17
Wartberg Verlag W Susanne von Mach Fränkische Weihnachtsgeschichten

Wartberg Verlag · 2020. 9. 16. · Sucht am Weih nachtsbaum die ... junge Griechin, an der Schwelle vom trüben Herbst zum grauen Winter, ein wichtiger Gedenktag, nicht nur in Franken

  • Upload
    others

  • View
    0

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Wartberg Verlag · 2020. 9. 16. · Sucht am Weih nachtsbaum die ... junge Griechin, an der Schwelle vom trüben Herbst zum grauen Winter, ein wichtiger Gedenktag, nicht nur in Franken

War

tber

g Ve

rlag

W

Wartberg VerlagW

Neue Fränkische WeihnachtsgeschichtenWeihnachten ist das Fest der tausend Geschichten. Ein Fest für Herz und Seele, das nie zu Ende erzählt ist. Nach dem erfolg­reichen ersten Band „Fränkische Weihnachtsgeschichten“ gibt es deshalb einen zweiten Band voller zauberhafter Geschichten rund um eines der schönsten, feierlichsten und stimmungs­vollsten Feste des Jahres.

Wer erinnert sich noch an die Klopferzeit? Sucht am Weih­nachtsbaum die Saure Gurke? Oder ist mit Freude beim Pfeffern dabei? Neue, inspirierende Erzählungen rund um Brauchtum, Glauben und Herzenswärme: Das sind die „Neuen Fränkischen Weihnachtsgeschichten“.

Zur AutorinSusanne von Mach, Jahrgang 1979, ist in Franken geboren und aufgewachsen. Sie wohnt am bayerischen Untermain und ar­beitet als freie Journalistin und Autorin. Mehrere Bücher über Aschaffenburg und Franken stammen aus ihrer Feder.

ISBN 978-3-8313-3011-9

€ 1

2,0

0 (

D)

Neue

Frän

kisch

e Weih

nach

tsges

chich

ten

Susanne von Mach

Fränkische Weihnachtsgeschichten

Page 2: Wartberg Verlag · 2020. 9. 16. · Sucht am Weih nachtsbaum die ... junge Griechin, an der Schwelle vom trüben Herbst zum grauen Winter, ein wichtiger Gedenktag, nicht nur in Franken

Susanne von Mach

Fränkische Weihnachtsgeschichten

Page 3: Wartberg Verlag · 2020. 9. 16. · Sucht am Weih nachtsbaum die ... junge Griechin, an der Schwelle vom trüben Herbst zum grauen Winter, ein wichtiger Gedenktag, nicht nur in Franken

Bildnachweis

S. 8 Uta Vogt, S. 13 Loni Geissler, S. 26 Dr. Ute Jäger, S. 33, 36 Susanne Schrödel,

S. 40 Jürgen Eckert, S. 47 u. 49 Nina-Anna Beckmann, S. 52 Tatjana Schweizer,

S. 64, 65, 66 Melanie Bauer, S. 69 Vitus Kramer, S. 71 und 74 Martinshaus,

S. 78 Jürgen Hofmann, S. 43, 59, Susanne von Mach.

Titelbild: ullstein bild

1. Auflage 2020

Alle Rechte vorbehalten, auch die des auszugsweisen Nachdrucks

und der fotomechanischen Wiedergabe.

Satz und Layout: Christiane Zay, Potsdam

Druck: Zimmermann Druck + Verlag GmbH, Balve

Buchbinderische Verarbeitung: Buchbinderei S. R. Büge, Celle

© Wartberg-Verlag GmbH

34281 Gudensberg-Gleichen, Im Wiesental 1

Telefon: 0 56 03 - 9 30 50

www.wartberg-verlag.de

ISBN 978-3-8313-3011-9

Page 4: Wartberg Verlag · 2020. 9. 16. · Sucht am Weih nachtsbaum die ... junge Griechin, an der Schwelle vom trüben Herbst zum grauen Winter, ein wichtiger Gedenktag, nicht nur in Franken

3

Inhalt

Vorwort ................................................................. 4

Da blüht uns was! .................................................. 5

Ein Nikolaus zum Anfassen ................................... 10

Klopfe, klopfe Hammerla! ...................................... 16

Kein Lametta mehr, nirgends ................................. 21

Advent mit der Nachtwächterin ............................. 24

Schwein gehabt! ..................................................... 29

Süße Glücksbringer ................................................ 31

Auf ein Wort ........................................................... 38

Weihnachten, das ganze Jahr ................................ 42

Saure-Gurken-Zeit ................................................. 46

Ein Traum ist wahr geworden ............................... 51

Plätzchen an der Pforte ......................................... 56

Der Baum der Erinnerungen .................................. 58

Geburtstag feiern in Mariabuchen ......................... 61

Franken verbindet ................................................. 64

Fränkischer Advent ............................................... 67

Heiligabend der offenen Tür .................................. 70

Gepfefferte Grüße ................................................... 76

Page 5: Wartberg Verlag · 2020. 9. 16. · Sucht am Weih nachtsbaum die ... junge Griechin, an der Schwelle vom trüben Herbst zum grauen Winter, ein wichtiger Gedenktag, nicht nur in Franken

4

Vorwort

Ich mag den Advent und Weihnachten. Nein, mehr noch.

Ich liebe diese Zeit. Für mich sind die Wochen vor dem

Christfest die schönsten im Jahr, so voller Heimlichkei-

ten, Lichterglanz und Vorfreude auf besondere Tage. Es

war für mich deshalb eine große Freude nach der ers-

ten Veröffentlichung fränkischer Weihnachtsgeschich-

ten erneut auf die Suche zu gehen, um adventlichen

und weihnachtlichen Glanz zu Papier zu bringen.

Dieses Buch ist in Teilen in einer besonderen Zeit ent-

standen. Sich mitten in der Corona-Pandemie mit dem

Christfest zu beschäftigen hatte einen besonderen Reiz.

Weihnachten ist tröstlich, bereichernd und außerge-

wöhnlich, und es ist nie zu Ende erzählt. Ich hoffe,

dass Sie, liebe Leserinnen und Leser, in diesem Buch

den Zauber in neuen Geschichten rund um Advent und

Weihnachten entdecken. Das Brauchgeschehen rund

um den Barbaratag, den Nikolaustag und im Advent,

Handwerkskunst und längst vergangene Kunst, Men-

schen, die Weihnachten genauso lieben wie ich, Klös-

ter, die Traditionen aufrechterhalten: es gibt so viel zu

entdecken, kennenzulernen. Ich wünsche Ihnen viel

Freude damit!

Susanne von Mach

Page 6: Wartberg Verlag · 2020. 9. 16. · Sucht am Weih nachtsbaum die ... junge Griechin, an der Schwelle vom trüben Herbst zum grauen Winter, ein wichtiger Gedenktag, nicht nur in Franken

5

Da blüht uns was!

„Geh in den Garten am Barbaratag. Geh zum kah­len Kirschbaum und sag …

Kurz ist der Tag, grau ist die Zeit. Der Winter be­ginnt, der Frühling ist weit.“

So viele Grundschulkinder in Franken haben Josef Guggen mos’ Adventgedicht auswendig gelernt. Auch ein kleines Mädchen aus dem unterfränkischen Kahlgrund hat sich Ende der 1980er-Jahre die Verse eingeprägt – so nachhaltig, dass sie 30 Jahre später immer noch präsent sind. Es liegt ein Zauber in diesen Zeilen vom neuen Leben, das sich Bahn bricht, eine vorweihnacht-liche Verheißung, denn am Barbaratag ist das Christfest nicht mehr weit.

„Doch in drei Wochen, da wird es gescheh’n: Wir feiern ein Fest wie der Frühling so schön.“

Der Barbaratag am 4. Dezember – Gedenktag für eine junge Griechin, an der Schwelle vom trüben Herbst zum grauen Winter, ein wichtiger Gedenktag, nicht nur in Franken. Barbara, war eine mutige Frau, die sich nicht hat abbringen lassen von ihrem Jesus, die deshalb vom eigenen Vater verraten wurde und für ihren Glauben gestorben ist.

Page 7: Wartberg Verlag · 2020. 9. 16. · Sucht am Weih nachtsbaum die ... junge Griechin, an der Schwelle vom trüben Herbst zum grauen Winter, ein wichtiger Gedenktag, nicht nur in Franken

6

Barbara, die Kaufmannstochter, lebte im 3. Jahrhun-dert in Nikomedia – heute die Stadt Izmit in der Türkei. Zu jener Zeit war Decius Kaiser von Rom und hasste, wie viele seiner Vorgänger und Nachfolger, Christen. Decius aber beließ es nicht bei gelegentlichen Repres-salien. Er war der erste römische Kaiser, der Christen systematisch im gesamten Römischen Reich verfolgen ließ. Gut möglich, dass Barbara das gewusst hat. Doch hatte sie für ihren Jesus derart Feuer gefangen, dass sie sich allen Gefahren zum Trotz taufen ließ. Ihr Vater, der Grieche Dioskoros, war über die Eigenmächtigkeit und Glaubensfestigkeit seiner standhaften Tochter so er-zürnt, dass er sie anzeigte und sogar selbst enthauptet haben soll. Auf dem Weg ins Gefängnis verfing sich, so will es die Legende, ein Kirschzweig im Kleid der jun-gen Frau. Sie stellte ihn in ihrer Zelle in einen Wasser-krug, und just an dem Tag, als sie zum Tode verurteilt wurde, fing der Kirschzweig an zu blühen.

Ob Barbara wirklich gelebt hat, was dran ist an der Le-gende: Man ist sich heute in der Fachwelt mehr als un-sicher. Doch ist das wichtig? Volksglaube und Brauch-tum brauchen keine wissenschaftlichen Belege. Auf das Herz kommt es an. Als eine der 14 Nothelferinnen ist die glaubensfeste Barbara seit Jahrhunderten eine be-deutsame Heilige und wird unter anderem als Beistand für Sterbende angerufen. An ihrem Gedenktag im De-zember Zweige abzuschneiden in der Hoffnung, dass sie bis zum Christfest Blüten treiben, ist ein alter und wunderbarer Brauch. Er ist so tief verwurzelt, dass er zu einem christlich gefeierten Advent ganz einfach da-zugehört.

Page 8: Wartberg Verlag · 2020. 9. 16. · Sucht am Weih nachtsbaum die ... junge Griechin, an der Schwelle vom trüben Herbst zum grauen Winter, ein wichtiger Gedenktag, nicht nur in Franken

7

„Baum, einen Zweig gib du mir von dir!

Ist er auch kahl, ich nehm’ ihn mit mir.“

Kirschzweige an Heiligabend, die in zart weiß-rosaner Pracht vom Frühling künden: Was könnte eindrückli-cher das neue Leben symbolisieren, das in dieser Nacht besonders gefeiert wird. Erwachsene wissen, dass die heimische Wärme die Knospen aufbrechen lässt, doch Herzenswärme gehört auch dazu – und damit genau das, worauf es im Advent und an Weihnachten so sehr ankommt.

In der Erinnerung des kleinen Mädchens erscheint der Dezember trüber, kälter und winterlicher als Jahrzehnte später, schneeverhangen und klirrend kalt die Luft, bei-ßend der Wind in den zarten Wangen, als es die ruhen-den Zweige am Baum mustert. Es tut statt der Kirsche übrigens zum Beispiel auch eine Magnolie oder Forsythie. Aus diesem kahlen Ast soll sich binnen Wochen ein blü-hendes Wunder entfalten? Josef Guggenmos verspricht es ihr, diesen geheimnisvollen Zauber der Weihnacht.

„Und er wird blühen in leuchtender Pracht

mitten im Winter in der Heiligen Nacht.“

So viel erzählt dieser Brauch in der späten Herbstzeit von Hoffnung und Leben, von der Verheißung eines

Page 9: Wartberg Verlag · 2020. 9. 16. · Sucht am Weih nachtsbaum die ... junge Griechin, an der Schwelle vom trüben Herbst zum grauen Winter, ein wichtiger Gedenktag, nicht nur in Franken

8

Neuanfangs. Nur hat es nicht immer ganz so geklappt mit dem Blühen, das weiß das kleine Mädchen noch. Damals hat es nicht gewusst, was Uta Vogt aus dem oberfränkischen Gräfenberg im Dezember 2019 in ih-rem Blog „Utas Glück“ berichtet. „Am besten funktio-niert das Weihnachtswunder mit Zweigen, die schon Frost abbekommen haben. Das ist am 4. Dezember bei uns, in den Höhenlagen der Fränkischen Schweiz, meistens der Fall.“ Die Vogts leben mitten in einem Kirsch anbaugebiet, sie wissen genau, welche Kirsch-gärten noch bewirtschaftet werden (die bleiben natür-lich unangetastet) und welche nicht. „Selbstverständlich schneiden wir unsere Zweige nur von den Kirschbäu-

Die Kirschzweige werden am Barbaratag geschnitten, auf dass sie zu Weihnachten erblühen.

Page 10: Wartberg Verlag · 2020. 9. 16. · Sucht am Weih nachtsbaum die ... junge Griechin, an der Schwelle vom trüben Herbst zum grauen Winter, ein wichtiger Gedenktag, nicht nur in Franken

9

men, die nicht mehr abgeerntet werden und auch hier nur jeweils einen Zweig von einem Baum.“

Zu Hause dürfen die Barbarazweige erst einmal auf-tauen und kommen anschließend einige Stunden in ein warmes Wasserbad. „Dann werden sie mit einem schar-fen Messer an der Schnittstelle etwa drei Zentimeter tief eingeschnitten und in eine Vase mit frischem Wasser gestellt. Das Wasser muss unbedingt regelmäßig ausge-tauscht werden, damit die Barbarazweige auch wirklich zu Weihnachten blühen. Ideal wäre es, die Zweige erst einmal eine Woche in einen kühleren Raum zu stellen, um sie dann erst ins Warme zu bringen.“

Uta Vogt hat das Brauchtum erst kennengelernt, als sie selbst Mama geworden ist und auf der Suche war nach Ritualen, die sich mit Kindern gut pflegen lassen; Ri-tualen, die das Geheimnis der Weihnacht vom Leben, das entsteht, auf eindrückliche Weise offenbaren. Was könnte im Advent besser geeignet sein als die Barba-razweige? Es soll übrigens Glück fürs kommende Jahr bringen, wenn sich die Blüten der Barbarazweige zum Christfest öffnen …

Page 11: Wartberg Verlag · 2020. 9. 16. · Sucht am Weih nachtsbaum die ... junge Griechin, an der Schwelle vom trüben Herbst zum grauen Winter, ein wichtiger Gedenktag, nicht nur in Franken

10

Ein Nikolaus zum Anfassen

Als Karl Geissler im August 2012 stirbt, bekommt seine

Witwe Post von einer jungen Frau. Sie kennt sie gar

nicht so gut, doch ihre Zeilen rühren sie zu Tränen.

Karl Geissler habe ihr in ihrer Kindheit so viel Freude

bereitet, so schreibt die Frau in ihrer Trauerkarte, nie

werde sie vergessen, wie eindrucksvoll er als Nikolaus

gewesen sei. Welch’ dankbare, glückliche Erinnerung.

Karl Geissler war ein Nikolaus, der Eindruck gemacht

hat. 61 Jahre lang hat er in Kleinostheim den Heiligen

Bischof im echten Bischofsgewand gemimt. Viele Gene-

rationen von Kindern haben in dem unterfränkischen

8000-Einwohner-Ort sehnsüchtig auf seinen Besuch

gewartet. Er kam am 6. Dezember, dem Gedenktag des

Heiligen Nikolaus, und an vielen Tagen davor und da-

nach. Denn als Nikolaus war Karl Geissler derart be-

gehrt, dass er unmöglich alle Besuche an einem Tag

schaffen konnte. Einen Gehilfen, einen Ersatzmann gar

hatte er nicht. Den Nikolaus gibt es nur einmal, zumal

einen, wie ihn Karl Geissler dargestellt hat.

Im Gewand des Bischofs von Myra hat er nicht nur Fa-

milien besucht, sondern auch Kindergärten und Schul-

klassen. Er war bei Vereinen, im Krankenhaus, in Un-

Page 12: Wartberg Verlag · 2020. 9. 16. · Sucht am Weih nachtsbaum die ... junge Griechin, an der Schwelle vom trüben Herbst zum grauen Winter, ein wichtiger Gedenktag, nicht nur in Franken

11

ternehmen und auf dem Weihnachtsmarkt – oft den

ganzen Advent über, vier Wochen lang.

Jeden Termin hat Karl Geissler wahrgenommen, wenn

man ihn gefragt hat, denn der Nikolaus zu sein, das

war für den gläubigen Katholiken nicht irgendein Spiel.

Er hat diese Rolle gelebt, und die Botschaft, für die der

Nikolaus steht, die war ihm als bekennenden Christ im-

mer wichtig. Der Kleinostheimer wollte ein liebevoller

und zugewandter Bischof sein, herzlich und vertrau-

enerweckend. Kein Kind sollte Angst haben – rügen

und strafen war seine Sache nicht. Nie. Sein größtes

Anliegen war, den Kindern Freude zu bringen. Gab es

doch einmal Tränen, zog der Nikolaus lieber sein Ge-

wand aus und gab sich zu erkennen. Besonders gern

saß er mitten unter den Kindern, ließ sich an der Hand

nehmen oder ganz Mutige den goldenen Bischofsstab

halten. Alle, die ihn als Nikolaus erlebt haben, haben

diese Güte und Herzlichkeit gespürt. So viele große und

kleine Zuschauer hat er berührt und begeistert.

So passt es zur Legende um den berühmten Heiligen

Bischof Nikolaus, die davon erzählt, wie er die hunger-

leidende Bevölkerung mit Korn von einer Schiffsladung

versorgte oder wie er den armen Kaufmannstöchtern

mit heimlichen Geldspenden die Hochzeit ermöglichte.

Er habe sich immer als Abgesandter des Nikolaus ge-

sehen, erinnerte sich Karl Geisslers Enkelin in einem

Artikel der Regionalzeitung Main-Echo vom November

2004. Es galt, eine Botschaft zu verkünden von Güte

und Freundlichkeit. Das verliert niemals an Aktualität.

Page 13: Wartberg Verlag · 2020. 9. 16. · Sucht am Weih nachtsbaum die ... junge Griechin, an der Schwelle vom trüben Herbst zum grauen Winter, ein wichtiger Gedenktag, nicht nur in Franken

12

Zu seinem Amt kam der Kleinostheimer seinerzeit durch eine quasi „himmlische“ Vermittlung. Karl Geissler war 13 Jahre alt, als Pfarrer Josef Hepp (1892–1974) einen neuen Nikolaus für den Ort suchte. Man schrieb das Jahr 1943, mitten im Krieg. Pfarrer Josef Hepp war bis dahin selbst in die Rolle des Heiligen Bischofs geschlüpft, doch er dachte vielleicht, dass das auch ein anderer gut hin-bekommen würde, dass ein junger Kerl besonders nah dran ist an dem, was Kinder in diesen schwierigen Zei-ten brauchten. Die Botschaft des Heiligen Bischof Niko-laus, verkörpert von einem jungen Mann aus einer Gene-ration, auf der die Hoffnung auf eine bessere, friedliche Zukunft ruhte: Sie war damals, zum Ende des Zweiten Weltkriegs, wohl aktueller denn je.

Pfarrer Hepp wirkte damals bereits seit 15 Jahren in Kleinostheim. Er kannte alle seine Schäfchen persön-lich mit Namen. Seine Wahl fiel auf Karl Geissler. Wa-rum? „Er hat sich immer engagiert, war überall dabei, hat immer alles mitgemacht und nie ‚nein‘ gesagt“, er-innert sich seine Witwe Loni. Ein Jahr lang begleitete Karl Geissler den Pfarrer als Knecht Ruprecht, danach befand der Geistliche, dass der junge Karl seiner ver-antwortungsvollen Aufgabe nun gewachsen sei.

Loni Geissler erinnert sich an viele, viele Besuche, denn oft hat sie ihren Mann begleitet. Besonders romantisch seien die Nikolausfeiern des Spessartbunds am Hexen-häuschen gewesen, erinnert sie sich. Geht man vom Schluchthof aus in Richtung Wald, kommt nach etwa einer Viertelstunde rechterhand die Schutzhütte des früheren Steinbruchs in Sicht. Ein beliebtes Ausflugs-

Page 14: Wartberg Verlag · 2020. 9. 16. · Sucht am Weih nachtsbaum die ... junge Griechin, an der Schwelle vom trüben Herbst zum grauen Winter, ein wichtiger Gedenktag, nicht nur in Franken

13

Karl Geissler ist 61 Jahre lang in Kleinostheim in die Rolle des Nikolaus geschlüpft. Für ihn war es mehr als ein Spiel – er lebte für seine Rolle.

Page 15: Wartberg Verlag · 2020. 9. 16. · Sucht am Weih nachtsbaum die ... junge Griechin, an der Schwelle vom trüben Herbst zum grauen Winter, ein wichtiger Gedenktag, nicht nur in Franken

14

ziel für Familien, allein schon wegen des geheimnis-vollen Namens, der auf dem Türstock der Hütte steht. Am Hexenhäuschen feierte der Spessartbund, ein Wan-derverein, viele Jahre mit Familien ein Nikolausfest mit Lagerfeuer, zu dem der Heilige Bischof mit der Kutsche abgeholt wurde. Ein Film hätte nicht stimmungsvoller sein können.

Vieles hat sich verändert in den Jahrzehnten, in denen Karl Geissler den Nikolaus mimte. Eines aber sei immer gleich geblieben, erinnerte er sich im Zeitungsinterview von 2004: die Freude der Kinder. Der Nikolaustag ist eines der großen Ereignisse in der Vorfreude auf Weih-nachten. Die Spannung ist mit Händen zu greifen: Wird er klopfen? Wann wird er klopfen? Die glänzenden Au-gen, die kaum auszuhaltende Aufregung, die sich bahn-brechende Freude, wenn er dann wirklich, wirklich da ist – man kann verstehen, dass Karl Geissler diesen Zauber Jahr für Jahr aufs Neue spüren wollte.

Er hat sein Amt erst dann aufgegeben, als es nicht mehr anders ging, als die Stimme einfach nicht mehr mitmachte. Am 28. November 2004 stand er zum letzten Mal als Nikolaus auf dem Kleinostheimer Ad-ventsmarkt. Noch einmal war er dort standesgemäß gekleidet. Genauso, wie man sich den Heiligen Bischof vorstellt. Das kommerzielle rote Kitschgewand mit der weißen Puschelborte entsprach nicht seiner Überzeu-gung. Karl Geissler legte sehr viel Wert darauf, den Ni-kolaus als Bischof im Festgewand zu zeigen. Das erste rote Gewand – rot ist in der katholischen Kirche die liturgische Farbe der höchsten Feiertage – hatte noch

Page 16: Wartberg Verlag · 2020. 9. 16. · Sucht am Weih nachtsbaum die ... junge Griechin, an der Schwelle vom trüben Herbst zum grauen Winter, ein wichtiger Gedenktag, nicht nur in Franken

80

Weitere Bücher aus der Region

Wartberg-Verlag GmbH

Im Wiesental 1 | 34281 Gudensberg

www.wartberg-verlag.de

Bücher für Deutschlands Städte und Regionen

Tel. 0 56 03- 93 05 0

Fax 0 56 03-93 05 28

Susanne von MachWahre Heldinnen!Starke Frauen aus Franken64 S., Hardcover, zahlr. BilderISBN 978-3-8313-3213-7

Heidi FruhstorferEcht clever! Erfindungen aus Bayern120 S., Hardcover, zahlr. Farb- u. S/w-Bilder ISBN 978-3-8313-2992-2

Susanne von Mach Fränkische Weihnachts-geschichten80 S., Hardcover, S/w-BilderISBN 978-3-8313-2925-0

Susanne von MachStreifzug durch ein liebens-wertes Land – Geschichten und Anekdoten aus Franken80 S., Hardcover, S/w-BilderISBN 978-3-8313-2971-7

Werner RosenzweigIch will fei nix gsachd hamGeschichten auf Fränkisch80 S., Hardcover, KarikaturenISBN 978-3-8313-3229-8

Page 17: Wartberg Verlag · 2020. 9. 16. · Sucht am Weih nachtsbaum die ... junge Griechin, an der Schwelle vom trüben Herbst zum grauen Winter, ein wichtiger Gedenktag, nicht nur in Franken

War

tber

g Ve

rlag

W

Wartberg VerlagW

Neue Fränkische WeihnachtsgeschichtenWeihnachten ist das Fest der tausend Geschichten. Ein Fest für Herz und Seele, das nie zu Ende erzählt ist. Nach dem erfolg­reichen ersten Band „Fränkische Weihnachtsgeschichten“ gibt es deshalb einen zweiten Band voller zauberhafter Geschichten rund um eines der schönsten, feierlichsten und stimmungs­vollsten Feste des Jahres.

Wer erinnert sich noch an die Klopferzeit? Sucht am Weih­nachtsbaum die Saure Gurke? Oder ist mit Freude beim Pfeffern dabei? Neue, inspirierende Erzählungen rund um Brauchtum, Glauben und Herzenswärme: Das sind die „Neuen Fränkischen Weihnachtsgeschichten“.

Zur AutorinSusanne von Mach, Jahrgang 1979, ist in Franken geboren und aufgewachsen. Sie wohnt am bayerischen Untermain und ar­beitet als freie Journalistin und Autorin. Mehrere Bücher über Aschaffenburg und Franken stammen aus ihrer Feder.

ISBN 978-3-8313-3011-9

€ 1

2,0

0 (

D)

Neue

Frän

kisch

e Weih

nach

tsges

chich

ten

Susanne von Mach

Fränkische Weihnachtsgeschichten