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Was auf Sie zukommt… 1. Grundsätzliches: Warum ist die Beschäftigung mit älteren Sprachstufen des Deutschen sinnvoll? 2. Periodisierung der deutschen Sprachgeschichte 2.1 Allgemeines und Grundsätzliches 2.2 Die Abgrenzung des Mittelhochdeutschen vom Althochdeutschen 2.3 Die Abgrenzung des Mittelhochdeutschen vom (Früh-)Neuhochdeutschen 2.4 Die zeitliche Binnengliederung des Mittelhochdeutschen 3. Der mittelhochdeutsche Sprachraum Exkurs 1: Die Entstehung des ostmitteldeutschen Sprachraums 4. Die Sprecher (und Schreiber) des Mittelhochdeutschen Exkurs 2: Die „höfische Dichtersprache“ 5. Das mittelhochdeutsche Sprachsystem 5.1 Wortschatz, Wortbildung und mittelalterliche Lebensbereiche 5.1.1 Das Mittelhochdeutsch der Ritter 5.1.2 Das Mittelhochdeutsch der Mystiker 5.1.3 Alltagsmittelhochdeutsch? Exkurs 3: Wörterbücher des Mittelhochdeutschen 5.2 Laut und Schrift 5.2.1 Das lateinische Alphabet und seine Anwendung auf das (Mittelhoch)Deutsche 5.2.2. Das „ideale“ mittelhochdeutsche Phonemsystem 5.2.2.1. Die Vokale Exkurs 4: Geschichte des Umlauts 5.2.2.2 Die Konsonanten Exkurs 5: Die Erste und Zweite Lautverschiebung 5.3 Stammbildung und Flexion 5.3.1 Verben 5.3.1.1 Starke = ablautende Verben 5.3.1.2 Schwache = nicht ablautende Verben 5.3.1.3 Weitere Verben: Präteritopräsentia, sogenannte „athematische“ Verben 5.3.1.4 Zusammengesetzte („periphrastische“) Verbformen 5.3.2 Substantive 5.3.3 Adjektive 5.3.4 Pronomina und Numerale Exkurs 6: Grammatiken des Mittelhochdeutschen 5.4 Syntaktische Strukturen des Mittelhochdeutschen 5.4.1 Syntax in Abhängigkeit von der Textsorte 5.4.2 Elementare Satzstrukturen 5.4.3 Topologie (Abfolge der Wörter und Satzglieder) 5.4.3.1 Nominalkonstruktionen 5.4.3.2 Verbalkonstruktion und Verbstellung Einfache Prädikate, komplexe Prädikate 5.4.4 Ausbau der Hypotaxe 5.4.4.1 Temporale Relationen 5.4.4.2 Kausale Relationen 5.4.4.3 Konditionale Relationen 5.4.4.4 Konzessive Relationen 5.4.4.5 Finale Relationen 5.4.4.6 Konsekutive Relationen 5.4.4.7 Modale Relationen 5.5 Negation

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Was auf Sie zukommt… 1. Grundsätzliches: Warum ist die Beschäftigung mit

älteren Sprachstufen des Deutschen sinnvoll?

2. Periodisierung der deutschen Sprachgeschichte

2.1 Allgemeines und Grundsätzliches

2.2 Die Abgrenzung des Mittelhochdeutschen vom

Althochdeutschen

2.3 Die Abgrenzung des Mittelhochdeutschen vom

(Früh-)Neuhochdeutschen

2.4 Die zeitliche Binnengliederung des Mittelhochdeutschen

3. Der mittelhochdeutsche Sprachraum

Exkurs 1: Die Entstehung des ostmitteldeutschen Sprachraums

4. Die Sprecher (und Schreiber) des Mittelhochdeutschen

Exkurs 2: Die „höfische Dichtersprache“

5. Das mittelhochdeutsche Sprachsystem

5.1 Wortschatz, Wortbildung und mittelalterliche Lebensbereiche

5.1.1 Das Mittelhochdeutsch der Ritter

5.1.2 Das Mittelhochdeutsch der Mystiker

5.1.3 Alltagsmittelhochdeutsch?

Exkurs 3: Wörterbücher des Mittelhochdeutschen

5.2 Laut und Schrift

5.2.1 Das lateinische Alphabet und seine Anwendung auf das

(Mittelhoch)Deutsche

5.2.2. Das „ideale“ mittelhochdeutsche Phonemsystem

5.2.2.1. Die Vokale

Exkurs 4: Geschichte des Umlauts

5.2.2.2 Die Konsonanten

Exkurs 5: Die Erste und Zweite Lautverschiebung

5.3 Stammbildung und Flexion

5.3.1 Verben

5.3.1.1 Starke = ablautende Verben

5.3.1.2 Schwache = nicht ablautende Verben

5.3.1.3 Weitere Verben: Präteritopräsentia, sogenannte

„athematische“ Verben

5.3.1.4 Zusammengesetzte („periphrastische“) Verbformen

5.3.2 Substantive

5.3.3 Adjektive

5.3.4 Pronomina und Numerale

Exkurs 6: Grammatiken des Mittelhochdeutschen

5.4 Syntaktische Strukturen des Mittelhochdeutschen

5.4.1 Syntax in Abhängigkeit von der Textsorte

5.4.2 Elementare Satzstrukturen

5.4.3 Topologie (Abfolge der Wörter und Satzglieder)

5.4.3.1 Nominalkonstruktionen

5.4.3.2 Verbalkonstruktion und Verbstellung

Einfache Prädikate, komplexe Prädikate

5.4.4 Ausbau der Hypotaxe

5.4.4.1 Temporale Relationen

5.4.4.2 Kausale Relationen

5.4.4.3 Konditionale Relationen

5.4.4.4 Konzessive Relationen

5.4.4.5 Finale Relationen

5.4.4.6 Konsekutive Relationen

5.4.4.7 Modale Relationen

5.5 Negation

Warum…

… ich rede – ich redete – ich habe geredet

aber:

ich spreche – ich sprach – ich habe gesprochen

… und nicht:

ich spreche – ich sprechte – ich habe gesprecht

oder vielleicht sogar:

ich rede – ich rad – ich habe geroden

und warum …

Spatz – Spatzen (aber englisch sparrows)

Huhn – Hühner (aber englisch hens)

Rabe – Raben (aber englisch ravens)

Specht – Spechte (aber englisch woodpeckers)

Storch - Störche (aber englisch storks)

Adler – Adler – (aber englisch eagles)

Uhu – Uhus (wie englisch owls)

… und warum

das Huhn

der Storch

die Taube

Präsens für [Zukunft] im Althochdeutschen

Beati mites.’ salige sint manduuare

quoniam ipsi possidebunt terram., uuanta thie bisizzent erda

Beati qui lugent.’ salige sint thiethar uuvofent

quoniam ipsi consolabuntur uuanta thie uuerdent gifluobrit

Beati qui esuriunt salige sint thiethar hungerent

et sitiunt iustitiam Inti thurstent reht

quoniam ipsi saturabuntur uuanta thie uuerdent gisatote

Beati misericordes salige sint thiethar sint miltherze

quoniam ipsi misericordiam consequentur. uuanta sie folgent miltidun

Beati mundo corde salige sint thiethar sint subere in herzon

quoniam ipsi deum uidebunt uuanta thie gisehent got

Beati pacifici salige sint thiethar sint sibbisame

quoniam filii dei uocabuntur., uuanta sie gotes barn sint ginennit

Umschreibung mit sollen + Inf. für [Zukunft] im Mittelhochdeutschen

Selik synt dy armen des geistes, wen ir ist das riche der hemel

Selig syn dy milden, wen sy sullen besiczen das ertriche

Selik syn dy do betrubit syn, wen sy sullen getrostet werden

Selik syn dy do hungerik syn und durstet noch der gerechtekeit, wen sy sullen gesetit werden

Selik syn dy barmherczegen, wen sy sullen barmhercekeit volgen

Selik syn dy reinen des herczen, wen sy sullen gote sen

Selik syn dy fredesamen, wen sy sullen gotes kyndir geheizen werden

Selik syn dy vorvolgunge lyden durch dy gerechtekeit, wen ir ist daz riche der hemele

Umschreibung mit werden + Inf. für [Zukunft] bei Luther

Selig sind, die da geistlich arm sind, Denn das Himelreich ist jr.

Selig sind die Senfftmuetigen, Denn sie werden das Erdreich besitzen.

Selig sind die da hungert vnd duerstet nach der Gerechtigkeit, Denn sie sollen sat werden.

Selig sind die Barmhertzigen, Denn sie werden barmherzigkeit erlangen.

Selig sind die reines hertzen sind, Denn sie werden Gott schawen.

Selig sind die Friedfertigen, Denn sie werden Gottes kinder heissen.

Selig sind, die vmb Gerechtigkeit willen verfolget werden, Denn das Himelreich ist jr.

Frühmittelalterliche Lehnwörter

• Personen: Abt, ahd. abbat (abbas); Mönch, ahd. munih (monachus); Nonne, ahd. nunna (nunna); Probst, ahd. probost (propositus); Vogt, ahd. fogat ‘Rechtsbevollmächtigter’ (advocatus); Pilger, ahd. piligrīm (peregrinus).

• Gebäude, Gebäudeteile und –komplexe: Kloster ahd. klōstar (claustrum); Münster, ahd. munistri (monasterium); Klause, ahd. klūsa ‘Klause’ (clūsa); Zelle, ahd. cella (cella); Pforte, ahd. pforta ‘Pforte’ (porta).

• Sakralbereich, Frömmigkeit: Altar, ahd. altari (altare); Kreuz, ahd. crūzi (crux, cruc-is); Kelch, ahd. kelih (calix, calic-is); segnen, ahd. seganōn (signare); Almosen, ahd. alamuosa (elemosyna).

• Schule, Bibliothek, Schreibstube: Meister, ahd. meistar (magister; nhd. Magister ist eine humanistische Neuentlehnung); Pergament ahd. pergamin (pergamēnum); schreiben, ahd. skrīban (scrībere); Schule, ahd. skuola (schola); Schüler, ahd. skuolāri (schōlārius); dichten, ahd. dihtōn ‘schreiben’ (dictare); Tinte, ahd. tincta (aqua tincta ‘gefärbtes Wasser’).

• (Kloster-)Garten: Balsam, ahd. balsama (balsamum); Lattich, ahd. lattuh ‘Lattich’ (lactuca); Lorbeer, ahd. lōrberi und lōrboum (laurus); Mandel, ahd. mandala (amandula); Maulbeere, ahd. mūrberi und mūrboum (morum); Rose, ahd. rosa (rosa); Salbei, ahd. salbeia (salvegia); Petersilie, ahd. petersilia (petrosilium); Pilz, ahd. buli (boletus); Weiher, ahd. wīhāri ‘Weiher’ (vivārium).

• Krankenpflege: Arzt, ahd. arzat (archiater); laben, ahd. labōn ‘waschen’ (lavare); sauber, ahd. sūbar (sobrius).

• Küche, Lebensmittel: Trichter, ahd. trihtere (traiectorium); Mörser, ahd. mortāri (mortārium); Brezel, ahd. brezitella (brachiatellum).

Das Kerbholz

Einem aufs Dach steigen und mit Haut und Haaren (Sachsenspiegel)

Grobe Periodisierung der deutschen Sprachgeschichte

9. Jh. (althochdeutsch) 12. Jh. (mittelhochdeutsch)

1 Thô gangante thie Pharisei giengun in girati, thaz sie in

bifiengin in uuorte.

Do giengen enwec di pharisei unt wrden ze rate wie si ih’m

geuiengen an der rede

2 Inti santun imo sine iungiron mit Herodes mannun sus

quedante

vnt santon im di ir iungere mit den luten herodis und

sprachen

3 meistar, uuir uuizumes thaz thu uuârvvurti bist inti

gotes uueg in uuâre lêris,

Mester wir wizzen daz du warhaft bist und den wec gotes

in der warheite lerist.

4 inti nist thir suorga fon niheinigemo dir nist ruch umbe ieman

5 ni scouuos thu heit manno dune sihest niht an die underschidunge der mennischen

6 Quid úns uuaz thir gisehan si Sage uns waz dunchet dih des.

7 ist arloubit zins zi gebanne themo kesore odo ni? gezimt dem cheîser der zins ze gebinne oder niht.

8 Furstantanemo iro ueihhane quad ther heilant: vnt ih’c erchante ir ubile vnt sprach

9 uuaz costot ir mih, lihhizara? Wes uersu°chet ir truginare mihc.

10 Ouget mir den muniz thes zinses Zeigent mir die iungesten munize

11 Sie tho brâhtun imo phending vnt si brahten einen phfenninc

12 Tho quad in thêr heilant: uues ist thaz glihnessi inti thaz

giscrib thar oba?

vnt ih’c sprach. Wes ist diz bilde unt disiv uberscrift.

13 Thô quadun sie imo: thes keisores vnt si sprachen. Des cheîsirs

14 Thô quad her in: geltet thiu thes keisores sint themo

kesore, inti thiu thar sint gotes gote

Do sprach er zin. Gebet dem cheiser daz sin si. unt gebet

got daz sin si.

Mhd. „fallende“ und „steigende“ Diphthonge

i ü u

e ö o

a

Frühnhd. Monophthongierung

• Monophthongierung ie > ī: lieb > lieb, griez > Gries, lief > lief. Dass wir heute lieb, Gries und lief schreiben ist orthographische Konvention. Das <ie> drückt heute die Vokallänge aus, nicht wie im Mittelhochdeutschen eine Diphthong-Lautung.

• Monophthongierung üe > ü-: brüeder > Brüder, wüest > wüst, füeze > Füße.

• Monophthongierung uo > ū: guot > gut, bruoder > Bruder, wuot > Wut.

„Hohe“ Langvokale

i: ü: u:

e: o:

a:

Frühnhd. Diphthongierung

• iu > eu: liut > leute, diutsch > deutsch, iuwer > euer

(in mhd. Texten wird das lange [ü:] meistens als

iu geschrieben).

• ī > ei: mīn > mein, wīp > weib, rīten > reiten

• ū > au: hūt > Haut, lūt > laut, sūfen > saufen.

Theologische „Zoologie“

In demo uuázzere Nilo ist éinero slahta nátera, diû

heizzit ídris un ist fient démo kórcodrîllo. denne so

beuuillet síh dîu ídris in horuue und sprinet imo in den

mûnt unde sliuffet ín ín. só bízzet síun ínnan. unzin er

stírbit, únde uérit siû gesunt úz. ter corcodrillus

bezeichenet tôt unde hella. Tú idrís bézechenet únsirin

tróhtin, dér an sih nam den menischen líhhamin, zé diu,

dáz er unsirin tôt féruuórfe ún er hélla roûboti under

sigehaf hêim chámé.

Der mhd. Sprachraum

Die Binnengliederung des mhd. Sprachraums

Der Rheinische Fächer

1: Niederländisch, südlich davon die

ik/ich-Linie

2: Limburgisch, südlich davon die

maken/machen-Linie

3: Ripuarisch, südlich davon die

dorp/dorf-Linie-Linie

4: nördliches Moselfränkisch,

südöstlich davon die op/auf-Linie

5: südliches Moselfränkisch, südöstlich

davon die dat/das-Linie

6: Rheinfränkisch, südöstlich davon

die appel/apfel-Linie

König 2005: 74

Flämisches im östlichen Kolonialland Ortsnamen

Aken < Aachen Euper (nordöstlich von Wittenberg) < Ypern in Flandern

Gohrau (südwestlich von Wittenberg) < Goor NL

Kemberg (südlich von Wittenberg) < Kamerijk (Flandern) Niemegk < Nimwegen

Riesigk (östlich von Wörlitz) < Ryswijk (Flandern)

Wolfen < Wulfen (bei Utrecht) Appellativwortschatz in Ortsnamen

else ‘Erle’ in Ellerbach bei Lützen

klei, kleve ‘Lehmboden’ in Clebendorf bei Taucha kreek ‘Bächlein’ in Kriegsdorf östlich von Merseburg

leeg, Laag im Flurnamen Lehde

mt, mde ‘Grasland’ in Methau westlich von Geringswalde grt ‘Kiessand; Grieß’ in Grethen, westlich von Grimma

gr ‘Minst, Dünger’ in Gohrau, südwestlich von Wittenberg

born ‘Quelle’ in Magdeborn, Weißenborn nien- ‘neu(en)’ in Niemberg bei Halle

-rade ‘Rodung’ in Radeberg, Radefeld

WALTHER/WEBER 2010: 39

Wiprecht von Groitzsch (Pegau, Stadtkirche)

Ekkehard II (+ 1046) und Uta (vor 1046)

Thietmar von Merseburg (+ 1018) über

Sprachprobleme der Slawenmission

… ut sibi commissos eo facilius instrueret, Slavonica scripserat verba et eos kirieleison cantare rogavit exponens eis huius utilitatem. Qui vecordes hoc in malum irrisorie mutabant ukrivolsa, quod nostra lingua dicitur: aeleri stst in frutectum, dicentes: ‘Sic locutus est Boso’ ‘damit er die ihm Anvertrauten umso leichter unterweisen konnte, hatte er eine Anweisung in slawischer Sprache geschrieben und den Gesang des Kyrieeleison verlangt, dessen Sinn er ihnen erläutert. Doch diese Lästermäuler verdrehten es zum Spott in “wkrivolsa”; das bedeutet in unserer Sprache “die Erle steht im Busch”’.

Die ostmitteldeutschen Areale

1. Das Thüringische als nicht-koloniale älteste Mundartlandschaft. Es gliedert sich wieder in Westthüringisch mit Zentrum Eisenach, Nord-thüringisch nördlich einer gedachten Linie Mühlhausen – Unstrut-mündung bis zur niederdeutschen Sprachgrenze, Ostthüringisch.

2. Das Obersächsische mit dem Osterländischen, Meißnischen, Erz-gebirgischen (hierzu aus nördliches Westböhmisch), Nordobersäch-sisch-Südmärkisch.

3. Das Schlesische. Von hier aus kam es zu weiteren Streusiedlungen (Sprachinseln) in der Slowakei, in Polen und Nordungarn.

4. Das Hochpreußische im Deutschordensland.

Nibelungenlied – Handschrift A (München)

Nibelungenlied – Handschrift B (St. Gallen)

Nibelungenlied – Handschrift C (Karlsruhe)

Nibelungenlied – Hs. D (München)

1. Strophe des Nibelungenliedes in 4 Fassungen Edition (Fischer TB) Uns ist in alten mæren wunders vil geseit von helden lobebæren, von grôzer arebeit von freuden, hôchgezîten, von weinen und von klagen von küener recken strîten muget ir nu wunder hœren sagen Hs. A Uns ist in alten mæren wnders vil geseit von helden lobebern von grozer chvonheit von frovden hochgeziten von weinen vnd von klagen von chvoner rechen strite myget ir nv wunder hoeren sagen Hs. C UNS IST In alten mæren wnders vil geseit von heleden lobebæren. von grozer arebeit. von frevde vnd hochgeciten von weinen vnd klagen. von kvner recken striten. mvget ir nv wunder horen sagen Hs. D UNS IST UN ALTEN MEREN WUNDER UIL GESEIT von helden lobeberen von grozer arbeit von vreuden vnd hochgetziten von weinen vnd von chlagen von chuener recken striten Mugt ir wunder hoern sagen

Vergleich: Die Edition und die Handschriften

1. Keine der Handschriften weist die Bezeichnungen der Vokallänge durch Zirkumflexe auf.

2. Keine unserer Handschriften hat wunders wie die Edition. Belegt ist wnders ohne u oder wunder, also kein Genitiv.

3. Statt arebeit ‘Mühe, Leiden’ hat Hs. A chvonheit ‘Kühnheit, Tapferkeit’. Zwar ist arebeit aufgrund des in zwei Handschriften belegten Wortlauts in der „Mehrheit“, aber da können Abhängigkeiten bestehen z.B. in der Weise, dass eine von der anderen abgeschrieben hat, oder dass beide auf dieselbe Vorlage zurückgehen u.ä.

4. Das küener der Edition ist in dieser Form in keiner der Handschrif-ten belegt. Es heißt chvoner (A), kvner (C) und chuener (D). Der umgelau-tete Diphthong üe, der in der postulierten höfischen Dichtersprache gelten müsste, ist in diesen Handschriften so jedenfalls nicht belegt.

5. Einige Wörter in A und D haben am Anfang ch-Schreibungen (chvonheit, chlagen). Diese sind typisch für das Süddeutsche der Zeit. Das steht im Widerspruch dazu, dass der höfischen Dichtersprache nach-gesagt wird, dass sie im Lautinventar überregional sei, d.h. sprachliche Regionalismen vermeide.

Höfische Lehnwörter aus dem Französischen aventiure ‘Wagnis, Ereignis, Erzählung davon’; aventiuren ‘etwas riskieren’; aventiurære ‘Ritter auf Aventiure’; aventiurlîch ‘Aventiure bietend’.

schevalier, vassal, markîs, garzûn ‘Knappe’, baschelier ‘Knappe’,

kumpânîe ‘Gesellschaft’, kumpân ‘Gefährte’

amî ‘Geliebter’, amiê ‘Geliebte’, amûr, bêamîs ‘schöner Geliebter’.

kurtois ‘höfisch, kultiviert’

palas ‘Wohnbereich auf einer Burg’, loschieren ‘wohnen’.

turnei ‘Turnier’, turnieren, turnierære, turneisch; tjoste ‘ritterlichen Zweikampf mit dem Speer’. (< afrz. Joste); bûhurt ‘ritterlicher Gruppenkampf’ (< afrz. bohort)

harnasch, panzier, buckel, kollier ‘Halsschutz’, zimiere ‘Helmschmuck’, covertiure Pferdedecke’, brazel ‘Armschiene’.

Galopp (Rückentlehnung!)

batalje, krîe ‘Schlachtruf’, baniere ‘Fahne, Feldzeichen’.

tanzen (< afrz. danse)

Schach über französische Vermittlung aus dem Arabischen

busûne, tambûr, schalmîe, floite.

schanzûn ‘Lied, Gesangsdarbietung’

baldekîn ‘kostbarer Seidenstoff aus Baldac (= Bagdad), barân ‘grober Wollstoff’, blîalt ‘golddurchwirkter Seidenstoff’, palmât ‘Seidenstoff’, samît ‘Samt’, vîolât ‘feiner Wollstoff’.

Französisch: damals höfisch – heute Alltag

Lampe

Preis

Kosten

fehlen

tanzen

prüfen

falsch

klar

fein

rund

Höfische Lehnwörter aus dem

Niederländischen (Flämischen)

• dörper eigentlich ‘Dorftrottel’, durch Dissimi-

lation r – r > r - l und wiederum Assimilation zu

Tölpel

• ors ‘Roß’ (vgl. engl. horse)

• Ritter

• wâpen ‘Waffe’ (später wird daraus Wappen).

• Ein mittelniederländisches Wortbildungselement

ist das Diminutivsuffix -kîn (z.B. kindekîn).

Zentrale höfische Termini, die nicht entlehnt sind

triuwe, sælde, werlt,

minne, edele

Under der linden an der heide, da unser zweier bette was

Da mugt ir vinden schone beide gebrochen bluomen unde gras.

Vor dem walde in einem tal

tandaradei schone sanc die nahtegal

Ich kam gegangen zuo der ouwe do was min friedel komen e

Da wart ich empfangen, here frouwe, daz ich bin sælic iemer me.

Kust er mich? wol tusentstunt,

tandaradei, seht wie rot ist mir der munt!

Do het er g(e)machet also riche von bluomen eine bettestat.

Des wirt noch g(e)lachet innecliche, kumt iemen an daz selbe pfat

Bi den rosen er wol mac,

tandaradei, merken wa mirs houbet lac.

Daz er bi mir læge, wessez iemen nu enwelle got! so schamt ich mich.

Wes er mit mir pflæge niemer niemen bevinde daz wan er unde ich,

Und ein kleinez vogellîn

tandaradei daz mac wol getriuwe sin.

Aus dem Prolog zu „Tristan und Isolde“ (Gottfried von Straßburg)

War umbe enlite ein edeler muot niht gerne ein übel durch tûsent guot

durch manege vröude ein ungemach? swem nie von liebe leit geschach,

dem geschach ouch lieb von liebe nie. Liep unde leit diu wâren ie

an minnen ungescheiden. Man muoz mit disen beiden

êre unde lop erwerben, oder âne sî verderben.

von den diz senemære seit, und hæten die durch liebe leit,

durch herzewunne senedez clagen in einem herzen niht getragen,

sone wære ir name und ir geschiht sô manegem edelen herzen niht

ze sælden noch ze liebe komen. Uns ist noch hiute liep vernomen,

süeze und iemer niuwe ir inneclîchiu triuwe

ir liep, ir leit, ir wunne, ir nôt. Al eine und sîn si lange tôt,

ir süezer name der lebet iedoch. Und sol ir tôt der werlde noch

ze guote lange und iemer leben, den triuwe gernden triuwe geben,

den êre gernden êre: ir tôt muoz iemer mêre

uns lebenden leben und niuwe wesen; wan swâ man noch hoeret lesen

ir triuwe, ir triuwen reinekeit, ir herzeliep, ir herzeleit,

deist aller edelen herzen brôt. Hie mite sô lebet ir beider tôt.

wir lesen ir leben, wir lesen ir tôt und ist uns daz süeze alse brôt.

Ir leben, ir tôt sint unser brôt. Sus lebet ir leben, sus lebet ir tôt.

sus lebent si noch und sint doch tôt und ist ir tôt der lebenden brôt.

Und swer nu ger, daz man im sage ir leben, ir tôt, ir vröude, ir clage,

der biete herze und ôren her: er vindet alle sîne ger.

Mechthild von Magdeburg (1207-1282)

Meister Eckhart (1260-1328). Holzschnitt, 15. Jh.

Heinrich Seuse (1295-1366) wird von Dämonen attackiert

Johannes Tauler (ca. 1300 – 1361), Grabstein in

Straßburg

Hadewijch

„Und in der Einheit, in die ich da aufgenommen und in der ich verklärt wurde, da verstand ich dieses Wesen [die Gottheit] und verstand es deutlicher, als man eine noch so bekannte Sache auf Erden, sei er mit der Sprache oder mit der Vernunft oder mit den Sinnen erkennen kann. Es erscheint als ein Wunder. Aber nenne ich es auch Wunder, ich weiß wohl, dass es euch nicht als Wunder erscheinen will, weil die Erde die himmlische Sprache nicht verstehen kann. Denn für alles, was es auf Erden gibt, kann man Begriffe und niederländische Worte genug finden, aber hierfür weiß ich kein Niederländisch und keinen Begriff, obschon ich mich auf alle sinnlichen Wahrnehmungen so wohl verstehe, wie es eben Menschen vermögen. Alles, was ich euch gesagt habe, das ist, als ob es dafür kein Niederländisch gäbe. Denn es gibt nichts Entsprechendes, von dem ich wüsste.“

„Negative“ Wortbildungen von Mystikern

entnemen, entsetzen, entsinken, entsunkenheit,

entsweben, entvormen, entwerden; nihtbilde, nihtgeist,

nihtheit, daz nihtsîn, nihterkennen, nihtmügen;

unannæmelîchkeit, unbegriffen-lîch, ungeschaffenheit,

ungewordenheit, un-sprechenlîch; verbilden, versmelzen,

vervliezen, verwerden; bildelôs, endelôs, grundelôs,

vorme-lôs, wortelôs.

Mystiker-Paradoxe

unsprechlîche stimme

ungesprochen wort

lebender tôt

unbekante bekante einekeit

süezzez wê

überliehte dunkle vinsterheit.

ez ist kein rât als guot, got ze finden, dann wâ man got last. ‘Es gibt keine Möglichkeit, Gott zu finden, als Gott zu lassen’ (Meister Eckhart).

Metaphern Mechthilds von Magdeburg

Kleid:

kleidest dich mit er sele min und du bist ovch ir nehstes kleit.

Tanz:

ich mag nicht tanzen, herre, du enleitest mich ... so springe ich in die

minne, von der minne in die bekantnisse, von bekanntnisse in

gebruchunge. ‘ich kann nicht tanzen, Herr, außer du führst

mich. Dann springe ich in die Minne. Von der Minne in

die Erkenntnis, von der Erkenntnis in den Genuss.

Mystische Abstrakta

• Auf -heit, -keit: einvaltecheit, heimelicheit, jâmerkeit,

innekeit

• Auf –unge: bewegunge, bezeichenunge, begrîfunge,

schouwunge, betrahtunge, înfliezunge

• Lehnbildungen: veterlichkeit < paternitas, minnesamkeit

< amabilitas, durchfliezunge < effluentia, inblasungen und

ingeistunge < inspiratio

„Säkularisierte“ mystische Ausdrücke und Wörter

• bei sich sein

• in sich gehen

• außer sich sein

• begreifen, Begriff

• Einbruch, Ausbruch, Durchbruch

• Einfluss, Ausfluss

• Einfall

• Einbildung

Aus einer Predigt von Meister Eckhart

Daz hœhste und daz næhste, daz der mensche gelâzen mac, daz ist, daz er got durch got lâze. Nu liez sant Paulus got durch got; er liez allez, daz er von gote nemen mohte und liez allez, daz im got geben mohte, und allez, daz er von gote enpfâhen mohte. Do er daz liez, do liez er got durch got, und do bleip im got, dâ got istic ist sîn selbes, niht nâch einer enpfâhunge sîn selbes noch nach einer gewinnunge sîn selbes, mer: denne in einer isticheit, daz got in im selber ist. Er gap gote nie niht, noch er enpfienc nie niht von gote; ez ist ein ein und ein lûter einunge. Hie ist der mensche ein wâr mensche, und in disen menschen envellet kein lîden, als wênic als in götlîch wesen gevallen mac; als ich mêr gesprochen hân, daz etwaz in der sêle ist, daz gote also sippe ist, daz ez ein ist und niht vereinet. Ez ist ein, ez enhât mit nihte niht gemeine noch enist dem nihtes niht allez daz ge-meine, daz geschaffen ist. Allez daz geschaffen ist, daz ist niht. Nû ist diz aller geschaffenheit verre und vrem-de. Wære der mensche aller also, er wære alzemale ungeschaffen und ungeschepfelich; wære allez daz also, daz lîphaftic und gebresthaftic ist, wære daz verstanden in der einicheit, ez enwære niht anders, dan daz diu einicheit selber ist. Vünde ich mich einen ougenblik in disem wesene, ich ahtete als wênic uf mich selben als eines mist-würmelins. Got gibet allen dingen glîch, und als sie von gote vliezent, also sint sie glîch: jâ engel und menschen und alle crêatûren die vliezent von gote glîch in irm ersten ûzvluzze. Der nû diu dinc næme in irm êrsten ûz-vluzze, der næme alliu dinc glîch. Sint sie alsô glîch in der zît, sô sint sie in gote in der êwicheit vil glîcher. Der eine vliegen nimet in gote, diu ist edeler in gote dan der hœhste engel an im selber sî. Nû sint alliu dinc glîch in gote und sint got selber. Hie ist gote als lustlîch in dirre glîcheit, daz er sîne natûre und sîn wesen alzemâle durchgiuzet in der glîcheit in im selber. Daz ist im lustlîch; ze glîcher wîse, als der ein ros lât loufen ûf einer grüenen heide, diu zemâle eben und glîch wære, des rosses natûre wære, daz ez sich zemâle ûzgüzze mit aller sîner kraft mit springenne ûf der heide, daz wære im lustlîch und wære sîn natûre. Alsô ist gote lustlîch und genuoclîch, da er glîcheit vindet. Ez ist im lustlîch, daz er sîne natûre und sîn wesen alzemâle dâ giezende ist in die glîcheit, wan er diu glîcheit selber ist. Nu ist ein vrage von den engeln, ob die engel, die hie mit uns wonent und uns dienent und uns behüetent, ob die iht minner glîcheit haben an irn vröuden, dan die in der êwicheit sint, oder ob sie iht geletzet werden von den werken, daz sie unser hüetent und uns dienent. Ich spriche: nein sie niht. Ir vröude enist niht deste minner und ir glicheit; wan daz werk des engels ist der wille gotes, und der wille gotes ist daz werk des engels; dar umbe enwirt er niht gehindert an sîner vröude noch an sîner glîcheit noch an sînen werken. Hieze got den engel varn an einen boum und hieze in dar abe rûpen lesen, der engel wære dar zuo bereit, daz er die rûpen læse, und ez wære sîn sælicheit und wære der wille gotes.

Ein mittelhochdeutscher „Dorftext“ (Füssen um 1200)

In gisilhartisriet datur. Mæigi ich ainis wisi. so helf erz rechin. vnd tailen ez. In der uaiztun eu. dantur XXX. casei Stokkingen [hier fehlt eine Mengenangabe] casei. Ergich ainis andirn mannis akir. vnd segin so nim ich dim pfluogi. aini garbi. dimi samin die andirun. dim akiri. dir drittun. Tungin ouch. al daz selbi. Dim roggin. vnd dim waizzin. vnd dimi kernin. vnd gerstun. vnd bonon. muozimi alsi diki tungin. somisi sêt. Den habirn. setimi wol nah in ungitvngit. er ist abir ie bosir vnd bosir. vnd ærwizzi. Rossimist vnd gaizimist sint allirbesti. Dehsimist ist bezzir denni mosiheuwis. [...] Zweni scheffili des imi spicheri. ist ain maltir. vnd ain metzi. Driv maltir. ain burcscheffil. Ain burcscheffil. ist driv malter vnd ain metzi. roggin oldir kernin. iez idest. anno M.CC. Zweni scheffili des imi spicheri. sint ain maltir.

In Giselhartisried wird angeordnet: Mähe ich von jemandem die Wiese, dann helfe er es rechen und zerteilen. In der „Feisten Au“ werden dreißig Käse gege-ben. Stockingen [?] Käse. Pflüge ich eines anderen Mannes Acker und baue ihn an, so nehme ich für den Pflug eine Garbe, für das Saatgut die zweite, für den Acker die dritte. Dünge ich ihn auch, [nehme ich] genau dasselbe. Den Roggen und den Weizen und das Korn und die Gerste und die Bohnen muss [ich] ihm ebenso oft düngen, wenn man sie sät. Den Hafer sät man nach ihnen ungedüngt. Er ist aber immer schlechter und schlechter. Und Erbsen. Rossmist und Ziegen-mist sind am allerbesten. Dächsmist [= verfaulte Baumnadeln] ist besser als von Moosheu [eig. ‘moosheuener’, Adjektiv] Zwei Scheffel davon im Speicher sind ein Malter und eine Metze, drei Malter ein Burgscheffel. Ein Burgscheffel ist drei Malter und eine Metze Roggen oder Kern. [Das gilt] jetzt, im Jahr 1200. Zwei Scheffel davon im Speicher sind ein Malter.’

Zwei mittelhochdeutsche Kochrezepte (um 1350)

Ein gůt getrahte. Nim gebratene eyern vnd ro sur epfele vnd nim vnder wahsen fleisch gesoten vnd nim pfeffer vnd saffran, daz stoz z sammene vnd mache ez weich mit roen eyern. so mache ein blat von eyern vnd z teile daz, fülle dar vf die materien, daz glich werde; so wint daz blat z sammene vnd machez naz von eyer teyge vnd legez in siedenz smaltz vnd backez harte; so stecke do durch einen spiz vnd legez z dem viüre vnd beslahez eins [einmal] mit eyern vnd eins mit smaltze mit zwein swammen [Pilzen], also lange biz daz ez singe vnd rot werde, vnd gibz hin. Wilt du machen ein gůt lebern. Nim ein rindes lebern, die niht steineht si, vnd snit si an fünf stücke vnd lege sie vf einen rost vnd brat sie, also sie sich hat gesübert, so wasche sie in warmem wazzer oder in sode also veizt; süde daz vnd laz sie braten gar vnd nim sie denne abe vnd laz sie kalden vnd besnit sie schone, vnd nim denne ein halb stücke vnd stozz ez in eynem mörser vnd stoz dar z ein rinden geröstes brotes, tů pfeffer dar z vnd ingeber, daz ez scharpf werde, vnd nim ein wenic anis vnd mal daz mit ezzige vnd mit honicsaume vnd erwelle ez, biz es dicke werde, vnd laz ez kalt bliben vnd lege dor in der lebern als vil du wilt, vnd z der hochzit gibz vür hirz lebern vnd des wilden swines lebern mache auch also. Conf. Vnd nach dirre manunge erdenke auch ander spise.

Implizite mhd. Ableitungen

biet ‘Befehl’ (zu bieten)

bint ‘Band’ (zu binden)

blāst ‘das Blasen’ (zu blāsen)

gelinc ‘Glück gutes Gelingen’ (zu gelingen)

glit ‘Fall’ (zu glīten ‘gleiten’)

grift ‘Greifen’ (zu grīfen)

sanc ‘Gesang’

Ältere e-Abstrakta und jüngere heit-Abstrakta

bittere : biterheit / biterkeit

benge : bangheit

viule : vūlheit ‘Faulheit’

lūtere : lūterheit / lūterkeit ‘Lauterkeit’

usw.

heute noch bei Maß- oder Messangaben: Höhe, Länge, Breite, Tiefe,

Wärme, Kälte...

Ältere Nomina agentis auf –e (aus ahd. –o) : jüngere auf

–ære (nhd. –er)

ahd. grabo ‘einer, der gräbt, Gräber’ > mhd. grabe, daneben :

grebære > nhd. Gräber

ahd. sprehho ‘einer, der spricht, Sprecher’ > mhd. spreche, daneben

sprechære > nhd. Sprecher

ahd. gebo ‘einer, der gibt, Geber’ > mhd. gebe, daneben gebære >

nhd. Geber

Mhd. Substantiv und Adjektiv

glanz ‘Helligkeit, Glanz’ aber auch ‘hell, glänzend’

gram ‘Wut, Grimm’, aber auch ‘wütend, grimmig’

(noch heute etwas antiquiert gram neben Gram)

ungemach ‘ungestüm, unbequem’, aber auch

‘Verdruss’

zorn ‘Zorn, Wut’, aber auch ‘wütend, gewalttätig’

Mhd. Verbaladjektive

• æze ‘was gegessen werden kann, essbar’

• næme ‘was genommen werden kann, annehmbar’

• gæbe ‘was gegeben werden kann, üblich’ (vgl.

noch nhd. gang und gäbe)

Mhd. Wörterbücher: BMZ, Lexer HWb, WMU, MWB

Mhd. Wörterbücher zum schnellen Nachschlagen

1. Taschen-Lexer, 2. Nachträge dazu, 3. Hennig

Karolingische Minuskel, 9. Jh. (Leipziger Heliand-

Fragment)

Das Leipziger Heliand-Fragment nach Ablösung und Restauration

Spätkarolingische Minuskel 12. Jh. (Über Tugenden und Laster)

Frühgotische Minuskel, 13. Jh. (Nibelungenlied Hs. C)

Textualis (oben), frühgotische Kursive (unten), beides 14. Jh.

Jüngere gotische Kursive

Bastarda (15. Jh.)

Lateinisch-deutsche Laut- und folglich

Schriftdivergenzen

• Umlaute. Das Lateinische kennt keine Phoneme /ä/, /ö/, /ü/.

• Affrikaten, also Verbindungen aus Verschlusslaut und artikulatorisch „benachbartem“ Reibelaut wie deutsch /pf/, /ts/ und süddeutsch /kχ/.

• Diphthonge, also vokalische „Zwielaute“ wie nhd. /ai/, /ao/, /öi/.

• Das Lateinische kennt keine Doppelkonsonanten.

• Einzelne Konsonanten wie [χ] oder [š] kommen in der lateinischen Sprache und folglich im lateinischen Alphabet nicht vor.

Lateinische und (althoch)deutsche Grapheme

„un

ged

eckte“ d

t. Lau

te, z.B.

Dip

hth

on

ge, A

ffrikaten

„passende“ lat. Grapheme

„üb

erflüssig

e“ lat. Grap

hem

e

z.B. <

y>, <

c>

Vokaldreieck (lang und kurz)

i u

e o

a

ī ū

ē ō

ā

Mhd. „fallende“ und „steigende“ Diphthonge

i ü u

e ö o

a

Vokalveränderungen

• Vokale können artikulatorisch zusammenfallen. Die artiku-latorische und perzeptive „Opposition“ bricht zusammen. (So ist z.B. in vielen Dialekten das a mit dem o zusammengefallen, vgl., z.B. im Obersächsischen isch gon nisch gomm).

• Vokale innerhalb eines zwei- oder mehrsilbigen Wortes kön-nen sich gegenseitig beeinflussen. Vokalbeeinflussungen kann es gelegentlich auch über Wortgrenzen hinweg geben.

• Die konsonantische Umgebung kann einen Vokal verändern.

• Es muss dabei nicht zu vollständigen Zusammenfällen kom-men, sondern es können im Zuge vokalischer Veränderungen auch Zwischenvokale entstehen, die nicht mit den „Basisvo-kalen“ identisch sind. Durch solche Veränderungen können Zwischenvokale entstehen, die sich artikulatorisch nicht mit den „Eckvokalen“ des Dreiecks decken.

Mhd. Kurzvokale, die Nhd. gedehnt wurden

Uns ist in alten mæren wunders vil geseit

von helden lobebæren, von grôzer arebeit,

von freuden, hôchgezîten, von weinen und von klagen,

von küener recken strîten muget ir nu wunder hœren sagen

Umlautentwicklungen in der Geschichte des Deutschen

Phase betroffen auslösend Ergebnis Beispiele / Anmerkungen

vorahd./westgerm. e i, u i ahd. gibis, mhd. gibes, nhd. gibst zu ahd. geban, mhd. geben,

nhd. geben

eo i, u ahd. iu >

mhd. ü- >

nhd. eu

ahd. biugis, mhd. bü-ges <biuges>, nhd. nach analoger

Anpassung biegst (ohne Analogie hieße es *beugst ≠ du beugst

von beugen!)

u a o germ. gulda, ahd. gold, mhd. golt, nhd. Gold

i a e germ. kwekaz, ahd., mhd. quec, in nhd. Queck-silber (vgl. engl.

quick). Dieser Umlaut nicht systematisch.

ahd. „Primärumlaut” a ahd. i, ī, j e ahd. eltir, mhd. elter, nhd. älter (mit orthographischem Bezug

auf alt), nicht vor ht, deshalb ahd. mahtig

ahd., Schreibung erst

mhd., deshalb

„Sekundärumlaut“

a ä ahd. mahtig, mhd. mehtec, nhd. mächtig (mit orthographischem

Bezug auf Macht)

o ö ahd. hofisk > mhd. höfesch, nhd. höfisch

u ü ahd. guldīn > mhd., nhd. gülden

ā æ ahd. rātis, mhd. rætes, nhd. rätst

ō œ ahd. bōsi, mhd. bœse, nhd. böse

ū ü- geschriebe

n iu

ahd. hūti, mhd. hiute, nhd. Häute (mit orthographischem

Bezug auf Haut)

ou öu ahd. ougilīn, mhd. öugelīn, nhd. Äuglein

uo üe ahd. guotī, mhd. güete, nhd.Güte

Lautwert und Graphem im Mhd.

• kurzes o wie in mhd. boc

‘Bock’

• langes ō wie in mhd. bôc

‘bog’

• kurzes ö wie in böcke

• langes ö- wie in bœse

<o>

schon und schön

skōn-

Adj. Adv.

ahd. geschrieben skōn-i skōn-o

gesprochen [skö:ni] [sko:no]

mhd. geschrieben schœne schône

gesprochen [šö:nə] [šo:nə]

nhd. geschrieben schön schon

gesprochen [šö:n] [šo:n]

Mhd. Kurzvokale (komplettiert)

i ü u

ë e ä ö o

a

Mittelhochdeutsche Langvokale

ī ü: <iu> ū

ē ö: <œ> ō

ä: <æ> ā

Entwicklung der Endsilbenvokale

ahd. Übergang mhd.

i u

e o e o ə

a a

Das mhd. Konsonantensystem (ohne

Geminaten) Artikulationsort

labial dental palatal velar glottal

Artik

ula

tion

sart

Verschlusslaute stl. p t k

sth. b d g

Reibelaute stl. f s ſ ç χ

sth. v j

Affrikaten pf ts kχ

Nasale m n ŋ

Liquide l r

Hauchlaut h

Die 1. Lautverschiebung

idg. Tenues Mediae Mediae

aspiratae

p t k b d g bh dh gh

urg. f þ χ p t k

1. Lautverschiebung – Beispiele (Tenues)

Idg. Konsonant bewahrt in: Germ. Entsprechung in:

p > f gr. poly-

gr. patē´r, lat. pater, aind. pitár

lat. pellis

gr. pentē

ahd. filu (nhd. viel)

ahd. fater (nhd. Vater)

ahd. fel (nhd. Fell)

ahd. fimf (nhd. fünf)

t > þ lat. tu

lat. tres lat. tonare ‘tönen’

lat. mentum ‘Kinn’

lat. vertere

got. þu, ält. engl. thou

engl. three (<th> = [þ])

engl. thunder (“)

engl. mouth (“), got. munþs ‘Mund’

got. wairþan ‘werden’ (<ai> = [e])

k > h lat. caper

lat. cornu

lat. capere

lat. cūtis

lat. decem

aisl. hafr ‘Ziegenbock’

ahd. horn (nhd. Horn)

ahd. habēn (nhd. haben)

ahd. hūt (nhd. Haut)

got. taihun, ahd. zehan (nhd. zehn)

k > χ lat. lux (Gen. lucis), gr. leukos ‘weiß’

lat. nox (Gen. noctis)

ahd. lioht (h = [χ], nhd. Licht)

ahd. naht (h = [χ], nhd. Nacht)

1. Lautverschiebung (Medien)

Idg. Konsonant bewahrt in: Germ. Entsprechung in:

b > p lat. lābi ‘gleiten’, russ. slabyi ‘schwach’

gr. baitē ‘Hirtenrock’

engl. sleep

got. paida ‘Rock, Gewand’

d > t lat. cor (Gen. cordis)

lat. decem

lat. duo

lat. quod

lat. videre

engl. heart got. taihun, engl. ten

engl. two

aisl. hvat

aisl. vita ‘wissen’

g > k lat. gena ‘Wange’

lat. genu

lat. genus

lat. ager

lat. gelidus

lat. granum

lat. jugum

ahd. kinni (nhd. Kinn)

ahd. kniu (nhd. Knie)

zu ahd. kind (nhd. Kind)

got. akrs, ahd. akkar (nhd. Acker)

ahd. kalt (nhd. kalt)

ahd. korn (nhd. Korn)

got. juk, aisl. ok ‘Joch’

1. Lautverschiebung (Mediae aspiratae)

Idg. Konsonant bewahrt in: Germ. Entsprechung in:

bh > b aind. bhrātar (lat. frater)

aind. bharati (lat. ferre)

aind. abhitah ‘beiderseits’

ahd. bruoder (nhd. Bruder)

ahd. beran ‘tragen’ (vgl. nhd. gebären,

Gebärde), engl. to bear

ahd. umbi (nhd. um)

dh > d aind. dvā´rah, gr. thýrā (lat.

fores)

aind. duhitā´, gr. thygáter

aind. vidhávā

aind. mádhya (lat. medius)

got. daurōrns (<au> = [o]), engl. door

engl. daughter

engl. widow

got. midjis ‘mittel-’

gh > g gr. khórtos (lat. hortus)

lat. hostis ‘Fremdling, Feind

engl. garden

ahd. gast (nhd. Gast)

gwh > w aind. gharmá- ‘Glut’ ahd. warm (= nhd.)

gwh > gw idg. senghw- got. siggvan (<gg> = [ŋ])

Ausnahmen von der 1. Lautverschiebung

Nichtverschiebung

sp lat. spuere ahd. spīwan (nhd. speien)

st lat. stare ahd. stān, stēn (nhd. stehen)

sk lat. skabere ahd. skaban (nhd. schaben)

kt lat. noct-em ahd. naht (nhd. Nacht)

pt lat. capt- (in captare, captus usw.) ahd. haft (nhd. Haft)

Vernersches Gesetz

p lat. septem ‘sieben’ dt. sieben (b nicht f)

t lat. pater ‘Vater’ got. fadar (d nicht þ!)

k lat. socrus ‘Schwiegermutter’ dt. Schwieger (g nicht h)

s litauisch ausis ‘Ohr’, dt. Öse

dt. Frost

engl. ear, dt. Ohr dt. frieren (r nicht s)

Die 2. Lautverschiebung

Tenues Mediae

einfach geminiert einfach geminiert

Germ. ð ðð

p t k pp tt kk b d g bb dd gg

Ahd.

pf ff f

ts ʒʒ ʒ

kχ χχ χ

pf

tz

p

t

k

pp

tt

kk

2. Lautverschiebung: vorahd. p

p- > pf- penny

path

pound

play

Pfennig

Pfad

Pfund

pflegen

-p- > -ff- open

hope

ape

sleep

offen

hoffen

Affe

ahd. slāffen, nhd. schlafen

-p > -f grip

ship

sheep

up

ahd. grif, nhd. Griff

ahd. schif, nhd. Schiff

schāf, nhd. Schaf

ahd. ūf, nhd. auf

2. Lautverschiebung: vorahd. t

t- > ts- <z> ten

town

tell

tin

to

two

zehn

Zaun

ahd. zellen, nhd. zählen

Zinn

zu

zwei

-t- > -ʒʒ- hate

let

(for)get

water

ahd. haʒʒōn, nhd. hassen

ahd. lāʒʒen, nhd. lassen

ahd. (fir)geʒʒan, nhd. vergessen

ahd. waʒʒar, nhd. Wasser

-t > ʒ what

it

bit

white

ahd. waʒ, nhd. was

ahd. iʒ, nhd. es

ahd. biʒ, nhd. Biss

ahd. weiʒ, nhd. weiß

2. Lautverschiebung: vorahd. k

k- > kχ <kch> knight

king

cold

can

ahd. z.T. kchnecht, nhd. Knecht

ahd. z.T. kchuning, nhd. könig

ahd. z.T. kchalt, nhd. kalt

ahd. z.T. kchan, nhd. kann

-k- > χχ make

cake

wake

sake

ahd. mahhōn, nhd. machen

ahd. kuohho, nhd. Kuchen

ahd. wahhōn, nhd. wachen

ahd. sahha, nhd. Sache

-k > -x weak

bleak

isl. þak

and. ik

ahd. weih, nhd. weich

ahd. bleih, nhd. bleich

ahd. dah, nhd. Dach

ahd. ih, nhd. ich

2. Lautverschiebung: vorahd. b, d, g

b > p blind

bring

brother

blue

ahd. z.T. plint, nhd. blind

ahd. z.T. pringan, nhd. bringen

ahd. z.T. pruoder, nhd. Bruder

ahd. z.T. plāo, nhd. blau

d > t lead

day

side

drive

leiten

Tag

Seite

treiben

g > k garden

go

gallow

ahd. z.T. karto, nhd. Garten

ahd. z.T. kēn / kān, nhd. gehen

ahd. z.T. kalko, nhd. Galgen

2. Lautverschiebung: vorahd. Geminaten

pp > pf apple

ae. scieppan

dip (< ae. dyppan)

Apfel

schöpfen

tupfen

tt > tz spätlat. catta

whet (< ae. hwettan)

ae. hettan

wit (< ae. witt)

Katze

wetzen

hetzen

ahd. Witz (< ahd. witzi)

kk < kχ ae. þeccan (> thatch)

ae. weccan (> wake)

ae. liccian (> lick)

ahd. z.T. dekchen, nhd. decken

ahd. z.T. wekchen, nhd. wecken

ahd. z.T. lekchōn, nhd. lecken

bb > tt as. ribbi

got. sibja

Rippe

Sippe

dd > tt wedding

bid (< ae. biddan)

middle

saddle

wetten

bitten

mittel

Sattel

gg > kk as. hruggi

as. liggian

as. muggia

ahd. hrukki, nhd. Rücken

ahd. licken (nhd. liegen)

ahd. mucka, nhd. Mücke

Beispiele für Auslautverhärtung

• g zu k (meist <c>): tac aber tages

• b zu p: wîp aber wîbes

• d zu t: leit aber leides

• h zu ch: sehen aber sach ‘sah’

• v zu f: brief aber brieves

Beispiele für Dissimlation

dörpære ‘Dorftrottel’ > dörpel (> Tölpel).

lat. mortuarium wurde entlehnt und zu morter (> Mörtel).

lat. organum > ahd. organan > mhd. orgene und orgel

Dissimilatorischer Schwund:

körder > köder

parlier > palier ‘Polier’

vordern > vodern (so noch bis ins 18. Jahrhundert; dann wird das r restituiert)

mhd. îsernîn > îserîn ‘eisern’

Kontraktionen

ige > ī, z.B. liget > līt, Sigefrid > Sīfrit (daraus der Familienname Seifert).

ege > ei, z.B. treget > treit, egidehse > eidehse, getregede > getreide.

age > ei, v.a. im Süden, z.B. saget > seit, maget > meit, klaget > kleit.

ibe und ide > ī, z.B. gibet > gīt, quidet > kīt ‘sagt’.

abe > ā, z.B. haben > hān.

âhe > ā: z.B. hâhen > hân, vâhen > vân, slahen > slân.

æhe > æ, z.B. smæhen > smæn.

Konsonantenerleichterungen

lustsam > lussam

geistlich > geislich

truhtsæe > truhsæe

wiltpræte > wilpræte

werlt > welt

Ablaut qualitativ

quantitativ ø

e o

ē (ō)

Starke Verben - 1. Klasse

(1)

Präs.

(2)

Prät.Sg.

(3) Prät.Pl. (4) Part.Prät.

idg. *e *o *i *i

urg. *e > *ī *a *i *i

ahd./mhd. 1a

1b ī ei

ē

i i

Hierher nhd. beißen, erbleichen, gleiten, greifen, pfeifen, reißen,

scheinen, scheißen, schreiben, schreiten, schleichen, schleifen, schleißen,

schmeißen, schweigen, steigen, streiten, treiben, weichen, weisen,

gedeihen, (ver-)zeihen

Starke Verben - 2. Klasse

(1) Präs. (2) Prät.Sg. (3) Prät.Pl. (4) Part.Prät.

idg. *e *o *u *u

urg. *e *a *u *u

ahd. 2a

2b

io (Sg. iu) au > ou

au > ō

u o

mhd. 2a

2b

ie (Sg. ü- <iu>) wie ahd.

Hierher nhd. kriechen, lügen (< mhd. liegen), trügen (< mhd. triegen), riechen,

schieben, fliegen, gießen, genießen, schießen, vliehen, fließen, (ver-)drießen, ziehen, frieren

(< mhd. vriesen), verlieren (< mhd. verliesen). Mehrere Verben sind zum Neu-

hochdeutschen hin in die schwache Flexion übergegangen, z.B. schmiegen,

triefen, niesen, sieden, sprießen. – Sonderfälle sind saufen (< mhd. sūfen)’ und saugen

(< mhd. sūgen)

Starke Verben – 3. Klasse

(1) Präs. (2) Prät.Sg. (3) Prät.Pl. (4) Part.Prät.

idg. *eRK *oRK *øRK *øRK

urg. *em/n/l/r + K *am/n/l/r + K *um/n/l/r + K *um/n/l/r + K

ahd./

mhd.

3a

3b

i

(Sg. i)

a um/n/l/r + K um/n + K

ol/r + K

Hierzu nhd. binden, dringen, rinnen, entrinnen (das etymologisch nichts mit rinnen zu tun

hat, sondern ein mhd. en-trinnen fortsetzt), klimmen, klingen, ringen, schinden, sinken,

sinnen, schlingen, spinnen, springen, stinken, schwimmen, schwinden, trinken, zwingen, finden,

winden, (ge-) winnen. - beflhen (> nhd. befehlen), empflhen (< mhd. empfelhen), brgen,

verdrben, glten, schlten, swllen, smlzen, strben, wrden, wrfen, bllen, mlken, qullen,

smrzen.

Starke Verben – 4. Klasse

(1) Präs. (2) Prät.Sg. (3) Prät.Pl. (4) Part.Prät.

idg. *eR *oR *ēR *øR

urg. *em/n/l/r *am/n/l/r *ēm/n/l/r *um/n/l/r

ahd./mhd. m/n/l/r (Sg. i) am/n/l/r ā o

Hierher nhd. scheren, stehlen, schwören (< mhd. sweren). Bei einigen Verben steht der

klassenspezifische Konsonant vor dem Stammvokal: brechen, dreschen, löschen (< mhd.

leschen), sprechen, treffen. Die Verben stechen und fechten haben weder Nasal noch Liquid,

gehören aber dennoch in dies Reihe. Übergang zu den schwachen Verben zeigen

flechten (aber noch geflochten) und hehlen (< mhd. helen; vgl. aber unverhohlen). Sonderfall

ist kommen (mhd. qumen oder kumen)

Starke Verben – 5. Klasse

(1) Präs. (2) Prät.Sg. (3) Prät.Pl. (4) Part.Prät.

idg. eK oK ēK eK

germ. e a ē e

ahd./mhd. (Sg. i)

i (j-Präsentien)

a ā

Hierher nhd. lsen, shen, geschhen, trten, vergzzen, wgen (> nhd. (ab)wägen, im

Neuhochdeutschen jedoch in analoger Angleichung an Waage).

Zu den j-Präsentien gehören bitten, sitzen und liegen. Im Mittelhochdeutschen sehr

häufig ist quden ‘sprechen’.

Starke Verben – 6. Klasse

(1) Präs. (2) Prät.Sg. (3) Prät.Pl. (4)

Part.Prät.

urg. *a *ō *ō *a

ahd./mhd. a (2./3. Sg. e)

e (j-Präsentien)

uo uo a

Hierher nhd. laden, fahren, tragen, wachsen, waschen. Aufgrund ihres j-Präsens

weichen in der 1. Stammform ab schwören (< mhd. sweren) und heb(b)en.-

Auch: mahlen, backen, nagen, schaben, waten.

Starke Verben – 7. Klasse

(1) Präs. (2/3) Prät. Sg./Pl. (4) Part. Prät.

ahd. a (2./3. Sg. e) / ā / ei ia a / ā / ei

ou / ō / uo io ou / ō / uo

mhd. wie ahd., aber 2./3. Sg ā >

, ou > öu, ō > , uo > üe

ie wie ahd.

Hierher nhd. halten (< mhd. halten), raten (< mhd. rāten), heißen (< mhd. heien),

laufen (< mhd. loufen), stoßen (< mhd. stōen)

Grammatischer Wechsel bei starken Verben

• d im Wechsel mit t: zum Infinitiv (also Präsensstamm) sieden (stv.2) gehören suten und gesoten. Zu līden und snīden (beide stv.1) gehören liten, geliten und sniten, gesniten.

• h im Wechsel mit g: zum Infinitiv mhd. ziehen (stv.2) gehören zugen und gezogen. Zu gedīhen (stv.1) gehören im Plural des Präteritums gedigen und ein Part. Prät. gedigen. Noch heute haben wir als Adjektiv gediegen. Das ist das eigentliche Part. Prät. zum Verbum gedeihen. Dass wir heute sagen, etwas sei gut gediehen, ist darauf zurückzuführen, dass das h des Präsens auf die anderen Formen übertragen worden ist. Man spricht hier von Analogie oder Analogieausgleich.

• s im Wechsel mit r: zum Infinitiv mhd. wesen (stv.5) gehört ein Plural des Präteritums wāren, zu mhd. vriesen und verliesen gehören vruren, gevroren bzw. verluren, verloren.

Präsensflexion der starken Verben

Indikativ Konjunktiv

Sg. 1 -e rîte, gibe, biuge -e rîte, gebe, biege

2 -est rîtest, gibest, biugest -est rîtest, gebest, biegest

3 -et rîtet, gibet, biuge -e rîte, gebe, biege

Pl. 1 -en rîten, geben, biegen -en rîten, geben, biegen

2 -et rîtet, gebet, bieget -et rîtet, gebet, bieget

3 -ent rîtent, gebent, biegent -en rîten, geben, biegen

Präteritalflexion der starken Verben

Indikativ Konjunktiv

Sg. 1 - reit, gab, bouc -e rite, gæbe, büge

2 (!) e rite, gæbe, büge -est ritest, gæbest, bügest

3 - reit, gab, bouc -e rite, gæbe, büge

Pl. 1 -en riten, gāben, bugen -en riten, gæben, bügen

2 -et ritet, gābet, buget -et ritet, gæbet, büget

3 -en riten, gāben, bugen -en riten, gæben, bügen

Historische Klassen schwacher Verben

vorahd. -jan > ahd. -jan z.B. swart-jan > swerzen ‘schwärzen, schwarz machen’

ahd. –ōn z.B. salbōn ‘salben, mit Salbe versehen’

ahd. –ēn

mhd. –en z.B. swerzen, salben, swarzen

z.B. swarzēn ‘schwarz werden’

Rückumlaut e : a bei ehemaligen jan-Verben

Infinitiv Präteritum Part. Prät.

unflektiert

Part. Prät.

flektiert

swerzen swarzte geswerzet geswarzter

sterken starkte gesterket gestarkter

hengen hangte gehenget gehangter

senden sante gesendet gesanter

trenken trankte getrenket getrankter

wenden wante gewendet gewanter

kennen kante gekennet gekanter

weitere Rückumlaute bei schwachen Verben

Infinitiv Präteritum Part. Prät.

unflektiert

Part. Prät.

flektiert

hœren hōrte gehœret gehōrter

lœsen lōste gelœset gelōster

grüezen gruozte gegrüezet gegruozter

rüemen ruomte gerüemet geruomter

wænen wānte gewænet gewānter

„leichte“ und „schwere“ Silben

„leicht“, folglich kein

Rückumlaut:

KVK

(z.B. vorahd. tal-jan > ahd.

= mhd. zellen)

„schwer“, folglich

Rückumlaut:

KV:K

(z.B. mhd. hōren)

KDK

(z.B. mhd. prüefen)

KVKK

(z.B. mhd. swerzen)

Rückumlaut durch Analogie

Infinitiv Präteritum Part. Prät. unflektiert Part. Prät. flektiert

zellen zelete / zalte gezelet gezeleter / gezalter

quellen quelete / qualte gequelet gequeleter / gequalter

wellen welete / walte gewelet geweleter / gewalter

dennen denete / dante gedenet gedeneter / gedanter

Verschiebungen bei den Präteritopräsentia

Idg. Form: Präsens

Funktion:Gegenwart

īd-

‘sehe’

Form: Perfekt

Funktion: Vergangenheit

ad- /id-

‘habe /haben gesehen’

Urgerm.

Form: eigentlich Perfekt

ABER

Funktion: Gegenwart

‘weiß / wissen’

Ahd., Mhd. Form: jetzt als Präsens

empfunden, Funktion:

Gegenwart

mhd. wei / wien

Neues Präteritum

wisse, wiste u.ä. Beispiel

Die mittelhochdeutschen Präteritopräsentia

Präsens Präteritum

Indikativ Konj. Indikativ Konj. Partizip

Inf. 1./3.Sg 2. Sg. 1./3. Pl. 1./3. 1./3. Sg. 1./3. Sg.

wizzen weiz weist wizzen wizze wisse, wësse,

wiste, wëste

gewist, gewest

eigen eige eigen

tugen, tügen touc tugen, tügen tuge, tüge tohte töhte

gunnen, günnen gan ganst gunnen, günnen gunne, günne gunde, gonde gunde,

günde

gegunnen,

gegunnet

kunnen, künnen kan kant kunnen, künnen kunne, künne kunde, konde künde,

kunde

durfen, dürfen darf darft durfen, dürfen durfe, dürfe dorfte dörfte [be-dorft]

turren, türren tar tarst turren, türren turre, türre torste törste

suln, süln sal, sol salt, solt suln, süln sul, sül solde, solte sölde sölte

mugen, mügen,

magen, megen

mac maht mugen, mügen, magen,

megen

muge, müge mahte, mohte mähte,

möhte

[ver-moht]

müezen muoz muost müezen müeze muos(t)e, mües(t)e,

„Athematische“ Präsentien

‘tun’ ‘gehen’ ‘stehen’ ‘sein’

Präsens Sg. 1 tuon gēn /gān stēn /stān bin

2 tuost gēst / gāst stēst /stāst bist

3 tuot gēt / gāt stēt /stāt ist

Pl. 1 tuon gēn / gān stēn /stān sīn (birn)

2 tuot gēt / gāt stēt /stāt sīt (birt)

3 tuont gēnt / gānt stēnt /stānt sint

Präteritum Sg. 1 tete gienc stv.7 stuont stv.6 was stv.5

2 tæte

3 tete

Pl. 1 tâten

2 tâtet

3 tâten

Ausbau des Tempussystems

Germ. Ahd. Mhd. Fnhd. Nhd.

Präs. Futur 2

Futur 1

Präsens

Prät. Imperfekt

Perfekt

Plusquamperfekt

Perfekt mit haben und sein

Perfekt

transitive V.

intransitive V.

sonstige

Orts-/

Zustandswechsel

haben

sein

Wolf im Indogermanischen

Stamm

Wurzel Thema Endung

ku o s

Wolf im Urgermanischen

Stamm

Wurzel Thema Endung

wúlf a z

Wolf im Gotischen

Stamm Endung

wulf s

Wolf im Althochdeutschen

Stamm Endung

wolf -

Maskuline mhd. Stammklassen

einstmals: a ja wa i

Sg. Nom. wolf hirte sê bach

Akk. wolf hirte sê bach

Dat. wolfe hirte sêwe bache

Gen. wolfes hirtes sêwes baches

Pl. Nom. wolfe hirte sêwe beche

Akk. wolfe hirte sêwe beche

Dat. wolfen hirten sêwen bechen

Gen. wolfe hirte sêwe beche

Mhd. Neutra-Stammklassen

einstmals: a ja wa iz/az

Sg. Nom. wort bette knie lamp

Akk. wort bette knie lamb

Dat. worte bette kniese lambe

Gen. wortes bettes kniewes lambes

Pl. Nom. wort bette knie lember

Akk. wort bette knie lember

Dat. worten betten kniewen lembern

Gen. worte bette kniewe lember

Analogien

• Tag : Tage wie Wort : x. x = Worte.

Alternativ dazu:

• Lamm : Lämmer wie Wort : x. x = Wörter.

Feminine mhd. Stammklassen

einstmals ō i

Sg. Nom. gruobe kraft

Akk. gruobe kraft

Dat. gruobe krefte

Gen. gruobe krefte

Pl. Nom. gruobe krefte

Akk. gruoben krefte

Dat. gruoben kreften

Gen. gruobe krefte

Schwache mhd. Flexionen („n-Stämme“)

Mask. Fem. Neutr.

Sg. Nom. brunne zunge herze

Akk. brunnen zungen herze

Dat. brunnen zungen herzen

Gen. brunnen zungen herzen

Pl. Nom. brunnen zungen herzen

Akk. brunnen zungen herzen

Dat. brunnen zungen herzen

Gen. brunnen zungen herzen

Der schwache mhd. hane wird zum

starken nhd. Hahn

alt neu vgl.

Sg. Nom. hane Hahn bach

Akk. hanen Hahn bach

Dat. hanen Hahn(e) bache

Gen. hanen Hahnes baches

Pl. Nom. hanen Hähne beche

Akk. hanen Hähne beche

Dat. hanen Hähnen bechen

Gen. hanen Hähne beche

Die Entstehung der „gemischten“Deklination der Feminina

alt vokalisch neu „gemischt“ alt konsonantisch

Sg. Nom. gruobe Grube wie Zunge zunge

Akk. gruobe Grube Zunge zungen

Dat. gruobe Grube Zunge zungen

Gen. gruobe Grube Zunge zungen

Pl. Nom. gruobe Gruben Zungen zungen

Akk. gruoben Gruben wie Zungen zungen

Dat. gruoben Gruben wie Zungen zungen

Gen. gruobe Gruben Zungen zungen

Das schwache mhd. ouge wird zum nhd. starken Auge (aber

nur im Singular!)

alt neu vgl.

Sg. Nom. ouge Auge Wort

Akk. ouge Auge Wort

Dat. ougen Auge Wort

Gen. ougen (auch herzen) Auges (Herzens) Wortes

Pl. Nom. ougen Augen

Akk. ougen Augen

Dat. ougen Augen

Gen. ougen Augen

Flexion der Verwandtschaftsnamen

Sg. Nom. vater muoter

Akk. vater muoter

Dat. vater / vater(e) muoter

Gen. vater / vater(es) muoter

Pl. Nom. vater(e) / veter(e) muoter(e) / müeter(e)

Akk. vater(e) / veter(e) muoter(e) / müeter(e)

Dat. vater(e)n / veter(e)n muoter(e)n / müeter(e)n

Gen. vater(e) / veter(e) muoter(e) / müeter(e)

„Schwache“ Adjektivflexion neuhochdeutsch

Sg. Nom. der kluge Mann die kluge Frau das kluge Kind

Akk. den klugen Mann die kluge Frau das kluge Kind

Dat. dem klugen Mann der klugen Frau dem klugen Kind

Gen. des klugen Mannes der klugen Frau des klugen Kindes

Pl. Nom. die klugen Männer die klugen Frauen die klugen Kinder

Akk. die klugen Männer die klugen Frauen die klugen Kinder

Dat. den klugen Männern den klugen Frauen den klugen Kindern

Gen. der klugen Männer die klugen Frauen der klugen Kinder

„Starke“ (besser „pronominale“) Adjektivflexion

neuhochdeutsch

Sg. Nom. kluger Mann kluge Frau kluges Kind

Akk. klugen Mann kluge Frau kluges Kind

Dat. klugem Mann kluger Frau klugem Kind

Gen. klugen Mannes kluger Frau klugen Kindes

Pl. Nom. kluge Männer kluge Frauen kluge Kinder

Akk. kluge Männer kluge Frauen kluge Kinder

Dat. klugen Männern klugen Frauen klugen Kindern

Gen. kluger Männer kluger Frauen kluger Kinder

„Starke“ Adjektivflexion mittelhochdeutsch

Sg. Nom. kluoger man

kluoc man

kluogiu vrouwe

kluog vrouwe

kluogez kint

kluoc kint

Akk. kluogen man kluoge vrouwe kluogez kint

Dat. kluogem manne kluoger vrouwe kluogem kinde

Gen. kluoges mannes kluoger vrouwe kluoges kindes

Pl. Nom. kluoge man kluoge vrouwen kluogiu kint

Akk. kluoge man kluoge vrouwen kluogiu kint

Dat. kluogen mannen kluogen vrouwen kluogen kinden

Gen. kluoger manne kluoger vrouwen kluoger kinde

Personalpronomen 1 („ungeschlechtig“)

1. Person 2. Person.

Sg. Nom. ich du

Akk. mich dich

Dat. mir dir

Gen. mīn- dīn-

Pl. Nom. wir ir

Akk. uns iuch

Dat. uns iuch

Gen. unser- iuwer-

Personalpronomen 2 („geschlechtig”)

Mask. Neutr. Fem.

Sg. Nom. er ez siu / sie / si

Akk. in

Dat. im(e) ir(e)

Gen. es / sīn

Pl. Nom. sie / si sie / siu sie / siu

Akk.

Dat. in(en)

Gen. ir(e)

bestimmter Artikel

Mask. Neutr. Fem.

Sg. Nom. der daz diu / die

Akk. den

Dat. dem(e) der(e)

Gen. des

Pl. Nom. die diu die

Akk.

Dat. den

Gen. der(e)

Artikellosigkeit im Wessobrunner

Gedicht (um 800)

Dat gafregin ih mit firahim firiuuizzo meista

Dat ero ni uuas noh ufhimil

noh paum, noh pereg ni uuas,

ni sterro nohheinig, noh sunna ni scein

noh mano ni liuhta

‘Das erfuhr ich bei den Menschen als der Wunder größtes, dass die Erde nicht da war, und auch nicht der Himmel, weder ein Baum noch ein Berg war da, noch irgendein Stern, noch die leuchtende See, auch der Mond schien nicht’

Vergleich: best. Artikel und pronominale Adjektivflexion

Mask. Neutr. Fem.

Sg. Nom. der kluoger man daz kluogez kint diu kluogiu vrouwe

Akk. den kluogen man

Dat. dem kluogem / kinde der kluoger vrouwe

Gen. des kluoges mannes / kindes

Pl. Nom. die kluoge man diu kluogiu kint die kluoge vrouwen

Akk. die

Dat. den kluogen mannen / kinden / vrouwen

Gen. der kluoger manne / kinde / vrouwe

Demonstrativpronomen

Mask. Neutr. Fem.

Sg. Nom. diser / dirre diz / ditze disiu

Akk. disen dise

Dat. disem(e) diser / dirre

Gen. dises

Pl. Nom. dise disiu / dise dise

Akk.

Dat. disen

Gen. diser / dirre

Interrogativpronomen

Mask. / Fem. Neutr.

Sg. Nom. wer waz

Akk. wen

Dat. wem(e)

Gen. wes

Instr. –.– wiu

Numeralia 1 bis 3

Mask. Neutr. Fem.

Singular 1 Nom. ein, einer ein, einez ein, einiu

Akk. einen eine

Dat. einem(e) einer(e)

Gen. eines

Plural 2 Nom. zwēne zwei zwō

Akk.

Dat. zweien

Gen. zweier

3 Nom. drī(e) driu drī(e)

Akk.

Dat. drī(e)n

Gen. drīer

Inhärentes Subjekt im Althochdeutschen

inti abur nimu sia. Niman nimit sia fon mir ‘und

wiederum nehme [ich] sie. Niemand nimmt sie

von mir’ (die Rede ist von der Seele).

arstantu inti faru zi minemo fater ‘[ich] stehe auf und

[ich] gehe zu meinem Vater

kilaubo in fater almahticun ‘[ich] glaube an den

allmächtigen Vater’.

thir quidu arstand ‘dir sage [ich]: steh auf’.

Formale Subjekte im Mittelhochdeutschen

und dô ez an den âbent gienc / einen stîc ich dô gevienc ‘und als es

an den Abend ging (= als es Abend wurde), entdeckte ich

einen Steig’

dâ sluoc er an daz ez erhal / und daz ez in die burc erschal. ‘da

schlug er dran, dass es hallte und dass es in der ganzen

Burg ertönte’

dô nâhet ez dem mitten tage ‘da ging es auf Mittag zu’.

Nominalphrasen in zwei Nibelungen-Strophen

Ez wuohs in Burgonden ein vil edel magedîn

daz in allen landen niht schœners mohte sîn,

Kriemhilt geheizen: sie wart ein schœne wîp.

darumbe muosen degene vil verliesen den lîp

Ir pflâgen drî künege edel unde rîch:

Gunther unde Gêrnôt, die recken lobelîch.

und Gîselhêr der junge, ein ûzerwelter degen.

diu frouwe was ir swester. die fürsten hetens in ir pflegen.

Verberststellung im ...

... Althochdeutschen:

suilizot lougiu der himil, mano vallit, prinnit mittilagart, sten ni kistentit,

verit denne stuatago in lant, verit mit diu vuiro viriho uuison ‘[es]

verbrennt mit [einer] Lohne der Himmel, der Mond fällt, [es]

brennt die Welt, Stein bleibt nicht stehen, fährt dann [der]

Gerichtstag ins Land, fährt um mit dem Feuer [die] Menschen zu

richten’.

... Mittelhochdeutschen:

só bízzet síun ínnan. unzin er stírbit, únde uérit siû gesunt úz ‘so beißt sie

ihn innen, bis er stirbt und sie fährt unversehrt heraus’

Verbspäterstellung im...

... Althochdeutschen:

Saligiu uuituuua, du selbon got habest rihtare unde piskirmare ‘selige Witwe, du hast Gott selber als Richter und Beschützer’.

...Mittelhochdeutschen:

vnd geyne so reyne so eydel spijse noch dranck in dich inkompt ‘und keine so edle Speise noch Trank kommt in dich’.

der heilige geist mit donre dir den laim abeslehet ‘der heilige Geist schlägt dir mit Donner den Lehm ab’.

Außenfeld Vorfeld finites

Verb

Mittelfeld infinite / nicht verbale

Prädikatsteile

Nachfeld

<-----------------verbale Klammer -------------->

Besetzung des „Außenfeldes“

Saligiu uuituuua, du selbon got habest rihtare unde

piskirmare ‘selige Witwe, du hast Gott selber als

Richter und Beschützer’

Herre, daz wîb, die du mir ze gnozſêfte gâbe, div gab mir

daz obiz, vnde âz ich ‘Herr, das Weib, das du mir als

Gefährtin gabst, die gab mir die Frucht und ich

aß’.

Klammerbildung in einem mhd. Prosatext Bi den ziten do Krist geborn wart, do was ein kvnich ze Ierusalem geheizen Herodes, der was so verre besezzen mit der vntriwe vnde mit girschait dirre werlte, daz er des gedahte, daz er div israhelisken riche niemer vz siner gewelte verlieze. Als er do fraischete, daz da ze Betlehem geborn wære ein kint, daz kvnich vnde herre solte sin vber alle die werlte, do forhte der arm man, daz er in sines riches verstieze, vnde gedahte, wie er daz kint ze dem tode bræhte, vnde gebot, daz man ælliv div kint slege, div vber allez daz lant innerhalp zwaier iare geborn wæren, vnde tet daz darvmbe, daz ch daz kint Iesus Christus vnder den allen erslagen wurde. Vnder div hete der herre Ioseph sine gemahelen s. Mærien mit ir trvtsvne von der wisvnge des heiligen geistes geflohen in Egipte lant.

‘Zu den Zeiten, als Christus geboren wurde, war ein König in Jerusalem mit Namen Herodes. Der war so sehr von Untreue und Gier nach dieser Welt besessen, dass er entschlossen war, das irsaelitische Reich niemals aus seiner Gewalt zu verlieren. Als er dann erfuhr, dass in Bethlehem ein Kind geboren wäre, das König und Herr über alle Welt sein sollte, da befürchtete der arme Mann, dass dieses ihn von seiner Herrschaft verstoßen würde, und sann darauf, wie er das Kind umbringen könnte, und befahl, dass man alle Kinder, die im ganzen Land im Lauf der letzten zwei Jahre geboren worden waren, erschlagen solle. Und er tat das deshalb, damit auch das Kind Jesus Christus zusammen mit denen allen erschlagen würde. Währenddessen hatte Joseph seine Frau Maria mit ihrem lieben Sohn gemäß der Weisung des heiligen Geistes in das Land Ägypten in Sicherheit gebracht’.

Struktur komplexer Prädikate mit Hilfsverb

Ich glbe ... daz der selbe gotis sûn enphangin wart von dem

heiligim geiste, geborn wart von minir frwen sancte

Marien, der ęwigen meidi, unde glbe, daz er gevangin

wart, daz er gemartrot wart, daz er gecrvcigit wart, daz er

dar an erstarb, an der mennischeit, niht an der gotheit. Ich

glbe, daz er begrâbin wart, daz er nidir fr z der helle,

an dem drîtin tâge erstnt vonme tôdi, warri got mennisliki,

vnde daz er ze himel fr.

Struktur komplexer Prädikate mit Modalverb

Wa nu Adam, der da wante, daz er chvnftich got scholte werden.

Nv ist er ârm wortin, der glîch wolde sîn Patri et filio et spiritui

sancto, nu hat er ein andirz vundin, den er gedingt ...; do er gt solte

haben gewôrht, do cherte er an daz unreht.

‘Wehe dir jetzt, Adam, der hoffte, dass er in Zukunft Gott

werden sollte. Nun ist er arm geworden, der Vater, Sohn

und heiligem Geist gleich sein wollte. Nun hat er etwas

anderes gefunden, als was er erhoffte. Als er Gutes hätte

tun sollen, da wandte er sich dem Unrecht zu.’

Hypotaxe – schon im Althochdeutschen

Bidhiu nu, ibu dher gotes forasago christes chiburt ni mahta arrahhon, huuer sih dhes biheizssit sia zi archennenne, huueo dher sunu mahti fona fater chiboran uuerdhan?

‘Deshalb nun, wenn Gottes Prophet Christi Geburt nicht hätte verkünden können, wer vermäße sich dann zu erkennen, wie der Sohn vom Vater gezeugt werden konnte?’

In godes minna ind in thes christanes folches ind unser bedhero gehaltnissi fon thesemo dage frammordes, so fram so mir got geuuizci indi mahd furgibit, so haldih thesan minan bruodher soso man mit rehtu sinan bruodher scal, in thiu thaz er mig so sama duo, indi mit Ludheren in nohheiniu thing negegango, the minan uuillon imo ce scadhen uuerdhen.

‘Aus Liebe zu Gott und zu unser beider und des christlichen Volkes Wohle von nun an, sofern mir Gott Einsicht und Kraft verleiht, verhalte ich mich diesem meinem Bruder gegenüber wie sich man von Rechts wegen zu seinem Bruder verhalten soll, damit er es mir gegenüber genauso tue und gehe mit Lothar keinen Vertrag ein, mit dem ich vorsätzlich im Schaden zufüge’

Temporales do do in vnser herre in daz paradis gesazti vnde im allez, daz f der erde ist, vndertân machte, do wolte er Adames gehôrsam bewârn vnde zêigte im ein obez, daz schonir was den ander obiz ‘als ihn unser Herr in das Paradies gesetzt hatte und ihm alles, was auf der Erde ist untertan gemacht hatte, wollte er sich auf Adams Gehor-sam verlassen und zeigte ihm eine Frucht, die schöner war als alle anderen Früchte’.

do er dem tiefil gevolgote, daz er wânte, daz er got glîch wurte, da was er blint ‘als der dem Teufel folgte, indem er glaubte, dass er Gott gleich wäre, war er blind’.

Also schiere do ich da chom, daz ich svnden chunde, do warf ich got minen sepphâre zervcge, vermeit daz gůt, frumte daz ubele ‘als ich so weit war, dass ich sündigen konnte, stieß ich Gott, meinen Schöpfer zurück, vermied das Gute und tat das Böse’.

Temporales (überzeitliches ) swenne Swenne vns vbele gedanche mgen, so svln wir ze den gten keren ‘wenn uns böse Gedanken bedrängen, dann sollen wir uns den guten zuwenden’.

Swenne so ir mit untriwen unde mit unwarheit beuangen sît unde des tieuels willen tt mit maneger slahte uppecheit, so hat der leidige uînt an îv gesigt, so sît ir in siner gewalt ‘wenn ihr mit Untreue und mit Unwahrheit befangen seit und ihr den Willen des Teufels tut mit mancherlei Bosheit, dann hat euch der böse Feind besiegt, dann seid ihr in seiner Gewalt’.

Swenne div gte sele uon deme lichenamen sceidet, hat si wole unde rehte hie gelebet, so bringent si die heiligen engele z deme waren scirmare Iesv Christo ‘wenn die gute Seele vom Leichnam scheidet, sofern sie gut und recht auf Erden gelebt hat, dann bringen sie die heiligen Engel zum wahren Beschützer Jesus Christus’.

Temporales (unbestimmtes) swenne

So der hîrz chvmit ze sogetânin stêtin, die dornich sint unde lettich, so hevet er sich ze springen unde springit snelle dar uber ‘wenn der Hirsch an solche Plätze kommt, die dornig sind, dann hebt er an zu springen und springt kraftvoll darüber’.

So ir den lîp uil wole gazet unde getrenchet, so schundet er ivch sâ ze bôsin werchin, ze bosin wortin, ze hohmůte, ze aller slâhte upichêit ‘wenn ihr den Leib mit Essen und Trinken vollgestopft habt, dann verleitet er euch zu bösen Taten, zu bösen Worten, zu Hochmut und allem möglichen Frevel’.

So er denne geborn wirt, so uolget ime leider manec man unde wîp; sumeliche sint ckelare, sumeliche zberare ‘wenn er dann geboren wird, dann folgen ihm leider viele Männer und Frauen, mache sind Gaukler, manche Zauberer’.

Temporalsätze mit als(o)

also daz iungest gericht werde, so siech man groezev zaichen vnd wunder geschehen an der sunne vnd an dem mane ‘wenn das jüngste Gericht komme, so sehe man große Zeichen und Wunder an Sonne und Mond ge-schehen’.

also der eine inne was, der ander vor den turin was ‘während der eine drinnen war, war der andere vor der Türe’.

daz sol sîn getân, als wir nu komen widere ‘das soll getan werden, wenn wir zurück kommen’.

Temporalsätze mit unz

Nim zvei clobelovches hovbit .v sivt sie mit fier mezzen wazzeres. in einem niwen hauene. unz ez uerside zezvin .becchern vollen ‘nimm zwei Knoblauchknollen und koche sie mit vier Maßen Wasser in einem neuen Topf, bis es zu zwei Bechern verkocht ist’.

unser fater Adam, unz er nakeder uuas in paradyso, do negimahta der diufal nieht uuider imo ‘unser Stammvater Adam, solange er nackt war im Paradies, konnte der Teufel ihm nichts anhaben’.

Der tage sint zewene, ein tach des mennischn, der ander gôtis. Der tach der mennischen wêrt also lange, unz si langest lebint. Hie sint die mennische in ir selbir gewâlte ‘es gibt zwei verschiedenartige Tage, einer gehört dem Menschen, der andere Gott. Der Tag des Menschen dauert an, solange er lebt. Hier haben die Menschen Gewalt über sich selbst’.

Temporalsätze mit sît

Lvcifer daz quût liehttragêre. Sît auer er uerstoz-zen wart,

heizzet er Letifer, tôtbringære ‘Luzifer bedeutet

Lichtträger. Seit er aber verstoßen wurde, heißt er

Letifer, Todbringer’.

sît ich her wart verkouft, sô hân ich smæhlîch arbeit gedolt

‘seit ich hierher verkauft worden bin, habe ich

schmachvolle Arbeit erduldet’.

Kausales wan(de) mit Nebensatzstellung des Verbs

Nu freuue dih, tohter, uuanda du e firchoufet uuari, daz tu dines mannes diu uuarist: nu hastu auer die friheit uone gote imfangen

‘Nun freue dich, Tochter, weil du vorher verkauft warst, als du deines Mannes Magd warst; nun hast du aber die Freiheit von Gott empfangen’.

si hete groze sorge vm ir chindes lip wan si wol erchande Gvnthern und sine man ‘sie hatte große Sorge um das Leben ihres Kindes, weil sie Gunther und seine Männer genau kannte.

Si wârn blint, wan si got niht erchantin. Si warn halz, wan si in gtin werchen niht giengin. Si warn stvmmen, wan si ir sunte gote niene chlagtin. ‘Sie waren blind, weil sie Gott nicht erkannten. Sie waren lahm, weil sie keine guten Werke vollbrachten. Sie waren stumm, weil sie ihre Sünde Gott nicht klagten’.

Kausales wan(de) mit Hauptsatzstellung des Verbs

Wan swer sinen brvder oder swester hazzet, der ist ain menschtoeter ‘denn wer seinen Bruder oder seine Schwester hasst, ist ein Menschenmörder’.

wan er wart dez sunnentages geborn dez selbin tages erstůnt er ‘denn er wurde an einem Sonntag geboren; am gleichen Tag erstand er’.

wan wrden disiv mære ce Rine geseit dvne dorftest nimmer geriten in daz lant ‘denn würden diese Worte am Rhein gesagt, dann bräuchtest du nie mehr in das Land reiten’.

Nebensatzeinleitendes sît (seit)

Unde sît uuir hie furhton ze einere uuile daz zekentlicho fiur, uuanda nefurhten uuir ouh danne daz euuige fiur? ‘da wir hier in der Zeitlichkeit das vergängliche Feuer fürchten (im Anbetracht der Tatsache, dass wir das vergängliche Feuer fürchten... / da wir doch dass vergängliche Feuer fürchten ...), warum fürchten wir nicht auch das ewige Feuer?’

Seit allez himelischez here, daz in dem himel vor got ist, zitert vnd bidmet vor vnsers herren zoren, welch rat wiert danne des armen sunders, der in diser werlt nimmer gerasten noch gerueben wolt vor sunden? ‘da das ganze himmlische Heer, das im Himmel vor Gott steht, zittert und bebt vor dem Zorn unseres Herrn (da doch das ganze himmlische Heer ... zittert), welche Hilfe wird dann dem armen Sünder, der in dieser Welt nicht von den Sünden ablassen wollte?’

Seit man vnsers herren aechte auf der werlt vnt daz man im riete auf den leibe, so schol evch, vil liebe leute, des nicht wundern, ob man ev verraetet an leib oder an guet oder an den eren ‘da man unseren Herrn auf der Welt geächtet und zum Tod verurteilt hat (in Anbetracht der Tatsache, dass man unsern Herrn ...), soll es euch, liebe Leute, nicht wundern, wenn man euch ans Leben, an den Besitz oder an die Ehre will’.

Uneingeleitete Konditionalsätze mit

Verberststellung

Wil du haben daz ware vnde daz ewige leben. so svvige dine zvngin von vbile ‘Willst du das wahre und das ewige Leben haben, so schweige deine Zunge von Bösem’

Sprichet er, daz er es geren welle vnd mvg tvn mit gotes hilf, so sol der maister sprechen .. .‘Sagt er, dass er es gerne wolle und tun könne mit Gottes Hilfe, so soll der Meister sprechen...’

Des wirt noch g(e)lachet innecliche, kumt iemen an daz selbe pfat ‘darüber lacht man innerlich, wenn jemand an die Stelle kommt’

Indirekte Fragesätze mit ob

Swenne man wil ainen brvder oder swester enphahen in daz spital, so sol der maister in dem capitel vor den brvderen in vragen, ob er sie an der ee oder ob er sie aigen, vnd ob ir svl gelten vnd ob er iht in ainem anderem ordem hab gehorsam tan vnd ob ir iht hab verbargen siechtagen, der in moht irren an dem dienest der tvrftigen ‘wenn man einen Bruder oder eine Schwester ins Spital (zum Dienst) aufnehmen will, dann soll der Meister im Kapitel ihn vor den Brüdern fragen, ob er verheiratet sei, ob er leibeigen sei und ob er Schulden habe und ob etwa schon in einem anderen Orden ein Gelübde abgelegt habe und ob er etwa eine verborgene Krankheit habe, die ihn daran hindern könnte Dienst an den Bedürftigen zu leisten’

Konditionales ob

Vnd ob er anders tet, den er sol ‘und wenn er anders handelt, als er soll’

Sin oren svlen besclozen sin von vnnvtzen worten vnd von vnnvtzen spelen vnd maeren, daz er der iht hoere. Vnd ob er sie hoeret, so sol er si niht schier gelawen noch anderen lvten sagen ‘Seine Ohren seien verschlossen vor unnützen Worten und vor unnützen Scherzen und Geschichten, damit er sie nicht höre. Und wenn er sie hört, dann soll er sie weder gleich glauben noch anderen Leuten weitererzählen’

ich han von iwern scvlden vil grozen scaden genomn der wirt mir nv vergolten, ob ich gelvcke han ‘ich habe durch euere Schuld sehr großen Schaden gelitten. Der wird mir nun vergolten, wenn ich Glück habe’.

Konditionales sô

So dv disses bedvrfist. so trovfe mit einir federe einin trovfin indaz ovge. ‘wenn du das brauchst, dann träufle mit einer Feder einen Tropfen in das Auge’

So er daz hat tan, so sol er es dem maister wider geben ‘wenn er das getan hat, dann soll er es dem Meister zurückerstatten’.

So man ainen sichen wil enphahen, so sol er for piechten vnd geistlichen vnseren herren enphahen ‘wenn man einen Kranken auf nehmen will, dann soll er zuvor beichten und die Kommunion empfangen’.

Konzessives ob

sist mir liep und wert als ē, ob ez ir etelîchem tæte in den ougen wê ‘sie ist mir lieb und teuer wie ehedem, auch wenn es manchem von ihnen in den Augen weh tut’.

ich bestünde in doch durch âventiur, ob sîn âtem gæbe fiur ‘ich würde doch gegen ihn kämpfen, auch wenn sein Atem aus Feuer wäre’

bitet in hivte siner gnaden, ob ir im so niht gewartet habet, als ir von rehte soltet iwerm vrlosær, daz er sine barmvnge laze fvr iwer svnde gen ‘bittet ihn heute um seine Gnade, obwohl ihr nicht so an ihn gedacht habt, wie ihr es eurem Erlöser schuldig wäret, dass er sich euerer Sünden erbarme’.

Konzessives do(c)h

doh er wære ein kindelîn, si muosen alle under im sîn ‘obwohl er nur ein kleines Kind war, mussten alle ihm untertan sein’.

doch er guot ellen trüege, Êrec in von dem rosse schiet ‘obwohl er sehr viel Kraft hatte, stieß Erec ihn vom Pferd’

doch ich ein leie wære, der wâren buoche mære kund ich lesen ‘obwohl ich ein Laie bin, kann ich lesen, was in den wahren Büchern steht’.

Konzessives swie Swie so min trehtin ane svnde wære vnde nehainer ê bedorfte, div dem svndigen mennisken gesetzet was ..., iedoch wolte er si alle begen ‘obwohl mein Herr ohne Sünde war und keiner Gesetze bedurfte, die dem sündigen Menschen auferlegt waren, wollte er sie dennoch alle erfüllen’.

swie ir genomen wære der Nibelunge golt, alle die si gesâhen, die machte si ir holt ‘obwohl ihr das Gold der Nibelungen geraubt worden war, machte sie sich alle, die sie sahen gewogen’.

suîe uuole die kiuuorhte nah sinere hulde, so niphiegin si doh sa nieth des lonis ‘obwohl sie sich um seine Huld bemühten, empfingen sie doch nicht den Lohn’

Finales daz

Umbe daz ist der sunnentac gesezzet vnde andere heilige tage, daz wir nehein ander werch netn, wan daz wir ze chirchen gen ‘dazu ist der Sonntag eingesetzt und andere Feiertage, dass wir keine andere Arbeit verrichten, außer dass wir in die Kirche gehen’.

dar umbe hât er sich genant, daz er sîner arbeit ... iht an lôn belîbe ‘deshalb hat er seinen Namen genannt, dass er nicht ohne Lohn für seine Arbeit bleibe’

die got darzuo geschaffen hât, daz sie guot bilde geben ‘die Gott deshalb geschaffen hat, dass sie gutes Vorbild geben’

Präzisierende Erweiterung von finalem daz

Der heilige bôte mânt uns niwet durch daz unsiri sunti gote

gehin, sam er ir niht wizzi, der alliz daz wêiz, daz immer

wirt, ê iz ergê, suntir dar umbe daz wir uns hie schâmin

uor den mennischin ‘der heilige Apostel ermahnt uns

nicht deshalb, unsere Sünde Gott zu bekennen,

weil er, der alles schon weiß, bevor es geschieht,

sie nicht kennt, sondern damit wir uns hier

schämen vor den Menschen’

Konsekutives daz

Ich kam gegangen zuo der ouwe do was min friedel komen e

Da wart ich empfangen, here frouwe, daz ich bin sælic iemer me.

Kust er mich? wol tusentstunt,

tandaradei, seht wie rot ist mir der munt!

Modales sô

daz begunde dem recken sîne brust bêde erstrecken, sô die senwen tuot daz armbrust ‘das ließ dem Recken die Brust so schwellen, wie die Sehne die Armbrust spannt’.

unz si des nahtes slâfen gie zir vater vüezen, dâ si lac und ouch ir muoter, sô sie phlac ‘bis sie nachts schlafen ging zu Füßen ihres Vaters, wo sie lag und auch ihre Mutter, wie sie es gewohnt war’.

nu wil ich sehen gerne, op man den dînen lîp habe ze solhen êren, sô man den mînen tuot ‘nun will ich gerne sehen, ob man dir so viel Ehre erweist, wie man es mir tut’

Modales als(o)

Die manegen messe, die wir begen inme iare, ... die sint uns nith ze werltlicher urde gesezzet, als div werlt nu phliget, wan so heilige tage sint, so ulizzent sich die lûte ire tanzes unde anderer uppigen spile ‘die verschiedenen Messen, die wir im Laufe des Jahres feiern, die sind uns nicht zum weltlichen Vergnügen bestimmt, wie es die Leute jetzt zu handhaben pflegen; wenn Feiertage sind, dann gehen die Leute zum Tanz und anderen sündhaften Vergnügungen’.

Indisen zeuuan dingen so wirt der ewige lîb gewnnen. alse dauid sprichet. Chere dich uon dem ubele. unte tûo daz guót ‘mit diesen zwei Dingen gewinnt man das ewige Leben, wie David spricht: wende dich vom Bösen ab und tu das Gute’

Also demo einhurnin niman geuolgen nemag, so nemag ouh nehein man uernemin daz gerune unsiris trotinis ‘so wie dem Einhorn niemand folgen kann, so kann auch niemand das Geheimnis unseres Herrn verstehen’

Modales sam (ob)

doch tete sî, sam diu wîp tuont ‘dennoch handelte sie so, wie es

Frauen tun’.

ovch lovhtent im di ringe sam daz fiwer tvt ‘auch leuchten ihm

die Ringe, wie es das Feuer tut’.

Do was chomen Brvnnhilt ... sam ob si solde striten vmb elliv

chvniges lant ‘da war Brünhild gekommen, als ob sie um die

Länder aller Könige kämpfen sollte’.

so als...

... Partikel in relativen Anschlüssen: Dez menschin lip ist gemachet vz vier elemente da von so wil ich dir sagen welhes siv sint (Materialien 22) ‘des Menschen Leib ist aus vier Elementen gemacht, davon will ich dir sagen, welche das sind’

da von so gat in div sunne e vf danne vns (ebenfalls Materialien 22) ‘deshalb geht für sie die Sonne früher auf als für uns’.

... Korrelat: Daz er bi mir læge, wessez iemen – nu enwelle got! – so schamt ich mich. ‘dass er bei mir lag, wüsste es jemand – Gott verhüte es – so würde ich mich schämen’.

... Partikel bei Adjektiven: vnd geyne so reyne so eydel spijse noch dranck in dich inkompt ‘und keine so edle Speise noch Trank kommt in dich’.

Negation mit ni im Althochdeutschen

wela gisihu ih in dinem hrustim, dat du habes heme herron goten, dat du noh bi desemo riche reccheo ni wurti ‘gut erkenne ich an deiner Rüstung, dass du einen guten Herrn hast, dass du in diesem Reich ein Geächteter nicht bist’.

Tho ni uuas iz burolang, fand her thia Northman ‘da dauerte es nicht lange, es fand die Normannen’.

+

niuueiz ih inan noh ih niuueiz uuaz thu quidis. ‘ich kenne ihn nicht und ich weiß nicht, was du redest’.

Negation mit ni im Wessobrunner Gedicht

Dat gafregin ih mit firahim firiuuizzo meista

Dat ero ni uuas noh ufhimil

noh paum, noh pereg ni uuas,

ni sterro nohheinig, noh sunna ni scein

noh mano ni liuhta

‘Das erfuhr ich bei den Menschen als der Wunder größtes, dass die Erde nicht da war, und auch nicht der Himmel, weder ein Baum noch ein Berg war da, noch irgendein Stern, noch die leuchtende See, auch der Mond schien nicht’

Proklitisches ni

so ser gat in demo uualde un er de iagere gestincit, so

uertiligot er daz spor mit sinemo zagele, ze diu, daz sien ni

neuinden. ‘wenn er (= der Löwe) in den Wald geht

und die Jäger riecht, dann beseitigt er seine

Fußspuren mit dem Schwanz, dass sie ihn nicht

finden’

Typisch mittelhochdeutsch: Negation mit

abgeschwächten ne-Varianten und ni(c)ht

Der die minne uuider sinen nahisten nieth nihat, der scol niemir daz ambahte kiuuinnen der bre-digi ‘der die Liebe zu seinem Nächsten nicht hat, der soll niemals das Predigeramt bekommen’.

ichn chans niht an gesehen mer ‘ich kann es nicht mehr ansehen’

des enmach niht gesin ‘das kann nicht geschehen’

Die zwei „Quellen“ von nicht

ni io wiht ni wiht

nioht

nieht

ni(c)ht

Mittelhochdeutsche Negation nicht nur mit ni(h)t

dar ûf enahte ich niht ein strô ‘darauf achte ich nicht ein Stroh’

irn schadet der winter ... an ir schoene niht ein hâr ‘ihrer Schönheit schadet der Winter nicht ein Haar’

nu vürhte ich dîne stange unde dich niht eine halbe bône. ‘nun fürchte ich dich und deine Stange nicht ein halbe Bohne’

ern haete waerlîche Rôme und elliu rîche, elliu lant und elliu mer derwider niht g'ahtet ein ber. ‘er hätte wahrhaftig Rom und alle Reiche, alle Länder und alle Meere im Vergleich dazu nicht eine Beere geachtet’

Nur ni(c)ht blieb übrig

Ter onocentaurus, er ist halb man, halb esil, unde bezeichinet di dir zuiualtic sint in ir zunon un in iro herzon, unde daz pilide des rehtis habin un ez doh an ir uuerchin niht eruullint ‘der Onocentaurus – er ist halb Mensch, halb Esel – versinnbidlicht alle, die widersprüchlich sind mit ihrer Zunge und mit ihrem Herzen, die zwar um das Rechte wissen, aber es trotzdem nicht in Werken erfüllen’

Unde bedenchet, uuio ubel daz ist, daz uuir den toten lichinamen chlagen, den uuir nieth irchucchen magen, unde dia irstorbenen sela niet chlagon, dia uuir irchuichen magon ‘und bedenkt, wie schlimm das ist, dass wir den toten Körper beklagen, den wir nicht beleben können, die gestorbene Seele aber nicht beklagen, die wir ins Leben zurückholen können’

swer der ist, ez si wîb oder man, der ze sinen iârn chvmt, chan er des heiligen glben niht vnde wil in dvrh sine lihtegerne niht lernen, wirt der also fvnden, der ist verlorn ‘wer immer es sei, gleichgültig ob Frau oder Mann im Erwachsenenalter, kann er das Glaubensbekenntnis nicht auswendig und will er es aus Bequemlichkeit nicht lernen, wird derjenige so angetroffen (d.h. stirbt er), so ist er verloren’

Ohne neuhochdeutsche Folgen:

Negation mit nehein Umbe daz ist der sunnentac gesezzet vnde andere heilige tage, daz wir nehein ander werch netn, wan daz wir ze chirchen gen ‘dazu ist der Sonntag eingesetzt und andere Feiertage, dass wir keine andere Arbeit verrichten, außer dass wir in die Kirche gehen’.

Also demo einhurnin niman geuolgen nemag, so nemag ouh nehein man uernemin daz gerune unsiris trotinis ‘so wie dem Einhorn niemand folgen kann, so kann auch niemand das Geheimnis unseres Herrn verstehen’.

Nehein uradriz netuot niomanne, unde ube iz auar iu ketan uuerda, so uirtraget iz kedultigliche ‘kein Unrecht tut irgendjemandem, und wenn es euch zugefügt wird, so ertragt es geduldig’.

kein (aus mhd. dehein u.ä.) bedeutete

ursprünglich ‚irgendein‘

Umbe uuaz scolt du nu decheinen man uueinon, sid tu nu bezzera bist, danne du e uuarest? ‘Warum solltest du irgendeinen Mann beweinen, da du nun besser gestellt bist, als du zuvor warst’

Da ie dehein suntare sich mit bewal, da han ich mich mit bewollen: daz riwet mich. ‘Womit sich (jemals) irgendein Sünder besudelt hat, damit habe ich mich bedudelt; das bereue ich’

do erschein ain sterne, der was schoner vnde liehter denne dehein sterne ‘da erschien ein Stern, der war schöner und heller als irgendein (anderer) Stern’

Aber kein (aus mhd. dehein u.ä.) in Verbindung mit nicht oder

anderer Negation bedeutete ‚nicht irgendein‘, kurz gesagt: ‚kein‘:

Ir f stêt, ir iv nider leget, so sult ir den heiligen glben sprechen vnde sult ivch da mit uesten vnde besigeln, sone mâg iv der tievel dehein schade in ‘steht ihr auf, legt ihr euch nieder, immer sollt ihr das Glaubensbekenntnis sprechen und sollt euch damit kräftigen und besiegeln, dann kann euch nicht der Teufel irgendeinen Schaden tun (= dann kann euch der Teufel keinen Schaden tun)’

So grozzer kvsge phliget div tvrteltvbe, so si ir gemæchide verlivset, daz si ir niemer mere vf der erde deheinez erkivset noh gesitzet niemer mere vf dehein grnez zwi, niwan aine flivget ez vnde ist iemer mere aine ‘so keusch ist die Turteltaube: wenn sie ihren Gemahl verliert, dass sie sich nie mehr auf der Erde einen anderen aussucht, noch nimmer mehr (!) sich auf einem grünen Zweig setzt, sondern alleine fliegt und immer einsam bleibt’

Daz sint dei kint, dei nu getfet sint, dei habint deheiner sundin niht ‘das sind die Kinder, die jetzt gatauft sind: die haben keine Sünden’

Und irgendwann war kein allein

z der lôsunge wolte er deheinin engil sentin, wande er wol wisti, daz die êngel ch ê gevallin warn von ir ubirmte ‘zu der Erlösung wollte er keinen Engel senden, weil er wohl wusste, dass auch die Engel einstamls durch ihren Mutwillen gefallen waren’.

In der helle ist dehein urlôse, dehein nuzziv bîhte ‘in der Hölle gibt es keine Erlösung und keine nützliche Beichte’.

Div vaste mit dem almosin, daz ist ziwischiliz gůt, uaste ane almosin ist dehein gůt ‘Fasten mit Almosen, das ist ein zweifaches Gut, aber Fasten ohne Almosen ist gar kein Gut’.

... was zu Missverständnissen führen kann, denn kein

kann noch lange ‚irgendein‘ bedeuten!

ee er keines sichtagen gewar würd ‘bevor er irgendeine Krankheit bemerkt’ (‚keine Krankheit‘ wäre Unsinn)

vnd ob kain prief von dem eegenanten gotzhaws gegeben war oder funden wurd ‘und falls irgendeine Urkunde von dem soeben genannten Gotteshaus ausgestellt oder gefunden wurde’ (ebenso).