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Was ist Terrorismus? – Zur Historischen Einordnung politisch motivierter Gewalt Thomas Kolnberger RV Fundamentalismus und Terrorismus – Zur Geschichte und Gegenwart radikalisierter Religion WS 2007/08, 2. Vorlesung DER SPIEGEL Nr. 28, 9.7.07, S.21

Was ist Terrorismus? – Zur Historischen Einordnung politisch motivierter Gewalt Thomas Kolnberger RV Fundamentalismus und Terrorismus – Zur Geschichte

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Was ist Terrorismus? – Zur Historischen Einordnung politisch motivierter Gewalt

Thomas Kolnberger

RV Fundamentalismus und Terrorismus – Zur Geschichte und Gegenwart radikalisierter Religion WS 2007/08, 2. Vorlesung

DER SPIEGEL Nr. 28, 9.7.07, S.21

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TERROR = „Angst und Schrecken bereitendes Geschehen“

terrorisieren = „Terror ausüben, rücksichtsloses Vorgehen“

K a m p f b e g r i f f

Terrorismus

polemischer Allerweltsbegriff

Schlagwort für Agitation u. Denunziation

Übertreibungs-kategorisierung

Staatsterror

Wissenschaftliche Kategorisierung, Definitionsversuch

jeweils spezielle politische Strategie

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STAATSTERRORForm der Herrschaftssicherung unter Missachtung internationaler Gepflogenheiten, Menschenrechtsstandards und der staatlichen Schutzfunktion gegenüber den BürgerInnen, das Rechtstaatlichkeitsprinzip wird ausgesetzt

TERRORISMUSForm der politischen Aufmerksamkeitserregung

asymmetrischen Machtverhältnis

konträre Zielsetzung

Eigene Exekutivorgane

A g e n t e n

Paramilitärs / Kontras

Geheimdienst

„staatl. geförderter Terrorismus“ als Form von verdeckter Außenpolitik

„von oben, direkt gegen Individuen und Gruppen der eigenen (oder fremden) Zivilbevölkerung aus politischen Gründen“

„von unten, direkt gegen Individuen/Gruppen aus politischen Gründen“ um eine Reaktion der Staatsseite zu erwirken“

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Attentat - der „Versuch“ (von lat. attemptare / tempare) ist die primäre Öffentlichkeitsarbeit des Terroristen

„Es ist der von Einzelnen oder Verschwörergruppen mit geringen Mitteln unternommene,durch Geheimhaltung, List und Überraschung aussichtsreiche und dennoch unkalkulierbare Anschlag auf eine führende Persönlichkeit oder eine Versammlung, auf ein repräsentativesBauwerk oder Fahrzeug, meist mit Tötungsabsicht, selten ohne Todesfolgen. Das Motiv ist gewöhnlich im weiteren Sinne politisch, bisweilen Ruhmsucht oder einfach Rache. (...)Das Attentat ist formlos, widerrechtlich und hinterhältig, anders als die konventionalisiertenKonflikte des vereinbarten Duells oder des erklärten Kriegs. Wenn Privatleute AttentateVerüben, reflektieren sie auf ein »höheres Recht«, sehen sich im Dienste einer »Idee«.Scheitern sie für eine gute Sache, so werden sie Märtyrer; haben sie Erfolg, so werden sie Helden; beidesmal erhalten sie Standbilder. War das Opfer unschuldig, wird dieses verklärt.Sein Tod wird zum Fanal.Das Attentat liegt auf der Grenze zwischen Politik und Kriminalität und ist auf der Skala zwischen Heimtücke und Notwehr, zwischen Abscheu und Bewunderung unterschiedlichsten Deutungen ausgesetzt.”

Alexander Demandt: Das Attentat als Ereignis, in: derselbe (Hg.) Das Attentat in der Geschichte, Erfstadt 2003, 449.

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t e r r o r indirekte Wirkung

violentia direkte

Wirkung

G r o ß e s W e l t t h e a t e r

K l e i n e B ü h n e

Eifersuchtsmord

Mafiamorde gegen Richter in Palermo

München 1972

Gangmorde in L.A.

RAF

Rote Brigaden u.a.

„9/11“

Das Attentat als Öffentlichkeitsarbeit zwischen ...

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„Was heißt Terrorismus

Unser Definitionsvorschlag lautet: Unter Terrorismus sind planmäßig vorbereitete,schockierende Gewaltanschläge gegen eine politische Ordnung aus dem Untergrund zu verstehen. Sie sollen vor allem Unsicherheit und Schrecken verbreiten, daneben aber auch Sympathie und Unterschützungsbereitschaft erzeugen.“

Peter Waldmann: Terrorismus - Provokation der Macht, Hamburg² 2005, 12.

Arbeitshypothese / Idealtypus zum Terrorismus

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Peden M., McGee K., Krug E. (Eds). Injury: A leading cause of the global burden of disease, 2000. Geneva, WHO (World Health Organization), 2002.

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Terrorismus ist ein politisches Phänomen der Moderne

S e i t w a n n i s t T e r r o r i s m u s m ö g l i c h ?

Fragen zur „hardware & software“ des Terroristen:

- seit wann können einige wenige großen Sach- u. Personenschaden anrichten? (technische Schlagkraft konspirativer Gruppen)

- seit wann gibt es Mittel und Wege der Publizität, um den „interessierten Dritten“ im großen Umfang zu erreichen? (Reichweite über die vormodernen regionalen und „face-to-face-societies“ hinaus)

- seit wann sind die technischen Voraussetzung für hohe räumliche Mobilität gegeben? (Transport, neue „Frei- u. Rückzugsräume“ bei gleichzeitiger „Schrumpfung der Welt“)

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Die große Transformation in die „Moderne“

Mitte 18. Jahrhundert

Mitte 19. Jahrhundert

Französische Revolution 1789

Aufklärung / Enlightenment

Industrialisierung

Fortschrittsglaube – Individualisierung – Rationalität – Säkularisierung - Autonomie

„S A T T E L Z E I T“

nach Reinhart Koselleck

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Vormoderne Widerstandsphänomene

Revolten

Prozesse

Attentate

K o l l

e k t i

v e

E b

e n e

Aufruhr

Aufstände

I n d

i v i d

u e l

l e

E b

e n e

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anarchistisch anti-kolonial marxistisch religiös

19. Jahrhundert bis 1. Weltkrieg Nach 2. Weltkrieg 1960/70/Mitte 80er-Jahre

1990er-Jahre

Die vier Wellen des modernen Terrorismus

1 2 3 4

sozial-revolutionär

ethnisch-nationalistischreligiöser rechtsradikal

separatistischlinksradikal fundamentalistisch

nach: David C. Rapoport (Hg.): Terrorism - Critical Concepts in Political Science, London - New York 2006Volume I - The First or Anarchist WaveVolume II - The Second or Anti-Colonial WaveVolume III - The Third or New Left WaveVolume IV - The Fourth or Relitious Wave

Spielarten und Kategorien

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„Propaganda der Tat“ (Piotr Kropotkin)

„Goldene Zeitalter“ des Attentates

„1890er - das Jahrzehnt der Bomben“

„revolutionärer Katechismus“ + terroristische Handbücher („La salute è in voi“)

„Stellvertreterkrieg“: Staatsmacht – Intelligentsia

16. September 1920 - Anschlag auf die Wallstreet

Vom Einzelattentat zu Massenanschlägen + Symbolorten

Die erste oder anarchistische Welle

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Die zweite oder ethno-nationale Welle

Die zäheste und „traditionellste“ Form

Meist ein „Zweifrontenkrieg“: Terrorismus + Guerilla bzw. politische Arm der Gruppe

Teil antikolonialer Befreiung- / Unabhängigkeitsbewegungen

Politische Lösung nur in Rahmen einer symmetrischen / anerkannten Partnerschaft zum Frieden

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„klassische“ / idealtypische Terrorismus

Gründerzeit zwischen 1965 – 1975

Sehr selektive Anschläge (Personen – Symbolorte)

Der „interessierte Dritte“ ist meist ratlos

Die Weltöffentlichkeit als Ressource

Die dritte oder linke/marxistische Welle

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- uneingeschränkte Großanschläge / nie da gewesene Kollateralschäden

- interpretative Leerstelle / Bekennerschreiben

- fehlende staatliche „Tauschgut“ (Jean Baudrillard)

- globale, „atmosphärische Veränderung“ (C. Six) für die Provokation einer (überzogenen) Gegenreaktion

Die vierte oder religiöse Welle

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P o l i t i k

I l l e g a l i t ä t

Terrorismus als zentraler Link und „transitorisches Wesen“

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Politik

Illegialität

Das Attentat in der Vormoderne ist „legitimierter Hochverrat“

(Sven Felix Kellerhoff)

- Der Staat beansprucht das Gewaltmonopol im Rahmen der Gewaltenteilung in Exekutive, Legislative und Judikative

- In repräsentativen Demokratien ist die friedliche Abwahl / Bestätigung der Regierung in periodischen Abständen möglich

- Mittel der direkten und indirekten Demokratie (Volksabstimmung, Streik usw.)

- Gründung politischer Parteien, Interessenvertretungen, Gewerkschaften

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„Terror ist nichts anderes als strenge und unbeugsame Gerechtigkeit. Er ist eine Offenbarung der Tugend. Der Terror ist nicht ein besonderes Prinzip der Demokratie, sondern er ergibt sich aus ihren Grundsätzen, welche dem Vaterland als dringendste Sorge am Herzen liegen muss.“

(Maximilien Robespierre vor dem Nationalkonvent 1794)

- Historische ist Staatsterror(ismus) / Regimeterror das ältere Phänomen

- gezielte Unterdrückungsmaßnahmen von Regimegegnern „Terror von oben“

- der Ressourcenstarke (Staat) bekämpft Schwächere

- Den Schergen des Regimes/Staats erwachsen unmittelbar keine rechtlichen Konsequenzen

-die Aktionen sind direkt, d.h. wollen die Gegner neutralisieren, die daraus erwachsenden abschreckende Wirkung ist sekundär

- Staatsterrorismus dient der Aufrechterhaltung / Schaffung einer gesellschaftlichen „Ordnung“ als systematisches, aber außerordentliches Mittel („vigilantistisch“)

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„Dem einen ein Terroristen, dem anderen ein Freiheitskämpfer“

(geflügeltes Wort)

- der terroristische Akt ist im Gegensatz zum einer kriminellen Gewalttat niemals banal (abgesehen von terroristischer „Beschaffungskriminalität“)

- Terrororganisationen haben in der Regel keine erkennbaren, dauerhaft stabilen „Herrschaftsstrukturen“

- organisiertes Verbrechen ist ein Schmarotzer legaler Strukturen, es versucht sich zu arrangieren oder seine Lage gezielt zu verbessern

- es gibt keinen „interessierten Dritten“

-- Wahlverwandtschaft vor allem in der Bekämpfung (Terrorismus als Strafverfolgung, nicht als „Krieg“)

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„Guerillas wollen den Raum, Terroristen das Denken besetzen“

(Franz Wördemann)

- Die Guerilla (der „kleine Krieg“) versucht sich den Status eines regulären Kombattanten zu geben (offenes Tragen der Waffen, rudimentäre Uniformierung)

- Die Guerilla (als politische Einheit) ist nicht mit Guerilla-Taktik / -Strategie zu verwechseln (Übergang „Regulär“ zu „Irregulär“

- Ziel sind die gegnerischen Truppen, militärische / para-militärische Einheiten und Einrichtungen, nicht Zivilisten

- Mittel: direkte Aktion & Anerkennung durch die Zivilbevölkerung

- aus eigner Kraft soll der Machtwechsel auf Staatsebene vollzogen werden

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„Zur Kriegführung braucht man dreierlei: ersten Geld; zweitens Geld und drittens Geld.“

(Feldmarschall Maurice Comte de Saxe, 1696-1750)

- Der Warlord ist ein moderner Kriegsunternehmer, er zieht die Ressourcen eines / mehrerer Landesteile eines / mehrer Staaten auf sich.

- Die Übernahme des Staates / der Staatsmacht ist kein primäres Ziel.

- Selbsterhalt und Einkommenssicherung als Selbstzweck – das politische Ziel wird dem Existenziellen untergeordnet

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Das Erregen von Aufmerksamkeit: Schock, Horror, Angst oder Abscheu

Die Botschaft verstehen, was wollen die Terroristen?

Kampf oder Flucht?

Die Reaktion

Der terroristische Prozess

nach: Charles Townshend: Terrorism. A very short introduction, Oxford 2002.