5
Cellulosederivate, von denen viele großindustriell hergestellt werden. An einem Kettenende trägt jedes Cellulosemolekül eine in Form eines cyclischen Halbacetals maskierte Al- dehydgruppe – man spricht vom re- duzierenden Ende. Das andere Ket- tenende ist nicht reduzierend. Bei der Isolierung und Verarbei- tung von Cellulose und ebenso bei der natürlichen Alterung cellulosi- scher Materialien werden Cellulose- ketten geschädigt. Dies geschieht entweder durch Hydrolyse der gly- kosidischen Bindung und damit Ket- tenspaltung oder durch den Einbau oxidierter Funktionalitäten wie Ke- to- und Carboxylgruppen. Im wei- teren können Kettenspaltung und damit Molmasseabbau folgen. Alle Schädigungsformen an Cellulosen lassen sich auf die beiden Vorgänge Oxidation und Hydrolyse zurück- führen. Celluloseanalytik Chemisch ideale Cellulose lässt sich durch ihre Molmasseverteilung eindeutig beschreiben. Zur Ermitt- lung dieses Parameters dient stan- dardmäßig die Größenausschluss- chromatographie (auch Gel-Permea- tions-Chromatographie, GPC) in N,N-Dimethylacetamid/LiCl als Lö- sungsmittel. In der Praxis vorkommende Cel- lulosen enthalten geringe Mengen an oxidierten Gruppen, die ihr che- misches Verhalten, ihre Verarbeit- barkeit und auch die Eigenschaften der cellulosischen Produkte wesent- Cellulose ist die häufigste natürli- che Verbindung und der wichtigste nachwachsende Rohstoff überhaupt. Sie ist vor allem in den Zellwänden höherer Pflanzen enthalten, basiert auf der Photosynthese und wird jährlich in Mengen von 26,5·10 10 Tonnen neu gebildet. Forst-, Möbel- und Teile der Bauindustrie sind ab- hängig von Holz, einem naturopti- mierten Verbundwerkstoff, der Cel- lulose zusammen mit Lignin und Hemicellulosen enthält. Aber auch in reiner Form, durch Holzaufschluss und Bleiche von den Nebenprodukten befreit, ist Cellulo- se fester Bestandteil des mensch- lichen Alltags. Der Großteil heutiger Celluloseprodukte sind Papier und textile Bekleidung. Funktionelle Gruppen der Cellulose Auf den ersten Blick ist Cellulose verblüffend einfach gebaut: Sie ist ein Polysaccharid, ein Homo- polymer aus D-Glucopyranose-Ein- heiten (Anhydroglucose, AGU), die durch b-1,4-glykosidische Bindun- gen zu einem streng linearen Makro- molekül verknüpft sind. Wie alle natürlichen Polysaccha- ride liegt auch Cellulose als ein Ge- misch unterschiedlich langer Ketten vor. Die Verteilung der Kettenlängen und damit der Molmasse hängt stark von der Herkunft der Cellulose und den bei der Gewinnung angewand- ten Verfahren ab. Jede AGU der Cel- lulose trägt drei Hydroxylgruppen an den Positionen 2, 3 und 6. Deren Reaktionen sind die Grundlage für Cellulose wird als Hauptbestandteil von Papier und Textilien seit Jahrtausenden verwendet. Restaurierung und Konservierung wertvoller historischer cellulosischer Objekte gehen mit Neuerungen in der Cellulosechemie und -analytik Hand in Hand. Warum Papier löchrig wird Chemie und Kultur lich beeinflussen. Neben der Mol- masseverteilung bestimmt primär der Gehalt an Carbonyl- und Car- boxylgruppen Weiße und Weißgrad- stabilität von Papier, chemische Sta- bilität in Derivatisierungsreaktionen und mechanische Festigkeit sowie weitere Qualitätsparameter von Cel- Abb. 1. Ein selektiver Fluoreszenzmarker macht die räumliche Verteilung des oxidativen Schadens an historischen Dokumenten sichtbar. Insert oben: Schädigung an der Oberfläche des Papiers. Insert unten: Schädigung im Papierquerschnitt (Dünnschliff) . QUERGELESEN ❯❯ Schäden an Cellulose entstehen durch Oxidation und/oder Hydrolyse. ❯❯ Ein typischer Schaden ist der Tintenfraß, eine Kombination aus einem durch Metallionen indu- zierten, oxidativen und einem säurekatalysierten, hydrolytischen Abbau. ❯❯ Die Molmasseverteilung, ein aussagekräftiger Pa- rameter in der Celluloseanalytik, lässt sich durch Größenausschlusschromatographie bestimmen. ❯❯ Neue Methoden zur Bestimmung des Carbonyl- und Carboxylgehalts von Cellulosen helfen Kon- servatoren bei der Schadensbeurteilung. Nachrichten aus der Chemie | 56 | Juni 2008 | www.gdch.de/nachrichten 635

Warum Papier löchrig wird

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Page 1: Warum Papier löchrig wird

Cellulosederivate, von denen viele großindustriell hergestellt werden. An einem Kettenende trägt jedes Cellulosemolekül eine in Form eines cyclischen Halbacetals maskierte Al-dehydgruppe – man spricht vom re-duzierenden Ende. Das andere Ket-tenende ist nicht reduzierend.

Bei der Isolierung und Verarbei-tung von Cellulose und ebenso bei der natürlichen Alterung cellulosi-scher Materialien werden Cellulose-ketten geschädigt. Dies geschieht entweder durch Hydrolyse der gly-kosidischen Bindung und damit Ket-tenspaltung oder durch den Einbau oxidierter Funktionalitäten wie Ke-to- und Carboxylgruppen. Im wei-teren können Kettenspaltung und damit Molmasseabbau folgen. Alle Schädigungsformen an Cellulosen lassen sich auf die beiden Vorgänge Oxidation und Hydrolyse zurück-führen.

Celluloseanalytik

� Chemisch ideale Cellulose lässt sich durch ihre Molmasseverteilung eindeutig beschreiben. Zur Ermitt-lung dieses Parameters dient stan-dardmäßig die Größenausschluss-chromatographie (auch Gel-Permea-tions-Chromatographie, GPC) in N,N-Dimethylacetamid/LiCl als Lö-sungsmittel.

In der Praxis vorkommende Cel-lulosen enthalten geringe Mengen an oxidierten Gruppen, die ihr che-misches Verhalten, ihre Verarbeit-barkeit und auch die Eigenschaften der cellulosischen Produkte wesent-

� Cellulose ist die häufigste natürli-che Verbindung und der wichtigste nachwachsende Rohstoff überhaupt. Sie ist vor allem in den Zellwänden höherer Pflanzen enthalten, basiert auf der Photosynthese und wird jährlich in Mengen von 26,5·1010 Tonnen neu gebildet. Forst-, Möbel- und Teile der Bauindustrie sind ab-hängig von Holz, einem naturopti-mierten Verbundwerkstoff, der Cel-lulose zusammen mit Lignin und Hemicellulosen enthält.

Aber auch in reiner Form, durch Holzaufschluss und Bleiche von den Nebenprodukten befreit, ist Cellulo-se fester Bestandteil des mensch-lichen Alltags. Der Großteil heutiger Celluloseprodukte sind Papier und textile Bekleidung.

Funktionelle Gruppen der Cellulose

� Auf den ersten Blick ist Cellulose verblüffend einfach gebaut: Sie ist ein Polysaccharid, ein Homo-polymer aus D-Glucopyranose-Ein-heiten (Anhydroglucose, AGU), die durch b-1,4-glykosidische Bindun-gen zu einem streng linearen Makro-molekül verknüpft sind.

Wie alle natürlichen Polysaccha-ride liegt auch Cellulose als ein Ge-misch unterschiedlich langer Ketten vor. Die Verteilung der Kettenlängen und damit der Molmasse hängt stark von der Herkunft der Cellulose und den bei der Gewinnung angewand-ten Verfahren ab. Jede AGU der Cel-lulose trägt drei Hydroxylgruppen an den Positionen 2, 3 und 6. Deren Reaktionen sind die Grundlage für

Cellulose wird als Hauptbestandteil von Papier und Textilien seit Jahrtausenden

verwendet. Restaurierung und Konservierung wertvoller historischer cellulosischer

Objekte gehen mit Neuerungen in der Cellulosechemie und -analytik Hand in Hand.

Warum Papier löchrig wird

�Chemie und Kultur�

lich beeinflussen. Neben der Mol-masseverteilung bestimmt primär der Gehalt an Carbonyl- und Car-boxylgruppen Weiße und Weißgrad-stabilität von Papier, chemische Sta-bilität in Derivatisierungsreaktionen und mechanische Festigkeit sowie weitere Qualitätsparameter von Cel-

Abb. 1. Ein selektiver Fluoreszenzmarker macht die räumliche

Verteilung des oxidativen Schadens an historischen

Dokumenten sichtbar.

Insert oben: Schädigung an der Oberfläche des Papiers.

Insert unten: Schädigung im Papierquerschnitt (Dünnschliff) .

� QU ERGELESEN

�� Schäden an Cellulose entstehen durch Oxidation

und/oder Hydrolyse.

�� Ein typischer Schaden ist der Tintenfraß, eine

Kombination aus einem durch Metallionen indu-

zierten, oxidativen und einem säurekatalysierten,

hydrolytischen Abbau.

�� Die Molmasseverteilung, ein aussagekräftiger Pa-

rameter in der Celluloseanalytik, lässt sich durch

Größenausschlusschromatographie bestimmen.

�� Neue Methoden zur Bestimmung des Carbonyl-

und Carboxylgehalts von Cellulosen helfen Kon-

servatoren bei der Schadensbeurteilung.

Nachrichten aus der Chemie | 56 | Juni 2008 | www.gdch.de/nachrichten

635

Page 2: Warum Papier löchrig wird

lulosefasern – obwohl der Gehalt an Carbonyl- und Carboxylgruppen mit Konzentrationen von meist un-ter 30 µmol·g–1 sehr gering ist. Be-reits eine einzige Carbonylgruppe in der Mitte einer Cellulosekette reicht aus, um diese bei Alkalibehandlung in zwei gleichlange Bruchstücke zu spalten.

Carbonylgruppen – das natürli-cherweise enthaltene reduzierende Ende und auch oxidativ eingeführte Keto- und Aldehydfunktionen – werden oft als „Kupferzahl“ quanti-fiziert. Der Terminus beruht auf ei-ner nur ungenügend untersuchten Redoxreaktion mit einem CuII-Kom-plex, ähnlich der Fehling-Reaktion.

Abb. 2. Der Erhaltungszustand dieser beiden südamerikanischen Textilien der Inkakultur unterscheidet sich äußerlich kaum. Dennoch zeigt die CCOA-Analyse, dass

das Objekt on1/2 einem deutlichen stärkeren Abbau unterworfen war. (Foto: Lena Bjerregaard)

Für die Analytik dieser Spuren an oxidierten Gruppen standen bisher nur unzureichende Verfahren zur Verfügung. Sie lieferten nur Sum-menparameter, weil die der Detekti-on zugrunde liegende chemische Re-aktion sehr schlecht definiert war und die Reproduzierbarkeit zu wün-schen übrig ließ.

� CCOA- und FDAM-Methode

Diese Oxidationsstellen sind che-

mische Instabilitäten entlang der

Celluloseketten – hier kommt es

leicht und bevorzugt zum Ketten-

bruch.

Ein Kettenbruch kann auch durch

Hydrolyse, also nichtoxidativ, er-

folgen. Dabei entsteht zusätzlich

ein reduzierendes Ende.

Mehrere natürliche oder künst-

liche Prozesse (Herstellung, Blei-

che, hochenergetische Strahlung,

natürliche Alterung, Kontakt mit

atmosphärischen Verunreinigun-

gen und anderen Chemikalien)

oxidieren cellulosische Hydroxyl-

gruppen zu Carbonylen und Car-

boxylen.

Carbonyle werden durch Fluores-

zenzmarkierung mit einem Carb -

azol-carbonyl-oxyamin (CCOA-Me-

thode) quantifiziert,1,2) C6-Carbox-

yle durch Fluorenyl diazomethan

(FDAM-Methode).3) Beide reagieren

sowohl selektiv als auch quantita-

tiv und sind unter den Bedingun-

gen der weiteren Analyse stabil.

Für die Analytik wird eine Größen-

ausschlusschromatographie mit

multipler Detektion (Vielwinkel-

Lichtstreuer, molmasseproportio-

nal; Brechungsindex (RI), konzen-

trationsproportional; Fluoreszenz,

markerproportional) benötigt. Sie

liefert als Ergebnis die Molmasse-

verteilung der Cellulose und die

Profile der funktionellen Gruppen

(als Degree of Substitution oder

DS-Kurve). Differenzbildung zwi-

schen DS-Kurven zweier Cellulo-

sen, z. B. von einem Material vor

und nach einer chemischen Be-

handlung, ermöglicht die Aufnah-

me von DDS-Kurven, die den Effekt

chemischer Einflüsse direkt und in

Relation zur Molmasseverteilung –

also für jeden Molmasseabschnitt –

sichtbar machen. Fluoreszenzmarkierung oxidierter Einheiten der Cellulose.

CHN

N

OO

HOOH

OH

OO

OH

OHHO

OH

O

HOOH

OH

OO

OHHO

OH

OCell

O

HOOH

O

OO

OH

O

O

OH

O

HO

O

OH

O OH

OH

OH

O

HO

OHO

O

OOH

OO

OCell

N

HN

O OO

OO

NH2

O

HOOH

O

OO

OH

O

R

O

O

HO

R

OH

O OH

OH

OH

O

O

OHO

O

OOH

RR

O

R`Cell

Oxidation

" CCOA " " FDAM "

Proben on1 und on2 Probe on63 4 5 6

0,0

0,2

0,4

0,6

0,8

1,0

1,2

Mw on1: 80 kg/molMw on2: 75 kg/mol

Diff

log

Mw

log Mw

Mw on6: 170 kg/mol

Nachrichten aus der Chemie | 56 | Juni 2008 | www.gdch.de/nachrichten

�Magazin� Cellulosechemie und -analytik 636

Page 3: Warum Papier löchrig wird

restauriert oder dem internationalen Leihverkehr zwischen Museen und Ausstellungen zur Verfügung ge-stellt. Die CCOA- und FDAM-Me-thode zeichnet sich nun dadurch aus, dass sie den Schädigungsgrad der Cellulose objektiv beurteilt und quantifiziert (Abbildung 2).

Sehr unterschiedliche Schadens-bilder zeigen sich bei Kupfer- und Tintenfraß auf Papier (s. Kasten S. 638). Beide Korrosionsphänome-ne beruhen auf einer Kombination aus einem durch Metallionen indu-zierten, oxidativen und einem säure-katalysierten, hydrolytischen Abbau der Cellulose durch metallhaltige historische Schreib- und Malme-dien. Der schädigende Einfluss die-ser beiden Medien beschränkt sich nicht nur auf den Bereich, auf dem sie aufgetragen wurden. Diffusion von niedermolekularen Verbindun-gen in benachbarte Areale schädigen auch dort die Cellulose.

Am Beispiel der Chroniken der Joseon-Dynastie aus Südkorea, die vom 15. bis zum 19. Jahrhundert hergestellt wurden, lässt sich der Einfluss einer damals vermutlich zum Schutz durchgeführten Oberflä-chenbehandlung des Papiers mit Bienenwachs beobachten (Abbil-dung 3). Im Laufe der Zeit entstan-den unregelmäßige Verfärbungen auf dem Papier. Dagegen sind jene Ausgaben der Chronik, die nicht be-handelt wurden, in einem deutlich besseren Erhaltungszustand.

schiedenster Bedingungen und Be-handlungen auf die Celluloseintegri-tät und der Gehalt an oxidierten Funktionalitäten lässt sich genau festhalten. Die Methode detektiert noch kleinste Mengen an oxidierten Einheiten und hat mit 2 bis 3 mg ei-nen relativ geringen Bedarf an Pro-benmaterial.

Die geringe Probenmenge und die Aussage über den Zustand und Anteil oxidierender und hydrolyti-scher Vorgänge macht die Methode neben Anwendungen in der Cellulo-se-, Polysaccharid- und Papierche-mie besonders auch für ein exo-tisches Fachgebiet interessant: die Zustandserfassung, Restaurierung und Konservierung historischer und oft sehr wertvoller cellulosischer Objekte.

Mit unseren Analysemethoden lassen sich einige in der restauratori-schen und konservatorischen Praxis häufig gestellte Fragen, etwa nach dem Schädigungsgrad und dem Ef-fekt von Behandlungen, erstmals eindeutig beantworten.

Schadensbilder historischer Papiere

� Die Beurteilung des Zustandes ei-nes historischen Celluloseobjektes beruht in erster Linie auf der visuel-len Betrachtung durch die Restaura-toren und deren Erfahrung. Basie-rend auf dieser subjektiven Ein-schätzung werden die Kunstwerke

Abb. 3. Während der Auftrag einer Schutzschicht aus Bienenwachs zu einer starken Verfärbung (linkes Papier) des südkoreanischen Hanji-Papiers und einem

Molmasseabbau geführt hat (links), ist eine erhöhte Oxidation nicht erkennbar (rechts). Die Bienenwachsbehandlung verursacht also einen rein hydrolytischen

Schaden. (Foto: Myung-Joon Jeong)

Carboxylgruppen lassen sich durch titrimetrische Methoden wie die Methylenblau-Methode erfassen; die Ergebnisse können aber je nach Titrant und Methode extrem schwanken.

In den letzten Jahren ist es gelun-gen, sowohl für Carbonylgruppen, als auch für Carboxyle, verlässliche und validierte Analysenmethoden zu entwickeln. Sie basieren auf einer selektiven Reaktion mit einem Fluo-reszenzmarker, der bei einer GPC-Analyse der Cellulose auch die Posi-tion der Oxidationsstelle im Poly-mermolekül preisgibt. Man erhält somit keine Summenparameter wie bei den bisherigen Verfahren, son-dern Profile der funktionellen Grup-pen, d. h. ihren Gehalt relativ zur Molmasseverteilung. Umfangreiche Untersuchungen und Optimierung haben beide Methoden – die CCOA-Methode für Carbonyle und die FDAM-Methode für C6-Carboxyle – zu wertvollen Verfahren der Cellulo-seanalytik werden lassen (s. Kasten links).

Der zusätzliche Informations-gewinn durch die Carbonyl- und Carboxylprofile im Vergleich mit der Molmasseverteilung oder bloßen Summenparametern ist gewaltig: Verschiedene Cellulosen lassen sich genau unterscheiden, Cellulosever-arbeitungsschritte werden im Hin-blick auf die Auswirkungen auf ein-zelne Molmassebereiche detailliert analysierbar, und der Einfluss ver-

150

300

450

600

750

900

1050

Mw

in k

g/m

ol

mit Bienenwachsohne Bienenwachs

unterschiedliche Proben 0

2

4

6

8

10

12

14

16

18

ohne Bienenwachs

Ket

ogru

ppen

in m

mol

/kg

mit Bienenwachs

Nachrichten aus der Chemie | 56 | Juni 2008 | www.gdch.de/nachrichten

Cellulosechemie und -analytik �Magazin� 637

Page 4: Warum Papier löchrig wird

Beschleunigte Alterung

� Um über konservatorische Be-handlungen entscheiden zu kön-nen, muss die Wirksamkeit der ge-wählten Technik nachweisbar sein. Hier erlaubt die CCOA-Methode genaue Aussagen über Vor- und Nachteile verschiedener Behand-lungsoptionen.

Der Erfolg einer konservatori-schen Behandlung lässt sich mit der Methode der beschleunigten Alte-rung testen. Sie simuliert natürlich auftretende Abbauprozesse und wird meist bei Temperaturen zwi-schen 60 und 90 °C, bei schwanken-den Luftfeuchtigkeiten von 35 bis 80 % rF und bei unterschiedlichen Beleuchtungsverhältnissen (UV, si-

muliertes Sonnenlicht) über mehre-re Tage bis zu mehreren Monaten durchgeführt.

Wir zeigten, dass natürlich geal-terte Cellulosen eine charakteristi-sche Schulter im niedermolekularen Bereich der Molmasseverteilung mit sehr hohem Gehalt an oxidierten Gruppen besitzen. Alle Verfahren der beschleunigten Alterung, die dieses Molmassebild nicht repro-duzieren, sind somit unzureichend (Abbildung 4). Mit der CCOA/FDAM-Methode besteht nun erst-mals die Möglichkeit, diese Verfah-ren, die als Entscheidungsgrundlage für konservatorische Behandlungen herangezogen werden, zu bewerten und gegebenenfalls als ungenügend zu verwerfen.

Tintenfraß und Massenentsäuerung

� Der Schaden durch Tintenfraß ist eine besondere Herausforderung bei der Entwicklung einer konservatori-schen Behandlungsmethode. Mit der CCOA/FDAM-Methode konnten wir nachweisen, dass eine kombinierte Behandlung mit Calciumphytat und Calciumhydrogencarbonat4) sowohl die säurehydrolytischen Prozesse als auch den weiteren oxidativen Abbau nachhaltig unterbindet. Ersteres ist auf die Neutralisation saurer Kom-ponenten und das Einbringen der neutralisierenden Reserve, letzteres durch die sehr effektive Komplexie-rung von Eisen und Kupfer durch Phytat zurückzuführen.

� Tintenfraß

nungen verwendet wurden,

waren Pigmente auf der Basis von

Kupferverbindungen seit der

Antike bis in das 19. Jahrhundert

hinein die einzigen erhältlichen

grünen Malmittel. Dementspre-

chend sind zahlreiche Buchmale-

reien, Miniaturen aber auch

Tapeten mit diesen Pigmenten

bemalt und bedruckt.

Die Autographen von Johann

Sebastian Bach, Zeichnungen von

Rembrandt und Briefe von Galileo

Galilei haben eines gemeinsam:

Sie wurden mit Eisengallustinte

geschrieben. Sie war bis zur Mitte

des 20. Jahrhunderts Bestandteil

dokumentenechter Tinten – und

ist es zum Teil noch heute.

Während Eisengallustinten vor

allem für Dokumente und Zeich-

Für Eisengallustinten gibt es viele

historische Rezepte; im Mittelalter

mischte man Eisengallustinte aus

dem Gallotannin der Galläpfel, Ei-

sen(II)sulfat, Wasser und Gummi

Arabicum. Die Tinten besitzen be-

reits zum Zeitpunkt ihrer Herstel-

lung einen sauren pH. Ursache ist

die zur Ausbildung des farbgeben-

den Tintenkomplexes freigesetzte

Schwefelsäure und das für die Ex-

traktion der Galläpfel verwendete

saure Extraktionsmittel. Eisengal-

lustinten enthalten häufig einen

Überschuss an Eisenionen, die an

verschiedenen oxidativen Reaktio-

nen (Fenton-Reaktion, Autoxidati-

on) beteiligt sind. Das Zusammen-

spiel aus saurer Hydrolyse und be-

reits in katalytischen Mengen oxi-

dativ wirksamen Übergangsmetal-

lionen führt zu einer verstärkten

Schädigung des Trägermaterials,

also der im Papier hauptsächlich

enthaltenen Cellulose. Dieser Ab-

bauprozess äußert sich zunächst

in Verfärbungen des Papiers und

einem Durchschlagen der Tinte

auf die Blattrückseite, in einem

späteren Abbaustadium entste-

hen Risse im Papier, die letztend-

lich zum vollständigen Verlust des

Dokumentes führen.

3 4 5 6 7 8

0,0

0,2

0,4

0,6

0,8

1,0

1,2

0,00

0,01

0,02

0,03

0,04

0,05

diff

log

Mw

log Mw

Rand nebenTinte Tinte

DSC=O

Tinte

neben Tinte

Rand

An einem historischen Brief mit einer Beschriftung aus Eisengallustinte konnte der Abbau-

prozess untersucht werden. Eine dreifache Probenentnahme (Tinte, direkt neben der Tinte

und Papier) zeigte, dass die Cellulose auch einige Millimeter neben dem Tintenauftrag

geschädigt ist.

�Magazin� Cellulosechemie und -analytik 638

Nachrichten aus der Chemie | 56 | Juni 2008 | www.gdch.de/nachrichten

Page 5: Warum Papier löchrig wird

Abb. 4. Molmasseverteilungen eines natürlich gealterten Papiers mit und ohne Eisengallustintenauftrag (links).

Dieser typische Verlauf ist mit der beschleunigten Alterung an künstlich erzeugtem Probenmaterial nicht immer zu

simulieren: Die charakteristische niedermolekulare Schulter ließ sich im modernen Probenmaterial nicht erzeugen.

3 4 5 6 7

0,0

0,2

0,4

0,6

0,8

1,0

1,2

1,4 historisches Original mit Eisengallustinte historisches Original

Diff

log

Mw

log Mw3 4 5 6 7

0,0

0,2

0,4

0,6

0,8

1,0

1,2

1,4

1,6 Modellpapier mit EisengallustinteModellpapier

Diff

log

Mw

log Mw

Die kombinierte Behandlung ver-hindert erfolgreich sowohl die wei-tere Oxidation der Cellulose – im di-rekt beschriebenen und im nicht be-schriebenen Bereich – als auch den weiteren Molmasseabbau. Der ein-deutige Nachweis der Wirksamkeit rechtfertigt nun den restauratori-schen Einsatz dieser handwerklich nicht ganz trivialen Behandlung an wertvollen Originalen.5)

Seit mit der Industrialisierung auch die Papierherstellung revolutio-niert und vermehrt holzschliffhaltiges Papier hergestellt wurde, nahm die durchschnittliche Papierqualität stark ab. Dies ist auf stark saure Leimungs-mittel auf Alaunbasis zurückzufüh-ren. Dadurch sind ganze Archiv- und Bibliotheksbestände gefährdet. Zahl-reiche Untersuchungen belegen, dass Papiere des 19. und des 20. Jahrhun-derts verstärkt unter saurer Hydrolyse leiden und über eine geringere me-chanische Festigkeit verfügen.

Als Gegenmaßnahme hat sich die Neutralisierung des Buchbestandes, die als „Mengen-“ oder „Massenent-säuerung“ bezeichnet wird, etabliert. Die CCOA-Methode konnte hier nicht nur den positiven Effekt der Massenentsäuerung belegen, sie ist auch exemplarisch geeignet, das Wechselspiel von Kettenabbau, Oxi-dation, Hydrolyse und Alterung ge-nau wiederzugeben und verstehen zu helfen. Bei der Massenentsäuerung neutralisieren Konservatoren im Pa-pier vorhandene Säuren und bringen eine alkalische Reserve zur Verhin-

derung zukünftiger Säurebildung ein. Zu hohe Alkalinität bewirkt jedoch das Gegenteil, nämlich die basenindu-zierte Kettenspaltung ausgehend von oxidierten Gruppen (�-Alkoxyelimi-nierung) und damit Celluloseabbau.

Die Entwicklung eines für den Konservator einfach und schnell – am besten als vor Ort in Form eines Test-Kits – anwendbaren Instru-mentariums zur Einschätzung des Schädigungsgrades von Cellulose ist ein Ziel in der konservatorischen Forschung. Dazu kommen Pro-tokolle zur beschleunigten Alte-rung, die natürliche Schadensbilder genau simulieren, und die Generali-sierung von Phytatbehandlung und Massenentsäuerung von Biblio-theks- und Archivgut. Für alle diese Aufgaben ist die moderne Cellulo-seanalytik das zentrale Werkzeug der Schadensbewertung, Behand-lungsauswahl und Wirkungsüber-prüfung.

Antje Potthast, Ute Henniges

Universität für Bodenkultur Wien

[email protected]

[email protected]

Gerhard Banik

Staatliche Akademie

der Bildenden Künste, Stuttgart

[email protected]

1) J. Röhrling, A. Potthast, T. Rosenau, T.

Lange, G. Ebner, H. Sixta, P. Kosma, Bio-

macromolecules 2002, 3, 959–968.

2) J. Röhrling, A. Potthast, T. Rosenau, T. Lan-

ge, A. Borgards, H. Sixta, P. Kosma, Bioma-

cromolecules 2002, 3, 969–975.

3) Potthast, J. Röhrling T. Rosenau, A. Bor-

gards, H. Sixta, P. Kosma, Biomacromole-

cules 2003, 4, 743–749.

4) J. Neevel, Restaurator 1995, 16, 143-160.

5) Restaurierung der durch Tintenfraß geschä-

digten Handschriften des Savigny-Nachlas-

ses. Anwendung der Calciumphytat-Calci-

umhydrogencarbonat-Behandlung und

der partiellen Stabilisierung in der Praxis.

DFG-Projekt, Universitätsbibliothek Mar-

burg. http://www.uni-marburg.de/bis/ue

ber_uns/projekte/dfgtinte/Bericht

Antje Potthast, Jahr-

gang 1970, studierte

von 1989 bis 1994

Chemie an der TU

Dresden und pro-

movierte von 1995

bis 1998 an der

NCSU Raleigh, USA, und der TU Dres-

den. Von 1998 bis 2001 war sie wissen-

schaftliche Mitarbeiterin am Christian-

Doppler-Labor „Zellstoffreaktivität“ an

der Universität für Bodenkultur Wien,

wo sie sich 2003 im Fach Holzchemie

habilitierte. Seit 2003 ist sie Ao. Univ.-

Prof. am Department für Chemie, Uni-

versität für Bodenkultur Wien.

Ute Henniges, Jahr-

gang 1976, studierte

von 1999 bis 2003 an

der Staatlichen Aka-

demie der Bildenden

Künste, Stuttgart.

Ab dem Jahr 2003 bis

2005 arbeitete die Dipl.-Restauratorin

bei der Preservation Academy Leipzig.

Von 2005 bis 2008 promovierte sie an

der Universität für Bodenkultur, Wien

bei Antje Potthast über das Thema „An-

wendung der Fluoreszenzmarkierung in

der Restaurierung“.

Gerhard Banik, Jahr-

gang 1948, studierte

von 1967 bis 1973

technische Chemie

an der TH Wien. Er

promovierte 1976 an

der TU Wien, wo er

sich auch 1982 im Fach organische Roh-

stoffkunde habilitierte. 1986 –1990 lei -

tete er das Institut für Restaurierung an

der Österreichischen Nationalbibliothek.

1990 wurde er an die Staatliche Aka-

demie der Bildenden Künste in Stuttgart

berufen und ist seitdem Lehrstuhlinhaber

für „Restaurierung und Konservierung

von Graphik, Archiv- und Bibliotheksgut“

und Prof. am Institut für Museumskunde

an der Staatlichen Akademie.

Cellulosechemie und -analytik �Magazin� 639

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