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Watchman Nee Sitze Wandle Stehe

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Watchman Nee

Sitze,wandle, stehe

Schwengeler-VerlagCH-9442 Berneck

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ISBN Nr. 3 85666 0151

TELOS-Taschenbuch Nr. 1411. Auflage 1980

© by Victory Press (Evangelical Publishers Ltd.)Originaltitel: «Sit, Walk, Stand»Aus dem Englischen übersetzt von einigen Freunden© der deutschen Ausgabe by Schwengeler-Verlag, CH-9442 BerneckUmschlagentwurf: Paul SchwengelerGesamtherstellung: Schwengeler-Studio, CH-9442 BerneckPrinted in Germany

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Inhalt

Vorwort 6Einleitung 7Sitze 10Wandle 21Stehe 41

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Vorwort

Watchman Nee (Nee To-sheng), geboren in Futschou(China), kam während seiner Studienzeit zum Glaubenan Jesus Christus und wurde vom Tag an ein hervorra-gender Zeuge des Evangeliums. Diese Aufzeichnungenaus seiner Wortverkündigung wurden 1957 in Bombayerstmals in englischer Sprache unter dem Titel «Sit,Walk, Stand» veröffentlicht. Sie stammen alle aus jenerlängeren Zeitspanne evangelischen Zeugendienstes inChina, die dem japanischen Krieg vorausging. Damalserfreute sich der Autor und seine Mitarbeiter einer Frei-heit im Gottesdienst, wie sie heute selten geworden ist. Inseinen Botschaften kommt alsbald die triumphierendeGewißheit des vollendeten Werkes Christi zum Aus-druck. Mit demütigem Sinn halten sie die hohen Anfor-derungen fest, die an seine Diener gestellt werden. Das istgerade heute von besonderer Bedeutung, da das christli-che Werk überall durch Prüfungen geht. Möge Gott unsGnade schenken, seine Herausforderung nicht nur zu hö-ren, sondern, solange wir noch Zeit haben, auch Wege zufinden, das Gelernte im praktischen Wandel anzuwen-den. Alle Schriftstellen sind nach der Bibelübersetzungvon Dr. Hermann Menge wiedergegeben.Winterthur, 1969

K. Frei

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Einleitung

Ein Gott wohlgefälliges Christenleben muß in allen Din-gen genau auf Gott ausgerichtet sein. Zu oft legen wir inder Anwendung dieses Grundsatzes den besondern Nach-druck auf gewisse Einzelheiten unseres Benehmens oderunseres Wirkens für ihn. Daher fehlt uns oft der Blickfür das Ausmaß dieser erforderlichen Ausrichtung, jazeitweilig auch für den Ausgangspunkt, wo sie beginnensollte. Gott aber mißt vom Anfang bis zum Ende alles ander Vollkommenheit seines Sohnes. Die Schrift bezeugtunmißverständlich, daß es Gottes Wohlgefallen war, «inChristus als dem Haupt alles einheitlich zusammenzufas-sen ... In ihm sind wir nun auch des Heilsbesitzes teilhaf-tig geworden» (Eph. 1,9-11). Es ist mein ernstes Gebet,daß uns die folgenden Darlegungen aufs neue die Augendafür öffnen mögen, daß nur dann, wenn wir unserenNachdruck vollumfänglich darauf verlegen, wir hoffenkönnen, den göttlichen Plan für uns zu erkennen, näm-lich, daß wir «zum Lobpreis seiner Herrlichkeit dienen»(Eph. 1,12).

Als Grundlage für unsere Überlegungen bedienen wiruns des Epheserbriefes.

Wie viele Paulusbriefe, so läßt sich auch dieser in zweiHauptabschnitte aufteilen. Der erste Teil, Kapitel 1 bis 3,befaßt sich mit der Lehre, der zweite dagegen, Kapitel 4bis 6, mit unserm Leben. Der erstere handelt hauptsäch-lich von den großen Erlösungstatsachen, die Gott inChristus für uns geschaffen hat. Der zweite, praktischeTeil fährt dann weiter und stellt uns Bedingungen bezüg-lich Benehmen und Glaubenseifer eines Christen, dieGott im Licht dieser Erlösung an uns stellt. Beide Teilesind eng miteinander verbunden, aber jeder hat doch,wie wir bald sehen werden, seinen besondern Schwer-

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punkt. Sodann läßt sich der zweite Teil nochmals unter-teilen in einen ersten, größeren Abschnitt von Kap. 4,1bis Kap. 6,9 und einen zweiten, viel kürzeren Teil vonKap. 6,10 bis zum Schluß. Der eine hat unsern Wandel indieser Welt zum Gegenstand, der andere unsern Kampfgegen die Macht der Finsternis.

Damit ergibt sich eine dreifache Unterteilung desEpheserbriefes, die wir wie folgt zusammenfassen wol-len:

A. Lehre, Kapitel 1-31. Unsere Stellung in Christus, 1,1-3,21

B. Praktisches Leben, Kapitel 4-62. Unser Wandel in dieser Welt, 4,1-6,93. Unser Verhalten dem Feind gegenüber, 6,10-24

Der Epheserbrief enthält einige der tiefsten Wahrheitenüber unser Christenleben. Er ist voll geistlichen Reich-tums und gleichzeitig einfach und praktisch. Die ersteHälfte des Briefes beschreibt unser Leben in Christusund lehrt uns, daß wir eins mit ihm sind, vereint mit ihmin der Himmelswelt. Die zweite Hälfte zeigt uns an ganzpraktischen Beispielen, wie solch ein himmlisches Lebendurch uns auf dieser Erde verwirklicht werden kann. Wirwollen nicht auf die Einzelheiten des Briefes eingehen,sondern auf die Hauptpunkte hinweisen und daraus diegeistlichen und praktischen Lehren ziehen. Die Schlüssel-worte für die drei Abschnitte sind:

Sitze (2,6) Gott hat uns in Christus in die Himmelsweltversetzt! Das ist das Geheimnis des wahren Christenle-bens.Wandle (4,1) Ausdruck für unseren Wandel in dieserWelt.Stehe (6,14) Unsere Haltung dem Feind gegenüber.Wir wollen darum diese drei Worte: «Sitze», «Wandle»,«Stehe» als Wegweiser durch diesen Brief benutzen.

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Das Leben eines Gläubigen hat also immer drei Ge-sichtspunkte — seine Stellung zu Gott, zum Mitmen-schen und zur Macht Satans. Um Gott nützlich zu sein,muß sich der Mensch nach allen drei Gesichtspunktenausrichten, auf Stellung, Wandel und Kampf. Der Christkann Gottes Anforderungen nicht genügen, sobald erauch nur einen Punkt an Bedeutung unterschätzt, dennGott will durch jeden dieser Bereiche «die Herrlichkeitseiner Gnade» zum Ausdruck bringen, «die er uns in demGeliebten erwiesen hat» (1,6).

Wir wollen daher die drei Worte: «Sitze», «Wandle»,«Stehe» als Wegweiser durch diesen Brief benützen undseine auch heute noch gültige Botschaft zu unsern Her-zen sprechen lassen. Lehrreich ist auch ihre Reihenfolgeund der Zusammenhang, in dem sie erscheinen.

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Sitze

«... der Gott unseres Herrn Jesus Christus ... ließ ihn zuseiner Rechten sitzen, hocherhaben über jede Herrschaftund Gewalt, über jede Macht und Hoheit, überhauptüber jeden Namen, der nicht nur in dieser, sondern auchin der zukünftigen Weltzeit genannt wird» (1,17.20-21).

«... und hat uns in Christus Jesus mitauferweckt undmit ihm in die Himmelswelt versetzt, ... denn aus Gnadeseid ihr gerettet worden auf Grund des Glaubens, undzwar nicht aus euch — nein, Gottes Geschenk ist es —nicht auf Grund von Werken, damit niemand sich rüh-me» (2,6.8.9).

«Gott ließ ihn zu seiner Rechten sitzen — und hat unsin ihm in die Himmels weit versetzt.» Laßt uns zuerst demtieferen Sinn des Wortes «sitze» nachgehen. Wie bereitsgesagt, offenbart es uns das Geheimnis eines göttlichenLebens. Das christliche Leben beginnt nicht mit Wan-deln, sondern mit Sitzen. Das christliche Zeitalter begannmit Christus. Wir lesen, daß, nachdem er die Reinigungvon Sünden vollbracht hatte, «er sich zur Rechten derErhabenheit in den Himmelshöhen gesetzt hat» (Hebr.1,3). Ebenso wahr ist, daß unser persönliches Christenle-ben damit beginnt, daß wir uns im Glauben als die beiihm «Sitzenden» erkennen. Die meisten Christen bege-hen den Fehler, mit dem Wandeln beginnen zu wollen,um sitzen zu können. Die biblische Reihenfolge ist abergerade umgekehrt. Unser natürlicher Verstand sagt uns,daß wir ohne zu wandeln das Ziel nicht erreichen kön-nen. Wie können wir, ohne uns fortzubewegen, irgend-wohin gelangen? Wie können wir das Ziel erreichen ohneunseren Einsatz? Im christlichen Leben gilt eine andereReihenfolge. Versuchen wir selbst etwas zu tun, errei-chen wir nichts; bemühen wir uns selbst, mißlingt es. Das

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Christentum beginnt nicht mit einem Handeln unserer-seits, sondern mit einer großen, vollendeten Tatsache.Darum beginnt der Epheserbrief mit dem Hinweis aufdie Tatsache, daß «Gott uns mit jedem Segen geistlicherArt in der Himmelswelt in Christus gesegnet hat» (1,3).So sind wir von Anfang an eingeladen, uns zu setzen unduns über alles zu freuen, was Gott für uns getan hat. Wirwerden nicht aufgefordert, es selbst zu erringen.

Das Wandeln verlangt eine Kraftanstrengung. Gottaber sagt uns, daß wir nur «aus Gnaden selig gewordensind durch den Glauben ... nicht auf Grund von Wer-ken» (2,8.9). Wir verwenden immer den Ausdruck «ge-rettet durch den Glauben allein». Was verstehen wir ei-gentlich darunter? Daß wir erlöst sind nicht durch eigeneKraft, sondern weil wir unsere Sündenlast auf JesusChristus legen durften und in ihm ruhen.

Wir begannen unser Christenleben nicht auf Grunddessen, was wir getan haben, sondern auf Grund dessen,was der Herr für uns getan hat. Wer nicht da angefangenhat, ist kein Christ. Wer aber bekennt, daß er zu seinerErlösung nichts tun kann, daß aber Gott in seiner Gnadedurch Christus alles für ihn getan hat, der hat damit denersten Schritt im Glaubensleben getan.

Das Christenleben ist vom Anfang bis zum Ende aufder vollständigen Abhängigkeit von unserem Herrn JesusChristus gegründet. Es gibt keine Grenzen für die Gnade,die Gott uns verleihen will. Er will alles schenken, aberwir können nichts empfangen, wenn wir nicht in ihm ru-hen.

«Sitzen» ist eine Ruhestellung. Es ist etwas erledigt,die Arbeit hat aufgehört, und wir ruhen. So widersinniges klingen mag, so ist es dennoch wahr, daß wir im Chri-stenleben nur dann vorwärts kommen, wenn wir in ersterLinie lernen, uns zu setzen.

Was will «sitzen» eigentlich heißen? Solange wir lau-fen oder stehen, tragen unsere Glieder das ganze Gewichtunseres Körpers. Sitzen wir aber, so ruht das Gewicht auf

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dem Stuhl. Gehen oder Stehen ermüdet uns; wir fühlenuns ausgeruht, wenn wir uns eine Weile hinsetzen. ImGehen und Stehen verbrauchen wir Kraft, im Sitzen ru-hen wir aus, weil die Anstrengung außerhalb des Körpersliegt. So ist es auch im geistlichen Leben. Sitzen bedeutet,daß unser ganzes Gewicht — unsere Last, wir selbst, un-sere Zukunft und was immer es sein mag — auf Jesusruht. Wir lassen ihn die Verantwortung tragen und hörenauf, sie selbst tragen zu wollen.

Dies war der Wille Gottes von Anbeginn der Welt. Inder Schöpfung wirkte Gott vom ersten bis zum sechstenTage, und am siebenten ruhte er. Diese sechs Tage war ersehr beschäftigt, aber als er dann das vorgenommeneWerk vollendet hatte, hörte er auf zu arbeiten. Der sie-bente Tag war der Sabbat Gottes, Gottes Ruhetag. Wieaber verhielt sich Adam? Wie stellte er sich zu diesemRuhen Gottes? Er wurde am sechsten Tag erschaffen. Esist daher klar, daß er an diesem Sechstagewerk nicht be-teiligt war, da er erst am Ende des sechsten Tages er-schaffen wurde. Somit wurde Gottes siebenter Tag seinerster, und er fing sein Leben mit einem Ruhetag an.Gott arbeitete, bevor er ruhte; der Mensch dagegen muß,um arbeiten zu können, zuerst in Gottes Ruhe eingehen.Weil Gottes Schöpfung wirklich vollendet war, konnteAdam sein Leben mit Ruhen beginnen. Dann ging Gottnoch einen Schritt weiter und vollendete auch noch dasErlösungswerk. Wir müssen nichts tun, um es zu verdie-nen. Wir dürfen die volle Frucht des vollbrachten Wer-kes im Glauben annehmen. Das ist Evangelium!

Wir wissen allerdings auch, daß zwischen den beidenTatsachen der Ruhe Gottes in der Schöpfung und GottesRuhe in der Erlösung die ganze tragische Geschichte derSünde Adams, des Gerichtes und des Menschen unabläs-siges und doch fruchtloses Bemühen liegt, daß der SohnGottes kam, sich abmühte und sein Leben hingab, umdas Verlorene wiederzubringen. Diesen Weg gehendsprach er: «Mein Vater wirkt bis zu dieser Stunde, darum

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wirke ich auch.» Nachdem er dann das Lösegeld bezahlthatte, konnte er ausrufen: «Es ist vollbracht!»

Dieser Siegesschrei gibt uns die Gewißheit, daß das Ge-sagte der Wahrheit entspricht. Christlich glauben bedeu-tet tatsächlich, daß Gott in Christus alles vollbracht hatund wir im Glauben in die auf dieser Tatsache beruhendenFreude eingehen dürfen. In diesem Zusammenhang ist un-ser Schlüsselwort nicht ein Befehl «abzusitzen», sonderndaß wir uns in Christus «sitzend» sehen sollen. Es gilt alsoin erster Linie einzusehen, daß es in keiner Weise unserWerk ist, sondern das Werk Christi. Nicht weil wir fürGott wirken, sondern weil er für uns wirkt. Unsere Ruhe-stellung ist uns von Gott gegeben. Er zeigt uns das vollen-dete Werk seines Sohnes, bietet es uns an und sagt: «Bitte,setze dich!» Sein Angebot kann wohl kaum besser zumAusdruck gebracht werden, als mit den einladenden Wor-ten zum großen Hochzeitsmahl: «... und alles ist bereit:kommt!» (Matth. 22,4) Unser Christenleben beginnt da-mit, daß wir sehen, was Gott alles für uns bereit hat.

Es ist daher von größter Bedeutung für uns, zutiefst zuverstehen, was in dem kleinen Wort «sitzen» enthaltenist. Paulus bat darum, daß die Augen der Gläubigen fürdie gewaltige Tatsache geöffnet werden möchten, daßGott zuerst durch sein Eingreifen Christus zu seinerRechten sitzen ließ und uns dann in seiner Gnade als Mit-auferstandene mit ihm in die Himmelswelt versetzte(1,18; 2,6). Paulus ging es darum, den Gläubigen ver-ständlich zu machen, daß unser Christenleben nicht imHandeln, sondern im Erkennen des schon vollbrachtenWerkes Gottes liegt.

Die Reichweite seines vollendeten Werkes

Jede neue geistliche Erfahrung nimmt ihren Anfang mitder gläubigen Annahme dessen, was Gott getan hat —mit einem neuen «Sich-Setzen» —, und vom Anfang bis

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zum Schluß geschieht der erfolgreiche Fortschritt desChristenlebens nach dem gleichen Grundsatz.

Wie kann ich die Kraft des Heiligen Geistes für denDienst erlangen? Muß ich mich darum bemühen, muß ichGott darum bestürmen? Muß ich meine Seele durch Fa-sten und Kasteiung plagen, um sie zu verdienen? Niemals!Die Schrift lehrt uns anders. Wie erhielt ich die Vergebungmeiner Sünden? Eph. 1,6-8 sagt uns : «... nach dem Reich-tum seiner Gnade, die er uns reichlich hat zuteil werdenlassen.» Wir taten nichts, um die Vergebung zu verdienen.Wir haben unsere Erlösung durch sein Blut auf Grunddessen, was er getan hat.

Worin besteht denn nun die biblische Voraussetzungfür die Ausgießung des Heiligen Geistes? In der Erhö-hung des Herrn Jesus. Weil er für mich am Kreuz gestor-ben ist, empfange ich Vergebung der Sünden. Weil er aufden Thron erhöht worden ist, empfange ich die Kraft desHeiligen Geistes (Apostelgeschichte 2,33). Darum istauch diese Gabe nicht abhängig von dem, was ich binoder tue. Ich habe die Vergebung nicht verdient. DÏauch für die Gabe des Geistes. Was mir auch immeteil wird, erhalte ich nicht durch Wandeln, sondeiudurch Sitzen; nicht indem ich arbeite, sondern dadurch,daß ich im Herrn ruhe. Sowenig wir auf die Heilserfah-rung zu warten haben, ebensowenig brauchen wir auf dieAusgießung des Geistes zu warten. Ich darf euch versi-chern, daß ihr diese Gabe nicht von Gott zu erflehenbraucht oder euch darum abquälen müßt oder gar «War-teversammlungen» abzuhalten habt. Ihr seid nicht aufGrund dessen, was ihr getan habt, mit dem HeiligenGeist der Verheißung versiegelt worden, sondern aufGrund der Erlösung Christi, wie die Schrift sagt: «In ihmseid auch ihr ... nachdem ihr zum Glauben gekommenseid, mit dem verheißenen Heiligen Geist versiegelt wor-den.» Das gehört genauso zur «Heilsbotschaft, von eurerErrettung», wie die Vergebung der Sünden (1,13).

Ihr könnt auch ein anderes Thema nehmen, das spe-

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ziell im Epheserbrief behandelt wird. Wie werden wirGlieder Christi? Warum eignen wir uns, Glieder diesesLeibes zu sein, den Paulus beschreibt als «die Fülle des-sen, der alles in allen erfüllt»? Ich bin nicht durch eigeneAnstrengung in diesen Leib eingefügt. Da ist «ein Leibund ein Geist, wie ihr ja auch bei eurer Berufung auf-grund einer Hoffnung berufen worden seid» (4,4). DerEpheserbrief sagt uns, wie es ist. Es beginnt mit JesusChristus und mit der Tatsache, daß Gott uns in ihm vorGrundlegung der Welt erwählt hat (1,4). Wenn uns derHeilige Geist Christus vor Augen führt und wir an ihnglauben, dann beginnt für uns, ohne daß wir noch etwasdazutun müssen, ein Leben der Gemeinschaft mit ihm.Wenn uns aber all das allein durch Glauben zuteil wird,wie verhält es sich dann mit der so dringenden prakti-schen Angelegenheit unserer Heiligung? Wie können wirfrei werden von der Macht der Sünde? Wie wird unser al-ter Mensch, der uns während Jahren verfolgte undSchwierigkeiten machte, gekreuzigt und abgelegt? DasGeheimnis liegt wiederum nicht im «Wandeln», sondernim «Sitzen», nicht darin, daß wir irgend etwas tun, son-dern darin, daß wir in dem ruhen, was getan ist. «... wirsind der Sünde gestorben. Wir sind getauft in seinenTod, wir sind mit ihm begraben, Gott hat uns mit Chri-stus lebendig gemacht» (Rom. 6,2-4, Eph. 2,5). Allesdies ist in der Vergangenheitsform ausgedrückt, weil derHerr Jesus vor nahezu 2000 Jahren außerhalb von Jeru-salem gekreuzigt wurde und ich mit ihm! Das ist die gro-ße geschichtliche Tatsache! Durch sie ist seine Erfahrungmein geistliches Erlebnis geworden, und deshalb kannGott von mir sprechen als von einem der «in ihm» bereitsalles hat. Alles was ich jetzt habe, habe ich «in Christus».Die Schrift spricht von diesen Dingen nie, als ob sie zu-künftig wären, und auch nicht, daß wir in unserer Zeitdarum zu bitten hätten. Es sind geschichtliche Tatsachenaus dem Leben Christi, in denen jeder, der glaubt, einge-schlossen ist.

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«Mit Christus» — gekreuzigt, auferstanden, aufgefah-ren und in die Himmelswelt versetzt. Das sind für denmenschlichen Verstand nicht minder verwirrende Gedan-ken, als es die Worte Jesu für Nikodemus waren (Joh.3,3). Es ging um die Frage der Wiedergeburt. Hier aberist etwas noch weit weniger Vorstellbares, das nicht erstwie die Wiedergeburt in uns gewirkt werden, sondern alsuns gehörend erkannt und angenommen werden muß,weil es uns längst in einem andern erwirkt wurde. Wie istdas möglich? Es läßt sich nicht erklären. Wir haben esvon Gott anzunehmen als etwas, das er getan hat. Wirwurden nicht mit Christus geboren, aber wir wurden mitihm gekreuzigt (Gal. 2,19). Somit begann unsere Ge-meinschaft mit ihm in seinem Tod. Gott hat uns dort inihm eingeschlossen. Wir waren «mit ihm», weil wir «inihm» waren.

Wenn ich eine Banknote zwischen die Seiten einer Zeit-schrift lege und diese dann verbrenne, so werden beide zuAsche. Sie erleiden das gleiche Schicksal. Genauso hatuns Gott in Christus eingeschlossen. Alles was ihm be-gegnete und mit ihm geschah, ist in ihm auch uns begeg-net und mit uns geschehen. «Wir erkennen ja dies, daßunser alter Mensch deshalb mitgekreuzigt worden ist, da-mit der von der Sünde beherrschte Leib vernichtet werde,auf daß wir hinfort nicht mehr der Sünde als Sklaven die-nen» (Rom. 6,6). Da ist keine Ermahnung, darum zu rin-gen. Das ist Geschichte: unsere Geschichte, geschriebenin Christus, ehe wir geboren waren. Glaubt ihr das? Dasist Wahrheit! Daß wir mit Christus gekreuzigt sind, ist ei-ne herrliche geschichtliche Tatsache. Unsere Erlösungvon der Sünde beruht nicht darauf, was wir tun können,ja auch nicht darauf, was Gott für uns tun wird. Sie be-ruht einzig darauf, was er in Christus bereits für uns ge-tan hat. Wenn uns diese Tatsache aufgeht und wir unsdarauf stützen (Rom. 6,11), haben wir das Geheimnis ei-nes heiligen Lebens entdeckt.

Wir alle müssen zwar bekennen, daß dies noch viel zu

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wenig unsere Erfahrung ist. Wenn zum Beispiel jemandin deiner Anwesenheit eine unfreundliche Bemerkungüber dich macht, wie reagierst du darauf? Du preßt dieLippen zusammen, beißt auf die Zähne, versuchst denÄrger zu unterdrücken, nimmst dich fest zusammen,kannst mit großer Mühe deine Verstimmung verbergen,bleibst im großen ganzen höflich und glaubst, einen gro-ßen Sieg errungen zu haben. Doch der Ärger bleibt, undnicht immer gelingt es dir, ihn zu verbergen. Etwasscheint nicht zu stimmen, aber was? Ganz einfach, duversuchst zu wandeln, bevor du dich gesetzt hast. Das istder sichere Weg zur Niederlage. Ich möchte daher noch-mals betonen, daß keine Glaubenserfahrung mit Wan-deln beginnt, sondern mit einem entschiedenen Sich-Set-zen. Das Geheimnis der Sündenbefreiung ist nicht dasTun von etwas, sondern das Ruhen in dem, was Gott ge-tan hat.

Ein Ingenieur kehrte nach einem mehrjährigen Aus-landaufenthalt in seine Heimatstadt zurück und entdeck-te, daß seine Frau ihn mit einem seiner besten Freundebetrogen hatte. Er hatte seine Frau, seine beiden Kinderund seinen besten Freund verloren. Nach einer von mirgeleiteten Versammlung kam er zu mir und klagte mirseine Not.

«Seit zwei Jahren ist mein Herz Tag und Nacht vonHaß erfüllt. Ich bin Christ, und ich weiß, daß ich meinerFrau und meinem Freund vergeben sollte; ich versuche esimmer wieder, aber ich kann es nicht. Immer wieder neh-me ich mir vor, sie zu lieben, und immer wieder versageich. Was soll ich tun?»

«Nichts sollst du tun», erwiderte ich.«Wie meinst du das?» fragte er erstaunt. «Soll ich sie

weiter hassen?»Da erklärte ich ihm: «Die Lösung deines Problems ist

die, daß der Herr Jesus, als er am Kreuz starb, nicht nurdeine Sünden hinwegtrug, sondern auch dich selbst. Deinalter Mensch, der nicht vergeben kann, ist mit Jesus ge-

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kreuzigt, — und du brauchst nichts zu tun. Sage drumganz still zu deinem Erlöser: 'Herr ich kann nicht verge-ben und will es auch gar nicht versuchen, aber ich glaube,daß Du in mir statt meiner vergeben und lieben willst.'»

Der Mann war zutiefst erstaunt und sagte: «Das ist al-les so neu für mich, ich muß doch auch etwas dazutun.»Nach einem Augenblick fügte er hinzu: «Kann ich eigent-lich etwas dazutun?»

«Gott kann erst durch dich vergeben und lieben, wenndu selbst mit deinem Versuchen aufgehört hast», sagteich. «Hast du je versucht, einen Ertrinkenden zu retten?Das schlimmste dabei ist, daß ihn seine Furcht davon ab-hält, sich einfach dir zu überlassen. Es gibt daher nur zweiRettungsmöglichkeiten. Entweder mußt du ihn bewußtlosmachen und so ans Ufer bringen, oder du mußt ihn zap-peln lassen bis seine Kräfte erlahmen, ehe du ihm zu Hilfekommen kannst. Willst du ihn retten, solange er noch beiKräften ist, wird er sich in seiner Angst an dich klammernund dich hinunterziehen, und ihr werdet beide unterge-hen. Gott wartet, bis deine Kraft erschöpft ist, erst dannkann er dich befreien. Gott wartet darauf, daß du auf-gibst. Sobald du aufhörst, etwas zu tun, tut er alles».

Der Ingenieur sprang auf: «Bruder, jetzt begreife ich,wie das gemeint ist! Gottlob, jetzt ist alles in Ordnungmit mir. Ich muß nichts tun, er hat alles schon getan!»

Und voller Freude verließ er mich.

Gott der Geber

Unter allen Gleichnissen zeichnet meiner Ansicht nachdasjenige vom verlorenen Sohn das beste Bild eines Gottwohlgefälligen Wandels. Der Vater sagt dort: «Wir muß-ten doch fröhlich sein und uns freuen!» (Luk. 15,32) Indiesen Worten offenbart uns Jesus, was seines VatersHerz auf dem Gebiet der Erlösung am meisten erfreut.Es ist nicht der ältere Bruder, der sich unablässig für den

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Vater abmüht, sondern der jüngere Bruder, der den Va-ter alles für sich tun läßt. Es ist nicht der immer gebenwollende ältere Sohn, es ist der immer zu empfangen be-reite jüngere Bruder. Als dieser, nachdem er all sein Gutin einem ausschweifenden Leben verpraßt hatte, heim-kehrte, hat der Vater weder Worte des Tadels ob der Ver-schwendung, noch wollte er wissen, wo sein Gut hinge-kommen war. Er trauerte dem verlorenen Gut nichtnach; er freute sich über die Gelegenheit, die ihm dieRückkehr des Sohnes bot, nun noch mehr für ihn tun zukönnen.

Gott ist so reich; seine größte Freude ist zu geben. Sei-ne Schatzkammern sind so voll, daß es ihn schmerzt,wenn wir ihm keine Gelegenheit geben, uns mit diesenSchätzen zu überhäufen. Der Vater freute sich, im verlo-renen Sohn einen gefunden zu haben, der bereit war, miteinem Kleid, einem Ring, mit Schuhen und mit einemFest beschenkt zu werden. Es betrübte ihn hingegen, daßihm der ältere Sohn dazu keine Gelegenheit gab. So er-füllt es Gottes Herz auch mit Trauer, wenn wir glauben,ihm etwas bringen zu müssen, ihm, der doch so unend-lich reich ist. Es ist ihm eine wahre Freude, wenn wir unsvon ihm beschenken und beschenken und nochmals be-schenken lassen. Ebenso betrübt es ihn, wenn wir etwasfür ihn tun wollen, der doch unendlich mehr zu tun ver-mag. Er möchte, daß wir immer dafür offen und bereitsind, was er für uns tun will. Es ist sein Wunsch, immer-dar zu geben und zu wirken. Daß wir doch erkennen, wiereich und groß Gott ist! Wir unterließen dann, ihn be-schenken und etwas für ihn tun zu wollen.

Glaubt ihr etwa, daß es mit eurem guten Benehmenaus wäre, wenn ihr eurem Gott nicht mehr zu gefallensuchtet? Oder denkt ihr, daß ein schlechteres Resultatherauskäme, wenn ihr alles Geben und tun für Gott auf-geben würdet, als wenn ihr es tut? Sobald wir etwas vonuns aus tun wollen, befinden wir uns wieder unter demGesetz. Die Werke des Gesetzes aber, und dazu gehören

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auch unsere besten Bemühungen, sind «tote Werke».Gott verabscheut sie, denn sie tragen keine Früchte. ImGleichnis waren beide Söhne fern der Freude des Vater-hauses. Wohl war der ältere nicht in einem fernen Land;dennoch war er nur theoretisch zu Hause. «So viele Jahrediene ich dir ... doch mir»; sein Herz war offensichtlichnicht zur Ruhe gekommen. So wie der verlorene Sohnsich freute, konnte er sich in seiner theoretischen Stellungnie freuen, da er sich immer noch an seine guten Werkeklammerte.

Hört doch auf mit eurem «Geben», dann werdet ihrbald erfahren, wie Gott gibt! Laßt doch euer «Schaffen»,so werdet ihr gewahr, wie Gott wirkt! Der jüngere Sohnhatte verkehrt gehandelt, aber er kehrte heim und fandRuhe — hier beginnt das Christenleben. «Gott aber, deran Barmherzigkeit reich ist, hat uns um seiner großen Lie-be willen ... hat uns in Christus Jesus ... mit ihm in dieHimmelswelt versetzt» (Eph. 2,4.6). «Wir müßten dochfröhlich sein und uns freuen!»

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Wandle

Wir haben klar machen wollen, daß ein Christenlebennicht mit «Gehen», sondern mit «Sitzen» beginnt. Wennwir diese göttliche Reihenfolge ändern, wird das Ergeb-nis falsch.

Der Herr Jesus Christus hat alles für uns getan, undwir müssen lernen, vertrauensvoll ganz in ihm zu ruhen.Weil er nun auf dem Thron sitzt, erfahren wir, daß wir inseiner Kraft hindurchgeführt werden. Es kann nicht ge-nug betont werden, daß jede geistliche Erfahrung mitRuhen beginnt.

Das ist jedoch nicht alles. Obwohl ein Christenlebenmit Sitzen anfängt, muß dem «Sitzen» ein «Wandeln»folgen. Derjenige, der in Ruhe sitzt und im Sitzen Kraftgesammelt hat, kann zu wandeln beginnen. Wir sind mitChristus in die Himmelswelt versetzt, aber unsere himm-lische Stellung muß sich in unserem täglichen Wandelhier auf Erden auswirken. Da wir ein himmlisches Volksind, muß auch unser Wandel den Stempel des Himmli-schen tragen. Das stellt uns wieder vor neue Probleme.Was lehrt Paulus uns im Epheserbrief über den «Wan-del»? — Zweierlei! Fürs erste wollen wir folgendeSchriftstellen betrachten:

«So ermahne ich euch denn, ich, der Gefangene imHerrn: Wandelt würdig der Berufung, die an euch ergan-gen ist, mit aller Demut und Sanftmut...» (4,1+2).

«So sage ich also...: Wandelt, nicht wie die Heiden inder Nichtigkeit ihres Sinnes wandeln ... daß ihr dagegenim tiefsten Innern eures Sinnes erneuert werden müßt»(4,17 + 23).

«Wandelt in der Liebe, wie auch Christus euch geliebtund sich selbst für uns dargebracht hat» (5,2).

«Führt euren Wandel als Kinder des Lichts ... und prü-fet dabei, was dem Herrn wohlgefällig ist» (5,8 + 10).

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Achtmal kommt im Epheserbrief das Wort «wandeln»vor. Paulus gebraucht es sinnbildlich, um uns zu zeigen,wie wir uns als Christen hier auf Erden verhalten sollen.Das ist der Inhalt des zweiten Teiles des Briefes. Wie wirbereits früher sahen, ist der Leib Christi, die Gemein-schaft der christlichen Gläubigen, ein weiteres großesThema des Epheserbriefes. Hier nun in Kapitel 4 er-scheint im Hinblick auf diese Gemeinschaft die Frage ei-nes heiligen Wandels. Paulus fährt sodann im Hinblickauf unsere himmlische Berufung weiter und fordert unsin allen zwischenmenschlichen Beziehungen heraus, imfamiliären wie im öffentlichen Bereich, und wendet sichin sehr realistischer Weise an Nachbarn, Ehegatten, El-tern und Kinder, Arbeitgeber und Arbeitnehmer.Um ganz klar zu sein, der Leib Christi ist nichts Vagesoder Unwirkliches, das nur in himmlischen Worten zumAusdruck gebracht werden kann. Er ist gegenwärtig undwirkt sich praktisch aus im Wandel mit den Mitmen-schen. Da wir in Wahrheit ein himmlisches Volk sind, istes sinnlos, nur von einem fernen Himmel zu sprechen. Essei denn, wir bringen das Himmlische in unsere Wohnun-gen und Büros, unsere Werkstätten und Küchen undbringen es da in Anwendung, sonst ist es ohne Bedeu-tung. Liebe Freunde, darf ich euch vorschlagen, daß so-wohl Eltern als Kinder das Neue Testament durchgehen,um zu sehen, wie Eltern und Kinder sein sollten? Wirkönnten sehr wohl eine Überraschung erleben; denn ichfürchte, daß manche unter uns, die sagen, daß wir inChristus in die Himmelswelt versetzt sind, in ihren Häu-sern einen sehr fragwürdigen Wandel führen. Auch fürEheleute gibt es eine ganze Anzahl Schriftstellen. LestEph. 5 und schlagt dann 1. Kor. 7 nach. Es täte jedemMann und jeder Frau gut, das letztere Kapitel sorgfältigdurchzulesen, um zu entdecken, welche Anforderungenan ein wirkliches Eheleben — ein geistliches vor Gott undnicht nur in Theorie — gestellt werden. Ihr dürft etwas,das so praktisch ist, nicht theoretisieren.

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Achtet nun darauf, wie offen die Gebote Gottes fürden Wandel der Gläubigen im folgenden Abschnitt zuuns sprechen.

«Wandelt ... mit aller Demut und Sanftmut, mit Ge-duld, als solche, die einander in Liebe ertragen!» (4,2);«Darum leget die Lüge ab und redet die Wahrheit, ein je-der mit seinem Nächsten, wir sind ja untereinander Glie-der» (4,25); «Zürnet, nur versündiget euch nicht dabei;laßt die Sonne über eurem Zorn nicht untergehen»(4,26); «Der Dieb stehle fortan nicht mehr» (4,28); «AlleBitterkeit, aller Zorn und Groll, alles Schreien undSchmähen sei aus eurer Mitte weggetan, überhaupt allesboshafte Wesen» (4,31); «Zeigt euch vielmehr gütig undherzlich gegeneinander und vergebt einer dem andern,wie auch Gott euch in Christus vergeben hat» (4,32);«Ordnet euch einander unter, wie es die Furcht vor Chri-stus verlangt» (5,21); «Und ihr Väter, reizt eure Kindernicht zum Zorn, sondern erzieht sie in der Zucht undVermahnung des Herrn» (6,4); «Ihr Knechte, seid eurenleiblichen Herren gehorsam mit Furcht und Zittern, inAufrichtigkeit eures Herzens, als gälte es Christus» (6,5);«Und ihr Herren, handelt ebenso gegen sie und unterlaßtdas Drohen! Ihr wißt ja, daß ihr ebenso wie sie einenHerrn im Himmel habt, und daß es bei diesem kein Anse-hen der Person gibt» (6,9). Nichts kann realistischer seinals diese Ermahnungen und Befehle!

Diese Worte des Paulus erinnern uns an die Worte un-seres Herrn in der Bergpredigt: «Ihr habt gehört, daß denAlten geboten worden ist: Auge um Auge, Zahn umZahn. Ich dagegen sage euch: Ihr sollt dem Bösen keinenWiderstand leisten, sondern wer dich auf die rechte Wan-ge schlägt, dem halte auch die andere hin, und wer mitdir einen Rechtsstreit anfangen und dir den Rock neh-men will, dem überlaß auch noch den Mantel, und werdich zu einer Meile Weges nötigt, mit dem gehe zwei.Wer dich bittet, dem gib, und wer von dir borgen will,den weise nicht ab! Ihr habt gehört, daß geboten worden

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ist: Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feindhassen! Ich dagegen sage euch: Liebet eure Feinde undbetet für eure Verfolger, damit ihr euch als Söhne unse-res himmlischen Vaters erweist; denn er läßt seine Sonneüber Böse und Gute aufgehen und läßt regnen auf Ge-rechte und Ungerechte. Denn wenn ihr die liebt, die euchlieben, welches Verdienst habt ihr da? Tun das nichtauch die Zöllner? Und wenn ihr nur eure Freunde grüßt,was tut ihr da Besonderes? Tun das nicht auch die Hei-den? Darum sollt ihr vollkommen sein, wie euer himmli-scher Vater vollkommen ist» (Matth. 5,38-48).

Wenn ihr diese Worte des Herrn hört, werdet ihr sa-gen: Das sind unerfüllbare Gebote, das kann ich nicht.Du fühlst genau wie mein Freund, der Ingenieur, daß dunicht vergeben kannst, weil du zutiefst verletzt wordenbist. Du bist im Recht, der andere im Unrecht. Ihn zu lie-ben, mag das Ziel sein, ist aber kaum erreichbar.

Die Vollkommenheit des Vaters

Von dem Augenblick an, da Adam die Frucht vom Baumder Erkenntnis aß, haben die Menschen die Entscheidungüber Gut und Böse selbst in die Hand genommen. Dernatürliche Mensch bestimmt selbst, was gut und was bö-se, was gerecht und was ungerecht ist, und ist bestrebt,danach zu leben. Als Christen sind wir natürlich anders.Ja, aber worin sind wir anders? Seit unserer Bekehrungentwickelte sich in uns ein neuer Gerechtigkeitssinn mitdem Ergebnis, daß auch wir ganz zu Recht mit der Fragevon gut und böse beschäftigt sind. Haben wir aber er-kannt, daß der Ausgangspunkt für uns ein anderer ist?Christus ist für uns der Baum des Lebens. Wir gehennicht davon aus, was ethisch gut oder böse ist. Das hieße,vom andern Baum auszugehen. Für uns ist das Ganze ei-ne Lebensfrage, daher ist Christus für uns der einzig rich-tige Ausgangspunkt. Nichts hat unserem christlichen

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Zeugnis mehr geschadet, als wenn wir unser Recht zu be-haupten suchten und andern abfordern wollten. Wir be-faßten uns ausschließlich damit, was recht oder unrechtist. So fragen wir stets nur danach, ob wir gerecht oderungerecht behandelt wurden, und suchen damit eigent-lich nur unser Handeln zu rechtfertigen. -Das darf abernicht unser Maßstab sein. Für uns geht es darum, ob wirdas Kreuz tragen. Wenn du mich fragst: «Ist es recht,wenn mich jemand auf die Backe schlägt?», so kann ichdir nur antworten: «Natürlich nicht! Aber die Frage ist:Geht es dir nur darum, im Recht zu sein?» Für uns alsChristen gilt nicht Recht oder Unrecht. Für uns gilt nurdas Kreuz, denn allein das Kreuz muß unser Leben be-stimmen. Danket Gott dafür, daß er seine Sonne überBöse und Gute scheinen läßt; es geht ihm um seine Gnadeund nicht um Recht oder Unrecht. Für uns gilt: «Vergebteiner dem andern, wie auch Gott euch in Christus verge-ben hat!» (4,32). «Recht und Unrecht» ist der Maßstabder Heiden und Steuereinzieher. Mein Leben soll vomKreuz her bestimmt sein und sich an der Vollkommenheitdes Vaters messen: «Ihr sollt vollkommen sein, wie euerhimmlischer Vater vollkommen ist.»

Ein Bruder in Südchina besaß ein in der Mitte einesAbhangs gelegenes Reisfeld. Während der Trockenzeitmußte er das Wasser mit einem Tretrad mühsam vomKanal heraufpumpen, um sein Feld zu bewässern. DieReisfelder seines Nachbarn lagen tiefer am Hang, und ei-nes Nachts durchbrach jener den kleinen Damm, der dieFelder trennte, so daß das Wasser des Bruders über desNachbarn Felder floß. Der Bruder besserte den Dammaus und pumpte neues Wasser auf seine Felder. Wiederdurchbrach der Nachbar den Damm. Wieder reparierteund pumpte der Bruder. Dies wiederholte sich mehrereMale. Da ging er schließlich zu den Brüdern der Gemein-de und bat sie um Rat. «Ich versuchte geduldig zu seinund nicht Gleiches mit Gleichem zu vergelten» sagte er«aber ist das recht?» Nachdem sie miteinander gebetet

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hatten, antwortete einer von ihnen: «Wenn wir nur ver-suchen würden, das Rechte zu tun, wären wir armseligeChristen. Wir müssen weit mehr tun als nur das Rechte.»Der Bruder war sehr beeindruckt. Am nächsten Morgenpumpte er Wasser für die Felder des Nachbarn, und amNachmittag für sein eigenes Feld. Danach blieb das Was-ser auf seinem Felde. Sein Nachbar wurde durch dieseTat derart beschämt, daß er sich nach dem Grund erkun-digte und später auch Christ wurde.

Also, liebe Brüder, besteht nicht auf eurem Recht!Glaubt nicht, ihr hättet gerecht gehandelt, weil ihr diezweite Meile mitgegangen seid. Die zweite ist nur Sinn-bild für die dritte und vierte! Uns geht es darum, Chri-stus ähnlich zu werden. Wir haben keinen Standpunkt zuvertreten, um nichts zu bitten und nichts zu verlangen.Aber geben sollen wir. Als Christus am Kreuz starb, hater nicht unsere Rechte verteidigt; die Gnade hat ihn dorthinaufgebracht. Und als seine Kinder sollten wir demNächsten immer weit mehr geben, als was ihm zukommt.

Wie oft haben wir nicht einmal recht. Wir fehlen undversagen, und es ist immer gut, von den eigenen Fehlernzu lernen. Wir müssen unsere Niederlage erkennen undbekennen und dabei über das Maß des Nötigen hinausge-hen. So will es der Herr! «Damit ihr euch als Söhne eureshimmlischen Vaters erweist» (Matth. 5,45). Unsere Kind-schaft soll praktisch sichtbar werden. Es stimmt, Gotthat «uns in Liebe durch Jesus Christus zu Söhnen, dieihm angehören sollten, vorherbestimmt» (1,5), aber wirbegehen den Fehler, daß wir uns schon erwachsene Söh-ne wähnen. Die Bergpredigt lehrt uns, daß Kinder Gotteszu einer geistlichen Reife heranwachsen, indem GottesGeist in ihrem Leben und ihrem Tun wirkt. Wir sind be-rufen, «vollkommen» zu sein in der Liebe, indem wir sei-ne Gnade sichtbar machen in unserem Verhältnis zu an-deren Menschen. «Folgt also dem Vorbild Gottes nachals geliebte Kinder, und wandelt in der Liebe, wie auchChristus euch geliebt und sich selbst für uns dargebrachthat» (5,1-2).

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Es geht nicht um Geringes. In der Bergpredigt ist unsein Maßstab gegeben, der uns unerreichbar vorkommt,und den Paulus in diesem Abschnitt des Epheserbriefesunterstreicht. Die Schwierigkeit liegt darin, daß wir vonNatur unfähig sind, diesem Standard gemäß zu leben —zu wandeln «wie es sich für Heilige geziemt» (5,3). Wieist es denn möglich, den hohen Forderungen Gottes ge-recht zu werden?

Die Antwort finden wir in den Paulus-Worten: «Nachder Kraft, die da in uns wirksam ist» (3,20) und «Um die-ses zu erreichen, arbeite ich auch angestrengt und kämp-fe vermöge seiner Kraft, die sich machtvoll in mir wirk-sam erweist» (Kol. 1,29).

Damit sind wir wieder im ersten Abschnitt des Briefesangelangt. Was ist die verborgene Kraft eines christlichenLebens? Woher kommt sie? Das Geheimnis des Christenliegt darin, daß er in Christus ruht. Er enthält seine Kraftaus der ihm von Gott geschenkten Stellung. Wer sitzengelernt hat, kann auch gehen. Das lag in Gottes Absicht,daß unwillkürlich das eine dem andern folgt. Wir sitzenauf ewig in Christus, um stetig vor den Menschen wan-deln zu können. Verlassen wir unsere Ruhestellung inChristus auch nur für einen Moment, so straucheln wiraugenblicklich, und schon ist unser Zeugnis in der Weltbeeinträchtigt. Bleiben wir aber in Christus, so sichertuns diese Stellung die Kraft, würdig vor Gott zu wan-deln. Wenn ihr für diese Art der Fortbewegung nach ei-nem Beispiel sucht, so denkt nicht zuerst an einen Renn-fahrer auf der Rennbahn, sondern eher an einen Auto-fahrer oder noch besser an einen Gebrechlichen in seinemInvalidenfahrzeug. Was macht er da? Er geht, abergleichzeitig sitzt er auch. Seine Fortbewegung ergibt sichaus der Stellung, in die er gebracht wurde. Das ist selbst-verständlich ein recht unvollkommenes Bild des Chri-stenlebens, aber es mag dazu dienen, uns daran zu erin-nern, daß unser Wandel und unser Benehmen grundle-gend von unserer innern Ruhe in Christus abhängt.

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Das erklärt uns, was Paulus mit seinen Worten sagenwill. Er hat sitzen gelernt. Er hat in Gott einen Ruheortgefunden. Darum gründet sich sein Wandel nicht auf sei-ne Anstrengungen, sondern auf Gottes mächtiges inneresWirken. Da liegt das Geheimnis seiner Kraft. Da er sichin Christus sitzend sah, nahm sein Wandel vor den Men-schen den Charakter des innewohnenden Christus an.Kein Wunder, daß er für die Epheser betet: «Damit Chri-stus durch den Glauben Wohnung in euren Herzen neh-me» (3,17).

Wie läuft meine Armbanduhr? Bewegt sie sich vonselbst, oder muß sie zuerst aufgezogen werden? Selbst-verständlich ist eine außerhalb liegende Kraft notwendig,um sie in Gang zu bringen. Nur so versieht sie ihrenDienst. Es gibt auch Dienste, für die wir bestimmt sind.«Denn sein Gebilde sind wir, in Christus Jesus geschaf-fen zu guten Werken, die Gott im voraus bereitgestellthat, damit wir in ihnen wandeln sollen» (2,10).

Ferner schreibt er den Philippern: «Seid darauf be-dacht, noch weit mehr eure Rettung mit Furcht und Zit-tern zu schaffen, denn Gott ist es, der beides, das Wollenund das Vollbringen, in euch wirkt, damit ihr ihm wohl-gefallt» (Phil. 2,12-13). Gott wirkt in uns, wir leben esaus. Hier liegt das Geheimnis. Bevor wir aber gewilltsind, Gott dies in uns wirken zu lassen, ist jeder Versuch,dies unsererseits ausführen zu wollen, zwecklos. Wir ver-suchen oftmals sanft und mild zu sein, ohne zu wissen,was es heißt, Gott in uns die Sanftmut und Milde Christiwirken zu lassen. Wollen wir Liebe üben, dann gewahrenwir bald, daß wir gar keine haben. Bitten wir den Herrnum Liebe, dann wundern wir uns, daß er uns auch dieseBitte nicht zu erfüllen scheint.

Laßt mich nochmals auf ein früheres Beispiel zurück-kommen. Vielleicht hast du einen recht unangenehmenBruder, der dir fortwährend Schwierigkeiten bereitet.Wenn immer du ihm begegnest, sagt oder tut er etwas,womit er glaubt, dich ärgern zu können. Das betrübt

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dich. Du sagst: «Als Christ sollte ich ihn lieben. Ichmöchte ihn lieben und bin fest entschlossen, es zu tun!»Dann bittest du ernstlich: «Herr, mehre mir die Liebe zudiesem Bruder. Oh Gott, schenke mir Liebe!» Daraufnimmst du dich fest zusammen und setzest deinen ganzenWillen ein, um ihm deinem aufrichtigen Wunsch entspre-chend jene Liebe zu erweisen, um die du gebeten hast.Aber ach, sobald du ihm begegnest, geschieht wieder et-was, das all deine guten Vorsätze zunichte macht. DieArt, wie er dir begegnet, ist alles andere als ermutigend,und alsbald steigt der alte Groll in dir auf, und es mußgut gehen, wenn du wenigstens höflich zu ihm bleibst.Warum das? War es etwa falsch, von Gott Liebe zu erbit-ten? Nein, aber es war falsch, diese Liebe als etwas fürsich Bestehendes zu suchen, als ob es eine Art «Ware»wäre, während Gott danach verlangt, die Liebe seinesSohnes durch dich zum Ausdruck zu bringen.

Er hat uns Christus gegeben, und mit ihm hat er uns al-les gegeben. Der Heilige Geist ist uns gegeben, um JesuWesen in uns hervorzubringen — nicht um etwas zuschaffen, das außerhalb von Christus ist. «Durch seinenGeist am inwendigen Menschen mit Kraft ausgerüstet zuwerden, um die Liebe Christi kennenzulernen» (3,16.19).Es kann nur nach außen gelangen, was Gott vorher inuns hineingelegt hat.

Rufen wir uns doch nochmals das große Wort in 1.Kor. 1,30 in Erinnerung: Gott hat uns nicht nur «in Chri-stus» versetzt, durch ihn ist «Christus uns von Gott herzur Weisheit gemacht worden wie auch zur Gerechtigkeitund Heiligung und zur Erlösung.» Das ist eine der größ-ten Aussagen der Bibel. Er «ist uns gemacht...». So wirdies glauben, dürfen wir jeden Mangel da hineinlegenund wissen, daß Gott ihn behoben hat; denn durch den inuns wohnenden Heiligen Geist ist der Herr Jesus uns zuallem gemacht, was irgend uns mangeln mag. Wir warenuns gewohnt, die Heiligkeit als eine Tugend anzusehen,Demut als eine Gnade und Liebe als eine Gabe, die wir

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vom Herrn zu erbitten haben. Der Christus Gottes aberist selbst alles, was immer uns auch nottun mag.

Oft, wenn mir etwas mangelte, stellte ich mir Christuseinfach als Person vor, ohne in dieser praktischen Weisein ihm all die «Dinge» zu sehen, die mir so sehr fehlten.Zwei volle Jahre tappte ich so im Dunkeln und suchtemir die Tugenden anzueignen, die nach meinem Dafür-halten das Christenleben ausmachen, doch ohne Erfolg.Dann, eines Tages, es war 1933, brach das Himmelslichtherein, und ich sah Christus von Gott mir dazu be-stimmt, in seiner ganzen Fülle übergeben zu werden.Welch ein Unterschied! O, wie leer sind doch all die«Dinge»! Halten wir sie ohne Beziehung zu Christus fest,so sind sie tot. Sobald wir dies erkennen, stehen wir amAnfang eines neuen Lebens. Jetzt wird unsere Heiligkeitund Liebe groß geschrieben. Er selbst ist nun in uns dieAntwort auf alles, was Gott von uns fordert.

Geh nun zurück zu jenem schwierigen Bruder, wendedich aber diesmal zuerst mit folgenden Worten an Gott:«Herr, jetzt ist mir endlich klar geworden, daß ich vonmir aus nicht zu lieben vermag, aber ich weiß nun, daß inmir ein Leben ist, das Leben Deines Sohnes, und daß dasGesetz dieses Lebens Liebe ist. Es kann gar nicht anders,als ihn lieben.» Du brauchst dich nicht anzustrengen.Ruhe im Sohn und rechne mit seinem Leben. Wage esnun, diesen Bruder aufzusuchen und mit ihm zu sprechen— du wirst höchst überrascht sein! Völlig unbewußt (undich möchte das Wörtchen «unbewußt» betonen, denn eswird uns erst nachher bewußt) sprichst du nun ganzfreundlich mit ihm, und ebenso unbewußt liebst du ihnund weißt, daß er dein Bruder ist. Du unterhältst dichmit ihm in wahrer, ungezwungener Gemeinschaft undwirst dich auf dem Rückweg höchst erstaunt fragen:«Wie kam das nur? Ich habe mich doch nun nicht im ge-ringsten ängstlich darum bemüht und habe mich trotz-dem nicht im geringsten geärgert! Auf unerklärliche Wei-se war der Herr mit mir, und seine Liebe hat gesiegt.»

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Sein Leben wirkt in uns im wahrsten Sinne unwillkür-lich, das heißt ohne Anstrengung unsererseits. Das Alier-wichtigste ist nicht «versuchen», sondern «vertrauen»,sich nicht auf eigene Kraft verlassen, sondern auf dieKraft des Herrn. Das von uns fließende Leben offenbart,was wir «in Christo» wirklich sind. Vom Quell des Le-bens fließt süßes Wasser. Wir haben auch unter uns zuviele aktive Christen. Ihr Leben ist nur Scheinchristen-tum. Sie leben ein «geistliches» Leben, reden eine «geist-liche» Sprache, nehmen ein «geistliches» Gebaren an,aber sie fabrizieren all das selbst. Wie sehr sie sich dabeianstrengen müssen, sollte ihnen doch eigentlich zeigen,daß etwas nicht stimmen kann. Sie zwingen sich, Ent-haltsamkeit zu üben, dies nicht zu sagen oder jenes nichtzu essen, und doch fällt ihnen all das so schwer! Es ist,als wollten wir in einer Fremdsprache reden, die wir nichtbeherrschen. So sehr wir uns mühen, es gelingt uns nicht,fließend zu sprechen; wir müssen um jedes Wort ringen.Können wir uns aber der Muttersprache bedienen, so gibtes nichts einfacheres auf der Welt. Wir sprechen sie flie-ßend, ohne uns auf sie konzentrieren zu müssen. Wirsprechen sie so natürlich, daß jedermann uns sogleich alsdas erkennt, was wir sind.

Das uns durch den innewohnenden Heiligen Geist ver-mittelte Leben ist genauso natürlich, denn das ist das Ge-setz dieses Lebens. Sobald uns diese Tatsache klar wird,geben wir das Ringen unseres Scheinchristentums auf.Nichts schadet dem christlichen Leben so sehr, wie dieses«tun als ob»; nichts hingegen ist so segensreich, wie wennunsere eigenen Anstrengungen aufhören und unser Ge-baren natürlich wird — wenn unsere Worte, unser Gebet,ja unser ganzes Leben der natürliche, ungezwungeneAusdruck unseres Innenlebens werden. Haben wir er-kannt, daß der Herr gut ist? Dann ist er in uns genau sogut! Ist er mächtig? Dann ist er in uns nicht wenigermächtig! Preis sei Gott; sein Leben ist so machtvoll wieeh und je und kommt auch im Leben derer, die es wagen,

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dem Wort Gottes zu glauben, keineswegs weniger macht-voll zum Ausdruck als ehedem.

Was meint der Herr, wenn er sagt: «Wenn es mit eurerGerechtigkeit nicht weit besser bestellt ist als bei denSchriftgelehrten und Pharisäern, so werdet ihr nimmer-mehr ins Himmelreich eingehen» Matth. 5,20)? Wir se-hen in den folgenden Versen, wie er den Unterschied zwi-schen dem Gesetz Mose und seinen eigenen Forderungenherausstellt, indem er wiederholt sagt: «Ihr habt gehört,daß den Alten geboten worden ist... Ich dagegen sageeuch...» Die Menschen hatten während Jahrhundertenvergeblich versucht, diesen ersten Geboten nachzuleben.Wie konnte da der Herr es wagen, die Anforderungennoch höher zu schrauben? Doch nur deshalb, weil er ansein eigenes Leben glaubte. Er scheut sich nicht, an sichselbst die höchsten Anforderungen zu stellen. Es ist füruns eine Erquickung, in Matth. 5 bis 7 die Gesetze desKönigreiches zu lesen, denn sie zeigen uns, welch völligesVertrauen der Herr in sein eigenes Leben hatte, das ernun auch seinen Kindern zugänglich gemacht hat. Diesedrei Kapitel geben uns den himmlischen Maßstab, mitdem das göttliche Leben gemessen wird. Die Höhe dergestellten Anforderungen zeigt uns, wie gewiß er ist, daßdie Mittel, die er in uns gelegt hat, völlig ausreichen, die-sen zu genügen. Gott gebietet nichts, was er nicht tunwill, aber wir müssen uns ganz auf ihn werfen, damit eres tun kann.

Stehn wir vor einer schwierigen Situation? Geht es umRecht oder Unrecht, gut oder böse? Wir brauchen nichterst nach Weisheit zu suchen. Wir brauchen den Baumder Erkenntnis nicht mehr. Wir haben Christus. Er istuns von Gott zur Weisheit gemacht. Das Gesetz des Gei-stes des Lebens in Christo Jesu informiert uns fortwäh-rend darüber, was vor dem Herrn recht und unrecht ist,womit uns auch die Geisteshaltung gegeben ist, um derschwierigen Situation gerecht zu werden.

Wir werden gerade dadurch geprüft, daß immer Dinge

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auftauchen, die unser christliches Gerechtigkeitsgefühlverletzen. Wie reagieren wir darauf? Lernen wir doch aufdas Prinzip des Kreuzes zu achten, daß nun nicht mehrder alte Mensch unser Maßstab ist, sondern der neue,«der nach Gottes Ebenbild geschaffen ist in wahrhafterGerechtigkeit und Reinheit und Wahrheit» (4,24).

«Herr, ich habe keine eigenen Rechte zu verteidigen.Alles, was ich habe, habe ich durch Deine Gnade und inDir, in dem mir alles geschenkt ist.»

Ich weiß von einer alten Japanerin, die eines Nachtsvon einem Dieb aufgeschreckt wurde, der in ihr Hauseinbrach. In ihrem einfältigen, aber praktischen Glaubenbereitete sie dem Dieb eine Mahlzeit und gab ihm ihreSchlüssel. Ihre Handlung beschämte ihn zutiefst, so daßGott mit ihm reden konnte. Durch das Zeugnis dieserFrau ist dieser Mann heute ein Bruder im Herrn.

Leider kennen zu viele Christen wohl die Lehre, aberleben in krassem Gegensatz dazu. Sie kennen die drei er-sten Kapitel im Epheserbrief gut, aber sie leben die Kapi-tel 4-6 nicht aus. Es wäre besser, sie hätten keine Er-kenntnis, als im Widerspruch dazu zu leben. Hat Gott diretwas befohlen? Dann wirf dich auf ihn, daß er dir auchdie Möglichkeit gebe, seinen Willen zu tun. Möchte derHerr uns doch klar machen, daß das ganze Prinzip desChristenlebens darin besteht, über das hinaus zu gehen,was recht ist, und das zu tun, was ihm wohlgefällig ist.

Kaufet die Zeit aus

Das Wort «wandeln» enthält aber offensichtlich noch ei-ne weitere Bedeutung. Es bezieht sich nicht nur auf unse-re Lebenshaltung, sondern auf einen Fortschritt. Wan-deln bedeutet fortschreiten, ein Ziel verfolgen. «Achtetalso genau darauf, wie ihr vorsichtig wandelt, nicht alsUnweise, sondern als Weise, indem ihr die Zeit auskauft,denn die Zeiten sind böse. Darum zeigt euch nicht unver-

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ständig, sondern sucht zu verstehen, welches der Willedes Herrn ist!» (5,15-17). Ihr seht, daß in diesen Worteneine Gedankenverbindung besteht zwischen dem BegriffZeit — dem günstigen Augenblick — und Weisheit undTorheit. Das ist ein wichtiger Punkt. Diese beiden Begrif-fe werden auch in den folgenden zwei Stellen in Bezie-hung zueinander gebracht:

«Alsdann wird das Himmelreich 10 Jungfrauen glei-chen... Fünf von ihnen waren töricht und fünf klug;denn die törichten nahmen wohl die Lampen, nahmenaber kein Öl mit... Um Mitternacht aber erscholl ein Ge-schrei: 'Der Bräutigam ist da! Macht euch auf, ihn zuempfangen!' Da erhoben sich jene Jungfrauen alle vomSchlaf und brachten ihre Lampen in Ordnung; die törich-ten aber sagten..., 'unsere Lampen wollen ausgehen'...Während sie nun hingingen, um Öl einzukaufen, kamder Bräutigam, und die Jungfrauen, welche in Bereit-schaft waren, gingen mit ihm zum Hochzeitsmahl hinein,und die Tür wurde verschlossen. Später kamen dannauch noch die übrigen Jungfrauen...» (Matth. 25,1-13).

«Ich sah nämlich das Lamm auf dem Berge Zion ste-hen und mit ihm hundertvierundvierzigtausend, die sei-nen Namen und den Namen seines Vaters auf ihrer Stirngeschrieben trugen. ... Diese... sind jungfräulich... diesesind es, die dem Lamme nachfolgen, wohin es auch ge-hen mag. Diese sind aus der Menschheit als Erstlingsgabefür Gott und für das Lamm erkauft worden, und in ih-rem Munde ist keine Lüge gefunden worden: sie sind oh-ne Fehl» (Off. 14,1-5).

Viele Stellen in der Heiligen Schrift versichern uns,daß Gott vollenden wird, was er begonnen hat. Unser Er-löser ist ein vollkommener Erlöser. Am Schluß wird keinChrist «halb» erlöst sein, auch wenn das von uns im jet-zigen Zustand gesagt werden könnte. Gott wird jeden,der an ihn glaubt, vollenden. Das glauben wir, und daranhalten wir fest als Ausgangspunkt für die Worte vonPaulus an die Philipper (1,6): «Ich hege eben deshalb

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auch die feste Zuversicht, daß der, welcher ein gutesWerk in euch angefangen hat, es auch bis zum Tage JesuChristi vollenden wird». Gottes Macht hat keine Gren-zen. «Er vermag euch unsträflich vor das Angesicht sei-ner Herrlichkeit hinzustellen» (Jud. 24; siehe auch 2.Tim. 1,12; Eph. 3,20).

Im praktischen, täglichen Leben erfahren wir jedoch,daß hier der Faktor Zeit mitspielt. In Offenbarung 14,4werden die «Erstlinge» erwähnt und in Vers 15 die «Ern-te»! Worin besteht der Unterschied zwischen «Erstlin-gen» und «Ernte»? An der Qualität kann es nicht liegen,denn es ist dieselbe Frucht. Der Unterschied liegt alleinim Zeitpunkt der Reife. Einige Früchte werden früherreif als andere und werden deshalb «Erstlinge» genannt.

Mein Heimatort in der Provinz Fukien ist berühmt fürseine Orangen. Meiner Meinung nach (die hier ohneZweifel voreingenommen ist!) gibt es in der ganzen Weltkeine besseren. Wenn man zu Beginn der Orangenernteüber die Hügel blickt, scheint alles grün zu sein. Siehtman genauer hin, entdeckt man hier und dort verstreutschon einige goldene Früchte. Ein schöner Anblick, die-ses Gold in den grünen Blättern! Die «Erstlinge» sind ge-reift, sie werden vorsichtig gepflückt und bringen oft dendreifachen Preis der späteren Ernte ein.

Alles reift zu seiner Zeit. Aber das Lamm sucht «Erst-linge». Die klugen Jungfrauen im Gleichnis haben nichtbesser gehandelt als die anderen, aber sie taten es zu einerfrüheren Stunde. Beachten wir, daß auch die andernJungfrauen waren — ohne Zweifel «töricht» — aberdennoch Jungfrauen. Sie waren mit den klugen demBräutigam entgegen gegangen. Auch sie hatten Öl in denLampen und auch ihre Lampen brannten. Aber sie hat-ten nicht damit gerechnet, daß der Bräutigam verziehenkönnte und hatten nun, da ihre Lampen verlöschten, kei-nen Vorrat in ihren Gefäßen, und auch die andern hattennicht genug, um etwas für sie zu erübrigen.

Manche zerbrechen sich den Kopf darüber, daß der

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Herr zu den törichten sagt: «Ich kenne euch nicht». Wiekonnte er das sagen, da sie doch zu seinen wahren Kin-dern gehörten, «verlobt... als eine reine Jungfrau» fürChristus (2. Kor. 11,2). Wir müssen aber erkennen, daßuns dieses Gleichnis in erster Linie zeigen will, daß es einVorrecht gibt, ihm in einer zukünftigen Zeit dienen zudürfen, dem aber seine Kinder verlustig gehen können,wenn sie nicht bereit sind. Als die fünf törichten Jung-frauen zur Türe kamen, riefen sie: «Herr, Herr, öffneuns doch!» Was war das für eine Türe? Sicher nicht dasTor der Erlösung. Wer verloren ist, kann nicht zur Him-melstür gelangen und anklopfen. Wenn also der Herrsagt: «Ich kenne euch nicht», so braucht er diese Wortesicher in einem begrenzten Sinne, wie dies vergleichswei-se im folgenden Beispiel geschieht.

In Schanghai wurde der Sohn eines Polizeirichters we-gen vorschriftwidrigem Fahren auf den Polizeiposten ge-bracht, wo sein Vater als Richter amtete. Die Gerichts-verfahren sind auf der ganzen Welt mehr oder wenigerdie gleichen. Der Knabe wurde daher gefragt: «Wie hei-ßest Du? Wo wohnst Du? Was ist Dein Beruf?» usw. Dawendet er sich verwundert an seinen Vater und sagt: «Va-ter, willst Du etwa sagen, daß Du mich nicht kennst?»Doch der Vater schlug auf das Pult und antwortetestreng: «Junger Mann, ich kenne Dich nicht, wie heißtDu? Wo wohnst Du?» Damit meinte er sicher nicht, daßer ihn überhaupt nicht kenne. Zuhause im Familienkreiskannte er ihn, aber an diesem Ort und zu dieser Zeitkannte er ihn nicht. Er war immer noch seines VatersSohn, mußte sich aber trotzdem diesem Gerichtsverfah-ren unterziehen und seine Buße bezahlen.

Ja, alle zehn Jungfrauen hatten Öl in ihren Lampen.Was die törichten kennzeichnete, war, daß sie keinenVorrat in ihren Gefäßen hatten. Als wahre Christen ha-ben auch sie in Christus ihr Leben und bezeugen dies vorden Menschen. Aber ihr Zeugnis ist unbeständig, da sievon der Hand in den Mund leben. Sie hatten den Geist,aber sie waren nicht «voll Geistes» (5,18).

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So müssen sie im entscheidenden Zeitpunkt hingehenund Öl kaufen. Am Ende hatten selbstverständlich allegenug Öl, aber der Unterschied lag eben darin, daß dieklugen im entscheidenden Zeitpunkt genug hatten, wäh-rend die törichten, als sie endlich genug besaßen, den An-laß verpaßt hatten, zu dem es bestimmt war. Das Ganzeist eine Zeitfrage, und darum geht es dem Herrn, wenn erim Anschluß an dieses Gleichnis seine Jünger anspornt,nicht bloß Jünger zu sein, sondern wachsame Jünger.

«Berauscht euch auch nicht an Wein, was zur Lieder-lichkeit führt, sondern werdet voll Geistes» (5,18). Esgeht in Matth. 25 nicht um die ursprüngliche AnnahmeJesu Christi, auch nicht darum, daß der Heilige Geist aufdie Jünger kam, damit sie geistliche Gaben empfingen.Es geht um das zusätzliche Öl in den Gefäßen — um dasständige Unterhalten des Lichtes, wie lange auch dieWartezeit dauern mag — und die fortwährende, wunder-bare Versorgung durch den innewohnenden Geist (dennwas im Gleichnis Lampe und Gefäß, das sind in Wirk-lichkeit wir). Welcher Christ könnte schon ewiglich imHimmel leben, ohne diese innere Fülle zu haben? Daherunternimmt der Herr alle nur möglichen Schritte, um unszur Erkenntnis dieser Fülle zu bringen. «Darum seidwachsam, denn Tag und Stunde sind euch unbekannt»(Matth. 25,13).

«Werdet voll» ist die ungewöhnliche Redewendung,die hier in Beziehung zum Heiligen Geist gebraucht wird.Wir sollen uns also fortwährend füllen lassen. Das istkein Wendepunkt wie zu Pfingsten, sondern eine Bereit-schaft, in der wir uns zeitlebens befinden sollen. Das ge-schieht nicht äußerlich, sondern inwendig. Es geht hiernicht um die Geistesgaben und um äußere Erscheinun-gen, sondern um die persönliche Gegenwart und Wirk-samkeit des Heiligen Geistes in unserem Geiste. Das al-lein bürgt uns dafür, daß das Licht im Gefäß ungetrübtweiterbrennt, wenn nötig auch bis spät nach Mitternacht.

Außerdem geht es hier nicht nur um eine ganz persön-

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liehe Angelegenheit. Wie uns der nächste Vers (5,19)zeigt, geht es darum, daß wir in gegenseitiger Abhängig-keit etwas mit andern Christen teilen. «Voll Geistes»heißt in der Sprache dieses Verses nicht nur, daß ihr«dem Herrn in eurem Herzen singt und spielt», sondern«daß ihr zueinander mit Psalmen, Lobgesängen undgeistlichen Liedern redet». Manchen unter uns fällt esleicht, ein Solo zu singen, dagegen viel schwerer, im Taktund in Harmonie in einem Quartett oder auch nur schonin einem Duett zu singen. Ja, diese Botschaft über dieEinheit im Geiste liegt hier im Herzen unseres zweitenTeiles des Epheserbriefes. (Siehe 4,3.15.16). Die Fülledes Geistes ist uns dazu gegeben, daß wir miteinander vordem Thron ein neues Lied singen (Off. 14,3).

Um aber bei unserem Schwerpunkt zu bleiben, möchteich wiederholen: der Unterschied zwischen Weisheit oderTorheit besteht einzig darin, daß der Weise diese Füllefrüher sucht, während der Törichte das auf später ver-schiebt. Manche unter uns sind Eltern und haben Kinder.Wie sehr verschieden können doch Kinder im Tempera-ment sein! Eines gehorcht augenblicklich, ein anderesversucht durch Hinausschieben darum herum zu kom-men. Wenn dies tatsächlich der Fall ist, weil ihr schwachgenug seid, sie durch eine Hintertür entkommen zu las-sen, dann ist derjenige, der aufschiebt, tatsächlich derWeisere; denn es gelingt ihm, nichts tun zu müssen. Soihr aber auf eurem Wort besteht, so daß euer Befehlnicht umgangen werden kann, sondern zuletzt doch be-folgt werden muß, dann ist sicher derjenige der Weisere,der der Aufforderung unverzüglich nachkommt.

Verschafft euch Klarheit über Gottes Willen! Fallsman Gottes Wort nur halbwegs glauben könnte, wäre esnicht töricht, wenn ihr seinen selbstverständlichen Folge-rungen zu entrinnen suchtet? Ist aber Gott unwandelbarund sein Wille unumstößlich, dann seid weise und kauftdie Zeit aus. Trachtet vor allem danach, jenes zusätzlicheÖl im Gefäß zu haben, «damit ihr schließlich zum Er-fülltsein mit der ganzen Gottesfülle gelangt» (3,19).

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Das Gleichnis beantwortet nicht alle unsere Fragen.Wo kauften die törichten Jungfrauen ihr Öl? Es wird unsnicht gesagt. Es wird uns nirgends gesagt, welche weite-ren Schritte Gott gebrauchen wird, um alle seine Kinderzur Reife zu bringen. Das soll nicht unsere Sorge sein.Uns geht es um die «Erstlinge». Wir sind aufgefordert,dem Ziel nachzujagen und nicht darüber nachzudenken,was passiert, wenn wir es nicht tun. Durch Ausflüchtekönnen wir der Reife — oder dem Preis der Reife —nicht ausweichen. Weisheit und Zeit stehen in engem Zu-sammenhang. Die Weisen nutzen die Zeit aus, stehen inZusammenarbeit mit dem Herrn und geben ihm das, waser braucht. Er wünscht brauchbare Werkzeuge, die je-derzeit zur Verfügung stehen; ebenso wie mein gefüllterFüllhalter jederzeit von mir gebraucht werden kann.

Nehmen wir uns Paulus als Beispiel. Er ist von einerbrennenden Leidenschaft erfüllt. Er hat erkannt, daßGottes Heilsplan für uns mit «der Fülle der Zeiten»(1,10) verknüpft ist. Er ist einer von denen, die «zuvorauf Christum hofften» (1,12), indem er in der Erlösungruht, die erst in der Zukunft völlig offenbart werden soll,«in den zukünftigen Zeiten» (2,7). Wie verhält er sich zuall dem? Er wandelt. Er wandelt nicht nur, er läuft. «Solaufe ich denn nicht ziellos» (1. Kor. 9,26). «Ich jage, dasvorgesteckte Ziel im Auge, nach dem Siegespreis, den diein Jesus Christus ergangene himmlische Berufung Gottesin Aussicht stellt» (Phil. 3,14).

Manchmal, wenn Menschen zum Verstehen der geistli-chen Dinge kommen und anfangen, mit dem Herrn zuwandeln, steigt der Gedanke in mir auf, wären sie dochfünf Jahre früher zu dieser Erkenntnis gekommen! DieZeit ist so kurz, auch wenn wir wandeln. Wir müssen diekostbare Zeit auskaufen! Laßt uns bedenken, daß esnicht darum geht, daß wir etwas erhalten, sondern daßder Herr erhält, was er jetzt braucht. Er bedarf heutebrauchbarer Werkzeuge. Warum? Weil die Zeit böse ist.Auch unter den Christen ist die Lage verzweifelt. Wennwir das nur einsehen wollten!

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Der Herr muß vielleicht drastisch mit uns vorgehen.Paulus mußte sagen: «Ich bin eine unzeitige Geburt!» Erist bereits durch schwere Krisen gegangen, um den Punktzu erreichen, zu dem er gelangt war — und immer nochjagt er nach vorn. Es ist immer eine Frage der Zeit. Gottmuß oftmals in kürzester Zeit etwas in uns wirken, aberER muß wirken. Möchten unsere Herzensaugen erleuch-tet werden und sehen, «welche Hoffnung seiner Beru-fung wir haben» (1,18), auf daß wir wandeln, nein —laufen als diejenigen, die verstehen, «welches der Willedes Herrn ist» (5,17). Der Herr hat je und je die Men-schen geliebt, die für ihn brennen.

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Stehe

«Zuletzt: werdet stark im Herrn und in der gewaltigen,ihm innewohnenden Kraft. Ziehet die volle Waffenrü-stung Gottes an, damit ihr gegen die listigen Anläufe desTeufels zu bestehen vermögt... damit ihr imstande seid,am bösen Tage Widerstand zu leisten, alles gut auszu-richten und das Feld zu behaupten! So stehet also da, anden Hüften gegürtet, angetan mit dem Panzer... an denFüßen beschuht... ergreift noch den Großschild... Neh-met auch den Helm... und das Schwert des Geistes... Be-tet... seid wachsam!» (6,10-18).

Das christliche Erlebnis beginnt mit Sitzen und führtzum Wandel, aber endet nicht damit. Wir müssen stehenlernen. Jeder Christ muß auf Kampf vorbereitet sein.Wir müssen lernen, mit Christus in der Himmels weit zusitzen, und wir müssen lernen, auf Erden seiner würdigzu wandeln. Aber wir müssen auch lernen, vor demFeind zu bestehen. Der letzte Abschnitt des Epheserbrie-fes (6,10-20) gibt uns darüber Aufschluß. Paulus nenntes «unseren Kampf mit den bösen Geisterwesen».

Wir wollen uns noch einmal darauf besinnen, in wel-cher Reihenfolge der Epheserbrief uns diese Dinge vorAugen führt: Sitzen, Wandeln, Stehen. Kein Christ kannje an den Auseinandersetzungen unserer Zeit teilnehmen,es sei denn, er habe vorher gelernt, in Christus und sei-nem vollendeten Werk zu ruhen, um ihm dann in derKraft des Heiligen Geistes in einem praktischen, heiligenLeben hier auf Erden nachzufolgen. Sofern er in dem ei-nen oder andern versagt, wird er auch im Kampf ohneBelang sein. Ja, es kann sein, daß er diesen Kampf nichteinmal gewahr wird, weil der Teufel ihn in Frieden läßt,— er ist unwesentlich für den Teufel! Aber ein Christkann auch «stark sein im Herrn und in seiner gewaltigen

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Kraft» (6,10). Das kann er täglich ausleben, wenn er indem vollbrachten Werk des auferstandenen und erhöh-ten Erlösers ruht, und stark wird «durch seinen Geist andem inwendigen Menschen»! Dann wird er auch das«Stehen» erleben.

Gott hat einen Erzfeind. Unter dessen Herrschaft ste-hen unzählige Dämonen und gefallene Engel, die ständigversuchen, diese Welt mit Bösem zu überfallen und Gottaus seinem eigenen Reich auszuschließen. Dies ist in Kap.6,12 ausgedrückt. Dieser Vers erklärt viel von dem, wasum uns herum geschieht. Wir sehen nur «Fleisch undBlut» im Kampf gegen uns — wir sehen eine Weltord-nung von feindlichen Königen und Herrschern, Sündernund bösartigen Menschen. Nein, sagt Paulus, wir habennicht mit diesen zu kämpfen, sondern mit den Mächten,mit den Gewalten, mit den Beherrschern dieser Welt derFinsternis, mit den bösen Geisterwesen in der Himmels-welt, kurz gesagt: gegen die listigen Anschläge Satans.Zwei Throne stehen sich im Kampf gegenüber. Gott be-ansprucht die Erde als seinen Herrschaftsbereich; Satanversucht, Gott den Rang streitig zu machen. Die Gemein-de ist dazu berufen, Satan aus seinem jetzigen Herr-schaftsgebiet zu vertreiben und Christus zum Haupt überalles zu setzen. Was tun wir in dieser Sache?

Ich möchte dieses Anliegen unseres Kampfes erst allge-mein und im Hinblick auf unser persönliches Christenle-ben behandeln, danach in besonderer Beziehung zu demuns anvertrauten Werk des Herrn. Satan richtet viele di-rekte Angriffe auf die Kinder Gottes. Jedoch sollen wirdem Teufel nicht jene Schwierigkeiten zuschreiben, diedas Ergebnis unserer eigenen Übertretungen der göttli-chen Gesetze sind. Wie diese zu ordnen sind, sollten wirnun wissen. Es gibt aber physische Angriffe auf die Heili-gen, Angriffe des Bösen auf Leib und Seele, die wir ernstnehmen müssen. Seine Angriffe gegen unser geistlichesLeben kennen wohl die meisten unter uns. Haben wir dasalles ohne Gegenwehr hinzunehmen? Wir sind mit dem

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Herrn in die Himmelswelt versetzt und lernen, wie wirvor ihm in der Welt zu wandeln haben; wie aber könnenwir angesichts des Feindes all das halten? Gottes Wortgegen seinen und unseren Feind lautet: «Stehe.» «Ziehetdie volle Waffenrüstung Gottes an, damit ihr gegen dielistigen Anläufe des Teufels zu bestehen vermögt.» Dasgriechische Wort für stehen mit der Präposition «gegen»in Vers 11 bedeutet «das Feld behaupten». In diesem Be-fehl Gottes ist eine köstliche Wahrheit verborgen. Das istkein Befehl, in fremdes Territorium einzudringen. In dermodernen Kriegsführung wäre dies der Befehl zum Ein-marsch. So ziehen Armeen in fremde Länder ein, um siezu besetzen und zu unterwerfen. Das ist nicht, was Gottvon uns will. Wir haben zu stehen, nicht zu marschieren.Das Wort «stehe» bedeutet, daß der umstrittene Bodenin Wirklichkeit Gott gehört — und damit auch uns. Wirbrauchen nicht erst zu kämpfen, um darauf Fuß zu fas-sen.

Fast alle im Epheserbrief erwähnten Waffen sind reineVerteidigungswaffen. Selbst das Schwert kann sowohlfür die Verteidigung als auch für den Angriff verwendetwerden. Der Unterschied zwischen Verteidigungs- undAngriffskrieg liegt darin, daß uns im ersten das Feld ge-hört, wir brauchen es nur zu halten, während wir es imletzteren erobern müssen. Das ist genau der Unterschiedzwischen der Kriegsführung des Herrn und der unsrigen.Sein Kampf war Angriff, der unsere ist im wesentlichenVerteidigung. Der Herr kämpfte mit Satan, um ihn zubesiegen. Durch das Kreuz trug er den Kampf bis an dieSchwelle der Hölle, um Gefangene wegzuführen (4,8 und9). Wir dagegen kämpfen nur noch gegen den Satan, umden Sieg, den der Herr errungen hat, festzuhalten und zuvertiefen. Durch die Auferstehung hat Gott seinen Sohnals Sieger über das ganze Reich der Finsternis ausgeru-fen, und Christus hat den gewonnenen Boden uns über-geben. Wir brauchen nicht darum zu kämpfen. Wir ha-ben ihn nur noch gegen jeden Angreifer zu behaupten.

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Wenn du kämpfst, um den Sieg zu erringen, hast dudie Schlacht von Anfang an verloren. Angenommen derFeind versuche, dich zu Hause oder im Geschäft zu über-fallen. Die Schwierigkeiten mehren sich ständig und wol-len dich überwältigen. Mißverständnisse entstehen, unddu kommst in eine Situation, mit der du weder fertigwirst, noch ihr entrinnen kannst. Du betest und fastest,du kämpfst und widerstehst während Tagen, aber es än-dert sich nichts. Warum nur? Du versuchst, den Sieg zuerringen, und hast damit das Gebiet, das schon dir ge-hört, dem Feind überlassen. Der Sieg liegt noch irgendwoin weiter Ferne vor dir und du erreichst ihn nicht. Ich be-fand mich einmal selbst in der genau gleichen Situation.Da erinnerte mich Gott an das Wort in 2. Thess. 2,8 überden Menschen der Sünde, den der Herr Jesus «durch denHauch seines Mundes wegraffen wird». Nun wurde mirplötzlich bewußt, daß ja schon ein Hauch meines Herrngenügt, um den Feind zu erledigen, während ich einenOrkan in Bewegung zu bringen suchte! Wurde denn derSatan nicht ein für allemal besiegt? Dann ist ja auch die-ser Sieg bereits errungen. Nur wer sitzt, kann auch ste-hen. Unsere Kraft zu stehen und zu wandeln liegt darin,daß wir uns zuerst mit Christus gesetzt haben. Aus dieserPosition erhält der Christ im Wandel und im Kampf sei-ne Kraft. Wer nicht vor Gott sitzt, kann nicht hoffen,vor dem Feind bestehen zu können.

Es ist Satan nicht unbedingt darum zu tun, uns zurSünde zu verleiten. Er wird versuchen, uns aus der Sie-gesstellung herauszulocken, in die der Herr uns gestellthat. Durch unseren Verstand oder unsere Gefühle greifter unser Ruhen in Christus und unseren Wandel im Geistan. Aber für jede Stelle seines Angriffs stehen Verteidi-gungswaffen zur Verfügung — der Helm, der Panzer,der Gürtel, die Schuhe, — und über allem steht derGroßschild des Glaubens, um die feurigen Pfeile desFeindes auszulöschen. Der Glaube sagt: «Christus ist er-höht. Durch seine Gnade sind wir erlöst! Wir haben Zu-

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gang zu ihm; Christus wohnt durch seinen Geist in uns!»(Vergl. 1,20; 2,8; 3,12; 3,17).

Weil der Sieg sein ist, gehört er auch uns. Wenn wirnur nicht versuchten, den Sieg selber zu erringen, son-dern einfach an ihm festhielten, so würden wir erleben,wie der Feind fliehen muß! Wir brauchen den Herrnnicht darum zu bitten, uns zur Überwindung des Feindestüchtig zu machen oder uns das Vertrauen in ihn zuschenken, wir brauchen ihm nur zu danken, daß er diesbereits getan hat — ER IST SIEGER. Es ist alles eine Sa-che des Glaubens an ihn. Wenn wir wirklich dem Herrnglauben, bringen wir nicht viele Bitten vor ihn, sondernwir loben ihn vielmehr. Je einfacher und klarer unserGlaube an ihn ist, umso weniger werden wir in solchenSituationen beten; wir werden ihn viel mehr preisen undihm danken.

Ich kann daher nur wiederholen, daß wir in Christusschon Sieger sind. Ist es angesichts dieser Tatsache nichtoffensichtlich, daß, wenn wir lediglich um den Sieg bit-ten — es sei denn, daß das Gebet mit Lobpreis durchsetztist — wir die Niederlage direkt besiegeln, da wir damitdie einzige, siegversprechende Ausgangslage verlassen?Erlebt ihr vielleicht auch Niederlagen? Lebt ihr in derHoffnung, eines Tages doch stark genug zu sein, denSieg zu erringen? Dann kann ich für euch nur bitten, wiePaulus für die Epheser, daß Gott euch die Augen aufsneue öffnen möge, euch mit ihm sitzend zu sehen, denGott selbst sitzen ließ, und zwar «hocherhaben über jedeHerrschaft und Gewalt, über jede Macht und Hoheit,überhaupt über jeden Namen, der nicht nur in dieser,sondern auch in der zukünftigen Weltzeit genannt wird»(1,20 und 21). Wenngleich die Schwierigkeiten um dichweiter bestehen und der Löwe so laut brüllt wie zuvor, sobrauchst du doch nicht länger auf den Sieg zu hoffen. InJesus Christus bist du Sieger.

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In seinem Namen

Das ist noch nicht alles. Eph. 6 bezieht sich nicht nur aufdie persönliche Seite unseres Kampfes, sondern auch aufden Dienst, den der Herr uns aufgetragen hat, nämlichdas Weitergeben des Geheimnisses des Evangeliums, wo-von Paulus schon viel gesagt hat (3,1-13). Dafür rüstetEph. 6 uns aus mit dem Schwert des Wortes und mit sei-ner Begleitwaffe, dem Gebet.

«Nehmet auch das Schwert des Geistes, nämlich dasWort Gottes. Betet allezeit im Geist mit Bitten und Fle-hen jeder Art, und seid zu diesem Zweck wachsam mit al-ler Beharrlichkeit und unter Fürbitte für alle Heiligen,auch für mich, daß mir, sooft ich den Mund auftue, Re-degabe verliehen werde, um freimütig das Geheimnis derHeilsbotschaft zu verkündigen, für die ich auch in Kettenein Sendbote bin, damit ich in ihr ein freimütiges Be-kenntnis ablege, wie es mir gebührt zu reden» (6,17-20).

Hinsichtlich unseres Wirkens für Gott möchte ichnoch etwas über den Kampf hinzufügen, denn wir könn-ten hier in Schwierigkeiten geraten. Es ist wahr, daß ei-nerseits Gott Jesus sitzen ließ, «hocherhaben über jedeHerrschaft und Gewalt» und daß er ihm alles «zu Fü-ßen» gelegt hat (1,21 und 22). Im Lichte dieses vollkom-menen Sieges ist es klar, daß wir allezeit danken sollen«Gott und dem Vater für alles im Namen unseres HerrnJesus Christus» (5,20). Andererseits müssen wir zugeben,daß wir jetzt noch nicht alles ihm zu Füßen sehen. WiePaulus sagt, sind noch Heere von gottlosen Geistern inder Himmelswelt — finstere, böse Mächte hinter denHerrschern dieser Welt, die noch Gebiete besetzt halten,die rechtmäßig dem Herrn gehören. Wie weit ist es dannrichtig, von einem Verteidigungskrieg zu sprechen? Wirdürfen uns nicht vermessen, etwas zu behaupten, was derWahrheit nicht entspricht. Wann und unter welchen Be-dingungen sind wir berechtigt, Gebiete zu besetzen, dievon außen gesehen noch dem Feinde gehören, um sie im

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Namen des Herrn Jesus zu halten? «Nehmet... das WortGottes» zu Hilfe! Was sagt es uns über Gebet und Tatenin «seinem Namen»?

Betrachtet zuerst einmal folgende Schriftstellen:«Wahrlich ich sage euch: Was ihr auf Erden binden

werdet, soll auch im Himmel gebunden sein, und was ihrauf Erden lösen werdet, soll auch im Himmel los sein.Weiter sage ich euch: Wenn zwei von euch auf Erden einswerden, um irgend etwas zu bitten, so wird es ihnen vonmeinem himmlischen Vater zuteil werden. Denn wo zweioder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ichmitten unter ihnen» (Matth. 18,18-20).

«Und an jenem Tage werdet ihr mich um nichts mehrfragen. Wahrlich, wahrlich ich sage euch: wenn ihr denVater um etwas bitten werdet, so wird er es euch in mei-nem Namen geben. Bisher habt ihr noch nie um etwas inmeinem Namen gebeten: Bittet, so werdet ihr empfan-gen, damit eure Freude vollkommen sei». «An jenem Ta-ge werdet ihr in meinem Namen bitten» (Joh. 16,23.24und 26).

Keiner wird errettet, ohne den Namen Jesus zu ken-nen, und keiner kann von Gott wirklich gebraucht wer-den, wenn er die Macht dieses Namens nicht kennt. Pau-lus macht uns klar, daß der «Name», von dem Jesus inden genannten Schriftstellen spricht, nicht einfach derName ist, unter dem er den Menschen bekannt war. Esist wohl der gleiche Name, den er als Mensch hatte, aberdieser Name ist nun ausgestattet mit dem Titel und derMacht, die Gott ihm gab, nachdem er bis in den Tod ge-horsam war (Phil. 2,6-10). Das ist die Frucht seiner Lei-den, daß Gott ihn erhöhte und ihm Herrlichkeit gab undihm den Namen verlieh, der jedem andern Namen über-legen ist. In diesem Namen dürfen wir uns nun versam-meln und Gott bitten.

Paulus ist nicht der einzige, der diesen Unterschiedmacht. In der oben erwähnten, zweiten Schriftstelle sagtschon Jesus: «Bisher habt ihr noch nie um etwas in mei-

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nem Namen gebeten... An jenem Tage werdet ihr in mei-nem Namen bitten» (Vers 24 und 26). Für die Jünger wardieses «an jenem Tage» ein gewaltiger Unterschied ge-genüber dem «jetzt» in Vers 22. Was sie jetzt nicht ha-ben, werden sie dann empfangen und in Anwendungbringen, nämlich die Macht, die mit Jesu Namen verbun-den ist.

Unsere Augen müssen geöffnet werden, damit wir dengewaltigen Wandel erkennen, der durch die Auferste-hung eingetreten ist. Der Name Jesu stellt ohne Zweifelfest, daß der «Eine» auf dem Thron mit dem Zimmer-mann von Nazareth identisch ist. Aber das ist nicht alles.Er repräsentiert nun die Macht und Hoheit, die Gott ihmgegeben hat und vor der sich jedes Knie beugen wird, de-rer die im Himmel und auf Erden und unter der Erdesind. Selbst die Obersten der Juden erkannten, daß solcheine Bedeutung in einem Namen sein konnte, denn siefragten die Jünger nach der Heilung des Lahmen:«Durch was für eine Kraft oder durch welchen Namenhabt ihr dies vollführt?»

Heute sagt uns der Name, daß Gott alle Macht demSohn übergeben hat, so daß nun selbst im Namen Machtist. Sodann haben wir in der Schrift die immer wieder-kehrenden Worte «im Namen» zu beachten, d.h. wie dieApostel diesen Namen praktisch in Anwendung brach-ten. Es geht nicht nur darum, daß er diesen Namen hat,sondern daß wir ihn brauchen. In seiner letzten Rede wie-derholt der Herr Jesus dreimal die Worte: «Bittet in mei-nem Namen.» (Siehe Joh. 14,13.14; 15,16; 16,23-26.) Erhat uns diese Macht dazu in die Hände gegeben, damitwir sie auch anwenden. Sie gehört nicht nur ihm, sie istauch «den Menschen gegeben» (Apg. 4,12). Wenn wirunsern Anteil an ihr nicht erkennen, erleiden wir großenSchaden.

Die Kraft seines Namens wirkt auf dreifache Weise. Inunserer Predigt wirkt sie zur Erlösung der Menschen(Apg. 4,10-12) mittels der Vergebung ihrer Sünden und

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ihrer Reinigung, Rechtfertigung und Heiligung für Gott(Luk. 24,47; Apg. 10,43; 1. Kor. 6,11). In unseremKampf ist sie mächtig gegen die Kräfte der Finsternis, siezu binden und zu unterwerfen (Mark. 16,17; Luk.10,17-19; Apg. 16,18). Sodann wirkt sie auch durch un-ser Bitten bei Gott, wie mehrmals geschrieben steht:«Und alles, um was ihr in meinem Namen bittenwerdet...» und «wenn ihr den Vater um etwas bitten wer-det...» (Joh. 14,13 und 14; 15,15; 16,23). Angesichts die-ser auffordernden Worte können wir nur staunen und inEhrfurcht sagen: «Herr, Dein Mut ist unendlich groß!»

Daß sich Gott seinen Knechten so anvertraut, ist wahr-haftig etwas unendlich Großes. Drei Vorkommnisse ausder Apostelgeschichte sollen uns dies noch besser veran-schaulichen.

Petrus sagte: «... im Namen Jesu Christi von Naza-reth: Gehe umher!» (Apg. 3,6).

«Paulus... wandte sich um und sprach zu dem Geist:Ich gebiete dir im Namen Jesu Christi, von ihr auszufah-ren! Und er fuhr wirklich auf der Stelle aus» (Apg.16,18).

«Nun unterfingen sich aber auch einige von den um-herziehenden jüdischen Beschwörern, über Personen, dievon bösen Geistern besessen waren, den Namen desHerrn Jesus auszusprechen, indem sie sagten: «Ich be-schwöre euch bei dem Jesus, den Paulus predigt!» Derböse Geist aber gab ihnen zur Antwort: «Jesus kenne ichwohl, und auch Paulus ist mir bekannt; doch wer seidihr?» (Apg. 19,13-15). Zu beachten ist, wie Petrus sichgegenüber dem Lahmen am Tempeltor verhält. Er knietnicht nieder und betet, um den Willen des Herrn zu er-fahren. Er sagt sofort: «Gehe umher!» Er braucht denNamen, als ob er ihm gehörte und nicht wie etwas, dasfern im Himmel ist. Ebenso handelt Paulus in Philippi.Er empfindet in seinem Geiste, daß Satan nun sein Werkweit genug getrieben hat. Wir lesen nichts davon, daß erdarauf innehielt, um zu beten. Nein, er wandelt treu vor

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Gott, darum kann auch er als ein Hüter dieses Namensgeradezu eingreifen, als ob die Kraft in ihm selber wäre.Er befiehlt, und der böse Geist fährt auf der Stelle aus.

Was ist das? Es ist ein Beispiel, wie Gott sich Men-schen anvertraut. Gott hat sich seinen Dienern gegenüberverpflichtet, durch sie zu handeln, wenn sie «in seinemNamen» handeln. Und, was tun sie? Es ist klar, daß sienichts aus sich selbst tun. Sie brauchen den Namen!Ebenso klar ist, daß weder ihr eigener Name noch der ir-gend eines andern Apostels diese Wirkung hat. Alles,was sich ereignet, geschieht aus der durchdringendenKraft des Namens unseres Herrn Jesus Christus in einergegebenen Situation. Und sie sind bevollmächtigt, diesenNamen zu gebrauchen!

Gott schaut auf seinen Sohn in der Herrlichkeit, nichtauf uns hier auf Erden. Weil er uns mit ihm dorthin ver-setzt hat, kann er uns seinen Namen und seine Macht an-vertrauen. Ein einfaches Beispiel mag uns dies verständli-cher machen. Vor einiger Zeit sandte mein Mitarbeiterjemand zu mir und ersuchte um eine Summe Geld. Ichlas den Brief, machte das Geld bereit und übergab es demBoten. War das richtig? Ja, gewiß. Der Brief trug die Un-terschrift meines Freundes, das genügte mir. Hätte ichvielleicht den Boten nach seinem Namen fragen sollen,nach seinem Alter, Beruf und Geburtsort, um ihn dannwegzuschicken, weil ich vielleicht etwas dagegen einzu-wenden hätte, was er tat? Nein, auf keinen Fall, denn erwar im Namen meines Freundes gekommen, dessen Na-men ich ehre.

Die göttliche Selbstverpflichtung

Es ist etwas Gewaltiges, daß Gott sich der Gemeinde soverpflichtet hat. Damit hat er seinen Knechten die größt-mögliche Macht anvertraut, die Macht jenes «Einen»,dessen Hoheit «über jeden Namen ist, der nicht nur in

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dieser, sondern auch in der zukünftigen Weltzeit genanntwird» (1,21). Jesus ist nun in den Himmel erhoben undall sein Wirken, um Menschen zu erretten, zu ihren Her-zen zu sprechen und Wunder seiner Gnade zu wirken, ge-schieht durch seine Knechte, die in seinem Namen tätigsind. So ist das Werk der Gemeinde auch Jesu Werk.Sein Name ist tatsächlich das größte Vermächtnis, dasdie Gemeinde erhielt, denn wo diese SelbstverpflichtungGottes in Anspruch genommen wird, übernimmt erselbst die Verantwortung für das, was in diesem Namenunternommen wird. Gott wünscht sich so anvertrauen zukönnen, denn er läßt zur Vollendung seines Werkes kei-nen andern Weg offen.

Keine Arbeit kann mit Recht Gottes Werk genanntwerden, wenn Gott selbst sich nicht dahinter stellt. DieVollmacht, seinen Namen zu gebrauchen, ist das Ent-scheidende. Wir müssen imstande sein, aufzustehen undin seinem Namen zu sprechen. Wenn nicht, hat unsereArbeit keine durchdringende Kraft. Diese Vollmachtkönnen wir uns nicht «erarbeiten», sie ist die Frucht desGehorsams gegenüber Gott und das Ergebnis einer er-kannten und festgehaltenen, geistlichen Stellung. Sie istetwas, was wir bereits besitzen müssen, bevor wir in dieZeit der Not kommen.

«Jesus kenne ich, und Paulus ist mir bekannt!» Lassetuns Gott danken für den zweiten Satz. Die bösen Geister-mächte erkennen den Sohn Gottes an; dafür gibt dasEvangelium eine Fülle von Beweisen. Aber auch jene, diemit dem Sohn vereint sind, zählen in der Unterwelt. DieFrage ist nur, kann Gott sich uns auf diese Weise anver-trauen?

Erlaubt mir wieder ein Beispiel. Wenn etwas in mei-nem Namen getan werden soll, so heißt das, daß ich mei-nen Namen unter gewissen Bedingungen einem andernzur Verfügung stelle und daß ich bereit bin, die Verant-wortung dafür zu übernehmen, was er mit ihm unter-nimmt. Es kann z.B. bedeuten, daß ich ihm mein Check-

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buch und meine Unterschrift gebe. Wenn ich arm binund kein besonderes persönliches Ansehen genieße, dannist mein Name natürlich nicht groß von Belang. Ich erin-nere mich noch gut, wie ich als Student auf alles meinenStempel drückte, auf Bücher, Zeitungen und was immermir in die Hände kam. Als ich aber das erste Checkbuchund ein Konto von vierzehn Dollar auf dem Postamt be-saß, da wurde ich vor Furcht, daß ihn jemand nachah-men und sich dann seiner bedienen könnte, sehr vorsich-tig in der Verwendung meines Stempels.* Mein Namewar mir wichtig geworden.

Wie mächtig und reich ist unser Herr Jesus! Wie wert-voll ist ihm sein Name! Wenn er für alle Folgen die Ver-antwortung zu übernehmen hat, wie sehr muß er da dar-über wachen, wie dieser Name gebraucht wird! Kann Gottsich selbst — «sein Bankguthaben», sein «Checkbuch»,seine «Unterschrift» — euch anvertrauen? Diese Fragemuß zuerst beantwortet sein, bevor wir seinen Namenfreimütig gebrauchen dürfen. Dann erst gilt: «Was immerihr binden werdet auf Erden, das soll im Himmel gebun-den sein.» Erst wenn Gott sich dir in Wirklichkeit anver-traut, darfst du in seinem Namen hier auf Erden wirken.Das ist die Frucht der innigen Verbindung mit ihm.

Sind wir so eins mit dem Herrn, daß er sich uns anver-trauen kann in allem, was wir tun? Oft scheint es, als obwir ein großes Wagnis eingingen, wenn wir in eine Situa-tion eingreifen und uns nur auf die Verheißungen Gottesstützen können. Es geht darum: Wird Gott — kann Gott— uns unterstützen?

Laßt mich kurz vier wesentliche Punkte der Arbeitskizzieren, zu der Gott sich immer ganz bekennen kann.

• In China ist es üblich, daß jeder sein persönliches Siegel hat mit dem nach einembesondern Entwurf in Holz, Stein oder Elfenbein eingravierten Schriftzeichen sei-nes Namens. Der Abdruck wird meist mit einer deckfähigen, roten Tinte gemacht.Man glaubt, daß dieser schwerer zu fälschen ist, als die Unterschrift von Hand.Das Siegel wird gut verschlossen aufbewahrt und nur zur Unterzeichnung vonChecks und andern persönlichen Dokumenten verwendet.

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Erstens gilt es, eine wahre Offenbarung der ewigen Ab-sicht Gottes in unserem Herzen zu haben. Ohne sie kön-nen wir nichts tun. Wenn ich an einem Bau arbeite, mußich auch als ungelernter Arbeiter wissen, ob der Bau eineGarage, eine Flugzeughalle oder ein Palast werden soll.Ich muß es wissen, um wirklich mitarbeiten zu können.Die meisten Christen nehmen heutzutage an, daß Evan-gelisation die Arbeit Gottes sei. An sich sollte Evangeli-sation nur ein Teil von Gottes ganzem Plan sein, sie istnur Mittel zum Zweck. Das Ziel besteht darin, daß derSohn Gottes den Vorrang in allen Beziehungen habe, undEvangelisation ist das Mittel, Gott Söhne zuzuführen,die seinem Sohn den Vorrang einräumen.

Zur Zeit des Paulus hatte jeder Gläubige eine besondereBeziehung zu Gottes Heilsplan (4,11-16). So sollte es auchheute noch sein. Die Augen Gottes sind aufsein kommen-des Reich gerichtet, und bald wird das, was wir als Chri-stentum bezeichnen, einer neuen Ordnung — der absolu-ten Herrschaft Christi — weichen müssen. Bevor dies ein-trifft, muß jedoch ein geistlicher Kampf ausgefochtenwerden wie zur Zeit Davids. Jene Zeit des Kampfes warnötig, um das Reich Salomos in seiner ganzen Herrlichkeitsichtbar werden zu lassen. In unserer Zeit sucht Gott Mit-arbeiter für diesen Kampf der Zubereitung.

Es gilt, mit Gottes ewiger Absicht eins zu werden. Jedechristliche Arbeit, die nicht mit Gottes ewiger Absichtübereinstimmt, ist nur beziehungsloses Stückwerk undwird letztlich nichts erreichen. Darum müssen wir Gottum eine Offenbarung des Ratschlusses seines Willensdurch den Heiligen Geist bitten (1,9-12) und uns dannfragen, ob unsere Arbeit wirklich dem Ratschluß seinesWillens entspreche. Ist dieser Punkt einmal klargestellt,werden sich alle kleinen Fragen der täglichen Führungvon selbst beantworten.

Zweitens muß jede Arbeit, die gemäß dem göttlichenRatschluß wirkungsvoll sein soll, in ihm selbst ihren Ur-sprung haben. Wenn wir selbst eine Arbeit planen und

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dann um seinen Segen bitten, dürfen wir nicht erwarten,daß Gott sich dazu bekennt. Ein gewisser Segen mag dar-auf ruhen, aber niemals ein völliger Segen. Die Arbeit ge-schieht ja nicht in «seinem Namen», sondern leider inunserem Namen.

«Der Sohn kann nichts aus sich selbst tun.» Wie oftfinden wir in der Apostelgeschichte Verbote des HeiligenGeistes! Wir lesen in Kap. 16, wie der Heilige Geist Pau-lus und denen, die mit ihm waren, «verwehrte, das Wortin Asien zu reden». Und wieder: «Der Geist Jesu ließ esnicht zu.» Wir denken so oft, es komme auf das Tun an;wir müssen aber gerade lernen, nichts zu tun, sondernvor ihm stille zu sein. — Wir müssen lernen, daß, wennGott nicht handelt, wir es auch nicht wagen dürfen zuhandeln. Wenn diese Lektion einmal gelernt ist, kann eruns aussenden, um in seinem Namen zu reden.

Darum muß ich den Willen Gottes innerhalb meinesbesonderen Arbeitsgebietes kennen. Aus dieser Erkennt-nis allein kann die Arbeit richtig angefangen werden. Derbleibende Grundton aller christlichen Arbeit ist: «AmAnfang schuf Gott...»

Drittens muß jede Arbeit, die wirksam bleiben soll, invölliger Abhängigkeit von Gottes Macht allein fortge-setzt werden. Was ist Macht? Wie unbedacht brauchenwir doch das Wort manchmal! Wir sagen von einemMenschen, er sei ein machtvoller Redner. Aber wir soll-ten bedenken, welche Macht er braucht! Ist es geistlicheoder natürliche Macht? Heutzutage wird der natürlichenMacht im Dienste Gottes ein viel zu großer Platz einge-räumt. Wir müssen lernen, daß da, wo Gott ein Werk be-gonnen hat, er niemals dazu ja sagen wird, wenn wir ver-suchen, es aus eigener Kraft zu vollenden.

Ihr fragt mich vielleicht, was ich unter natürlicherMacht verstehe. Das ist sehr einfach. Alles, was wir ohneGottes Hilfe tun können! Z.B. bitten wir einen Menschenmit natürlichem Organisationstalent, eine Evangelisationzu organisieren. Wieviel wird ein solcher Mensch dann be-

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ten? Hat er sich daran gewöhnt, sich auf seine angebore-nen Gaben zu verlassen, findet er es nicht nötig, zu Gott zubeten? Die Schwierigkeit liegt darin, daß wir so vieles oh-ne Gottes Hilfe tun können! Er muß uns darum soweitbringen, daß wir weder zu handeln noch zu reden wagen,ohne ständig ganz bewußt von ihm abhängig zu sein.

Stephanus beschreibt Mose nach seiner Erziehung inÄgypten als «gewaltig in seinen Worten und Taten»(Apg. 7,22). Aber nachdem die Erziehung Gottes an Mo-se vollendet war, konnte Mose von sich nur sagen: «BitteHerr! Ich bin kein Mann, der zu reden versteht; ich bin esfrüher nicht gewesen und bin es auch jetzt nicht, seitdemdu mit deinem Knecht redest, sondern bin mit Mund undZunge unbeholfen» (2. Mose 4,10). Wenn ein geborenerRedner dahin gelangt, daß er sagt, er könne nicht reden,dann hat er eine grundlegende Lektion gelernt und ist aufdem Wege, für Gott brauchbar zu werden. Dieser Ent-deckung folgt eine innere Krise und darauf ein Vorgang,der sich das ganze Leben hindurch wiederholt, beideszweifellos miteingeschlossen in der Taufe auf den NamenJesu (Apg. 8,16; 19,5).

Das weist jeden neuen Gläubigen auf die Notwendig-keit hin, grundlegend zu erkennen, was der Tod und dieAuferstehung Christi für den ganzen natürlichen Men-schen bedeuten. Irgendwie müssen wir in unserem Lebenmit Gott einmal diesen ersten lähmenden Schlag seinerHand erfahren, der unsere natürliche Kraft so schwächt,daß wir nur noch aufgrund des AuferstehungslebensChristi hervortreten, an dem der Tod jeden Anspruchverloren hat. Hernach weitet sich dieser Kreis, indem im-mer wieder neue Gebiete unserer eigenen Kraft unter dieWirkung des Kreuzes gebracht werden. Der Weg ist kost-spielig und schmerzhaft, aber es ist Gottes eindeutigerWeg zur Fruchtbarkeit im Leben und im Dienst, denn erverschafft ihm die nötige Grundlage, daß er uns unter-stützen kann, wenn wir in seinem Namen handeln.

Im Dienste des Herrn ist es heute so eingerichtet, daß

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wir es gar nicht nötig haben, uns auf Gott zu verlassen.Aber des Herrn Urteil über solche Arbeit ist unmißver-ständlich: «Ohne mich könnt ihr nichts tun!» Jede Ar-beit, die wir ohne Gott verrichten können, ist Holz,Stroh und Stoppeln. In der Feuerprobe wird sie sich als«nichts» erweisen. Jede göttliche Arbeit kann nur mitgöttlicher Kraft getan werden, und diese Kraft ist nur imHerrn Jesus vorhanden. Sie ist in ihm für uns zugänglichgemacht, wenn wir durchs Kreuz zur Auferstehungdurchgedrungen sind, d.h. wenn wir dahingelangen, daßwir aus tiefstem Herzen zu ihm schreien: «Ich kann nichtreden», dann entdecken wir, daß Gott redet. Sind wir amEnde unseres Wirkens, dann beginnt sein Wirken. DasFeuer der kommenden Tage und das Kreuz in der heuti-gen Zeit bewirken das gleiche. Was heute dem Kreuznicht standhält, hält auch einst der Feuerprobe nichtstand. Wenn mein in eigener Kraft vollbrachtes Werk inden Tod gegeben wird, wieviel wird dann aus dem Grabeherauskommen? Nichts! Nur was ganz aus Gott in Chri-stus ist, überlebt das Kreuz.

Der Herr verlangt nie eine Arbeit von uns, die wir aus ei-gener Kraft tun können. Der Herr fordert ein Leben vonuns, das wir niemals leben können, und eine Arbeit, diewir niemals selber verrichten können. Das Leben, welcheswir leben, ist das Leben von Christus, gelebt in der KraftGottes, und die Arbeit, die wir verrichten, ist das WerkChristi, ausgeführt durch uns, indem wir seinem Geist ge-horchen. Unser «Ich» ist das einzige Hindernis für diesesLeben und für diese Arbeit. Darum lasset uns aus tiefstemHerzen beten: «O Herr, befasse Du Dich mit mir, damitnichts von meinem Eigenleben übrigbleibt!»

Viertens muß seine Ehre Ziel und Zweck alles Wirkenssein, wenn Gott sich dazu bekennen soll. Das bedeutet,daß wir nichts für uns selbst dabei gewinnen. Es ist eingöttliches Prinzip, daß, je weniger wir bei solcher Arbeitnach persönlicher Belohnung trachten, desto größer derwahre Wert für Gott ist. Menschenehre hat keinen Platz in

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der Arbeit Gottes. Zwar liegt eine tiefe, köstliche Freudein jedem Dienst, der ihm wohlgefällig ist und der seinemWirken den Weg bahnt, aber der Grund dieser Freude istnicht unsere, sondern seine Ehre. Alles geschieht «zumLobpreis der Herrlichkeit seiner Gnade» (1,6.12.14).

Wenn diese Fragen zwischen Gott und uns wirklich ge-klärt sind, will Gott sich uns anvertrauen, und wir dürfen«in seinem Namen handeln». Ich glaube, wir dürfen sa-gen, daß er sich uns in diesem Falle anvertrauen muß.Unsere Erfahrung in der Arbeit in China hat uns dies ge-lehrt. Kommt ein Zweifel auf, ob ein Werk von Gott seioder nicht, zögert Gott mit der Erhörung unserer Gebete.Aber wenn das Werk wirklich von Gott ausgeht, wird ersich in wunderbarer Weise dazu stellen. Dann könnenwir in vollkommenem Gehorsam gegen ihn seinen Na-men gebrauchen, und die ganze Hölle muß sich vor die-ser Vollmacht beugen. Hat Gott sich für eine Sache ver-antwortlich gezeigt, steht er mit ganzer Kraft dahinterund bezeugt, daß er der Urheber ist.

Der Gott des Elia

Zum Schluß möchte ich euch eine persönliche Erfahrungerzählen. Wenige Jahre nach Beginn unserer Arbeit ka-men wir in eine Zeit ernsthafter Prüfungen. Es kamen Ta-ge der Enttäuschungen, ja fast Verzweiflung! Wir warenum unseres Standpunktes willen schwerer Kritik und Ver-leumdung ausgesetzt; es kam zu einer Gerichtsverhand-lung und sogar zur Entfremdung wahrer Gotteskinder.Wir mußten uns mit jeder einzelnen Anklage ernstlichauseinandersetzen und sie prüfen; denn es ist wichtig, daßwir Kritik ernst nehmen und untersuchen und nicht ein-fach mit einem Achselzucken abtun. Und doch durftenwir glauben, daß Gott auf unserer Seite war; denn ehe die-ses besonders schwierige Jahr zu Ende ging, konnten wirerleben, wie der Herr uns gerade in dieser Zeit Hunderte

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von Bekehrungen geschenkt hatte. Am Ende des Jahresschien es, als hätten wir einen Höhepunkt erreicht.

Seit Jahren war es unsere Gewohnheit, während derNeujahrsfeiern eine Tagung für Gläubige aller Kreise ausder Provinz in unserer Stadt durchzuführen. In diesemJahr baten mich die verantwortlichen Brüder, nicht ander Tagung teilzunehmen, was mich äußerst erstaunte.Nachträglich weiß ich nun, daß es ein Angriff des Bösenwar, um mich und meine Brüder aus der Ruhestellung inChristus zu vertreiben. Wie sollten wir reagieren?

Die Neujahrsfeiern dauern volle 14 Tage! Sie eignensich ausgezeichnet für Versammlungen und zur Verkün-digung des Evangeliums. Nachdem wir des Herrn Willeerforscht hatten, wurde uns klar, daß wir die Zeit fürletzteres verwenden sollten. So beschloß ich, fünf Brüdermit mir zu nehmen und eine vierzehntägige Predigtreiseauf einer Insel an der chinesischen Küste zu machen. Imletzten Augenblick schloß sich uns ein junger Bruder an;ich nenne ihn Bruder Wu. Er war erst 16 Jahre alt, vonder Schule verwiesen, vor kurzem wiedergeboren, undsein Lebenswandel hatte eine auffallende Änderung er-fahren. Da er sehr gerne mitgekommen wäre, erklärte ichmich nach einigem Zögern bereit, ihn mitzunehmen. Sowaren wir im ganzen sieben.

Die Insel, die wir besuchten, war ziemlich groß; ihregrößte Ortschaft umfaßte etwa 6000 Herdstellen (Fami-lien). Ein ehemaliger Schulfreund von mir wirkte alsHauptlehrer an der dortigen Dorfschule. Ich schrieb ihmvorher und bat ihn um ein Zimmer, in welchem wir wäh-rend unseres Aufenthaltes vom 1.-15. des Monats woh-nen könnten. Als wir spät nachts ankamen und er merk-te, daß wir gekommen waren, um das Evangelium zupredigen, weigerte er sich, uns aufzunehmen. Wir wan-derten durch den Ort und suchten eine Unterkunft. Einchinesischer Kräutersammler erbarmte sich schließlichunser, nahm uns auf und bereitete uns in seiner Dach-kammer auf Brettern und Stroh ein bequemes Lager.

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Nach kurzer Zeit war dieser Kräutersammler unser er-ster Bekehrter. Obwohl wir ganz systematisch vorgingen,schwer arbeiteten und die Dorfbewohner überaus höflichwaren, trug unsere Arbeit wenig Frucht, und wir fragtenuns warum.

Am neunten Tag predigten wir an verschiedenen Stel-len des Dorfes. Bruder Wu war mit einigen anderen in ei-nem Teil des Dorfes und stellte plötzlich die Frage: «Wa-rum will keiner von euch gläubig werden?»

Da antwortete jemand aus der Menge: «Wir haben ei-nen Gott, Ta-wang (dieser Name bedeutet «Großer Kö-nig»), und er hat uns nie im Stich gelassen. Er ist einwirksamer Gott.»«Woher wißt ihr, daß ihr ihm vertrauen könnt?» fragteWu.

«Seit 286 Jahren haben wir immer im ersten Monat desJahres eine Festprozession für ihn gehalten. Dieser Tagwird vorher durch Wahrsagung festgelegt. Und dieserTag ist immer strahlend schön und ohne Regen verlau-fen», war die Antwort.

«Wann soll die Prozession dieses Jahr stattfinden?»«Sie ist auf den 11. dieses Monats, morgens um 8 Uhr

festgelegt!»Darauf erwiderte Bruder Wu voller Eifer: «Ich ver-

spreche euch, daß es am 11. regnen wird.»Die Menge brach in den Ruf aus: «Genug! Wir wollen

keine Predigt mehr hören. Regnet es am 11., dann ist eu-er Gott der rechte Gott!»

Als dies geschah, befand ich mich an einer anderen Stel-le des Dorfes. Sobald ich davon hörte, wußte ich, wie äu-ßerst schwerwiegend die Sache war. Die Nachricht hattesich wie ein Lauffeuer verbreitet, und in kürzester Zeitwürden über 20000 Menschen sie kennen. Was sollten wirtun? Wir hörten sofort zu predigen auf und begannen zubeten. Wir baten den Herrn um Vergebung, falls wir an-maßend gewesen waren. Und ich kann euch versichern,wir waren uns der todernsten Lage voll bewußt. Was hat-

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ten wir getan? Hatten wir einen schrecklichen Fehler be-gangen, oder durften wir Gott um ein Wunder bitten?

Je mehr man von Gott eine Antwort auf Gebet erwar-tet, desto mehr wünscht man, vor ihm bestehen zu kön-nen. Es darf weder ein Zweifel noch ein Schatten über dieungetrübte Gemeinschaft mit ihm aufkommen. Wenn un-ser Glaube in Übereinstimmung mit ihm ist, dürfen wir esuns erlauben, mit Gott zu rechten, sonst nicht. Es war unsgleichgültig hinausgeworfen zu werden, wenn wir etwasFalsches getan hatten. Wir konnten Gott schließlich nichtfür eine Sache verantwortlich machen, die gegen seinenWillen geschah. Aber es wurde uns klar, daß damit dasEnde unserer Evangelisation auf der Insel besiegelt wäreund Ta-wang für immer uneingeschränkt herrschen wür-de. Was sollten wir tun? Sollten wir die Insel verlassen?

Bisher hatten wir uns gefürchtet, um Regen zu bitten.Dann durchfuhr mich blitzartig das Wort: «Wo ist derGott des Elia?» Es kam mit solcher Klarheit und Machtüber mich, daß ich wußte, es war Gott. Voller Vertrauenkonnte ich den Brüdern sagen: «Ich habe die Antwort!Der Herr wird am 11. Regen senden!» Wir dankten ihmgemeinsam und voller Lob und Preis gingen wir — allesieben — hinaus und erzählten es jedermann. Wir konn-ten die Herausforderung des Teufels im Namen desHerrn annehmen und dies weit und breit verkündigen.

An diesem Abend machte der Kräutersammler zweitreffende Bemerkungen: «Zweifellos war Ta-wang einmächtiger Gott. Der Teufel stand tatsächlich hinter die-sem Götzenbild. Ihr Glaube an ihn war nicht unbegrün-det. Die natürliche Erklärung war einfach. In diesem Fi-scherdorf, wo die Männer zwei bis drei Monate ununter-brochen auf See waren, wußte jeder erfahrungsgemäß,wann es für zwei oder drei Tage nicht regnen würde. Siewollten am 15. wieder ausfahren.» Das beunruhigte uns.Bei unserem Abendgebet fingen wir alle wieder an, umRegen zu bitten — und Regen jetzt. Da schien es uns, alsob ein ernster Vorwurf vom Herrn käme: «Wo ist der

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Gott des Elia?» (2. Kön. 2,14). Wollten wir uns in eige-ner Kraft hindurchkämpfen, oder ruhten wir in dem füruns von Christus erworbenen Sieg? Wie handelte Elisa,als er diese Worte sagte? Aufgrund seiner eigenen Erfah-rungen beanspruchte er für sich das große Wunder, dassein Meister Elia, der in die Herrlichkeit entrückt war,vollbracht hatte. In der Sprache des Neuen Testamentesausgedrückt, stand er im Glauben auf dem Boden desvollbrachten Werkes.

Wir bekannten aufs neue unsere Sünden und sagten:«Herr, wir brauchen keinen Regen vor dem 11. morgens.Wir legten uns schlafen und am nächsten Tag (es war der10.) besuchten wir eine benachbarte Insel und verkünde-ten dort den ganzen Tag das Evangelium. Der Herr seg-nete unsere Arbeit. An diesem Tage bekehrten sich dreiFamilien, bekannten den Herrn öffentlich und verbrann-ten ihre Götzenbilder. Wir kehrten spät heim, müde —aber voller Freude. Wir fühlten, daß wir am nächstenMorgen ausschlafen konnten!

Ich wurde durch die Sonnenstrahlen geweckt, die durchdas Dachfenster einfielen. «Es regnet nicht», sagte ich. Eswar schon nach sieben Uhr. Ich stand auf, kniete niederund betete. «Herr, sende Regen!» Wiederum hörte ich dieWorte: «Wo ist der Gott des Elia?» Still und gedemütigtging ich nach unten. Gemeinsam mit unserem Wirt saßenwir schweigend beim Frühstück. Es war keine Wolke amHimmel, und doch wußten wir, daß der Herr mit uns war.Wir wurden still zum Tischgebet, und ich sagte: «Ich glau-be, es ist an der Zeit, daß der Regen fällt. Laßt uns Gottdaran erinnern.» Wir taten es still und dieses Mal kam dieAntwort ohne Vorwurf. «Wo ist der Gott des Elia?» Be-vor wir Amen gesagt hatten, hörten wir die ersten Regen-tropfen auf das Dach fallen. Der Regen nahm zu, wäh-rend wir unseren Reis aßen. «Laßt uns wieder danken,sagte ich und bat Gott um stärkeren Regen. Kurz darauffiel der Regen in Strömen. Als wir mit unserem Frühstückfertig waren, stand die Straße unter Wasser, und die Stu-fen vor der Haustür waren auch schon bedeckt.

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Bald hörten wir, was sich im Dorf zugetragen hatte.Schon bei den ersten Tropfen hatten einige junge Leutelaut gesagt: «Das ist Gott, das ist nicht mehr Ta-wang!Er wird durch den Regen zu Hause gehalten.» Dem waraber nicht so. Man führte ihn auf einer Sänfte hinaus, inder Hoffnung, daß er den Regen aufhalten würde! Stattdessen setzte ein Platzregen ein. Kaum zwanzig Schritteauf dem Weg, strauchelten drei der Kulis und fielen. DieSänfte mit Ta-wang stürzte zu Boden, dabei brach er dasKinn und den linken Arm. Sie gaben nicht auf, flicktenden Schaden notdürftig und setzten ihn wieder in dieSänfte. Unter ständigem Ausgleiten und Stolpernschleppten sie ihn durch das halbe Dorf. Dann wurdensie durch die Überschwemmung gehindert. Einige derDorfältesten, Männer von 60 bis 80 Jahren, barhauptund ohne Schirme, wie es ihr Glaube an Ta-wangs Wettervorschrieb, waren gefallen und befanden sich in großerSchwierigkeit. Die Prozession wurde abgebrochen, unddas Götzenbild in ein Haus gebracht. Man fragte denWahrsager um Rat und erhielt die Antwort: «Heute warder falsche Tag, das Fest soll erst am 14. mit der Prozes-sion um sechs Uhr abends sein.»

Als wir dies hörten, hatten wir die Gewißheit im Her-zen, Gott wird am 14. Regen senden. Wir baten: «Herr,sende uns Regen am 14. um sechs Uhr abends, und gib unsvorher vier Tage voller Sonnenschein.» Am Spätnachmit-tag hellte es auf und wir hatten jetzt willige Zuhörer fürdas Evangelium. In den folgenden drei Tagen gab uns derHerr dreißig wahrhafte Bekehrungen im Dorf und auf derInsel. Am 14. war wieder ein strahlender Tag, und wirhielten gesegnete Versammlungen. Als der Abend nahte,kamen wir zur festgesetzten Stunde zusammen und brach-ten die Angelegenheit wieder still im Gebet vor den Herrn.Kaum eine Minute später kam seine Antwort in wolken-bruchartigem Regen und Überschwemmungen.

Am nächsten Tag mußten wir abreisen. Wir sind niewieder zurückgekehrt. Andere Arbeiter baten um dieses

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Arbeitsgebiet, und wir haben niemals anderen ein Ar-beitsgebiet streitig gemacht. Das Entscheidende für unswar, daß Satans Macht im Götzenbild gebrochen war.Das hat Ewigkeitswert! Ta-wang war kein «effektiverGott» mehr. Die Rettung von Seelen würde folgen; daswar an und für sich jedoch nur die Folge dieser wesentli-chen und unumstößlichen Tatsache.

Auf uns machte dieses Erlebnis einen unauslöschlichenEindruck. Gott hat sich uns anvertraut! Wir hatten dieMacht des Namens erfahren, der über alle Namen ist —mächtig im Himmel und auf Erden und in der Hölle. Indiesen wenigen Tagen hatten wir gelernt, was es bedeu-tet, «im Mittelpunkt von Gottes Willen» zu stehen. DieseWorte waren für uns jetzt nicht mehr schleierhaft odergeheimnisvoll. Sie enthielten das, was wir erlebt hatten.Zusammen durften wir einen kurzen Blick tun in «dasGeheimnis seines Willens» (1,9; 3,10). Von nun an wür-den wir in stiller Abhängigkeit von ihm wandeln. Jahrespäter begegnete ich Bruder Wu wieder. Ich hatte dieVerbindung mit ihm ganz verloren; er war unterdessenPilot geworden. Als ich ihn fragte, ob er noch dem Herrnnachfolge, sagte er: «Mr. Nee, glauben Sie, daß ich ihn jehätte verlassen können nach allem, was wir erlebten?»

Versteht ihr nun, was «Stehen» bedeutet? Wir versu-chen nicht, den Boden zu erobern, sondern wir stehenauf dem Boden, den der Herr für uns gewonnen hat undweigern uns ganz entschieden, uns vertreiben zu lassen.Wenn unsere Augen geöffnet werden und wir Christusals unseren siegreichen Herrn sehen, können wir es nichtlassen, ihn unaufhörlich zu loben. «Singet und spieletdem Herrn in eurem Herzen und sagt Gott dem Vater al-lezeit Dank für alles im Namen unseres Herrn Jesus Chri-stus» (5,19-20). Erzwungenes Lob wirkt angestrengt undunharmonisch; aber Lob, welches aus tiefstem, in Gottruhendem Herzen quillt, tönt rein und klar.

Das Christenleben besteht aus Sitzen mit Christus,Wandeln durch ihn und Stehen in ihm. Unser geistliches

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Leben beginnt damit, daß wir ruhen in dem vollendetenWerk des Herrn Jesus. Dieses Ruhen ist der Quell unse-rer Kraft für einen beständigen, beharrlichen Wandel inder Welt. Und zum Schluß werden wir nach grausigemKampf mit den Mächten der Finsternis endlich mit Chri-stus stehend erfunden werden in siegreichem Besitz desFeldes.

«Ihm... gebührt die Ehre... auf alle Zeiten der Ewig-keit».

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To-sheng, oder wie er besserbekannt ist, Watchman Nee, ist inFoochow, in der südchinesischenProvinz Fukien geboren. 1920 fander während seiner Studienzeit Je-sus Christus. Sofort wurde er einhervorragender Zeuge und beson-ders bevollmächtigter Diener deslebendigen Gottes.

Als Leitender mit einer ungewöhn-lichen geistlichen Schau und alsAutor vieler chinesischer Büchermuss Watchman Nee um seinesGlaubens willen seit Jahren vielleiden. In der bis jetzt über 17jäh-rigen Haft blieb er im Glauben anseinen Herrn standhaft. DieseTreue im Leiden gibt seinen Bot-schaften ein besonderes Gewicht.

Diese Aufzeichnungen aus seinerWortverkündigung wurden 1957 inBombay erstmals in englischerSprache unter dem Titel «Sit,Walk, Stand» veröffentlicht. Siestammen alle aus jener längerenZeitspanne evangelischen Zeu-gendienstes in China, die demjapanischen Krieg vorausging.