist derTaumlter daher gerade nicht mehr sbquohierlsquo Wie kann er das so uneinge-schraumlnkt zum Ausdruck bringen wenn er eben von Teiresias gehoumlrthat der Taumlter sei sbquohierlsquo Welchen Grund kann er haben die sbquoobjek-tivelsquo Angabe uumlber den Aufenthaltsort des Taumlters zu ignorieren8

6) Anders als bei der zuvor gestellten Frage des Teiresias ob Oumldipus wissewoher er stamme (415) reagiert Oumldipus auf die eher beilaumlufige Bemerkung des Teiresias weil dieser sich jetzt so aumluszligert dass Oumldipus daraus entnehmen kann Tei-resias kenne seine Eltern und er damit eine Moumlglichkeit sieht die Frage beantwor-tet zu bekommen die ihn seit der Aumluszligerung des Betrunkenen in Korinth umtreibt(vgl 774 ff)

7) Vgl dagegen v 97 f wo es nur heiszligt die sbquoBefleckunglsquo werde sbquoim Landelsquogenaumlhrt

8) Vgl Schoumlll (wie Anm 2) 93 f

132 Bernd Manuwald

Andererseits entsprechen die Uumlberlegungen die der Choruumlber die Situation des Oumldipus anstellt dem Informationsstand ausdem dialogischen Teil der Teiresias-Szene wie sie bis v 446 vor-liegt Der Chor geht auf den geradeheraus formulierten Mordvor-wurf gegen Oumldipus ein (der ihm allerdings zweifelhaft bleibt 483ndash511) nicht aber auf den Inzest was sich dadurch erklaumlren laumlsst dassdie Anspielungen des Teiresias darauf im fruumlheren Teil der Szenenicht sehr deutlich sind Nach den klaren Hinweisen auf den Inzestin der Schlussrede des Teiresias (457ndash460) ist diese Zuruumlckhaltungdes Chores eigentlich nicht erklaumlrlich

Man hat auf verschiedene Weise versucht mit diesen Schwie-rigkeiten fertig zu werden

Eine Gruppe der Interpreten nimmt an Oumldipus bleibe waumlhrendder ganzen Rede des Teiresias auf der Buumlhne und bietet zT unter-schiedliche Erklaumlrungen warum Oumldipus trotz der relativen Deut-lichkeit der Aumluszligerungen des Teiresias nicht versteht oder nicht ant-wortet J C Kamerbeek haumllt es fuumlr natuumlrlich dass Teiresias auf dieveraumlchtlichen letzten Worte des Oumldipus (445 f) reagieren muumlsse er-laumlutert jedoch nicht warum Oumldipus dessen Rede deren gesteigerteDeutlichkeit Kamerbeek konstatiert wortlos hinnimmt9 H Lloyd-Jones und N G Wilson sind der Auffassung Oumldipus sei zu zornigund zu sehr davon uumlberzeugt dass Teiresias Teil einer Intrige gegenihn sei als dass er dessen letzte Aumluszligerungen wirklich beachte10 FuumlrJ Bollack hat Oumldipus auf die Rede des Teiresias hin einfach nichtsmehr zu sagen was Aussicht auf Erfolg haumltte11 R D Dawe wendetsich gegen die Erklaumlrung dass Oumldipus wegen seines Zorns nicht er-fasse was Teiresias sage und will so scheint es die Besonderheitenauf dramaturgische Notwendigkeit zuruumlckfuumlhren Es duumlrfe keinefruumlhe Aufdeckung geben und dass Oumldipus nicht verstehe muumlsseman eben hinnehmen Er sieht den Sinn der Teiresias-Rede darindass sie bdquoa moment of tense theatrical horrorldquo biete12 ndash Szenisch

9) J C Kamerbeek The Plays of Sophocles Commentaries Part IV TheOedipus Tyrannus Leiden 1967 111 (zu OT 449ndash462 und 449)

10) H Lloyd-Jones N G Wilson Sophocles Second Thoughts Goumlttingen1997 (Hypomnemata 100) 52 zu OT 445ndash446

11) J Bollack (ed) LrsquoOedipe roi de Sophocle Le texte et ses interpreacutetationsVol II Commentaire Premiegravere partie Lille 1990 (Cahiers de philologie 12) 283

12) Dawe (wie Anm 3) 8ndash10 Eine vergleichbare Position vertritt jetzt auchV Liapis Oedipus Tyrannus in K Ormand (Hrsg) A Companion to SophoclesChichester 2012 87

133Wann verlaumlsst Oumldipus die Buumlhne

muumlsste man sich bei allen diesen Interpretationen den Ablauf so vorstellen dass am Schluss der Rede Oumldipus sbquobefehlsgemaumlszliglsquo in seinden Buumlhnenhintergrund bildendes Haus geht Teiresias zur Seite wegin die Stadt geleitet wird

Mit diesem Deutungsmuster lassen sich jedoch weder dasdoppelt widerspruumlchliche Verhalten des Teiresias noch die Aumluszlige-rungen des Chores erklaumlren Auszligerdem war Oumldipus nicht zu zor-nig kurz zuvor die Bemerkung uumlber seine Eltern zu uumlberhoumlrenund da er nun von Teiresias in den Aussagen uumlber den Taumlter nichtdirekt beschuldigt wird ist bei Oumldipus auch keine sbquoBlockadelsquo an-zunehmen die verstaumlndlich machte warum er auf die Feststellunghin der Taumlter sei sbquohierlsquo nichts sagt L Edmunds Auffassung Oumldi-pus bestehe aus Vornehmheit nicht auf dem letzten Wort13 hilftebenfalls nicht weiter Denn Oumldipus hat in dieser Szene laumlngst seineVornehmheit abgelegt Teiresias zum Teufel gewuumlnscht (ες Oλε-θρον 430) und forciert zugestimmt der Junge solle den Seher weg-bringen damit er ihn nicht weiter betruumlbe (445 f)

Andere Interpreten halten es denn auch fuumlr unmoumlglich dassOumldipus die Rede des Teiresias gehoumlrt hat ohne irgendwie daraufzu reagieren und lassen deswegen Oumldipus ins Haus gehen bevorTeiresias zu reden anfaumlngt bzw zum Haus hin waumlhrend er redet14

Dieser wuumlrde dann 16 Verse hinter dem bereits abwesenden bzwweggehenden Oumldipus her reden und ihn am Schluss in direkter An-rede auffordern ins Haus zu gehen Selbst wenn man die Blindheitdes Teiresias beruumlcksichtigt ist die damit gegebene Szenerie nichtuumlberzeugend und koumlnnte sogar zu einem komischen Effekt fuumlhrenUnd vor allem Der Chor houmlrt die Rede auf jeden Fall

13) L Edmunds The Teiresias Scene in Sophoclesrsquo Oedipus Tyrannus Syllecta Classica 11 2000 34ndash73 hier 60

14) R Kassel bei Lloyd-Jones Wilson (wie Anm 10) der seinerseits aufKock Wolff Bellermann Wilamowitz und die Athetese von Schoumlll (siehe obenAnm 2) verweist Vgl Th Kock Sophokleische Studien II Berlin 1857 25 (bdquoOedi-pus zieht sich in seinen Palast zuruumlck Der blinde Greis in der Meinung er seinoch anwesend wiederholt nochmals im Zusammenhange seine fruumlheren Verkuumln-digungen aber seine Worte erreichen den Herrscher nicht mehrldquo) Sophokles Koumlnig Oumldipus Fuumlr den Schulgebrauch erkl von G Wolff 5 Aufl bearb vonL Bellermann Leipzig Berlin 1908 49 zu vv 447 f (Oumldipus verlasse die Buumlhne beiv 446 der blinde Teiresias merke es nicht) Sophokles Oumldipus Gr u dt Uumlbertra-gen von U v Wilamowitz-Moellendorff hrsg von C Kappus Berlin Frankfurta M 1949 71 (Regieanweisung vor v 447 bdquoOumldipus wendet sich ab houmlrt nicht auf die Rede und geht langsam ins Hausldquo)

134 Bernd Manuwald

B M W Knox der die Probleme der Szene detailliert disku-tiert vertritt eine Art Kompromissloumlsung die von WilamowitzrsquoRegieanweisung ausgeht15 und plaumldiert fuumlr folgendes VerstaumlndnisOumldipus gehe nachdem er Teiresias weggeschickt hat also ab v 447langsam nach hinten auf das Haus zu der blinde Teiresias sprechegegen den Ruumlcken des Oumldipus der sich weigere zuzuhoumlren16 undbei v 457 durch die Tuumlr gehe17 Er koumlnne also die vv 457ndash460 diesich inhaltlich mit dem Orakel das er in Delphi auf seine Anfragenach seinen Eltern hin erhalten hatte (er muumlsse mit seiner MutterKinder zeugen und seinen Vater toumlten) in Beziehung bringen las-sen nicht mehr houmlren Teiresias reagiere mit seiner Aufforderungan Oumldipus hineinzugehen und die Dinge zu bedenken (460 f) aufdas Geraumlusch der sich bewegenden Tuumlr18 D h Oumldipus aumluszligert sichnicht mehr weil er bereits im Haus ist

Bei seiner Hypothese unterscheidet Knox faktisch Aumluszligerun-gen die Oumldipus (noch) houmlren darf und solche die er nicht (mehr)houmlren sollte Dabei bleibt aber unberuumlcksichtigt wie Sophoklessonst an vergleichbaren Stellen Oumldipusrsquo Verhalten dargestellt hatDenn einerseits waumlre gerade bei der Aussage der Taumlter sei sbquohierlsquo(451) wie ausgefuumlhrt eine Reaktion des Oumldipus zu erwarten ndash daist Oumldipus auch fuumlr Knox noch auf der Buumlhne Andererseits ist esein unbegruumlndetes Postulat Oumldipus muumlsse auf Ausfuumlhrungen re -agieren die ihn an das ihm gegebene Orakel erinnerten (duumlrfe dasalso nicht mehr gehoumlrt haben) Auch spaumlter als Iokaste ihm vondem Orakel erzaumlhlt nach dem Laiumlos von seinem Sohn getoumltet werden sollte laumlsst ihn Sophokles keine Beziehung zu dem gleich-artigen ihm erteilten herstellen sondern nur bei dem StichwortsbquoDreiweglsquo als Ort der Ermordung des Laiumlos aufmerksam werden(711 ff) ebenso wie es bei dem Stichwort sbquoElternlsquo der Fall war(436 f) also jeweils bei Dingen die mit konkreten Erlebnissen desOumldipus zu tun haben

Auszligerdem wird in den vv 457ndash460 das Inzestmotiv zwardeutlich ausgefuumlhrt aber die fruumlheren Anspielungen des Teiresiasdarauf hatte Oumldipus offenbar nur als unverschaumlmte Anwuumlrfe be-trachtet (429ndash431) die Inzest-Thematik spielt sogar noch dann als

15) Vgl die vorige Anm ndash Knox (wie Anm 2) 32516) Knox (wie Anm 2) 330 33217) Knox (wie Anm 2) 326ndash32918) Knox (wie Anm 2) 331

135Wann verlaumlsst Oumldipus die Buumlhne

bei Oumldipus spaumlter im Stuumlck die Befuumlrchtung aufkommt der Seherhabe vielleicht recht keine Rolle Diese Befuumlrchtung richtet sichausschlieszliglich darauf er koumlnne vielleicht doch Koumlnig Laiumlos (den erda noch nicht als seinen Vater identifiziert hat) getoumltet haben Oumldi-pus ist bis zur endguumlltigen Aufklaumlrung davon uumlberzeugt dass daskorinthische Koumlnigspaar Polybos und Merope seine Eltern seienInsbesondere hatte er niemals Grund die Mutterschaft Meropesanzuzweifeln da die Bemerkung des Betrunkenen nur den Vaterbetroffen hatte Es ist daher nicht unproblematisch allein auf derBasis der Ausfuumlhrungen des Teiresias zur Sache auf die An- oderAbwesenheit des Oumldipus ruumlckzuschlieszligen

Knox nimmt fuumlr seine Deutung an dass Teiresias mit seinerabschlieszligenden Aufforderung an Oumldipus ins Haus hineinzugehenauf das Geraumlusch der sich bewegenden Tuumlr des Buumlhnenhauses re -agiere Es sei dahingestellt ob man das uumlberhaupt houmlren konntebzw so deutlich dass das Publikum in der Lage war einen Zu-sammenhang zwischen diesem Geraumlusch und den Worten des blin-den Teiresias herzustellen Wie dem auch sei wenn Teiresias ausdem Tuumlrgeraumlusch schlieszligen soll dass Oumldipus bereits das Haus be-tritt ist seine Aufforderung an ihn ins Haus zu gehen funktions-los Das Partizip Nν (460) steht fuumlr einen beigeordneten Impera-tiv Teiresias kann nicht meinen Oumldipus solle waumlhrend des Vor-gangs des Hineingehens bedenken was er gesagt hat Allenfallswaumlre in dieser Situation eine Bemerkung vorstellbar wie sbquoUnddrinnen denke uumlber das nach was ich gesagt habelsquo oder etwasAumlhnliches So aumluszligert sich Teiresias aber nicht

Es kommt noch hinzu dass die Situation hier insofern andersist als an den Stellen die Knox auffuumlhrt um zu zeigen dass einerdie Buumlhne verlassenden Person etwas hinterher gesprochen wirddas diese nicht mehr houmlrt oder houmlren darf (Soph Ant 327ndash331Eur El 1139ndash1146 Her 726ndash733 Ba 971ndash976)19 als Teiresiasnicht nur am Anfang (447ndash449) Oumldipus direkt anredet sondernsich auch am Schluss (460ndash462) von neuem unmittelbar mit einerAufforderung an ihn wendet20 Schlieszliglich bleibt unerklaumlrt wel-chen Sinn Teiresiasrsquo Schlussbemerkung bdquoUnd wenn du mich er-

19) Knox (wie Anm 2) 32920) Mit Verweis auf diese Stellen weist Dawe (wie Anm 3 114) die Deutung

von Knox entschieden zuruumlck Vgl auch die Ablehnung der These von Knox beiLiapis (wie Anm 12) 87

136 Bernd Manuwald

tappst als Luumlgner dann sage dass ich nichts verstehe von der Seherkunstldquo (461 f) haben soll wenn Oumldipus sie nicht mehr houmlrtHier besteht letztlich dasselbe Problem wie wenn man Oumldipusschon vor der abschlieszligenden Rede des Teiresias ins Haus gehenlaumlsst

Da alle diese Erklaumlrungsversuche unbefriedigend sind sollteman eine Loumlsung diskutieren die A Schoumlll im Jahre 1856 in seinerannotierten Uumlbersetzung des Koumlnig Oumldipus vorgeschlagen undausfuumlhrlich begruumlndet hat21 wobei er allerdings nicht die Fragethematisierte ob Oumldipus die Rede des Teiresias gehoumlrt haben kannbzw warum er nicht reagiert22 sondern von anderen der aufge-fuumlhrten Anstoumlszlige ausging Auf die These von Schoumlll wurde zwarverschiedentlich verwiesen23 sie fand aber inhaltlich bisher keineResonanz Im Folgenden soll Schoumllls Vorschlag mit zusaumltzlichenArgumenten wieder aufgegriffen werden

Schoumlll haumllt die vv 444ndash462 fuumlr unecht also die Schlussrede desTeiresias und auch die unmittelbar vorausgehenden Verse (444ndash446) In der letzten Aumluszligerung des Oumldipus im Dialog mit Teiresias(445 f) glaubt er bei Oumldipus einen gewissen Mangel an klarer Hal-tung beobachten zu koumlnnen weil an fruumlheren Stellen seine Dro-hungen (255 363 368) und seine Verachtung (365 374 f 402 f433) viel deutlicher zum Ausdruck gekommen seien Die vv 444ndash446 scheinen Schoumlll ein schwaches Anhaumlngsel zu den wuumlrdigerenSchlussworten des Teiresias bdquoEben dieser gluumlckliche Erfolg (sc dieVernichtung der Sphinx) hat dich vernichtetldquo (442) und des Oumldi-pus bdquoAber wenn ich diese Stadt gerettet habe kuumlmmert mich dasnichtldquo (443)24 zu sein25 Das ist vielleicht doch eine etwas subjek-tive Wertung weil man fuumlr die Echtheit dagegen halten kann So-phokles wolle Oumldipus seine Erleichterung ausdruumlcken lassen dassTeiresias endlich geht im Kontrast zum Anfang der Szene wo er

21) Schoumlll (wie Anm 2) 92ndash10122) Allerdings legt eine Bemerkung Schoumllls (wie Anm 2 101) nahe anzu-

nehmen dass er fuumlr die Gespraumlchssituation des uumlberlieferten Textes voraussetzt beiden letzten Worten des Teiresias sei Oumldipus nicht mehr auf der Buumlhne

23) Knox (wie Anm 2) 322 mit Anm 2 der Schoumllls Argumentation abernicht einsehen konnte R Kassel bei Lloyd-Jones Wilson (wie Anm 10) 52

24) Τε α)τη γε μντοι σrsquo A τχη διNλεσεν Οδ λλrsquo ε πλιν τgtνδrsquo ξσωσrsquoοQ μοι μλει

25) Schoumlll (wie Anm 2) 94 f 100 f

137Wann verlaumlsst Oumldipus die Buumlhne

ihn sehnlichst erwartet hatte Und die Willensaumluszligerung des Blin-den gegenuumlber dem Jungen der ihn fuumlhren soll ist ein deutlichesdramaturgisches Signal

Tilgt man gemaumlszlig dem Vorschlag von Schoumlll die vv 447ndash462also die gesamte Rede des Teiresias loumlsen sich die genannten mitdieser Textstelle verbundenen Probleme Waumlre das auf die Teire-sias-Szene folgende Chorlied (463 ff) im Anschluss an v 446 uumlber-liefert so haumltte wohl kein Philologe eine Luumlcke postuliert eherfestgestellt wie folgerichtig sich das abrupte und unversoumlhnlicheEnde als Gegenstuumlck zum Beginn der Szene aus der heillosen Ent-zweiung ergibt die sich im Laufe des Gespraumlchs entwickelt hatte

Nun wuumlrde man kein Textstuumlck nur deswegen athetieren weiles im Ganzen verzichtbar erscheint sondern der Grund sind diegenannten Probleme Allerdings ist auch zu pruumlfen ob der Texteinzelne Elemente enthaumllt die bei naumlherem Zusehen unverzichtbarerscheinen indem sie gegenuumlber dem im Dialog zwischen Teiresiasund Oumldipus Gesagten eine fuumlr das Drama wesentliche weitere Information bieten oder ob es sich um Gedanken handelt die alsWiederholungen oder Ausgestaltungen keine tragende Funktionfuumlr das Drama haben

Geht man die Verse der Rede unter diesem Gesichtspunktdurch zeigt sich folgender Befund

447bndash448 Die Ankuumlndigung des Teiresias sich furchtlosaumluszligern zu wollen (bdquoohne Furcht vor deinem [zornigen] Gesichtdenn in keiner Weise kannst du mich vernichtenldquo)26 entspricht inder Sache bdquoWenn du auch Koumlnig bist so muss so weit Gleichheitherrschen in gleicher Weise zu erwidern dazu habe auch ich dieMacht Denn nicht fuumlr dich als Diener lebe ich sondern fuumlr Loxiasldquo(408ndash410)27 Auszligerdem hatte Teiresias bereits in den vv 356 und369 auf seine im Besitz der Wahrheit beruhende Staumlrke und damitseine Unangreifbarkeit gepocht

449ndash452a Teiresiasrsquo klare Aussagen dass der Moumlrder desLaiumlos sbquohierlsquo und kein Einheimischer sei (bdquoUnd ich sage dir DieserMann den du die ganze Zeit suchst drohend und verkuumlndend eineUntersuchung des Mordes an Laiumlos der ist hier ein Fremder wie

26) Fuumlr den griechischen Text der Zitate aus Teiresiasrsquo abschlieszligender Redesiehe oben S 129

27) (Τε) ε κα τυραννες ξισωτον τ+ γο1ν Jσrsquo ντιλξαιmiddot το1δε γ-ρ κγκρατ5 οamp γ3ρ τι σο ζ5 δο1λος λλ- ΛοξTmiddot

138 Bernd Manuwald

man sagt der hier wohntldquo) sind was den ersten Punkt angeht inBeziehung zu bringen mit seinen fruumlheren Angaben (353 bdquodenn du bist es dieses Landes unreiner Befleckerldquo und 362 bdquoDu bist der Moumlrder sag ich des Mannes dessen Moumlrder du suchstldquo)28 in denen das Vor-Ort-Sein des Moumlrders impliziert ist wenn dies auch von Oumldipus nicht durchschaut wird ndash Von sich als Fremden(Korinther) der jetzt zu den Buumlrgen zaumlhlt hatte an fruumlherer StelleOumldipus selbst gesprochen (219ndash222) der Gedanke wuumlrde alsonicht wegfallen

452bndash454a Die von Teiresias angekuumlndigte Entwicklung dassder Moumlrder (sc Oumldipus) uumlber die Erkenntnis Thebaner zu seinnicht erfreut sein werde (bdquoDoch dann wird er sich als gebuumlrtigerThebaner erweisen und er wird sich nicht freuen uumlber diese Wen-dungldquo) war vorher so deutlich nicht thematisiert worden ist aberin den fruumlheren Aussagen des Teiresias dass Oumldipus der Moumlrder desLaiumlos (362) und seinem Vater Feind sei (415 f) bereits mit erfasst

454bndash456 Wenn Teiresias die Blindheit des Moumlrders und seinBettlerdasein voraussagt (bdquoDenn blind geworden aus einem Sehen-den und ein Bettler statt eines Beguumlterten wird er im fremden Landumherziehen den Boden vor sich mit dem Stab ertastendldquo) soentspricht diese Zukunftsperspektive in ihrem inhaltlichen Gehaltder Aussage von vv 372 f wo auf die Bemerkung des Oumldipus Tei-resias sei blind dieser entgegnet bdquoUnd du erbaumlrmlich der du michdamit schmaumlhst womit dich ein jeder hier schon bald schmaumlhenwirdldquo29 und vv 417ndash419 bdquound doppelt treffend wird deiner Mut-ter und deines Vaters Fluch dich einst aus diesem Lande treiben mitfuumlrchterlichem Schritt dich der du jetzt noch richtig siehst dannaber Finsternisldquo30 Hier ist nicht ausdruumlcklich vom Status einesBettlers die Rede aber einen elenden Zustand sagt ihm Teiresias daschon voraus

457ndash460a bdquoUnd es wird offenbar Seinen Kindern mit denener zusammen lebt ist er Bruder zugleich und Vater und der Frauvon der er stammt Sohn und Gatte und mit dem Vater teilt er die

28) (Τε) ς Oντι γς τσδrsquo νοσ μι3στορι (353) und (Τε) φονα σ φημιτνδρ+ς ο9 ζητες κυρεν (362)

29) (Τε) σD δrsquo θλις γε τα1τrsquo νειδζων U σο οampδες 2ς οampχ τ5νδrsquo νει-διε τ3χα

30) (Τε) κα σrsquo μφιπλ=ξ μητρς τε κα το1 σο1 πατρ+ς λC ποτrsquo κ γςτσδε δεινπους ρ3 βλποντα ν1ν μEν Oρθrsquo πειτα δE σκτον

139Wann verlaumlsst Oumldipus die Buumlhne

Frau und ist sein Moumlrderldquo Dass in der Sache die Hinweise auf denInzest bereits im Dialog zwischen Oumldipus und Teiresias gegebensind wurde bereits besprochen sie sind allerdings weniger deutlichformuliert Zu vergleichen sind vor allem die vv 422ndash425 bdquo wenn du deiner Ehe gewahr geworden bist in deren Hafen woman nicht ankern kann du in deinem Haus nach gluumlcklicher Fahrteingelaufen bist Und die Menge anderer schlimmer Dinge nimmstdu nicht wahr die dich dir und deinen Kindern gleichmachen wer-denldquo31 Auszligerdem vv 366 f bdquoDir ist verborgen sag ich dass du mitdenen die dir am naumlchsten sind aufs schaumlndlichste zusammenlebst und du siehst auch nicht das Unheil in dem du dich befin-destldquo32 und vv 414ndash416 (Du siehst nicht) bdquowo du wohnst nochmit wem du zusammenlebst ndash weiszligt du von wem du stammst Esist dir verborgen dass du Feind bist den Deinen unten und denenoben auf der Erdeldquo33

462 Teiresiasrsquo siegesgewisse Schlussbemerkung (bdquodann sagedass ich nichts verstehe von der Seherkunstldquo) ist eine Antwort aufden von Oumldipus in den vv 395 f gegenuumlber Teiresias erhobenenVorwurf bdquoDie (sc die Seherkunst) du wie sich zeigte weder vonden Voumlgeln noch von einem der Goumltter als Erkenntnis hastldquo34 Die-se Antwort ist inhaltlich in Teiresiasrsquo fruumlherer Aussage er habe dieKraft der Wahrheit in sich (356) schon vorweggenommen

Nach dieser Durchsicht laumlsst sich feststellen Die Schlussrededes Teiresias ist zwar im Effekt vielleicht bdquoa moment of tense theatrical horrorldquo35 aber in ihrem Aussagewert eine konzentrierteund verdeutlichende Zusammenstellung von Informationen diezuvor verstreut und zT verraumltselter aber dem aufmerksamen Zu-schauer aufgrund seines Vorwissens durchaus nicht unverstaumlndlichgegeben wurden oder von ihm zu erschlieszligen waren Man kannsich daher fragen warum Sophokles neben den mehr oder wenigerandeutenden Hinweisen noch eine solche intensivierende Wieder-

31) (Τε) 0ταν κατασθK τ+ν Fμναιον 2ν δμοις νορμον εσπλευσαςεampπλοας τυχNν λλων δE πλθος οampκ παισθ3νK κακ5ν W σX ξισNσει σο τεκα τος σος τκνοις

32) (Τε) λεληθναι σ φημι σDν τος φιλτ3τοις αJσχισθrsquo Iμιλο1ντrsquo οampδrsquoIρYν Zνrsquo εlt κακο1

33) (Τε) (οamp βλπεις) νθα ναεις οampδrsquo 0των οκες μτα ndash [ρrsquo οltσθrsquo φrsquo(ν εlt κα λληθας χθρ+ς ν τος σοσιν αampτο1 νρθε κπ γς νω

34) (Οδ) ]ν οQτrsquo πrsquo οων5ν σD προampφ3νης χων οQτrsquo κ θε5ν του γνωτν35) Dawe (wie Anm 3) 9

140 Bernd Manuwald

aufnahme (einen bdquoSammelspruchldquo wie sich Schoumlll ausdruumlckte) fuumlrnoumltig gehalten haben sollte wobei er ndash und darauf kommt es an ndashohne Not Widerspruumlche und Unwahrscheinlichkeiten in derZeichnung des Teiresias des Oumldipus und des Chores in Kauf ge-nommen haumltte36 Sollte man da nicht eher das Werk eines Interpo-lators im Zusammenhang mit einer Wiederauffuumlhrung der Tragouml-die vermuten Dieser koumlnnte den umherziehenden mittellosenOumldipus den sbquoBettlerlsquo aus dem Oumldipus auf Kolonos entnommen ha-ben und haumltte sich fuumlr die Formulierungen des Inzestvorwurfsdurch spaumltere Stellen im Koumlnig Oumldipus anregen lassen wo Oumldipusals ihm alles klar ist sagt bdquoO ihr Ehen Ehen ihr brachtet uns her-vor und nachdem ihr uns hervorgebracht lieszliget ihr wiederumdenselben Samen aufgehen und offenbartet (der Welt) Vaumlter alsBruumlder Soumlhne als Ursache vergossenen Verwandtenbluts Braumluteals Frauen und Muumltter ldquo (1403ndash1407)37

Als Motivation des Interpolators ndash vielleicht eines Schauspie-lers ndash kann man sich vorstellen dass er mit seinem Zusatz die sotheaterwirksamen Diskrepanzen zwischen dem sehenden Oumldipusder die Aumluszligerungen des Teiresias in ihrer Relevanz fuumlr sich selbstnicht erkennt und dem Blinden der alles weiszlig einerseits und demmit dem Stoff vertrauten Zuschauer andererseits uumlber das Vorhan-dene hinaus ausdehnen und steigern wollte Demgegenuumlber koumlnn-ten ihm die sich durch die Einfuumlgung der Rede ergebenden Inkon-gruenzen falls sie ihm bewusst geworden sein sollten als wenigergewichtig erschienen sein Indem das markante πειμι des sehrwahrscheinlich noch echten Verses 444 als Stichwort fuumlr die an -schlieszligende Rede fungiert (πειμX 447) wird jedenfalls aumluszligerlichein glatter Uumlbergang erreicht

Geht man davon aus dass die vv 447ndash462 urspruumlnglich nichtvorhanden waren ergibt sich fuumlr die Zuschauer das Bild eines Oumldipus der in der Teiresias-Szene trotz seiner Auseinanderset-zung mit dem Seher ndash von einer kurzen Verunsicherung als seineEltern zur Sprache kommen abgesehen ndash noch von keinerlei Zwei-feln befallen38 und entsprechend selbstsicher in seiner Machtposi-

36) Vgl auch Schoumlll (wie Anm 2) 95ndash9837) _ γ3μοι γ3μοι φσαθrsquo AμYς κα φυτεσαντες π3λιν νετε ταampτ+ν

σπρμα κπεδεξατε πατρας δελφος παδας α`μrsquo μφλιον νμφας γυ-νακας μητρας τε

38) So auch Knox (wie Anm 2) 326

141Wann verlaumlsst Oumldipus die Buumlhne

tion ist So tritt er auch noch in der Kreon-Szene auf als er Kreonden er der Intrige gegen sich verdaumlchtigt toumlten oder verbannen will(623 641) Erst als Iokaste den sbquoDreiweglsquo erwaumlhnt (716) und Oumldi-pus befuumlrchtet Teiresias koumlnne ihn doch zu Recht des Mordes anLaiumlos beschuldigt haben (747) erscheint er in seiner Sicherheit er-schuumlttert und ist motiviert Nachforschungen hinsichtlich seinereigenen Taumlterschaft anzustellen Haumltte Oumldipus die Rede des Teire-sias zur Gaumlnze gehoumlrt ndash und darauf ist die Rede zweifellos angelegtwenn Oumldipus am Ende noch einmal ausdruumlcklich angesprochenwird ndash und unwidersprochen hingenommen wuumlrde beim Zu-schauer schon hier der Eindruck entstehen Oumldipus gebe sich ge-genuumlber Teiresias geschlagen Der sich in der Mitte der Tragoumldieabzeichnende Umbruch waumlre nicht mehr so herausgehoben

Es spricht also viel dafuumlr dass die vv 447ndash462 unecht sind undOumldipus und Teiresias nach v 446 gleichzeitig die Buumlhne verlassender eine in sein Haus der andere in die Stadt

Koumlln Bernd Manuwald

Page 3: WANN VERLÄSST ÖDIPUS DIE BÜHNE? Zum Schluss der … · 130 Bernd Manuwald ist er Bruder zugleich und Vater, und der Frau, von der er stammt, Sohn und Gatte, und mit dem Vater teilt

130 Bernd Manuwald

ist er Bruder zugleich und Vater und der Frau von der er stammt

Sohn und Gatte und mit dem Vaterteilt er die Frau und ist sein Moumlrder Nun geh 460

hineinund bedenke dies Und wenn du mich ertappst

als Luumlgnerdann sage dass ich nichts verstehe von der Seherkunst

Diese eindrucksvolle Rede des Teiresias bereitet wie in der For-schung bereits festgestellt einige Probleme die sich aufgrund ihresKontextes ergeben2

1) Teiresias hatte vor seiner Rede angekuumlndigt wegzugehenund schon den Jungen der ihn fuumlhrt beauftragt ihn zu geleitenDem widerspricht dass er danach nicht geht sondern das wie erausfuumlhrt erst tun will wenn er gesagt hat weswegen er gekommensei (447)3 Aber am Anfang der Teiresias-Szene hatte sich heraus-gestellt dass der Seher nicht gekommen war um etwas zu sagenvielmehr hatte er sich geweigert Auskunft zu geben (320 ff 343)und was er gereizt dann doch aumluszligerte wurde ihm nach seiner Aus-sage gegen seinen Willen abgepresst (358)4 Gerade diese Verwei-gerungshaltung hatte den Zorn des Oumldipus ausgeloumlst Das Verhal-ten des Teiresias ist also in zweifacher Hinsicht widerspruumlchlich

2) Dass Teiresias ohne Furcht vor Oumldipusrsquo sbquozornigem Ge-sichtlsquo sprechen will (447 f) klingt aus dem Munde eines Blindenzumindest merkwuumlrdig5

2) Vgl besonders A Schoumlll (ed) Sophoklesrsquo Werke verdeutscht in den Vers-maszligen der Urschrift und erklaumlrt Erstes Baumlndchen Koumlnig Oedipus Stuttgart 185692ndash101 und B M W Knox Sophocles Oedipus Tyrannos 446 Exit OedipusGRBS 21 1980 321ndash332

3) Knox (wie Anm 2 326) haumllt es fuumlr moumlglich dass sich επNν (447a) auf dasbeziehe was Teiresias bereits gesagt hat und z B R D Dawe (ed Sophocles Oedipus Rex [1982] Rev edition Cambridge 2006 9) uumlbersetzt bdquoI have said whatI came to say and now I am going home ldquo Bei dieser Auffassung waumlre es abernicht verstaumlndlich warum Teiresias dann noch zu einer neuen Rede ansetzt derenEinleitung (λγω δ σοι 449) nimmt επNν auf Auch muumlsste Teiresias dann nichtmehr sagen οamp τ+ σ+ν δεσας πρσωπονmiddot οamp γ-ρ σθrsquo 0που μrsquo λες (447bndash448)wenn er damit sein schon zuruumlckliegendes Verhalten meinte

4) Vgl auch Schoumlll (wie Anm 2) 995) Vgl auch Schoumlll (wie Anm 2) 95

131Wann verlaumlsst Oumldipus die Buumlhne

3) Teiresias beschuldigt in dieser Rede nicht mehr Oumldipus direkt er macht sbquoobjektivelsquo Angaben uumlber den Taumlter (451ndash460)Das ist jedenfalls formal genau das was Oumldipus von ihm wollteund trotzdem reagiert er darauf nicht Es gibt sonst in der Teire-sias-Szene keine Anzeichen dass Oumldipus vor lauter Zorn nicht bemerkte worum es jeweils geht Die Mordanschuldigung hat ersehr wohl verstanden nur auf Grund seines Informationsstandesfuumlr absurd gehalten Und als Teiresias gegen Ende des emotionalaufgeladenen Dialogs mit Oumldipus von dessen Eltern spricht horchtOumldipus sofort auf und fragt nach (435ndash437)6 Hier beruumlhrte Teire-sias etwas das Oumldipus schon fruumlher beunruhigte als ihm bei einemBankett in Korinth von einem Betrunkenen vorgehalten wordenwar er sei nicht der Sohn des dortigen Koumlnigs Polybos (779 f) under deswegen das Orakel in Delphi aufsuchte Sophokles stellt alsoOumldipus als hellwach dar wenn sein Gegenuumlber etwas sagt das erauf sich beziehen kann bzw auf sein Informationsbeduumlrfnis stoumlszligtund laumlsst ihn sofort darauf reagieren Es ist daher sehr verwunder-lich wenn Oumldipus die Auskuumlnfte uumlber den Taumlter die er doch drin-gend haben wollte an dieser Stelle nicht aufgreift Immerhin ist diepraumlzise Auskunft dabei der Moumlrder sei h i e r (451)7

4) Am Ende seiner Rede schickt Teiresias Oumldipus ins Hausund fordert ihn auf das Gesagte zu bedenken (460 f) Man mussalso annehmen dass dieser sich nach allem was sich zwischen denbeiden abgespielt hat wortlos dem Befehl des Sehers beugt

5) Im anschlieszligenden Chorlied malt sich der Chor aus wie derTaumlter aufgrund der durch das Orakel angeordneten Verfolgung aufder Flucht ist und zwar in der Wildnis (477 ff) Fuumlr den Chor ist derTaumlter daher gerade nicht mehr sbquohierlsquo Wie kann er das so uneinge-schraumlnkt zum Ausdruck bringen wenn er eben von Teiresias gehoumlrthat der Taumlter sei sbquohierlsquo Welchen Grund kann er haben die sbquoobjek-tivelsquo Angabe uumlber den Aufenthaltsort des Taumlters zu ignorieren8

6) Anders als bei der zuvor gestellten Frage des Teiresias ob Oumldipus wissewoher er stamme (415) reagiert Oumldipus auf die eher beilaumlufige Bemerkung des Teiresias weil dieser sich jetzt so aumluszligert dass Oumldipus daraus entnehmen kann Tei-resias kenne seine Eltern und er damit eine Moumlglichkeit sieht die Frage beantwor-tet zu bekommen die ihn seit der Aumluszligerung des Betrunkenen in Korinth umtreibt(vgl 774 ff)

7) Vgl dagegen v 97 f wo es nur heiszligt die sbquoBefleckunglsquo werde sbquoim Landelsquogenaumlhrt

8) Vgl Schoumlll (wie Anm 2) 93 f

132 Bernd Manuwald

Andererseits entsprechen die Uumlberlegungen die der Choruumlber die Situation des Oumldipus anstellt dem Informationsstand ausdem dialogischen Teil der Teiresias-Szene wie sie bis v 446 vor-liegt Der Chor geht auf den geradeheraus formulierten Mordvor-wurf gegen Oumldipus ein (der ihm allerdings zweifelhaft bleibt 483ndash511) nicht aber auf den Inzest was sich dadurch erklaumlren laumlsst dassdie Anspielungen des Teiresias darauf im fruumlheren Teil der Szenenicht sehr deutlich sind Nach den klaren Hinweisen auf den Inzestin der Schlussrede des Teiresias (457ndash460) ist diese Zuruumlckhaltungdes Chores eigentlich nicht erklaumlrlich

Man hat auf verschiedene Weise versucht mit diesen Schwie-rigkeiten fertig zu werden

Eine Gruppe der Interpreten nimmt an Oumldipus bleibe waumlhrendder ganzen Rede des Teiresias auf der Buumlhne und bietet zT unter-schiedliche Erklaumlrungen warum Oumldipus trotz der relativen Deut-lichkeit der Aumluszligerungen des Teiresias nicht versteht oder nicht ant-wortet J C Kamerbeek haumllt es fuumlr natuumlrlich dass Teiresias auf dieveraumlchtlichen letzten Worte des Oumldipus (445 f) reagieren muumlsse er-laumlutert jedoch nicht warum Oumldipus dessen Rede deren gesteigerteDeutlichkeit Kamerbeek konstatiert wortlos hinnimmt9 H Lloyd-Jones und N G Wilson sind der Auffassung Oumldipus sei zu zornigund zu sehr davon uumlberzeugt dass Teiresias Teil einer Intrige gegenihn sei als dass er dessen letzte Aumluszligerungen wirklich beachte10 FuumlrJ Bollack hat Oumldipus auf die Rede des Teiresias hin einfach nichtsmehr zu sagen was Aussicht auf Erfolg haumltte11 R D Dawe wendetsich gegen die Erklaumlrung dass Oumldipus wegen seines Zorns nicht er-fasse was Teiresias sage und will so scheint es die Besonderheitenauf dramaturgische Notwendigkeit zuruumlckfuumlhren Es duumlrfe keinefruumlhe Aufdeckung geben und dass Oumldipus nicht verstehe muumlsseman eben hinnehmen Er sieht den Sinn der Teiresias-Rede darindass sie bdquoa moment of tense theatrical horrorldquo biete12 ndash Szenisch

9) J C Kamerbeek The Plays of Sophocles Commentaries Part IV TheOedipus Tyrannus Leiden 1967 111 (zu OT 449ndash462 und 449)

10) H Lloyd-Jones N G Wilson Sophocles Second Thoughts Goumlttingen1997 (Hypomnemata 100) 52 zu OT 445ndash446

11) J Bollack (ed) LrsquoOedipe roi de Sophocle Le texte et ses interpreacutetationsVol II Commentaire Premiegravere partie Lille 1990 (Cahiers de philologie 12) 283

12) Dawe (wie Anm 3) 8ndash10 Eine vergleichbare Position vertritt jetzt auchV Liapis Oedipus Tyrannus in K Ormand (Hrsg) A Companion to SophoclesChichester 2012 87

133Wann verlaumlsst Oumldipus die Buumlhne

muumlsste man sich bei allen diesen Interpretationen den Ablauf so vorstellen dass am Schluss der Rede Oumldipus sbquobefehlsgemaumlszliglsquo in seinden Buumlhnenhintergrund bildendes Haus geht Teiresias zur Seite wegin die Stadt geleitet wird

Mit diesem Deutungsmuster lassen sich jedoch weder dasdoppelt widerspruumlchliche Verhalten des Teiresias noch die Aumluszlige-rungen des Chores erklaumlren Auszligerdem war Oumldipus nicht zu zor-nig kurz zuvor die Bemerkung uumlber seine Eltern zu uumlberhoumlrenund da er nun von Teiresias in den Aussagen uumlber den Taumlter nichtdirekt beschuldigt wird ist bei Oumldipus auch keine sbquoBlockadelsquo an-zunehmen die verstaumlndlich machte warum er auf die Feststellunghin der Taumlter sei sbquohierlsquo nichts sagt L Edmunds Auffassung Oumldi-pus bestehe aus Vornehmheit nicht auf dem letzten Wort13 hilftebenfalls nicht weiter Denn Oumldipus hat in dieser Szene laumlngst seineVornehmheit abgelegt Teiresias zum Teufel gewuumlnscht (ες Oλε-θρον 430) und forciert zugestimmt der Junge solle den Seher weg-bringen damit er ihn nicht weiter betruumlbe (445 f)

Andere Interpreten halten es denn auch fuumlr unmoumlglich dassOumldipus die Rede des Teiresias gehoumlrt hat ohne irgendwie daraufzu reagieren und lassen deswegen Oumldipus ins Haus gehen bevorTeiresias zu reden anfaumlngt bzw zum Haus hin waumlhrend er redet14

Dieser wuumlrde dann 16 Verse hinter dem bereits abwesenden bzwweggehenden Oumldipus her reden und ihn am Schluss in direkter An-rede auffordern ins Haus zu gehen Selbst wenn man die Blindheitdes Teiresias beruumlcksichtigt ist die damit gegebene Szenerie nichtuumlberzeugend und koumlnnte sogar zu einem komischen Effekt fuumlhrenUnd vor allem Der Chor houmlrt die Rede auf jeden Fall

13) L Edmunds The Teiresias Scene in Sophoclesrsquo Oedipus Tyrannus Syllecta Classica 11 2000 34ndash73 hier 60

14) R Kassel bei Lloyd-Jones Wilson (wie Anm 10) der seinerseits aufKock Wolff Bellermann Wilamowitz und die Athetese von Schoumlll (siehe obenAnm 2) verweist Vgl Th Kock Sophokleische Studien II Berlin 1857 25 (bdquoOedi-pus zieht sich in seinen Palast zuruumlck Der blinde Greis in der Meinung er seinoch anwesend wiederholt nochmals im Zusammenhange seine fruumlheren Verkuumln-digungen aber seine Worte erreichen den Herrscher nicht mehrldquo) Sophokles Koumlnig Oumldipus Fuumlr den Schulgebrauch erkl von G Wolff 5 Aufl bearb vonL Bellermann Leipzig Berlin 1908 49 zu vv 447 f (Oumldipus verlasse die Buumlhne beiv 446 der blinde Teiresias merke es nicht) Sophokles Oumldipus Gr u dt Uumlbertra-gen von U v Wilamowitz-Moellendorff hrsg von C Kappus Berlin Frankfurta M 1949 71 (Regieanweisung vor v 447 bdquoOumldipus wendet sich ab houmlrt nicht auf die Rede und geht langsam ins Hausldquo)

134 Bernd Manuwald

B M W Knox der die Probleme der Szene detailliert disku-tiert vertritt eine Art Kompromissloumlsung die von WilamowitzrsquoRegieanweisung ausgeht15 und plaumldiert fuumlr folgendes VerstaumlndnisOumldipus gehe nachdem er Teiresias weggeschickt hat also ab v 447langsam nach hinten auf das Haus zu der blinde Teiresias sprechegegen den Ruumlcken des Oumldipus der sich weigere zuzuhoumlren16 undbei v 457 durch die Tuumlr gehe17 Er koumlnne also die vv 457ndash460 diesich inhaltlich mit dem Orakel das er in Delphi auf seine Anfragenach seinen Eltern hin erhalten hatte (er muumlsse mit seiner MutterKinder zeugen und seinen Vater toumlten) in Beziehung bringen las-sen nicht mehr houmlren Teiresias reagiere mit seiner Aufforderungan Oumldipus hineinzugehen und die Dinge zu bedenken (460 f) aufdas Geraumlusch der sich bewegenden Tuumlr18 D h Oumldipus aumluszligert sichnicht mehr weil er bereits im Haus ist

Bei seiner Hypothese unterscheidet Knox faktisch Aumluszligerun-gen die Oumldipus (noch) houmlren darf und solche die er nicht (mehr)houmlren sollte Dabei bleibt aber unberuumlcksichtigt wie Sophoklessonst an vergleichbaren Stellen Oumldipusrsquo Verhalten dargestellt hatDenn einerseits waumlre gerade bei der Aussage der Taumlter sei sbquohierlsquo(451) wie ausgefuumlhrt eine Reaktion des Oumldipus zu erwarten ndash daist Oumldipus auch fuumlr Knox noch auf der Buumlhne Andererseits ist esein unbegruumlndetes Postulat Oumldipus muumlsse auf Ausfuumlhrungen re -agieren die ihn an das ihm gegebene Orakel erinnerten (duumlrfe dasalso nicht mehr gehoumlrt haben) Auch spaumlter als Iokaste ihm vondem Orakel erzaumlhlt nach dem Laiumlos von seinem Sohn getoumltet werden sollte laumlsst ihn Sophokles keine Beziehung zu dem gleich-artigen ihm erteilten herstellen sondern nur bei dem StichwortsbquoDreiweglsquo als Ort der Ermordung des Laiumlos aufmerksam werden(711 ff) ebenso wie es bei dem Stichwort sbquoElternlsquo der Fall war(436 f) also jeweils bei Dingen die mit konkreten Erlebnissen desOumldipus zu tun haben

Auszligerdem wird in den vv 457ndash460 das Inzestmotiv zwardeutlich ausgefuumlhrt aber die fruumlheren Anspielungen des Teiresiasdarauf hatte Oumldipus offenbar nur als unverschaumlmte Anwuumlrfe be-trachtet (429ndash431) die Inzest-Thematik spielt sogar noch dann als

15) Vgl die vorige Anm ndash Knox (wie Anm 2) 32516) Knox (wie Anm 2) 330 33217) Knox (wie Anm 2) 326ndash32918) Knox (wie Anm 2) 331

135Wann verlaumlsst Oumldipus die Buumlhne

bei Oumldipus spaumlter im Stuumlck die Befuumlrchtung aufkommt der Seherhabe vielleicht recht keine Rolle Diese Befuumlrchtung richtet sichausschlieszliglich darauf er koumlnne vielleicht doch Koumlnig Laiumlos (den erda noch nicht als seinen Vater identifiziert hat) getoumltet haben Oumldi-pus ist bis zur endguumlltigen Aufklaumlrung davon uumlberzeugt dass daskorinthische Koumlnigspaar Polybos und Merope seine Eltern seienInsbesondere hatte er niemals Grund die Mutterschaft Meropesanzuzweifeln da die Bemerkung des Betrunkenen nur den Vaterbetroffen hatte Es ist daher nicht unproblematisch allein auf derBasis der Ausfuumlhrungen des Teiresias zur Sache auf die An- oderAbwesenheit des Oumldipus ruumlckzuschlieszligen

Knox nimmt fuumlr seine Deutung an dass Teiresias mit seinerabschlieszligenden Aufforderung an Oumldipus ins Haus hineinzugehenauf das Geraumlusch der sich bewegenden Tuumlr des Buumlhnenhauses re -agiere Es sei dahingestellt ob man das uumlberhaupt houmlren konntebzw so deutlich dass das Publikum in der Lage war einen Zu-sammenhang zwischen diesem Geraumlusch und den Worten des blin-den Teiresias herzustellen Wie dem auch sei wenn Teiresias ausdem Tuumlrgeraumlusch schlieszligen soll dass Oumldipus bereits das Haus be-tritt ist seine Aufforderung an ihn ins Haus zu gehen funktions-los Das Partizip Nν (460) steht fuumlr einen beigeordneten Impera-tiv Teiresias kann nicht meinen Oumldipus solle waumlhrend des Vor-gangs des Hineingehens bedenken was er gesagt hat Allenfallswaumlre in dieser Situation eine Bemerkung vorstellbar wie sbquoUnddrinnen denke uumlber das nach was ich gesagt habelsquo oder etwasAumlhnliches So aumluszligert sich Teiresias aber nicht

Es kommt noch hinzu dass die Situation hier insofern andersist als an den Stellen die Knox auffuumlhrt um zu zeigen dass einerdie Buumlhne verlassenden Person etwas hinterher gesprochen wirddas diese nicht mehr houmlrt oder houmlren darf (Soph Ant 327ndash331Eur El 1139ndash1146 Her 726ndash733 Ba 971ndash976)19 als Teiresiasnicht nur am Anfang (447ndash449) Oumldipus direkt anredet sondernsich auch am Schluss (460ndash462) von neuem unmittelbar mit einerAufforderung an ihn wendet20 Schlieszliglich bleibt unerklaumlrt wel-chen Sinn Teiresiasrsquo Schlussbemerkung bdquoUnd wenn du mich er-

19) Knox (wie Anm 2) 32920) Mit Verweis auf diese Stellen weist Dawe (wie Anm 3 114) die Deutung

von Knox entschieden zuruumlck Vgl auch die Ablehnung der These von Knox beiLiapis (wie Anm 12) 87

136 Bernd Manuwald

tappst als Luumlgner dann sage dass ich nichts verstehe von der Seherkunstldquo (461 f) haben soll wenn Oumldipus sie nicht mehr houmlrtHier besteht letztlich dasselbe Problem wie wenn man Oumldipusschon vor der abschlieszligenden Rede des Teiresias ins Haus gehenlaumlsst

Da alle diese Erklaumlrungsversuche unbefriedigend sind sollteman eine Loumlsung diskutieren die A Schoumlll im Jahre 1856 in seinerannotierten Uumlbersetzung des Koumlnig Oumldipus vorgeschlagen undausfuumlhrlich begruumlndet hat21 wobei er allerdings nicht die Fragethematisierte ob Oumldipus die Rede des Teiresias gehoumlrt haben kannbzw warum er nicht reagiert22 sondern von anderen der aufge-fuumlhrten Anstoumlszlige ausging Auf die These von Schoumlll wurde zwarverschiedentlich verwiesen23 sie fand aber inhaltlich bisher keineResonanz Im Folgenden soll Schoumllls Vorschlag mit zusaumltzlichenArgumenten wieder aufgegriffen werden

Schoumlll haumllt die vv 444ndash462 fuumlr unecht also die Schlussrede desTeiresias und auch die unmittelbar vorausgehenden Verse (444ndash446) In der letzten Aumluszligerung des Oumldipus im Dialog mit Teiresias(445 f) glaubt er bei Oumldipus einen gewissen Mangel an klarer Hal-tung beobachten zu koumlnnen weil an fruumlheren Stellen seine Dro-hungen (255 363 368) und seine Verachtung (365 374 f 402 f433) viel deutlicher zum Ausdruck gekommen seien Die vv 444ndash446 scheinen Schoumlll ein schwaches Anhaumlngsel zu den wuumlrdigerenSchlussworten des Teiresias bdquoEben dieser gluumlckliche Erfolg (sc dieVernichtung der Sphinx) hat dich vernichtetldquo (442) und des Oumldi-pus bdquoAber wenn ich diese Stadt gerettet habe kuumlmmert mich dasnichtldquo (443)24 zu sein25 Das ist vielleicht doch eine etwas subjek-tive Wertung weil man fuumlr die Echtheit dagegen halten kann So-phokles wolle Oumldipus seine Erleichterung ausdruumlcken lassen dassTeiresias endlich geht im Kontrast zum Anfang der Szene wo er

21) Schoumlll (wie Anm 2) 92ndash10122) Allerdings legt eine Bemerkung Schoumllls (wie Anm 2 101) nahe anzu-

nehmen dass er fuumlr die Gespraumlchssituation des uumlberlieferten Textes voraussetzt beiden letzten Worten des Teiresias sei Oumldipus nicht mehr auf der Buumlhne

23) Knox (wie Anm 2) 322 mit Anm 2 der Schoumllls Argumentation abernicht einsehen konnte R Kassel bei Lloyd-Jones Wilson (wie Anm 10) 52

24) Τε α)τη γε μντοι σrsquo A τχη διNλεσεν Οδ λλrsquo ε πλιν τgtνδrsquo ξσωσrsquoοQ μοι μλει

25) Schoumlll (wie Anm 2) 94 f 100 f

137Wann verlaumlsst Oumldipus die Buumlhne

ihn sehnlichst erwartet hatte Und die Willensaumluszligerung des Blin-den gegenuumlber dem Jungen der ihn fuumlhren soll ist ein deutlichesdramaturgisches Signal

Tilgt man gemaumlszlig dem Vorschlag von Schoumlll die vv 447ndash462also die gesamte Rede des Teiresias loumlsen sich die genannten mitdieser Textstelle verbundenen Probleme Waumlre das auf die Teire-sias-Szene folgende Chorlied (463 ff) im Anschluss an v 446 uumlber-liefert so haumltte wohl kein Philologe eine Luumlcke postuliert eherfestgestellt wie folgerichtig sich das abrupte und unversoumlhnlicheEnde als Gegenstuumlck zum Beginn der Szene aus der heillosen Ent-zweiung ergibt die sich im Laufe des Gespraumlchs entwickelt hatte

Nun wuumlrde man kein Textstuumlck nur deswegen athetieren weiles im Ganzen verzichtbar erscheint sondern der Grund sind diegenannten Probleme Allerdings ist auch zu pruumlfen ob der Texteinzelne Elemente enthaumllt die bei naumlherem Zusehen unverzichtbarerscheinen indem sie gegenuumlber dem im Dialog zwischen Teiresiasund Oumldipus Gesagten eine fuumlr das Drama wesentliche weitere Information bieten oder ob es sich um Gedanken handelt die alsWiederholungen oder Ausgestaltungen keine tragende Funktionfuumlr das Drama haben

Geht man die Verse der Rede unter diesem Gesichtspunktdurch zeigt sich folgender Befund

447bndash448 Die Ankuumlndigung des Teiresias sich furchtlosaumluszligern zu wollen (bdquoohne Furcht vor deinem [zornigen] Gesichtdenn in keiner Weise kannst du mich vernichtenldquo)26 entspricht inder Sache bdquoWenn du auch Koumlnig bist so muss so weit Gleichheitherrschen in gleicher Weise zu erwidern dazu habe auch ich dieMacht Denn nicht fuumlr dich als Diener lebe ich sondern fuumlr Loxiasldquo(408ndash410)27 Auszligerdem hatte Teiresias bereits in den vv 356 und369 auf seine im Besitz der Wahrheit beruhende Staumlrke und damitseine Unangreifbarkeit gepocht

449ndash452a Teiresiasrsquo klare Aussagen dass der Moumlrder desLaiumlos sbquohierlsquo und kein Einheimischer sei (bdquoUnd ich sage dir DieserMann den du die ganze Zeit suchst drohend und verkuumlndend eineUntersuchung des Mordes an Laiumlos der ist hier ein Fremder wie

26) Fuumlr den griechischen Text der Zitate aus Teiresiasrsquo abschlieszligender Redesiehe oben S 129

27) (Τε) ε κα τυραννες ξισωτον τ+ γο1ν Jσrsquo ντιλξαιmiddot το1δε γ-ρ κγκρατ5 οamp γ3ρ τι σο ζ5 δο1λος λλ- ΛοξTmiddot

138 Bernd Manuwald

man sagt der hier wohntldquo) sind was den ersten Punkt angeht inBeziehung zu bringen mit seinen fruumlheren Angaben (353 bdquodenn du bist es dieses Landes unreiner Befleckerldquo und 362 bdquoDu bist der Moumlrder sag ich des Mannes dessen Moumlrder du suchstldquo)28 in denen das Vor-Ort-Sein des Moumlrders impliziert ist wenn dies auch von Oumldipus nicht durchschaut wird ndash Von sich als Fremden(Korinther) der jetzt zu den Buumlrgen zaumlhlt hatte an fruumlherer StelleOumldipus selbst gesprochen (219ndash222) der Gedanke wuumlrde alsonicht wegfallen

452bndash454a Die von Teiresias angekuumlndigte Entwicklung dassder Moumlrder (sc Oumldipus) uumlber die Erkenntnis Thebaner zu seinnicht erfreut sein werde (bdquoDoch dann wird er sich als gebuumlrtigerThebaner erweisen und er wird sich nicht freuen uumlber diese Wen-dungldquo) war vorher so deutlich nicht thematisiert worden ist aberin den fruumlheren Aussagen des Teiresias dass Oumldipus der Moumlrder desLaiumlos (362) und seinem Vater Feind sei (415 f) bereits mit erfasst

454bndash456 Wenn Teiresias die Blindheit des Moumlrders und seinBettlerdasein voraussagt (bdquoDenn blind geworden aus einem Sehen-den und ein Bettler statt eines Beguumlterten wird er im fremden Landumherziehen den Boden vor sich mit dem Stab ertastendldquo) soentspricht diese Zukunftsperspektive in ihrem inhaltlichen Gehaltder Aussage von vv 372 f wo auf die Bemerkung des Oumldipus Tei-resias sei blind dieser entgegnet bdquoUnd du erbaumlrmlich der du michdamit schmaumlhst womit dich ein jeder hier schon bald schmaumlhenwirdldquo29 und vv 417ndash419 bdquound doppelt treffend wird deiner Mut-ter und deines Vaters Fluch dich einst aus diesem Lande treiben mitfuumlrchterlichem Schritt dich der du jetzt noch richtig siehst dannaber Finsternisldquo30 Hier ist nicht ausdruumlcklich vom Status einesBettlers die Rede aber einen elenden Zustand sagt ihm Teiresias daschon voraus

457ndash460a bdquoUnd es wird offenbar Seinen Kindern mit denener zusammen lebt ist er Bruder zugleich und Vater und der Frauvon der er stammt Sohn und Gatte und mit dem Vater teilt er die

28) (Τε) ς Oντι γς τσδrsquo νοσ μι3στορι (353) und (Τε) φονα σ φημιτνδρ+ς ο9 ζητες κυρεν (362)

29) (Τε) σD δrsquo θλις γε τα1τrsquo νειδζων U σο οampδες 2ς οampχ τ5νδrsquo νει-διε τ3χα

30) (Τε) κα σrsquo μφιπλ=ξ μητρς τε κα το1 σο1 πατρ+ς λC ποτrsquo κ γςτσδε δεινπους ρ3 βλποντα ν1ν μEν Oρθrsquo πειτα δE σκτον

139Wann verlaumlsst Oumldipus die Buumlhne

Frau und ist sein Moumlrderldquo Dass in der Sache die Hinweise auf denInzest bereits im Dialog zwischen Oumldipus und Teiresias gegebensind wurde bereits besprochen sie sind allerdings weniger deutlichformuliert Zu vergleichen sind vor allem die vv 422ndash425 bdquo wenn du deiner Ehe gewahr geworden bist in deren Hafen woman nicht ankern kann du in deinem Haus nach gluumlcklicher Fahrteingelaufen bist Und die Menge anderer schlimmer Dinge nimmstdu nicht wahr die dich dir und deinen Kindern gleichmachen wer-denldquo31 Auszligerdem vv 366 f bdquoDir ist verborgen sag ich dass du mitdenen die dir am naumlchsten sind aufs schaumlndlichste zusammenlebst und du siehst auch nicht das Unheil in dem du dich befin-destldquo32 und vv 414ndash416 (Du siehst nicht) bdquowo du wohnst nochmit wem du zusammenlebst ndash weiszligt du von wem du stammst Esist dir verborgen dass du Feind bist den Deinen unten und denenoben auf der Erdeldquo33

462 Teiresiasrsquo siegesgewisse Schlussbemerkung (bdquodann sagedass ich nichts verstehe von der Seherkunstldquo) ist eine Antwort aufden von Oumldipus in den vv 395 f gegenuumlber Teiresias erhobenenVorwurf bdquoDie (sc die Seherkunst) du wie sich zeigte weder vonden Voumlgeln noch von einem der Goumltter als Erkenntnis hastldquo34 Die-se Antwort ist inhaltlich in Teiresiasrsquo fruumlherer Aussage er habe dieKraft der Wahrheit in sich (356) schon vorweggenommen

Nach dieser Durchsicht laumlsst sich feststellen Die Schlussrededes Teiresias ist zwar im Effekt vielleicht bdquoa moment of tense theatrical horrorldquo35 aber in ihrem Aussagewert eine konzentrierteund verdeutlichende Zusammenstellung von Informationen diezuvor verstreut und zT verraumltselter aber dem aufmerksamen Zu-schauer aufgrund seines Vorwissens durchaus nicht unverstaumlndlichgegeben wurden oder von ihm zu erschlieszligen waren Man kannsich daher fragen warum Sophokles neben den mehr oder wenigerandeutenden Hinweisen noch eine solche intensivierende Wieder-

31) (Τε) 0ταν κατασθK τ+ν Fμναιον 2ν δμοις νορμον εσπλευσαςεampπλοας τυχNν λλων δE πλθος οampκ παισθ3νK κακ5ν W σX ξισNσει σο τεκα τος σος τκνοις

32) (Τε) λεληθναι σ φημι σDν τος φιλτ3τοις αJσχισθrsquo Iμιλο1ντrsquo οampδrsquoIρYν Zνrsquo εlt κακο1

33) (Τε) (οamp βλπεις) νθα ναεις οampδrsquo 0των οκες μτα ndash [ρrsquo οltσθrsquo φrsquo(ν εlt κα λληθας χθρ+ς ν τος σοσιν αampτο1 νρθε κπ γς νω

34) (Οδ) ]ν οQτrsquo πrsquo οων5ν σD προampφ3νης χων οQτrsquo κ θε5ν του γνωτν35) Dawe (wie Anm 3) 9

140 Bernd Manuwald

aufnahme (einen bdquoSammelspruchldquo wie sich Schoumlll ausdruumlckte) fuumlrnoumltig gehalten haben sollte wobei er ndash und darauf kommt es an ndashohne Not Widerspruumlche und Unwahrscheinlichkeiten in derZeichnung des Teiresias des Oumldipus und des Chores in Kauf ge-nommen haumltte36 Sollte man da nicht eher das Werk eines Interpo-lators im Zusammenhang mit einer Wiederauffuumlhrung der Tragouml-die vermuten Dieser koumlnnte den umherziehenden mittellosenOumldipus den sbquoBettlerlsquo aus dem Oumldipus auf Kolonos entnommen ha-ben und haumltte sich fuumlr die Formulierungen des Inzestvorwurfsdurch spaumltere Stellen im Koumlnig Oumldipus anregen lassen wo Oumldipusals ihm alles klar ist sagt bdquoO ihr Ehen Ehen ihr brachtet uns her-vor und nachdem ihr uns hervorgebracht lieszliget ihr wiederumdenselben Samen aufgehen und offenbartet (der Welt) Vaumlter alsBruumlder Soumlhne als Ursache vergossenen Verwandtenbluts Braumluteals Frauen und Muumltter ldquo (1403ndash1407)37

Als Motivation des Interpolators ndash vielleicht eines Schauspie-lers ndash kann man sich vorstellen dass er mit seinem Zusatz die sotheaterwirksamen Diskrepanzen zwischen dem sehenden Oumldipusder die Aumluszligerungen des Teiresias in ihrer Relevanz fuumlr sich selbstnicht erkennt und dem Blinden der alles weiszlig einerseits und demmit dem Stoff vertrauten Zuschauer andererseits uumlber das Vorhan-dene hinaus ausdehnen und steigern wollte Demgegenuumlber koumlnn-ten ihm die sich durch die Einfuumlgung der Rede ergebenden Inkon-gruenzen falls sie ihm bewusst geworden sein sollten als wenigergewichtig erschienen sein Indem das markante πειμι des sehrwahrscheinlich noch echten Verses 444 als Stichwort fuumlr die an -schlieszligende Rede fungiert (πειμX 447) wird jedenfalls aumluszligerlichein glatter Uumlbergang erreicht

Geht man davon aus dass die vv 447ndash462 urspruumlnglich nichtvorhanden waren ergibt sich fuumlr die Zuschauer das Bild eines Oumldipus der in der Teiresias-Szene trotz seiner Auseinanderset-zung mit dem Seher ndash von einer kurzen Verunsicherung als seineEltern zur Sprache kommen abgesehen ndash noch von keinerlei Zwei-feln befallen38 und entsprechend selbstsicher in seiner Machtposi-

36) Vgl auch Schoumlll (wie Anm 2) 95ndash9837) _ γ3μοι γ3μοι φσαθrsquo AμYς κα φυτεσαντες π3λιν νετε ταampτ+ν

σπρμα κπεδεξατε πατρας δελφος παδας α`μrsquo μφλιον νμφας γυ-νακας μητρας τε

38) So auch Knox (wie Anm 2) 326

141Wann verlaumlsst Oumldipus die Buumlhne

tion ist So tritt er auch noch in der Kreon-Szene auf als er Kreonden er der Intrige gegen sich verdaumlchtigt toumlten oder verbannen will(623 641) Erst als Iokaste den sbquoDreiweglsquo erwaumlhnt (716) und Oumldi-pus befuumlrchtet Teiresias koumlnne ihn doch zu Recht des Mordes anLaiumlos beschuldigt haben (747) erscheint er in seiner Sicherheit er-schuumlttert und ist motiviert Nachforschungen hinsichtlich seinereigenen Taumlterschaft anzustellen Haumltte Oumldipus die Rede des Teire-sias zur Gaumlnze gehoumlrt ndash und darauf ist die Rede zweifellos angelegtwenn Oumldipus am Ende noch einmal ausdruumlcklich angesprochenwird ndash und unwidersprochen hingenommen wuumlrde beim Zu-schauer schon hier der Eindruck entstehen Oumldipus gebe sich ge-genuumlber Teiresias geschlagen Der sich in der Mitte der Tragoumldieabzeichnende Umbruch waumlre nicht mehr so herausgehoben

Es spricht also viel dafuumlr dass die vv 447ndash462 unecht sind undOumldipus und Teiresias nach v 446 gleichzeitig die Buumlhne verlassender eine in sein Haus der andere in die Stadt

Koumlln Bernd Manuwald

Page 4: WANN VERLÄSST ÖDIPUS DIE BÜHNE? Zum Schluss der … · 130 Bernd Manuwald ist er Bruder zugleich und Vater, und der Frau, von der er stammt, Sohn und Gatte, und mit dem Vater teilt

131Wann verlaumlsst Oumldipus die Buumlhne

3) Teiresias beschuldigt in dieser Rede nicht mehr Oumldipus direkt er macht sbquoobjektivelsquo Angaben uumlber den Taumlter (451ndash460)Das ist jedenfalls formal genau das was Oumldipus von ihm wollteund trotzdem reagiert er darauf nicht Es gibt sonst in der Teire-sias-Szene keine Anzeichen dass Oumldipus vor lauter Zorn nicht bemerkte worum es jeweils geht Die Mordanschuldigung hat ersehr wohl verstanden nur auf Grund seines Informationsstandesfuumlr absurd gehalten Und als Teiresias gegen Ende des emotionalaufgeladenen Dialogs mit Oumldipus von dessen Eltern spricht horchtOumldipus sofort auf und fragt nach (435ndash437)6 Hier beruumlhrte Teire-sias etwas das Oumldipus schon fruumlher beunruhigte als ihm bei einemBankett in Korinth von einem Betrunkenen vorgehalten wordenwar er sei nicht der Sohn des dortigen Koumlnigs Polybos (779 f) under deswegen das Orakel in Delphi aufsuchte Sophokles stellt alsoOumldipus als hellwach dar wenn sein Gegenuumlber etwas sagt das erauf sich beziehen kann bzw auf sein Informationsbeduumlrfnis stoumlszligtund laumlsst ihn sofort darauf reagieren Es ist daher sehr verwunder-lich wenn Oumldipus die Auskuumlnfte uumlber den Taumlter die er doch drin-gend haben wollte an dieser Stelle nicht aufgreift Immerhin ist diepraumlzise Auskunft dabei der Moumlrder sei h i e r (451)7

4) Am Ende seiner Rede schickt Teiresias Oumldipus ins Hausund fordert ihn auf das Gesagte zu bedenken (460 f) Man mussalso annehmen dass dieser sich nach allem was sich zwischen denbeiden abgespielt hat wortlos dem Befehl des Sehers beugt

5) Im anschlieszligenden Chorlied malt sich der Chor aus wie derTaumlter aufgrund der durch das Orakel angeordneten Verfolgung aufder Flucht ist und zwar in der Wildnis (477 ff) Fuumlr den Chor ist derTaumlter daher gerade nicht mehr sbquohierlsquo Wie kann er das so uneinge-schraumlnkt zum Ausdruck bringen wenn er eben von Teiresias gehoumlrthat der Taumlter sei sbquohierlsquo Welchen Grund kann er haben die sbquoobjek-tivelsquo Angabe uumlber den Aufenthaltsort des Taumlters zu ignorieren8

6) Anders als bei der zuvor gestellten Frage des Teiresias ob Oumldipus wissewoher er stamme (415) reagiert Oumldipus auf die eher beilaumlufige Bemerkung des Teiresias weil dieser sich jetzt so aumluszligert dass Oumldipus daraus entnehmen kann Tei-resias kenne seine Eltern und er damit eine Moumlglichkeit sieht die Frage beantwor-tet zu bekommen die ihn seit der Aumluszligerung des Betrunkenen in Korinth umtreibt(vgl 774 ff)

7) Vgl dagegen v 97 f wo es nur heiszligt die sbquoBefleckunglsquo werde sbquoim Landelsquogenaumlhrt

8) Vgl Schoumlll (wie Anm 2) 93 f

132 Bernd Manuwald

Andererseits entsprechen die Uumlberlegungen die der Choruumlber die Situation des Oumldipus anstellt dem Informationsstand ausdem dialogischen Teil der Teiresias-Szene wie sie bis v 446 vor-liegt Der Chor geht auf den geradeheraus formulierten Mordvor-wurf gegen Oumldipus ein (der ihm allerdings zweifelhaft bleibt 483ndash511) nicht aber auf den Inzest was sich dadurch erklaumlren laumlsst dassdie Anspielungen des Teiresias darauf im fruumlheren Teil der Szenenicht sehr deutlich sind Nach den klaren Hinweisen auf den Inzestin der Schlussrede des Teiresias (457ndash460) ist diese Zuruumlckhaltungdes Chores eigentlich nicht erklaumlrlich

Man hat auf verschiedene Weise versucht mit diesen Schwie-rigkeiten fertig zu werden

Eine Gruppe der Interpreten nimmt an Oumldipus bleibe waumlhrendder ganzen Rede des Teiresias auf der Buumlhne und bietet zT unter-schiedliche Erklaumlrungen warum Oumldipus trotz der relativen Deut-lichkeit der Aumluszligerungen des Teiresias nicht versteht oder nicht ant-wortet J C Kamerbeek haumllt es fuumlr natuumlrlich dass Teiresias auf dieveraumlchtlichen letzten Worte des Oumldipus (445 f) reagieren muumlsse er-laumlutert jedoch nicht warum Oumldipus dessen Rede deren gesteigerteDeutlichkeit Kamerbeek konstatiert wortlos hinnimmt9 H Lloyd-Jones und N G Wilson sind der Auffassung Oumldipus sei zu zornigund zu sehr davon uumlberzeugt dass Teiresias Teil einer Intrige gegenihn sei als dass er dessen letzte Aumluszligerungen wirklich beachte10 FuumlrJ Bollack hat Oumldipus auf die Rede des Teiresias hin einfach nichtsmehr zu sagen was Aussicht auf Erfolg haumltte11 R D Dawe wendetsich gegen die Erklaumlrung dass Oumldipus wegen seines Zorns nicht er-fasse was Teiresias sage und will so scheint es die Besonderheitenauf dramaturgische Notwendigkeit zuruumlckfuumlhren Es duumlrfe keinefruumlhe Aufdeckung geben und dass Oumldipus nicht verstehe muumlsseman eben hinnehmen Er sieht den Sinn der Teiresias-Rede darindass sie bdquoa moment of tense theatrical horrorldquo biete12 ndash Szenisch

9) J C Kamerbeek The Plays of Sophocles Commentaries Part IV TheOedipus Tyrannus Leiden 1967 111 (zu OT 449ndash462 und 449)

10) H Lloyd-Jones N G Wilson Sophocles Second Thoughts Goumlttingen1997 (Hypomnemata 100) 52 zu OT 445ndash446

11) J Bollack (ed) LrsquoOedipe roi de Sophocle Le texte et ses interpreacutetationsVol II Commentaire Premiegravere partie Lille 1990 (Cahiers de philologie 12) 283

12) Dawe (wie Anm 3) 8ndash10 Eine vergleichbare Position vertritt jetzt auchV Liapis Oedipus Tyrannus in K Ormand (Hrsg) A Companion to SophoclesChichester 2012 87

133Wann verlaumlsst Oumldipus die Buumlhne

muumlsste man sich bei allen diesen Interpretationen den Ablauf so vorstellen dass am Schluss der Rede Oumldipus sbquobefehlsgemaumlszliglsquo in seinden Buumlhnenhintergrund bildendes Haus geht Teiresias zur Seite wegin die Stadt geleitet wird

Mit diesem Deutungsmuster lassen sich jedoch weder dasdoppelt widerspruumlchliche Verhalten des Teiresias noch die Aumluszlige-rungen des Chores erklaumlren Auszligerdem war Oumldipus nicht zu zor-nig kurz zuvor die Bemerkung uumlber seine Eltern zu uumlberhoumlrenund da er nun von Teiresias in den Aussagen uumlber den Taumlter nichtdirekt beschuldigt wird ist bei Oumldipus auch keine sbquoBlockadelsquo an-zunehmen die verstaumlndlich machte warum er auf die Feststellunghin der Taumlter sei sbquohierlsquo nichts sagt L Edmunds Auffassung Oumldi-pus bestehe aus Vornehmheit nicht auf dem letzten Wort13 hilftebenfalls nicht weiter Denn Oumldipus hat in dieser Szene laumlngst seineVornehmheit abgelegt Teiresias zum Teufel gewuumlnscht (ες Oλε-θρον 430) und forciert zugestimmt der Junge solle den Seher weg-bringen damit er ihn nicht weiter betruumlbe (445 f)

Andere Interpreten halten es denn auch fuumlr unmoumlglich dassOumldipus die Rede des Teiresias gehoumlrt hat ohne irgendwie daraufzu reagieren und lassen deswegen Oumldipus ins Haus gehen bevorTeiresias zu reden anfaumlngt bzw zum Haus hin waumlhrend er redet14

Dieser wuumlrde dann 16 Verse hinter dem bereits abwesenden bzwweggehenden Oumldipus her reden und ihn am Schluss in direkter An-rede auffordern ins Haus zu gehen Selbst wenn man die Blindheitdes Teiresias beruumlcksichtigt ist die damit gegebene Szenerie nichtuumlberzeugend und koumlnnte sogar zu einem komischen Effekt fuumlhrenUnd vor allem Der Chor houmlrt die Rede auf jeden Fall

13) L Edmunds The Teiresias Scene in Sophoclesrsquo Oedipus Tyrannus Syllecta Classica 11 2000 34ndash73 hier 60

14) R Kassel bei Lloyd-Jones Wilson (wie Anm 10) der seinerseits aufKock Wolff Bellermann Wilamowitz und die Athetese von Schoumlll (siehe obenAnm 2) verweist Vgl Th Kock Sophokleische Studien II Berlin 1857 25 (bdquoOedi-pus zieht sich in seinen Palast zuruumlck Der blinde Greis in der Meinung er seinoch anwesend wiederholt nochmals im Zusammenhange seine fruumlheren Verkuumln-digungen aber seine Worte erreichen den Herrscher nicht mehrldquo) Sophokles Koumlnig Oumldipus Fuumlr den Schulgebrauch erkl von G Wolff 5 Aufl bearb vonL Bellermann Leipzig Berlin 1908 49 zu vv 447 f (Oumldipus verlasse die Buumlhne beiv 446 der blinde Teiresias merke es nicht) Sophokles Oumldipus Gr u dt Uumlbertra-gen von U v Wilamowitz-Moellendorff hrsg von C Kappus Berlin Frankfurta M 1949 71 (Regieanweisung vor v 447 bdquoOumldipus wendet sich ab houmlrt nicht auf die Rede und geht langsam ins Hausldquo)

134 Bernd Manuwald

B M W Knox der die Probleme der Szene detailliert disku-tiert vertritt eine Art Kompromissloumlsung die von WilamowitzrsquoRegieanweisung ausgeht15 und plaumldiert fuumlr folgendes VerstaumlndnisOumldipus gehe nachdem er Teiresias weggeschickt hat also ab v 447langsam nach hinten auf das Haus zu der blinde Teiresias sprechegegen den Ruumlcken des Oumldipus der sich weigere zuzuhoumlren16 undbei v 457 durch die Tuumlr gehe17 Er koumlnne also die vv 457ndash460 diesich inhaltlich mit dem Orakel das er in Delphi auf seine Anfragenach seinen Eltern hin erhalten hatte (er muumlsse mit seiner MutterKinder zeugen und seinen Vater toumlten) in Beziehung bringen las-sen nicht mehr houmlren Teiresias reagiere mit seiner Aufforderungan Oumldipus hineinzugehen und die Dinge zu bedenken (460 f) aufdas Geraumlusch der sich bewegenden Tuumlr18 D h Oumldipus aumluszligert sichnicht mehr weil er bereits im Haus ist

Bei seiner Hypothese unterscheidet Knox faktisch Aumluszligerun-gen die Oumldipus (noch) houmlren darf und solche die er nicht (mehr)houmlren sollte Dabei bleibt aber unberuumlcksichtigt wie Sophoklessonst an vergleichbaren Stellen Oumldipusrsquo Verhalten dargestellt hatDenn einerseits waumlre gerade bei der Aussage der Taumlter sei sbquohierlsquo(451) wie ausgefuumlhrt eine Reaktion des Oumldipus zu erwarten ndash daist Oumldipus auch fuumlr Knox noch auf der Buumlhne Andererseits ist esein unbegruumlndetes Postulat Oumldipus muumlsse auf Ausfuumlhrungen re -agieren die ihn an das ihm gegebene Orakel erinnerten (duumlrfe dasalso nicht mehr gehoumlrt haben) Auch spaumlter als Iokaste ihm vondem Orakel erzaumlhlt nach dem Laiumlos von seinem Sohn getoumltet werden sollte laumlsst ihn Sophokles keine Beziehung zu dem gleich-artigen ihm erteilten herstellen sondern nur bei dem StichwortsbquoDreiweglsquo als Ort der Ermordung des Laiumlos aufmerksam werden(711 ff) ebenso wie es bei dem Stichwort sbquoElternlsquo der Fall war(436 f) also jeweils bei Dingen die mit konkreten Erlebnissen desOumldipus zu tun haben

Auszligerdem wird in den vv 457ndash460 das Inzestmotiv zwardeutlich ausgefuumlhrt aber die fruumlheren Anspielungen des Teiresiasdarauf hatte Oumldipus offenbar nur als unverschaumlmte Anwuumlrfe be-trachtet (429ndash431) die Inzest-Thematik spielt sogar noch dann als

15) Vgl die vorige Anm ndash Knox (wie Anm 2) 32516) Knox (wie Anm 2) 330 33217) Knox (wie Anm 2) 326ndash32918) Knox (wie Anm 2) 331

135Wann verlaumlsst Oumldipus die Buumlhne

bei Oumldipus spaumlter im Stuumlck die Befuumlrchtung aufkommt der Seherhabe vielleicht recht keine Rolle Diese Befuumlrchtung richtet sichausschlieszliglich darauf er koumlnne vielleicht doch Koumlnig Laiumlos (den erda noch nicht als seinen Vater identifiziert hat) getoumltet haben Oumldi-pus ist bis zur endguumlltigen Aufklaumlrung davon uumlberzeugt dass daskorinthische Koumlnigspaar Polybos und Merope seine Eltern seienInsbesondere hatte er niemals Grund die Mutterschaft Meropesanzuzweifeln da die Bemerkung des Betrunkenen nur den Vaterbetroffen hatte Es ist daher nicht unproblematisch allein auf derBasis der Ausfuumlhrungen des Teiresias zur Sache auf die An- oderAbwesenheit des Oumldipus ruumlckzuschlieszligen

Knox nimmt fuumlr seine Deutung an dass Teiresias mit seinerabschlieszligenden Aufforderung an Oumldipus ins Haus hineinzugehenauf das Geraumlusch der sich bewegenden Tuumlr des Buumlhnenhauses re -agiere Es sei dahingestellt ob man das uumlberhaupt houmlren konntebzw so deutlich dass das Publikum in der Lage war einen Zu-sammenhang zwischen diesem Geraumlusch und den Worten des blin-den Teiresias herzustellen Wie dem auch sei wenn Teiresias ausdem Tuumlrgeraumlusch schlieszligen soll dass Oumldipus bereits das Haus be-tritt ist seine Aufforderung an ihn ins Haus zu gehen funktions-los Das Partizip Nν (460) steht fuumlr einen beigeordneten Impera-tiv Teiresias kann nicht meinen Oumldipus solle waumlhrend des Vor-gangs des Hineingehens bedenken was er gesagt hat Allenfallswaumlre in dieser Situation eine Bemerkung vorstellbar wie sbquoUnddrinnen denke uumlber das nach was ich gesagt habelsquo oder etwasAumlhnliches So aumluszligert sich Teiresias aber nicht

Es kommt noch hinzu dass die Situation hier insofern andersist als an den Stellen die Knox auffuumlhrt um zu zeigen dass einerdie Buumlhne verlassenden Person etwas hinterher gesprochen wirddas diese nicht mehr houmlrt oder houmlren darf (Soph Ant 327ndash331Eur El 1139ndash1146 Her 726ndash733 Ba 971ndash976)19 als Teiresiasnicht nur am Anfang (447ndash449) Oumldipus direkt anredet sondernsich auch am Schluss (460ndash462) von neuem unmittelbar mit einerAufforderung an ihn wendet20 Schlieszliglich bleibt unerklaumlrt wel-chen Sinn Teiresiasrsquo Schlussbemerkung bdquoUnd wenn du mich er-

19) Knox (wie Anm 2) 32920) Mit Verweis auf diese Stellen weist Dawe (wie Anm 3 114) die Deutung

von Knox entschieden zuruumlck Vgl auch die Ablehnung der These von Knox beiLiapis (wie Anm 12) 87

136 Bernd Manuwald

tappst als Luumlgner dann sage dass ich nichts verstehe von der Seherkunstldquo (461 f) haben soll wenn Oumldipus sie nicht mehr houmlrtHier besteht letztlich dasselbe Problem wie wenn man Oumldipusschon vor der abschlieszligenden Rede des Teiresias ins Haus gehenlaumlsst

Da alle diese Erklaumlrungsversuche unbefriedigend sind sollteman eine Loumlsung diskutieren die A Schoumlll im Jahre 1856 in seinerannotierten Uumlbersetzung des Koumlnig Oumldipus vorgeschlagen undausfuumlhrlich begruumlndet hat21 wobei er allerdings nicht die Fragethematisierte ob Oumldipus die Rede des Teiresias gehoumlrt haben kannbzw warum er nicht reagiert22 sondern von anderen der aufge-fuumlhrten Anstoumlszlige ausging Auf die These von Schoumlll wurde zwarverschiedentlich verwiesen23 sie fand aber inhaltlich bisher keineResonanz Im Folgenden soll Schoumllls Vorschlag mit zusaumltzlichenArgumenten wieder aufgegriffen werden

Schoumlll haumllt die vv 444ndash462 fuumlr unecht also die Schlussrede desTeiresias und auch die unmittelbar vorausgehenden Verse (444ndash446) In der letzten Aumluszligerung des Oumldipus im Dialog mit Teiresias(445 f) glaubt er bei Oumldipus einen gewissen Mangel an klarer Hal-tung beobachten zu koumlnnen weil an fruumlheren Stellen seine Dro-hungen (255 363 368) und seine Verachtung (365 374 f 402 f433) viel deutlicher zum Ausdruck gekommen seien Die vv 444ndash446 scheinen Schoumlll ein schwaches Anhaumlngsel zu den wuumlrdigerenSchlussworten des Teiresias bdquoEben dieser gluumlckliche Erfolg (sc dieVernichtung der Sphinx) hat dich vernichtetldquo (442) und des Oumldi-pus bdquoAber wenn ich diese Stadt gerettet habe kuumlmmert mich dasnichtldquo (443)24 zu sein25 Das ist vielleicht doch eine etwas subjek-tive Wertung weil man fuumlr die Echtheit dagegen halten kann So-phokles wolle Oumldipus seine Erleichterung ausdruumlcken lassen dassTeiresias endlich geht im Kontrast zum Anfang der Szene wo er

21) Schoumlll (wie Anm 2) 92ndash10122) Allerdings legt eine Bemerkung Schoumllls (wie Anm 2 101) nahe anzu-

nehmen dass er fuumlr die Gespraumlchssituation des uumlberlieferten Textes voraussetzt beiden letzten Worten des Teiresias sei Oumldipus nicht mehr auf der Buumlhne

23) Knox (wie Anm 2) 322 mit Anm 2 der Schoumllls Argumentation abernicht einsehen konnte R Kassel bei Lloyd-Jones Wilson (wie Anm 10) 52

24) Τε α)τη γε μντοι σrsquo A τχη διNλεσεν Οδ λλrsquo ε πλιν τgtνδrsquo ξσωσrsquoοQ μοι μλει

25) Schoumlll (wie Anm 2) 94 f 100 f

137Wann verlaumlsst Oumldipus die Buumlhne

ihn sehnlichst erwartet hatte Und die Willensaumluszligerung des Blin-den gegenuumlber dem Jungen der ihn fuumlhren soll ist ein deutlichesdramaturgisches Signal

Tilgt man gemaumlszlig dem Vorschlag von Schoumlll die vv 447ndash462also die gesamte Rede des Teiresias loumlsen sich die genannten mitdieser Textstelle verbundenen Probleme Waumlre das auf die Teire-sias-Szene folgende Chorlied (463 ff) im Anschluss an v 446 uumlber-liefert so haumltte wohl kein Philologe eine Luumlcke postuliert eherfestgestellt wie folgerichtig sich das abrupte und unversoumlhnlicheEnde als Gegenstuumlck zum Beginn der Szene aus der heillosen Ent-zweiung ergibt die sich im Laufe des Gespraumlchs entwickelt hatte

Nun wuumlrde man kein Textstuumlck nur deswegen athetieren weiles im Ganzen verzichtbar erscheint sondern der Grund sind diegenannten Probleme Allerdings ist auch zu pruumlfen ob der Texteinzelne Elemente enthaumllt die bei naumlherem Zusehen unverzichtbarerscheinen indem sie gegenuumlber dem im Dialog zwischen Teiresiasund Oumldipus Gesagten eine fuumlr das Drama wesentliche weitere Information bieten oder ob es sich um Gedanken handelt die alsWiederholungen oder Ausgestaltungen keine tragende Funktionfuumlr das Drama haben

Geht man die Verse der Rede unter diesem Gesichtspunktdurch zeigt sich folgender Befund

447bndash448 Die Ankuumlndigung des Teiresias sich furchtlosaumluszligern zu wollen (bdquoohne Furcht vor deinem [zornigen] Gesichtdenn in keiner Weise kannst du mich vernichtenldquo)26 entspricht inder Sache bdquoWenn du auch Koumlnig bist so muss so weit Gleichheitherrschen in gleicher Weise zu erwidern dazu habe auch ich dieMacht Denn nicht fuumlr dich als Diener lebe ich sondern fuumlr Loxiasldquo(408ndash410)27 Auszligerdem hatte Teiresias bereits in den vv 356 und369 auf seine im Besitz der Wahrheit beruhende Staumlrke und damitseine Unangreifbarkeit gepocht

449ndash452a Teiresiasrsquo klare Aussagen dass der Moumlrder desLaiumlos sbquohierlsquo und kein Einheimischer sei (bdquoUnd ich sage dir DieserMann den du die ganze Zeit suchst drohend und verkuumlndend eineUntersuchung des Mordes an Laiumlos der ist hier ein Fremder wie

26) Fuumlr den griechischen Text der Zitate aus Teiresiasrsquo abschlieszligender Redesiehe oben S 129

27) (Τε) ε κα τυραννες ξισωτον τ+ γο1ν Jσrsquo ντιλξαιmiddot το1δε γ-ρ κγκρατ5 οamp γ3ρ τι σο ζ5 δο1λος λλ- ΛοξTmiddot

138 Bernd Manuwald

man sagt der hier wohntldquo) sind was den ersten Punkt angeht inBeziehung zu bringen mit seinen fruumlheren Angaben (353 bdquodenn du bist es dieses Landes unreiner Befleckerldquo und 362 bdquoDu bist der Moumlrder sag ich des Mannes dessen Moumlrder du suchstldquo)28 in denen das Vor-Ort-Sein des Moumlrders impliziert ist wenn dies auch von Oumldipus nicht durchschaut wird ndash Von sich als Fremden(Korinther) der jetzt zu den Buumlrgen zaumlhlt hatte an fruumlherer StelleOumldipus selbst gesprochen (219ndash222) der Gedanke wuumlrde alsonicht wegfallen

452bndash454a Die von Teiresias angekuumlndigte Entwicklung dassder Moumlrder (sc Oumldipus) uumlber die Erkenntnis Thebaner zu seinnicht erfreut sein werde (bdquoDoch dann wird er sich als gebuumlrtigerThebaner erweisen und er wird sich nicht freuen uumlber diese Wen-dungldquo) war vorher so deutlich nicht thematisiert worden ist aberin den fruumlheren Aussagen des Teiresias dass Oumldipus der Moumlrder desLaiumlos (362) und seinem Vater Feind sei (415 f) bereits mit erfasst

454bndash456 Wenn Teiresias die Blindheit des Moumlrders und seinBettlerdasein voraussagt (bdquoDenn blind geworden aus einem Sehen-den und ein Bettler statt eines Beguumlterten wird er im fremden Landumherziehen den Boden vor sich mit dem Stab ertastendldquo) soentspricht diese Zukunftsperspektive in ihrem inhaltlichen Gehaltder Aussage von vv 372 f wo auf die Bemerkung des Oumldipus Tei-resias sei blind dieser entgegnet bdquoUnd du erbaumlrmlich der du michdamit schmaumlhst womit dich ein jeder hier schon bald schmaumlhenwirdldquo29 und vv 417ndash419 bdquound doppelt treffend wird deiner Mut-ter und deines Vaters Fluch dich einst aus diesem Lande treiben mitfuumlrchterlichem Schritt dich der du jetzt noch richtig siehst dannaber Finsternisldquo30 Hier ist nicht ausdruumlcklich vom Status einesBettlers die Rede aber einen elenden Zustand sagt ihm Teiresias daschon voraus

457ndash460a bdquoUnd es wird offenbar Seinen Kindern mit denener zusammen lebt ist er Bruder zugleich und Vater und der Frauvon der er stammt Sohn und Gatte und mit dem Vater teilt er die

28) (Τε) ς Oντι γς τσδrsquo νοσ μι3στορι (353) und (Τε) φονα σ φημιτνδρ+ς ο9 ζητες κυρεν (362)

29) (Τε) σD δrsquo θλις γε τα1τrsquo νειδζων U σο οampδες 2ς οampχ τ5νδrsquo νει-διε τ3χα

30) (Τε) κα σrsquo μφιπλ=ξ μητρς τε κα το1 σο1 πατρ+ς λC ποτrsquo κ γςτσδε δεινπους ρ3 βλποντα ν1ν μEν Oρθrsquo πειτα δE σκτον

139Wann verlaumlsst Oumldipus die Buumlhne

Frau und ist sein Moumlrderldquo Dass in der Sache die Hinweise auf denInzest bereits im Dialog zwischen Oumldipus und Teiresias gegebensind wurde bereits besprochen sie sind allerdings weniger deutlichformuliert Zu vergleichen sind vor allem die vv 422ndash425 bdquo wenn du deiner Ehe gewahr geworden bist in deren Hafen woman nicht ankern kann du in deinem Haus nach gluumlcklicher Fahrteingelaufen bist Und die Menge anderer schlimmer Dinge nimmstdu nicht wahr die dich dir und deinen Kindern gleichmachen wer-denldquo31 Auszligerdem vv 366 f bdquoDir ist verborgen sag ich dass du mitdenen die dir am naumlchsten sind aufs schaumlndlichste zusammenlebst und du siehst auch nicht das Unheil in dem du dich befin-destldquo32 und vv 414ndash416 (Du siehst nicht) bdquowo du wohnst nochmit wem du zusammenlebst ndash weiszligt du von wem du stammst Esist dir verborgen dass du Feind bist den Deinen unten und denenoben auf der Erdeldquo33

462 Teiresiasrsquo siegesgewisse Schlussbemerkung (bdquodann sagedass ich nichts verstehe von der Seherkunstldquo) ist eine Antwort aufden von Oumldipus in den vv 395 f gegenuumlber Teiresias erhobenenVorwurf bdquoDie (sc die Seherkunst) du wie sich zeigte weder vonden Voumlgeln noch von einem der Goumltter als Erkenntnis hastldquo34 Die-se Antwort ist inhaltlich in Teiresiasrsquo fruumlherer Aussage er habe dieKraft der Wahrheit in sich (356) schon vorweggenommen

Nach dieser Durchsicht laumlsst sich feststellen Die Schlussrededes Teiresias ist zwar im Effekt vielleicht bdquoa moment of tense theatrical horrorldquo35 aber in ihrem Aussagewert eine konzentrierteund verdeutlichende Zusammenstellung von Informationen diezuvor verstreut und zT verraumltselter aber dem aufmerksamen Zu-schauer aufgrund seines Vorwissens durchaus nicht unverstaumlndlichgegeben wurden oder von ihm zu erschlieszligen waren Man kannsich daher fragen warum Sophokles neben den mehr oder wenigerandeutenden Hinweisen noch eine solche intensivierende Wieder-

31) (Τε) 0ταν κατασθK τ+ν Fμναιον 2ν δμοις νορμον εσπλευσαςεampπλοας τυχNν λλων δE πλθος οampκ παισθ3νK κακ5ν W σX ξισNσει σο τεκα τος σος τκνοις

32) (Τε) λεληθναι σ φημι σDν τος φιλτ3τοις αJσχισθrsquo Iμιλο1ντrsquo οampδrsquoIρYν Zνrsquo εlt κακο1

33) (Τε) (οamp βλπεις) νθα ναεις οampδrsquo 0των οκες μτα ndash [ρrsquo οltσθrsquo φrsquo(ν εlt κα λληθας χθρ+ς ν τος σοσιν αampτο1 νρθε κπ γς νω

34) (Οδ) ]ν οQτrsquo πrsquo οων5ν σD προampφ3νης χων οQτrsquo κ θε5ν του γνωτν35) Dawe (wie Anm 3) 9

140 Bernd Manuwald

aufnahme (einen bdquoSammelspruchldquo wie sich Schoumlll ausdruumlckte) fuumlrnoumltig gehalten haben sollte wobei er ndash und darauf kommt es an ndashohne Not Widerspruumlche und Unwahrscheinlichkeiten in derZeichnung des Teiresias des Oumldipus und des Chores in Kauf ge-nommen haumltte36 Sollte man da nicht eher das Werk eines Interpo-lators im Zusammenhang mit einer Wiederauffuumlhrung der Tragouml-die vermuten Dieser koumlnnte den umherziehenden mittellosenOumldipus den sbquoBettlerlsquo aus dem Oumldipus auf Kolonos entnommen ha-ben und haumltte sich fuumlr die Formulierungen des Inzestvorwurfsdurch spaumltere Stellen im Koumlnig Oumldipus anregen lassen wo Oumldipusals ihm alles klar ist sagt bdquoO ihr Ehen Ehen ihr brachtet uns her-vor und nachdem ihr uns hervorgebracht lieszliget ihr wiederumdenselben Samen aufgehen und offenbartet (der Welt) Vaumlter alsBruumlder Soumlhne als Ursache vergossenen Verwandtenbluts Braumluteals Frauen und Muumltter ldquo (1403ndash1407)37

Als Motivation des Interpolators ndash vielleicht eines Schauspie-lers ndash kann man sich vorstellen dass er mit seinem Zusatz die sotheaterwirksamen Diskrepanzen zwischen dem sehenden Oumldipusder die Aumluszligerungen des Teiresias in ihrer Relevanz fuumlr sich selbstnicht erkennt und dem Blinden der alles weiszlig einerseits und demmit dem Stoff vertrauten Zuschauer andererseits uumlber das Vorhan-dene hinaus ausdehnen und steigern wollte Demgegenuumlber koumlnn-ten ihm die sich durch die Einfuumlgung der Rede ergebenden Inkon-gruenzen falls sie ihm bewusst geworden sein sollten als wenigergewichtig erschienen sein Indem das markante πειμι des sehrwahrscheinlich noch echten Verses 444 als Stichwort fuumlr die an -schlieszligende Rede fungiert (πειμX 447) wird jedenfalls aumluszligerlichein glatter Uumlbergang erreicht

Geht man davon aus dass die vv 447ndash462 urspruumlnglich nichtvorhanden waren ergibt sich fuumlr die Zuschauer das Bild eines Oumldipus der in der Teiresias-Szene trotz seiner Auseinanderset-zung mit dem Seher ndash von einer kurzen Verunsicherung als seineEltern zur Sprache kommen abgesehen ndash noch von keinerlei Zwei-feln befallen38 und entsprechend selbstsicher in seiner Machtposi-

36) Vgl auch Schoumlll (wie Anm 2) 95ndash9837) _ γ3μοι γ3μοι φσαθrsquo AμYς κα φυτεσαντες π3λιν νετε ταampτ+ν

σπρμα κπεδεξατε πατρας δελφος παδας α`μrsquo μφλιον νμφας γυ-νακας μητρας τε

38) So auch Knox (wie Anm 2) 326

141Wann verlaumlsst Oumldipus die Buumlhne

tion ist So tritt er auch noch in der Kreon-Szene auf als er Kreonden er der Intrige gegen sich verdaumlchtigt toumlten oder verbannen will(623 641) Erst als Iokaste den sbquoDreiweglsquo erwaumlhnt (716) und Oumldi-pus befuumlrchtet Teiresias koumlnne ihn doch zu Recht des Mordes anLaiumlos beschuldigt haben (747) erscheint er in seiner Sicherheit er-schuumlttert und ist motiviert Nachforschungen hinsichtlich seinereigenen Taumlterschaft anzustellen Haumltte Oumldipus die Rede des Teire-sias zur Gaumlnze gehoumlrt ndash und darauf ist die Rede zweifellos angelegtwenn Oumldipus am Ende noch einmal ausdruumlcklich angesprochenwird ndash und unwidersprochen hingenommen wuumlrde beim Zu-schauer schon hier der Eindruck entstehen Oumldipus gebe sich ge-genuumlber Teiresias geschlagen Der sich in der Mitte der Tragoumldieabzeichnende Umbruch waumlre nicht mehr so herausgehoben

Es spricht also viel dafuumlr dass die vv 447ndash462 unecht sind undOumldipus und Teiresias nach v 446 gleichzeitig die Buumlhne verlassender eine in sein Haus der andere in die Stadt

Koumlln Bernd Manuwald

Page 5: WANN VERLÄSST ÖDIPUS DIE BÜHNE? Zum Schluss der … · 130 Bernd Manuwald ist er Bruder zugleich und Vater, und der Frau, von der er stammt, Sohn und Gatte, und mit dem Vater teilt

132 Bernd Manuwald

Andererseits entsprechen die Uumlberlegungen die der Choruumlber die Situation des Oumldipus anstellt dem Informationsstand ausdem dialogischen Teil der Teiresias-Szene wie sie bis v 446 vor-liegt Der Chor geht auf den geradeheraus formulierten Mordvor-wurf gegen Oumldipus ein (der ihm allerdings zweifelhaft bleibt 483ndash511) nicht aber auf den Inzest was sich dadurch erklaumlren laumlsst dassdie Anspielungen des Teiresias darauf im fruumlheren Teil der Szenenicht sehr deutlich sind Nach den klaren Hinweisen auf den Inzestin der Schlussrede des Teiresias (457ndash460) ist diese Zuruumlckhaltungdes Chores eigentlich nicht erklaumlrlich

Man hat auf verschiedene Weise versucht mit diesen Schwie-rigkeiten fertig zu werden

Eine Gruppe der Interpreten nimmt an Oumldipus bleibe waumlhrendder ganzen Rede des Teiresias auf der Buumlhne und bietet zT unter-schiedliche Erklaumlrungen warum Oumldipus trotz der relativen Deut-lichkeit der Aumluszligerungen des Teiresias nicht versteht oder nicht ant-wortet J C Kamerbeek haumllt es fuumlr natuumlrlich dass Teiresias auf dieveraumlchtlichen letzten Worte des Oumldipus (445 f) reagieren muumlsse er-laumlutert jedoch nicht warum Oumldipus dessen Rede deren gesteigerteDeutlichkeit Kamerbeek konstatiert wortlos hinnimmt9 H Lloyd-Jones und N G Wilson sind der Auffassung Oumldipus sei zu zornigund zu sehr davon uumlberzeugt dass Teiresias Teil einer Intrige gegenihn sei als dass er dessen letzte Aumluszligerungen wirklich beachte10 FuumlrJ Bollack hat Oumldipus auf die Rede des Teiresias hin einfach nichtsmehr zu sagen was Aussicht auf Erfolg haumltte11 R D Dawe wendetsich gegen die Erklaumlrung dass Oumldipus wegen seines Zorns nicht er-fasse was Teiresias sage und will so scheint es die Besonderheitenauf dramaturgische Notwendigkeit zuruumlckfuumlhren Es duumlrfe keinefruumlhe Aufdeckung geben und dass Oumldipus nicht verstehe muumlsseman eben hinnehmen Er sieht den Sinn der Teiresias-Rede darindass sie bdquoa moment of tense theatrical horrorldquo biete12 ndash Szenisch

9) J C Kamerbeek The Plays of Sophocles Commentaries Part IV TheOedipus Tyrannus Leiden 1967 111 (zu OT 449ndash462 und 449)

10) H Lloyd-Jones N G Wilson Sophocles Second Thoughts Goumlttingen1997 (Hypomnemata 100) 52 zu OT 445ndash446

11) J Bollack (ed) LrsquoOedipe roi de Sophocle Le texte et ses interpreacutetationsVol II Commentaire Premiegravere partie Lille 1990 (Cahiers de philologie 12) 283

12) Dawe (wie Anm 3) 8ndash10 Eine vergleichbare Position vertritt jetzt auchV Liapis Oedipus Tyrannus in K Ormand (Hrsg) A Companion to SophoclesChichester 2012 87

133Wann verlaumlsst Oumldipus die Buumlhne

muumlsste man sich bei allen diesen Interpretationen den Ablauf so vorstellen dass am Schluss der Rede Oumldipus sbquobefehlsgemaumlszliglsquo in seinden Buumlhnenhintergrund bildendes Haus geht Teiresias zur Seite wegin die Stadt geleitet wird

Mit diesem Deutungsmuster lassen sich jedoch weder dasdoppelt widerspruumlchliche Verhalten des Teiresias noch die Aumluszlige-rungen des Chores erklaumlren Auszligerdem war Oumldipus nicht zu zor-nig kurz zuvor die Bemerkung uumlber seine Eltern zu uumlberhoumlrenund da er nun von Teiresias in den Aussagen uumlber den Taumlter nichtdirekt beschuldigt wird ist bei Oumldipus auch keine sbquoBlockadelsquo an-zunehmen die verstaumlndlich machte warum er auf die Feststellunghin der Taumlter sei sbquohierlsquo nichts sagt L Edmunds Auffassung Oumldi-pus bestehe aus Vornehmheit nicht auf dem letzten Wort13 hilftebenfalls nicht weiter Denn Oumldipus hat in dieser Szene laumlngst seineVornehmheit abgelegt Teiresias zum Teufel gewuumlnscht (ες Oλε-θρον 430) und forciert zugestimmt der Junge solle den Seher weg-bringen damit er ihn nicht weiter betruumlbe (445 f)

Andere Interpreten halten es denn auch fuumlr unmoumlglich dassOumldipus die Rede des Teiresias gehoumlrt hat ohne irgendwie daraufzu reagieren und lassen deswegen Oumldipus ins Haus gehen bevorTeiresias zu reden anfaumlngt bzw zum Haus hin waumlhrend er redet14

Dieser wuumlrde dann 16 Verse hinter dem bereits abwesenden bzwweggehenden Oumldipus her reden und ihn am Schluss in direkter An-rede auffordern ins Haus zu gehen Selbst wenn man die Blindheitdes Teiresias beruumlcksichtigt ist die damit gegebene Szenerie nichtuumlberzeugend und koumlnnte sogar zu einem komischen Effekt fuumlhrenUnd vor allem Der Chor houmlrt die Rede auf jeden Fall

13) L Edmunds The Teiresias Scene in Sophoclesrsquo Oedipus Tyrannus Syllecta Classica 11 2000 34ndash73 hier 60

14) R Kassel bei Lloyd-Jones Wilson (wie Anm 10) der seinerseits aufKock Wolff Bellermann Wilamowitz und die Athetese von Schoumlll (siehe obenAnm 2) verweist Vgl Th Kock Sophokleische Studien II Berlin 1857 25 (bdquoOedi-pus zieht sich in seinen Palast zuruumlck Der blinde Greis in der Meinung er seinoch anwesend wiederholt nochmals im Zusammenhange seine fruumlheren Verkuumln-digungen aber seine Worte erreichen den Herrscher nicht mehrldquo) Sophokles Koumlnig Oumldipus Fuumlr den Schulgebrauch erkl von G Wolff 5 Aufl bearb vonL Bellermann Leipzig Berlin 1908 49 zu vv 447 f (Oumldipus verlasse die Buumlhne beiv 446 der blinde Teiresias merke es nicht) Sophokles Oumldipus Gr u dt Uumlbertra-gen von U v Wilamowitz-Moellendorff hrsg von C Kappus Berlin Frankfurta M 1949 71 (Regieanweisung vor v 447 bdquoOumldipus wendet sich ab houmlrt nicht auf die Rede und geht langsam ins Hausldquo)

134 Bernd Manuwald

B M W Knox der die Probleme der Szene detailliert disku-tiert vertritt eine Art Kompromissloumlsung die von WilamowitzrsquoRegieanweisung ausgeht15 und plaumldiert fuumlr folgendes VerstaumlndnisOumldipus gehe nachdem er Teiresias weggeschickt hat also ab v 447langsam nach hinten auf das Haus zu der blinde Teiresias sprechegegen den Ruumlcken des Oumldipus der sich weigere zuzuhoumlren16 undbei v 457 durch die Tuumlr gehe17 Er koumlnne also die vv 457ndash460 diesich inhaltlich mit dem Orakel das er in Delphi auf seine Anfragenach seinen Eltern hin erhalten hatte (er muumlsse mit seiner MutterKinder zeugen und seinen Vater toumlten) in Beziehung bringen las-sen nicht mehr houmlren Teiresias reagiere mit seiner Aufforderungan Oumldipus hineinzugehen und die Dinge zu bedenken (460 f) aufdas Geraumlusch der sich bewegenden Tuumlr18 D h Oumldipus aumluszligert sichnicht mehr weil er bereits im Haus ist

Bei seiner Hypothese unterscheidet Knox faktisch Aumluszligerun-gen die Oumldipus (noch) houmlren darf und solche die er nicht (mehr)houmlren sollte Dabei bleibt aber unberuumlcksichtigt wie Sophoklessonst an vergleichbaren Stellen Oumldipusrsquo Verhalten dargestellt hatDenn einerseits waumlre gerade bei der Aussage der Taumlter sei sbquohierlsquo(451) wie ausgefuumlhrt eine Reaktion des Oumldipus zu erwarten ndash daist Oumldipus auch fuumlr Knox noch auf der Buumlhne Andererseits ist esein unbegruumlndetes Postulat Oumldipus muumlsse auf Ausfuumlhrungen re -agieren die ihn an das ihm gegebene Orakel erinnerten (duumlrfe dasalso nicht mehr gehoumlrt haben) Auch spaumlter als Iokaste ihm vondem Orakel erzaumlhlt nach dem Laiumlos von seinem Sohn getoumltet werden sollte laumlsst ihn Sophokles keine Beziehung zu dem gleich-artigen ihm erteilten herstellen sondern nur bei dem StichwortsbquoDreiweglsquo als Ort der Ermordung des Laiumlos aufmerksam werden(711 ff) ebenso wie es bei dem Stichwort sbquoElternlsquo der Fall war(436 f) also jeweils bei Dingen die mit konkreten Erlebnissen desOumldipus zu tun haben

Auszligerdem wird in den vv 457ndash460 das Inzestmotiv zwardeutlich ausgefuumlhrt aber die fruumlheren Anspielungen des Teiresiasdarauf hatte Oumldipus offenbar nur als unverschaumlmte Anwuumlrfe be-trachtet (429ndash431) die Inzest-Thematik spielt sogar noch dann als

15) Vgl die vorige Anm ndash Knox (wie Anm 2) 32516) Knox (wie Anm 2) 330 33217) Knox (wie Anm 2) 326ndash32918) Knox (wie Anm 2) 331

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bei Oumldipus spaumlter im Stuumlck die Befuumlrchtung aufkommt der Seherhabe vielleicht recht keine Rolle Diese Befuumlrchtung richtet sichausschlieszliglich darauf er koumlnne vielleicht doch Koumlnig Laiumlos (den erda noch nicht als seinen Vater identifiziert hat) getoumltet haben Oumldi-pus ist bis zur endguumlltigen Aufklaumlrung davon uumlberzeugt dass daskorinthische Koumlnigspaar Polybos und Merope seine Eltern seienInsbesondere hatte er niemals Grund die Mutterschaft Meropesanzuzweifeln da die Bemerkung des Betrunkenen nur den Vaterbetroffen hatte Es ist daher nicht unproblematisch allein auf derBasis der Ausfuumlhrungen des Teiresias zur Sache auf die An- oderAbwesenheit des Oumldipus ruumlckzuschlieszligen

Knox nimmt fuumlr seine Deutung an dass Teiresias mit seinerabschlieszligenden Aufforderung an Oumldipus ins Haus hineinzugehenauf das Geraumlusch der sich bewegenden Tuumlr des Buumlhnenhauses re -agiere Es sei dahingestellt ob man das uumlberhaupt houmlren konntebzw so deutlich dass das Publikum in der Lage war einen Zu-sammenhang zwischen diesem Geraumlusch und den Worten des blin-den Teiresias herzustellen Wie dem auch sei wenn Teiresias ausdem Tuumlrgeraumlusch schlieszligen soll dass Oumldipus bereits das Haus be-tritt ist seine Aufforderung an ihn ins Haus zu gehen funktions-los Das Partizip Nν (460) steht fuumlr einen beigeordneten Impera-tiv Teiresias kann nicht meinen Oumldipus solle waumlhrend des Vor-gangs des Hineingehens bedenken was er gesagt hat Allenfallswaumlre in dieser Situation eine Bemerkung vorstellbar wie sbquoUnddrinnen denke uumlber das nach was ich gesagt habelsquo oder etwasAumlhnliches So aumluszligert sich Teiresias aber nicht

Es kommt noch hinzu dass die Situation hier insofern andersist als an den Stellen die Knox auffuumlhrt um zu zeigen dass einerdie Buumlhne verlassenden Person etwas hinterher gesprochen wirddas diese nicht mehr houmlrt oder houmlren darf (Soph Ant 327ndash331Eur El 1139ndash1146 Her 726ndash733 Ba 971ndash976)19 als Teiresiasnicht nur am Anfang (447ndash449) Oumldipus direkt anredet sondernsich auch am Schluss (460ndash462) von neuem unmittelbar mit einerAufforderung an ihn wendet20 Schlieszliglich bleibt unerklaumlrt wel-chen Sinn Teiresiasrsquo Schlussbemerkung bdquoUnd wenn du mich er-

19) Knox (wie Anm 2) 32920) Mit Verweis auf diese Stellen weist Dawe (wie Anm 3 114) die Deutung

von Knox entschieden zuruumlck Vgl auch die Ablehnung der These von Knox beiLiapis (wie Anm 12) 87

136 Bernd Manuwald

tappst als Luumlgner dann sage dass ich nichts verstehe von der Seherkunstldquo (461 f) haben soll wenn Oumldipus sie nicht mehr houmlrtHier besteht letztlich dasselbe Problem wie wenn man Oumldipusschon vor der abschlieszligenden Rede des Teiresias ins Haus gehenlaumlsst

Da alle diese Erklaumlrungsversuche unbefriedigend sind sollteman eine Loumlsung diskutieren die A Schoumlll im Jahre 1856 in seinerannotierten Uumlbersetzung des Koumlnig Oumldipus vorgeschlagen undausfuumlhrlich begruumlndet hat21 wobei er allerdings nicht die Fragethematisierte ob Oumldipus die Rede des Teiresias gehoumlrt haben kannbzw warum er nicht reagiert22 sondern von anderen der aufge-fuumlhrten Anstoumlszlige ausging Auf die These von Schoumlll wurde zwarverschiedentlich verwiesen23 sie fand aber inhaltlich bisher keineResonanz Im Folgenden soll Schoumllls Vorschlag mit zusaumltzlichenArgumenten wieder aufgegriffen werden

Schoumlll haumllt die vv 444ndash462 fuumlr unecht also die Schlussrede desTeiresias und auch die unmittelbar vorausgehenden Verse (444ndash446) In der letzten Aumluszligerung des Oumldipus im Dialog mit Teiresias(445 f) glaubt er bei Oumldipus einen gewissen Mangel an klarer Hal-tung beobachten zu koumlnnen weil an fruumlheren Stellen seine Dro-hungen (255 363 368) und seine Verachtung (365 374 f 402 f433) viel deutlicher zum Ausdruck gekommen seien Die vv 444ndash446 scheinen Schoumlll ein schwaches Anhaumlngsel zu den wuumlrdigerenSchlussworten des Teiresias bdquoEben dieser gluumlckliche Erfolg (sc dieVernichtung der Sphinx) hat dich vernichtetldquo (442) und des Oumldi-pus bdquoAber wenn ich diese Stadt gerettet habe kuumlmmert mich dasnichtldquo (443)24 zu sein25 Das ist vielleicht doch eine etwas subjek-tive Wertung weil man fuumlr die Echtheit dagegen halten kann So-phokles wolle Oumldipus seine Erleichterung ausdruumlcken lassen dassTeiresias endlich geht im Kontrast zum Anfang der Szene wo er

21) Schoumlll (wie Anm 2) 92ndash10122) Allerdings legt eine Bemerkung Schoumllls (wie Anm 2 101) nahe anzu-

nehmen dass er fuumlr die Gespraumlchssituation des uumlberlieferten Textes voraussetzt beiden letzten Worten des Teiresias sei Oumldipus nicht mehr auf der Buumlhne

23) Knox (wie Anm 2) 322 mit Anm 2 der Schoumllls Argumentation abernicht einsehen konnte R Kassel bei Lloyd-Jones Wilson (wie Anm 10) 52

24) Τε α)τη γε μντοι σrsquo A τχη διNλεσεν Οδ λλrsquo ε πλιν τgtνδrsquo ξσωσrsquoοQ μοι μλει

25) Schoumlll (wie Anm 2) 94 f 100 f

137Wann verlaumlsst Oumldipus die Buumlhne

ihn sehnlichst erwartet hatte Und die Willensaumluszligerung des Blin-den gegenuumlber dem Jungen der ihn fuumlhren soll ist ein deutlichesdramaturgisches Signal

Tilgt man gemaumlszlig dem Vorschlag von Schoumlll die vv 447ndash462also die gesamte Rede des Teiresias loumlsen sich die genannten mitdieser Textstelle verbundenen Probleme Waumlre das auf die Teire-sias-Szene folgende Chorlied (463 ff) im Anschluss an v 446 uumlber-liefert so haumltte wohl kein Philologe eine Luumlcke postuliert eherfestgestellt wie folgerichtig sich das abrupte und unversoumlhnlicheEnde als Gegenstuumlck zum Beginn der Szene aus der heillosen Ent-zweiung ergibt die sich im Laufe des Gespraumlchs entwickelt hatte

Nun wuumlrde man kein Textstuumlck nur deswegen athetieren weiles im Ganzen verzichtbar erscheint sondern der Grund sind diegenannten Probleme Allerdings ist auch zu pruumlfen ob der Texteinzelne Elemente enthaumllt die bei naumlherem Zusehen unverzichtbarerscheinen indem sie gegenuumlber dem im Dialog zwischen Teiresiasund Oumldipus Gesagten eine fuumlr das Drama wesentliche weitere Information bieten oder ob es sich um Gedanken handelt die alsWiederholungen oder Ausgestaltungen keine tragende Funktionfuumlr das Drama haben

Geht man die Verse der Rede unter diesem Gesichtspunktdurch zeigt sich folgender Befund

447bndash448 Die Ankuumlndigung des Teiresias sich furchtlosaumluszligern zu wollen (bdquoohne Furcht vor deinem [zornigen] Gesichtdenn in keiner Weise kannst du mich vernichtenldquo)26 entspricht inder Sache bdquoWenn du auch Koumlnig bist so muss so weit Gleichheitherrschen in gleicher Weise zu erwidern dazu habe auch ich dieMacht Denn nicht fuumlr dich als Diener lebe ich sondern fuumlr Loxiasldquo(408ndash410)27 Auszligerdem hatte Teiresias bereits in den vv 356 und369 auf seine im Besitz der Wahrheit beruhende Staumlrke und damitseine Unangreifbarkeit gepocht

449ndash452a Teiresiasrsquo klare Aussagen dass der Moumlrder desLaiumlos sbquohierlsquo und kein Einheimischer sei (bdquoUnd ich sage dir DieserMann den du die ganze Zeit suchst drohend und verkuumlndend eineUntersuchung des Mordes an Laiumlos der ist hier ein Fremder wie

26) Fuumlr den griechischen Text der Zitate aus Teiresiasrsquo abschlieszligender Redesiehe oben S 129

27) (Τε) ε κα τυραννες ξισωτον τ+ γο1ν Jσrsquo ντιλξαιmiddot το1δε γ-ρ κγκρατ5 οamp γ3ρ τι σο ζ5 δο1λος λλ- ΛοξTmiddot

138 Bernd Manuwald

man sagt der hier wohntldquo) sind was den ersten Punkt angeht inBeziehung zu bringen mit seinen fruumlheren Angaben (353 bdquodenn du bist es dieses Landes unreiner Befleckerldquo und 362 bdquoDu bist der Moumlrder sag ich des Mannes dessen Moumlrder du suchstldquo)28 in denen das Vor-Ort-Sein des Moumlrders impliziert ist wenn dies auch von Oumldipus nicht durchschaut wird ndash Von sich als Fremden(Korinther) der jetzt zu den Buumlrgen zaumlhlt hatte an fruumlherer StelleOumldipus selbst gesprochen (219ndash222) der Gedanke wuumlrde alsonicht wegfallen

452bndash454a Die von Teiresias angekuumlndigte Entwicklung dassder Moumlrder (sc Oumldipus) uumlber die Erkenntnis Thebaner zu seinnicht erfreut sein werde (bdquoDoch dann wird er sich als gebuumlrtigerThebaner erweisen und er wird sich nicht freuen uumlber diese Wen-dungldquo) war vorher so deutlich nicht thematisiert worden ist aberin den fruumlheren Aussagen des Teiresias dass Oumldipus der Moumlrder desLaiumlos (362) und seinem Vater Feind sei (415 f) bereits mit erfasst

454bndash456 Wenn Teiresias die Blindheit des Moumlrders und seinBettlerdasein voraussagt (bdquoDenn blind geworden aus einem Sehen-den und ein Bettler statt eines Beguumlterten wird er im fremden Landumherziehen den Boden vor sich mit dem Stab ertastendldquo) soentspricht diese Zukunftsperspektive in ihrem inhaltlichen Gehaltder Aussage von vv 372 f wo auf die Bemerkung des Oumldipus Tei-resias sei blind dieser entgegnet bdquoUnd du erbaumlrmlich der du michdamit schmaumlhst womit dich ein jeder hier schon bald schmaumlhenwirdldquo29 und vv 417ndash419 bdquound doppelt treffend wird deiner Mut-ter und deines Vaters Fluch dich einst aus diesem Lande treiben mitfuumlrchterlichem Schritt dich der du jetzt noch richtig siehst dannaber Finsternisldquo30 Hier ist nicht ausdruumlcklich vom Status einesBettlers die Rede aber einen elenden Zustand sagt ihm Teiresias daschon voraus

457ndash460a bdquoUnd es wird offenbar Seinen Kindern mit denener zusammen lebt ist er Bruder zugleich und Vater und der Frauvon der er stammt Sohn und Gatte und mit dem Vater teilt er die

28) (Τε) ς Oντι γς τσδrsquo νοσ μι3στορι (353) und (Τε) φονα σ φημιτνδρ+ς ο9 ζητες κυρεν (362)

29) (Τε) σD δrsquo θλις γε τα1τrsquo νειδζων U σο οampδες 2ς οampχ τ5νδrsquo νει-διε τ3χα

30) (Τε) κα σrsquo μφιπλ=ξ μητρς τε κα το1 σο1 πατρ+ς λC ποτrsquo κ γςτσδε δεινπους ρ3 βλποντα ν1ν μEν Oρθrsquo πειτα δE σκτον

139Wann verlaumlsst Oumldipus die Buumlhne

Frau und ist sein Moumlrderldquo Dass in der Sache die Hinweise auf denInzest bereits im Dialog zwischen Oumldipus und Teiresias gegebensind wurde bereits besprochen sie sind allerdings weniger deutlichformuliert Zu vergleichen sind vor allem die vv 422ndash425 bdquo wenn du deiner Ehe gewahr geworden bist in deren Hafen woman nicht ankern kann du in deinem Haus nach gluumlcklicher Fahrteingelaufen bist Und die Menge anderer schlimmer Dinge nimmstdu nicht wahr die dich dir und deinen Kindern gleichmachen wer-denldquo31 Auszligerdem vv 366 f bdquoDir ist verborgen sag ich dass du mitdenen die dir am naumlchsten sind aufs schaumlndlichste zusammenlebst und du siehst auch nicht das Unheil in dem du dich befin-destldquo32 und vv 414ndash416 (Du siehst nicht) bdquowo du wohnst nochmit wem du zusammenlebst ndash weiszligt du von wem du stammst Esist dir verborgen dass du Feind bist den Deinen unten und denenoben auf der Erdeldquo33

462 Teiresiasrsquo siegesgewisse Schlussbemerkung (bdquodann sagedass ich nichts verstehe von der Seherkunstldquo) ist eine Antwort aufden von Oumldipus in den vv 395 f gegenuumlber Teiresias erhobenenVorwurf bdquoDie (sc die Seherkunst) du wie sich zeigte weder vonden Voumlgeln noch von einem der Goumltter als Erkenntnis hastldquo34 Die-se Antwort ist inhaltlich in Teiresiasrsquo fruumlherer Aussage er habe dieKraft der Wahrheit in sich (356) schon vorweggenommen

Nach dieser Durchsicht laumlsst sich feststellen Die Schlussrededes Teiresias ist zwar im Effekt vielleicht bdquoa moment of tense theatrical horrorldquo35 aber in ihrem Aussagewert eine konzentrierteund verdeutlichende Zusammenstellung von Informationen diezuvor verstreut und zT verraumltselter aber dem aufmerksamen Zu-schauer aufgrund seines Vorwissens durchaus nicht unverstaumlndlichgegeben wurden oder von ihm zu erschlieszligen waren Man kannsich daher fragen warum Sophokles neben den mehr oder wenigerandeutenden Hinweisen noch eine solche intensivierende Wieder-

31) (Τε) 0ταν κατασθK τ+ν Fμναιον 2ν δμοις νορμον εσπλευσαςεampπλοας τυχNν λλων δE πλθος οampκ παισθ3νK κακ5ν W σX ξισNσει σο τεκα τος σος τκνοις

32) (Τε) λεληθναι σ φημι σDν τος φιλτ3τοις αJσχισθrsquo Iμιλο1ντrsquo οampδrsquoIρYν Zνrsquo εlt κακο1

33) (Τε) (οamp βλπεις) νθα ναεις οampδrsquo 0των οκες μτα ndash [ρrsquo οltσθrsquo φrsquo(ν εlt κα λληθας χθρ+ς ν τος σοσιν αampτο1 νρθε κπ γς νω

34) (Οδ) ]ν οQτrsquo πrsquo οων5ν σD προampφ3νης χων οQτrsquo κ θε5ν του γνωτν35) Dawe (wie Anm 3) 9

140 Bernd Manuwald

aufnahme (einen bdquoSammelspruchldquo wie sich Schoumlll ausdruumlckte) fuumlrnoumltig gehalten haben sollte wobei er ndash und darauf kommt es an ndashohne Not Widerspruumlche und Unwahrscheinlichkeiten in derZeichnung des Teiresias des Oumldipus und des Chores in Kauf ge-nommen haumltte36 Sollte man da nicht eher das Werk eines Interpo-lators im Zusammenhang mit einer Wiederauffuumlhrung der Tragouml-die vermuten Dieser koumlnnte den umherziehenden mittellosenOumldipus den sbquoBettlerlsquo aus dem Oumldipus auf Kolonos entnommen ha-ben und haumltte sich fuumlr die Formulierungen des Inzestvorwurfsdurch spaumltere Stellen im Koumlnig Oumldipus anregen lassen wo Oumldipusals ihm alles klar ist sagt bdquoO ihr Ehen Ehen ihr brachtet uns her-vor und nachdem ihr uns hervorgebracht lieszliget ihr wiederumdenselben Samen aufgehen und offenbartet (der Welt) Vaumlter alsBruumlder Soumlhne als Ursache vergossenen Verwandtenbluts Braumluteals Frauen und Muumltter ldquo (1403ndash1407)37

Als Motivation des Interpolators ndash vielleicht eines Schauspie-lers ndash kann man sich vorstellen dass er mit seinem Zusatz die sotheaterwirksamen Diskrepanzen zwischen dem sehenden Oumldipusder die Aumluszligerungen des Teiresias in ihrer Relevanz fuumlr sich selbstnicht erkennt und dem Blinden der alles weiszlig einerseits und demmit dem Stoff vertrauten Zuschauer andererseits uumlber das Vorhan-dene hinaus ausdehnen und steigern wollte Demgegenuumlber koumlnn-ten ihm die sich durch die Einfuumlgung der Rede ergebenden Inkon-gruenzen falls sie ihm bewusst geworden sein sollten als wenigergewichtig erschienen sein Indem das markante πειμι des sehrwahrscheinlich noch echten Verses 444 als Stichwort fuumlr die an -schlieszligende Rede fungiert (πειμX 447) wird jedenfalls aumluszligerlichein glatter Uumlbergang erreicht

Geht man davon aus dass die vv 447ndash462 urspruumlnglich nichtvorhanden waren ergibt sich fuumlr die Zuschauer das Bild eines Oumldipus der in der Teiresias-Szene trotz seiner Auseinanderset-zung mit dem Seher ndash von einer kurzen Verunsicherung als seineEltern zur Sprache kommen abgesehen ndash noch von keinerlei Zwei-feln befallen38 und entsprechend selbstsicher in seiner Machtposi-

36) Vgl auch Schoumlll (wie Anm 2) 95ndash9837) _ γ3μοι γ3μοι φσαθrsquo AμYς κα φυτεσαντες π3λιν νετε ταampτ+ν

σπρμα κπεδεξατε πατρας δελφος παδας α`μrsquo μφλιον νμφας γυ-νακας μητρας τε

38) So auch Knox (wie Anm 2) 326

141Wann verlaumlsst Oumldipus die Buumlhne

tion ist So tritt er auch noch in der Kreon-Szene auf als er Kreonden er der Intrige gegen sich verdaumlchtigt toumlten oder verbannen will(623 641) Erst als Iokaste den sbquoDreiweglsquo erwaumlhnt (716) und Oumldi-pus befuumlrchtet Teiresias koumlnne ihn doch zu Recht des Mordes anLaiumlos beschuldigt haben (747) erscheint er in seiner Sicherheit er-schuumlttert und ist motiviert Nachforschungen hinsichtlich seinereigenen Taumlterschaft anzustellen Haumltte Oumldipus die Rede des Teire-sias zur Gaumlnze gehoumlrt ndash und darauf ist die Rede zweifellos angelegtwenn Oumldipus am Ende noch einmal ausdruumlcklich angesprochenwird ndash und unwidersprochen hingenommen wuumlrde beim Zu-schauer schon hier der Eindruck entstehen Oumldipus gebe sich ge-genuumlber Teiresias geschlagen Der sich in der Mitte der Tragoumldieabzeichnende Umbruch waumlre nicht mehr so herausgehoben

Es spricht also viel dafuumlr dass die vv 447ndash462 unecht sind undOumldipus und Teiresias nach v 446 gleichzeitig die Buumlhne verlassender eine in sein Haus der andere in die Stadt

Koumlln Bernd Manuwald

Page 6: WANN VERLÄSST ÖDIPUS DIE BÜHNE? Zum Schluss der … · 130 Bernd Manuwald ist er Bruder zugleich und Vater, und der Frau, von der er stammt, Sohn und Gatte, und mit dem Vater teilt

133Wann verlaumlsst Oumldipus die Buumlhne

muumlsste man sich bei allen diesen Interpretationen den Ablauf so vorstellen dass am Schluss der Rede Oumldipus sbquobefehlsgemaumlszliglsquo in seinden Buumlhnenhintergrund bildendes Haus geht Teiresias zur Seite wegin die Stadt geleitet wird

Mit diesem Deutungsmuster lassen sich jedoch weder dasdoppelt widerspruumlchliche Verhalten des Teiresias noch die Aumluszlige-rungen des Chores erklaumlren Auszligerdem war Oumldipus nicht zu zor-nig kurz zuvor die Bemerkung uumlber seine Eltern zu uumlberhoumlrenund da er nun von Teiresias in den Aussagen uumlber den Taumlter nichtdirekt beschuldigt wird ist bei Oumldipus auch keine sbquoBlockadelsquo an-zunehmen die verstaumlndlich machte warum er auf die Feststellunghin der Taumlter sei sbquohierlsquo nichts sagt L Edmunds Auffassung Oumldi-pus bestehe aus Vornehmheit nicht auf dem letzten Wort13 hilftebenfalls nicht weiter Denn Oumldipus hat in dieser Szene laumlngst seineVornehmheit abgelegt Teiresias zum Teufel gewuumlnscht (ες Oλε-θρον 430) und forciert zugestimmt der Junge solle den Seher weg-bringen damit er ihn nicht weiter betruumlbe (445 f)

Andere Interpreten halten es denn auch fuumlr unmoumlglich dassOumldipus die Rede des Teiresias gehoumlrt hat ohne irgendwie daraufzu reagieren und lassen deswegen Oumldipus ins Haus gehen bevorTeiresias zu reden anfaumlngt bzw zum Haus hin waumlhrend er redet14

Dieser wuumlrde dann 16 Verse hinter dem bereits abwesenden bzwweggehenden Oumldipus her reden und ihn am Schluss in direkter An-rede auffordern ins Haus zu gehen Selbst wenn man die Blindheitdes Teiresias beruumlcksichtigt ist die damit gegebene Szenerie nichtuumlberzeugend und koumlnnte sogar zu einem komischen Effekt fuumlhrenUnd vor allem Der Chor houmlrt die Rede auf jeden Fall

13) L Edmunds The Teiresias Scene in Sophoclesrsquo Oedipus Tyrannus Syllecta Classica 11 2000 34ndash73 hier 60

14) R Kassel bei Lloyd-Jones Wilson (wie Anm 10) der seinerseits aufKock Wolff Bellermann Wilamowitz und die Athetese von Schoumlll (siehe obenAnm 2) verweist Vgl Th Kock Sophokleische Studien II Berlin 1857 25 (bdquoOedi-pus zieht sich in seinen Palast zuruumlck Der blinde Greis in der Meinung er seinoch anwesend wiederholt nochmals im Zusammenhange seine fruumlheren Verkuumln-digungen aber seine Worte erreichen den Herrscher nicht mehrldquo) Sophokles Koumlnig Oumldipus Fuumlr den Schulgebrauch erkl von G Wolff 5 Aufl bearb vonL Bellermann Leipzig Berlin 1908 49 zu vv 447 f (Oumldipus verlasse die Buumlhne beiv 446 der blinde Teiresias merke es nicht) Sophokles Oumldipus Gr u dt Uumlbertra-gen von U v Wilamowitz-Moellendorff hrsg von C Kappus Berlin Frankfurta M 1949 71 (Regieanweisung vor v 447 bdquoOumldipus wendet sich ab houmlrt nicht auf die Rede und geht langsam ins Hausldquo)

134 Bernd Manuwald

B M W Knox der die Probleme der Szene detailliert disku-tiert vertritt eine Art Kompromissloumlsung die von WilamowitzrsquoRegieanweisung ausgeht15 und plaumldiert fuumlr folgendes VerstaumlndnisOumldipus gehe nachdem er Teiresias weggeschickt hat also ab v 447langsam nach hinten auf das Haus zu der blinde Teiresias sprechegegen den Ruumlcken des Oumldipus der sich weigere zuzuhoumlren16 undbei v 457 durch die Tuumlr gehe17 Er koumlnne also die vv 457ndash460 diesich inhaltlich mit dem Orakel das er in Delphi auf seine Anfragenach seinen Eltern hin erhalten hatte (er muumlsse mit seiner MutterKinder zeugen und seinen Vater toumlten) in Beziehung bringen las-sen nicht mehr houmlren Teiresias reagiere mit seiner Aufforderungan Oumldipus hineinzugehen und die Dinge zu bedenken (460 f) aufdas Geraumlusch der sich bewegenden Tuumlr18 D h Oumldipus aumluszligert sichnicht mehr weil er bereits im Haus ist

Bei seiner Hypothese unterscheidet Knox faktisch Aumluszligerun-gen die Oumldipus (noch) houmlren darf und solche die er nicht (mehr)houmlren sollte Dabei bleibt aber unberuumlcksichtigt wie Sophoklessonst an vergleichbaren Stellen Oumldipusrsquo Verhalten dargestellt hatDenn einerseits waumlre gerade bei der Aussage der Taumlter sei sbquohierlsquo(451) wie ausgefuumlhrt eine Reaktion des Oumldipus zu erwarten ndash daist Oumldipus auch fuumlr Knox noch auf der Buumlhne Andererseits ist esein unbegruumlndetes Postulat Oumldipus muumlsse auf Ausfuumlhrungen re -agieren die ihn an das ihm gegebene Orakel erinnerten (duumlrfe dasalso nicht mehr gehoumlrt haben) Auch spaumlter als Iokaste ihm vondem Orakel erzaumlhlt nach dem Laiumlos von seinem Sohn getoumltet werden sollte laumlsst ihn Sophokles keine Beziehung zu dem gleich-artigen ihm erteilten herstellen sondern nur bei dem StichwortsbquoDreiweglsquo als Ort der Ermordung des Laiumlos aufmerksam werden(711 ff) ebenso wie es bei dem Stichwort sbquoElternlsquo der Fall war(436 f) also jeweils bei Dingen die mit konkreten Erlebnissen desOumldipus zu tun haben

Auszligerdem wird in den vv 457ndash460 das Inzestmotiv zwardeutlich ausgefuumlhrt aber die fruumlheren Anspielungen des Teiresiasdarauf hatte Oumldipus offenbar nur als unverschaumlmte Anwuumlrfe be-trachtet (429ndash431) die Inzest-Thematik spielt sogar noch dann als

15) Vgl die vorige Anm ndash Knox (wie Anm 2) 32516) Knox (wie Anm 2) 330 33217) Knox (wie Anm 2) 326ndash32918) Knox (wie Anm 2) 331

135Wann verlaumlsst Oumldipus die Buumlhne

bei Oumldipus spaumlter im Stuumlck die Befuumlrchtung aufkommt der Seherhabe vielleicht recht keine Rolle Diese Befuumlrchtung richtet sichausschlieszliglich darauf er koumlnne vielleicht doch Koumlnig Laiumlos (den erda noch nicht als seinen Vater identifiziert hat) getoumltet haben Oumldi-pus ist bis zur endguumlltigen Aufklaumlrung davon uumlberzeugt dass daskorinthische Koumlnigspaar Polybos und Merope seine Eltern seienInsbesondere hatte er niemals Grund die Mutterschaft Meropesanzuzweifeln da die Bemerkung des Betrunkenen nur den Vaterbetroffen hatte Es ist daher nicht unproblematisch allein auf derBasis der Ausfuumlhrungen des Teiresias zur Sache auf die An- oderAbwesenheit des Oumldipus ruumlckzuschlieszligen

Knox nimmt fuumlr seine Deutung an dass Teiresias mit seinerabschlieszligenden Aufforderung an Oumldipus ins Haus hineinzugehenauf das Geraumlusch der sich bewegenden Tuumlr des Buumlhnenhauses re -agiere Es sei dahingestellt ob man das uumlberhaupt houmlren konntebzw so deutlich dass das Publikum in der Lage war einen Zu-sammenhang zwischen diesem Geraumlusch und den Worten des blin-den Teiresias herzustellen Wie dem auch sei wenn Teiresias ausdem Tuumlrgeraumlusch schlieszligen soll dass Oumldipus bereits das Haus be-tritt ist seine Aufforderung an ihn ins Haus zu gehen funktions-los Das Partizip Nν (460) steht fuumlr einen beigeordneten Impera-tiv Teiresias kann nicht meinen Oumldipus solle waumlhrend des Vor-gangs des Hineingehens bedenken was er gesagt hat Allenfallswaumlre in dieser Situation eine Bemerkung vorstellbar wie sbquoUnddrinnen denke uumlber das nach was ich gesagt habelsquo oder etwasAumlhnliches So aumluszligert sich Teiresias aber nicht

Es kommt noch hinzu dass die Situation hier insofern andersist als an den Stellen die Knox auffuumlhrt um zu zeigen dass einerdie Buumlhne verlassenden Person etwas hinterher gesprochen wirddas diese nicht mehr houmlrt oder houmlren darf (Soph Ant 327ndash331Eur El 1139ndash1146 Her 726ndash733 Ba 971ndash976)19 als Teiresiasnicht nur am Anfang (447ndash449) Oumldipus direkt anredet sondernsich auch am Schluss (460ndash462) von neuem unmittelbar mit einerAufforderung an ihn wendet20 Schlieszliglich bleibt unerklaumlrt wel-chen Sinn Teiresiasrsquo Schlussbemerkung bdquoUnd wenn du mich er-

19) Knox (wie Anm 2) 32920) Mit Verweis auf diese Stellen weist Dawe (wie Anm 3 114) die Deutung

von Knox entschieden zuruumlck Vgl auch die Ablehnung der These von Knox beiLiapis (wie Anm 12) 87

136 Bernd Manuwald

tappst als Luumlgner dann sage dass ich nichts verstehe von der Seherkunstldquo (461 f) haben soll wenn Oumldipus sie nicht mehr houmlrtHier besteht letztlich dasselbe Problem wie wenn man Oumldipusschon vor der abschlieszligenden Rede des Teiresias ins Haus gehenlaumlsst

Da alle diese Erklaumlrungsversuche unbefriedigend sind sollteman eine Loumlsung diskutieren die A Schoumlll im Jahre 1856 in seinerannotierten Uumlbersetzung des Koumlnig Oumldipus vorgeschlagen undausfuumlhrlich begruumlndet hat21 wobei er allerdings nicht die Fragethematisierte ob Oumldipus die Rede des Teiresias gehoumlrt haben kannbzw warum er nicht reagiert22 sondern von anderen der aufge-fuumlhrten Anstoumlszlige ausging Auf die These von Schoumlll wurde zwarverschiedentlich verwiesen23 sie fand aber inhaltlich bisher keineResonanz Im Folgenden soll Schoumllls Vorschlag mit zusaumltzlichenArgumenten wieder aufgegriffen werden

Schoumlll haumllt die vv 444ndash462 fuumlr unecht also die Schlussrede desTeiresias und auch die unmittelbar vorausgehenden Verse (444ndash446) In der letzten Aumluszligerung des Oumldipus im Dialog mit Teiresias(445 f) glaubt er bei Oumldipus einen gewissen Mangel an klarer Hal-tung beobachten zu koumlnnen weil an fruumlheren Stellen seine Dro-hungen (255 363 368) und seine Verachtung (365 374 f 402 f433) viel deutlicher zum Ausdruck gekommen seien Die vv 444ndash446 scheinen Schoumlll ein schwaches Anhaumlngsel zu den wuumlrdigerenSchlussworten des Teiresias bdquoEben dieser gluumlckliche Erfolg (sc dieVernichtung der Sphinx) hat dich vernichtetldquo (442) und des Oumldi-pus bdquoAber wenn ich diese Stadt gerettet habe kuumlmmert mich dasnichtldquo (443)24 zu sein25 Das ist vielleicht doch eine etwas subjek-tive Wertung weil man fuumlr die Echtheit dagegen halten kann So-phokles wolle Oumldipus seine Erleichterung ausdruumlcken lassen dassTeiresias endlich geht im Kontrast zum Anfang der Szene wo er

21) Schoumlll (wie Anm 2) 92ndash10122) Allerdings legt eine Bemerkung Schoumllls (wie Anm 2 101) nahe anzu-

nehmen dass er fuumlr die Gespraumlchssituation des uumlberlieferten Textes voraussetzt beiden letzten Worten des Teiresias sei Oumldipus nicht mehr auf der Buumlhne

23) Knox (wie Anm 2) 322 mit Anm 2 der Schoumllls Argumentation abernicht einsehen konnte R Kassel bei Lloyd-Jones Wilson (wie Anm 10) 52

24) Τε α)τη γε μντοι σrsquo A τχη διNλεσεν Οδ λλrsquo ε πλιν τgtνδrsquo ξσωσrsquoοQ μοι μλει

25) Schoumlll (wie Anm 2) 94 f 100 f

137Wann verlaumlsst Oumldipus die Buumlhne

ihn sehnlichst erwartet hatte Und die Willensaumluszligerung des Blin-den gegenuumlber dem Jungen der ihn fuumlhren soll ist ein deutlichesdramaturgisches Signal

Tilgt man gemaumlszlig dem Vorschlag von Schoumlll die vv 447ndash462also die gesamte Rede des Teiresias loumlsen sich die genannten mitdieser Textstelle verbundenen Probleme Waumlre das auf die Teire-sias-Szene folgende Chorlied (463 ff) im Anschluss an v 446 uumlber-liefert so haumltte wohl kein Philologe eine Luumlcke postuliert eherfestgestellt wie folgerichtig sich das abrupte und unversoumlhnlicheEnde als Gegenstuumlck zum Beginn der Szene aus der heillosen Ent-zweiung ergibt die sich im Laufe des Gespraumlchs entwickelt hatte

Nun wuumlrde man kein Textstuumlck nur deswegen athetieren weiles im Ganzen verzichtbar erscheint sondern der Grund sind diegenannten Probleme Allerdings ist auch zu pruumlfen ob der Texteinzelne Elemente enthaumllt die bei naumlherem Zusehen unverzichtbarerscheinen indem sie gegenuumlber dem im Dialog zwischen Teiresiasund Oumldipus Gesagten eine fuumlr das Drama wesentliche weitere Information bieten oder ob es sich um Gedanken handelt die alsWiederholungen oder Ausgestaltungen keine tragende Funktionfuumlr das Drama haben

Geht man die Verse der Rede unter diesem Gesichtspunktdurch zeigt sich folgender Befund

447bndash448 Die Ankuumlndigung des Teiresias sich furchtlosaumluszligern zu wollen (bdquoohne Furcht vor deinem [zornigen] Gesichtdenn in keiner Weise kannst du mich vernichtenldquo)26 entspricht inder Sache bdquoWenn du auch Koumlnig bist so muss so weit Gleichheitherrschen in gleicher Weise zu erwidern dazu habe auch ich dieMacht Denn nicht fuumlr dich als Diener lebe ich sondern fuumlr Loxiasldquo(408ndash410)27 Auszligerdem hatte Teiresias bereits in den vv 356 und369 auf seine im Besitz der Wahrheit beruhende Staumlrke und damitseine Unangreifbarkeit gepocht

449ndash452a Teiresiasrsquo klare Aussagen dass der Moumlrder desLaiumlos sbquohierlsquo und kein Einheimischer sei (bdquoUnd ich sage dir DieserMann den du die ganze Zeit suchst drohend und verkuumlndend eineUntersuchung des Mordes an Laiumlos der ist hier ein Fremder wie

26) Fuumlr den griechischen Text der Zitate aus Teiresiasrsquo abschlieszligender Redesiehe oben S 129

27) (Τε) ε κα τυραννες ξισωτον τ+ γο1ν Jσrsquo ντιλξαιmiddot το1δε γ-ρ κγκρατ5 οamp γ3ρ τι σο ζ5 δο1λος λλ- ΛοξTmiddot

138 Bernd Manuwald

man sagt der hier wohntldquo) sind was den ersten Punkt angeht inBeziehung zu bringen mit seinen fruumlheren Angaben (353 bdquodenn du bist es dieses Landes unreiner Befleckerldquo und 362 bdquoDu bist der Moumlrder sag ich des Mannes dessen Moumlrder du suchstldquo)28 in denen das Vor-Ort-Sein des Moumlrders impliziert ist wenn dies auch von Oumldipus nicht durchschaut wird ndash Von sich als Fremden(Korinther) der jetzt zu den Buumlrgen zaumlhlt hatte an fruumlherer StelleOumldipus selbst gesprochen (219ndash222) der Gedanke wuumlrde alsonicht wegfallen

452bndash454a Die von Teiresias angekuumlndigte Entwicklung dassder Moumlrder (sc Oumldipus) uumlber die Erkenntnis Thebaner zu seinnicht erfreut sein werde (bdquoDoch dann wird er sich als gebuumlrtigerThebaner erweisen und er wird sich nicht freuen uumlber diese Wen-dungldquo) war vorher so deutlich nicht thematisiert worden ist aberin den fruumlheren Aussagen des Teiresias dass Oumldipus der Moumlrder desLaiumlos (362) und seinem Vater Feind sei (415 f) bereits mit erfasst

454bndash456 Wenn Teiresias die Blindheit des Moumlrders und seinBettlerdasein voraussagt (bdquoDenn blind geworden aus einem Sehen-den und ein Bettler statt eines Beguumlterten wird er im fremden Landumherziehen den Boden vor sich mit dem Stab ertastendldquo) soentspricht diese Zukunftsperspektive in ihrem inhaltlichen Gehaltder Aussage von vv 372 f wo auf die Bemerkung des Oumldipus Tei-resias sei blind dieser entgegnet bdquoUnd du erbaumlrmlich der du michdamit schmaumlhst womit dich ein jeder hier schon bald schmaumlhenwirdldquo29 und vv 417ndash419 bdquound doppelt treffend wird deiner Mut-ter und deines Vaters Fluch dich einst aus diesem Lande treiben mitfuumlrchterlichem Schritt dich der du jetzt noch richtig siehst dannaber Finsternisldquo30 Hier ist nicht ausdruumlcklich vom Status einesBettlers die Rede aber einen elenden Zustand sagt ihm Teiresias daschon voraus

457ndash460a bdquoUnd es wird offenbar Seinen Kindern mit denener zusammen lebt ist er Bruder zugleich und Vater und der Frauvon der er stammt Sohn und Gatte und mit dem Vater teilt er die

28) (Τε) ς Oντι γς τσδrsquo νοσ μι3στορι (353) und (Τε) φονα σ φημιτνδρ+ς ο9 ζητες κυρεν (362)

29) (Τε) σD δrsquo θλις γε τα1τrsquo νειδζων U σο οampδες 2ς οampχ τ5νδrsquo νει-διε τ3χα

30) (Τε) κα σrsquo μφιπλ=ξ μητρς τε κα το1 σο1 πατρ+ς λC ποτrsquo κ γςτσδε δεινπους ρ3 βλποντα ν1ν μEν Oρθrsquo πειτα δE σκτον

139Wann verlaumlsst Oumldipus die Buumlhne

Frau und ist sein Moumlrderldquo Dass in der Sache die Hinweise auf denInzest bereits im Dialog zwischen Oumldipus und Teiresias gegebensind wurde bereits besprochen sie sind allerdings weniger deutlichformuliert Zu vergleichen sind vor allem die vv 422ndash425 bdquo wenn du deiner Ehe gewahr geworden bist in deren Hafen woman nicht ankern kann du in deinem Haus nach gluumlcklicher Fahrteingelaufen bist Und die Menge anderer schlimmer Dinge nimmstdu nicht wahr die dich dir und deinen Kindern gleichmachen wer-denldquo31 Auszligerdem vv 366 f bdquoDir ist verborgen sag ich dass du mitdenen die dir am naumlchsten sind aufs schaumlndlichste zusammenlebst und du siehst auch nicht das Unheil in dem du dich befin-destldquo32 und vv 414ndash416 (Du siehst nicht) bdquowo du wohnst nochmit wem du zusammenlebst ndash weiszligt du von wem du stammst Esist dir verborgen dass du Feind bist den Deinen unten und denenoben auf der Erdeldquo33

462 Teiresiasrsquo siegesgewisse Schlussbemerkung (bdquodann sagedass ich nichts verstehe von der Seherkunstldquo) ist eine Antwort aufden von Oumldipus in den vv 395 f gegenuumlber Teiresias erhobenenVorwurf bdquoDie (sc die Seherkunst) du wie sich zeigte weder vonden Voumlgeln noch von einem der Goumltter als Erkenntnis hastldquo34 Die-se Antwort ist inhaltlich in Teiresiasrsquo fruumlherer Aussage er habe dieKraft der Wahrheit in sich (356) schon vorweggenommen

Nach dieser Durchsicht laumlsst sich feststellen Die Schlussrededes Teiresias ist zwar im Effekt vielleicht bdquoa moment of tense theatrical horrorldquo35 aber in ihrem Aussagewert eine konzentrierteund verdeutlichende Zusammenstellung von Informationen diezuvor verstreut und zT verraumltselter aber dem aufmerksamen Zu-schauer aufgrund seines Vorwissens durchaus nicht unverstaumlndlichgegeben wurden oder von ihm zu erschlieszligen waren Man kannsich daher fragen warum Sophokles neben den mehr oder wenigerandeutenden Hinweisen noch eine solche intensivierende Wieder-

31) (Τε) 0ταν κατασθK τ+ν Fμναιον 2ν δμοις νορμον εσπλευσαςεampπλοας τυχNν λλων δE πλθος οampκ παισθ3νK κακ5ν W σX ξισNσει σο τεκα τος σος τκνοις

32) (Τε) λεληθναι σ φημι σDν τος φιλτ3τοις αJσχισθrsquo Iμιλο1ντrsquo οampδrsquoIρYν Zνrsquo εlt κακο1

33) (Τε) (οamp βλπεις) νθα ναεις οampδrsquo 0των οκες μτα ndash [ρrsquo οltσθrsquo φrsquo(ν εlt κα λληθας χθρ+ς ν τος σοσιν αampτο1 νρθε κπ γς νω

34) (Οδ) ]ν οQτrsquo πrsquo οων5ν σD προampφ3νης χων οQτrsquo κ θε5ν του γνωτν35) Dawe (wie Anm 3) 9

140 Bernd Manuwald

aufnahme (einen bdquoSammelspruchldquo wie sich Schoumlll ausdruumlckte) fuumlrnoumltig gehalten haben sollte wobei er ndash und darauf kommt es an ndashohne Not Widerspruumlche und Unwahrscheinlichkeiten in derZeichnung des Teiresias des Oumldipus und des Chores in Kauf ge-nommen haumltte36 Sollte man da nicht eher das Werk eines Interpo-lators im Zusammenhang mit einer Wiederauffuumlhrung der Tragouml-die vermuten Dieser koumlnnte den umherziehenden mittellosenOumldipus den sbquoBettlerlsquo aus dem Oumldipus auf Kolonos entnommen ha-ben und haumltte sich fuumlr die Formulierungen des Inzestvorwurfsdurch spaumltere Stellen im Koumlnig Oumldipus anregen lassen wo Oumldipusals ihm alles klar ist sagt bdquoO ihr Ehen Ehen ihr brachtet uns her-vor und nachdem ihr uns hervorgebracht lieszliget ihr wiederumdenselben Samen aufgehen und offenbartet (der Welt) Vaumlter alsBruumlder Soumlhne als Ursache vergossenen Verwandtenbluts Braumluteals Frauen und Muumltter ldquo (1403ndash1407)37

Als Motivation des Interpolators ndash vielleicht eines Schauspie-lers ndash kann man sich vorstellen dass er mit seinem Zusatz die sotheaterwirksamen Diskrepanzen zwischen dem sehenden Oumldipusder die Aumluszligerungen des Teiresias in ihrer Relevanz fuumlr sich selbstnicht erkennt und dem Blinden der alles weiszlig einerseits und demmit dem Stoff vertrauten Zuschauer andererseits uumlber das Vorhan-dene hinaus ausdehnen und steigern wollte Demgegenuumlber koumlnn-ten ihm die sich durch die Einfuumlgung der Rede ergebenden Inkon-gruenzen falls sie ihm bewusst geworden sein sollten als wenigergewichtig erschienen sein Indem das markante πειμι des sehrwahrscheinlich noch echten Verses 444 als Stichwort fuumlr die an -schlieszligende Rede fungiert (πειμX 447) wird jedenfalls aumluszligerlichein glatter Uumlbergang erreicht

Geht man davon aus dass die vv 447ndash462 urspruumlnglich nichtvorhanden waren ergibt sich fuumlr die Zuschauer das Bild eines Oumldipus der in der Teiresias-Szene trotz seiner Auseinanderset-zung mit dem Seher ndash von einer kurzen Verunsicherung als seineEltern zur Sprache kommen abgesehen ndash noch von keinerlei Zwei-feln befallen38 und entsprechend selbstsicher in seiner Machtposi-

36) Vgl auch Schoumlll (wie Anm 2) 95ndash9837) _ γ3μοι γ3μοι φσαθrsquo AμYς κα φυτεσαντες π3λιν νετε ταampτ+ν

σπρμα κπεδεξατε πατρας δελφος παδας α`μrsquo μφλιον νμφας γυ-νακας μητρας τε

38) So auch Knox (wie Anm 2) 326

141Wann verlaumlsst Oumldipus die Buumlhne

tion ist So tritt er auch noch in der Kreon-Szene auf als er Kreonden er der Intrige gegen sich verdaumlchtigt toumlten oder verbannen will(623 641) Erst als Iokaste den sbquoDreiweglsquo erwaumlhnt (716) und Oumldi-pus befuumlrchtet Teiresias koumlnne ihn doch zu Recht des Mordes anLaiumlos beschuldigt haben (747) erscheint er in seiner Sicherheit er-schuumlttert und ist motiviert Nachforschungen hinsichtlich seinereigenen Taumlterschaft anzustellen Haumltte Oumldipus die Rede des Teire-sias zur Gaumlnze gehoumlrt ndash und darauf ist die Rede zweifellos angelegtwenn Oumldipus am Ende noch einmal ausdruumlcklich angesprochenwird ndash und unwidersprochen hingenommen wuumlrde beim Zu-schauer schon hier der Eindruck entstehen Oumldipus gebe sich ge-genuumlber Teiresias geschlagen Der sich in der Mitte der Tragoumldieabzeichnende Umbruch waumlre nicht mehr so herausgehoben

Es spricht also viel dafuumlr dass die vv 447ndash462 unecht sind undOumldipus und Teiresias nach v 446 gleichzeitig die Buumlhne verlassender eine in sein Haus der andere in die Stadt

Koumlln Bernd Manuwald

Page 7: WANN VERLÄSST ÖDIPUS DIE BÜHNE? Zum Schluss der … · 130 Bernd Manuwald ist er Bruder zugleich und Vater, und der Frau, von der er stammt, Sohn und Gatte, und mit dem Vater teilt

134 Bernd Manuwald

B M W Knox der die Probleme der Szene detailliert disku-tiert vertritt eine Art Kompromissloumlsung die von WilamowitzrsquoRegieanweisung ausgeht15 und plaumldiert fuumlr folgendes VerstaumlndnisOumldipus gehe nachdem er Teiresias weggeschickt hat also ab v 447langsam nach hinten auf das Haus zu der blinde Teiresias sprechegegen den Ruumlcken des Oumldipus der sich weigere zuzuhoumlren16 undbei v 457 durch die Tuumlr gehe17 Er koumlnne also die vv 457ndash460 diesich inhaltlich mit dem Orakel das er in Delphi auf seine Anfragenach seinen Eltern hin erhalten hatte (er muumlsse mit seiner MutterKinder zeugen und seinen Vater toumlten) in Beziehung bringen las-sen nicht mehr houmlren Teiresias reagiere mit seiner Aufforderungan Oumldipus hineinzugehen und die Dinge zu bedenken (460 f) aufdas Geraumlusch der sich bewegenden Tuumlr18 D h Oumldipus aumluszligert sichnicht mehr weil er bereits im Haus ist

Bei seiner Hypothese unterscheidet Knox faktisch Aumluszligerun-gen die Oumldipus (noch) houmlren darf und solche die er nicht (mehr)houmlren sollte Dabei bleibt aber unberuumlcksichtigt wie Sophoklessonst an vergleichbaren Stellen Oumldipusrsquo Verhalten dargestellt hatDenn einerseits waumlre gerade bei der Aussage der Taumlter sei sbquohierlsquo(451) wie ausgefuumlhrt eine Reaktion des Oumldipus zu erwarten ndash daist Oumldipus auch fuumlr Knox noch auf der Buumlhne Andererseits ist esein unbegruumlndetes Postulat Oumldipus muumlsse auf Ausfuumlhrungen re -agieren die ihn an das ihm gegebene Orakel erinnerten (duumlrfe dasalso nicht mehr gehoumlrt haben) Auch spaumlter als Iokaste ihm vondem Orakel erzaumlhlt nach dem Laiumlos von seinem Sohn getoumltet werden sollte laumlsst ihn Sophokles keine Beziehung zu dem gleich-artigen ihm erteilten herstellen sondern nur bei dem StichwortsbquoDreiweglsquo als Ort der Ermordung des Laiumlos aufmerksam werden(711 ff) ebenso wie es bei dem Stichwort sbquoElternlsquo der Fall war(436 f) also jeweils bei Dingen die mit konkreten Erlebnissen desOumldipus zu tun haben

Auszligerdem wird in den vv 457ndash460 das Inzestmotiv zwardeutlich ausgefuumlhrt aber die fruumlheren Anspielungen des Teiresiasdarauf hatte Oumldipus offenbar nur als unverschaumlmte Anwuumlrfe be-trachtet (429ndash431) die Inzest-Thematik spielt sogar noch dann als

15) Vgl die vorige Anm ndash Knox (wie Anm 2) 32516) Knox (wie Anm 2) 330 33217) Knox (wie Anm 2) 326ndash32918) Knox (wie Anm 2) 331

135Wann verlaumlsst Oumldipus die Buumlhne

bei Oumldipus spaumlter im Stuumlck die Befuumlrchtung aufkommt der Seherhabe vielleicht recht keine Rolle Diese Befuumlrchtung richtet sichausschlieszliglich darauf er koumlnne vielleicht doch Koumlnig Laiumlos (den erda noch nicht als seinen Vater identifiziert hat) getoumltet haben Oumldi-pus ist bis zur endguumlltigen Aufklaumlrung davon uumlberzeugt dass daskorinthische Koumlnigspaar Polybos und Merope seine Eltern seienInsbesondere hatte er niemals Grund die Mutterschaft Meropesanzuzweifeln da die Bemerkung des Betrunkenen nur den Vaterbetroffen hatte Es ist daher nicht unproblematisch allein auf derBasis der Ausfuumlhrungen des Teiresias zur Sache auf die An- oderAbwesenheit des Oumldipus ruumlckzuschlieszligen

Knox nimmt fuumlr seine Deutung an dass Teiresias mit seinerabschlieszligenden Aufforderung an Oumldipus ins Haus hineinzugehenauf das Geraumlusch der sich bewegenden Tuumlr des Buumlhnenhauses re -agiere Es sei dahingestellt ob man das uumlberhaupt houmlren konntebzw so deutlich dass das Publikum in der Lage war einen Zu-sammenhang zwischen diesem Geraumlusch und den Worten des blin-den Teiresias herzustellen Wie dem auch sei wenn Teiresias ausdem Tuumlrgeraumlusch schlieszligen soll dass Oumldipus bereits das Haus be-tritt ist seine Aufforderung an ihn ins Haus zu gehen funktions-los Das Partizip Nν (460) steht fuumlr einen beigeordneten Impera-tiv Teiresias kann nicht meinen Oumldipus solle waumlhrend des Vor-gangs des Hineingehens bedenken was er gesagt hat Allenfallswaumlre in dieser Situation eine Bemerkung vorstellbar wie sbquoUnddrinnen denke uumlber das nach was ich gesagt habelsquo oder etwasAumlhnliches So aumluszligert sich Teiresias aber nicht

Es kommt noch hinzu dass die Situation hier insofern andersist als an den Stellen die Knox auffuumlhrt um zu zeigen dass einerdie Buumlhne verlassenden Person etwas hinterher gesprochen wirddas diese nicht mehr houmlrt oder houmlren darf (Soph Ant 327ndash331Eur El 1139ndash1146 Her 726ndash733 Ba 971ndash976)19 als Teiresiasnicht nur am Anfang (447ndash449) Oumldipus direkt anredet sondernsich auch am Schluss (460ndash462) von neuem unmittelbar mit einerAufforderung an ihn wendet20 Schlieszliglich bleibt unerklaumlrt wel-chen Sinn Teiresiasrsquo Schlussbemerkung bdquoUnd wenn du mich er-

19) Knox (wie Anm 2) 32920) Mit Verweis auf diese Stellen weist Dawe (wie Anm 3 114) die Deutung

von Knox entschieden zuruumlck Vgl auch die Ablehnung der These von Knox beiLiapis (wie Anm 12) 87

136 Bernd Manuwald

tappst als Luumlgner dann sage dass ich nichts verstehe von der Seherkunstldquo (461 f) haben soll wenn Oumldipus sie nicht mehr houmlrtHier besteht letztlich dasselbe Problem wie wenn man Oumldipusschon vor der abschlieszligenden Rede des Teiresias ins Haus gehenlaumlsst

Da alle diese Erklaumlrungsversuche unbefriedigend sind sollteman eine Loumlsung diskutieren die A Schoumlll im Jahre 1856 in seinerannotierten Uumlbersetzung des Koumlnig Oumldipus vorgeschlagen undausfuumlhrlich begruumlndet hat21 wobei er allerdings nicht die Fragethematisierte ob Oumldipus die Rede des Teiresias gehoumlrt haben kannbzw warum er nicht reagiert22 sondern von anderen der aufge-fuumlhrten Anstoumlszlige ausging Auf die These von Schoumlll wurde zwarverschiedentlich verwiesen23 sie fand aber inhaltlich bisher keineResonanz Im Folgenden soll Schoumllls Vorschlag mit zusaumltzlichenArgumenten wieder aufgegriffen werden

Schoumlll haumllt die vv 444ndash462 fuumlr unecht also die Schlussrede desTeiresias und auch die unmittelbar vorausgehenden Verse (444ndash446) In der letzten Aumluszligerung des Oumldipus im Dialog mit Teiresias(445 f) glaubt er bei Oumldipus einen gewissen Mangel an klarer Hal-tung beobachten zu koumlnnen weil an fruumlheren Stellen seine Dro-hungen (255 363 368) und seine Verachtung (365 374 f 402 f433) viel deutlicher zum Ausdruck gekommen seien Die vv 444ndash446 scheinen Schoumlll ein schwaches Anhaumlngsel zu den wuumlrdigerenSchlussworten des Teiresias bdquoEben dieser gluumlckliche Erfolg (sc dieVernichtung der Sphinx) hat dich vernichtetldquo (442) und des Oumldi-pus bdquoAber wenn ich diese Stadt gerettet habe kuumlmmert mich dasnichtldquo (443)24 zu sein25 Das ist vielleicht doch eine etwas subjek-tive Wertung weil man fuumlr die Echtheit dagegen halten kann So-phokles wolle Oumldipus seine Erleichterung ausdruumlcken lassen dassTeiresias endlich geht im Kontrast zum Anfang der Szene wo er

21) Schoumlll (wie Anm 2) 92ndash10122) Allerdings legt eine Bemerkung Schoumllls (wie Anm 2 101) nahe anzu-

nehmen dass er fuumlr die Gespraumlchssituation des uumlberlieferten Textes voraussetzt beiden letzten Worten des Teiresias sei Oumldipus nicht mehr auf der Buumlhne

23) Knox (wie Anm 2) 322 mit Anm 2 der Schoumllls Argumentation abernicht einsehen konnte R Kassel bei Lloyd-Jones Wilson (wie Anm 10) 52

24) Τε α)τη γε μντοι σrsquo A τχη διNλεσεν Οδ λλrsquo ε πλιν τgtνδrsquo ξσωσrsquoοQ μοι μλει

25) Schoumlll (wie Anm 2) 94 f 100 f

137Wann verlaumlsst Oumldipus die Buumlhne

ihn sehnlichst erwartet hatte Und die Willensaumluszligerung des Blin-den gegenuumlber dem Jungen der ihn fuumlhren soll ist ein deutlichesdramaturgisches Signal

Tilgt man gemaumlszlig dem Vorschlag von Schoumlll die vv 447ndash462also die gesamte Rede des Teiresias loumlsen sich die genannten mitdieser Textstelle verbundenen Probleme Waumlre das auf die Teire-sias-Szene folgende Chorlied (463 ff) im Anschluss an v 446 uumlber-liefert so haumltte wohl kein Philologe eine Luumlcke postuliert eherfestgestellt wie folgerichtig sich das abrupte und unversoumlhnlicheEnde als Gegenstuumlck zum Beginn der Szene aus der heillosen Ent-zweiung ergibt die sich im Laufe des Gespraumlchs entwickelt hatte

Nun wuumlrde man kein Textstuumlck nur deswegen athetieren weiles im Ganzen verzichtbar erscheint sondern der Grund sind diegenannten Probleme Allerdings ist auch zu pruumlfen ob der Texteinzelne Elemente enthaumllt die bei naumlherem Zusehen unverzichtbarerscheinen indem sie gegenuumlber dem im Dialog zwischen Teiresiasund Oumldipus Gesagten eine fuumlr das Drama wesentliche weitere Information bieten oder ob es sich um Gedanken handelt die alsWiederholungen oder Ausgestaltungen keine tragende Funktionfuumlr das Drama haben

Geht man die Verse der Rede unter diesem Gesichtspunktdurch zeigt sich folgender Befund

447bndash448 Die Ankuumlndigung des Teiresias sich furchtlosaumluszligern zu wollen (bdquoohne Furcht vor deinem [zornigen] Gesichtdenn in keiner Weise kannst du mich vernichtenldquo)26 entspricht inder Sache bdquoWenn du auch Koumlnig bist so muss so weit Gleichheitherrschen in gleicher Weise zu erwidern dazu habe auch ich dieMacht Denn nicht fuumlr dich als Diener lebe ich sondern fuumlr Loxiasldquo(408ndash410)27 Auszligerdem hatte Teiresias bereits in den vv 356 und369 auf seine im Besitz der Wahrheit beruhende Staumlrke und damitseine Unangreifbarkeit gepocht

449ndash452a Teiresiasrsquo klare Aussagen dass der Moumlrder desLaiumlos sbquohierlsquo und kein Einheimischer sei (bdquoUnd ich sage dir DieserMann den du die ganze Zeit suchst drohend und verkuumlndend eineUntersuchung des Mordes an Laiumlos der ist hier ein Fremder wie

26) Fuumlr den griechischen Text der Zitate aus Teiresiasrsquo abschlieszligender Redesiehe oben S 129

27) (Τε) ε κα τυραννες ξισωτον τ+ γο1ν Jσrsquo ντιλξαιmiddot το1δε γ-ρ κγκρατ5 οamp γ3ρ τι σο ζ5 δο1λος λλ- ΛοξTmiddot

138 Bernd Manuwald

man sagt der hier wohntldquo) sind was den ersten Punkt angeht inBeziehung zu bringen mit seinen fruumlheren Angaben (353 bdquodenn du bist es dieses Landes unreiner Befleckerldquo und 362 bdquoDu bist der Moumlrder sag ich des Mannes dessen Moumlrder du suchstldquo)28 in denen das Vor-Ort-Sein des Moumlrders impliziert ist wenn dies auch von Oumldipus nicht durchschaut wird ndash Von sich als Fremden(Korinther) der jetzt zu den Buumlrgen zaumlhlt hatte an fruumlherer StelleOumldipus selbst gesprochen (219ndash222) der Gedanke wuumlrde alsonicht wegfallen

452bndash454a Die von Teiresias angekuumlndigte Entwicklung dassder Moumlrder (sc Oumldipus) uumlber die Erkenntnis Thebaner zu seinnicht erfreut sein werde (bdquoDoch dann wird er sich als gebuumlrtigerThebaner erweisen und er wird sich nicht freuen uumlber diese Wen-dungldquo) war vorher so deutlich nicht thematisiert worden ist aberin den fruumlheren Aussagen des Teiresias dass Oumldipus der Moumlrder desLaiumlos (362) und seinem Vater Feind sei (415 f) bereits mit erfasst

454bndash456 Wenn Teiresias die Blindheit des Moumlrders und seinBettlerdasein voraussagt (bdquoDenn blind geworden aus einem Sehen-den und ein Bettler statt eines Beguumlterten wird er im fremden Landumherziehen den Boden vor sich mit dem Stab ertastendldquo) soentspricht diese Zukunftsperspektive in ihrem inhaltlichen Gehaltder Aussage von vv 372 f wo auf die Bemerkung des Oumldipus Tei-resias sei blind dieser entgegnet bdquoUnd du erbaumlrmlich der du michdamit schmaumlhst womit dich ein jeder hier schon bald schmaumlhenwirdldquo29 und vv 417ndash419 bdquound doppelt treffend wird deiner Mut-ter und deines Vaters Fluch dich einst aus diesem Lande treiben mitfuumlrchterlichem Schritt dich der du jetzt noch richtig siehst dannaber Finsternisldquo30 Hier ist nicht ausdruumlcklich vom Status einesBettlers die Rede aber einen elenden Zustand sagt ihm Teiresias daschon voraus

457ndash460a bdquoUnd es wird offenbar Seinen Kindern mit denener zusammen lebt ist er Bruder zugleich und Vater und der Frauvon der er stammt Sohn und Gatte und mit dem Vater teilt er die

28) (Τε) ς Oντι γς τσδrsquo νοσ μι3στορι (353) und (Τε) φονα σ φημιτνδρ+ς ο9 ζητες κυρεν (362)

29) (Τε) σD δrsquo θλις γε τα1τrsquo νειδζων U σο οampδες 2ς οampχ τ5νδrsquo νει-διε τ3χα

30) (Τε) κα σrsquo μφιπλ=ξ μητρς τε κα το1 σο1 πατρ+ς λC ποτrsquo κ γςτσδε δεινπους ρ3 βλποντα ν1ν μEν Oρθrsquo πειτα δE σκτον

139Wann verlaumlsst Oumldipus die Buumlhne

Frau und ist sein Moumlrderldquo Dass in der Sache die Hinweise auf denInzest bereits im Dialog zwischen Oumldipus und Teiresias gegebensind wurde bereits besprochen sie sind allerdings weniger deutlichformuliert Zu vergleichen sind vor allem die vv 422ndash425 bdquo wenn du deiner Ehe gewahr geworden bist in deren Hafen woman nicht ankern kann du in deinem Haus nach gluumlcklicher Fahrteingelaufen bist Und die Menge anderer schlimmer Dinge nimmstdu nicht wahr die dich dir und deinen Kindern gleichmachen wer-denldquo31 Auszligerdem vv 366 f bdquoDir ist verborgen sag ich dass du mitdenen die dir am naumlchsten sind aufs schaumlndlichste zusammenlebst und du siehst auch nicht das Unheil in dem du dich befin-destldquo32 und vv 414ndash416 (Du siehst nicht) bdquowo du wohnst nochmit wem du zusammenlebst ndash weiszligt du von wem du stammst Esist dir verborgen dass du Feind bist den Deinen unten und denenoben auf der Erdeldquo33

462 Teiresiasrsquo siegesgewisse Schlussbemerkung (bdquodann sagedass ich nichts verstehe von der Seherkunstldquo) ist eine Antwort aufden von Oumldipus in den vv 395 f gegenuumlber Teiresias erhobenenVorwurf bdquoDie (sc die Seherkunst) du wie sich zeigte weder vonden Voumlgeln noch von einem der Goumltter als Erkenntnis hastldquo34 Die-se Antwort ist inhaltlich in Teiresiasrsquo fruumlherer Aussage er habe dieKraft der Wahrheit in sich (356) schon vorweggenommen

Nach dieser Durchsicht laumlsst sich feststellen Die Schlussrededes Teiresias ist zwar im Effekt vielleicht bdquoa moment of tense theatrical horrorldquo35 aber in ihrem Aussagewert eine konzentrierteund verdeutlichende Zusammenstellung von Informationen diezuvor verstreut und zT verraumltselter aber dem aufmerksamen Zu-schauer aufgrund seines Vorwissens durchaus nicht unverstaumlndlichgegeben wurden oder von ihm zu erschlieszligen waren Man kannsich daher fragen warum Sophokles neben den mehr oder wenigerandeutenden Hinweisen noch eine solche intensivierende Wieder-

31) (Τε) 0ταν κατασθK τ+ν Fμναιον 2ν δμοις νορμον εσπλευσαςεampπλοας τυχNν λλων δE πλθος οampκ παισθ3νK κακ5ν W σX ξισNσει σο τεκα τος σος τκνοις

32) (Τε) λεληθναι σ φημι σDν τος φιλτ3τοις αJσχισθrsquo Iμιλο1ντrsquo οampδrsquoIρYν Zνrsquo εlt κακο1

33) (Τε) (οamp βλπεις) νθα ναεις οampδrsquo 0των οκες μτα ndash [ρrsquo οltσθrsquo φrsquo(ν εlt κα λληθας χθρ+ς ν τος σοσιν αampτο1 νρθε κπ γς νω

34) (Οδ) ]ν οQτrsquo πrsquo οων5ν σD προampφ3νης χων οQτrsquo κ θε5ν του γνωτν35) Dawe (wie Anm 3) 9

140 Bernd Manuwald

aufnahme (einen bdquoSammelspruchldquo wie sich Schoumlll ausdruumlckte) fuumlrnoumltig gehalten haben sollte wobei er ndash und darauf kommt es an ndashohne Not Widerspruumlche und Unwahrscheinlichkeiten in derZeichnung des Teiresias des Oumldipus und des Chores in Kauf ge-nommen haumltte36 Sollte man da nicht eher das Werk eines Interpo-lators im Zusammenhang mit einer Wiederauffuumlhrung der Tragouml-die vermuten Dieser koumlnnte den umherziehenden mittellosenOumldipus den sbquoBettlerlsquo aus dem Oumldipus auf Kolonos entnommen ha-ben und haumltte sich fuumlr die Formulierungen des Inzestvorwurfsdurch spaumltere Stellen im Koumlnig Oumldipus anregen lassen wo Oumldipusals ihm alles klar ist sagt bdquoO ihr Ehen Ehen ihr brachtet uns her-vor und nachdem ihr uns hervorgebracht lieszliget ihr wiederumdenselben Samen aufgehen und offenbartet (der Welt) Vaumlter alsBruumlder Soumlhne als Ursache vergossenen Verwandtenbluts Braumluteals Frauen und Muumltter ldquo (1403ndash1407)37

Als Motivation des Interpolators ndash vielleicht eines Schauspie-lers ndash kann man sich vorstellen dass er mit seinem Zusatz die sotheaterwirksamen Diskrepanzen zwischen dem sehenden Oumldipusder die Aumluszligerungen des Teiresias in ihrer Relevanz fuumlr sich selbstnicht erkennt und dem Blinden der alles weiszlig einerseits und demmit dem Stoff vertrauten Zuschauer andererseits uumlber das Vorhan-dene hinaus ausdehnen und steigern wollte Demgegenuumlber koumlnn-ten ihm die sich durch die Einfuumlgung der Rede ergebenden Inkon-gruenzen falls sie ihm bewusst geworden sein sollten als wenigergewichtig erschienen sein Indem das markante πειμι des sehrwahrscheinlich noch echten Verses 444 als Stichwort fuumlr die an -schlieszligende Rede fungiert (πειμX 447) wird jedenfalls aumluszligerlichein glatter Uumlbergang erreicht

Geht man davon aus dass die vv 447ndash462 urspruumlnglich nichtvorhanden waren ergibt sich fuumlr die Zuschauer das Bild eines Oumldipus der in der Teiresias-Szene trotz seiner Auseinanderset-zung mit dem Seher ndash von einer kurzen Verunsicherung als seineEltern zur Sprache kommen abgesehen ndash noch von keinerlei Zwei-feln befallen38 und entsprechend selbstsicher in seiner Machtposi-

36) Vgl auch Schoumlll (wie Anm 2) 95ndash9837) _ γ3μοι γ3μοι φσαθrsquo AμYς κα φυτεσαντες π3λιν νετε ταampτ+ν

σπρμα κπεδεξατε πατρας δελφος παδας α`μrsquo μφλιον νμφας γυ-νακας μητρας τε

38) So auch Knox (wie Anm 2) 326

141Wann verlaumlsst Oumldipus die Buumlhne

tion ist So tritt er auch noch in der Kreon-Szene auf als er Kreonden er der Intrige gegen sich verdaumlchtigt toumlten oder verbannen will(623 641) Erst als Iokaste den sbquoDreiweglsquo erwaumlhnt (716) und Oumldi-pus befuumlrchtet Teiresias koumlnne ihn doch zu Recht des Mordes anLaiumlos beschuldigt haben (747) erscheint er in seiner Sicherheit er-schuumlttert und ist motiviert Nachforschungen hinsichtlich seinereigenen Taumlterschaft anzustellen Haumltte Oumldipus die Rede des Teire-sias zur Gaumlnze gehoumlrt ndash und darauf ist die Rede zweifellos angelegtwenn Oumldipus am Ende noch einmal ausdruumlcklich angesprochenwird ndash und unwidersprochen hingenommen wuumlrde beim Zu-schauer schon hier der Eindruck entstehen Oumldipus gebe sich ge-genuumlber Teiresias geschlagen Der sich in der Mitte der Tragoumldieabzeichnende Umbruch waumlre nicht mehr so herausgehoben

Es spricht also viel dafuumlr dass die vv 447ndash462 unecht sind undOumldipus und Teiresias nach v 446 gleichzeitig die Buumlhne verlassender eine in sein Haus der andere in die Stadt

Koumlln Bernd Manuwald

Page 8: WANN VERLÄSST ÖDIPUS DIE BÜHNE? Zum Schluss der … · 130 Bernd Manuwald ist er Bruder zugleich und Vater, und der Frau, von der er stammt, Sohn und Gatte, und mit dem Vater teilt

135Wann verlaumlsst Oumldipus die Buumlhne

bei Oumldipus spaumlter im Stuumlck die Befuumlrchtung aufkommt der Seherhabe vielleicht recht keine Rolle Diese Befuumlrchtung richtet sichausschlieszliglich darauf er koumlnne vielleicht doch Koumlnig Laiumlos (den erda noch nicht als seinen Vater identifiziert hat) getoumltet haben Oumldi-pus ist bis zur endguumlltigen Aufklaumlrung davon uumlberzeugt dass daskorinthische Koumlnigspaar Polybos und Merope seine Eltern seienInsbesondere hatte er niemals Grund die Mutterschaft Meropesanzuzweifeln da die Bemerkung des Betrunkenen nur den Vaterbetroffen hatte Es ist daher nicht unproblematisch allein auf derBasis der Ausfuumlhrungen des Teiresias zur Sache auf die An- oderAbwesenheit des Oumldipus ruumlckzuschlieszligen

Knox nimmt fuumlr seine Deutung an dass Teiresias mit seinerabschlieszligenden Aufforderung an Oumldipus ins Haus hineinzugehenauf das Geraumlusch der sich bewegenden Tuumlr des Buumlhnenhauses re -agiere Es sei dahingestellt ob man das uumlberhaupt houmlren konntebzw so deutlich dass das Publikum in der Lage war einen Zu-sammenhang zwischen diesem Geraumlusch und den Worten des blin-den Teiresias herzustellen Wie dem auch sei wenn Teiresias ausdem Tuumlrgeraumlusch schlieszligen soll dass Oumldipus bereits das Haus be-tritt ist seine Aufforderung an ihn ins Haus zu gehen funktions-los Das Partizip Nν (460) steht fuumlr einen beigeordneten Impera-tiv Teiresias kann nicht meinen Oumldipus solle waumlhrend des Vor-gangs des Hineingehens bedenken was er gesagt hat Allenfallswaumlre in dieser Situation eine Bemerkung vorstellbar wie sbquoUnddrinnen denke uumlber das nach was ich gesagt habelsquo oder etwasAumlhnliches So aumluszligert sich Teiresias aber nicht

Es kommt noch hinzu dass die Situation hier insofern andersist als an den Stellen die Knox auffuumlhrt um zu zeigen dass einerdie Buumlhne verlassenden Person etwas hinterher gesprochen wirddas diese nicht mehr houmlrt oder houmlren darf (Soph Ant 327ndash331Eur El 1139ndash1146 Her 726ndash733 Ba 971ndash976)19 als Teiresiasnicht nur am Anfang (447ndash449) Oumldipus direkt anredet sondernsich auch am Schluss (460ndash462) von neuem unmittelbar mit einerAufforderung an ihn wendet20 Schlieszliglich bleibt unerklaumlrt wel-chen Sinn Teiresiasrsquo Schlussbemerkung bdquoUnd wenn du mich er-

19) Knox (wie Anm 2) 32920) Mit Verweis auf diese Stellen weist Dawe (wie Anm 3 114) die Deutung

von Knox entschieden zuruumlck Vgl auch die Ablehnung der These von Knox beiLiapis (wie Anm 12) 87

136 Bernd Manuwald

tappst als Luumlgner dann sage dass ich nichts verstehe von der Seherkunstldquo (461 f) haben soll wenn Oumldipus sie nicht mehr houmlrtHier besteht letztlich dasselbe Problem wie wenn man Oumldipusschon vor der abschlieszligenden Rede des Teiresias ins Haus gehenlaumlsst

Da alle diese Erklaumlrungsversuche unbefriedigend sind sollteman eine Loumlsung diskutieren die A Schoumlll im Jahre 1856 in seinerannotierten Uumlbersetzung des Koumlnig Oumldipus vorgeschlagen undausfuumlhrlich begruumlndet hat21 wobei er allerdings nicht die Fragethematisierte ob Oumldipus die Rede des Teiresias gehoumlrt haben kannbzw warum er nicht reagiert22 sondern von anderen der aufge-fuumlhrten Anstoumlszlige ausging Auf die These von Schoumlll wurde zwarverschiedentlich verwiesen23 sie fand aber inhaltlich bisher keineResonanz Im Folgenden soll Schoumllls Vorschlag mit zusaumltzlichenArgumenten wieder aufgegriffen werden

Schoumlll haumllt die vv 444ndash462 fuumlr unecht also die Schlussrede desTeiresias und auch die unmittelbar vorausgehenden Verse (444ndash446) In der letzten Aumluszligerung des Oumldipus im Dialog mit Teiresias(445 f) glaubt er bei Oumldipus einen gewissen Mangel an klarer Hal-tung beobachten zu koumlnnen weil an fruumlheren Stellen seine Dro-hungen (255 363 368) und seine Verachtung (365 374 f 402 f433) viel deutlicher zum Ausdruck gekommen seien Die vv 444ndash446 scheinen Schoumlll ein schwaches Anhaumlngsel zu den wuumlrdigerenSchlussworten des Teiresias bdquoEben dieser gluumlckliche Erfolg (sc dieVernichtung der Sphinx) hat dich vernichtetldquo (442) und des Oumldi-pus bdquoAber wenn ich diese Stadt gerettet habe kuumlmmert mich dasnichtldquo (443)24 zu sein25 Das ist vielleicht doch eine etwas subjek-tive Wertung weil man fuumlr die Echtheit dagegen halten kann So-phokles wolle Oumldipus seine Erleichterung ausdruumlcken lassen dassTeiresias endlich geht im Kontrast zum Anfang der Szene wo er

21) Schoumlll (wie Anm 2) 92ndash10122) Allerdings legt eine Bemerkung Schoumllls (wie Anm 2 101) nahe anzu-

nehmen dass er fuumlr die Gespraumlchssituation des uumlberlieferten Textes voraussetzt beiden letzten Worten des Teiresias sei Oumldipus nicht mehr auf der Buumlhne

23) Knox (wie Anm 2) 322 mit Anm 2 der Schoumllls Argumentation abernicht einsehen konnte R Kassel bei Lloyd-Jones Wilson (wie Anm 10) 52

24) Τε α)τη γε μντοι σrsquo A τχη διNλεσεν Οδ λλrsquo ε πλιν τgtνδrsquo ξσωσrsquoοQ μοι μλει

25) Schoumlll (wie Anm 2) 94 f 100 f

137Wann verlaumlsst Oumldipus die Buumlhne

ihn sehnlichst erwartet hatte Und die Willensaumluszligerung des Blin-den gegenuumlber dem Jungen der ihn fuumlhren soll ist ein deutlichesdramaturgisches Signal

Tilgt man gemaumlszlig dem Vorschlag von Schoumlll die vv 447ndash462also die gesamte Rede des Teiresias loumlsen sich die genannten mitdieser Textstelle verbundenen Probleme Waumlre das auf die Teire-sias-Szene folgende Chorlied (463 ff) im Anschluss an v 446 uumlber-liefert so haumltte wohl kein Philologe eine Luumlcke postuliert eherfestgestellt wie folgerichtig sich das abrupte und unversoumlhnlicheEnde als Gegenstuumlck zum Beginn der Szene aus der heillosen Ent-zweiung ergibt die sich im Laufe des Gespraumlchs entwickelt hatte

Nun wuumlrde man kein Textstuumlck nur deswegen athetieren weiles im Ganzen verzichtbar erscheint sondern der Grund sind diegenannten Probleme Allerdings ist auch zu pruumlfen ob der Texteinzelne Elemente enthaumllt die bei naumlherem Zusehen unverzichtbarerscheinen indem sie gegenuumlber dem im Dialog zwischen Teiresiasund Oumldipus Gesagten eine fuumlr das Drama wesentliche weitere Information bieten oder ob es sich um Gedanken handelt die alsWiederholungen oder Ausgestaltungen keine tragende Funktionfuumlr das Drama haben

Geht man die Verse der Rede unter diesem Gesichtspunktdurch zeigt sich folgender Befund

447bndash448 Die Ankuumlndigung des Teiresias sich furchtlosaumluszligern zu wollen (bdquoohne Furcht vor deinem [zornigen] Gesichtdenn in keiner Weise kannst du mich vernichtenldquo)26 entspricht inder Sache bdquoWenn du auch Koumlnig bist so muss so weit Gleichheitherrschen in gleicher Weise zu erwidern dazu habe auch ich dieMacht Denn nicht fuumlr dich als Diener lebe ich sondern fuumlr Loxiasldquo(408ndash410)27 Auszligerdem hatte Teiresias bereits in den vv 356 und369 auf seine im Besitz der Wahrheit beruhende Staumlrke und damitseine Unangreifbarkeit gepocht

449ndash452a Teiresiasrsquo klare Aussagen dass der Moumlrder desLaiumlos sbquohierlsquo und kein Einheimischer sei (bdquoUnd ich sage dir DieserMann den du die ganze Zeit suchst drohend und verkuumlndend eineUntersuchung des Mordes an Laiumlos der ist hier ein Fremder wie

26) Fuumlr den griechischen Text der Zitate aus Teiresiasrsquo abschlieszligender Redesiehe oben S 129

27) (Τε) ε κα τυραννες ξισωτον τ+ γο1ν Jσrsquo ντιλξαιmiddot το1δε γ-ρ κγκρατ5 οamp γ3ρ τι σο ζ5 δο1λος λλ- ΛοξTmiddot

138 Bernd Manuwald

man sagt der hier wohntldquo) sind was den ersten Punkt angeht inBeziehung zu bringen mit seinen fruumlheren Angaben (353 bdquodenn du bist es dieses Landes unreiner Befleckerldquo und 362 bdquoDu bist der Moumlrder sag ich des Mannes dessen Moumlrder du suchstldquo)28 in denen das Vor-Ort-Sein des Moumlrders impliziert ist wenn dies auch von Oumldipus nicht durchschaut wird ndash Von sich als Fremden(Korinther) der jetzt zu den Buumlrgen zaumlhlt hatte an fruumlherer StelleOumldipus selbst gesprochen (219ndash222) der Gedanke wuumlrde alsonicht wegfallen

452bndash454a Die von Teiresias angekuumlndigte Entwicklung dassder Moumlrder (sc Oumldipus) uumlber die Erkenntnis Thebaner zu seinnicht erfreut sein werde (bdquoDoch dann wird er sich als gebuumlrtigerThebaner erweisen und er wird sich nicht freuen uumlber diese Wen-dungldquo) war vorher so deutlich nicht thematisiert worden ist aberin den fruumlheren Aussagen des Teiresias dass Oumldipus der Moumlrder desLaiumlos (362) und seinem Vater Feind sei (415 f) bereits mit erfasst

454bndash456 Wenn Teiresias die Blindheit des Moumlrders und seinBettlerdasein voraussagt (bdquoDenn blind geworden aus einem Sehen-den und ein Bettler statt eines Beguumlterten wird er im fremden Landumherziehen den Boden vor sich mit dem Stab ertastendldquo) soentspricht diese Zukunftsperspektive in ihrem inhaltlichen Gehaltder Aussage von vv 372 f wo auf die Bemerkung des Oumldipus Tei-resias sei blind dieser entgegnet bdquoUnd du erbaumlrmlich der du michdamit schmaumlhst womit dich ein jeder hier schon bald schmaumlhenwirdldquo29 und vv 417ndash419 bdquound doppelt treffend wird deiner Mut-ter und deines Vaters Fluch dich einst aus diesem Lande treiben mitfuumlrchterlichem Schritt dich der du jetzt noch richtig siehst dannaber Finsternisldquo30 Hier ist nicht ausdruumlcklich vom Status einesBettlers die Rede aber einen elenden Zustand sagt ihm Teiresias daschon voraus

457ndash460a bdquoUnd es wird offenbar Seinen Kindern mit denener zusammen lebt ist er Bruder zugleich und Vater und der Frauvon der er stammt Sohn und Gatte und mit dem Vater teilt er die

28) (Τε) ς Oντι γς τσδrsquo νοσ μι3στορι (353) und (Τε) φονα σ φημιτνδρ+ς ο9 ζητες κυρεν (362)

29) (Τε) σD δrsquo θλις γε τα1τrsquo νειδζων U σο οampδες 2ς οampχ τ5νδrsquo νει-διε τ3χα

30) (Τε) κα σrsquo μφιπλ=ξ μητρς τε κα το1 σο1 πατρ+ς λC ποτrsquo κ γςτσδε δεινπους ρ3 βλποντα ν1ν μEν Oρθrsquo πειτα δE σκτον

139Wann verlaumlsst Oumldipus die Buumlhne

Frau und ist sein Moumlrderldquo Dass in der Sache die Hinweise auf denInzest bereits im Dialog zwischen Oumldipus und Teiresias gegebensind wurde bereits besprochen sie sind allerdings weniger deutlichformuliert Zu vergleichen sind vor allem die vv 422ndash425 bdquo wenn du deiner Ehe gewahr geworden bist in deren Hafen woman nicht ankern kann du in deinem Haus nach gluumlcklicher Fahrteingelaufen bist Und die Menge anderer schlimmer Dinge nimmstdu nicht wahr die dich dir und deinen Kindern gleichmachen wer-denldquo31 Auszligerdem vv 366 f bdquoDir ist verborgen sag ich dass du mitdenen die dir am naumlchsten sind aufs schaumlndlichste zusammenlebst und du siehst auch nicht das Unheil in dem du dich befin-destldquo32 und vv 414ndash416 (Du siehst nicht) bdquowo du wohnst nochmit wem du zusammenlebst ndash weiszligt du von wem du stammst Esist dir verborgen dass du Feind bist den Deinen unten und denenoben auf der Erdeldquo33

462 Teiresiasrsquo siegesgewisse Schlussbemerkung (bdquodann sagedass ich nichts verstehe von der Seherkunstldquo) ist eine Antwort aufden von Oumldipus in den vv 395 f gegenuumlber Teiresias erhobenenVorwurf bdquoDie (sc die Seherkunst) du wie sich zeigte weder vonden Voumlgeln noch von einem der Goumltter als Erkenntnis hastldquo34 Die-se Antwort ist inhaltlich in Teiresiasrsquo fruumlherer Aussage er habe dieKraft der Wahrheit in sich (356) schon vorweggenommen

Nach dieser Durchsicht laumlsst sich feststellen Die Schlussrededes Teiresias ist zwar im Effekt vielleicht bdquoa moment of tense theatrical horrorldquo35 aber in ihrem Aussagewert eine konzentrierteund verdeutlichende Zusammenstellung von Informationen diezuvor verstreut und zT verraumltselter aber dem aufmerksamen Zu-schauer aufgrund seines Vorwissens durchaus nicht unverstaumlndlichgegeben wurden oder von ihm zu erschlieszligen waren Man kannsich daher fragen warum Sophokles neben den mehr oder wenigerandeutenden Hinweisen noch eine solche intensivierende Wieder-

31) (Τε) 0ταν κατασθK τ+ν Fμναιον 2ν δμοις νορμον εσπλευσαςεampπλοας τυχNν λλων δE πλθος οampκ παισθ3νK κακ5ν W σX ξισNσει σο τεκα τος σος τκνοις

32) (Τε) λεληθναι σ φημι σDν τος φιλτ3τοις αJσχισθrsquo Iμιλο1ντrsquo οampδrsquoIρYν Zνrsquo εlt κακο1

33) (Τε) (οamp βλπεις) νθα ναεις οampδrsquo 0των οκες μτα ndash [ρrsquo οltσθrsquo φrsquo(ν εlt κα λληθας χθρ+ς ν τος σοσιν αampτο1 νρθε κπ γς νω

34) (Οδ) ]ν οQτrsquo πrsquo οων5ν σD προampφ3νης χων οQτrsquo κ θε5ν του γνωτν35) Dawe (wie Anm 3) 9

140 Bernd Manuwald

aufnahme (einen bdquoSammelspruchldquo wie sich Schoumlll ausdruumlckte) fuumlrnoumltig gehalten haben sollte wobei er ndash und darauf kommt es an ndashohne Not Widerspruumlche und Unwahrscheinlichkeiten in derZeichnung des Teiresias des Oumldipus und des Chores in Kauf ge-nommen haumltte36 Sollte man da nicht eher das Werk eines Interpo-lators im Zusammenhang mit einer Wiederauffuumlhrung der Tragouml-die vermuten Dieser koumlnnte den umherziehenden mittellosenOumldipus den sbquoBettlerlsquo aus dem Oumldipus auf Kolonos entnommen ha-ben und haumltte sich fuumlr die Formulierungen des Inzestvorwurfsdurch spaumltere Stellen im Koumlnig Oumldipus anregen lassen wo Oumldipusals ihm alles klar ist sagt bdquoO ihr Ehen Ehen ihr brachtet uns her-vor und nachdem ihr uns hervorgebracht lieszliget ihr wiederumdenselben Samen aufgehen und offenbartet (der Welt) Vaumlter alsBruumlder Soumlhne als Ursache vergossenen Verwandtenbluts Braumluteals Frauen und Muumltter ldquo (1403ndash1407)37

Als Motivation des Interpolators ndash vielleicht eines Schauspie-lers ndash kann man sich vorstellen dass er mit seinem Zusatz die sotheaterwirksamen Diskrepanzen zwischen dem sehenden Oumldipusder die Aumluszligerungen des Teiresias in ihrer Relevanz fuumlr sich selbstnicht erkennt und dem Blinden der alles weiszlig einerseits und demmit dem Stoff vertrauten Zuschauer andererseits uumlber das Vorhan-dene hinaus ausdehnen und steigern wollte Demgegenuumlber koumlnn-ten ihm die sich durch die Einfuumlgung der Rede ergebenden Inkon-gruenzen falls sie ihm bewusst geworden sein sollten als wenigergewichtig erschienen sein Indem das markante πειμι des sehrwahrscheinlich noch echten Verses 444 als Stichwort fuumlr die an -schlieszligende Rede fungiert (πειμX 447) wird jedenfalls aumluszligerlichein glatter Uumlbergang erreicht

Geht man davon aus dass die vv 447ndash462 urspruumlnglich nichtvorhanden waren ergibt sich fuumlr die Zuschauer das Bild eines Oumldipus der in der Teiresias-Szene trotz seiner Auseinanderset-zung mit dem Seher ndash von einer kurzen Verunsicherung als seineEltern zur Sprache kommen abgesehen ndash noch von keinerlei Zwei-feln befallen38 und entsprechend selbstsicher in seiner Machtposi-

36) Vgl auch Schoumlll (wie Anm 2) 95ndash9837) _ γ3μοι γ3μοι φσαθrsquo AμYς κα φυτεσαντες π3λιν νετε ταampτ+ν

σπρμα κπεδεξατε πατρας δελφος παδας α`μrsquo μφλιον νμφας γυ-νακας μητρας τε

38) So auch Knox (wie Anm 2) 326

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tion ist So tritt er auch noch in der Kreon-Szene auf als er Kreonden er der Intrige gegen sich verdaumlchtigt toumlten oder verbannen will(623 641) Erst als Iokaste den sbquoDreiweglsquo erwaumlhnt (716) und Oumldi-pus befuumlrchtet Teiresias koumlnne ihn doch zu Recht des Mordes anLaiumlos beschuldigt haben (747) erscheint er in seiner Sicherheit er-schuumlttert und ist motiviert Nachforschungen hinsichtlich seinereigenen Taumlterschaft anzustellen Haumltte Oumldipus die Rede des Teire-sias zur Gaumlnze gehoumlrt ndash und darauf ist die Rede zweifellos angelegtwenn Oumldipus am Ende noch einmal ausdruumlcklich angesprochenwird ndash und unwidersprochen hingenommen wuumlrde beim Zu-schauer schon hier der Eindruck entstehen Oumldipus gebe sich ge-genuumlber Teiresias geschlagen Der sich in der Mitte der Tragoumldieabzeichnende Umbruch waumlre nicht mehr so herausgehoben

Es spricht also viel dafuumlr dass die vv 447ndash462 unecht sind undOumldipus und Teiresias nach v 446 gleichzeitig die Buumlhne verlassender eine in sein Haus der andere in die Stadt

Koumlln Bernd Manuwald

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tappst als Luumlgner dann sage dass ich nichts verstehe von der Seherkunstldquo (461 f) haben soll wenn Oumldipus sie nicht mehr houmlrtHier besteht letztlich dasselbe Problem wie wenn man Oumldipusschon vor der abschlieszligenden Rede des Teiresias ins Haus gehenlaumlsst

Da alle diese Erklaumlrungsversuche unbefriedigend sind sollteman eine Loumlsung diskutieren die A Schoumlll im Jahre 1856 in seinerannotierten Uumlbersetzung des Koumlnig Oumldipus vorgeschlagen undausfuumlhrlich begruumlndet hat21 wobei er allerdings nicht die Fragethematisierte ob Oumldipus die Rede des Teiresias gehoumlrt haben kannbzw warum er nicht reagiert22 sondern von anderen der aufge-fuumlhrten Anstoumlszlige ausging Auf die These von Schoumlll wurde zwarverschiedentlich verwiesen23 sie fand aber inhaltlich bisher keineResonanz Im Folgenden soll Schoumllls Vorschlag mit zusaumltzlichenArgumenten wieder aufgegriffen werden

Schoumlll haumllt die vv 444ndash462 fuumlr unecht also die Schlussrede desTeiresias und auch die unmittelbar vorausgehenden Verse (444ndash446) In der letzten Aumluszligerung des Oumldipus im Dialog mit Teiresias(445 f) glaubt er bei Oumldipus einen gewissen Mangel an klarer Hal-tung beobachten zu koumlnnen weil an fruumlheren Stellen seine Dro-hungen (255 363 368) und seine Verachtung (365 374 f 402 f433) viel deutlicher zum Ausdruck gekommen seien Die vv 444ndash446 scheinen Schoumlll ein schwaches Anhaumlngsel zu den wuumlrdigerenSchlussworten des Teiresias bdquoEben dieser gluumlckliche Erfolg (sc dieVernichtung der Sphinx) hat dich vernichtetldquo (442) und des Oumldi-pus bdquoAber wenn ich diese Stadt gerettet habe kuumlmmert mich dasnichtldquo (443)24 zu sein25 Das ist vielleicht doch eine etwas subjek-tive Wertung weil man fuumlr die Echtheit dagegen halten kann So-phokles wolle Oumldipus seine Erleichterung ausdruumlcken lassen dassTeiresias endlich geht im Kontrast zum Anfang der Szene wo er

21) Schoumlll (wie Anm 2) 92ndash10122) Allerdings legt eine Bemerkung Schoumllls (wie Anm 2 101) nahe anzu-

nehmen dass er fuumlr die Gespraumlchssituation des uumlberlieferten Textes voraussetzt beiden letzten Worten des Teiresias sei Oumldipus nicht mehr auf der Buumlhne

23) Knox (wie Anm 2) 322 mit Anm 2 der Schoumllls Argumentation abernicht einsehen konnte R Kassel bei Lloyd-Jones Wilson (wie Anm 10) 52

24) Τε α)τη γε μντοι σrsquo A τχη διNλεσεν Οδ λλrsquo ε πλιν τgtνδrsquo ξσωσrsquoοQ μοι μλει

25) Schoumlll (wie Anm 2) 94 f 100 f

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ihn sehnlichst erwartet hatte Und die Willensaumluszligerung des Blin-den gegenuumlber dem Jungen der ihn fuumlhren soll ist ein deutlichesdramaturgisches Signal

Tilgt man gemaumlszlig dem Vorschlag von Schoumlll die vv 447ndash462also die gesamte Rede des Teiresias loumlsen sich die genannten mitdieser Textstelle verbundenen Probleme Waumlre das auf die Teire-sias-Szene folgende Chorlied (463 ff) im Anschluss an v 446 uumlber-liefert so haumltte wohl kein Philologe eine Luumlcke postuliert eherfestgestellt wie folgerichtig sich das abrupte und unversoumlhnlicheEnde als Gegenstuumlck zum Beginn der Szene aus der heillosen Ent-zweiung ergibt die sich im Laufe des Gespraumlchs entwickelt hatte

Nun wuumlrde man kein Textstuumlck nur deswegen athetieren weiles im Ganzen verzichtbar erscheint sondern der Grund sind diegenannten Probleme Allerdings ist auch zu pruumlfen ob der Texteinzelne Elemente enthaumllt die bei naumlherem Zusehen unverzichtbarerscheinen indem sie gegenuumlber dem im Dialog zwischen Teiresiasund Oumldipus Gesagten eine fuumlr das Drama wesentliche weitere Information bieten oder ob es sich um Gedanken handelt die alsWiederholungen oder Ausgestaltungen keine tragende Funktionfuumlr das Drama haben

Geht man die Verse der Rede unter diesem Gesichtspunktdurch zeigt sich folgender Befund

447bndash448 Die Ankuumlndigung des Teiresias sich furchtlosaumluszligern zu wollen (bdquoohne Furcht vor deinem [zornigen] Gesichtdenn in keiner Weise kannst du mich vernichtenldquo)26 entspricht inder Sache bdquoWenn du auch Koumlnig bist so muss so weit Gleichheitherrschen in gleicher Weise zu erwidern dazu habe auch ich dieMacht Denn nicht fuumlr dich als Diener lebe ich sondern fuumlr Loxiasldquo(408ndash410)27 Auszligerdem hatte Teiresias bereits in den vv 356 und369 auf seine im Besitz der Wahrheit beruhende Staumlrke und damitseine Unangreifbarkeit gepocht

449ndash452a Teiresiasrsquo klare Aussagen dass der Moumlrder desLaiumlos sbquohierlsquo und kein Einheimischer sei (bdquoUnd ich sage dir DieserMann den du die ganze Zeit suchst drohend und verkuumlndend eineUntersuchung des Mordes an Laiumlos der ist hier ein Fremder wie

26) Fuumlr den griechischen Text der Zitate aus Teiresiasrsquo abschlieszligender Redesiehe oben S 129

27) (Τε) ε κα τυραννες ξισωτον τ+ γο1ν Jσrsquo ντιλξαιmiddot το1δε γ-ρ κγκρατ5 οamp γ3ρ τι σο ζ5 δο1λος λλ- ΛοξTmiddot

138 Bernd Manuwald

man sagt der hier wohntldquo) sind was den ersten Punkt angeht inBeziehung zu bringen mit seinen fruumlheren Angaben (353 bdquodenn du bist es dieses Landes unreiner Befleckerldquo und 362 bdquoDu bist der Moumlrder sag ich des Mannes dessen Moumlrder du suchstldquo)28 in denen das Vor-Ort-Sein des Moumlrders impliziert ist wenn dies auch von Oumldipus nicht durchschaut wird ndash Von sich als Fremden(Korinther) der jetzt zu den Buumlrgen zaumlhlt hatte an fruumlherer StelleOumldipus selbst gesprochen (219ndash222) der Gedanke wuumlrde alsonicht wegfallen

452bndash454a Die von Teiresias angekuumlndigte Entwicklung dassder Moumlrder (sc Oumldipus) uumlber die Erkenntnis Thebaner zu seinnicht erfreut sein werde (bdquoDoch dann wird er sich als gebuumlrtigerThebaner erweisen und er wird sich nicht freuen uumlber diese Wen-dungldquo) war vorher so deutlich nicht thematisiert worden ist aberin den fruumlheren Aussagen des Teiresias dass Oumldipus der Moumlrder desLaiumlos (362) und seinem Vater Feind sei (415 f) bereits mit erfasst

454bndash456 Wenn Teiresias die Blindheit des Moumlrders und seinBettlerdasein voraussagt (bdquoDenn blind geworden aus einem Sehen-den und ein Bettler statt eines Beguumlterten wird er im fremden Landumherziehen den Boden vor sich mit dem Stab ertastendldquo) soentspricht diese Zukunftsperspektive in ihrem inhaltlichen Gehaltder Aussage von vv 372 f wo auf die Bemerkung des Oumldipus Tei-resias sei blind dieser entgegnet bdquoUnd du erbaumlrmlich der du michdamit schmaumlhst womit dich ein jeder hier schon bald schmaumlhenwirdldquo29 und vv 417ndash419 bdquound doppelt treffend wird deiner Mut-ter und deines Vaters Fluch dich einst aus diesem Lande treiben mitfuumlrchterlichem Schritt dich der du jetzt noch richtig siehst dannaber Finsternisldquo30 Hier ist nicht ausdruumlcklich vom Status einesBettlers die Rede aber einen elenden Zustand sagt ihm Teiresias daschon voraus

457ndash460a bdquoUnd es wird offenbar Seinen Kindern mit denener zusammen lebt ist er Bruder zugleich und Vater und der Frauvon der er stammt Sohn und Gatte und mit dem Vater teilt er die

28) (Τε) ς Oντι γς τσδrsquo νοσ μι3στορι (353) und (Τε) φονα σ φημιτνδρ+ς ο9 ζητες κυρεν (362)

29) (Τε) σD δrsquo θλις γε τα1τrsquo νειδζων U σο οampδες 2ς οampχ τ5νδrsquo νει-διε τ3χα

30) (Τε) κα σrsquo μφιπλ=ξ μητρς τε κα το1 σο1 πατρ+ς λC ποτrsquo κ γςτσδε δεινπους ρ3 βλποντα ν1ν μEν Oρθrsquo πειτα δE σκτον

139Wann verlaumlsst Oumldipus die Buumlhne

Frau und ist sein Moumlrderldquo Dass in der Sache die Hinweise auf denInzest bereits im Dialog zwischen Oumldipus und Teiresias gegebensind wurde bereits besprochen sie sind allerdings weniger deutlichformuliert Zu vergleichen sind vor allem die vv 422ndash425 bdquo wenn du deiner Ehe gewahr geworden bist in deren Hafen woman nicht ankern kann du in deinem Haus nach gluumlcklicher Fahrteingelaufen bist Und die Menge anderer schlimmer Dinge nimmstdu nicht wahr die dich dir und deinen Kindern gleichmachen wer-denldquo31 Auszligerdem vv 366 f bdquoDir ist verborgen sag ich dass du mitdenen die dir am naumlchsten sind aufs schaumlndlichste zusammenlebst und du siehst auch nicht das Unheil in dem du dich befin-destldquo32 und vv 414ndash416 (Du siehst nicht) bdquowo du wohnst nochmit wem du zusammenlebst ndash weiszligt du von wem du stammst Esist dir verborgen dass du Feind bist den Deinen unten und denenoben auf der Erdeldquo33

462 Teiresiasrsquo siegesgewisse Schlussbemerkung (bdquodann sagedass ich nichts verstehe von der Seherkunstldquo) ist eine Antwort aufden von Oumldipus in den vv 395 f gegenuumlber Teiresias erhobenenVorwurf bdquoDie (sc die Seherkunst) du wie sich zeigte weder vonden Voumlgeln noch von einem der Goumltter als Erkenntnis hastldquo34 Die-se Antwort ist inhaltlich in Teiresiasrsquo fruumlherer Aussage er habe dieKraft der Wahrheit in sich (356) schon vorweggenommen

Nach dieser Durchsicht laumlsst sich feststellen Die Schlussrededes Teiresias ist zwar im Effekt vielleicht bdquoa moment of tense theatrical horrorldquo35 aber in ihrem Aussagewert eine konzentrierteund verdeutlichende Zusammenstellung von Informationen diezuvor verstreut und zT verraumltselter aber dem aufmerksamen Zu-schauer aufgrund seines Vorwissens durchaus nicht unverstaumlndlichgegeben wurden oder von ihm zu erschlieszligen waren Man kannsich daher fragen warum Sophokles neben den mehr oder wenigerandeutenden Hinweisen noch eine solche intensivierende Wieder-

31) (Τε) 0ταν κατασθK τ+ν Fμναιον 2ν δμοις νορμον εσπλευσαςεampπλοας τυχNν λλων δE πλθος οampκ παισθ3νK κακ5ν W σX ξισNσει σο τεκα τος σος τκνοις

32) (Τε) λεληθναι σ φημι σDν τος φιλτ3τοις αJσχισθrsquo Iμιλο1ντrsquo οampδrsquoIρYν Zνrsquo εlt κακο1

33) (Τε) (οamp βλπεις) νθα ναεις οampδrsquo 0των οκες μτα ndash [ρrsquo οltσθrsquo φrsquo(ν εlt κα λληθας χθρ+ς ν τος σοσιν αampτο1 νρθε κπ γς νω

34) (Οδ) ]ν οQτrsquo πrsquo οων5ν σD προampφ3νης χων οQτrsquo κ θε5ν του γνωτν35) Dawe (wie Anm 3) 9

140 Bernd Manuwald

aufnahme (einen bdquoSammelspruchldquo wie sich Schoumlll ausdruumlckte) fuumlrnoumltig gehalten haben sollte wobei er ndash und darauf kommt es an ndashohne Not Widerspruumlche und Unwahrscheinlichkeiten in derZeichnung des Teiresias des Oumldipus und des Chores in Kauf ge-nommen haumltte36 Sollte man da nicht eher das Werk eines Interpo-lators im Zusammenhang mit einer Wiederauffuumlhrung der Tragouml-die vermuten Dieser koumlnnte den umherziehenden mittellosenOumldipus den sbquoBettlerlsquo aus dem Oumldipus auf Kolonos entnommen ha-ben und haumltte sich fuumlr die Formulierungen des Inzestvorwurfsdurch spaumltere Stellen im Koumlnig Oumldipus anregen lassen wo Oumldipusals ihm alles klar ist sagt bdquoO ihr Ehen Ehen ihr brachtet uns her-vor und nachdem ihr uns hervorgebracht lieszliget ihr wiederumdenselben Samen aufgehen und offenbartet (der Welt) Vaumlter alsBruumlder Soumlhne als Ursache vergossenen Verwandtenbluts Braumluteals Frauen und Muumltter ldquo (1403ndash1407)37

Als Motivation des Interpolators ndash vielleicht eines Schauspie-lers ndash kann man sich vorstellen dass er mit seinem Zusatz die sotheaterwirksamen Diskrepanzen zwischen dem sehenden Oumldipusder die Aumluszligerungen des Teiresias in ihrer Relevanz fuumlr sich selbstnicht erkennt und dem Blinden der alles weiszlig einerseits und demmit dem Stoff vertrauten Zuschauer andererseits uumlber das Vorhan-dene hinaus ausdehnen und steigern wollte Demgegenuumlber koumlnn-ten ihm die sich durch die Einfuumlgung der Rede ergebenden Inkon-gruenzen falls sie ihm bewusst geworden sein sollten als wenigergewichtig erschienen sein Indem das markante πειμι des sehrwahrscheinlich noch echten Verses 444 als Stichwort fuumlr die an -schlieszligende Rede fungiert (πειμX 447) wird jedenfalls aumluszligerlichein glatter Uumlbergang erreicht

Geht man davon aus dass die vv 447ndash462 urspruumlnglich nichtvorhanden waren ergibt sich fuumlr die Zuschauer das Bild eines Oumldipus der in der Teiresias-Szene trotz seiner Auseinanderset-zung mit dem Seher ndash von einer kurzen Verunsicherung als seineEltern zur Sprache kommen abgesehen ndash noch von keinerlei Zwei-feln befallen38 und entsprechend selbstsicher in seiner Machtposi-

36) Vgl auch Schoumlll (wie Anm 2) 95ndash9837) _ γ3μοι γ3μοι φσαθrsquo AμYς κα φυτεσαντες π3λιν νετε ταampτ+ν

σπρμα κπεδεξατε πατρας δελφος παδας α`μrsquo μφλιον νμφας γυ-νακας μητρας τε

38) So auch Knox (wie Anm 2) 326

141Wann verlaumlsst Oumldipus die Buumlhne

tion ist So tritt er auch noch in der Kreon-Szene auf als er Kreonden er der Intrige gegen sich verdaumlchtigt toumlten oder verbannen will(623 641) Erst als Iokaste den sbquoDreiweglsquo erwaumlhnt (716) und Oumldi-pus befuumlrchtet Teiresias koumlnne ihn doch zu Recht des Mordes anLaiumlos beschuldigt haben (747) erscheint er in seiner Sicherheit er-schuumlttert und ist motiviert Nachforschungen hinsichtlich seinereigenen Taumlterschaft anzustellen Haumltte Oumldipus die Rede des Teire-sias zur Gaumlnze gehoumlrt ndash und darauf ist die Rede zweifellos angelegtwenn Oumldipus am Ende noch einmal ausdruumlcklich angesprochenwird ndash und unwidersprochen hingenommen wuumlrde beim Zu-schauer schon hier der Eindruck entstehen Oumldipus gebe sich ge-genuumlber Teiresias geschlagen Der sich in der Mitte der Tragoumldieabzeichnende Umbruch waumlre nicht mehr so herausgehoben

Es spricht also viel dafuumlr dass die vv 447ndash462 unecht sind undOumldipus und Teiresias nach v 446 gleichzeitig die Buumlhne verlassender eine in sein Haus der andere in die Stadt

Koumlln Bernd Manuwald

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137Wann verlaumlsst Oumldipus die Buumlhne

ihn sehnlichst erwartet hatte Und die Willensaumluszligerung des Blin-den gegenuumlber dem Jungen der ihn fuumlhren soll ist ein deutlichesdramaturgisches Signal

Tilgt man gemaumlszlig dem Vorschlag von Schoumlll die vv 447ndash462also die gesamte Rede des Teiresias loumlsen sich die genannten mitdieser Textstelle verbundenen Probleme Waumlre das auf die Teire-sias-Szene folgende Chorlied (463 ff) im Anschluss an v 446 uumlber-liefert so haumltte wohl kein Philologe eine Luumlcke postuliert eherfestgestellt wie folgerichtig sich das abrupte und unversoumlhnlicheEnde als Gegenstuumlck zum Beginn der Szene aus der heillosen Ent-zweiung ergibt die sich im Laufe des Gespraumlchs entwickelt hatte

Nun wuumlrde man kein Textstuumlck nur deswegen athetieren weiles im Ganzen verzichtbar erscheint sondern der Grund sind diegenannten Probleme Allerdings ist auch zu pruumlfen ob der Texteinzelne Elemente enthaumllt die bei naumlherem Zusehen unverzichtbarerscheinen indem sie gegenuumlber dem im Dialog zwischen Teiresiasund Oumldipus Gesagten eine fuumlr das Drama wesentliche weitere Information bieten oder ob es sich um Gedanken handelt die alsWiederholungen oder Ausgestaltungen keine tragende Funktionfuumlr das Drama haben

Geht man die Verse der Rede unter diesem Gesichtspunktdurch zeigt sich folgender Befund

447bndash448 Die Ankuumlndigung des Teiresias sich furchtlosaumluszligern zu wollen (bdquoohne Furcht vor deinem [zornigen] Gesichtdenn in keiner Weise kannst du mich vernichtenldquo)26 entspricht inder Sache bdquoWenn du auch Koumlnig bist so muss so weit Gleichheitherrschen in gleicher Weise zu erwidern dazu habe auch ich dieMacht Denn nicht fuumlr dich als Diener lebe ich sondern fuumlr Loxiasldquo(408ndash410)27 Auszligerdem hatte Teiresias bereits in den vv 356 und369 auf seine im Besitz der Wahrheit beruhende Staumlrke und damitseine Unangreifbarkeit gepocht

449ndash452a Teiresiasrsquo klare Aussagen dass der Moumlrder desLaiumlos sbquohierlsquo und kein Einheimischer sei (bdquoUnd ich sage dir DieserMann den du die ganze Zeit suchst drohend und verkuumlndend eineUntersuchung des Mordes an Laiumlos der ist hier ein Fremder wie

26) Fuumlr den griechischen Text der Zitate aus Teiresiasrsquo abschlieszligender Redesiehe oben S 129

27) (Τε) ε κα τυραννες ξισωτον τ+ γο1ν Jσrsquo ντιλξαιmiddot το1δε γ-ρ κγκρατ5 οamp γ3ρ τι σο ζ5 δο1λος λλ- ΛοξTmiddot

138 Bernd Manuwald

man sagt der hier wohntldquo) sind was den ersten Punkt angeht inBeziehung zu bringen mit seinen fruumlheren Angaben (353 bdquodenn du bist es dieses Landes unreiner Befleckerldquo und 362 bdquoDu bist der Moumlrder sag ich des Mannes dessen Moumlrder du suchstldquo)28 in denen das Vor-Ort-Sein des Moumlrders impliziert ist wenn dies auch von Oumldipus nicht durchschaut wird ndash Von sich als Fremden(Korinther) der jetzt zu den Buumlrgen zaumlhlt hatte an fruumlherer StelleOumldipus selbst gesprochen (219ndash222) der Gedanke wuumlrde alsonicht wegfallen

452bndash454a Die von Teiresias angekuumlndigte Entwicklung dassder Moumlrder (sc Oumldipus) uumlber die Erkenntnis Thebaner zu seinnicht erfreut sein werde (bdquoDoch dann wird er sich als gebuumlrtigerThebaner erweisen und er wird sich nicht freuen uumlber diese Wen-dungldquo) war vorher so deutlich nicht thematisiert worden ist aberin den fruumlheren Aussagen des Teiresias dass Oumldipus der Moumlrder desLaiumlos (362) und seinem Vater Feind sei (415 f) bereits mit erfasst

454bndash456 Wenn Teiresias die Blindheit des Moumlrders und seinBettlerdasein voraussagt (bdquoDenn blind geworden aus einem Sehen-den und ein Bettler statt eines Beguumlterten wird er im fremden Landumherziehen den Boden vor sich mit dem Stab ertastendldquo) soentspricht diese Zukunftsperspektive in ihrem inhaltlichen Gehaltder Aussage von vv 372 f wo auf die Bemerkung des Oumldipus Tei-resias sei blind dieser entgegnet bdquoUnd du erbaumlrmlich der du michdamit schmaumlhst womit dich ein jeder hier schon bald schmaumlhenwirdldquo29 und vv 417ndash419 bdquound doppelt treffend wird deiner Mut-ter und deines Vaters Fluch dich einst aus diesem Lande treiben mitfuumlrchterlichem Schritt dich der du jetzt noch richtig siehst dannaber Finsternisldquo30 Hier ist nicht ausdruumlcklich vom Status einesBettlers die Rede aber einen elenden Zustand sagt ihm Teiresias daschon voraus

457ndash460a bdquoUnd es wird offenbar Seinen Kindern mit denener zusammen lebt ist er Bruder zugleich und Vater und der Frauvon der er stammt Sohn und Gatte und mit dem Vater teilt er die

28) (Τε) ς Oντι γς τσδrsquo νοσ μι3στορι (353) und (Τε) φονα σ φημιτνδρ+ς ο9 ζητες κυρεν (362)

29) (Τε) σD δrsquo θλις γε τα1τrsquo νειδζων U σο οampδες 2ς οampχ τ5νδrsquo νει-διε τ3χα

30) (Τε) κα σrsquo μφιπλ=ξ μητρς τε κα το1 σο1 πατρ+ς λC ποτrsquo κ γςτσδε δεινπους ρ3 βλποντα ν1ν μEν Oρθrsquo πειτα δE σκτον

139Wann verlaumlsst Oumldipus die Buumlhne

Frau und ist sein Moumlrderldquo Dass in der Sache die Hinweise auf denInzest bereits im Dialog zwischen Oumldipus und Teiresias gegebensind wurde bereits besprochen sie sind allerdings weniger deutlichformuliert Zu vergleichen sind vor allem die vv 422ndash425 bdquo wenn du deiner Ehe gewahr geworden bist in deren Hafen woman nicht ankern kann du in deinem Haus nach gluumlcklicher Fahrteingelaufen bist Und die Menge anderer schlimmer Dinge nimmstdu nicht wahr die dich dir und deinen Kindern gleichmachen wer-denldquo31 Auszligerdem vv 366 f bdquoDir ist verborgen sag ich dass du mitdenen die dir am naumlchsten sind aufs schaumlndlichste zusammenlebst und du siehst auch nicht das Unheil in dem du dich befin-destldquo32 und vv 414ndash416 (Du siehst nicht) bdquowo du wohnst nochmit wem du zusammenlebst ndash weiszligt du von wem du stammst Esist dir verborgen dass du Feind bist den Deinen unten und denenoben auf der Erdeldquo33

462 Teiresiasrsquo siegesgewisse Schlussbemerkung (bdquodann sagedass ich nichts verstehe von der Seherkunstldquo) ist eine Antwort aufden von Oumldipus in den vv 395 f gegenuumlber Teiresias erhobenenVorwurf bdquoDie (sc die Seherkunst) du wie sich zeigte weder vonden Voumlgeln noch von einem der Goumltter als Erkenntnis hastldquo34 Die-se Antwort ist inhaltlich in Teiresiasrsquo fruumlherer Aussage er habe dieKraft der Wahrheit in sich (356) schon vorweggenommen

Nach dieser Durchsicht laumlsst sich feststellen Die Schlussrededes Teiresias ist zwar im Effekt vielleicht bdquoa moment of tense theatrical horrorldquo35 aber in ihrem Aussagewert eine konzentrierteund verdeutlichende Zusammenstellung von Informationen diezuvor verstreut und zT verraumltselter aber dem aufmerksamen Zu-schauer aufgrund seines Vorwissens durchaus nicht unverstaumlndlichgegeben wurden oder von ihm zu erschlieszligen waren Man kannsich daher fragen warum Sophokles neben den mehr oder wenigerandeutenden Hinweisen noch eine solche intensivierende Wieder-

31) (Τε) 0ταν κατασθK τ+ν Fμναιον 2ν δμοις νορμον εσπλευσαςεampπλοας τυχNν λλων δE πλθος οampκ παισθ3νK κακ5ν W σX ξισNσει σο τεκα τος σος τκνοις

32) (Τε) λεληθναι σ φημι σDν τος φιλτ3τοις αJσχισθrsquo Iμιλο1ντrsquo οampδrsquoIρYν Zνrsquo εlt κακο1

33) (Τε) (οamp βλπεις) νθα ναεις οampδrsquo 0των οκες μτα ndash [ρrsquo οltσθrsquo φrsquo(ν εlt κα λληθας χθρ+ς ν τος σοσιν αampτο1 νρθε κπ γς νω

34) (Οδ) ]ν οQτrsquo πrsquo οων5ν σD προampφ3νης χων οQτrsquo κ θε5ν του γνωτν35) Dawe (wie Anm 3) 9

140 Bernd Manuwald

aufnahme (einen bdquoSammelspruchldquo wie sich Schoumlll ausdruumlckte) fuumlrnoumltig gehalten haben sollte wobei er ndash und darauf kommt es an ndashohne Not Widerspruumlche und Unwahrscheinlichkeiten in derZeichnung des Teiresias des Oumldipus und des Chores in Kauf ge-nommen haumltte36 Sollte man da nicht eher das Werk eines Interpo-lators im Zusammenhang mit einer Wiederauffuumlhrung der Tragouml-die vermuten Dieser koumlnnte den umherziehenden mittellosenOumldipus den sbquoBettlerlsquo aus dem Oumldipus auf Kolonos entnommen ha-ben und haumltte sich fuumlr die Formulierungen des Inzestvorwurfsdurch spaumltere Stellen im Koumlnig Oumldipus anregen lassen wo Oumldipusals ihm alles klar ist sagt bdquoO ihr Ehen Ehen ihr brachtet uns her-vor und nachdem ihr uns hervorgebracht lieszliget ihr wiederumdenselben Samen aufgehen und offenbartet (der Welt) Vaumlter alsBruumlder Soumlhne als Ursache vergossenen Verwandtenbluts Braumluteals Frauen und Muumltter ldquo (1403ndash1407)37

Als Motivation des Interpolators ndash vielleicht eines Schauspie-lers ndash kann man sich vorstellen dass er mit seinem Zusatz die sotheaterwirksamen Diskrepanzen zwischen dem sehenden Oumldipusder die Aumluszligerungen des Teiresias in ihrer Relevanz fuumlr sich selbstnicht erkennt und dem Blinden der alles weiszlig einerseits und demmit dem Stoff vertrauten Zuschauer andererseits uumlber das Vorhan-dene hinaus ausdehnen und steigern wollte Demgegenuumlber koumlnn-ten ihm die sich durch die Einfuumlgung der Rede ergebenden Inkon-gruenzen falls sie ihm bewusst geworden sein sollten als wenigergewichtig erschienen sein Indem das markante πειμι des sehrwahrscheinlich noch echten Verses 444 als Stichwort fuumlr die an -schlieszligende Rede fungiert (πειμX 447) wird jedenfalls aumluszligerlichein glatter Uumlbergang erreicht

Geht man davon aus dass die vv 447ndash462 urspruumlnglich nichtvorhanden waren ergibt sich fuumlr die Zuschauer das Bild eines Oumldipus der in der Teiresias-Szene trotz seiner Auseinanderset-zung mit dem Seher ndash von einer kurzen Verunsicherung als seineEltern zur Sprache kommen abgesehen ndash noch von keinerlei Zwei-feln befallen38 und entsprechend selbstsicher in seiner Machtposi-

36) Vgl auch Schoumlll (wie Anm 2) 95ndash9837) _ γ3μοι γ3μοι φσαθrsquo AμYς κα φυτεσαντες π3λιν νετε ταampτ+ν

σπρμα κπεδεξατε πατρας δελφος παδας α`μrsquo μφλιον νμφας γυ-νακας μητρας τε

38) So auch Knox (wie Anm 2) 326

141Wann verlaumlsst Oumldipus die Buumlhne

tion ist So tritt er auch noch in der Kreon-Szene auf als er Kreonden er der Intrige gegen sich verdaumlchtigt toumlten oder verbannen will(623 641) Erst als Iokaste den sbquoDreiweglsquo erwaumlhnt (716) und Oumldi-pus befuumlrchtet Teiresias koumlnne ihn doch zu Recht des Mordes anLaiumlos beschuldigt haben (747) erscheint er in seiner Sicherheit er-schuumlttert und ist motiviert Nachforschungen hinsichtlich seinereigenen Taumlterschaft anzustellen Haumltte Oumldipus die Rede des Teire-sias zur Gaumlnze gehoumlrt ndash und darauf ist die Rede zweifellos angelegtwenn Oumldipus am Ende noch einmal ausdruumlcklich angesprochenwird ndash und unwidersprochen hingenommen wuumlrde beim Zu-schauer schon hier der Eindruck entstehen Oumldipus gebe sich ge-genuumlber Teiresias geschlagen Der sich in der Mitte der Tragoumldieabzeichnende Umbruch waumlre nicht mehr so herausgehoben

Es spricht also viel dafuumlr dass die vv 447ndash462 unecht sind undOumldipus und Teiresias nach v 446 gleichzeitig die Buumlhne verlassender eine in sein Haus der andere in die Stadt

Koumlln Bernd Manuwald

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138 Bernd Manuwald

man sagt der hier wohntldquo) sind was den ersten Punkt angeht inBeziehung zu bringen mit seinen fruumlheren Angaben (353 bdquodenn du bist es dieses Landes unreiner Befleckerldquo und 362 bdquoDu bist der Moumlrder sag ich des Mannes dessen Moumlrder du suchstldquo)28 in denen das Vor-Ort-Sein des Moumlrders impliziert ist wenn dies auch von Oumldipus nicht durchschaut wird ndash Von sich als Fremden(Korinther) der jetzt zu den Buumlrgen zaumlhlt hatte an fruumlherer StelleOumldipus selbst gesprochen (219ndash222) der Gedanke wuumlrde alsonicht wegfallen

452bndash454a Die von Teiresias angekuumlndigte Entwicklung dassder Moumlrder (sc Oumldipus) uumlber die Erkenntnis Thebaner zu seinnicht erfreut sein werde (bdquoDoch dann wird er sich als gebuumlrtigerThebaner erweisen und er wird sich nicht freuen uumlber diese Wen-dungldquo) war vorher so deutlich nicht thematisiert worden ist aberin den fruumlheren Aussagen des Teiresias dass Oumldipus der Moumlrder desLaiumlos (362) und seinem Vater Feind sei (415 f) bereits mit erfasst

454bndash456 Wenn Teiresias die Blindheit des Moumlrders und seinBettlerdasein voraussagt (bdquoDenn blind geworden aus einem Sehen-den und ein Bettler statt eines Beguumlterten wird er im fremden Landumherziehen den Boden vor sich mit dem Stab ertastendldquo) soentspricht diese Zukunftsperspektive in ihrem inhaltlichen Gehaltder Aussage von vv 372 f wo auf die Bemerkung des Oumldipus Tei-resias sei blind dieser entgegnet bdquoUnd du erbaumlrmlich der du michdamit schmaumlhst womit dich ein jeder hier schon bald schmaumlhenwirdldquo29 und vv 417ndash419 bdquound doppelt treffend wird deiner Mut-ter und deines Vaters Fluch dich einst aus diesem Lande treiben mitfuumlrchterlichem Schritt dich der du jetzt noch richtig siehst dannaber Finsternisldquo30 Hier ist nicht ausdruumlcklich vom Status einesBettlers die Rede aber einen elenden Zustand sagt ihm Teiresias daschon voraus

457ndash460a bdquoUnd es wird offenbar Seinen Kindern mit denener zusammen lebt ist er Bruder zugleich und Vater und der Frauvon der er stammt Sohn und Gatte und mit dem Vater teilt er die

28) (Τε) ς Oντι γς τσδrsquo νοσ μι3στορι (353) und (Τε) φονα σ φημιτνδρ+ς ο9 ζητες κυρεν (362)

29) (Τε) σD δrsquo θλις γε τα1τrsquo νειδζων U σο οampδες 2ς οampχ τ5νδrsquo νει-διε τ3χα

30) (Τε) κα σrsquo μφιπλ=ξ μητρς τε κα το1 σο1 πατρ+ς λC ποτrsquo κ γςτσδε δεινπους ρ3 βλποντα ν1ν μEν Oρθrsquo πειτα δE σκτον

139Wann verlaumlsst Oumldipus die Buumlhne

Frau und ist sein Moumlrderldquo Dass in der Sache die Hinweise auf denInzest bereits im Dialog zwischen Oumldipus und Teiresias gegebensind wurde bereits besprochen sie sind allerdings weniger deutlichformuliert Zu vergleichen sind vor allem die vv 422ndash425 bdquo wenn du deiner Ehe gewahr geworden bist in deren Hafen woman nicht ankern kann du in deinem Haus nach gluumlcklicher Fahrteingelaufen bist Und die Menge anderer schlimmer Dinge nimmstdu nicht wahr die dich dir und deinen Kindern gleichmachen wer-denldquo31 Auszligerdem vv 366 f bdquoDir ist verborgen sag ich dass du mitdenen die dir am naumlchsten sind aufs schaumlndlichste zusammenlebst und du siehst auch nicht das Unheil in dem du dich befin-destldquo32 und vv 414ndash416 (Du siehst nicht) bdquowo du wohnst nochmit wem du zusammenlebst ndash weiszligt du von wem du stammst Esist dir verborgen dass du Feind bist den Deinen unten und denenoben auf der Erdeldquo33

462 Teiresiasrsquo siegesgewisse Schlussbemerkung (bdquodann sagedass ich nichts verstehe von der Seherkunstldquo) ist eine Antwort aufden von Oumldipus in den vv 395 f gegenuumlber Teiresias erhobenenVorwurf bdquoDie (sc die Seherkunst) du wie sich zeigte weder vonden Voumlgeln noch von einem der Goumltter als Erkenntnis hastldquo34 Die-se Antwort ist inhaltlich in Teiresiasrsquo fruumlherer Aussage er habe dieKraft der Wahrheit in sich (356) schon vorweggenommen

Nach dieser Durchsicht laumlsst sich feststellen Die Schlussrededes Teiresias ist zwar im Effekt vielleicht bdquoa moment of tense theatrical horrorldquo35 aber in ihrem Aussagewert eine konzentrierteund verdeutlichende Zusammenstellung von Informationen diezuvor verstreut und zT verraumltselter aber dem aufmerksamen Zu-schauer aufgrund seines Vorwissens durchaus nicht unverstaumlndlichgegeben wurden oder von ihm zu erschlieszligen waren Man kannsich daher fragen warum Sophokles neben den mehr oder wenigerandeutenden Hinweisen noch eine solche intensivierende Wieder-

31) (Τε) 0ταν κατασθK τ+ν Fμναιον 2ν δμοις νορμον εσπλευσαςεampπλοας τυχNν λλων δE πλθος οampκ παισθ3νK κακ5ν W σX ξισNσει σο τεκα τος σος τκνοις

32) (Τε) λεληθναι σ φημι σDν τος φιλτ3τοις αJσχισθrsquo Iμιλο1ντrsquo οampδrsquoIρYν Zνrsquo εlt κακο1

33) (Τε) (οamp βλπεις) νθα ναεις οampδrsquo 0των οκες μτα ndash [ρrsquo οltσθrsquo φrsquo(ν εlt κα λληθας χθρ+ς ν τος σοσιν αampτο1 νρθε κπ γς νω

34) (Οδ) ]ν οQτrsquo πrsquo οων5ν σD προampφ3νης χων οQτrsquo κ θε5ν του γνωτν35) Dawe (wie Anm 3) 9

140 Bernd Manuwald

aufnahme (einen bdquoSammelspruchldquo wie sich Schoumlll ausdruumlckte) fuumlrnoumltig gehalten haben sollte wobei er ndash und darauf kommt es an ndashohne Not Widerspruumlche und Unwahrscheinlichkeiten in derZeichnung des Teiresias des Oumldipus und des Chores in Kauf ge-nommen haumltte36 Sollte man da nicht eher das Werk eines Interpo-lators im Zusammenhang mit einer Wiederauffuumlhrung der Tragouml-die vermuten Dieser koumlnnte den umherziehenden mittellosenOumldipus den sbquoBettlerlsquo aus dem Oumldipus auf Kolonos entnommen ha-ben und haumltte sich fuumlr die Formulierungen des Inzestvorwurfsdurch spaumltere Stellen im Koumlnig Oumldipus anregen lassen wo Oumldipusals ihm alles klar ist sagt bdquoO ihr Ehen Ehen ihr brachtet uns her-vor und nachdem ihr uns hervorgebracht lieszliget ihr wiederumdenselben Samen aufgehen und offenbartet (der Welt) Vaumlter alsBruumlder Soumlhne als Ursache vergossenen Verwandtenbluts Braumluteals Frauen und Muumltter ldquo (1403ndash1407)37

Als Motivation des Interpolators ndash vielleicht eines Schauspie-lers ndash kann man sich vorstellen dass er mit seinem Zusatz die sotheaterwirksamen Diskrepanzen zwischen dem sehenden Oumldipusder die Aumluszligerungen des Teiresias in ihrer Relevanz fuumlr sich selbstnicht erkennt und dem Blinden der alles weiszlig einerseits und demmit dem Stoff vertrauten Zuschauer andererseits uumlber das Vorhan-dene hinaus ausdehnen und steigern wollte Demgegenuumlber koumlnn-ten ihm die sich durch die Einfuumlgung der Rede ergebenden Inkon-gruenzen falls sie ihm bewusst geworden sein sollten als wenigergewichtig erschienen sein Indem das markante πειμι des sehrwahrscheinlich noch echten Verses 444 als Stichwort fuumlr die an -schlieszligende Rede fungiert (πειμX 447) wird jedenfalls aumluszligerlichein glatter Uumlbergang erreicht

Geht man davon aus dass die vv 447ndash462 urspruumlnglich nichtvorhanden waren ergibt sich fuumlr die Zuschauer das Bild eines Oumldipus der in der Teiresias-Szene trotz seiner Auseinanderset-zung mit dem Seher ndash von einer kurzen Verunsicherung als seineEltern zur Sprache kommen abgesehen ndash noch von keinerlei Zwei-feln befallen38 und entsprechend selbstsicher in seiner Machtposi-

36) Vgl auch Schoumlll (wie Anm 2) 95ndash9837) _ γ3μοι γ3μοι φσαθrsquo AμYς κα φυτεσαντες π3λιν νετε ταampτ+ν

σπρμα κπεδεξατε πατρας δελφος παδας α`μrsquo μφλιον νμφας γυ-νακας μητρας τε

38) So auch Knox (wie Anm 2) 326

141Wann verlaumlsst Oumldipus die Buumlhne

tion ist So tritt er auch noch in der Kreon-Szene auf als er Kreonden er der Intrige gegen sich verdaumlchtigt toumlten oder verbannen will(623 641) Erst als Iokaste den sbquoDreiweglsquo erwaumlhnt (716) und Oumldi-pus befuumlrchtet Teiresias koumlnne ihn doch zu Recht des Mordes anLaiumlos beschuldigt haben (747) erscheint er in seiner Sicherheit er-schuumlttert und ist motiviert Nachforschungen hinsichtlich seinereigenen Taumlterschaft anzustellen Haumltte Oumldipus die Rede des Teire-sias zur Gaumlnze gehoumlrt ndash und darauf ist die Rede zweifellos angelegtwenn Oumldipus am Ende noch einmal ausdruumlcklich angesprochenwird ndash und unwidersprochen hingenommen wuumlrde beim Zu-schauer schon hier der Eindruck entstehen Oumldipus gebe sich ge-genuumlber Teiresias geschlagen Der sich in der Mitte der Tragoumldieabzeichnende Umbruch waumlre nicht mehr so herausgehoben

Es spricht also viel dafuumlr dass die vv 447ndash462 unecht sind undOumldipus und Teiresias nach v 446 gleichzeitig die Buumlhne verlassender eine in sein Haus der andere in die Stadt

Koumlln Bernd Manuwald

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139Wann verlaumlsst Oumldipus die Buumlhne

Frau und ist sein Moumlrderldquo Dass in der Sache die Hinweise auf denInzest bereits im Dialog zwischen Oumldipus und Teiresias gegebensind wurde bereits besprochen sie sind allerdings weniger deutlichformuliert Zu vergleichen sind vor allem die vv 422ndash425 bdquo wenn du deiner Ehe gewahr geworden bist in deren Hafen woman nicht ankern kann du in deinem Haus nach gluumlcklicher Fahrteingelaufen bist Und die Menge anderer schlimmer Dinge nimmstdu nicht wahr die dich dir und deinen Kindern gleichmachen wer-denldquo31 Auszligerdem vv 366 f bdquoDir ist verborgen sag ich dass du mitdenen die dir am naumlchsten sind aufs schaumlndlichste zusammenlebst und du siehst auch nicht das Unheil in dem du dich befin-destldquo32 und vv 414ndash416 (Du siehst nicht) bdquowo du wohnst nochmit wem du zusammenlebst ndash weiszligt du von wem du stammst Esist dir verborgen dass du Feind bist den Deinen unten und denenoben auf der Erdeldquo33

462 Teiresiasrsquo siegesgewisse Schlussbemerkung (bdquodann sagedass ich nichts verstehe von der Seherkunstldquo) ist eine Antwort aufden von Oumldipus in den vv 395 f gegenuumlber Teiresias erhobenenVorwurf bdquoDie (sc die Seherkunst) du wie sich zeigte weder vonden Voumlgeln noch von einem der Goumltter als Erkenntnis hastldquo34 Die-se Antwort ist inhaltlich in Teiresiasrsquo fruumlherer Aussage er habe dieKraft der Wahrheit in sich (356) schon vorweggenommen

Nach dieser Durchsicht laumlsst sich feststellen Die Schlussrededes Teiresias ist zwar im Effekt vielleicht bdquoa moment of tense theatrical horrorldquo35 aber in ihrem Aussagewert eine konzentrierteund verdeutlichende Zusammenstellung von Informationen diezuvor verstreut und zT verraumltselter aber dem aufmerksamen Zu-schauer aufgrund seines Vorwissens durchaus nicht unverstaumlndlichgegeben wurden oder von ihm zu erschlieszligen waren Man kannsich daher fragen warum Sophokles neben den mehr oder wenigerandeutenden Hinweisen noch eine solche intensivierende Wieder-

31) (Τε) 0ταν κατασθK τ+ν Fμναιον 2ν δμοις νορμον εσπλευσαςεampπλοας τυχNν λλων δE πλθος οampκ παισθ3νK κακ5ν W σX ξισNσει σο τεκα τος σος τκνοις

32) (Τε) λεληθναι σ φημι σDν τος φιλτ3τοις αJσχισθrsquo Iμιλο1ντrsquo οampδrsquoIρYν Zνrsquo εlt κακο1

33) (Τε) (οamp βλπεις) νθα ναεις οampδrsquo 0των οκες μτα ndash [ρrsquo οltσθrsquo φrsquo(ν εlt κα λληθας χθρ+ς ν τος σοσιν αampτο1 νρθε κπ γς νω

34) (Οδ) ]ν οQτrsquo πrsquo οων5ν σD προampφ3νης χων οQτrsquo κ θε5ν του γνωτν35) Dawe (wie Anm 3) 9

140 Bernd Manuwald

aufnahme (einen bdquoSammelspruchldquo wie sich Schoumlll ausdruumlckte) fuumlrnoumltig gehalten haben sollte wobei er ndash und darauf kommt es an ndashohne Not Widerspruumlche und Unwahrscheinlichkeiten in derZeichnung des Teiresias des Oumldipus und des Chores in Kauf ge-nommen haumltte36 Sollte man da nicht eher das Werk eines Interpo-lators im Zusammenhang mit einer Wiederauffuumlhrung der Tragouml-die vermuten Dieser koumlnnte den umherziehenden mittellosenOumldipus den sbquoBettlerlsquo aus dem Oumldipus auf Kolonos entnommen ha-ben und haumltte sich fuumlr die Formulierungen des Inzestvorwurfsdurch spaumltere Stellen im Koumlnig Oumldipus anregen lassen wo Oumldipusals ihm alles klar ist sagt bdquoO ihr Ehen Ehen ihr brachtet uns her-vor und nachdem ihr uns hervorgebracht lieszliget ihr wiederumdenselben Samen aufgehen und offenbartet (der Welt) Vaumlter alsBruumlder Soumlhne als Ursache vergossenen Verwandtenbluts Braumluteals Frauen und Muumltter ldquo (1403ndash1407)37

Als Motivation des Interpolators ndash vielleicht eines Schauspie-lers ndash kann man sich vorstellen dass er mit seinem Zusatz die sotheaterwirksamen Diskrepanzen zwischen dem sehenden Oumldipusder die Aumluszligerungen des Teiresias in ihrer Relevanz fuumlr sich selbstnicht erkennt und dem Blinden der alles weiszlig einerseits und demmit dem Stoff vertrauten Zuschauer andererseits uumlber das Vorhan-dene hinaus ausdehnen und steigern wollte Demgegenuumlber koumlnn-ten ihm die sich durch die Einfuumlgung der Rede ergebenden Inkon-gruenzen falls sie ihm bewusst geworden sein sollten als wenigergewichtig erschienen sein Indem das markante πειμι des sehrwahrscheinlich noch echten Verses 444 als Stichwort fuumlr die an -schlieszligende Rede fungiert (πειμX 447) wird jedenfalls aumluszligerlichein glatter Uumlbergang erreicht

Geht man davon aus dass die vv 447ndash462 urspruumlnglich nichtvorhanden waren ergibt sich fuumlr die Zuschauer das Bild eines Oumldipus der in der Teiresias-Szene trotz seiner Auseinanderset-zung mit dem Seher ndash von einer kurzen Verunsicherung als seineEltern zur Sprache kommen abgesehen ndash noch von keinerlei Zwei-feln befallen38 und entsprechend selbstsicher in seiner Machtposi-

36) Vgl auch Schoumlll (wie Anm 2) 95ndash9837) _ γ3μοι γ3μοι φσαθrsquo AμYς κα φυτεσαντες π3λιν νετε ταampτ+ν

σπρμα κπεδεξατε πατρας δελφος παδας α`μrsquo μφλιον νμφας γυ-νακας μητρας τε

38) So auch Knox (wie Anm 2) 326

141Wann verlaumlsst Oumldipus die Buumlhne

tion ist So tritt er auch noch in der Kreon-Szene auf als er Kreonden er der Intrige gegen sich verdaumlchtigt toumlten oder verbannen will(623 641) Erst als Iokaste den sbquoDreiweglsquo erwaumlhnt (716) und Oumldi-pus befuumlrchtet Teiresias koumlnne ihn doch zu Recht des Mordes anLaiumlos beschuldigt haben (747) erscheint er in seiner Sicherheit er-schuumlttert und ist motiviert Nachforschungen hinsichtlich seinereigenen Taumlterschaft anzustellen Haumltte Oumldipus die Rede des Teire-sias zur Gaumlnze gehoumlrt ndash und darauf ist die Rede zweifellos angelegtwenn Oumldipus am Ende noch einmal ausdruumlcklich angesprochenwird ndash und unwidersprochen hingenommen wuumlrde beim Zu-schauer schon hier der Eindruck entstehen Oumldipus gebe sich ge-genuumlber Teiresias geschlagen Der sich in der Mitte der Tragoumldieabzeichnende Umbruch waumlre nicht mehr so herausgehoben

Es spricht also viel dafuumlr dass die vv 447ndash462 unecht sind undOumldipus und Teiresias nach v 446 gleichzeitig die Buumlhne verlassender eine in sein Haus der andere in die Stadt

Koumlln Bernd Manuwald

Page 13: WANN VERLÄSST ÖDIPUS DIE BÜHNE? Zum Schluss der … · 130 Bernd Manuwald ist er Bruder zugleich und Vater, und der Frau, von der er stammt, Sohn und Gatte, und mit dem Vater teilt

140 Bernd Manuwald

aufnahme (einen bdquoSammelspruchldquo wie sich Schoumlll ausdruumlckte) fuumlrnoumltig gehalten haben sollte wobei er ndash und darauf kommt es an ndashohne Not Widerspruumlche und Unwahrscheinlichkeiten in derZeichnung des Teiresias des Oumldipus und des Chores in Kauf ge-nommen haumltte36 Sollte man da nicht eher das Werk eines Interpo-lators im Zusammenhang mit einer Wiederauffuumlhrung der Tragouml-die vermuten Dieser koumlnnte den umherziehenden mittellosenOumldipus den sbquoBettlerlsquo aus dem Oumldipus auf Kolonos entnommen ha-ben und haumltte sich fuumlr die Formulierungen des Inzestvorwurfsdurch spaumltere Stellen im Koumlnig Oumldipus anregen lassen wo Oumldipusals ihm alles klar ist sagt bdquoO ihr Ehen Ehen ihr brachtet uns her-vor und nachdem ihr uns hervorgebracht lieszliget ihr wiederumdenselben Samen aufgehen und offenbartet (der Welt) Vaumlter alsBruumlder Soumlhne als Ursache vergossenen Verwandtenbluts Braumluteals Frauen und Muumltter ldquo (1403ndash1407)37

Als Motivation des Interpolators ndash vielleicht eines Schauspie-lers ndash kann man sich vorstellen dass er mit seinem Zusatz die sotheaterwirksamen Diskrepanzen zwischen dem sehenden Oumldipusder die Aumluszligerungen des Teiresias in ihrer Relevanz fuumlr sich selbstnicht erkennt und dem Blinden der alles weiszlig einerseits und demmit dem Stoff vertrauten Zuschauer andererseits uumlber das Vorhan-dene hinaus ausdehnen und steigern wollte Demgegenuumlber koumlnn-ten ihm die sich durch die Einfuumlgung der Rede ergebenden Inkon-gruenzen falls sie ihm bewusst geworden sein sollten als wenigergewichtig erschienen sein Indem das markante πειμι des sehrwahrscheinlich noch echten Verses 444 als Stichwort fuumlr die an -schlieszligende Rede fungiert (πειμX 447) wird jedenfalls aumluszligerlichein glatter Uumlbergang erreicht

Geht man davon aus dass die vv 447ndash462 urspruumlnglich nichtvorhanden waren ergibt sich fuumlr die Zuschauer das Bild eines Oumldipus der in der Teiresias-Szene trotz seiner Auseinanderset-zung mit dem Seher ndash von einer kurzen Verunsicherung als seineEltern zur Sprache kommen abgesehen ndash noch von keinerlei Zwei-feln befallen38 und entsprechend selbstsicher in seiner Machtposi-

36) Vgl auch Schoumlll (wie Anm 2) 95ndash9837) _ γ3μοι γ3μοι φσαθrsquo AμYς κα φυτεσαντες π3λιν νετε ταampτ+ν

σπρμα κπεδεξατε πατρας δελφος παδας α`μrsquo μφλιον νμφας γυ-νακας μητρας τε

38) So auch Knox (wie Anm 2) 326

141Wann verlaumlsst Oumldipus die Buumlhne

tion ist So tritt er auch noch in der Kreon-Szene auf als er Kreonden er der Intrige gegen sich verdaumlchtigt toumlten oder verbannen will(623 641) Erst als Iokaste den sbquoDreiweglsquo erwaumlhnt (716) und Oumldi-pus befuumlrchtet Teiresias koumlnne ihn doch zu Recht des Mordes anLaiumlos beschuldigt haben (747) erscheint er in seiner Sicherheit er-schuumlttert und ist motiviert Nachforschungen hinsichtlich seinereigenen Taumlterschaft anzustellen Haumltte Oumldipus die Rede des Teire-sias zur Gaumlnze gehoumlrt ndash und darauf ist die Rede zweifellos angelegtwenn Oumldipus am Ende noch einmal ausdruumlcklich angesprochenwird ndash und unwidersprochen hingenommen wuumlrde beim Zu-schauer schon hier der Eindruck entstehen Oumldipus gebe sich ge-genuumlber Teiresias geschlagen Der sich in der Mitte der Tragoumldieabzeichnende Umbruch waumlre nicht mehr so herausgehoben

Es spricht also viel dafuumlr dass die vv 447ndash462 unecht sind undOumldipus und Teiresias nach v 446 gleichzeitig die Buumlhne verlassender eine in sein Haus der andere in die Stadt

Koumlln Bernd Manuwald

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141Wann verlaumlsst Oumldipus die Buumlhne

tion ist So tritt er auch noch in der Kreon-Szene auf als er Kreonden er der Intrige gegen sich verdaumlchtigt toumlten oder verbannen will(623 641) Erst als Iokaste den sbquoDreiweglsquo erwaumlhnt (716) und Oumldi-pus befuumlrchtet Teiresias koumlnne ihn doch zu Recht des Mordes anLaiumlos beschuldigt haben (747) erscheint er in seiner Sicherheit er-schuumlttert und ist motiviert Nachforschungen hinsichtlich seinereigenen Taumlterschaft anzustellen Haumltte Oumldipus die Rede des Teire-sias zur Gaumlnze gehoumlrt ndash und darauf ist die Rede zweifellos angelegtwenn Oumldipus am Ende noch einmal ausdruumlcklich angesprochenwird ndash und unwidersprochen hingenommen wuumlrde beim Zu-schauer schon hier der Eindruck entstehen Oumldipus gebe sich ge-genuumlber Teiresias geschlagen Der sich in der Mitte der Tragoumldieabzeichnende Umbruch waumlre nicht mehr so herausgehoben

Es spricht also viel dafuumlr dass die vv 447ndash462 unecht sind undOumldipus und Teiresias nach v 446 gleichzeitig die Buumlhne verlassender eine in sein Haus der andere in die Stadt

Koumlln Bernd Manuwald