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Was hat die eidgenössischen Wahlen 2019 entschieden?
Präsentation bei der Fachschaft des Instituts für Politikwissenschaft an der Universität Zürich
23. Oktober 2019
© gfs.bern, Politikforschung
Claude LongchampPolitikwissenschaftlerLehrbeauftragter für Wahlforschung an den Universitäten Zürich und BernVRP Forschungsinstitut gfs.bern1991-2017 Wahl- und Abstimmungsanalytiker/-kommentator für SRG Medien
Ergebnisse der Wahlen
2
Vorherrschende Polarisierung
Regierungsparteien, die verlieren:• SVP• SP• FDP• CVP
Nicht-Regierungsparteien, die gewinnen:• GPS• GLP• EVP
3
Sitzaufteilung: End- resp. Zwischenergebnisse
Nationalrat Ständerat
4
Wahlbeteiligung 2019
Im Trend: erneut leichter RückgangIn den Kantonen: Flächendeckende Abnahme (ausser AI)
5
Pedersen-Index (= relative Änderung der Sitze nach Parteien)
• Gemeinsamkeit: Erschütterungen aufgrund globaler Ereignisse mit Folgen für die Schweiz
• Grosse Ausschläge unter Proporzbedingungen
• 1935: Weltwirtschaftskrise• 2011: Fukushima• 2019: Klimawandel
• Charakteristik: Stets verloren die vier grossen Parteien (meist in der Regierungsverantwortung) und es entstanden oder erstarkten Oppositions- resp. Nicht-Regierungsparteien
6
Folgen Weltwirt-schaftskrise
FukushimaAusstieg Kern-energie
Klima-wandel
Auf lange Sicht
Generelles Trends:• bis 1991: Stabilität überwiegt• 1991-2007: Aufstieg SVP als
dominante Umgruppierung, Konzentration in der Parteienlandschaft
• 2011: Neuformierung des Parteiensystems mit der Pluralisierung des Parteiensystems als vorherrschendem Trend
These: vom «moderaten Pluralismus zum polarisierten Pluralismus (und zurück?)»
7
0
5
10
15
20
25
30
35
1919
1922
1925
19281931
1935
1939
1943
1947
1951
1955
1959
1963
19671971
1975
1979
1983
1987
1991
1995
1999
2003
2007
2011
2015
2019
% S
timm
bere
chtig
te
Parteistärken Nationalrat 1919-2019 FDP
CVP
SP
SVP
GLP
BDP
GPS
Neuer Cleavage
8
76.1% 78.1%81.3%
77.5%72.0%
69.4%73.7%
80.8% 81.7%78.7% 78.1% 76.3%
68.9%
23.9% 21.9%18.7%
22.5%28.0%
30.6%26.3%
19.2% 18.3%21.3% 21.9% 23.7%
31.1%
0.0%
10.0%
20.0%
30.0%
40.0%
50.0%
60.0%
70.0%
80.0%
90.0%
100.0%
1971 1975 1979 1983 1987 1991 1995 1999 2003 2007 2011 2015 2019
Stimmenanteile Regierungsparteien und Nicht-Regierungsparteien 1971-2019
Regierungsparteien
Nicht-Regierungsparteien
Was in der Parteienlandschaft neu ist: GPS und GLP als Links-resp. Mitte-Partei
GPS• 1979 gegründet, im Parlament seit
1983• jetzt zweite Linkspartei• Verbindung zwischen sozialen
Bewegungen und institutioneller Politik• Eigener Anspruch auf Bundesebene:
Vordenkerrolle in Ökologie-, Gender-und Rassismusfragen
• In verschiedenen Kantonen und Städten eher pragmatische Regierungspartei
GLP• 2007 gegründet, seither im
Parlament• Jetzt zweite Mittepartei• Mitmachpartei; vor allem für
jüngere Menschen mit eigenen politischen Projekten attraktiv
• Sachorientierte Politik, jenseits traditioneller Ideologien
• In Kantonen keine Regierungspartei, in Städten schon
9
Zwei Typen der Mobilisierung
Innere Mobilisierung• Ziel: sich selber, aber nicht andere
zu mobilisieren• Mittel: Aktivierung der eigenen
Wählerschaft (meinst durch technische Massnahmen); Microtargeting
• funktioniert bei tiefer Wahlbeteiligung (kantonale Wahlen)
• funktioniert bei Mitte-Parteien besser
Aeussere MobilisierungZiel: Beteiligung allgemein durch Kontroverse zu erhöhenMittel: Polarisierung mit einem übergeordneten Themen, zu dem sich alle bekennen müssen (Positionsthema)funktioniert bei Polpartei besserfunktioniert bei mittlere bis mittlerer Beteiligung besser
10
Was zentrale Ereignisse auf die Beteiligung bewirken können (am Beispiel der Stadt Zürich)
Demo auf der Strasse Beteiligung nach Alter und Geschlecht
11
Was sich von der Polarisierung zur grünen Welle verändert hat
Starke Grüne Welle bei Neuwählenden (unter 23 Jahren):• Grüne• GLP
Starke Mobilisierung von Neuwählenden durch Polparteien (bisher abwesend):• SVP• Grüne• SP
12
Globale Klima-Debatte: die neue (oder reaktualisierte) Konfliktlinie rund um die Ökologiefrage
• Klima-Politik im Gefolge des Pariser Abkommens
• Schülerstreik: Generation «Greta» (Thunberg)
• Klimademonstration in Bern während der Hauptphase des Wahlkampfs
13
Neu belebter Alters-Cleavage
Parteien mit eindeutig umgekehrter Stärke nach Alter:• GPS• GLP
Parteien mit weitgehend zunehmender Stärke nach Alter:• FDP• CVP• BDP
Parteien mit eindeutig zunehmender Stärke nach Alter:• SVP• SP14
Alterszusammensetzung der Gewählten im Trend
Das Durchschnittsalter im NZ ist erstmalsunter 50
27% der Gewählten im NR sind unter 40
15
53 53
52 52
50
51
50 50 50
51 51 51
50 50
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58
55
54 54
56
53 53 53 53
55 55 55 55
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49
51
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57
59
1963 1968 1971 1975 1979 1983 1987 1991 1995 1999 2003 2007 2011 2015 2019
Durchschnittsalter im Schweizer Parlament 1963-2019 NationalratStänderat
2%
0%1% 1% 1%
0%1% 1%
3% 3%2% 2%
4%7%
8%
13%
11% 11%10%
7%6%
7%
9%
17% 17%
23%
9%8%
14%
12% 12%
10%
8%7%
10%
12%
19% 19%
27%
0%
5%
10%
15%
20%
25%
30%
1971 1975 1979 1983 1987 1991 1995 1999 2003 2007 2011 2015 2019
Anteil Nationalräte unter 40 Jahren Bis 3031-40Bis 40
Schweiz: Frauenstreik (in der Tradition von 1991)
16
Links/Rechts-Unterschied bei der Wahl der Geschlechter
Frauenmehrheit unter den Wählenden:• Grüne• SP
(praktisch) ausgeglichen:• CVP• FDP• GLP• BDP
Männermehrheit unter den Wählenden:• SVP
17
Folgen auf Gewählte in Parteien und Parlamenten
18
Erklärung durch Kurzfrist-Faktoren
Emergenz
Phänomene, die sich aus sich selber heraus entwickeln und sich selber verstärken
Pop-UpPhänomene, die aus dem Nichts kommen und keine Spuren haben, sehr wichtig werden, aber auch verschwinden können
19
Auf kurze Sicht: Für die Schweiz unübliche Phänomene bei Wahlen
Im Wahljahr (letzte 12 Monate und, sofern Messungen, 1 Jahr vor der Wahl stimmt)
• Grüne gewinnen stark (8.7->13-2=4.5)
• GLP gewinnt leicht(5.7->7.6=1.9)
• CVP gewinnt leicht(10.1->11.4=1.3)
…
• SVP verliert leicht (27.4->26.8=-0.6)
• BDP verliert leicht (3.3->2.4=0.9)
• FDP verliert mittel (17.3->15.1=-2.2)
• SP verliert mittel (19.3->16.8=-2.5)
20
Was sich seit 2015 geändert hat
Bilanzen
Mobilisierung:• Grüne (stark)• GLP (stark)
Demobilisierung:• SVP (stark)• CVP (schwach)• SP (schwach)• FDP (schwach)• BDP (schwach)
Wechselwählen:• SP à GPS (mittel)• FDP à GLP (schwach)• Diverse à GPS (schwach)• BDP à FDP (schwach)• SP àGLP (schwach)
21
Gründe für ParteiwechselGewinne: Politische Prioritäten haben sich geändert
Verluste: links – veränderte Prioritäten, rechts: Enttäuschung über Partei
22
Gewählte 2019: Im Schnitt linker als 2015
Mit Veränderungen (abnehmend):• FDP• CVP• GLP• SVP• BDP
kaum Veränderungen:• SP• GPS• EVP
23
Erfolgreiche Mehrheitsbildung
• Bürgerliche Mehrheiten bleiben sehr wichtig (35%)
• Allianzen alle gegen SVP werden wieder wichtiger (30%)
• Rechtsbürgerliche Allianzen werden unwichtiger (5%)
• Mitte/Links-Allianzen werden wieder wichtiger (10%)
• Andere bleiben unwichtig (20% insgesamt)
24
Neue Mitte/Links-Mehrheit
UmweltpolitikGesellschaftspolilik
25
Traditionelle Mitte/Rechts-Mehrheit
WirtschaftspolitikFinanzpolitikSicherheitspolitik
26
Neue Bürgerliche Plus-Mehrheit
SozialpolitikGesundheitspolitik
27
Folgen für politisches System
28
Gehören die Grünen zusammen, oder rettet die GLP die FDP?
Beispiel Deutschland Aber: zwei Parteien und zwei verschiedene Parteirichtungen (im Proporzsystem gut möglich)
Kürzel Fraktion EU-Parl. Pendant Schweiz
EVP Fraktion der Europäischen Volkspartei (Christdemokraten)
CVP
S&D Progressive Allianz der Sozialdemokraten
SP
RE Renew Europe FDP und GLP
Grüne/EFA
Die Grünen/Europäische Freie Allianz
GPS
ID Identität und Demokratie Lega (Teile SVP)
EKR Europäische Konservative und Reformer
SVP
GUE/NGL
Vereinte Europäische Linke/Nordische Grüne Linke
-
29
Bundesratswahlen
Kritische Momente• Szenario 2019: Abwahl von Ignazio
Cassis (wenig wahrscheinlich)
• Szenario 2020-22: Rücktritt eines Mitglieds des Bundesrat (wahrscheinlich, wenn der Rücktritt aus den Reihen der FDP kommt)
• Szenario 2023: Neuformierung des Bundesrat bei einem erneuten Wahlerfolg der Grünen/Grünliberalen
Bisherige Formen:2:2:2:1 (SVP, SP, FDP, CVP)
Vorübergehend:2:2:2:1 (SP, FDP, BDP, CVP)
Rückkehr (2015):2:2:2:1 (SVP, SP, FDP, CVP)
Änderung aufgrund des pluralisierten Parteiensystems:2:2:1:1:1
30
Neue Formeln für RegierungszusammensetzungMit der Pluralisierung des Parteiensystems wird die alte Zauberformel immer obsoleter
Neue Formel:Arithmetische Verteilung (4 Parteien)Verteilung gemäss Bundesversammlung (5 Parteien (SPàGLP)Lagergemässe Verteilung (5 Parteien SPàGLP)Proporzwahlrecht (5 Parteien)
Die Modelle berücksichtigen den Ständerat zu wenig. Weitere Formel10%, 5 Ständeratssitzung, 5 Sitz in kantonalen Regierungen2 SVP, 2 SP, 1 FDP, 1Grüne, 1 CVP
31
Thesen (provisorisch)
• Die Wahlen 2019 sind ein Einschnitt in die Parteienlandschaft. Diese ist volatiler denn je.• Es sind zwei Parteien mit ökologischer Grundierung entstanden, die jetzt mittelgross sind.• Die zentrale Konfliktlinie verläuft zwischen Regierung und Opposition (Nicht-Regierung)• 2019 war eine Bewegungswahl. Die relevante Energie wurde auf der Strasse und in Demonstrationen
entwickelt. • Das hat eine neue Generation in die Politik befördert.• Es hat auch den Durchbruch der Frauen im ganzen politischen Spektrum bewirkt.• Die heutige Phänomene sind kurzfristig entstanden. Sie zeigten sich in den kantonalen Wahlen erst in
Zürich, davor kaum.• Im Wahlkampf haben die Grünen unüblich stark zugelegt, die SVP und die SP unüblich stark verloren. Das
hat mit der Altersstruktur der Wählenden zu tun.• Die SVP ist durch die politische Grosswetterlage demobilisiert worden. Die SP verliert vor allem an die
Grünen, die FDP namentlich an die GLP.• Veränderte Prioritäten sind für die Wahl neuer Parteien entscheidend, Enttäuschung über die alten Parteien
begründen den Abgang• Das neue Parlament ist zentrierter als das Alte, aber auch linker.• Es sind verschiedenen Formen der Mehrheitsbildung möglich, mit der CVP und der GLP als
Mehrheitsbeschafferinnen.
32
Auf Wiedersehen und danke für Ihre Aufmerksamkeit
www.gfsbern.ch
Claude Longchampgfs.bernVerwaltungsratspräsident gfs.bernLehrbeauftragter der Universitäten BE und ZH [email protected]
33
Letztes Combining (19.10.2019)Gewinne für GPS und GLP, stabile SP resp. FDP, leichte Verluste für CVP und BDP, Verluste für SVP (kursiv=gr. Abweichung)
Partei 2015 Kantone UmfrageTamedia
Umfrage SRG
UmfrageGallup
MittelUmfrage
Börse50plus 1
Börse Polsan
Mittel Börsen
Kombination
Vorhersage2019
SVP 29.4 -1.7 -1.5 -2.1 -2.5 -2.0 -2.8 -2.5 -2.7 -2.1 27.3
SP 18.8 +0.5 -0.8 -0.6 -0.3 -0.6 0 0 -0.0 -0.0 18.8
FDP 16.4 +1.1 -0.8 -1.2 -0.5 -0.8 -0.2 -1.0 -0.6 -0.1 16.3
CVP 11.6 -1.0 -1.2 -1.0 -1.1 -1.1 -1.2 -1.3 -1.3 -1.1 10.5
GPS 7.1 +1.3 +3.1 +3.6 +3.4 +3.3 +3.4 +3.3 +3.4 +2.7 9.8
GLP 4.6 +1.0 +3.1 +2.7 +2.8 +2.9 +2.2 +2.5 +2.4 +2.1 6.7
BDP 4.1 -0.8 -1.3 -1.3 -1.0 -1.2 -1.0 -1.3 -1.2 -1.1 3.0
Abweichung von Wahlumfragen und Wahlergebnis
Im Mittel 2 Prozentpunkte
Warum die Wahlvorbefragungen in der Schweiz besser sind als weltweit:• Kleine Parteien sind einfacher als grosse Parteien• Parlamentswahlen sind einfacher als
Präsidentschaftswahlen
• Proporzwahlen sind einfacher als Majorzwahlen• Mehrparteiensysteme sind einfacher als Zwei- oder
Dreiparteiensysteme
• Oppositionsparteien sind einfacher als Regierungsparteien
Aber:
• Parteienzentrierte Wahlverfahren sind einfacher als personenzentrierte
Quelle: Nature, 12. März 2018
Durchschnittliche Abweichung von Wahlprognosen weltweit über die letzten 80 Jahre beträgt ziemlich konstant 2 Prozentpunkte.
35
Die These der grünen Flut
Grüne Welle (resp. Flut/Tsunami)
Kennzeichen:• GPS und GLP gewinnen• Regierungsparteien
stagnieren/verlieren • SVP verliert Themendominanz
36
Die These «Die erneuerte Mitte ist erstarkt»
Kennzeichen:
• CVP ist grösste Mittepartei und in beiden Räten die Mehrheitsbeschafferin
• GLP hat sich als neue Mittepartei etabliert und ist im Nationalrat die alternative Mehrheitsbeschafferin
37
Die These des Linksrutsches
Linksrutsch
Kennzeichen:• Nie war die Linke im Parlament
so stark wie heute• SP, GPS, Linke insgesamt im
Aufwind• Mobilisierung durch Klima- und
Frauenprotest entscheidend
38
Die These «Polarisierung ist vorbei»
Ende der Polarisierung
Kennzeichen:• SVP und SP verlieren
Themenführerschaft • Grösste Verluste beim
Stimmenanteil
39
Die These des Mitte/Links-Parlaments
Neue Dynamik von Links (durch Lager-interne Konkurrenz), aber nur, was die Mitte anspricht, ist mehrheitsfähig
KurzfristigCO2-Politik
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