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StuPa-Wahlen vom 16. bis 20. Januar ‘06 moritz das greifswalder studentenmagazin dezember 2005 nr. 53 Polen Beziehungsprobleme zwischen Deutschen und Polen? Reportage: Ein Tag in Szczecin Die Uni versus Edmund von Pechmann

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moritzdas greifswalder studentenmagazin

dezember 2005 nr. 53

PolenBeziehungsprobleme zwischen Deutschen und Polen?

Reportage: Ein Tag in SzczecinDie Uni versus Edmund von Pechmann

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Euphemismus

Liebe Leser, lasst uns doch einfach mal euphemistisch sein.

Meiner Rechnung vom letzten moritz zufolge hat Greifswald exakt 1.524.721 Einwohner. Rechenfehler? Fehlanzeige.

Optimismus! Oder mathematisch gesehen: aufgerundet. Die Abwanderungsquote und die geringe Geburtenrate überse-hen wir mal ganz einfach.

Polens Hauptstadt hat circa 1,6 Millionen Einwohner.Na siehste! Und da man Greifswald ja fast schon zu Polen zählen kann, fällt Greifswald als Millionenstadt dochgar nicht mehr auf. Man muss schließlich auch malin großen Dimensionen denken.

Bald steht Weihnachten vor der Tür. Das bedeutetdieses Jahr, dass man sich die Familie am Besten gleichnach Greifswald holt, erst am 23. Dezember sinddie meisten ja offiziell entlassen.

Und wer es bis Weihnachten kaum noch aushält, der lässt sich von poppigen Weihnachtsliedern von Sarah Connerand Friends auf dem Weihnachtsmarkt berieseln.

Apropos berieseln: Wie es scheint, gibt es zu Weihnachten Schnee. Na, das wär doch mal was!

Ich finde, zu Weihnachten sollten wir alle euphemistisch sein. Fakultätenschließung. Nein! Konzentration von Fachberei-chen. Schon besser! Entlassung von Lehrenden? Nicht doch! Aufgabenreduzierung für die Lehrenden. So muss es heißen! Ab nächstes Jahr wird alles besser. Prost!

moritz wünscht allen Lesern ein entspanntes, besinnliches Weihnachtsfest und einen guten Rutsch ins neue Jahr.

Katharina Sass

Foto: tja

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leserbriefe

Zu: Editorial (moritz 52)

Hallo liebe moritze,ein paar kurze Anmerkungen: Wenn circa 11.000 Studis je zwei Bücher ausleihen, sind das 22.000 Bücher. Die UB hat aber nach euren Angaben 3.049.442 Bände. Das heißt, jeder Student müßte 277 Bücher ausleihen, damit die UB leer ist. Vielleicht sollte die Autorin mal in ein Buch schauen (mein Vorschlag: 350/DT 2000 M817 oder 703/SA 1062-2,1).Der viel sträfl ichere Fehler ist jedoch, dass ihr in aller der Bäckerfl ut den wahrscheinlich Besten vergessen habt: Bäckerei Grätsch in der Wolgasterstraße. Seit Jahren der Geheimtipp der Greifswalder Brötchenszene, ein Bäcker, der noch selbst backt und die Brötchen nicht angeliefert bekommt. Einfach der beste und leckerste. (Ob ich jetzt ‘nen Jahrebedarf kos-tenlos bekomme?)

Beste Grüße, Christopher Kaan

Zu: Brötchencontest – Wer hat die besten Brötchen? (moritz 52)

Liebe Redaktion,wir haben uns sehr gefreut, daß Ihr uns im Brötchentest berücksichtigt habt. Folgendes möchten wir allerdings richtig stellen:Wir haben über die Woche verteilt 15 Brötchen-Sorten im Sortiment. Das Schwergewicht im Sortiment liegt bei reinen Dinkel- und Roggen-Brötchen, was auch wichtig ist, da die bei uns intensiv einkaufenden Weizen-Allergiker solche nicht beim normalen Bäcker bekommen. Daß Ihr Samstag nur Weizenbrötchen gesehen habt, muß Zufall gewesen sein. Der Preis unser Brötchen liegt zwischen 40 und 55 Cent – Saaten sind teuer!Wir sind stolz darauf, daß unsere Brötchen „klein“ sind. Dies liegt daran, daß sie traditionell gebacken werden, also nur mit Getreide Sauerteig/Hefe, Wasser, eventuell Fett und Meersalz. Also keine Mittelchen, um das Brötchen auszublasen und mehr zu erscheinen, als darin ist.

Naturkost Vorpommern GmbH

Zu: Kommentar – Gruppentherapie vonnöten (moritz 52) Fakt ist: Bei der Debatte, um die Nebentätigkeiten ging es heiß her. Fakt ist auch, dass die Debatte in persönlichen Anschuldigen endete und manche Beteiligte emotional und

leserbriefe

Sprechzeiten der moritz-ChefredakteureUlrich Kötter und Katarina Sass

Dienstag 10-11 Uhr (AStA-Büro, Audimax)Freitag 14-15 Uhr (moritz-Büro, Wollweberstr. 4)

verbal überreagierten. Zugegeben war ich auch entsetzt über die Niveaulosigkeit zum Ende der Debatte. Das StuPa ist kein Kaffekränzchen. Hier wird heiß diskutiert. Und das ist auch gut so. Es gibt 21 verschiedene Individuen. Zusätzlich auch AStA-Mitglieder und studentische Senatoren, die alle ihren Senf dazu geben. Ich möchte hiermit klarstellen, dass in dem Kommentar eine induktive Schlussfolgerung über die generel-le Arbeit des StuPas gezogen wurde und festhalten, dass das Schmierentheater keineswegs unser Beruf ist.

Christian Bülow, Mitglied des StuPa

zu: Kinderleicht? – Kita-Umfrage des Studentenwerks ausgewertet (moritz 52)

Na, da hat das Studentenwerk ja ganze Arbeit geleistet mit seiner Umfrage zum Kita-Bedarf. Die Repräsentativität (328 Teilnehmer) muss aber als problematisch gelten, vor allem wenn man anschließend Prozentzahlen ermittelt und den Eindruck erweckt, die erhobenen Daten bildeten die gesamte Studierendenschaft ab.Die Umfrage hält dann auch so einige überraschende Ergebnisse bereit. Zunächst einmal haben also 54,9 Prozent der Teilnehmer Kinder. Könnte die Prozentzahl so hoch sein, weil an der Umfrage vor allem Mütter und Väter teil-genommen haben? Zweite Überraschung: 87,7 Prozent der Teilnehmer haben Kinder, die nicht älter als sechs Jahre sind. Da staunt der Laie, war ja auch nicht im mindesten zu erwar-ten, da es sich in der Mehrzahl doch wohl noch um Twenties handelt bei den Eltern. Die Umfrage geht über das allgemein Bekannte und Vermutbare leider nicht hinaus und doch wird da viel Arbeit drin stecken. Ob sich das gelohnt hat? Aber damit nicht genug: „Die Studienzeit ist günstig, um Kinder zu bekommen,“ so Frau Klasen. Da fragt man sich doch, warum die lieben Kommilitones dann insgesamt so zurückhaltend sind in Sachen gesellschaftlicher Reproduktion. Könnte es daran liegen, dass „die Grundsicherung“ und ähnli-che Staatsbonbons nicht die Super-Anreize sind? Gehört nicht ein bißchen mehr (fi nanziell wie ideell) dazu, sich während des Studiums für Kinder zu entscheiden, ja entscheiden zu kön-nen! Nicht umsonst wird auf konstengünstige Betreuung ja so eminent Wert gelegt!Bleibt zu hoffen, dass die Umfrage im Studentenwerk dazu beiträgt, an diesem wichtigen Thema dranzubleiben, es aber als ein Feld zu begreifen, auf dem umfangreiche, kompetente und differenzierte Beratungsarbeit geleistet werden muss!

Felix M. Prokoph, Student, kinderlos

Die Redaktion behält sich vor, eingereichte Leserbriefe redaktionell zu bearbeiten.

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Reisereportage: SzczecinVolksküchen-PolonaiseWeihnachtsbräucheBigos – das polnische NationalgerichtPolen-PolitikPolnische Auto-Legende: der Polski-FiatEine polnische Studentin in GreifswaldÜber Brücken und GräbenAuslandssemester in PolenResumeé polenMaRKT

hochschulpol i t ik161718181920

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AStA, KurzmitteilungenZur Wahl: Verwaltungsrat Stud-WerkBambule im Rektorat, VollversammlungKommentar: Bildung ist keine WarePolitikmuffel versus EngagierteHochschulpolitischer JahresrückblickInterviews: Was halten Landespolitiker von der LHG-Novelle?Pech oder Glück für von Pechmann?Interview: Professor Roland Rollberg zum Pechmann-RauswurfLehrerstudenten sollen hüpfenUni schlägt Rugia Tür vor der Nase zu

universum2627

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UNICEF-HochschulgruppeReportage: Mahlzeit in der MensaMit Campus Europae on tour (Teil II): Aveiro, Trento, Novi SadGrIStuF plant „U-Rope ‘06“

kul tur3031323233333435

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Jahrmarkt der LeidenschaftslosigkeitenGlosse: WeihnachtseinkäufeNachwuchsfilmer in München4 – Schmunzeln und SchluckenKino-Extratest: Harry PotterNews von radio 98einsKinomeilenstein „King Kong“DVDs: I Heart Huckabees, Krieg der Welten, EntfesseltBücher: Asterix, Wächter der Nacht CDs: Jan Vogler spielt DvorákTheater: Olsen-Bande, Nussknacker Medea, Tucholsky

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Bartholomä: Das Parlament der Stühlekreuzmoritzelm. trifft Anton Nekovar (Intendant)Arvids Kolumne

inhalt

Brückenbauer 12Polen und Deut-sche werkeln an priveligierter Nach-barschaft und guter Freundschaft. Bis es soweit ist, wird aber noch viel Wasser die Oder herunter-fließen.

Ent- aber nicht verlassen 22Nach 11 Jahren trennte sich die Uni-versität mit einem Paukenschlag von ihrem Pressesprecher. Von den einen für Ausnahmejournalismus bejubelt, schmollte die andere Hälfte der Uni über Insider-Geschreibsel. Im Februar zogen Rektor Westermann und Kanzler Behrens die Konsequenz, jetzt hat das Gericht entschieden.

Ausgesperrt 25Die Universität tut sich schwer mit rechten Rednern. Statt Argumente zu widerlegen, wird die Tür zugemacht.

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hochschulpol i t ik

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Die Reise geht weiter 28universum

Mit Campus Europae von Aveiro in Portugal über Trento in Italien nach Novi Sad in Serbien.

Alle Jahre wieder 30Glühwein, Bratwurst und die wahr-scheinlich längste Praline der Welt. moritz sah sich zur Eröffnung des all-jährlichen Spektakels um und entdeck-te ein Kleinod vor dem Pommerschen Landesmuseum. Und eines ist anders auf dem diesjährigen Greifswalder Weihnachtsmarkt: Die Geisterbahn fehlt.

ku l tur

Fotos: bert, Archiv, privat, tja (v.o.)

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die Ecke wartet die nächste Ladenmeile. Die Sehenswürdigkeiten, das Schloss der Pommernherzöge, der gotische Dom, die Oderterrassen, sie alle liegen weit auseinander. Die im Krieg völlig zer-störte Altstadt ist in weiten Teilen eine Baustelle. Dazwischen Wohngebiete, Autotrassen, unaufregende Ladenzeilen. Stettin kommt nicht auf den Punkt. Wir grübeln jetzt ernsthaft, wie man die Stadt noch als Reiseziel verkaufen kann. Bingo: „Bigos!“ Stettin ist doch das Tor zu Polen. Beschreiben wir, was polnisch ist. Fremdheitswahrnehmungen.

Eine Stadt bekommt Farbe

Zuerst: Kioske. Das sind kleine Hütten aus Holz oder Metall. Manchmal sind sie begehbar, meistens aber hockt ein Mütterchen hinter einem klappbaren Glasfensterchen. Hier bekommst du al-les, was du schnell brauchst. Äpfel und Apfelplundertaschen, Rasierklingen und Nelken, Gazeta Wyborcza, Telefonkarten und Zigaretten. Die Kioske stehen an je-der Straßenecke. Noch in der weit entle-gensten Plattenbausiedlung stehen gleich mehrere nebeneinander. Ein Metzger, ein Schreibwarenhändler, ein Friseur und ein stinknormaler Zeitungskiosk. Dieser Budenzauber wird durch rudimentären Straßenverkauf ergänzt: Bauern veräu-ßern Zwiebeln und Kartoffeln aus der Pappkiste. Vor den großen Supermärkten stehen junge Verkäufer an einem Theken-wägelchen mit Sonnenschirm und bauen

Magnet der Großstadt. Bedingungslos wirkt diese Kraft auf Menschen in Or-ten ohne Straßenbahn, gleich einem Na-turgesetz: „Willste wat erleben, muss’de inne große Stadt.“ Stichworte: Sightsee-ing, Shopping, Clubbing. Uns Greifswal-der würde es demzufolge ins nahe Stet-tin ziehen, oder?Die polnische Grenzmetropole ist mit 420.000 Einwohnern etwas größer als Rostock. Die Trams der Stettiner Ver-kehrsbetriebe transportieren jedoch selten einen Greifswalder in Großstadt-laune. Es scheint, der deutsche Teil der Provinzbevölkerung meidet sein natürli-ches Oberzentrum.

Wir machen uns auf den Weg, um zu schauen, was die ehemalige Pommern-hauptstadt ihren Umlandbewohnern bieten kann. Das Mecklenburg-Vor-pommern-Ticket soll uns nach Szczecin Glowny bringen. Bevor wir jedoch im Stettiner Hauptbahnhof einrollen, müs-sen wir auf die DB-Bummelbahn dort-hin warten. Nicht irgendwo. In Pasewalk. Neunzig Minuten lang. Eine Zeitspan-ne, die das Wort „umsteigen“ in seiner Bedeutung arg strapaziert. Die Fahrt Greifswald – Stettin dauert etwas mehr als drei Stunden. Wir machen unseren Stadtrundgang. Suchen die Innenstadt und finden sie nicht. Lange Einkaufsboulevards mit Pa-tisserien, Friseuren und Modeboutiquen lassen uns stets vergeblich hoffen, dass der Stadtkern um die Ecke ist. Doch um

dir einen Hot Dog zusammen: Brötchen, Wurst, Weißkraut, Paprikaschnitzel und Senf.Stettiner Fassaden. Der Zahn der Zeit nagt am Putz der Gründerzeithäuser. Aus den bröckligen Simsritzen wach-sen Pappel- und Akazientriebe über die gusseisernen Balkone. Ihr Grün konkur-riert mit dem Grau der Kabelbäume von Radio- und TV-Antennen. Vor 15 Jahren kamen kontinuierlich schwarze, weiße und graue Satellitenschüsseln dazu. An den Hausaufgängen pappen Werbeschil-der für Tanz-, Fahr- und Sprachschulen. Mit der Reklame kam die bunte Farbe zurück. Sollten wir ausschließlich die Farbe der Stadtgebäude bestimmen, müsste ein passender Farbname erst er-funden werden. Nein, grau ist es nicht. Keine Plattenbauwüsten. Die Szenerie der Bürgerhäuser hat ihren eigenen Charme und eine Farbe, die entstünde, wenn Steine rosten könnten. Verwitter-tes Fassaden-Rot, -Gelb und -Weiß; im Schulmalkasten hieße eine solche Farbe vielleicht „Kombinat“.

Menschen zwischen Eleganz und Protz

Die Menschen. Farbe auch hier. Frauen schminken sich akzentuierter als bei uns daheim. Der Kleidungsstil ist wohltuend anders: adrette Kostüme, Röcke bis kurz über die Knie, Stiefel bis kurz darunter. Damit wir uns nicht falsch verstehen: das Outfit der Damen ist elegant und geschmackvoll. Dann gibt es Damen um

Tür nach Polenmoritz-Redakteure Kosa und Tremmel waren ein Wochenende

in der Nachbarmetropole Szczecin (Stettin) zum Sightseeing, Shopping und Clubbing

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Nützliche Internetadressenzu Stettin

Stadtinfos:www.szczecin.pl

www.ostsee-urlaub-polen.de

Sehenswerte Internet-Fotogalarie:www.niezwykly.szczecin.pl

Freunde und Gastgeber finden:www.hospitalityclub.org

dem ersten Advent. Clubs sind zahlreich, aber heute besonders überfüllt. In den beliebtesten Gewölbekellerdiskos sind alle Tische reserviert. Das junge Polen trifft sich heute offiziell ein letztes Mal zum Trinken und Tanzen, denn es gehört zum guten Ton in der Adventszeit, die Füße still zu halten. Jedenfalls offiziell und mit Augenzwinkern. Wir schaffen es, im Patio einen Tisch zu ergattern. Zwar hätten wir lieber das Rocker oder Pinokio unsicher gemacht, aber noch um zwei Uhr warten dort Menschentrauben auf Einlass. Die unerhörten Eintrittspreise können nicht schrecken. Etwa 10 Euro verlangt an diesem Karnevalssamstag das Rocker. Im Patio zahlen wir nur ein Viertel und steigen in den Keller hinab. Das gemütliche Ambiente, so erfahren wir, ist recht typisch. Es gibt mehrere Mauersteinkavernen, die miteinander verbunden sind. Ein Tresenraum, Räume mit langen Tafeln und Sitzbänken und schließlich das Tanzgewölbe. Gut, dass man nicht Tanzen muss, denn House Mu-sik gehört zu unseren off-limits. Im Üb-rigen die beliebteste und häufigste Stil-richtung in Stettiner Clubs. Das nächste Mal, beschwören uns die Freunde, gehen wir ins Rocker.

Das nächste Mal wird alles besser

Jetzt sollen wir von Stettin erzählen, ob es uns gefallen hat. Unsere Höflich-keit hat Grenzen. Trotzdem bleibt die Gastfreundschaft der Freunde herz-lich: „Kommt im Januar wieder, wenn Schnee liegt.“ Ein Skihang mit Schlepplift und Schneekanonen liegt am Stadtrand. „Und im Sommer müsst ihr auch kom-men. Dann sind die Bäume grün und wir gehen in die Biergärten. Oder wir fahren mit dem Segelboot auf den Dabie-See hi-naus, gleich hinter der Stadt, und campen wild auf einer der Inseln. Lagerfeuer und polnische Gitarrenmusik inklusive.“Wenn das so ist, sagen wir am nächsten Morgen, wollen wir gern wiederkom-men. Doch zunächst müssen wir in un-sere Provinz zurück. Diesmal mit dem Wochenendticket in drei Stunden über Angermünde. bert

die 40. Ab diesem Alter scheinen sich Pelzmäntel gesteigerter Beliebtheit zu erfreuen. Zwischen Eleganz und Protz schleicht feminine Neutralität: Nonnen, junge und alte, in schwarzer, grauer und weißer Ordenstracht unter schlichtem Kopftuch.Bei den Jungs sind Kurzhaarschnitte bis hin zur Glatze recht en vogue. Ansons-ten bleibt ihr Äußeres eher unauffällig. Wir sehen viele alte Leute, deren Klei-derordnung sich seit 25 Jahren wenig geändert zu haben scheint. Das schaut in etwa so aus wie beim jährlichen Rosa-Luxemburg-Gedenkmarsch in Berlin, Reihe eins.

Bigos, Bordell und Benzin

Deutsche Menschen treffen wir auch. Stets an exponiertem Ort fallen sie uns ins Ohr. Zum Beispiel im „Best Restau-rant“ Colorado, einem Panoramacafére-staurant, dass gleich einem hölzernen Krähennest an der Oderterrasse über den Anlegestellen für Kreuzfahrtdamp-fer hängt. Hier sitzen die deutsche Bigos- und die Bordellfraktion an getrennten Ti-schen. Rentnerpärchen auf Polen- oder Heimatentdeckungstour. Männerkegel-vereine auf Erlebnisfahrt. Wir haben keine Chance, unser Küchenpolnisch zu testen. Die Bedienung spricht fließend Deutsch, die Speisekarte ist dreisprachig ausgewiesen. Gleiches Bild im Cafe 22, einem Panoramacafe auf der 22. Etage. In den unteren Etagen dieses „Wolkenkrat-zers“ wütet der Einkaufstrubel. Shopping in Stettin hat hier sein Zentrum, im Ga-laxy. Die riesige Mall bietet alles: Bou-tiquen, Hypermarkt, Eiscafés und sogar eine 15 Meter hohe Kletterwand für Alpinisten. Der riesige Supermarkt einer französischen Kette steht seinen Filial-bauten im Mutterland in nichts nach. Es sei hier nur die riesige Frischfischtheke auf Eis erwähnt. Das Angebot ist erschla-gend. An den endlosen Regalen für Bier und Wodka treffen wir wieder auf Deut-sche. Quasi die dritte Kohorte, die Ben-zin- und Butterfraktion. Der Service ist beeindruckend. Jede Abteilung hat zwei junge Menschen, die Probierhäppchen parat halten und die Kundschaft bera-ten. Es kann in Stettin für junge Leute nicht sehr schwer sein, einen Nebenjob zu finden. Shopping in Stettin bietet ein Kontrastprogramm. Einerseits das bo-nusmeilenverdächtige Herumschieben des Einkaufswagens durch die Hallen der Einkaufstempel, andererseits die anhei-melnde Atmosphäre über den Ladenthe-ken der kleinen Geschäfte und Kioske.Am Abend treffen wir uns mit polni-schen Freunden zum Programmpunkt Clubbing. Wir haben uns einen ungüns-tigen Tag ausgesucht. Es ist Samstag vor

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Mitte: Rekonstruiertes AltstadthausUnten: Denkmal für polnische Matrosen

Fotos: bert

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Landeskunde auf Kulinarisch

Ein schönes Land will gern auch mit dem Gaumen erkundet sein. Manchmal ist es aber nicht leicht, einen Koch aufzutreiben. In vielen osteuropäischen Länder haben Restaurants entlang der Touristenroute auf Schnitzel, Pommes und Pizza umgestellt. Legendär ist das große Knödelsterben auf tschechischem Staatsgebiet Mitte der 90er Jahre. (Inzwischen wurden Knödel neben Kartoffeln und Kroketten rehabi-litiert.) In West- und Südeuropa können horrende Preise den Appetit verderben. Selbst Franzosen fahren mitunter zum Speisen lieber zu den „Boschs“, wenn die Grenze nah ist.Glücklicherweise besitzen die pol-nischen Nachbarn eine landesweite Institution, wo traditionell und preiswert verköstigt wird. Die Bar Mleczny (sprich: Bar Mletschnie) hat sich auf gleicher Augenhöhe mit Döner- und Pizzabuden etabliert. Zumindest in den größeren Städten. Die privatwirtschaftlich betrie-benen Volkskantinen sind den Polen bei Magenknurren eine verlässliche Adresse und zugleich nostalgisches Relikt aus kommunistischer Zeit. Ins Deutsche

übersetzt bedeuten die zwei Wörter – ziemlich irreführend – Milchbar. Hier schäumen weder Shakes im Becher, noch quietscht Soft-Eis aus der Düse. Gemeint ist der hohe Milchanteil der Speisen – dem Polen keine Suppe ohne Sahne.Das sozialistische Prinzip „Warme Küche für jedermann“ erhielt sich nach der 89er-Wende. Die Staatszuschüsse für die Garküchen sind seither erheblich gesunken. Trotzdem dampft es auf den Tellern unverändert polnisch-rustikal, bei erschwinglichen Preisen. Ein Menu mit Suppe, Hauptgericht, Salat, Kompott und Getränk lässt sich schon für etwa 10 -12 Zloty (circa vier Euro) zusammenstel-len. An der Essensausgabe versu-chen dichtgedrängt Studenten, Mütterchen und Manager die Kantinenordnung durch nichts aus der Routine zu werfen. Das eingeübte Verfahren: Tablett nehmen. Die Schlange an der Theke geduldig abwarten. Eine möglichst präzise und kurzatmi-ge Bestellung für die Kittelfrau mit der Suppenkelle aufsagen. Zuletzt an die Kasse vorrü-cken und anstandslos bezahlen. Drei Minuten später wird das Essen durch die Küchenluke ausgerufen und dem Gast nach Gesichtskontrolle rübergescho-ben. In manchen Bars gibt es zwischen den eng geferchten Sprelakat-Tischen auch einen schnörkellosen Sevierservice an den Platz. Die bunte Anordnung von Gästen und Gerichten in den Milchbars macht den Touri nicht nur satt, sie lässt ihn auch tief in den Topf des polnischen Alltags schauen. Landeskunde auf Kulinarisch.Noch einen Tipp für den nächs-ten Hunger in Polen: Es sei drin-

gend davon abgeraten, den weltof-fenen Studiosus-Touristen zu mimen. Einmal an der Reihe und dann der Suppenkellenmatrone gegenüber, ist es für eine Erörterung der Speisereihenfolge - womöglich noch auf Englisch – zu spät. Küchenfrauen sind ungern Reiseleiter. Das Wort Schnellrestaurant lebt nun-mal von der Betonung auf Silbe eins. Vorzugsweise lieber gleich mit einhei-mischen Freunden in die Bar Mleczny einkehren oder flux noch (Küchen-) Polnisch lernen. bert

Zupy – SuppenBarszcz czerwony – klare Rote-Bete-SuppeKapusniak – Weißkohl-/ SauerkrautsuppeBarszcz biale – weiße BoschtsuppeZurek – Saure RoggenmehlsuppeFlaki – Kuttelsuppe

Przytawki – VorspeisenSledzie w smietanie – Hering in SahneGolonka w galarecie – Eisbein in Aspik

Pierogie – MaultaschenPierogie z miesem - mit FleischfüllungPierogie z serem – mit Käsefüllung

Danie glowny - HauptgerichteBigos – (siehe Nebenseite)Kolduny – FleischklößeZrazy – Fleischroulade mit BuchweizengrützeKiszka – Blutwurst mit SauerkrautGolabki – KohlrouladeKotlet schabowy – SchweineschnitzelSzszlyk – Fleischspieß

Rybi – FischKarp – KarpfenPstrag – Forelle

Desery – Desert und KuchenNalešniki - Pfannkuchen gefülltMakowiec – MohnkuchenSernik – KäsekuchenSzarlotka – Apfelkuchen

Die Bar mleczny bietetpreiswerte polnische Küche in nahezu jeder größeren Stadt. Sie ist der ideale Ort, um die polnische Rezeptvielfaltschätzen zu lernen.

Fotos: bert

Bar Mleczny in Szczecin:Straße Obronców Stalingradu 6a.

esskultur

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kulinarisch-festliches

Das Weihnachtsfest wird neben Ostern in Polen wohl am fei-erlichsten begangen. Die zentrale Rolle spielt hier das Essen, das zum heiligen Abend gehört wie der Adler ins Staatswappen. Bereits Tage vorher wird gekocht, gebacken und vorbereitet, damit die Familie am 24. Dezember nicht Hunger leiden muss. Tagsüber wird gefastet, doch mit Einbruch der Dunkelheit geht es dann los. Sobald der erste Stern aufleuchtet, lässt sich die Familie am Esstisch nieder.Der Festschmaus besteht in Polen traditionell aus zwölf Gängen, die an die zwölf Apostel erinnern sollen. Häufig gibt es Fisch in verschiedenen Variationen. Bevor es jedoch ans Schlemmen geht, teilt die Familie die Weihnachtsoblaten unter-einander und verzeiht sich alle Kränkungen und Verfehlungen des Jahres. Außerdem ist die Oblate ein Zeichen dafür, dass alle in der Familie ihr Leben miteinander teilen möchten.Viele Bräuche in Polen haben ihren Ursprung im slawischen Brauchtum. Dies ist zu Weihnachten nicht anders. Besonders beliebt ist die Tradition, ein Geldstück beim weihnachtlichen Festschmaus unter einem Teller zu verstecken. Wer es findet, dem ist für das kommende Jahr Glück garantiert. In manchen Orten hat auch die Tradition überdauert, den Haustieren nach dem Festmahl Oblatenstückchen zu geben, damit sie gesund bleiben und sich gut vermehren.Schließlich sind in Polen auch die oft sehr alten Weihnachtslieder untrennbar mit dem Fest verbunden. Die Texte sind humoris-tisch, satirisch oder sogar gesellschaftskritisch. Für viele Polen, die fern der Heimat leben, sind die Weihnachtslieder der Inbegriff alles Polnischen. Doch nicht nur im Kreis der Familie wird gesungen. Bereits im 17. Jahrhundert zogen Sänger in der Vorweihnachtszeit von Haus zu Haus und trugen an einer Stange einen großen, bunten, von innen erleuchteten Stern.Auch wenn in Polen inzwischen in großem Maße eine Verwestlichung stattgefunden hat, konnten viele dieser Traditionen glücklicherweise überleben. Natürlich schreiben sich die Polen auch Weihnachtskarten und darauf steht dann „Wesolych Swiat!“ ring

BigosZutaten1kg Sauerkraut1⁄2 Weißkohl1kg Fleisch: 150g Kabanossi, 150g Knacker, 700g Rind- oder Schweinefleisch500g Champignons (aus der Dose)3 Zwiebeln2 saure Äpfel1 Glas Rotwein oder Bier4 EL Tomatenmark

GewürzeMajoran, Piment, PfefferMix, Lorbeerblätter

Und so wird‘s gekochtWeißkohl in dünne Scheiben schneiden und mit dem Sauerkraut in etwa 1 Liter Wasser köcheln lassen bis alles weich gekocht ist. Dann die überschüssige Flüssigkeit abgie-ßen. Währenddessen das Fleisch und die Champignons in mundgerechte Stücke, die Zwiebeln und die Äpfel in kleine Würfel schneiden. Zuerst das Rind- oder Schweinefleisch in der Pfanne gut durchbraten. Nach und nach das restli-che Fleisch, die Zwiebeln, die Champignons und die Äpfel hinzugeben. Alles mit Pfeffer und Majoran gut würzen.Alle Zutaten zusammen in einem Topf vermengen, Wein (bzw. Bier), Tomatenmark, Piment und Lorbeerblätter dazugeben. Nochmals mit Pfeffer und Majoran würzen und die Masse weiter köcheln lassen.Die Garzeit richtet sich nach dem persönlichen Geschmack.Traditionellerweise wird Bigos mit einer dicken Scheibe Weißbrot gegessen, Kartoffeln sind allerdings auch in Ordnung. Als Getränk passt am besten Bier.

TippAm besten schmeckt der Bigos, wenn er zwei bis drei Tage ruht und jeden Tag kurz aufgewärmt wird.

Viel Spaß beim Kochen und Smacznego!

Liebe geht durch den Magen. In kaum einem anderen Land der Welt dürfte dieser Spruch wahrer sein, als in Polen. Die polnische Küche ist weit über ihre Grenzen hinaus bekannt und enthält kulinarische Elemente der Juden, Ukrainer, Weißrussen und Litauer. Auch deutsche und russische Einflüsse sind unverkennbar.Spricht man über die polnische Küche, kommt man an einem Essen nicht vorbei: Bigos. Das Nationalgericht der Polen ist eine Mischung aus Sauerkraut und Weißkohl, gedünstet mit mehreren Fleischarten, Wurststücken und Pilzen. Natürlich gibt es unendlich viele Abwandlungen. Um Polen auch kulinarisch kennen zu lernen, haben wir hier ein Grundrezept abgedruckt, das nach eigenem Geschmack variierte werden kann.

Wesolych Swiat!Weihnachtsbräuche in Polen

Dank an unsere hervorragenden Köchinnen – vegetarische Revance folgt!

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Es kam nicht häufig vor, dass ein Trabant auf DDR-Autobahnen einen PKW an-deren Fabrikats aus eigener Kraft über-holte. So freute man sich damals mit dem naiven Stolz eines Kindes, wenn am Horizont ein Polski-Fiat auftauchte. Der Überholvorgang ereignete sich zu einem Kräftemessen der Zweizylinder. Im Windschatten der frontgetriebene Trabant, 26 PS, 594,5 Kubizentimeter Hubraum und 109 km/h Spitze, davor der röhrende Polski mit zur besseren Luftkühlung geöffneter Motorheckklap-pe, 23 PS , 594 Kubikzentimeter Hub und 105 km/h Höchstgeschwindigkeit.Trotz der winzigsten Ausmaße der fah-renden Hutschachtel (drei Meter Länge und jeweils 1,3 Meter Breite und Höhe) flößte die Konstruktion Respekt ein. Im-merhin ein Auto aus Metall. Außerdem stand FIAT drauf und das Design wirkte irgendwie modern. In der Tat war das polnische Volksauto italienischer Ab-stammung. Der Fiat 126, in Polen 126 p bezeichnet, wurde zeitgleich im Jahr 1972 beim Turiner Automobilsalon und der Warschauer Plac Defilade der Öf-fentlichkeit vorgestellt. Im Jahr 1975 be-gann der Import des italienischen Klein-

wagens aus polnischer Produktion auch in die DDR. Aus diesem Anlass berich-tete die DDR-Fachzeitschrift Kraftfahr-zeugtechnik (KFT) über eine Testfahrt mit dem Fiat 126 p. Die Redakteure bestiegen das Fahrzeug mit Vorbehalten: „Immerhin beschäftig-ten wir uns 15 Jahre mit dem Trabant. Dessen Konzeption hat sich bewährt. Der Polski Fiat stellt in mancher Bezie-hung fast das Gegenteil dar.“ Doch die Redakteure sind am Ende der Testfahrt überrascht: „In der Summe aller Einzel-heiten entstand ein besonders winziges und teilweise auch einfach gebautes Fahrzeug, das aber einen durchaus „er-wachsenen“ Fahreindruck verschafft. Im Innenraum des 126 p geht es zwar aufgrund des luftgekühlten Zweizy-lindermotors durchaus nicht leise zu, störende Nebengeräusche aber – wie mitschwingende Instrumententafel oder klapperndes Gaspedal gab es überhaupt nicht. Diese Arbeit im Detail ist auch ein Ausdruck für die konstruktive Reife des Produktes.“ Die Redakteure machten sich mit listiger Begründung für einen Import stark. Ers-tens um „das Angebot in der so gefrag-

ten Trabant-Kategorie endlich zu erwei-tern“ und zweitens, um „unseren Trabant von einigen Bindungen zu lösen und eine technisch anspruchsvollere Weiterent-wicklung zu begünstigen.“ Zwar wurde dann der Fiat aus Polen importiert, zu einer wesentlichen, technischen Weiter-entwicklung des Trabant sollte es aber nicht mehr kommen.Während die Papp-Fabrikate des VEB Sachsenring heute weitgehend von deut-schen Straßen verschwunden sind, sieht man den Winzling in Polen noch relativ häufig im von Westautos dominierten Straßenverkehr. Inzwischen werden in Polen Fiat-Kleinst-modelle jüngeren Konstruktionsdatums gebaut. Das italienische Engagement in der polnischen Automobilindustrie geht bis in die 30er Jahre zurück und beschränkte sich nicht nur auf die Pro-duktion des 126 p. Viele andere und vor allem größere Fiat-Modelle wurden in Lizenz nachgebaut. Kultstatus in Polen erreicht aber nur der „Winzling“. Das Computerspiel „Maluch-Racer“ geht in Polen bereits in die zweite Auflage. Demnächst soll es angeblich sogar eine deutsche Version geben. bert

männersachen

In Polen nennen sie ihn „Ma-luch“, Winzling. In sozialistischen Zeiten gehörte er wie der Tra-bant in der DDR zur Familie. Von 1972 bis 2000 rollten in Polen 3,5 Millionen Fiat Polski 126 p vom Band.

Die erfolgreichen Zeiten der „Weißen Adler“, der polnischen Nationalmann-schaft, liegen über ein Vierteljahrhundert zurück. Beim Championat 1974 in München wäre man sogar fast Weltmei-ster geworden, schied jedoch in der „Wasserschlacht von München“ gegen den späteren Weltmeister BRD mit 2:3 aus. Zwei Jahre zuvor holte die Mannschaft an gleichem Ort Olympisches Gold.Die Bayernmetropole könnte demnach eine Wunschstation für die polnische Endrundenteilnahme im nächsten Juni sein. Vielleicht sogar mit Deutschland in einer Vorgruppe. Man könnte sich

zwischen Szczecin und Warschau sogar berechtigte Hoffnungen auf das Achtelfinale machen, betrachtet man die letzten Leistungen der Klinsmann-Elf.Doch in punkto Zuversicht sind die Fans der Reprezentacja Polski zurück-haltend geworden. Feierte man bei der letzten WM in Fernost anfangs noch das beeindruckende Qualifikationsergebnis, folgte die Blamage auf den Fuß: 0:2 gegen Südkorea, 0:4 gegen Portugal. Das Rückflugticket war gebucht, ehe man sich versah. Nach der erneuten Qualifikation will jenseits von Oder und Neiße niemand mehr das Wort „Geheimfavorit“ in den

Mund nehmen. Zu Recht, denn bei der Gruppenausscheidung um das WM-Ticket war England der einzige Rivale, gegen den dann auch Hin- und Rückspiel verloren gingen. Aserbaidschan, Nord-irland, Wales und Österreich reichten als Punktelieferanten für einen zweiten Gruppenplatz und somit für den Flug nach Deutschland.Vielleicht fiebert Fußball-Polen aber auch für die deutsche Elf. Die Tore schießen dort bekanntlich zwei, die sich Lukas Podolski und Miroslav Klose nennen.

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Auf nach München zur Fußball-WM

Motorisierter Wahnsinn

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polen-politik / austauschstudentin in hgw

Das Nachbarland Polen war in letzter Zeit häufiger im Gespräch. Hierzulande regte man sich über die Polen auf, die Lech Kaczynski von der rechtspopulis-tischen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) zum Sieg in der Präsidentenwahl geholfen haben. Kaczynski ge-wann gegen Donald Tusk von der rechts-liberalen Bür-gerp l a t t form (PO). Die Wah lbe te i l i -gung betrug 51 Prozent. Kaczyniski will das polnische Strafrecht verschärfen sowie Polizei und Gerichte mit mehr Befugnissen versehen.Mittlerweile wurden die durch die Präsidentenwahl unterbrochenen Ko-alitionsverhandlungen fortgesetzt, ausgesetzt und wieder angesetzt. Man konnte sich nicht einigen, profi-lierte sich doch Präsident Kaczynski immer mal wieder als „Euroskeptiker“ (Kwasniewski) und Rechtsaußen. Doch mit der Aussprache des Vertrauens durch die Mehrheit des Parlamentes kann Kazimierz Marcinkiewicz von der PiS nun in einer Minderheitsregierung im Amt des Ministerpräsidenten schalten und walten.In Polen erhitzten sich die Gemüter über die Gaspipeline, die durch die Ostsee anstatt durch die zwischen Russland und Deutschland liegenden Staaten verlegt werden soll. Die Pipeline, die vom russischen Wyborg bis nach Greifswald verlaufen soll, wird der erste direkte Anschluss EONs an das rus-sische Gasnetz sein. Dass man sich in Polen über den „Schröder-Putin-Pakt“ aufregt, ist verständlich. Polen ist in hohem Maße abhängig von russischen Öl- und Gaslieferungen. Neben höheren ökologischen Risiken, die beim Verlegen der Pipeline unter der Ostsee drohen, gehen den Staaten, durch die sie hätte verlegt werden können, auch Einnahmen verloren. Pikant wirkt da besonders der Satz, den Bundespräsident Horst Köhler kürzlich noch zum Festakt der Solidarnosc in Danzig sprach: „Nichts über uns ohne uns – diesen Anspruch hat Polen, und wir Deutsche wollen gerne dabei helfen, dass er als selbstverständlich akzeptiert wird.“ kos

Magda und ich treffen uns an einem Montag zum Kaffee. Ihre markante Stimme und ihr Lachen fallen sofort auf. Die junge Studentin kommt aus Polen, genauer Szczecin, nur zwei bis drei Stunden mit dem Auto. Magda Plesner ist 20 Jahre alt und studiert seit dem Wintersemester ‘04/‘05 in Greifswald. Sie ist eine von insgesamt 116 polni-schen Studenten, die derzeit ihr Studium in Deutschland absolvieren. Davon sind immerhin 83 Frauen. Die Mehrzahl der jungen Polen in Greifswald studieren BWL, Germanistik und Anglistik, dicht gefolgt von Jura und Medizin.Magda, die sich selbst als Fremd-sp r achen -F reak bezeichnet, stu-diert im dritten Semester Anglistik/Amerikanistik als Hauptfach und Polonistik und Kommunikations-wissenschaft in den Nebenfächern. Sprachen haben die quirlige Magda schon immer fas-ziniert.Und wirklich: Magda plappert munter drauf los, nimmt kein Blatt vor dem Mund. Sie erzählt von ihrem Vater, der in Greifswald regelmäßig als Journalist für das deutsche Radio arbeitet und sie in ihrer Idee, in Greifswald zu stu-dieren, unterstützte. Nach anfänglichen Schwierigkeiten mit polnischen und deut-schen Behörden kam sie im September 2004 nach Greifswald und fand schnell ein Zimmer in der Makarenkostraße. Dort wohnt die Polin mit einer deut-schen Studentin zusammen, mit der sie sich gut versteht. Beeindruckt war Magda damals vor allem von der Hilfsbereitschaft des AStA, der ihr kostenlos Möbel zu Verfügung stellte und ihr viele wichtige Fragen beantwortete. „Jeder hat mich in dem kleinen, gemütlichen Greifswald freundlich empfangen und mich unter-stützt. Manchmal habe ich sogar das Gefühl, im Studium gegenüber deut-schen Kommilitonen bevorzugt zu wer-den. Ich habe hier noch nie schlechte Erfahrungen gemacht.“ Einen kleinen Nebenjob hat Magda auch

schon gefunden. Sie arbeitet für ein deut-sches Bauunternehmen als Übersetzerin von Dokumenten und Katalogen. In Deutschland verdient sie das Sechsfache von dem, was sie in Polen verdienen würde. Dennoch lebt Magda sparsam. Manchmal fragt sie sich, was einige mit dem vielen Geld anstellen, das ihnen im Monat zur Verfügung steht. Magda haus-haltet mit etwa 300 Euro in einem Monat, mit allem drum und dran. Sie kann sich kaum vorstellen, dass in Deutschland einige Studenten monatlich mindestens 600 Euro ausgeben. „Von diesem Geld

kann in Polen eine vierköpfige Familie leben.“ Die junge Polin beschreibt deut-sche Studenten als pünktlich, zuverläs-sig, ordentlich und sauber, aber vor allem als tempera-mentvoll, impulsiv und: „Laut! Wenn sich die Deutschen unterhalten, spre-chen sie nicht, son-dern sie schreien. “ Nach ihrem Stu-dium möchte Magda sehr gerne in Deutschland

bleiben und hier arbeiten. Sie hofft, dass die polnische Sprache ihr bei der Suche nach Arbeit helfen wird.Momentan freut sich die Studentin wieder auf die Weihnachtszeit. Die Weihnachtsmärkte haben es ihr beson-ders angetan, obwohl sie anfangs die vielen Lichterketten, Tannenzweige und Weihnachtskugeln als kitschig und übertrieben empfand. „Letztes Jahr war ich schockiert von dem vie-len Lichterschmuck, mit dem meine Mitbewohnerin unsere Wohnung aus-staffiert hatte. Es war so hell, dass meine Augen geschmerzt haben.“ Sie grinst. Wir trinken unseren Kaffee weiter und unterhalten uns über Polen. Magda bedauert es, dass Deutschland oft ein falsches Bild von ihrem Heimatland prä-sentiert wird. „In Polen wird nicht nur geklaut. Polen hat viele schöne Ecken, die man erkunden kann: Schöne Strände, historische Städte wie Warschau, Krakau, Breslau und Pozen. Dennoch muss bei uns noch viel gemacht werden.“

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Polternde Politiker und eine Ostseepipeline

Kaczynski.

„Czesc!“Als polnische Studentin in Greifswald

Ausländische Studierendein Greifswald

Nicht nur, dass es Greifswalder Stu-denten in die große weite Welt zieht, immer mehr ausländische Studenten kommen auch nach Greifswald. 717 Studierende aus 76 Ländern sind in diesem Semester hergekommen, um für einige Zeit hier zu leben und zu studieren. Die meisten absolvieren ein Direktstudium. Promotionsstudenten kommen überwiegend aus Vietnam (53), Indien (19) und Polen (16) in die Hansestadt. lil

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grenz(be)ziehungen

Ende August speiste Horst Köhler, Bun-despräsident, an der Tafel von Aleksan-der Kwasniewski, damaliges polnisches Staatsoberhaupt. Doch bevor sich die beiden über Kalbslenden in Sahnesauce hermachten, hielt der Deutsche noch eine Tischrede, weil das so üblich ist. Von Kollege zu Kollege sprach er: „Die Men-schen diesseits und jenseits der Oder und Neiße lernen sich immer besser kennen und schätzen. Das ist Vorausset-zung dafür, dass wir zu guten Nachbarn werden und Freundschaft zwischen den Menschen entstehen kann. Das ist un-ser Ziel.“ Und am Ende der Rede stand er mit erhobenen Kelch und toastete Kwasniewski zu: „Es war Johannes Paul II., der sagte, dass sich Polen und Deut-sche als Nachbarn von Gott gegeben sind. Darin liegt ein Auftrag. Lassen Sie uns diesen Auftrag annehmen.“Für ein Staatsbankett erstaunlich, ras-pelte unser Mann kein Süßholz und son-dierte klar die Auftragslage der beiden Völker. Nix mit Freundschaft, nix mit pri-vilegierter Nachbarschaft, sondern: hier hat sich ein Auftrag gestellt, der beiden Seiten harte Arbeit abverlangt. Packen wir’s an. Wenn Politiker von „Aufträgen“ und „Zielen“ sprechen, dann kann es sich bei dem, was sie zu erreichen wün-schen, nur um Aufgaben handeln, deren Lösung noch in weiter Ferne liegen. Man sollte Horst Köhler für diese Worte des Abends dankbar sein, denn er hat mit der Beurteilung sehr recht. Schauen wir uns die Baustelle an. Das Gebäude steht schief, jedenfalls was die öffentliche Wahrnehmung der bilatera-len Beziehungen auf außerpolitischer Ebene betrifft. Während nach landläufi-ger Meinung die Polen zum Spargelste-chen im Bus über die Grenze kommen,

lassen sich deutsche Manager bei ihren östlichen Firmenuntergebenen einflie-gen. Wo jenseits der Oder Loreley und Zugspitze als akzeptiertes Reiseziel gel-ten, müssen sich diesseits die Masuren- urlauber nach ihrer Rückkehr zuerst ein-mal fragen lassen, ob sie noch im Besitz ihres Autos seien. Wenn ganze Domains wie polenwitze.de das Nachbarland der Lächerlichkeit Preis geben, sind dort Späße über Deutsche Mangelware. Das jeweilige Fremdsprachenangebots in den Schulen ist nicht in Relation zu setzen. Deutsch ist nach Englisch bei den Nach-barn sehr gefragt. Die Schülerzahl für Polnischunterricht an deutschen Schulen liegt noch weit unter Alt-Griechisch und Schwedisch.Es fehlt an gleichwertigem Respekt. Deutschland, das große und starke Wi-Wa-Wunderland, Polen der rückständige Nachbar zwischen Kartoffeläckern, Kor-ruption und Alt-Kommunisten. Die Be-ziehung läuft nicht auf gleicher Augenhö-he und führt zu komplementären Rollen. Der Deutsche fühlt sich zum Nachhilfe-lehrer in Sachen Marktwirtschaft, Demo-kratie und Ordnung berufen. Aber unter den Polen ist Deutschland nicht gerade der Lieblingslehrer. Es gibt andere Favo-riten. Der Deustche weiß das noch nicht. Oft genug aber nimmt man den Schüler-gestus in Polen auch an und glaubt was wunder über deutsche Pünktlichkeit und Präzision, Ordnung und Sauberkeit, Steif-heit und Humordefizit. Abbau von Vor-urteilen ist eine förderliche Maßnahme. Doch bis alle Deutschen in Polen gewe-sen sind und andersherum, wird Horst Köhler schon lang nicht mehr Bundes-präsident sein.Immer wieder wird die Rolle der Jugend hervorgehoben. Bei ihr verspricht man

sich die größten Fortschritte am Pro-jekt für gute Nachbarschaft und Freund-schaft.

Brückenbauer in Greifswald

In Greifswald feiern sie offiziell schon Richtfest. An der Uni lernen derzeit 49 polnische Austauschstudenten, an der Mensatheke gibt es polnische Kalbslen-den in Sahnesauce, das Kulturfestival PolenmARkT ist gerade erfolgreich über die Bühne gelaufen. Wir besuchen das Wohnheim in der Ge-schwister-Scholl-Straße. In dem Block leben 28 polnische Studenten. Haben sie schon Freundschaft mit Deutschen ge-schlossen? Mitunter gebe es Kontakte. Es sei nicht so schwierig, mit Deutschen ins Gespräch zu kommen. Aber danach werde es schwierig, eine persönliche Ebene zu erreichen. Woran das liege, wollen wir wissen. Zwei Gründe. Die polnische Mentalität sei expressiver. So teile man sich untereinander direkter mit, woran das Herz jubele oder leide. Die Deutschen ließen sich nicht so leicht in die Karten schauen und machten oft ein unergründlich frohes Gesicht. Natür-lich gäbe es auch einen pragmatischen Hintergrund: Freundschaft und Seelen-beichte seien keine Geschäfte, die sich in kürzester Zeit entwickeln könnten. Weder diesseits, noch jenseits von Oder und Neiße. Und weil die Austauschstu-denten oft nur wenige Monate zu Gast sind, stellt sich die Einsicht in die Not-wendigkeit von selbst: Sie seien hier vor-rangig um Deutsch zu lernen, nicht um neue Freundschaften aufzubauen.Wie sind die Rahmenbedingungen im Gastort, fragen wir weiter. Ehrliches und großes Lob gibt es für das Akade-

Mangelnde Akzeptanz

Johannes Paul II: „Polen und Deutsche sind sich als Nachbarnvon Gott gegeben.“

Über das Verhältnisvon Polen und Deutschen,Freundschaft und gute Nachbarschaft

Fotos: bert

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grenz(be)ziehungen

mische Auslandsamt, die Sprachlehrer und Universitätsdozenten. Sie alle gäben ihr Möglichstes, um ihnen einen erfolg-reichen Studienaufenthalt zu verschaffen. Überrascht sei man von der Lockerheit der Angestellten und Dozenten. Polni-sche Bürokraten und Universitätslehrer könnten sich eine Scheibe abschneiden.Eher unglücklich sind die Studenten mit der Art ihrer Unterbringung im Wohn-heim. In der Regel wohnen Polen mit Polen auf den Doppelzimmern. Allein schon der Sprache wegen würde man lieber mit deutschen Kommilitonen, we-nigstens aber mit Gaststudenten ande-rer Nationen das Zimmer teilen wollen. Enttäuscht sei man auch von der Situati-on, dass polnische Studenten die größte ausländische Delegation in Greifswald bilden. Man hätte sich eine größere, in-ternationale Durchmischung erhofft, um mehr Zeit im Dialog der Kulturen zu verbringen.

Deutschland, keine Heimat

Zuletzt fragen wir, was die Polen mit ihrer Erfahrung aus Greifswald zukünf-tig anfangen werden? Würden Sie nach dem Studium versuchen, in Deutschland zu arbeiten? Fast alle zieht es zurück in die Heimat. Allein der Freunde und Ver-wandten wegen, aber auch die fremde Sprache bildet oft eine Barriere in den zwischenmenschlichen Beziehungen. Gerne wollten sie beruflich an polnisch-deutschen Unternehmungen teilhaben, die beide Nationen verbinden. Die Stu-denten denken darüber nach, bestimm-te Vorzüge des deutschen Alltags nach Polen zu importieren, beispielsweise die offene und gelassene Atmosphäre zwischen Privatpersonen und administ-rativen Personal. Die deutsche Univer-sitätslehre wolle man wiederum hinter der Grenze zurücklassen. In der Heimat lerne man systembedingt effektiver und tiefgründiger. Das Bildungsniveau der deutschen Studenten lasse zu wünschen übrig. Mit einer Mischung aus Skepsis und Neid werden hiesige Studiendauer und Prüfungsmodalitäten beäugt.Diese selbstbewusste Einstellung er-zeugt Respekt bei uns, wenngleich man diese Sichtweise nicht uneingeschränkt teilen muss. Oder wie es Horst Köh-ler an der Warschauer Tafel sagte: „Man braucht auch die Kraft dafür, mit Offen-heit und ohne Verkrampfungen zu rea-gieren, wenn es einmal unterschiedliche Meinungen gibt. All das können wir uns heute zutrauen.“Freundschaft bedeutet darüber hinaus, sich gegenseitige Herzlichkeit zu erwei-sen. Darin sind unter anderen die Polen Weltmeister. Eine Kostprobe gaben die polnischen Studenten im Rahmen des

PolenmARkTes, finanziell und logistisch vom Auslandsamt unterstützt. Es wurde tagelang vorgekocht und Süßes geba-cken, deutschsprachiges Theater einstu-diert und am Ende drehte eine Kapelle aus der Nähe Stettins die Gitarrenver-stärker auf, zur völligen Begeisterung des polnisch-deutschen Tanzpublikums. Für die hier vorgenommene Sezierung des bilateralen Verhältnisses konnte neben all den Vergnügungen des Abends auch eine interessante Beobachtung gemacht werden: Die Polen kippten in einem be-

deutenden Punkt in ihre Rolle als belä-chelte Hinterwäldler zurück. Wie hieß das Motto des Abends noch gleich? Po-len zu Zeiten der sozialistischen Volksre-publik. Man kleidete sich zur Erheiterung aller Beteiligten in Kittelschürze und Kopftuch und zelebrierte die polnische Mangelwirtschaft der 80er Jahre. In ge-wisser Weise eilten die Organisatoren so dem tief verankerten Polenbild der Deutschen willfährig voraus. Ihre eigene Sicht der Dinge versteckten sie, sicher unbewusst, am Rande des Programms in einer kaum beachteten Diashow mit Fakten aus dem heutigen Polen. Unter den gezeigten Bildern moderner polni-scher Geschäftszentren- und Innenstäd-te war in der kommentierenden Unterti-telung von „polnischer Boomwirtschaft“ und der „polnischen Vorreiterrolle im Transformationsprozess der osteuro-päischen Staaten“ zu lesen. Schade das man es nur lesen konnte, denn in die-sem Bewusstsein steckt der eigentliche Schlüssel zum Erfolg von Horst Köhlers Auftrag. Erst wenn man in Deutschland die Polen als europäischen Partner auf gleicher Augenhöhe wahrnimmt und ak-zeptiert, wird es auch auf kultureller und zwischenmenschlicher Ebene eine breite Verständigung geben können. Polnisch als zweite Fremdsprache würde an deut-schen Schulen an Attraktivität stark ge-winnen. Touristen würden bedenkenlos mit dem Auto über die Grenze fahren. Deutscher Spargel müsste dann doch noch von Deutschen gestochen wer-den und mittelständische Handwerks-betriebe aus den neuen Bundesländern bemühten sich jenseits der Oder um alltägliche Aufträge.

Geschichte ad acta

Bis zu diesem Zeitpunkt wird noch viel Wasser die Oder hinunterfließen. Un-sere Gespräche mit polnischen Studen-ten zu beiden Seiten des Grenzflusses zeigten jedoch in einem Aspekt eine für die Zukunft günstige Konstellation. Die deutsch-polnische Geschichte im zwei-ten Weltkrieg hat im Umgang von Stu-dent zu Student kein Gewicht. Man will der deutschen Enkelgeneration nichts nachtragen, wenngleich die historischen Tatsachen im Hinterkopf bleiben. Natür-lich auch im Bewusstsein der Deutschen, bei denen sich dadurch jeder National-stolz in Eigenregie kaltstellt. Dies erweist dem polnisch-deutschen Umgang eine Wohltat. Eitle Ereiferungen über ethni-sche und kulturelle Vorzüge der Völker wird es so bald nicht wieder geben. Eine wesentliche Chance für das junge Polen, den nötigen Respekt aus Deutsch-land zu erlangen und zurückzugeben. bert

Oben: Austauschstudenten im Wohnheim: Deutschlernen kommt vor Freundschaft.

Unten: Rückfall ins alte Rollenbild: Wodka und Mangelwirtschaft auf dem polnischen Kulturabend Ende November 2005.

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auslandsaufenthalte

Was unterscheidet polnische von deutschen Studenten?Der polnische Student ist dem deut-schen überwiegend ähnlich. Es gibt den-noch Unterschiede: Er hat in der Regel bedeutend weniger Geld zur Verfügung. Nichtsdestotrotz geht der polnische Student leidenschaftlich gerne aus. Studenten in Polen sind sehr westeuropä-isch orientiert und haben im Allgemeinen gute Fremdsprachenkenntnisse. In Polen lebt man als Student in der Regel zu zweit, zu dritt oder gar zu viert in einem Zimmer und bezahlt im Schnitt etwa 200-300 Zloty (50-80 Euro) pro Monat.

Was unterscheidet Studieren in Polen von Studieren in Deutsch-land?Ein wichtiger Unterschied zum Studium in Deutschland ist die jahresbezoge-ne Strukturierung des Studiums. Der Eindruck, dass das Studium “verschulter“ ist, ergibt sich aus der Tatsache, dass in den Veranstaltungen Anwesenheitspflicht herrscht und dass in den Seminaren eine permanente mündliche Leistung gefor-dert wird – Schlafen selten möglich. Zur Beantwortung der im Unterricht gestell-ten Fragen ruft der Dozent oft rigoros aus der Liste der Teilnehmer auf. Die Studienbedingungen sind gut, man kann sogar sonntags in der Unibibliothek arbeiten, in den Fachbibliotheken auch samstags.

Wie klappt der „interkulturelle Austausch“?In der Regel gut. Jeder der Erasmusstu-denten hat eine/n Mentor/in zur Lebens-bewältigung im neuen Umfeld zur Seite. Man ist in Polen offen und herzlich, freun-det sich schneller an als in Deutschland. Ein Nachteil ist die quasi-separate Unterkunft der Erasmusstudenten. Es gibt das Bewusstsein für eine europäi-sche Identität und das Wissen über den westlichen Nachbarn ist in der Regel größer als unser Wissen über Polen.

aha, uli

Für ein Semester in Polenmoritz traf zwei Austauschstudenten aus Greifswald....

Über welches Austauschpro-gramm bist du nach Polen ge-kommen?Ich war über das Erasmus-Programm in Krakau. Im November des Vorjahres ging ich zum Akademischen Auslandsamt, das mich gleich weiter zu meinem Polonistik-Prof schickte. Er hat dann alles in die Wege geleitet. Nach Krakau zu gehen war überhaupt kein Problem. Ich bekam dort sogar einen Platz im Studentenwohnheim, habe dann aber doch privat gewohnt.

Was unterscheidet polnische von deutschen Studenten?Auf jeden Fall feiern sie beide gleich viel! Und polnische Studenten sind ungeheu-er kreativ und improvisationsfähig: Wenn einen der Prof in Krakau dazu verdon-nert, ein Buch zu lesen, das es nur in der Bibliothek von Danzig gibt, dann wird irgendwie eine Kopie organisiert.

Was ist unterscheidet Studieren in Polen von Studieren in Deutschland?Die polnischen Studenten müssen flei-ßiger sein. Das liegt sicherlich auch an dem deutlich hierarchischeren System an den polnischen Unis. Es gibt zwar genauso wie bei uns die Humboldtsche Einheit von Forschung und Lehre, aber die Distanz zwischen Studenten und Lehrenden ist größer.

Wie schätzt du die Beziehungen zwischen Polen und Deutschland allgemein ein?Nach dem aktuellen Regierungswechsel gibt es die Ankündigung, kompromisslo-ser mit Deutschland und der EU zu sein. Andererseits wachsen beide Länder auf der menschlichen Ebene stark zusam-men. Die größte Gruppe der Erasmus-Studenten in Polen sind Deutsche. Man wird in Polen eigentlich immer mit offenen Ohren und warm empfangen - besonders dann, wenn man ein wenig Polnisch kann! uli

Thomas Maier

ist inzwischen wie-der in Greifswald; studierte im Sommersemester 2005 Polonistikin Krakau

Georg Laaß

studiert Französisch, Englisch und Polnisch; ist zurzeit in Torun für sein (obligatorisches) Auslandssemester

Zum Studium nach Polen?Warum beim Auslandsaufenthalt nicht gen Osten statt gen Westen? Inzwischen ist Studieren in Polen nicht mehr nur für Slawistik-Studenten attraktiv. Tendenziell kann man dort jedes Fach studieren, ein Platz in einem Austauschprogramm sogar kurzfristig bekommen.Nichstdestoweniger ist gute Planung vonnöten: Auf jeden Fall empfehlen sich Polnisch-Kenntnisse, die vorab in einem Sprachintensivkurs erworben werden sollten. Teilweise werden Sprachkurse von den Austauschprogrammen oder den polnischen Universitäten angebo-ten. Andererseits gibt es Studiengänge auf Englisch, vereinzelte Seminare und Vorlesungen bisweilen auch auf Deutsch.Erste Anlaufstelle für Studenten, die ins östliche Nachbarland wollen, ist das Akademische Auslandsamt (AAA) in der Domstraße 8. Dort wird eine ausführlicher Beratung anboten und es liegen Infoblätter und Broschüren aus.Das Studiensystem in Polen ist dem deutschen sehr ähnlich. An den meis-ten Hochschulen gibt es aber keine Se-mester sondern das akademische Jahr. Die Lebenskosten sind in Polen gering. Hat man ein Stipendium, entfallen die Studiengebühren an der jeweiligen Hochschule. Auslands-BAföG ist mög-lich.Das SOCRATES/ERASMUS-Programm erlässt nicht nur die Studiengebühren, sondern zahlt zusätzlich ein monat-liches Stipendium von rund 75 Euro. Sprachkurse vor und während des Aufenthalts werden angeboten, ein Lernvertrag zwischen den beteilig-ten Hochschulen soll das nahtlose Weiterstudieren nach der Rückkehr ermöglichen. Anmeldeschluß für das nächste Wintersemester beziehungs-weise das Sommersemester 2007 ist Ende Februar 2006.Auch der Deutsche Akademische Auslandsdienst (DAAD) vergibt Stipendien, allerdings stärker leistungs-bezogen. Daneben bietet er jeden Sommer Polnisch-Sprachkurse an, die in diesem Jahr so wenig ausgelastet waren, dass sich der Anmeldeschluß auf den 15. Dezember verschiebt. Die Teilnahme ist immer ein gutes Argument für eine spätere Bewerbung um ein DAAD-Stipendium. uli

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polenmarkt

Ein Resümée des PolenmARkT ‘05 mit Professor Christian Lübcke, Vorsitzender des Greifswalder Kulturfestivals

moritz: Was ist das Ziel des PolenmARkTs?Uns liegt daran, den Greifswaldern die polnische Kultur näher zu bringen. Aus diesem Grunde bieten wir sie auch pur, dass heißt ohne deutsche Komponenten an. Wenn ich von Kultur spreche, umfasst das alle Gebiete: vom Leben über die Musik, Literatur, Wissenschaft und so weiter. So haben beispielsweise Mensa und s*bar während der Veranstaltungstage polnische Gerichte angeboten.

Wie war die Resonanz auf die diesjährigen Veranstaltungen?In diesem Jahr konnten wir 1.200 Besucher zählen, im Vergleich zum Vorjahr waren das 200 Interessierte mehr.

Die Tendenz ist steigend?Im Prinzip ja. Allerdings geht es uns nicht darum, eine breite Masse anzusprechen. Dies würde uns mit der Organisation zum Beispiel von polnischen Rockkonzerten sicher gelingen. Uns geht es aber darum, die Randbereiche der Kultur, wie etwa Kammerkonzerte, zu fördern.

Wann fing die Initiative „PolenmARkT“ an?In den 97/98-ern habe sich einige Slawistikstudenten zusam-mengetan, die ihren Schwerpunkt auf das Land Polen gesetzt hatten und dieses ihren Mitmenschen näher bringen wollten.

Wer und wie viele organisieren heute die Veranstaltungen? Machen auch Polen mit?Zu 90 Prozent sind wir Deutsche. Der harte Kern besteht aus ca. 20 Organisatoren. Allerdings sind eine Menge zusätzlicher Helfer bei einzelnen Programmpunkten zur Stelle.

Woher kommen die benötigten Gelder?Hauptgeldgeber ist zunächst einmal die Sparkasse. Die Universität hilft uns, indem Verwaltung und Organisationskosten in das Uni-Geschäft integriert sind. Zusätzlich haben wir uns in diesem Jahr an die Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit gewendet. Zuguterletzt haben wir auch eini-ge freie Förderer, die uns zur Seite stehen. Interview: ilia

Frédéric Chopin und Krzysztof Penderecki sind wichtig. Keine Frage. Die in Chicago lehrende und für ihren Verdienst an die polnische Kultur gewürdigte Marta Ptaszynska ist dem Greifswalder Publikum allerdings durch das Ensemble contro-verse keine Unbekannte mehr.Erstmalig erklang ihr Liederzyklus “Songs of Despair and Loneliness” und das durch Gemälde des französischen Symbolisten Odilon Redon angeregte Fantasiestück “Moon Flowers” im November 2003 während der Lesung von Günter Grass und Peter Rühmkorf.Während des diesjährigen PolenmARkTs führte Marta Ptaszynska als Gast des Greifswalder Kulturfestivals im Pommerschen Landesmuseum selbst in das Ensemble-Stück “Liquid Light” ein. Ein gutes Zeichen innerhalb des Deutsch-Polnischen Kulturjahres 2005/06, auch wenn der PolenmARkT sie in diesem Jahr leider nicht als Festivalschwerpunkt thema-tisierte.Anders sind in dieser Hinsicht die Bemühungen der Hochschule für Musik und Theater (HMT) in Rostock. Hier heißt es: “Grajmy razem – Spielen wir zusammen“. Mit der Konzertreihe sollen mit Wort- und Musikbeiträgen deutsche Zuhörer mit der polnischen Kunst vertraut gemacht werden und die Bekanntheit jungen Künstler auf dem deutschen Markt erhöhen. Das packende Meisterkonzert des Warschauer Cellisten Andrzej Bauer und des HMT-Professors Matthias Kirschnereit am 21. August ist nur ein gutes Beispiel innerhalb noch folgender Veranstaltungen. ur

Unbekanntes Polen?

Professor Lübcke (r.) bei der Verleihung des Förderpreises für Verdienste im Rahmen der deutsch-polnischen Zusammenarbeit an die Studentin Joanna Grzyna. Foto: ring

„Das Land Polen unseren Mitmenschen näher bringen“

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asta / stupa / kurznachrichten

AStAAllgemeiner Studierendenausschuss

Ihr findet den AStA im Audimax in der Rubenowstraße 1.

Telefon: 03834/861750 oder 561751 • Fax: 03834/861752E-Mail: [email protected]

Internet: www.asta-greifswald.de

Vorsitz: Thomas [email protected]

Uni-Jubiläum und Alumni-Arbeit: Stefanie [email protected]

Presse- und Öffentlichkeitsarbeit: Anja [email protected]

Internet und Technik: David [email protected]

Soziales und Wohnen: Stephanie [email protected]

BAföG und Studienfinanzierung: Katharina [email protected]

Kultur: Kathleen [email protected]

Ökologiefragen und nachhaltige Entwicklung:Thomas Maier, [email protected]

Hochschulpolitik: Torsten [email protected]

Außenbeziehungen und PartnerkontakteNatasja Ernst, [email protected]

Fachschaftsangelegenheiten und Gremienarbeit:Alexander [email protected]

Politische Bildung und Nachwuchs: Nico [email protected]

Studium und Lehre: Kristina Kü[email protected]

Lehrevaluation und -entwicklung: André [email protected]

Studierendenaustausch und Internationalisierung:Monika Peiz, [email protected]

Finanzen: Martin [email protected]

Buchung und Beschaffung: René Friedland [email protected]

Ausländer:Zoran [email protected]

Behinderte: Alexander [email protected]

Gleichstellung: Patrick [email protected]

Schwule und Lesben: Sandra Gü[email protected]

StuPaStudierendenparlament der EMAU

Präsident: Simon SiewekeStellvertreter: Kathrin Berger, Kai Doering

E-Mail: [email protected]

kurznachrichten

Fahrradfahrer zur Kasse gebetenMehr als 7.500 Euro hat das Land Mecklenburg-Vorpommern seit dem 27. Oktober dieses Jahres eingenom-men - durch Fahrradkontrollen in der Greifswalder Innenstadt. Wie die Greifswalder Polizei mit-teilte, wurden bis Ende November rund 1.100 Fahrräder kontrolliert, in 750 Fällen stellten die Beamten eine kosten-pflichtige Verwarnung aus. Also aufgepasst: Bei wem Vorder- und Rücklichter fehlen und auch die Bremsen abgenutzt sind, dessen Fahrrad droht vorübergehende Stillegung. uli

Poststelle ist FundbüroDie Poststelle in der Domstraße 58 erfüllt ebenfalls die Aufgabe eines Fundbüros an der Uni. Der AStA hat bisher Dinge, die im Audimax gefunden wurden, angenommen, ist aber nicht offiziell dafür zuständig und kann sich nicht um die Vermittlung kümmern. Finder und Sucher wenden sich bitte an die Poststelle. Thomas Maier

Geschenkte Geschenke verschenkenDer Umsonstladen in der Wolgaster Straße 2 feierte vor kurzem sein einjähriges Bestehen. Neben Alltagsgegenständen und Büchern finden sich in den Ladenräumen auch allerhand Skurrilitäten. Zwei Mal wöchentlich, dienstags von 12 bis 15 Uhr und freitags von 15 bis 20 Uhr, stehen die ehrenamtlichen Helfer der Initiative hinter der Ladentheke. Über mangelnden Zuspruch konnten sich die Ladenhüter rückblickend kaum beklagen. „Oft bilden sich lange Schlangen vor der Tür und hier ist es proppenvoll“, erzählt Brigitte Rabel stolz. sv

Internetrechner des AStA soll Klarheit bringenAuf der Internetseite des AStA befindet sich seit neuestem ein Nebenkostenrechner, um Klarheit in die jährliche Abrechnung der Stromlieferanten zu bringen. „Viele Studenten scheinen sich jedes Jahr in diesem Punkt zu verplanen und wer-den dann mit hohen Nachforderungen konfrontiert“, meint Thomas Maier, AStA-Co-Referent für Ökologie. Dabei kön-nen nicht nur Studenten dies sehr leicht umgehen, denn wer seine Kosten regelmäßig kontrolliert, kann den monatlichen Abschlag an seinen realen Verbrauch anpassen. Die Excel-Datei mit dem Rechner und eine genaue Beschreibung sind auf www.asta-greifswald.de zu finden. Anja Goritzka

Peter Martens präsentiert Skurrilitäten im Umsonstladen. Foto: sv

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kurznachrichten / studentenwerk

Verhandlungskompromiss erreichtUnter Androhung einer erneuten Klage hat der AStA erreicht, dass sich weitere 25 Studenten in den zum Wintersemester geschlossenen Bachelor-Studiengang Erziehungswissenschaft einschreiben können. Die erste Klage war im September zu Gunsten einer inzwischen eingeschriebenen Ewi-Studentin ausgegangen. Vom AStA bejubelt, entpuppte sich deren Klage im Nachhinein aber als Einzelfallentscheidung. Rektorat und Studentensekretariat lehnten weitere Einschreibungen ab; am Institut gebe es für noch mehr Studenten zu wenig Personal. „Das stimmte aber gar nicht“, so Kristina Kühn, AStA-Referentin für Studium und Lehre. Die angedrohte Klage stand weiter im Raum, dann half das Glück nach. Just vor einer neuen Gesprächsrunde im Rektorat hatte Prorektor Claus Dieter Classen in Schwerin Geld für weiteres Personal zugesichert bekommen und sicher-te dem AStA daraufhin 25 weitere Einschreibemöglichkeiten zu. Noch kann man sich im Studentensekretariat umschreiben, ein formeller Antrag ist nicht nötig. uli

kurznachrichtenStudierendenparlament fordert Gleichberechtigung Das StuPa hat auf seiner letzten Sitzung den akademischen Senat aufgefordert, die Studierendenschaft als gleichberech-tigte Teilkörperschaft anzuerkennen. „Zurzeit sind wir in der Grundordnung der Universität schlechter gestellt als die anderen Gruppen“, sagt Simon Sieweke, Präsident des Studierendenparlaments. Nach der derzeitigen Regelung kann etwa bei der Besetzung des Rektorats ein Dekan auf Beschluss seines Fakultätsrats einen Kandidaten vorschlagen. Studierendenvertretern ist dies nicht erlaubt. ring

StuPa mit neuer InternetseiteDie Internetseite des StuPa hat seit dem 28. November ein neues Gesicht. „Bessere Übersichtlichkeit und mehr Transparenz“, verspricht die stellvertretende Präsidentin des Gremiums, Kathrin Berger. So kann die jeweils aktu-elle Tagesordnung nebst Anträgen heruntergeladen wer-den. Das Präsidium, die Vorsitzenden der AGs sowie der Haushaltausschuss sind zukünftig besser zu erreichen. Die Internetseite ist unter asta.uni-greifswald.de/stupa/ zu errei-chen.

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Eric Kibler,Mitglied seit Juni 2002

Was hat sich in den letzten zwei Jahren durch die Arbeit des Verwaltungsrates für die Studenten verbessert?Genau gesagt: keine Ahnung. Wir haben Kriterien für die Wohnheimplatzvergabe verab-schiedet. Außerdem wurde die Transparenz in der Mittelver-

wendung für soziale und kulturelle Projekte erhöht.

Welche Themen muss der Verwaltungsrat in Zukunft dringend anpacken?Die Wohnsituation in den Wohnheimen muss verbessert werden und die geringe Versorgungsquote erhöht werden. Ein ganz aktuelles ist die Kita für Studierende. Außerdem wird gerade ein Leitbild des Studentenwerks entworfen. Auch steht derzeit der Weiterbetrieb der Cafeteria im Klinikum in Frage.

Warum sollte sich je-mand in den Verwal-tungsrat wählen las-sen?Auf jeden Fall nicht, um die Pommes-Sorte zu ändern! Wer sich sozial engagie-ren und Erfahrungen in Gremien sammeln möchte, ist hier goldrichtig.

Tobias Linke, Mitglied seit eineinhalb Jahren

Was hat sich in den letz-ten zwei Jahren durch die Arbeit des Ver-waltungs-rates für die Studenten verbessert?Ich bin mit den Ergebnissen der Arbeit selbst eher unzu-frieden. Die Entscheidung über die Sanierung und den Ausbau der Beimlerstraße, welche sich ja positiv auf den gesamten Wohnungsmarkt auswirkt, war richtig. Auch wenn dafür die Mieten zum ersten Mal seit vielen Jahren um 15 Euro erhöht werden mussten.

Was war dein spezielles Thema, für das du dich eingesetzt hast?Das sind die drei wesentlichen Themen: Wohnen, Essen und Kinderbetreuung. Bei der Kinderbetreuung und beim Wohnen sind wir auf dem richtigen Weg. Beim Thema Essen war mir persönlich wichtig, dass wir eine höhere Kostendeckung errei-chen und dass der Verkauf an Nicht-Studierende nicht durch unsere Semesterbeiträge subventioniert wird.

Welche Themen muss der Verwaltungsrat in Zukunft dringend anpacken?

Die Kinderbetreuung ist für die Attraktivität Greifswalds als Hochschulstandort aber auch für die Gleichberech-tigung extrem relevant. Wir werden entscheiden müs-sen, ob und wie stark wir diesen Bereich auch finan-ziell unterstützen.

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Sozialpolitik mitgestaltenVerwaltungsratsmitglieder des Studentenwerks werden neu gewählt

Im Januar 2006 wählt das Studierendenparlament die sechs studen-tischen Vertreter für den Verwaltungsrat des Studentenwerks. moritz sprach mit zwei Mitgliedern der zuende gehenden Legislatur.

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KommentarBildung ist keine Ware

Am 16. November ging es in Greifswald das erste Mal seit langem wieder heiß her.Schon die Senatssitzung im Krupp-Kolleg hatte es in sich gehabt. Der angereiste Rektor der Uni Rostock, Hans Jürgen Wendel, versicherte in seiner eröffnen-den Ansprache Einigkeit mit Greifswald in der Ablehnung einer „Abschaffung der Bildungspolitik“ durch Schwerin. Rektor Wendel warf Bildungsminister Metelmann vor, eine rigorose Kürzungs-politik unter dem Deckmantel der Refor-mation der Hochschullandschaft durch-zuführen. Die einzig mögliche Reaktion darauf sei das Schmieden von Allianzen im Bereich des Möglichen. Genau das scheint aber jenen nicht zu reichen, die wenig später für Unmutsäußerungen im Senat sorgen sollten.Zuerst sollte im Senat aber noch eini-ges diskutiert werden. Es wurde darü-ber gesprochen, dass Prognosen über die Entwicklung der Studentenzahlen von der Landesregierung anscheinend völlig ignoriert werden. Darüber, dass überhaupt nicht ersichtlich sei, wer

Bildung ist keine Ware. Angesichts von Kürzungsbebatten droht nun die Wirtschaftlichkeit das einzige Ent-scheidungskriterium für die Weiterführung und Schließung von Studiengängen zu werden. Wer nicht genug Profit bringt oder wo der wirtschaftliche Nutzen nicht eindeutig ist, wird geschlossen. Denn er hat wohl keinen „Wert“ für die Gesellschaft. Nur können wir es uns leisten, Bildung vom wirtschaftlichen Nutzen abhängig zu machen? Können wir es uns leisten, Bildung zu einer Ware verkommen zu lassen? In einer Zeit großer ethischer Fragen, wie zum Beispiel im Bereich der Gentechnik oder der Kriegsführung, ist es überle-benswichtig, ethische Werte zu haben und solche, die diese hochhalten. In einer Zeit, in der die Gewinne von Großkonzernen in gleichem Maße zunehmen wie die Menschlichkeit abnimmt, ist es essentiell, moralische Werte zu haben. Diese Institutionen sind nicht nach wirtschaftlichen Maßstäben zu bemessen, da sie ers-tens keine direkten „Gewinne“ einfahren und zweitens ihr Wert ungleich höher liegt. Die Bildung darf keine Ware werden, mit der wie auf einem türkischen Basar gehandelt wird. Die Bildung ist eines der höchsten Güter der Menschheit und wir sollten sie mit Sorgfalt behandeln. Christopher Trippe, Mitglied der Protestgruppe

Die Protestgruppe trifft sich jeden Donnerstag um 20.30 Uhr im Hörsaal 1, Audimax.

in Schwerin nun wirklich Macht in der Bildungspolitik ausübe. Dass gar eine Vermischung von Exekutiv- und Legislativorganen zu erkennen sei. Und die Planungen zu Schließungen und Zusammenlegungen von Instituten in Rostock und Greifswald wurden einhel-lig und gereizt verdammt.Die Probleme sind also auch dem Senat bekannt. Aber was für Lösungsansätze sieht dieser dafür? Viel kam da nicht zu Tage, nur die schon genannten Allianzen im Bereich des Möglichen und ein Grundtenor der vagen Hoffnung auf anders denkende Entscheidungsträger im Laufe der Zeit. Zeit wird der Kürzungsprozess wohl noch reichlich in Anspruch nehmen. Aber ist die Hoffnung auf andersdenken-de Politiker berechtigt? Vor allem: Darf es uns reichen, uns in dieser Hoffnung mehr oder weniger mit der Situation abzufinden?

Protestgruppe besetzt Rektorat

Ein lautes „Nein!“ schienen 20 Stu-

denten in den Saal transportieren zu wollen, als sie um 15.30 Uhr das Rektorat Rainer Westermanns besetz-ten. Die Reaktionen auf diese Meldung im Senat ließen vermuten, dass man sich emotional schon von den direkten Anliegen der Studenten abgegrenzt hat: Abstempelndes Kopfschütteln, mitleidi-ges Lächeln, spröde Entrüstung.Jedenfalls verließen die Prorektoren Classen und Festge alsdann den Saal, um mit den Besetzern zu verhandeln. Die rege Telefoniererei, die daraufhin vor den Türen des Saales einsetzte, ließ den Rest der Sitzung zum Begleitprogramm verkommen. Rektor Westermann mein-te gegenüber dem moritz auf dem Flur des Krupp Kollegs, er halte die Aktion „der Sache der Besetzer nicht dienlich“. Diese waren da natürlich ande-rer Ansicht. Im organisierten Chaos, das das Rektorat beherrschte, bezeichnete Torsten Heil, eigentlich hochschulpoliti-scher Referent des AStA, die Motivation der Besetzer so: „Vielleicht müssen wir etwas rebellischer werden, um in der Hochschuldiskussion überhaupt noch wahrgenommen zu werden.“ Teile des AStA sympathisieren offen mit den Besetzern.Den letzten Anstoß zur Rektoratsbe-setzung hatten die Position und die Poli-tik Rektor Westermanns gegeben. Nach Meinung der Besetzer, unter denen auch einige StuPa-Mitglieder waren, vertre-te dieser schon lange nicht mehr die Position der Studierendenschaft und mehrer Fakultäten. Dann habe er auch noch Beschlüsse über den Senat hin-weg durchgesetzt und im Vorfeld der Besetzung diverse Male ausdrücklich jeden Dialog mit Protestgruppe und AStA abgelehnt. Die Protestgruppe erreichte durch gute Organisation der Besetzung jedoch alle ihre Ziele. Das Sit-in konnte die Nacht über fortgesetzt werden, was dem Symbolwert zugute kam. Offiziell ist die Besetzung nur ausgesetzt, soll also als Druckmittel drohend im Hintergrund

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Bambule im RektoratDie Greifswalder Protestgruppe wird aktiv

Foto: bert

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Die nächste Wahl des Studierendenpar-laments (StuPa) steht vor der Tür und es werden noch Wahl-helferInnen gesucht. Mitte Januar soll die Wahl vonstatten gehen und neben den WählerInnen und den KandidatInnen, sind die WahlhelferInnen der wichtigste Part der Wahl. Sie sind es, die an den Wahlurnen sitzen und dazu beitra-gen das die Wahl ordnungsgemäß abläuft. Einzige Bedingung ist, dass Du nicht für das StuPa kandidierst.

Damit die Wahl auch möglich ist und die stu-dentische Selbstverwaltung weiterhin akti-onsfähig ist, brauchen wir Dich.

Wenn Du Lust und Interesse hast, dann melde dich beim Wahlleiter Nico Lamprecht unter folgender E-Mail: [email protected] oder einfach im AStA-Büro in der Rubenowstraße1.

Vielen Dankfür Dein Engagement.

Achtung:

Wir brauchen

Deine Hilfe!

WahlhelferIn

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gesucht!

Mit dem Wort „Hochschulpolitik“ löst man an dieser Universität meist eine von zwei möglichen Reaktionen aus.Zum einen gibt es da die hochschulpo-litisch Interessierten. Meist handelt es sich bei dieser Spezies um die engagier-ten Gremienmitglieder selbst, die sich freiwillig der Aufgabe stellen, mit den Verantwortlichen zu debattieren. Zum anderen gibt es da die Muffelfraktion, die Hochschulpolitik, Proteste und Demos vermeintlich überhaupt nichts angeht. Sie vertreten die Mach-ich-nich-mit-bringt-ja-eh-nix-Mentalität. Wahlquoten unter 10 Prozent und An-wesenheits-zahlen bei Vollversammlungen, die keine Beschlussfähigkeit zulassen, beweisen, dass die zweite Gruppe augenschein-lich die absolute Mehrheit an der Greifswalder Universität hat.Doch sind nicht im April diesen Jahres so einige hundert Studierende mit zur Großdemonstration nach Schwerin gekommen? Das können doch nicht alles Kunstgeschichtsstudierende gewe-sen sein, die sich das Schweriner Schloss anschauen wollten? Wohl eher nicht: Alle freuten sich, einen Tag unifrei zu haben. Oder political correct: Das brisante Thema der Hochschulreform im Land geht schließlich jeden von uns an.Im Frühjahr gab es kaum ein wichtigeres Thema. Vorlesungen wurden mit der aktuellen Situation eingeleitet und wo man hinsah, waren Protestlisten aus-gehängt und Spruchbänder angebracht

nach dem Motto „Stirbt die Uni, stirbt das Land“. Kritiker könnten jetzt fragen, was das alles gebracht hat. Denn die Diskussion hat sich dahingehend verla-gert, dass nur noch verhandelt wird, wel-che Studiengänge als nächstes geschlos-sen werden. Ein weiteres Problem ist, dass die Dis-kussion im Sande verlief. Aber ist sie das wirklich? Keiner weiß so recht, welche Entscheidungen als nächstes anstehen. Aber würde eine gründliche Aufklärung der Studierenden überhaupt etwas brin-gen? Ist es nicht eher so, dass sich wie-der nur die Beteiligten mit sich selbst beschäftigen würden?Und schließlich kann sich doch jeder selbst informieren. Politische Transparenz ist zumindest zu einem großen Teil gege-ben. Die Sitzungen der Ausschüsse sind offen, doch leider ist der Einblick in die aktuelle hochschulpolitische Lage mit einem erheblichen Aufwand verbun-den. An dieser Stelle kann schnell alle Motivation schwinden.Trotz aller Diskussionen um die Hochschulpolitik, Einigkeit besteht zumindest darin, dass eine Vertretung der Studierenden wichtig und uner-lässlich ist. Selbst kandieren wollen trotzdem die wenigsten. Das Wort „Hochschulpolitik“ bürgt ein riesiges Konfliktpotenzial – Desinteresse vor-werfen lassen will sich schließlich auch keiner.

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bestehen bleiben.Das Wichtigste jedoch ist das entstandene Nachspiel. Rektor Westermann erklärte sich dazu bereit, mit der Protestgruppe umfangreiche Gespräche zu führen, was auch durch die Angst vor einer erneu-ten Besetzung begünstigt worden sein mag. In diesen soll es nicht um die Verschiebung von Stellenstreichungen innerhalb der Universität gehen. Vielmehr wollen die Verhandelnden einen Diskurs über die grundsätzliche Ausrichtung der Universität führen. Ergebnisse gab es noch keine.

Vollversammlung nicht beschlussfähig

Auf der abendlichen Vollversammlung fanden sich rund 510 Studenten ein. Man war deshalb zwar nicht beschluss-fähig, hat aber trotzdem abgestimmt. Die Stimmung war, wie von den weni-gen interessierten Studenten zu erwar-ten, begründet antischwerinerisch. Dass aber der größte Feind, wenn man ihn

denn so nennen will, nicht im Rektorat sitzt, musste Simon Sieweke erst noch einmal anmahnen. Sonst wäre es wohl keinem wirklich aufgefallen, geschweige denn aufgestoßen, dass der entspre-chende Antrag der Rektoratsbesetzer sich zuerst einzig gegen den Rektor wendete. Anschließend zog man vor die Fenster des Rektorats, um sich an der Situation zu erfreuen und alsbald wieder nach Hause zu gehen. Am ersten Verhandlungsfreitag der Nachgespräche kam es zu einem regen Gedankenaustausch, der bald die Notwendigkeit weiterer Diskussionen deutlich werden ließ. Der zweite Freitag, an dem verhandelt wurde, brachte auch nicht viel Neues. Rektor Westermann hatte nur eine Stunde lang Zeit und man vertagte sich.Doch scheinen die interessanten Teile der Debatten noch anzustehen. Rektor Westermann muss sich laut Benjamin Schöler, Mitglied der Protestgruppe, in Zukunft auf gezielte Rückfragen ein-

stellen. Das wird ihn wahrscheinlich aus der Reserve locken, hat er doch in den letzten Debatten schon arg emotional reagiert. So soll er den Geographie-Professore Helmut Klüter wegen seiner aktiven Beteiligung an der öffentlich Debatte als den „größten Scharlatan unter der Sonne“ bezeichnet haben.Den Umbau der Universität hätte der Plan des Rektors laut Benjamin Schöler sowieso vorgesehen – auch ohne Kürzungsdruck aus Schwerin.Mittelfristig verspricht sich die Protestgruppe von den Gesprächen nicht nur einen konstruktiven und grundsätzli-chen Dialog. Im Idealfall sollen sich auch eine oder mehrere große öffentliche Podiumsdiskussionen ergeben. kos

Mehr Infos: www.gewissenlos.info

Politikmuffel vs. engagierter Reformator?

Ein Lagebericht

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Als ein an Lehre und Forschung inter-essierter Mensch in M-V hatte man es im Jahr 2005 nicht leicht. Denn schein-bar innovative Visionen wurden in die-sem Jahr vom Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur, genauer gesagt von Minister Hans-Robert Metelmann, beschlossen.Der Höhepunkt des regen Treibens war bis jetzt der 29. November. An diesem Tag trug der Bildungsminister sein endgültiges Hochschulkonzept im Landeskabinett vor. Dieses stimmte dem Papier zu, das nach Beschneidung der Hochschulautonomie die Neuordnung der Hochschullandschaft organisieren soll. Der Inhalt muss alle von den Kürzungen betroffenen Lehramtsstudenten sowie angehende Altertumswissenschaftler, Theologen, Anglisten/Amerikanisten und Erziehungswissenschaftler, aber auch alle anderen Studierenden und Mitarbeiter der Greifswalder Universität auf-rütteln, denn kein Fachbereich wird aller Voraussicht nach ab 2006 an den Kürzungen vorbei kommen.Doch Metelmann begann bereits am 14. Januar 2005 seine Vision einer qualitativ hochwertigen und international kon-kurrenzfähigen Hochschullandschaft in M-V zu verkünden. Zwei Wochen später teilte er mit, dass seine „gute“ Vision mit der weniger visionären Kürzung von 652 Stellen an den Hochschulen einher-gehen wird. Im Schloss Hasenwinkel bei Schwerin veröffentlichte er dann, dass 199 Stellen allein an der Universität Greifswald gekürzt werden sollen. Das zähe Ringen um Hochschulautonomie begann.So wurde durch die Universitätsrektoren Wendel und Westermann Mitte Februar auf den visionären Kürzungsplan der Landesregierung geantwortet. Beide folgten den deutlichen Appellen aus dem Bildungsministerium und leg-ten eine weitreichende Liste von Kürzungen und Zusammenführungen von Instituten und Fakultäten vor. An sich keine Besonderheit, wenn man die Kompetenzen der Hochschulsenate außen vorlässt. Der Greifswalder Senat lehnte die westermann-wendelschen

Visionen nach heftigen Protesten im März ab. Der Rostocker Rektor zog die plötzlich nicht mehr visionäre Vision wieder zurück. Als Nebenkriegsschauplatz trat sich im März dieses Jahres die Änderung des Landeshochschulgesetztes (LHG) her-vor. Das Bildungsministerium arbeitete hinter verschlossenen Türen an einer Modifizierung des LHG mit dem Ziel, gemeinsame Fachbereiche zwischen Hochschulen einzurichten, Studierende von einem Hochschulstandort zum anderen verschicken zu können und selbst als Ministerium Studiengänge eröffnen und schließen zu können.Währenddessen lud Bildungsminister Metelmann Mitte März die Hochschul-rektoren auf das idyllische Schloss Hasenwinkel. Grund war eine schriftliche Vision: Eine Liste von Kompetenzfeldern sollte den Hochschulen eröffnen, was das Land in den nächsten Jahren für sinnvolle Arbeitsschwerpunkte der Hochschulen wünscht.Das Kompetenzfelderpapier löste Proteste aus, so dass am 20. April 2005 ein bis dato einmaliger studen-tischer Staffellauf durch das gesamte Bundesland, der alle Hochschulstandorte verband, stattfand. Er fand am 21. April 2005 sein Ziel vor dem Schweriner Landtag, wo eine Großdemonstration aller Hochschulen mit über 4.500 Teilnehmern durchgeführt wurde.Exakt eine Woche später präsentier-te ein sichtbar unberührter und von Visionen – pardon: Halluzinationen – getriebener Hans-Robert Metelmann im Schloss Hasenwinkel ein weite-res Kompetenzfeldpapier, dass kon-kret für jede Hochschule bestimmte, was dort noch als Studiengang oder Servicefunktion vorhanden bleiben soll.Als Reaktion darauf befasste sich der Greifswalder Senat mit der künfti-gen Universitätsstruktur. Minister Metelmann hatte bereits auf der ver-gangenen Sitzung als Gast verspro-chen, dass die Hochschule, sollte sie ein sinnvolles Gesamtkonzept zur Hochschulentwicklung vorlegen, weni-ger Stellen kürzen müsste.

Dies nahm der Senat zur Grundlage und beschloss ein Konzept, das bei 150 weg-fallenden Stellen, wenige Fachbereiche schließen und sinnvolle Synergien frei-geben würde. Im Juni wurden mit teils knappen Mehrheiten 32 Studiengänge eingestellt und sich an die Umsetzung des Konzeptes gemacht.Am 29. Juni wurde dann erneut in Hasenwinkel über die Vorschläge der Hochschulen nachgedacht und das Bil-dungsministerium legte „überra-schend“ eine fertige Gesetzesänderung des Landeshochschulgesetzes vor, dass die Hochschulautonomie beschneiden und Hochschulstrukturveränderungen auch dem Bildungsministerium ermög-lichen soll. Damit brach der öffentliche Dialog zwischen Bildungsministerium und Rektoren ab und es folgten zähe Einzelverhandlungen. Anfang Oktober muss Metelmann wieder einer politischen Vision erle-gen sein. Denn er verkündete, dass Greifswald nunmehr statt 199 Stellen 213 Personalstellen streichen soll. Damit führte er sein Versprechen einer verrin-gerten Stellenkürzung in Greifswald und damit das Senatskonzept ad absurdum.Und wo bleiben nun Forschung und Lehre an der Greifswalder Universität? Fakt ist, dass durch die Schließung von 32 Studiengänge im Juni diesen Jahres das Studium in Greifswald extrem einge-schränkt wurde und so mancher poten-tielle Student sich für einen anderen Studienort entschied. Fakt ist auch, dass viele Studiengänge jetzt schon überlau-fen sind und dass Sitzen auf den Stufen eines überfüllten Hörsaales für viele Studierenden zum Alltag gehört. Fakt ist, dass sich durch die Streichung von 213 Personalstellen an der Universität bis 2017 diese Lehrsituation weiter ver-schlechtern wird und viele zukünftige Studierende davon abgeschreckt werden hier zu studieren. Ein Teufelskreis also. Doch nun entstehen noch diaboli-schere Visionen ganz anderer Art. Der Greifswalder Senatsvorsitzende Wolfgang Joecks denkt laut über die Einführung von Studiengebühren nach, um die bei der Stellenstreichung aus-fallenden Gelder abzufangen. Das Land Mecklenburg-Vorpommern geht jetzt schon finanziell und demographisch am Krückstock. Doch wie soll man dies ändern, wenn man einer Region einen wirtschaftlich wichtigen Motor, die Universität, nimmt? Das Jahr 2006 wird neben dem Jubiläumsjahr wohl ein weiteres Jahr der grauenhaften Visionen werden. Bleibt nur noch die Frage: Was denken Sie sich bei Ihren Visionen, Herr Minister Metelmann?

Thomas Schattschneider, AStA-Vorsitzender

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Das Jahr der VisionenEin hochschulpolitischer Jahresrückblick

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nachgefragt

Die Novellierung des Landeshochschulgesetzes (LHG) wird die bestehende Hochschulautonomie stark beschränken, so sie in der zweiten Lesung im Schweriner Landtag ange-nommen wird. Anlässlich der Aktualität dieser Novellierung fragte moritz bei den Landtagsfraktionen SPD (Regierung), Linkspartei.PDS (Regierung) und CDU (Opposition) nach den individuellen Standpunkten zu der Diskussion.

Wie steht Ihre Fraktion zum Gesetzesentwurf zur Novellierung des Landeshochschulgesetzes des Bildungsministeriums?

Ist diese Position einheitlich oder gibt es auch Gegenstimmen innerhalb der Fraktion?

Wie steht es um Ihre persönliche Meinung zu diesem Vorhaben?

Sind Landespolitiker im Bildungsministerium das qualifizier-teste Personal, um Entscheidungen über die universitäre Verwaltung zu fällen?

Andreas Bluhm, hoch-schulpolitischer Sprecher der Landtagsfraktion der Linkspartei.PDS

Die Fraktion stimm-te der Überweisung

des Gesetzentwurfes in die Ausschüsse in 1. Lesung mehrheitlich zu. Die End-abstimmung kann jedoch erst nach der Behandlung im Bildungsausschuss auf der Grundlage einer Beschlussempfehlung des Ausschusses und einer 2. Lesung im Landtag – voraussichtlich im Januar 2006 – erfolgen. Somit sind noch Änderungen oder Ergänzungen des vorliegenden Ge-setzentwurfs möglich.

Es gab bei der Abstimmung auch Gegenstimmen und Stimmenthaltungen in der Fraktion der Linkspartei.PDS.

Ich sehe die Notwendigkeit des Gesetzentwurfes, um vor dem

Hintergrund der vielschichtigen und komplizierten Rahmenbedingungen eine zukunfts-, leistungs- und kon-kurrenzfähige Hochschullandschaft unter der Prämisse der Erhaltung aller Hochschulen zu sichern. Dabei gehe ich immer noch davon aus, dass es gelingt, einen Konsens zwischen allen Beteiligten zu erreichen und damit die geplanten Eingriffsmöglichkeiten des Gesetzentwurfs nicht anwenden zu müssen.

Nach dem LHG hat das zuständi-ge Ministerium einen gesetzlichen

Auftrag zur Gestaltung und Mitwirkung im Hochschulbereich, der Gesetzeskraft hat. Da sich die Frage auf die universi-täre Verwaltung bezieht, ist von qualifi-zierten Entscheidungen auszugehen. Die Eingriffsmöglichkeiten in die Prozesse der Lehre und Forschung sind nach dem Grundgesetz, der Landesverfassung und dem LHG des Landes der Autonomie wegen berechtigterweise sehr be-schränkt.

Landtagsexperten zum LHG

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HF Jeeser

16. – 24.12.05

Mathias Brodkorb, hochschulpolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion

Die SPD-Frak-tion hat bisher

noch nicht über die LHG-Änderung beraten.

Siehe Antwort zu Frage 1.

Eine abschließende Meinung zur Änderung des LHG werde ich mir

erst nach der geplanten Anhörung bil-den.

Soweit ich weiß, wurde in der Hochschulreformdebatte nicht

über „universitäre Verwaltung“ bera-ten. Auch arbeiten aus Gründen der Gewaltenteilung keine Abgeordneten in Ministerien mit. Abstimmungsprozesse in besonders wichtigen politischen Fragen zwischen Regierung und Fraktionen sind jedoch nicht ungewöhnlich. kos

Ilka Lochner-Borst, b i l d ung spo l i t i s c h e Sprecherin der CDU-Landtagsfraktion

Die CDU-Land-tagsfraktion lehnt

diesen Gesetzentwurf ab. Er stellt eine Ein-schränkung der Hochschulautonomie dar, die 2001/2002 in einem mühsa-men Gesetzgebungsverfahren durch die Hochschulen auf eine konstruk-tive Art und Weise erstritten wurde. Nach Ansicht der CDU-Fraktion geht im gegenwärtig gültigen LHG die Hochschulautonomie nicht weit genug. Die Haushaltspolitik der Landesregierung greift durch ständige Einsparungen, Kürzungs- und Schließungspläne massiv in die ohnehin beschränkte Autonomie der Hochschulen ein.

Diese Position ist einheitlich, weil die CDU die Hochschulen in

Mecklenburg-Vorpommern als einen der nachhaltigsten Entwicklungsfaktoren des Landes betrachtet.

Die Antwort auf Frage 1 stellt meine persönliche und meine parteipoliti-

sche Meinung dar. Als Mitglied der CDU und als hochschulpolitische Sprecherin werbe ich dafür, dass meine persönliche Meinung auch Meinung meiner Fraktion und Partei wird.

Die Frage stellt sich mir anders: Wie versetzen wir als Politiker die

Univerwaltungen in die Lage, Hochschul-autonomie im Interesse der Hochschule und des Landes mit Leben zu erfüllen? Ich will, dass sich Hochschulen auch dem Interesse des Landes verpflichtet fühlen. Daher ist das angestrebte Prozedere beim Abschluss von Zielvereinbarungen im gültigen LHG der richtige Weg. Ich sehe es kritisch, dass Bildungsbürokraten für sich in Anspruch nehmen, die Breite und Tiefe von Hochschulstrukturen treffsicher zu beurteilen.

Infos unter 03835/153930 oder

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uni-personalia

Wenn eine Universität ihren „Presse-sprecher“ entläßt, dann muss sie ihn gleich gründlich rausschmeißen. Um 12.10 Uhr am 16. Februar dieses Jahres erfuhr Edmund von Pechmann, dass sein Arbeitsverhältnis mit der Ernst Moritz Arndt-Universität beendet sei. Schon am selben Tag war das Telefon in sei-nem Büro in der Baderstraße tot, sein Uni-E-Mail-Account gesperrt. Auf der nachmittäglichen Senatssitzung hieß es dann, von Pechmann sei „verhaltensbe-dingt“ gekündigt worden. Rektor Rainer Westermann wünschte

dem Entlassenen noch zum Abschied, er möge mit der schwierigen Situation gut umgehen.Vier Er- und Abmahnungen, 61 „Uni-Jour-nale“ und vier „Universitätszeitungen“, unzählige Pressemitteilungen sowie einige Skandälchen und Skandale frü-her kam von Pechmann 1994 nach Greifswald. „In ein Provinznest am Rande Deutschlands“, wie er heute sagt, „das nicht mal telefonisch vernünftig erreichbar war.“ Das einzige, was die deutschlandweite Öffentlichkeit aus Greifswald vernahm, war der gute Ruf der Medizin.Das sollte sich ändern. Von Pechmann übernahm die Pressestelle und fing an zu schreiben, mit spitzer Feder und feiner Beobachtungsgabe. In den Uni-Journalen und diversen Pressemitteilungen lief er zu Hochform auf. Die „Zeit“ titulierte den Sprachkünstler 1996 als „Vater der frechsten Unizeitung Deutschlands“. Sein feinsinniger, bisweilen auch ironischer Stil lese sich „wie Simplicissimus, FAZ und Titanic zugleich“. Von Pechmann hatte, was er für die Uni Greifswald wollte: deutschlandweite Aufmerksamkeit.Auch in der Universität war ihm Aufmerksamkeit gewiss. „Man hat viel hineingedeutet in meine Texte“, wundert er sich bis heute. Wer wollte, der konnte immer so einiges aus ihnen herauslesen. Uni-interne Intrigen und Herabsetzungen tolerierte von Pechmann nicht und streute die eine oder andere Andeutung in seine Texte. Während die eine Hälfte

der Uni über Sprachphantasie, Stil und mutigen Journalismus jubelte, moserte die andere Hälfte über falsch verstan-dene Öffentlichkeitsarbeit und Insider-Geschreibsel. 2001 rutschte von Pechmann bei der Beschreibung der abgerissenen Duschbaracken im Studentenwohnheim Fleischerwiese das Wort „auschwitz-artig“ heraus. Die Uni-Öffentlichkeit erbebte, es gab persönliche Angriffe und Morddrohungen. Der damalige

Rektor Hans-Robert Metelmann stellte sich hinter ihn, nach-dem er ihm bis zur Aufklärung kurzzeitig sein Amtes entzogen hatte. Nicht so Rainer Westermann, damals Dekan der Philosophischen Fakultät.Mit der Investitur Westermanns zum Rektor im Winter 2003 wurde das Eis dünn für von Pechmann. Als Ende 2003 der langjährige Kanzler Carl Heinz Jacob in Pension ging, tauchte die erste Abmahnung aus der Schublade auf. Gleichzeitig wurde die Personalchefin Christiane Müller versetzt. Sie entging der Entscheidung mehr oder weni-ger, indem sie in Speyer zur Kanzlerin ernannt wurde.Von Pechmann berichtete sowohl über Müllers Ab- und dann Weggang als auch über Jacobs Verabschiedung – und handelte sich prompt eine Abmahnung von Rektor Westermann ein. Im Christiane-Müller-Artikel ver-wies von Pechmann auf deren hervor-ragende Zeugnisse und Beurteilungen, von denen Müller ihm selbst berich-tet hatte. Westermann monierte, von Pechmann habe Dienstgeheimnisse aus-geplaudert. Im Carl-Heinz-Jacob-Artikel konnte sich von Pechmann eine kleine Charakteristik der Redner nicht ver-kneifen. Westermann beschwerte sich, von Pechmann habe „ihn in seinem Bemühen, eine würdige Veranstaltung hinzubekommen, desavouiert“, zu deutsch: bloßgestellt.Das mehrere Tausend Euro teure Uni-Homepage-Projekt, das Mitte 2004 in

der Kommunikationsunfähigkeit zwi-schen Rektorat und von Pechmann als Verantwortlichen versandete und schließlich eingestampft wurde, ließ das Eis nochmals dünner werden. „Ich war gegenüber Rektor Westermann immer gesprächsbereit“, beteuert von Pechmann heute, „aber bei ihm war von Anfang an kaum guter Wille da.“ Westermann selber wollte sich gegenü-ber dem moritz dazu nicht äußern.Überhaupt gibt sich der Rektor wort-karg. Was denn der Kernvorwurf gegen von Pechmann sei, wollte moritz von ihm wissen. Kein Kommentar, solan-ge die Urteilsbegründung der jüngs-ten Gerichtsentscheidung noch nicht vorliege. Gesprächsbereiter gab sich Uni-Kanzler Thomas Behrens, der von Pechmann illoyales Verhalten gegenüber dem Rektorat vorwirft.Als von Pechmann Ende 2004 auch noch dazu verdonnert wurde, das Uni-Journal fortan selber zu layouten, fing das Eis an zu brechen. Mitte Februar 2005 hatte er dann gleich zwei Kündigungen auf dem Tisch liegen: Eine fristgemäße und eine fristlose, letztere auf den insgesamt vier vorangegangenen Er- und Abmahnungen

beruhend.Er zog vor das Arbeitsgericht Stralsund, das am 8. November urteilte und erst die Abmahnungen als nicht justiziabel verwarf und dann die Kündigungen abschmetter-te. Die fristgemäße Kündigung war wohl zu keinem Zeitpunkt rechtmäßig. Laut dem Tarifvertrag zur sozialen Sicherung, den die Gewerkschaft im Zuge der Kürzungswellen mit dem Land aushan-

Bis in die SpitzenWarum der Pressesprecher der Universität seit Februar arbeitslos ist – und bleibt

Seit dem 8. November arbeitslos: Edmund von Pechmann. Foto: Archiv

Von Pechmannsches „Uni-Journal“: Sprachphantasie versus Insider-Geschreibsel.

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moritz: Was hat Sie und Ihre Mitautoren bewo-gen, jetzt ein solches Journal herauszugeben?In Ermangelung des Original-Journals haben wir uns erlaubt, ein Jahr nach der letzten offiziellen Ausgabe unsere eigene sati-rische Version zu produzieren: zum einen, um an den schmerz-lichen Verlust unserer vorzüglichen Universitätszeitung zu erinnern, zum anderen, damit von Pechmanns Schicksal nicht hinter verschlossenen Türen besiegelt wird. Immerhin haben wir so in der Ostsee-Zeitung vom 9. November 2005 einen sehr aussagekräftigen Bericht über die öffentliche Verhandlung vor dem Arbeitsgericht Stralsund provozieren können. Darin war unmißverständlich zu lesen, daß Richter Rückert im Namen des Volkes kei-nen Zweifel daran ließ, „daß die von Pechmann vorgeworfenen Pflichtverletzungen nicht aus-reichen, um eine Kündigung zu rechtfertigen“. Insofern ist von Pechmann moralisch uneinge-schränkt rehabilitiert!

Haben Sie und Ihre Mitautoren um die akademische Karriere zu fürchten, nachdem Sie ein solches Schriftstück herausgegeben haben?Zum Glück nicht! Auch unter dem herrschen-den Zeitgeist der „political correctness“ sind wir noch nicht wieder so weit, daß man als beamteter Wissenschaftler um seine berufliche Zukunft bangen muß, wenn man sich in seiner Freizeit journa-listisch betätigt und sein verfassungsgemäßes Recht auf freie Meinungsäußerung wahrnimmt.

Wie schätzen Sie den Prozess gegen Edmund von Pechmann ein: Hätte er als Leiter der Pressestelle weiter beschäftigt werden können? Da die Kündigungen laut Urteilsspruch nicht gerechtfertigt sind und da es sich bei den Rektoratsämtern um vergängliche Wahlämter handelt, hätte man meines laienhaften Erachtens nach nicht dem Auflösungsantrag des Landes stattgeben sollen. Anstatt Herrn von Pechmann seine existenzsichernde Stelle aus „Zumutbarkeitserwägungen“ heraus zu nehmen, hätte ich es sinnvoller gefunden, für ihn eine Übergangslösung

bis zur nächsten Magnifizenz zu schaffen, die wahrscheinlich wieder gern mit Herrn von Pechmann zusammengearbeitet hätte – schließlich zählen die Altrektoren Kohler und Ohlemacher ja auch zu den Unterzeichnern der Protestaktionen vom März und Oktober.

Was fehlt an der Universität Greifs-wald ohne das Uni-Journal?Eine höchst informative Universitätszeitung in feuilletonistisch-geistreichem Gewand, die in besonderem Maße auch der überregiona-len Wahrnehmung der Ernst-Moritz-Arndt-Universität zu Greifswald gedient hat.

Wird es eine Nr. 2 des Protestblat-tes geben?

Wenn Herr von Pechmann auch beruflich wieder uneinge-schränkt rehabilitiert wird, sehe ich da keine Notwendigkeit!

Interview: Ulrich Kötter

„Von Pechmann ist moralisch uneingeschränkt rehabilitiert!“Interview mit Professor Roland Rollberg, Mitherausgeber des Protestblattes Nr.1

Roland Rollberg. Foto: E. von Pechmann

delte, dürfen nichtwissenschaftliche Uni-Mitarbeiter nicht betriebsbedingt gekündigt werden.Die Uni hatte aber schon während des Verfahrens deutlich gemacht, dass eine Wiedereinstellung von Pechmanns den Uni-Oberen nicht zuzumuten sei, und stellte einen Auflösungsantrag nach §9 Kündigungsschutzgesetz. Diesem gab das Gericht statt, löste das Arbeitsverhältnis zum 30. September auf, legte eine Abfindung in Höhe von knapp 30.000 Euro fest und entließ von Pechmann mit 55 Jahren in die Arbeitslosigkeit.Altrektor Jürgen Kohler blickt kritisch auf die getroffene Entscheidung. „Ich habe zwar als Außenstehender, der nicht alle Hintergründe kennen kann, eine einseitige Sicht auf die Dinge, aber die Gründe für den Rausschmiß scheinen mir fadenscheinig“, so der Professor für Zivilrecht. „Außerdem: Wenn man einen Kündigungsprozeß verliert, dann sollte man nicht durch die Hintertür doch noch den Rausschmiß vollziehen.“ Überhaupt sei das Kündigungsschutzgesetz gene-rell bedenklich, weil auf solch eine Weise jedermann im Ergebnis doch gekündigt werden könne, obwohl Kündigungsgründe fehlten.„Ein gewähltes Organ sollte eine so

weitreichende Entscheidung wie den Rausschmiß von Pechmanns nicht aus persönlichen Gründen treffen“, kriti-siert auch Altkanzler Carl Heinz Jacob das Zumutbarkeitsargument. Objektive Gründe hätten schließlich nicht vorge-legen, das habe die Gerichtsverhandlung gezeigt.Von Pechmanns Zukunft sieht zur Zeit schlecht aus. Nicht nur die miserable Lage der deutschen Zeitungsverleger spricht gegen eine Neueinstellung, son-dern auch eine miserable Beurteilung über von Pechmann aus dem Jahre 2004. Gegen die geht er inzwischen gerichtlich vor. „Dass man ihn in die Arbeitslosigkeit entläßt, hätte nicht sein müssen“, meint Altrektor Kohler, „stattdessen hätte man sich im Rektorat zusammenraufen und auf eine gemeinsame Arbeitsebene verständigen können.“Ob das Gerichtsverfahren in die zweite Instanz geht, ist genauso offen wie die Frage, ob es jemals mit dem Uni-Journal weitergeht. Während Uni-Leitung und von Pechmann auf die schriftliche Urteilsbegründung lauern, mag sich zur Zukunft des Journals keiner äußern. Man munkelt, eine neue Uni-Zeitung sei geplant.Eine erste Solidaritäts-E-Mail begeis-

terter Uni-Journal-Leser kursierte gleich nach der Entlassung im März auf Uni-Verteilern. Letzter Coup der von-Pechmann-Sympathisanten Ende Oktober 2005: Ein Protestblatt im Uni-Journal-Layout mit über 60 Unterzeichnern, die sich für die „unge-hinderte Weiterbeschäftigung Herrn von Pechmanns als Pressestellenleiter“ stark machen.„Das ist nicht nur herzanregend, das ist wirklich toll“, gibt sich von Pechmann über die Sympathiebekundungen gerührt, „selbst nach so langer Zeit gibt es noch Menschen mit Rückgrat, bei denen die Karriere nicht an erster Stelle steht.“ Was von Pechmann nur ahnt, stimmt tatsächlich: Nach der ersten Rundmail im März zitierte ein Dekan einen Mitarbeiter zu sich, was er sich denn beim Unterzeichnen gedacht habe, wie moritz aus Uni-Kreisen erfuhr.Sehr selbstbewußt äußerte sich dagegen einer der aktuellen Unterzeichner. Er sei sich dieser Tragweite nicht bewußt und wolle es auch nicht sein. Er habe schon gar nicht an seine Karriere gedacht. „Wenn Entscheidungsträger aufgrund einer solchen Unterschrift eine Karriere verbauen, dann tut es mir auch Leid“, so der von-Pechmann-Sympathisant. uli

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lehrerausbildung

80 Kilometer sind politisch gesehen gar nichts. Mal eben zwischen den Unis Greifswald und Rostock hin und her-pendeln sollen die Studenten, wenn sie sich zukünftig zum Lehrer ausbil-den lassen wollen. Was ist dran an dieser „Horrorvision“, die der Greifs-walder AStA-Vorsitzende Thomas Schattschneider genüßlich in jeder Pres-semitteilung anklagt?Nachdem Bildungsminister Hans-Robert Metelmann kürzlich vom Kabinett seine Vorschläge zur Hochschulstruktur im Land abgenickt bekam und damit Mitte Dezember in den Landtag geht, wird es eng für die Greifswalder Lehrerstudenten. Erziehungswissenschaft soll nach Metelmann in Greifswald entfallen, die Lehrerbildung in Abstimmung mit Rostock laufen.

Grundsätzliches an der PhilFak

Dass dann gleich auch noch die Anglistik/Amerikanistik, Altertumswissenschaften und Romanistik sowie der komplette Master of Education wegfallen, wollte Rektor Rainer Westermann in einer ersten Reaktion nicht so stehen las-sen. Zumindest die drei Institute wer-den ihm und PhilFak-Dekan Manfred Bornewasser vermutlich dennoch als-bald wieder ins Auge fallen – stehen doch einige der angestellten Professoren kurz vor ihrem Ruhestand.Zur Theologie schwieg Metelmann vor-erst. Zurzeit verhandelt das Land mit den Kirchen, um die Fakultäten unter dem Dach einer gemeinsamen Fakultät zusammenzuführen. Der Lehrbetrieb soll an beiden Standorten weitergehen. Nicht nur an der Theologischen Fakultät sind ein Großteil der Studenten angehen-de Lehrer, auch an der Philosophischen Fakultät sind es rund 40 Prozent.Dort führt die Lehrerdebatte zu grundsätzlichen Diskussionen darüber, wo es mit der Fakultät hingehen soll. Kritiker wie die Anglistik/Amerikanistik-Professoren Hartmut Lutz und Jürgen Klein beurteilten schon die Bachelor- und Masterstudiengänge kritisch und sehen jetzt ein drohendes Ende der Geisteswissenschaften. Dekan Manfred Bornewasser pocht dagegen unermüd-lich auf in der Wirtschaft anerkann-te Studiengänge und -fächer und zieht Konzeptpapiere mit englischen Vokabeln aus der Schublade. Mit der Lehrerbildung

ist in seinen Augen in Greifswald kein Staat mehr zu machen, zuviel Personal sei dafür vonnöten.Außerdem sieht es für das Lehrerbil-dungsprestigeprojekt der Fakultät schlecht aus: Das Greifswalder Y-Modell mit dem Master of Education dümpelt seit mehreren Jahren in der Probephase vor sich hin, mit bisher null eingeschriebenen Studenten. Und dann scheiterte neulich auch noch das Akkreditierungsverfahren im ersten Anlauf. In Bildungsminister Metelmanns Augen Grund genug, den Master of Education nach Rostock abzuschieben.

Lästige Personaldebatte

Über das Personalargument kann sich der AStA-Vorsitzende Thomas Schattschneider nur wundern. „Seit Jahren hat die Lehrerdebatte in Greifswald diese leidige Personaldiskussion am Hals“, stöhnt er, „dabei weiß eigentlich niemand, ob die Lehrerbildung tatsäch-lich so viele Stellen braucht, wie von Dekanen und Rektor immer wieder behauptet wird.“ Eventuell müsste ledig-lich Personal umgeschichtet werden.Schuld an der allgemeinen Konfusion ist die deutschlandweite Unklarheit, wie es mit der Lehrerbildung weiter-gehen soll. Irgendwann in den nächs-ten fünf bis zehn Jahren werden die herkömmlichen Lehramtsstudiengänge auslaufen. Alles hängt an den Lippen der Kultusministerkonferenz, die neulich schon mal durchblicken ließ, dass das Staatsexamen als Abschlussprüfung zu überdenken sei.Wann das von Metelmann skizzierte Szenario, man beginne sein Bachelor-Studium in Greifswald und könne dann noch in Rostock den Master of Education dranhängen, Wirklichkeit wird, weiß Metelmann vermutlich nicht einmal selber.In Greifswald würden auch schnel-le Entscheidungen zu Gunsten der Lehrerbildung nicht mehr viel bewirken. Der Studiengang Erziehungswissenschaft ist geschlossen, die Mitarbeiter und Professoren werden sich bald nur noch mit der Lehre zukünftig Lehrender und einem Bruchteil Forschung beschäftigen können. Dann wurden schon im Juli 2005 etliche beliebte Kombinationsfächer aus der Lehrerbildung gestrichen, darun-ter Physik, Mathematik, Biologie und

Französisch. Nichtsdestotrotz schrie-ben sich etliche Erstsemester in einen Lehramtsstudium ein.Qualitätsverlust und Abwicklung sind zwar noch nicht überall zu spüren, werden aber Einzug halten. Fehlende Pflichtseminare und lange Wartelisten werden kommen, Prüfungen müssen die Institute teuer durch Personal von außerhalb abnehmen lassen, Wiederholungsmöglichkeiten bei Klausuren ent-fallen. „Das ganze ist ein langfristiger Prozess“, meint Torsten Heil, hochschul-politischer Referent des AStA, „richtig eng wird es vermutlich mit den letzten Jahrgängen werden.“

Institute wissen sich zu helfen

Benjamin Mumm, Lehramtsstudent im dritten Semester, rennen jetzt schon die Professoren davon. „Einige Professoren wollen so schnell wie möglich ihre Lehramtsveranstaltungen loswerden“, beobachtet er, „andere gehen in den Ruhestand oder an andere Standorte.“ Das sei aber nur an einigen Instituten so, zum Beispiel nicht in der Physik. „Dort hat man uns die Möglichkeit zugesichert, in Regelstudienzeit abzu-schließen oder sogar noch ein bis zwei Semester darüber“, freut er sich über das Engagement.Über großen Einsatz freut sich auch der Fachschaftsrat Romanistik. „Es sieht zwar nicht gut aus an unserem Institut“, bedauert der FSR-Vorsitzende Steffen Saldsieder, „aber wir geben uns die beste Mühe.“ So würden trotz einer unbesetz-ten Professorenstelle alle nötigen Kurse angeboten und es sei auf jeden Fall mög-lich, bis zu Ende zu studieren.Darauf vertrauen kann man aber nicht, auch wenn in letzter Zeit viel von Vertrauensschutz geredet wird. Noch muss die Universität jedem eingeschrie-benen Studenten in Regelstudienzeit plus zwei Semester ein ordnungsgemä-ßes Studium ermöglichen. Das steht im Landeshochschulgesetz.Sollte aber Metelmanns LHG-Novelle durch den Landtag kommen, kann für Anglisten und Altertumswissenschaftler das Uni-Hopping beginnen. Auch wenn es sich um den Ausnahmefall einer vom Minister verordneten Schließung handelt, muss das Land dann lediglich gewährleisten, dass die Ausbildung im Land abgeschlossen werden kann. uli

Das Uni-Hopping kann beginnenDie Lehrerbildung in Greifswald steht auf der Kippe

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Am Abend des 24. Novembers räumten Verwaltungsmitarbeiter das Hörsaal-gebäude in der Rubenowstraße. Ab 19 Uhr kam niemand mehr in das Haus hin-ein. Anlass der Schließung war ein von der Burschenschaft Rugia geplanter Vortrag, zu dem der streitbare Generalmajor a. D. Gerd Schultze-Rhonhof einge-laden war. In letzter Minute wurde die Veranstaltung von Rektor Rainer Westermann verboten.Schultze-Rhonhof ist umstritten. Während die rechte Szene ihn als

StuPa-Beschluss gegen Rechtsextremismus Das Studierendenparlament (StuPa) hat sich während seiner Sitzung am 29. November 2005 klar gegen rechte Tendenzen positioniert.Es verabschiedete einstimmig einen Beschluss, in dem es Maßnahmen der Universität unterstützt, die es „Personen und Vereinigungen mit offen-kundig rechtsradikalem beziehungswei-se verfassungsfeindlichem Hintergrund untersagen, universitäre Ressourcen und Räumlichkeiten für ihre Zwecke zu nut-zen.“ ring

meldung

DiskussionsbedarfDie Universität begnügt sich mit Verboten von Vorträgen rechter Theoretiker

uni-kontroversen

Geschichtsinterpretator in eigener Sache feiert, sieht ihn die Mehrzahl seiner Kritiker als Revisionisten, teilweise auch als Rechtsaußen. Für die Rugia sollte er an dem Donnerstag zum Thema „Der Krieg, der viele Väter hatte“ referieren.Nachdem Unikanzler Thomas Behrens die Veranstaltung mit Verweis auf die Meinungsfreiheit genehmigt hatte, inter-venierte Rektor Westermann kurzfristig und sprach ein Verbot der Veranstaltung aus. Er hatte von dieser erst erfahren, als er von der Rektorenkonferenz am gleichen Tage zurück kam.Kanzler Behrens‘ Standpunkt zu der Sache: „Ob der Redner einen rechtsra-dikalen Hintergrund hat, kann ich nach Aktenlage nicht beurteilen.“ Das Problem mangelnder Abstimmung innerhalb der Verwaltung gebe allerdings Anlass zu einer Reform der Vergabepraxis bei Vorträgen und anderen Veranstaltungen in universitären Räumlichkeiten.Die Universität hatte diesen Sommer schon einmal im letzten Moment ver-hindert, dass ein rechter Redner, damals eingeladen von der Burschenschaft

Markomannia, seinen Vortrag in Universitätsräumen halten konnte. Da-mals war der Uni entgangen, dass der dafür vorgesehene Raum schon an die Organisatoren des Students Festivals vergeben war. Die Veranstaltung wurde daraufhin, wie kürzlich auch bei der Rugia, ins eigene Burschenschaftshaus verlegt. Über Gerd Schultze-Rhonhof ist seit der Veröffentlichung seines Buches „1939 – Der Krieg, der viele Väter hatte“ im Jahre 2003 öfter diskutiert worden.

Er setzt sich darin mit der gängigen Geschichtsschreibung in einer Weise auseinander, die an Revisionismus den-ken lässt. Die FAZ schrieb dazu: „Im Grunde sind Interpretationen wie diese nicht neu. Sie folgen alten Spuren, die weniger im Bereich der Forschung als in dem von Ideologie und Propaganda angesiedelt sind. Neu ist dagegen, dass sie von einem ehemals führenden Offizier der Bundeswehr öffentlich ver-treten werden.“Schultze-Rhonhof musste die Bundes-wehr verlassen, nachdem er öffentlich die Verkürzung der Wehrzeit kritisiert hatte und sich gegen das Urteil des Bu-ndesverfassungsgerichts ausgesprochen hatte, nach dem man Soldaten straflos „Mörder“ nennen darf.Hier beißt sich dann auch die Katze mit den zwei rechten Pfoten in den Schwanz. Einerseits vertritt man in der Szene Standpunkte wie den, dass eine Meinungsäußerung wie die besagte über Soldaten ja wohl nicht angehen könne. Andererseits regt man sich dann – auf einmal sehr auf die Achtung der

Grundrechte bedacht – darüber auf, dass der betriebene Revisionismus unter dem Deckmantel einer so genannten geschichtlichen Auseinandersetzung unbedingt durch das Recht auf Meinungsfreiheit gedeckt sein müsste.Dass die Universität ein eigenes Interesse daran hat, nicht rückhaltlos alles in den eigenen Räumen passieren zu lassen, steht nicht zur Diskussion. Eine andere Frage ist die nach dem Sinn eines solchen Verbots. Man schüt-tet damit rechten Theoretikern noch mehr Pulver in ihre Kanonen, die in letzter Zeit häufig dadurch auffallen, ihre Propaganda phantasievoller ver-schießen zu wollen. Sie stilisieren sich zur unterdrückten Meinungsminderheit hoch, deren Anliegen hier im Staate tot-geschwiegen wird.Wirklich begegnen kann man sol-chen Methoden mit Verboten nicht. Tabuisierungen machen die Dinge inter-essanter. Hätte die Universitätsleitung ein wirkliches Interesse daran, das Problem anzugehen, würde es vielleicht auch hin und wieder Vorträge von Leuten geben, die sich nicht damit zufrieden geben, sich einfach oder auch kompliziert gegen menschenfeindliche Ideologien auszu-sprechen. Die würden sich dann nicht scheuen, geladenen Gästen der extre-men Rechten – gerade auch hier aus der Region – in Diskussionen entgegen-zutreten, intellektuell anspruchsvoll und gnadenlos demontierend.Wenn man der Universität ein weltof-fenes Bild verpassen will, sollte man zei-gen, dass man sich auch mit Meinungen, die man nicht schätzt, auseinander zu setzen vermag. kos

Aushang der Rugia am Audimax, Rugia-Haus in der Robert-Blum-Straße. Foto: kos

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Für die Kinder der Welthochschulgruppen

„Viele kleine Leute an vielen kleinen Orten, die viele kleine Schritte tun, können das Gesicht der Welt verändern.“ Es gibt wohl kaum jemanden, dem diese Zeilen nicht bekannt sind. Doch leider ist es so, dass die Rechte vieler Kinder auf unserer Erde mit Füßen getreten werden. So werden weltweit nach Schätzungen von UNICEF Tag für Tag etwa 3000 Mädchen und Jungen von Menschenhändlern verkauft und ein Großteil dieser Opfer kommt aus Osteuropa. Nahrungsmittelkrisen lassen jährlich Tausende von Kindern besonders in der Sahelzone verhungern und noch immer gibt es 27 Millionen Kinder ohne Impfschutz.In circa 160 Staaten macht sich das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen für die Katastrophenhilfe und die medizinische Versorgung in den Regionen der Erde stark, wo Kinder leiden müssen. Neben der Förderung von Bildung, Ernährung, Gesundheit und dem Schutz der Kinder vor Ausbeutung, Missbrauch und Gewalt, widmet sich UNICEF vor

Hier könnt auch ihr helfen

allem in den nächsten Monaten dem Kampf gegen AIDS. Es ist erschreckend, wenn man sich folgende Zahlen vor Augen hält: Jede Minute stirbt ein Kind an den Folgen der Immunschwäche, 500.000 jedes Jahr. Und bereits 15 Millionen Mädchen und Jungen wurden

d u r c h diese Epidemie zu Waisen gemacht, das sind so viele Kinder, wie in Deutschland leben! Deswegen

steht auch bei der seit 1999 bestehenden Greifswalder UNICEF-Arbeitsgruppe das Programm „Kids AIDS – DU und ICH gegen AIDS“ in den nächsten Monaten im Mittelpunkt. Neben dem Sammeln von Spenden haben wir besonders das Sammeln von Unterschriften für diese Kampagne zum Ziel. Unterschriften, die sich durch UNICEF getragen an die Pharmazieunternehmen und an die Bundesregierung wenden, damit bessere Medikamente für Kinder entwickelt und die Preise gesenkt werden, sowie die Aufklärungsarbeit stärker unterstützt wird. Wir sind eine kleine, aufgeschlossene Gruppe von 12 Mitgliedern und veranstalten neben dem Einsammeln von Spenden auch Ak-tionen für Kinder. Außerdem könnt ihr uns in den nächsten Wochen in der Dompassage antreffen, wo wir Grußkarten verkaufen (natürlich geht der Erlös als Spende an UNICEF). Es gab bereits Ausstellungen an Schulen, Krankenhäusern, in der Stadtbibliothek

oder auch in der Mensa. Wenn ihr Interesse habt, mal vorbei zu schauen oder euch zu informieren, dann geht auf www.greifswald.unicef.de, dort könnt ihr uns kontaktieren. Wir freuen uns auf jeden, der bei uns mitmachen will – für viele Kinder der Welt könntet ihr eine große Hilfe sein! Luise Baumann

getreten werden. So werden weltweit r

dchen und Jungen ndlern verkauft und

r die Katastrophenhilfe und die medizinische Versorgung in den Regionen

ssen.

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Zischend winden sich die gehackten Zwiebeln in der riesigen Pfanne und ihr Duft füllt den Raum. René Otto wischt sich die tränenden Augen. An manche Dinge wird man sich auch als Azubi in der Mensa-Küche nicht gewöhnen. Seit einer halben Stunde sind er und seine fünf Kollegen dabei, das Essen für die hungrigen Studenten vorzubereiten. Es ist sieben Uhr.Seine Chefin Evelin Sieg wirft ihm einen prüfenden Blick über die Schulter. Als Bereichsleiterin der Mensen und Cafeterien in Greifswald trägt sie die Verantwortung, dass Tag für Tag 2.500 Essen gekocht werden. „Ich plane immer ein wenig mehr ein“, verrät sie ihr Geheimnis, damit kein Gast hungrig in die Vorlesung gehen muss.Heute steht unter anderem Seelachs auf der Speisekarte. Wolfgang Weber schneidet die Säcke auf, in denen die bereits geschälten Kartoffeln angeliefert wurden. „80 Kilo werden erstmal rei-chen“, meint er mit einem erfahrenen Blick und schiebt die Kartoffeln in den „Combi Dämpfer“, einen Schrank, in dem das Essen bei hoher Temperatur gegart wird. An diesem Tag werden noch 120 weitere Kilo folgen.Um acht Uhr ist Frühstückspause. Evelin Sieg, Wolfgang Weber und René Otto sitzen gemeinsam mit den bei-den Köchinnen und dem Koch sowie einem Praktikanten zusammen. Sie essen ihr Brötchen und erzählen über das Wochenende. Eine Kerze verbreitet ein wenig Adventsstimmung.Als sie eine halbe Stunde später in die Küche zurückkommen, ist es dort schon voll. Die Küchenfrauen sind gekommen und man begrüßt sich herzlich, ehe jeder

À la minuteEin Besuch in der größten Küche Greifswalds

wieder an seine Arbeit geht. Während Brigitte Kurth und Brunhilde Thoms im Nebenraum den Salat vorbereiten, steht Evelin Sieg am Kochtopf und schmeckt ab. „Für mich muss alles so sein als würde ich es für mich selbst kochen“, sagt sie. Auf dem Weg in ihr kleines Büro, wo die Bestellungen für den nächs-ten Tag auf sie warten, dreht sie im Vorbeigehen noch einen Wasserhahn zu. Beinahe wäre der Topf übergelaufen.Inzwischen liegt der Duft von gebra-tenem Fleisch in der Luft. Es ist halb zehn und die Auslagen müssen vorberei-tet werden. Brigitte Kurth gießt heißes Wasser in die Halterungen, in denen spä-ter die Essenswannen Platz finden wer-den. „Meine Studenten sollen schließlich kein kaltes Essen kriegen“, lacht sie. Der erste Flyer-Verteiler ist da und legt seine Zettel auf den Mensatischen aus. Sie werben für eine Party im TV-Club.Nun wird es auch höchste Zeit, die Desserts in die Kühlschränke zu stellen. Verschie-dene Quarkspeisen in rot, gelb und weiß, verziert mit einem Sahnehäubchen , füllen die kleinen Schälchen. „Immer mit den Augen des Gastes sehen!“ steht mahnend auf einem Zettel. Die Mitarbeiter halten sich daran.Eine Stunde bevor sich die Türen der Mensa öffnen, ist es ruhig geworden in

der Küche. Das meiste ist vorbereitet und jeder kann erstmal durchatmen. In der großen Pfanne brutzeln Bratwürste, die stets ganz frisch gebraten werden. „À la minute“, sagt Evelin Sieg dazu. Bevor es richtig losgeht, können nun die Köche selbst erst einmal zugreifen. Zwischen elf und zwei wird es zum Mittagessen zu stressig werden.Die ersten Gäste kommen schon um dreiviertel elf. Mit hungrigem Blick zie-hen sie an den leeren Auslagen vorbei und setzen sich an einen Tisch im großen Saal. Fünf Minuten später sind Brigitte Kurth und ihre Kolleginnen von der Ausgabe umgezogen und stehen mit blau-er Schirmmütze und „Studentenwerk“-T-Shirt hinter dem Tresen.Wolfgang Weber schleppt eine Wanne Pommes Frites heran. Er versenkt sie direkt neben dem Gyros. Die hungrige Meute auf der anderen Seite ist inzwi-schen auf ein gutes Dutzend angewach-sen, doch noch sind fünf Minuten Zeit. Mit einem Thermometer misst Brigitte Kurth die Temperatur des Essens. Zwei Stunden später wird sie dies ein wei-teres Mal tun. Alles wird in einer Liste vermerkt. Evelin Sieg schaut sich die Ausgaben ein letztes Mal an und um Punkt elf Uhr fällt der Startschuss. „Mahlzeit! Möchten Sie Pommes zum Gyros?“ Der Gast möchte und zieht mit zufriedenem Gesicht zur Kasse.Während er sein Essen genießt, steht Brunhilde Thoms schon an der Spülmaschine und wartet auf das schmutzige Geschirr. Ein Magnet zieht das Besteck nach oben, der Teller fährt in die Maschine und taucht wenig später sauber wieder auf. Er wird diese Reise heute noch mehrere Male machen, ehe dann um zwei Uhr wieder Ruhe einkehrt und er auf seinen nächsten Einsatztag wartet. Für das Küchenpersonal wird es schon früher wieder losgehen. Morgen müssen sie ab halb sieben Tortellini und Gulasch kochen. ring

in die töpfe geschaut

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Um Mitternacht endlich in Aveiro ange-kommen, das ca. 100 km nördlich von Lissabon und direkt am Atlantik liegt. Der nächste Tag beschert uns warmes Wetter und Sonnenschein – Schaden-freude versüßt mir den frühen Morgen bei dem Gedanken an das Herbstwetter in Deutschland. Der Zeitpunkt ist ge-nau richtig, als wir die „Universidade de Aveiro“ mit ihren Departements besu-chen. Denn es ist die erste Woche der „Freshmen“. Das entspricht ungefähr unserer Erstsemesterwoche, mit dem Unterschied, dass die Erstis einen gan-zen Monat lang von älteren Semestern getriezt und schikaniert und damit in das Studentenleben eingeführt werden. „Das sei Tradition“, lasse ich mir sagen und be-obachte gerade, wie die Erstis mit roten Zahlen auf der Stirn gemeinsam im Chor brüllen müssen. Max aus Frankreich er-zählt mir, dass solche Traditionen an sei-ner Uni verboten seien, seit der Aktion, eine Frau mit gelber Farbe und ein Mann mit blauer Farbe anzustreichen, beide in einen Raum zu sperren und sie erst dann wieder heraus zu lassen, wenn beide grün sind. Farbenlehre einmal anders, denke ich. Nach dem Frühstück in der Caféte-ria, hören wir uns den Vortrag von Tiago aus Portugal an, der Campus Europae den „Freshmen“ vorstellt. Anschließend postieren wir uns an den Ständen und präsentieren unsere Uni, wobei unser dürftiges Infomaterial Asbach uralt ist. Der Campus entspricht übrigens al-len Klischees. Palmen, wo man hinsieht, braungebrannte, stoppelbärtige Männer, Steppenlandschaft und selbst das Essen in der Mensa. Zu Parolen der „Fresh-men“ im Hintergrund, essen wir Garne-len, Fisch (Haifisch?) und Muscheln mit

Reis. Was sonst? Anschließend machen wir eine Fahrradtour quer durch Aveiro. 26 Fahrräder auf einem Haufen, das sieht stark nach Klassenfahrt aus und fühlt sich auch genauso an.Nach dem Empfang im Rathaus und dem Lunch in der Mensa, gehen wir abends in einen Club – nur aus Recherchegründen, versteht sich. Die Luft ist mild, die Leu-te gut gelaunt und überhaupt scheint in dieser Nacht ganz Aveiro auf den Beinen zu sein. An diesem Abend ruft Zach zum ersten Mal das legendäre „Kissingtime“ und meint damit, dass jeder jeden auf die Wange küssen muss. Das erfordert Überwindung, den Rest erledigt der Gruppenzwang. Ich glaube, damit kön-nen so einige ihren Drang nach Intimität ausleben. Kurze Zeit später haben wir auch schon das erste Liebespaar.

Die Reise geht weiter

Nach drei bis vier Stunden Schlaf, müs-sen wir uns von Aveiro verabschieden. Das bedeutet eigent-lich nur, dass eine Gruppe von Zombies sehnsüchtig aus dem Fenster guckt, als wir zum Flughafen nach Porto fahren. Der Flug geht bis nach London, wo wir umsteigen müssen, was mit eini-gen Komplikationen verbunden ist. Die freundlichen Beamten bei der Passkontrolle, zögern bei den Visa der Leute, die nicht aus der EU kommen.

Das frustriert und wir bemerken zum ersten Mal, wie problemlos das Reisen für EU- Bürger ist. London Stanstead ist nicht der einzige Flughafen, an dem die beiden Natasas aus Serbien und Alina und Katya aus Weißrussland Einreise-probleme haben. Trotzdem geht alles gut und wir landen in Venedig Treviso in Italien und fahren nach einem kurzen Aufenthalt bei MC Donald´s mit dem Zug weiter nach Trento. Wir beziehen unser Lager dies-mal in einem Hotel direkt am Marktplatz, von wo aus man nur einige 100 Meter entfernt die letzten Ausläufer der Alpen sehen kann. Einfach nur fantastisch. Und endlich hat das Reisen an diesem Tag ein Ende und wir fallen totmüde in die Bet-ten. Sonne, blauer Himmel, Temperaturen über 20 Grad - was will man mehr? So beginnt der siebte Tag der Tour. Nach italienischer Mentalität schlendern wir ganz entspannt zur Philosophischen Fa-kultät und werden dann im „Rettorato“

Im Rektorat der Universität Trento. Foto: privat

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Die Tour d´Europe in Aveiro, Trento und Novi Sad

Quer durch Europa Teil II

Auf dem Campus der „Universidade de Aveiro“ in Portugal. Foto: privat

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der „Universita degli studie di Trento“ empfangen. Danach haben wir bis zum Dinner Zeit für die ange-nehmen Dinge des Lebens. Sprich Shoppen, italienischen Macchiato trinken und sich die Sonne auf den Pelz schei-nen lassen. Max aus Frankreich erzählt mir von einem deutschen Punksong aus seiner Schulzeit, der mit den Worten beginnt: „Mein Name ist Günther, ich liebe meine Mutter. Der Käse ist zu stinken, ich will eine Dusche nehmen, ich bin nei-disch auf den Käse, weil ich in einem Kühlschrank woh-nen möchte.“ 20 Minuten später ist auch mein Lachkrampf vorbei. Nachts gehen nur die Hartgesottenen in die „beer factory“, doch selbst unser irischer Bierliebhaber Paul (“Kiss me I’m Irish“) geht früh schlafen. Mit 17 Stunden Zugfahrt durch Sloweni-en, Kroatien und Bosnien- Herzegowina nach Novi Sad in Serbien-Montenegro und nur einer Mahlzeit soll der nächste Tag nämlich der abenteuerlichste wer-den. Die Passkontrollen in Kroatien wer-den fast zur Schikane, als die Pässe und Visa von den beiden Natasas zehnmal hin und her gewendet, die Fotos verglichen und Funkgespräche geführt werden. Wir trösten uns mit „Kissingtime“. Unsere multikulturelle Gruppe wird zur Attrak-tion für die Kontrolleure, von denen ei-nige klischeeentsprechend Alkohol intus haben. Kurz vor Mitternacht haben wir

es tatsächlich geschafft und wir quartie-ren uns im „Domestere“ in Novi Sad ein und die Gruppe ist wieder ein Stückchen mehr zusammengewachsen.

Trinkkultur in Novi Sad Nach einer eiskalten Nacht auf harten Betten, besichtigen wir zwei „Monas-tries“. Das Wetter lässt uns leider im Stich und so haben wir nur halb soviel Spaß. Um uns wenigstens innerlich auf-zuwärmen, fahren wir zu einer Weinver-köstigung nach Svenski Karlovci mitten auf dem Lande. Fotoapparate werden ge-zückt bei dem Anblick vorbeifahrender Ladas, Moskwitsche und Wartburgs. Für mich als Kind der DDR kein besonderer Anblick. Die Vororte von Novi Sad ver-mitteln das Gleiche wie die alten Autos.

Hier hat sich seit 30 Jahren nichts geändert. Die Weinverköstigung auf dem Hinterhof eines un-scheinbaren Einfamilienhau-ses beglückt uns umso mehr. Und wir stoßen so lange mit „Bermet“ und „Gourmet“ an, bis wir keinen Trinkspruch mehr kennen. Leicht angetrunken laufen wir zum Restaurant, wo es als Vorspeise „Fischkopf in Suppe“ gibt. An die Fischaugen traut sich dann doch niemand ran...Anschließend führen uns die beiden Natasas durch das multikulturelle und moderne Novi Sad.

Müde kommen wir im „Domestere“ wieder an und gönnen uns ein Nicker-chen für 45 Minuten. Danach geht‘s wei-ter in die „beerfactory“. Helle Halogenlichter, verspiegelte Wände und verchromte Industrieprodukte ste-hen im Kontrast zu dem Bauernbetrieb der Weinproduktion. Dafür sponsert uns die Firma hinterher ein Abendessen mit Freibier. Der Tag ist hart, aber noch lange nicht zu Ende. kats

campus europae

Wie man in Novi Sad feiert, warum die Angst im Zug nach Budapest mit uns fährt und wie nun eine Saunaparty in Riga aussieht, das erfahrt ihr im nächs-ten moritz.

Die Festzelte sind noch gar nicht richtig abgebaut und die Luftmatratzen für die Besucher noch nicht fertig eingerollt, da sind die Mitglieder des GrIStuF e.V. auch schon wieder fl eißig am Arbeiten. Nach dem Erfolg des Students Festivals 2005 fi ndet auch im nächsten Jahr, dann bereits zum dritten Mal, wieder ein Fes-tival statt. Nur diesmal wird nicht die ganze Welt, sondern Europa im Mittel-punkt stehen. Rund 200 Teilnehmer aus ganz Europa sind eingeladen, sich vom 27. Mai bis zum 4. Juni 2006 miteinander über Europa und dessen Zukunft auszutauschen und zu diskutieren. Gemäß des Festivalmot-tos: „Project Europe: utopia or reality?“ werden die Teilnehmer wichtige Aspek-te des Zusammenlebens und -arbeitens in Europa betrachten und konstruktive Beiträge erarbeiten. Zum Einen halten hierfür Experten aus verschiedenen Tätigkeitsbereichen öffentliche Vorträ-

ge und führen Debatten mit anderen Referenten. Zum anderen können die Teilnehmer dann in Workshops zu den Themenbereichen „Informieren“, „Dar-stellen“, „Lernen“ und „Verbinden“ die Erkenntnisse aus den jeweiligen Veran-staltungen vertiefen und den eigenen Meinungen Ausdruck verleihen.Und auch die Kultur soll in dieser Woche nicht zu kurz kommen. Neben Bühnen-veranstaltungen, einem Kleinkunstmarkt und einer großen „U-Rope“-Abschlussparty fi ndet tradi-tionsgemäß auch wieder ein „Running Dinner“ statt.Es gibt also noch eine Menge zu organisieren und es sind nicht einmal mehr 180 Tage bis zum großen Ereignis. Aus diesem Grund arbeitet das GrIStuF-Team auch eifrig da-ran, Anträge von Workshop-bewerbern zu bearbeiten,

Referenten einzuladen und Sponsoren zu fi nden.Helfende Hände können dabei immer gut gebraucht werden. Wer gerne einmal hinter die Kulissen des Students Festivals schauen und selber mitwirken möchte, ist beim GrIStuF immer willkommen.Weitere Infos über den GrIStuF e.V., das Students Festival oder die Möglichkei-ten einer Mitarbeit erhaltet ihr unter www.gristuf.org. susa

Die Philosophische Fakultät der Uni in Trento. Foto: privat

Europe goes Greifswald

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Jahr Eins nach dem großartigsten Weihnachtsmarkt meines Lebens. Nach dessen neugieriger Erforschung und Verewigung in Schrift und Bild letz-ten Winter muss anno 2005 natürlich eine weitere Expedition in die geheim-nisvollen, magischen, vorweihnachtli-chen Mirabilia auf dem Greifswalder Marktplatz unternommen werden.Schon seit geraumer Zeit freute ich mich dermaßen darauf, dass ich die schlaksige Tanne, die bereits am Mittwoch vor der feierlichen Eröffnung des Spektakels durch den Weihnachtsmann aufgestellt worden war, ganze zwei Tage lang über-sah. Vielleicht, weil man vor lauter Platz den Baum nicht sah? Oder doch wegen des frühwinterlich trüben Wetters?

das fest der liebe

Weihnachtsmarkt, die ZweiteNeuauflage eines fröhlich-kritischen Besuchs

Dieses ist jedenfalls am ersten Adventssamstag wieder versöhnt und zeigt sich von seiner schönsten Seite: Ein blauer Himmel mit einer strahlenden, im Untergehen begriffenen Sonne spannt sich über Menschenmassen, die mit Fotoapparaten, Einkäufen und Kindern in zu kurzen Schneeanzügen zum Ort des Geschehens strömen.Die Uhr zeigt 15.20, also noch 10 Minuten bis zur offiziellen Eröffnung durch den leibhaftigen Weihnachtsmann. Ich versuche, mich in Position zu bege-ben, die geliehene Kamera im Anschlag bahne ich mir den Weg durch Massen gedichtaufsagwilliger Kinder. Um 15.25 Uhr kann ich endlich eine rote Gestalt wahrnehmen, sie schneidet feierlich den

sechs Meter langen Stollen an und durch. Zu spät für historische Pixelaufnahmen. Für den Weihnachtsmann ist Zeit eben eine belanglo-se Dimension.Macht nichts. Es gibt ja noch so viele andere Dinge, die man ansehen kann. Die Glühweinbuden scheinen in gehabter Zahl wieder angetreten, in bunter Reihe mit den bekannten kuli-narischen Angeboten, im Volksmund leicht abwer-tend „Fressbuden“ genannt.Die zeitliche Nähe des ers-ten Advents gestattet das beherzte Zugreifen, und man befindet sich noch dazu in liebreizender Gesellschaft diverser Mitmenschen, die Glühwein auf Bistrotischen ver- beziehungsweise in ihre Luftröhre hineingießen. Auf den folgenden kräftezehren-den Hustenanfall muss man

dann erstmal etwas essen. Da bieten sich wie eh‘ und je Schwenkgegrilltes, Fernöstliches, Crêpes, Mutzen und Süßigkeiten. Jahrmarktssüßigkeiten! Ein Traum aus Kindheitstagen, den wohl kaum einer abgelegt hat.Doch ein bisschen anders kann einem schon werden, wenn man die dies-jährigen Preise betrachtet. Es scheint sich ein Kartell aus Mandel- und

Lebkuchenherzverkäufern gebildet zu haben. Das ist vermutlich nichts Untypisches für Märkte wie diesen, aber 2,50 Euro für 100 Gramm gebrannte Mandeln ist bei aller vorweihnachtlicher Sanftmut ein dreister Nepp, und eine Preissteigerung um gefühlte 25 Prozent noch dazu.Ein Gutes haben die Preise allerdings – Fahrten in den Fahrgeschäften kön-nen neuerdings in Mandeltüten aus-gedrückt werden. Dadurch werden Budgetkalkulationen erheblich leichter. Beispiel: „Ich habe heute eigentlich nicht vor, mehr als drei Mandeltüten auszu-geben. Soll ich sie aufessen oder doch

Der Chef von‘s Janze im Getümmel. Foto: tja

Einmal Fahren für drei Mandeltüten. Foto: ring

Foto: ring

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21.12. Die Frau des Leuchtturmwärters28.12. Die weisse Massai - 4.1. Broken Flowers

11.1. Insellichter Usedom - 18.1. Wie im Himmel

CineExtra im CineStar Greifswaldjeden Mittwoch um 17.15 Uhr

und 20.15 Uhr für nur 4,50 Euro

Shop till you drop

Jedes, aber auch jedes Jahr nehme ich es mir von Neuem vor: Dieses Mal werde ich alle, wirklich alle Geschenke bis spä-testens Ende Oktober gekauft und verpackt haben, sodass ich allem Stress entkomme und die Vorweihnachtszeit so richtig genießen kann.Aber erstens kommt alles anders, und zweitens anders als man denkt. Soll heißen, ab Mitte November beginnt die große Panik: Oh Gott, es ist praktisch schon Weihnachten und ich habe noch keine Geschenke und auch keine Ahnung, was sich wer wünscht. Also wird der übliche Weihnachtsschlachtplan in Gang gesetzt. Phase 1: Hektisches, stundenlanges Herumtelefonieren nach Weihnachtswünschen von Groß und Klein, wonach man nicht wirklich schlauer ist. Standardantwort: „Ach, ich weiß nicht, dir fällt schon was ein.“ Zumindest der Telekom hat man schon mal ein verfrühtes Weihnachtsgeschenk zukommen lassen.Dem folgt der Übergang zu Phase 2: Shopping extrem: man stürzt sich, idealerweise Samstag vormittags, in der stilvoll mit Kunsttannenzweigen und Lichterkettchen deko-rierten Innenstadt in den Weihnachtseinkaufstrubel, auch Schlachtfeld genannt. Hier darf man sich dann mit Hunderten anderer Leute unter „Last Christmas“–Dauerbeschallung in

lieber verfahren?“Entscheidet man sich für Letzteres, muss man entsetzt feststellen, dass eine der beliebtesten Attraktionen des letzten Jahres, die alles überstrah-lende Geisterbahn, dieses Jahr leider fehlt. Bleibt also nur die Wahl zwi-schen Breakdancer, Autoscooter und Kinderkarussells.Diejenigen unter uns, die mit einer etwas zarteren Konstitution bedacht sind, können ihr Geld natürlich auch wieder in nicht-verderblichen Gütern anlegen. Handwerksstände und solche mit praktischen wochenmarktähnli-chen Waren stehen dafür zur Auswahl. Eine klare Einordnung ist jedoch nicht überall möglich, da einige Händler in ihrer Auslage einen etwas eigenwilligen Übergang von Kochgeschirr über pseu-donützliche Kunst aus Holz zu orienta-lischen Dessous vollziehen, die mir aus dem letzten Jahr verdächtig bekannt erscheinen.Bei den Handwerksbüdchen muss man hingegen einen deutlichen Niveauzuwachs verzeichnen, den ich hier vollkommen unironisch anerkennen möchte. Nicht nur wird diesmal echte Erzgebirgskunst

statt überteuer-ten Imitaten feil-geboten, es gibt sogar einen Stand mit Fair-Trade-Produkten aus dem Weltladen.Balsam auf kon-sumgeschundene Akademikerseelen war am Eröffnungs-wochenende zu-dem der niedliche Weihnachtsmarkt vor dem Landes-museum, wo es stilvolle Kunst und leckere Nahrungs-mittel zu kaufen gab, die vor allem aus Greifswalder Bildungseinrichtungen und der Region stammten. Hier flanierte es sich frei und ungestört.Diesen Niveauausgleich konnte man allerdings nur am ersten Advents-wochenende erfahren. Das Erlebnis der Volksbespaßung auf dem Markt wird ihn also verschütten, wenn man nicht bewusst und verbissen davon zehrt. Aber

das fest der liebe

weihnachtsglosseWeihnachtskaufstimmung versetzen lassen.Das ganze Spektakel ist definitiv nichts für Leute mit Platzangst und spätestens nach dem zweiten Laden bekommt Internetshopping einen ganz neuen Reiz. Einige Auseinandersetzungen mit freundlichem Verkaufspersonal spä-ter spaziere ich um viele Nerven und einiges Geld ärmer – hat schon mal jemand über die Einführung eines Weihnachtsgeldes für Studenten nachgedacht? – dann doch mit den ersten Einkäufen aus dem letzten Laden, nur um mich direkt in das nächste Chaos zu stürzen. Phase 3: Geschenke verpacken und verschicken. Da bei vielen der kleinen Menschen, die ich zu Weihnachten zu beschenken habe, die Ausrede „Der Weihnachtsmann hat das Geschenk für dich bei mir abgeben, deshalb bekommst du es etwas später“ nicht zählt, mache ich auch der Post zu Weihnachten eine Freude, indem ich, nach stundenlangem Schlangestehen, exorbitante Beträge dafür hinblättere, Kinderschokolade nach Übersee und Barbieklamotten nach Belgien zu verschiffen. Habe ich den ganzen Stress hinter mir und tatsächlich alle Geschenke beisammen, beginne ich regelmäßig ernsthaft darü-ber nachzudenken, den Glauben zu wechseln, um im nächsten Jahr dem Chaos zu entkommen. Aber, so verrät mir ein kur-zer Blick ins Lexikon, auch andere Religionen haben Feste, zu denen man sich Dinge schenken muss.Also tröste ich mich damit, dass Weihnachten ja nur ein Mal im Jahr ist und dass ich nächstes Jahr ganz bestimmt früher mit dem Geschenkekaufen anfangen werde. sari

Löbliche Ausnahme für zwei Tage: Der kleine Weihnachtsmarkt vor dem Pommerschen Landesmuseum. Foto: tja

auch das wäre nicht schlimm. Schließlich können wir dann bei Altvertrautem blei-ben. In dem Sinne werden meine einzi-gen Souvenirs auch 2005 wieder eine halblegal angeeignete Glühweintasse sein und die Faszination, wie innerhalb eines Monats aus Sommernostalgie mit Cafétischen überall auf dem Markt der alljährliche Weihnachtswahnsinn werden konnte. tja

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filmfestival

Vom 19. bis 26. November fand in München das 25. Internationale Festival der Filmhochschulen statt. Rund 100 junge Filmemacher aus 24 Ländern zeigten im Münchner Filmmuseum vor einer hochkarätigen Jury und einem inte-ressierten Publikum ihre Werke, wobei die Vorstellungen meistens ausverkauft waren. Und das zu recht, denn in allen Filmblöcken fanden sich unter den Beiträgen aus den verschiedensten Ländern viele neue Inspirationen, interes-sante Sichtweisen und fesselnde Geschichten.Darüber hinaus wurde natürlich auch das 25-jährige Jubiläum ange-messen gefeiert. 1981 erstmals veranstaltet, entwickelte sich das Filmhochschulfestival, das eng mit der Gründung des Filmfests München zusammenhängt, bald von einem rein europäischen Wettbewerb zu einem „der besten, wichtigsten und produk-tivsten Studentenfilmfestivals der Welt“, so Henry Verhasselt, Executive Secretary des CILECT, dem Zusammenschluss der bedeutendsten Film- und Fernsehhochschulen der Welt.International bekannte Regisseure wie Lars von Trier, Thomas Vinterberg, Caroline Link, Rainer Kaufmann, Sönke Wortmann oder Florian Gallenberger stellten sich hier als Filmstudenten – teilweise erstmals – einem größeren Publikum. Beim Festival

1990 zeigte der Trickfilmer Nick Park seinen ersten „Wallace & Gromit“-Film.Aber auch die Liste der Jurypräsidenten der Letzten 25 Jahre unterstreicht die Qualität des Münchner Festivals, darunter

Wim Wenders, Alan Parker, Volker Schlöndorff, Bernd Eichinger, Roland Emmerich oder Fridrik Thor Fridriksson.Immer wieder gaben sich im Laufe der Jahre weitere illustre Persönlichkeiten wie etwa Julius Epstein, der Drehbuchautor von „Casablanca“, Arthur Hiller als damaliger Präsident der „Academy of Motion Arts and Science“

oder die Filmemacher Sam Fuller und Francesco Rosi ihr Stelldichein beim Münchner Filmhochschulfestival und hielten eine Masterclass für die Teilnehmer.Man darf also gespannt sein welche weiteren Impulse vom internationalen Festival der Filmhochschulen in den nächsten Jahren ausgehen. Eines ist jedenfalls schon heute sicher: Auch nächstes Jahr wird es wieder viele zukunftsweisende Filme, interessante Gespräche und Kontakte zwischen alten Hasen, aufstrebenden Talenten und gut informierten Besuchern geben. Das alles in einer Offenheit, für die München bekannt ist.

Maximilian Fleischmann

Der Film „4“, dessen Buch der Filmemacher Ilya Khrzhanovsky zusam-men mit dem bekannten russischen Autor Vladimir Sorokin verfasste, ent-führt den Zuschauer in zwei Welten, die unterschiedlicher nicht sein könnten.Der erste Teil spielt in der Großstadt. Es ist Winter und spät Nachts tref-fen zufällig vier Menschen in einer Bar aufeinander. Im wirklichen Leben ist Oleg Kaufmann und handelt mit Fleisch, indem er die alten Tiefkühlbestände aus Sowjet-Zeiten auflöst. Volodya verdient sei-nen Lebensunterhalt als Klavierstimmer und Marina arbeitet als Prostituierte. Den vierten im Bunde bildet der Bartender hinter sei-nem Tresen. Irgendwann entspinnt sich das Gespräch darüber, was man denn beruflich mache. Marina arbeitet auf einmal im Vertrieb von Klimaanlagen. Oleg behauptet, er habe sein Büro in der Lubjanka – nein, nicht beim KGB,

er sei Regierungsbeamter und für das Trinkwasser des Präsidenten zuständig, denn dieser trinke nur Wasser von der Quelle der Wolga. Volodya gibt vor, Biochemiker zu sein und in einem Klon-Projet zu arbeiten – ja, menschliche Klone gebe es schon lange, seit dem zweiten Weltkrieg, man könne auch gar

nicht mehr sagen wie viele geklonte Menschen tagtäglich herumlaufen. Der Bartender ist und bleibt der Bartender.Während die erste Hälfte von Ilya Khrzhanovskys Film durch ihren subtilen Humor besticht und der Zuschauer, der ja die wahre Identität der Protagonisten kennt, schmunzeln muß, überwältigt die zweite Hälfte durch

die archaische Wucht ihrer Bilder. Die Verbindung zwischen beiden Teilen ist Marina, die zum Begräbnis einer ihrer drei Schwestern reist.Ihr Heimatdorf inmitten der russischen Provinz erwartet sie als Ort, in dem die

Zeit stehen geblieben ist. Verblichene Holzhütten, eine Industrieruine, streu-nende Hunde, sonst nur Leere. Die Zurückgebliebenen im Dorf: alte Mütterchen, Marina, ihre beiden ver-bleibenden Schwestern, der Freund der Toten. Die Verstorbene sicherte den Unterhalt des Dorfes, schuf Puppen aus Brotteig, den die alten Frauen für sie kauten.Der Ort steht vor der Katastrophe. Das Totenmahl wird zum Betrinken, zur Orgie, zum Rausch – die Handkamera wie mit einem Teleobjektiv hautnah dabei. Eine Montage voller Energie und Dynamik und radikale Bilder voller Kraft und Direktheit schaffen im zweiten Teil ein Werk, wie man es nur selten zu Gesicht bekommt.Dem unter anderem in Rotterdam preisgekrönten Film ist zu wünschen, daß er bald in den Kinos seiner Heimat gezeigt werden kann. In Russland wartet das hochpolitische Werk Khrzhanovskys noch auf die Freigabe durch die Zensur. Für den Rest der Welt ist zu hoffen, dass sich genug mutige Kinobetreiber und Filmverleiher finden, die den Film ob sei-ner Radikalität und Progressivität nicht einem größeren Publikum vorenthalten.

Maximilian Fleischmann

Die Filmemacher von morgen

Subtiler Humor und archaische Bilder„4“ – Ein Nachtrag zum 23. Filmfest München

Die Kamera hautnah.

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kino / radio

Es ist schon traurig mit anzusehen, wie eine bis dahin gute Trilogie ihren zuvor erarbeiteten Glanz verliert. Vollkommen abgehetzt wird von Szene zu Szene gerannt, wobei nicht nur der Genuss, sondern auch jegliches märchenhaft romantische Flair auf der Strecke bleibt. Für rund 200 Millionen Dollar kann man doch erwar-ten, dass man sich eine halbe Stunde mehr Zeit nimmt, um den Zuschauer in die Handlung einzuführen und ihn nicht ein-

fach mit lauter Versatzstücken verwirrt zurücklässt. Spannung und Action müssen nicht zu Hetze führen und schon gar nicht zu Detailverlust. Letztlich werden die Charaktere zur Nebensache einer für diese Filmdauer zu komplexen Handlung. Harry Potter erlag wohl dem Problem vieler moderner Produktionen, dass man alles Vorangegangene meint übertreffen zu müssen, indem Bombast und Spannung die kleinen Dinge ablösen. jmk

Mittlerweile zum vierten Mal zeigt sich Harry Potter nun auf Zelluloid und wie die Darsteller ist auch der Film erwachsen geworden. Leider. Anders als noch bei den Vorgängern stehen mehr die Spezialeffekte und die Actionszenen im Vordergrund. Es gelingt Regisseur Mike Newell zwar, die Geschichte des 4. Teiles der mittlerweile sechsteiligen Reihe über den jungen Zauberer nahezu vollständig umzusetzen, aber den Charakteren um Harry wird kaum Platz für Emotionen gelas-sen. Gerade das wäre aber wünschenswert gewesen, um die Stimmung der Vorgänger zu schaffen. Letztendlich ist „Harry Potter und der Feuerkelch“ gute Abendunterhaltung, aber lange kein Märchen mehr für Kinder. michi

Das Time Magazine hat vor kurzem geschrieben, dass die Kinder, die mit Harry Potter aufgewachsen sind, die sind, die mit der ständigen Bedrohung des Terrorismus aufwachsen. Der neue Film schafft es, das Lebensgefühl dieser Kinder einzufangen. Die unbeschwerte Kindheit der letzten Filme ist von der ersten Minute an vor-bei. Der Film lässt einen nicht los, die heile Welt der Kinder zerfällt, ständig schweben sie in einer Gefahr, die sie nicht recht fassen können. Am Ende steht kein Happy End, sondern die Gefahr eines neuen Krieges. Schluss ist mit diffusen Gegnern, jetzt ist Voldemort selbst an der Reihe, genial gespielt von Ralph Fiennes, der der Figur genau das Quäntchen Menschlichkeit lässt, das sie braucht, um sie zu einem der bedrohlichsten Bösewichte seit langem zu machen. Ja, Voldemort ist böse, aber er ist auch ein Mensch. Der Film ist anders, aber besser als seine Vorgänger. sari

Was warAm Anfang war das Wort. Nun fi ndet ihr unter www.98eins.de auch sichtbar unsere Stu-dio-Webcam – allerdings mit V-Effekt versehen. Das Jahr 2005 war auch schon – darum gibt es Anfang 2006 den radio 98eins-Jahresbericht zum Nachlesen der Programm-Highlights, der Veranstaltungen und der Arbeit im Sender.

Was bleibtradio 98eins bietet weiterhin die Möglichkeit zum prakti-schen Journalismus an. Wir suchen weiterhin Redakteure für die Bereiche „Nachrichten“, „Wissenschaft“ beziehungswei-se „Politik“, suchen Techniker für „Audiotechnik“ und „Open Source-Software“ und suchen Verstärkung für die Öffent-lichkeitsarbeit (Werbung, PR). Wir bieten ein freundliches Team, professionelles Arbeiten und Selbstverwirklichung in den Grenzen des Anstands.

Was wirdAlles wird gut. Dazu kommt demnächst der massiv gefor-derte Internet-Stream zum Programmlauschen im Netz. Und: Wir feiern am 7. Januar 2006 den ersten Geburtstag – ein Jahr radio 98eins OnAir! Die „Wir sagen Danke!“-Party fi ndet traditionell im IKUWO statt – mit dem größten Luftgitarren-Battle in der Geschichte Greifswalds. Anmelden könnt ihr euren Auftritt unter [email protected] (Nennt uns euren Titel!). Garantiert keine Luftnummer, verspricht radio 98eins.

[email protected]

kino-extratest

Harry Potterund der Feuerkelch

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kino-historie

Drehbuchautor Merian C. Cooper hat-te einen bizarren Traum: Ein Riesenaffe zerstört New York. Aus dieser Idee ent-wickelte er zusammen mit dem Auto-ren Edgar Wallace die Geschichte von King Kong.Der Protagonist des in schwarz-weiß gedrehten Kinowerkes ist der für sei-ne Abenteuerfilme bekannte Regis-seur Carl Denham. Durch merkwürdi-ge Umstände erfährt er von dem auf einer einsamen Insel lebenden Riesen-affen und plant daraufhin seinen neu-esten Film. Außer Denham ist sich kein Besatzungsmitglied der bevorstehenden Gefahren bewußt.Gleich nach der Ankunft auf der Insel trifft die Expedition auf die dort leben-den Eingeborenen und stört bei einer Opferzeremonie für Kong. Natürlich bestehen die Einwohner der Insel auf einem neuen Opfer und machen es in der blonden Ann Darrow aus. Der über-mächtige Kong tritt auf und nimmt sich des Opfers an. Was erst wie das natür-liche Verhalten eines Raubtieres scheint, entwickelt sich zu einem Liebesverhält-nis zwischen Affe und Mensch.Verständlicherweise unternimmt die Schiffscrew einen Rettungsversuch und

Ein weltbekannter Frauenversteher mit Biss (2005).

Das achte Wunder der WeltPeter Jackson wagt Neuverfilmung eines Klassikers

wird dabei in einige Abenteuer auf der Insel verwickelt. Ohne den geplanten Film endet die Reise. Dafür kann Den-ham aber der Weltöffentlichkeit den bis-her unbekannten Riesenaffen als „King Kong“ präsentieren.Welch ein Fehler: Als das Leben der von Kong geliebten Darrow bedroht scheint, befreit er sich und versetzt New York in Angst und Schrecken. Natürlich ist der Ausgang des Kampfes Natur gegen Mensch von vornherein klar: Kong stirbt. Aber nicht durch technische Errungen-schaften oder menschliche Intelligenz, sondern durch das Gefühl der Liebe.Der 1933 erschienene Kinofilm „King Kong und die weiße Frau“ nutzt die Möglichkeiten des Tonfilms konsequen-ter aus. Die Geräusche des Riesenaf-fen, vor allem aber die Schreie der jun-gen Schauspielerin Fay Wray unterma-len die von Spezialeffekten strotzende Geschichte von der Schönen und dem Biest.Wie eine Bild gewordene Kritik am Kapitalismus marschiert ein Dreißig-Meter-Affe durch Amerikas Sinnbild des Aufschwungs – eine Dämonisie-rung des außer Kontrolle geratenen Schwarzen. Ist unsere zivilisierte west-

liche Welt wirklich so zivilisiert, wie wir immer glauben? Immerhin schafft sie sich ihre sozialen Konfliktherde selbst, indem sie schwarze Bevölkerungsteile finanziell ausbeutet, politisch und sozial aber nicht integriert. Es mag jeder seine eigene Botschaft in „King Kong“ finden, doch eines scheint ziemlich deutlich: Der Sprung sozialer Konflikte von subtil zu subversiv ist nur ein kleiner.Das Publikum belohnte dies mit einem für die 1930er Jahre unvorstellbaren Kassenerfolg und sicherte somit auch das Überleben des am Rande des Ruins stehenden Filmstudios RKO Pictures. Innerhalb kürzester Zeit wurde deshalb auch die Fortsetzung „Son of Kong“ in die Kinotheater gebracht, ohne aber den immensen Erfolg zu wiederholen.Der Meilenstein der Filmgeschichte erzählt einen rein fürs Kino entwickel-ten Stoff. Auf literarischem Vorbild basie-rende Kinowerke müssen sich immer von diesem emanzipieren; dieses Pro-blem hat die Figur des King Kong nicht. Deshalb konnten in den folgenden Jahr-

Fay Wray (1933) und Naomi Watts (2005) im Angesicht ihres großen Verehrers.

Der King downtown in New York (1933).

zehnten die unterschiedlichsten Inter-pretationen entstehen.Auch Peter Jackson versuchte sich als Neunjähriger an einer solchen. Sein Vor-haben war aber aufgrund der beschränk-ten technischen Mittel zum Scheitern verurteilt. Vor einem Jahrzehnt versuchte sich der Neuseeländer erneut an seinem Lieblingsprojekt, wurde aber von Uni-versal aufgrund der anstehenden Kon-kurrenz durch „Godzilla“ (1998/Regie: Roland Emmerich) zurückgepfiffen.Nachdem aber die drei „Herr der Rin-ge“-Filme (2001-2003) kommerziel-le und künstlerische Erfolge wurden, erhielt Jackson vollkommen freie Hand. Seine Neuverfilmung des Stoffes läuft ab dem 14. Dezember in den Kinos. Ob der nachwirkende Effekt des ersten „King Kong“-Films wiederholt werden kann, wird sich zeigen. Vor allem die mehr als doppelt so lange Laufzeit des Remakes ist trotz der wahrscheinlich gleichen Handlung überraschend.

bb, jmk

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Der neue MenschEntfesselt

Musik vermag einen Menschen zu retten. Luc Bessons Film „Danny The Dog“ zeigt den Reifeprozess des für seinen krimi-nellen Onkel Bart (Bob Hoskins) in den Straßen kämpfenden Dannys (Jet Li), der dank des blinden Klavierstimmers Sam (Morgan Freeman) ein neues Leben be-ginnen möchte. Der deutsche Titel „Ent-fesselt“ emotionalisiert und verwischt die Brisanz des cineastischen Gedanke-

AtemberaubendKrieg der Welten

(2-Disc-Special-Edition)

Für die einen ist „Krieg der Welten“ wohl ein verdammt spannender Thriller, der einem mit guten Schauspielern und hervorragenden Special-Effects pau-senlos das Adrenalin durch die Adern jagt. Andere mögen ihn eher als eine hochtrabende, von logischen Fehlern durchfressene Hommage an das US-Militär empfinden. Letzten Endes sind beide Positionen richtig. Auch wenn man den Militärgegnern erwidern muss, dass die Botschaft eine gegenteilige ist, sind besonders die logischen Fehler unan-genehm.Dies ist aber auch der einzig denkbare Vorwurf. Die Spezialeffekte und beson-ders die Drehtechniken sind mitunter atemberaubend. Es gibt bis dato kaum einen Film, der es vermag, so konstant Spannung und Bedrängnis zu vermitteln. Im Angesicht des Todes wird der Film zu einer Sozialstudie mit schockierender Bildersprache, wenngleich ihr Ende sehr abrupt ist. Die Soundoptionen der DVD setzen das Klangspektrum ideal um und die zahlreichen Featuretten ermöglichen detaillierte Einblicke in die Produktion.

jmk

Der Konflikt: Die Freiflächenkoalition gegen den übermächtigen Konzern Huckabees. Abhängigkeit oder Unab-hängigkeit.Die Akteure: Der auf der Suche nach dem Sinn des Lebens befindliche Albert Markowski (Jason Schwartzman) möch-te das Wirrwarr seines Lebens ord-nen und Antworten auf die elementa-ren Fragen des Lebens erhalten. Den Feuerwehrmann Tommy Corn bewegen ähnliche Themen.Beide haben deshalb die existentiellen Detektive Bernard und Vivian Jaffe (Mr. Dustin Hofmann mit einer tollen Frisur und Lily Tomlin) beauftragt, Antworten zu liefern. Für Bernard und Vivian ist alles miteinander verknüpft. Zwischen

dir, mir, einem Hamburger, der Stadt Paris und einem Organismus besteht eine nicht trennbare Verbindung.Dies sieht die französische Philosophin Caterine Vauban ganz anders: Keine Handlung, kein Gegenstand hat mit etwas anderem zu tun. Die Welt besteht nicht aus wechselseitigen Abhängigkeiten.Jude Law schlüpfte in die Rolle des karrieregeilen, aber oberflächli-chen Huckabees-Managers Brad Stan. Verheiratet ist er mit dem Werbegesicht des Konzerns, Dawn Campell, gespielt von der neuen King Kong-Freundin Naomi Watts. Ihre Beziehung besteht aus oberflächlichem, konsumorien-tierten Verhalten mit siebenminütigen Sexunterbrechungen.

dvd

„I heart Huckabees“-DVD; Dustin Hoffman, das Gespenst, und Jason Schwartzman, der Lebensphilosoph.

Lasst uns mal über Erdöl reden Die chaotisch-anarchische US-Komödie besticht durch wunderbare Darsteller, einen intelligenten Plot und amüsante Dialoge. Regisseur David O. Russel ist eine Farce der Gesellschaft der noch einzig bestehenden Weltmacht gelun-gen. Der Film erfordert die ganze Aufmerksamkeit des Zuschauers, um die kleinen und großen Momente die-ses intellektuellen Trips ins Nirwana zu begreifen.Glücklicherweise entspricht die Aus-stattung der deutschen DVD dem Ideal dieses Mediums: Alternative und verlän-gerte Szenen, ein informatives Making-of, sechs lustige Werbefilme für den Erhalt von Freiflächen und ein Special über die Entstehung der Filmmusik von Jon Brion sowie das kurzweilige Musikvideo des Titelliedes sind zu bestaunen. bb

nexperiments. Denn Dannys Erziehung diente der Bildung eines Kampfhundes, nicht eines Individuums.Anders als im für das deutsche Publikum bestimmten Kinotrailer spielen die ac-tiongeladenen Szenen mit ihrer Gewalt-darstellung in dem Streifen selber eine marginale Rolle. Sympathisch sind die Stimmen der wunderbaren Schauspieler im Original, ärgerlich das Abschieben der wichtigsten Sequenz in die Rubrik „Ent-fallene Szenen“ und anregend das in Bil-dern brillierende Opus. ur

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bücher / cds

Wächter der Nacht In Russland ist Sergej Lukianenko als Schriftsteller von Fanta-sy und Science-Fiction kein Unbekannter mehr. Im Gegenteil. Für seine Romane und Erzählungen ist der Gegenwartsautor mit Preisen bedacht worden. Hierzulande erstreckt sich sein Bekanntheitsgrad vorerst auf „Nochnoi Dozor“. In Greifs-wald fesselte der auf dem gleichnamigen Buch basierende Film „Wächter der Nacht“ in der Spätvorstellung. Der Roman ist Auftakt einer Fantasy-Triologie, in der nach einem lange zu-rückliegenden Waffenstillstand Gut und Böse auf das empfind-liche Kräftegleichgewicht achten. Der Kampf um den Sieg steht solange aus, bis eine der beiden Seiten einen entscheidenden Vorteil errungen hat.

Jan Vogler: Antonín Dvorák, VioloncellokonzertSony BMG

Neben den Slawischen Tänzen, der achten und der neunten Sinfonie („Aus der neuen Welt“) sowie der späten Oper „Ru-salka“ zählt das Violoncellokonzert zu den wichtigsten Kom-positionen des Tschechen Antonín Dvorák (1841–1904). Ob-wohl der Brahmsfreund das Cello aufgrund seiner klanglichen Qualitäten in der hohen wie tiefen Lage nicht überschwänglich schätzt, geriet das Werk zu seinem besten Instrumentalkon-zert.Der Solist Jan Vogler reiste für die Einspielung des Stücks mit David Robertson und dem New York Phil-harmonic Orchestra eigens nach New York – dem Ort, wo Dvorák 1894, kurz vor Abreise nach seinem dreijähri-gen, erfolgreichen USA-Aufenthalt, die Arbeit daran begann. Damit endet innerhalb des Ge-samtoeuvres die „ame-rikanische“ Phase, in der Dvorák indirekt die Diskussion um die musi-kalische Identität des Landes anregend begleitet. Doch anstelle eines Hinweises auf jenen historischen Hintergrund betonen Jan Vogler als Solist und der Musikwissenschaftler Michael Be-ckermann die geheimnisvolle, wenn auch persönlich-tragische, Seite des Cellokonzerts. Was sich interpretatorisch als beflü-gelnd herausstellt, lässt wissenschaftlich Fragen offen.Dem Hörer kommt bei dieser Aufnahme das pädagogisch wertvolle Konzept zugute. Anstelle von Taktzahlen in einer Partitur führen die angegebenen Spielzeiten durch das Werk und ermöglichen einen klareren Überblick über dessen dra-matische Konzeption. Mit wunderbarem Strich gleitet Jan Vog-ler nach einem bedrückt grüblerischen Orchesterauftakt in das Werk und präsentiert eine insgesamt recht aufgewühlte Interpretation, die für sich selbst stehen kann.Hingewiesen sei abschließend auf die Einspielungen von Pab-lo Casals und Mstilav Rostropovitsch. Letzterem gelingt unter dem Dirigat Herbert von Karajans eine anfangs bescheidene, in der Expressivität keinesfalls nachstehende Deutung, bei der Orchester und Solist wunderbar verschmelzen. Die Schaffung eines prahlerischen Virtuosenstücks lag Dvorák mit Konzert für Violoncello und Orchester fern. ur

der cd-klassikerbücher

Geschmack in Gefahr

„Ganz Gallien ist von den Römern besetzt... Ganz Gallien? Nein! Ein von unbeugsamen Galliern bevölkertes Dorf hört nicht auf, dem Eindringling Widerstand zu leisten.“Wer diese Sätze liest, weiß, dass Asterix-Zeit ist. Seit über 30 Jahren erfreut der schlaue Gallier gemeinsam mit seinem Freund Obelix Generationen von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. Im Oktober ist nun der mittlerweile 33. Band erschienen: „Gallien in Gefahr.“Die Handlung ist schnell erzählt: Zwei rivalisierende Alien-Völker versuchen den Zaubertrank in ihre Gewalt zu bekom-men, um endlich die Herrschaft im Universum an sich zu

reißen. Logisch, dass Asterix und seine Freunde alles daran set-zen, dies zu verhindern.Einen Asterix-Band zu bewer-ten, ist schwierig, denn die Abenteuer der Gallier sind ein-fach Kult. Doch der neueste Band treibt selbst dem einge-fleischtesten Fan die Tränen in die Augen. Dass Albert Uderzo nach dem Tod seines kongeni-alen Partners René Goscinny neben den Zeichnungen nun auch die Texte schreibt, ist lei-der nicht zu ändern. Bisher war

es ja auch immer noch relativ gut gegangen, doch „Gallien in Gefahr“ kann man nur als Beleidigung des Lesers bezeichnen. Die Dialoge sind schlecht, die Handlung noch viel schlimmer und selbst die obligatorischen Prügelszenen mit den Römern machen keinen Spaß.Außerirdische in die vorchristliche Welt einzubauen, ist eine ziemlich schlechte Idee und ohne Uderzo etwas unterstellen zu wollen, macht dies den Eindruck, dass es ihm einfach an Einfällen gemangelt hat. Selbst der lateinische Wortschatz wird nur sehr spärlich bemüht, was bisher immer ein großes Plus der Comic-Reihe gewesen war.Dass am Ende die Gallier gewinnen und die Römer doch noch mal ordentlich eins auf die Mütze kriegen, ist schön, entschä-digt aber nicht für 40 Seiten Folter. Da wünscht man sich doch, dass der kleine Außerirdische auch bei einem selbst vorbei-kommt und jegliche Erinnerung an die Geschichte auslöscht, wie er es auch bei den Galliern macht. Zumindest würde man so Asterix in guter Erinnerung behalten. ring

Der Comicband „Gallien in Gefahr“ von Réne Goscinny und Albert Uderzo ist im Egmont Verlag erschienen und kostet 10 Euro.

Die deutsche Erstausgabe des Buches lässt rasch nach der literarischen Qualität Luki-anenkos fragen. Fade Dialoge, fleischlose Figuren und ein recht konturloses Moskau sorgen nicht für die nötige Spannung auf 525 Seiten, wovon allein nur das erste Ka-pitel als Drehbuchgrundlage diente. Zwar ist Quentin Tarantino im Klappentext au-ßerordentlich über den Film erfreut, den-noch erklärt sich die Schwäche des Buches daraus nicht. Vielleicht bringen Teil zwei und drei mehr Licht ins Dunkel. ur

Das Buch „Wächter der Nacht“ von Sergej Lukianenko ist im Hey-ne-Verlag als Taschbuch erschienen und kostet 13 Euro.

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theater

Kurt Tucholsky liebt Deutschland, Kurt Tucholsky hasst „Deutschland“.Kontrastreich war auch das Programm „Kurt Tucholsky: Drei Minuten Gehör“, das an einem Donnerstagabend im Theater auf der Probebühne dargeboten wurde. Begleitet vom Pia-nisten und Antagonisten Thomas Bloch–Bonhoff, gab Sabine Kotzur mit Texten, Gedichten und Chansons die satirisch-hu-moristische, aber auch die vaterlandsmüde Seite Tucholskys wieder. Mit Chansons á la „Zieh Dich aus Petronella“ oder „Immer angelehnt“ beherrschte sie die Kunst des Flirtens und Kokettierens mit den anwesenden Männern im Publikum voll und ganz.Mit fabelhaft sonorer Stimme und Berliner Schnauze trug sie Texte gegen die eitle Männlichkeit, gegen den Militarismus, gegen das Beamtentum und natürlich für die Liebe vor. Mal schlüpfte sie in die Rolle der Tochter, die einem Geliebten beichtet, mal in die Rolle des Arbeitsvermittlers, der dem Sohn eine Beamtenlaufbahn empfiehlt und dann nahm sie wieder die Rolle des selbstverliebten Mannes ein, der vor dem Spiegel posiert, um einer Zimmerpalme zu imponieren. Auch Szenen einer Ehe durften natürlich nicht fehlen. Wer „Rheinsberg“ kennt, weiß, wie gnadenlos Tucholsky Stärken und Schwächen einer Beziehung seziert.Auch als überzeugter Pazifist war Tucholsky bekannt und präg-te den berühmt gewordenen Satz „Soldaten sind Mörder“. Wie kein anderer kritisierte der bedeutendste Satiriker der Weimarer Republik die Missstände seiner Zeit. An diesem Abend fand auch dieser Aspekt Berücksichtigung im abwechs-lungsreichen Repertoire. Die Auswahl von Tucholskys Texten spiegelte die zwiespältige Seele des Dichters gelungen wider.An seiner Hassliebe zu Deutschland ging er letztendlich zu Grunde: 1935 starb Tucholsky im schwedischen Exil nahe Gripsholm durch eigene Hand. kats

Wie wird aus Liebe Hass und aus Zuneigung Verachtung? Wa-rum wird eine Frau zur Mörderin ihres Bruders und ihres ei-genen Sohnes?Seit Jahrhunderten lebt der Mythos der Kindsmörderin Me-dea. Zahlreiche Autoren wie Euripides oder auch Christa Wolff ließen sich von dieser leidenschaftlichen Frauengestalt zu un-terschiedlichsten Ausarbeitungen inspirieren, als Opern- und Filmstoff ist das Schicksal der Medea aufgegriffen worden.Im Theater Vorpommern ist nun ein modernes Ballett von Ralf Dörnen zu erleben, in dem Medea ihren Weg durch die Ir-rungen des Lebens sucht. Für ihren Geliebten Jason wendet sie sich gegen ihre eigene Familie, wird kriminell und verlässt fluchtartig ihre Heimat.Fortan führt sie ein Leben, das von Verzweiflung und Entwur-zelung geprägt ist. Das Glück mit Jason und dem gemeinsamen Sohn währt nicht lange, denn Jason verlässt sie, um für sich den sozialen Aufstieg zu ermöglichen. Hasserfüllt entwickelt Medea einen grausamen Racheplan, der alle Beteiligten in tiefe Verzweiflung stürzt.Zur Musik von Stephan Marc Schneider lassen die Mitglieder des Ballettensembles diese Geschichte mit tragischem Ausgang zum Leben erwachen. Dynamische Bewegungen sowie moder-ne Sprung- und Tanzkombinationen werden genutzt, um dem Zuschauer die Handlungen und Emotionen der Protagonisten zu erklären. Nicht immer will dies gelingen.Theaterbesucher, die die Geschichte der Medea nicht kennen, haben sicherlich Mühe, der Handlung zu folgen. Begrenzt sind auch die Möglichkeiten eines Balletts, die vielschichtigen Mo-tive und Gefühle der Handelnden, vor allem der Medea, aus-schließlich durch Bewegung und Mimik auszudrücken.Beeindruckend ist die Aufführung jedoch allemal, denn der In-halt, die tänzerische Leistung, die musikalische Begleitung sowie die Kostüm- und Bühnengestaltung wissen in ihrer Gesamtheit zu überzeugen. grip

Mythos einer Mörderin Zeitlos scharfsinnig

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Pünktlich zum ersten Advent präsentierte das Theater Vor-pommern dieses Jahr sein Weihnachtsballett, den „Nusskna-cker“. Das von Tschaikowsky vertonte Märchen E. T. A. Hoff-manns gehört zu den meistaufgeführten Repertoirestücken der Welt. Vielleicht auch ein Grund, warum das Stück in der Inszenierung und Choreographie von Ralf Dörnen nach drei-jähriger Pause wieder aufgenommen wurde. Die Zuschauer konnten in einem nahezu ausverkauften Haus verfolgen, wie die kranke Klara an einem turbulenten Weih-nachtsabend von ihrem Arzt, Dr. Drosselmeier, einen Nuss-knacker geschenkt bekommt. In den Träumen des Mädchens erwacht das Spielzeug zum Leben, rettet es vor dem garstigen Mäusekönig und seinem Gefolge und lässt für es seine Pup-pen zum Leben erwachen. Mit diesen feiern die beiden einen nächtlichen Ball. Am nächsten Morgen erwacht Klara mit dem hölzernen Nussknacker in ihren Armen und erinnert sich zu-frieden an ein wunderbares Abenteuer im Reich der Spielzeu-ge. Obwohl es sich um die zweite Wiederaufnahme des Balletts handelt, stehen nur zwei Tänzerinnen der alten Besetzung die-ses Jahr mit auf der Bühne. Die übrigen zwölf Mitglieder der

Sie sind Kult und jeder kennt sie: Der ewig-planende Egon, Benny, Kjeld und Nervensäge Yvonne, gejagt von Kom-missar Hansen und seinem Assistenten. Nun bevölkern sie die Bühne im Theater Vorpommern in der Komödie von Peter Dehler „Die Olsenbande dreht durch“.Groß war die Wiedersehensfreude, als der bekannte Chef der Bande aus dem obligatorischen Gefängnistor auf die Bühne trat. Das Haus war voll besetzt, dementsprechend laut der Jubel. Die Begeisterung sollte auch die folgenden zwei Stunden anhalten, denn Jung und Alt ließen sich von der witzigen Ge-

schichte mitreißen. Wieder einmal ging es um einen genialen Coup. Das Publi-kum wurde Zeuge, wie die dreiköpfige Bande mit Witz und Geschick die Poli-zei an der Nase herumführte und dem Geschäftsmann Bang Johansen wichtige Dokumente stahl, um diese zu Geld zu machen. Nicht alle der spektakulären Pläne Egons wollten auf Anhieb gelingen, dennoch konnten sich die drei inklusive Yvonne schließlich über sieben Koffer Geld und auf eine bevorstehende Welt-reise freuen. Nicht nur das originelle Medley aus allen 13 Olsenbande-Filmen, sondern auch die

originalgetreue und liebevolle Ausstaffie-rung der Figuren erfreute den Kenner. Eng an die Filmvorlagen angelehnt, ließen sich viele Details wiedererkennen, vom tippelnden Gang Bennys bis zur ewig nörgelnden Yvonne. Es folgte Witz auf Witz, zur Freude der anwesenden Kin-der manchmal etwas zu überdreht, doch auch das erwachsene Kind hatte seinen Spaß. In jedem Fall passt das harmlos lustige Stück wunderbar in die Vorweih-nachtszeit und ist besonders für Studen-ten zu empfehlen, da zwei ihrer Kommi-litonen die Aufführung bereichern.

ilia, grip

Tierisches VergnügenAus Alt mach Neu

Schwere Jungs, leichte Mädchen und vertrottelte Kommissare im Theater Vorpommern. Fotos: Theater Vorpommern

theater

Olsenbande macht Greifswald unsicher

Die Puppen tanzen neuen, jungen und sehr internationalen Company wirken zum ersten Mal an der Greifswalder Inszenierung mit. Das Publikum zeigte sich begeistert von der Leistung dieses Ensembles und sah ihm kleinere Schwächen wohlwollend nach, so zum Bei-spiel, dass einige Passagen nicht vollkommen synchron getanzt wurden oder dass die Leichtigkeit mit der Zeit etwas nachließ und erahnbar wurde, dass hinter der Anmut des klassischen Balletts kräftezehrende Arbeit steckt.Für eine so junge Company, die erst seit kurzer Zeit in dieser Formation zusammenarbeitet und in den letzen Wochen viele verschiedene Choreographien getanzt hat, war es auf jeden Fall eine sehr beeindruckende Leistung. Die Solisten Nao Omi (Klara) und Ion Beitia (Dr. Drosselmeier/Nussknacker) fielen mit ihrem Können besonders beim Höhepunkt des Stücks, dem technisch anspruchsvollen „Grand Pas de Deux“, auf. Der wiederholte Szenenapplaus war Beweis genug dafür, dass die Tänzer die Zuschauer für sich gewonnen hatten. Ebenfalls mit viel Beifall bedacht wurden das philharmonische Orches-ter Vorpommern und sein Dirigent Koji Kawamoto, die mit einer guten Darbietung durch das Stück begleitet hatten. Alles in allem ist der Greifswalder „Nussknacker“ eine rund-um gelungene Inszenierung, die hervorragend in die Vorweih-nachtszeit passt und an langen Abenden eine lohnende Alter-native zum Glühweintrinken bietet. sari, tja

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moritz – Studentische Medien Greifswald

IMPRESSUM

RedaktionWollweberstraße 4, 17489 GreifswaldTel: 03834/861759, Fax: 03834/861756 E-Mail: [email protected]

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Geschäftsführungc/o AStA Greifswald, Rubenowstraße 1,17487 GreifswaldTelefon: 03834/861750 -51, Fax: 03834/861752E-Mail: [email protected]

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Herausgeber: Studierendenschaft der Universität Greifswald (vertreten durch den AStA, Rubenow-straße 1, 17487 Greifswald)

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RedakteureAnne Breuer (eue), Anne Schuldt (enna), Arvid Hansmann (aha), Björn Buß (bb), Cornelia Leinhos (cole), Delia Holm (dee), Grit Preibisch (grip), Ina Kubbe (ik), Joel Kaczmarek (jmk), Judith Küther (juk), Julia Mai (maju), Kai Doering (ring), KatarinaSass (kats), Katja Staack (tja), Katja Streller (kast), Michael Boortz (michi), Robert Tremmel (bert), Sarah Rieser (sari), Sebastian Vogt (sv), SophiaPenther (so), Stephan Kosa (kos), SusanneWächter (susa), Ulrich Kötter (uli), Uta-Caecilia Nabert (ilia), Uwe Roßner (ur), Verena Lilge (lil)

freie Mitarbeit: Enno Franzius, Luise Baumann,Thomas Schattschneider, Maximilian Fleischmann

Titelbild: Melanie Wilkens,David Albrecht (Zeichnung)

Zeichnungen: Franziska Salopiata, Juliane Hesse

Druck: Druckhaus Panzig, 17489 Greifswald

moritz erscheint während des Semesters monatlich in einer Auflage von derzeit 3.000 Exemplaren.Redaktionsschluß der nächsten Ausgabe istder 9. Januar 2006. Die nächste Ausgabe erscheintam 23. Januar 2006.

Nachdruck und Verfielfältigung, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Redaktion. Die Redaktion behält sich vor, eingereichte Texte und Leserbriefe redaktionell zu bearbeiten. Namentlich ge-kennzeichnete Artikel geben nicht unbedingt die Mei-nung der Redaktion wieder. Die in Artikeln und Wer-beanzeigen geäußerten Meinungen stimmen nicht in jedem Fall mit der Meinung des Herausgebers überein. Alle Angaben sind ohne Gewähr.

RÜBER

1. englischer Mediziner (Nobelpreis) - 4. Laubbaum - 8. Körperfunktionsteil - 9. europäisches Hochgebirge - 10. Schneemensch - 13. Gleichklang - 14. Masseneinheit -15. Aufgeld - 17. Futterpflanze - 22. Fracht, Ladung - 23. Reittier - 24. weibliche Anrede - 25. Bezeichnung

RUNTER

2. Furcht - 3. Ziffer - 4. Staat im Westen der USA - 5. Tasche für Aufzeichnungen - 6. Kleinpferd - 7. kleiner Erdgeist - 11. Internationale Handelsorganisation - 12. deutscher Geheimdienst (Abkürzung) - 13. lateinisch: Ding, Sache - 15. Vorfahre des Menschen - 16. medizinisch: Wund-jauche - 18. rauchende Schwefelsäure - 19. Immunerkrankung - 20. Buckelrind - 21. Hobelabfall

Zu gewinnen gibt es zwei-mal zwei Kinofreikarten für‘s CineStar.

Viel Spaß!

Bella ciao, bella ciaoTja, nicht nur mit der Uni geht‘s wohl bald bergab, sondern auch das Jahr ist bald zu Ende. Kommt aber bitte nicht auf die Idee, aus lauter Protest dem nachzueifern, was das Lösungswort ergibt!

Sorry, dass letztes Mal nicht dabei stand, wohin ihr die Lösung schicken könnt – natürlich wie gehabt per E-Mail an [email protected], Name und Studienfach nicht vergessen. Für all‘ diejenigen, die es nach dem letzten moritzel trotzdem gewagt haben, uns das Lösungswort „FLAUBERT“ per Mail zu schicken, gibt‘s weihnachtlich viele Gewinne (s.u.)!

Die Gewinner ermittelte unsere moritz-Glücksfee: Natalie Schneider gewinnt zwei Freikarten für‘s CineStar. Sebastian Brandt, Jan Lichte und Marcus Vollmer gewinnen je zweimal „EinTicket“ für den InterConnex. Ihr könnt Euch Eure Gewinne zu den Sprechzeiten der moritz-Chefredakteure abholen (Di 10-11 Uhr AStA-Büro, Fr 14-15 Uhr moritz-Büro).

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Alter: 55 Jahre.

Sternzeichen: Stier.

Berufsbezeichnung: Trouble-shooter, Intendant, Geschäfts-führer, Regisseur, Schauspieler.

Lieblingsessen: In netter Gesellschaft fast alles. Nie auf den Tisch kämen Innereien.

Lieblingsmusik: Jeweils die Oper, die ichgerade inszeniere.

Morgenmuffel oder Frühauf-steher?Wäre gern ersteres, muss aber leider zweiteres sein.

Welchen Menschen unserer Zeit oder der Geschichtebewundern Sie? Von vielen jeweils einiges, doch in der Gesamtheit... Halt, doch einen Men-schen – meine Frau, die schon seit16 Jahren zu mir steht. Welches Fach würden Sie in Greifswald studieren? Vergleichende Sprachwissenschaft.

Mit welcher Märchengestalt würden Sie sich identifizieren? Diese Frage ist gefährlich – zu leicht öffnet sich die Büchse der Pandora.

Kultur ist... ...ein elementares Grundbedürfnis der Menschheit, leider oft mit Füßen getre-ten, jedoch immer wieder als Phönix erscheinend.

Was kann und muss Theater heute leisten? Alles, was heute Familie, Schule, Religion und TV nicht mehr leisten können –und muss dabei auch noch „leistbar“ sein.

Worauf sollte man heutzutage mehr Wert legen? Auf das Theater. Begründung siehe oben.

Was ist ein gutes Publikum?Ein Publikum, das in Massen strömt, Beifall zügellos spendet, Missfallen mit Zügeln kundtut und vor allem seinem Theater in guten und schlechten Zeiten die Treue hält und durch viele Spenden eine neue Theaterbestuhlung ermög-licht.

Wie lautet Ihr Credo als Inten-dant?Eine Atmosphäre des Vertrauens zu schaffen, Freude an der Arbeit

zu ermöglichen, denn diese Freude springt aufs Publikum über.

Welche Fähigkeit würden Sie gern beherrschen?Enttäuschungen leichter verkraften zu können.

Welchen Traumberuf hatten Sie als Kind? Schauspieler.

Wie sieht Ihr typischer Tag aus? Mit dem Plan ins Theater kommen, langfristig hohe Ziele setzen, tagsüber mittelfristig sich anbahnende Katastro-phen verhindern, kurzfristig Brandherde löschen, am Abend in Proben oder Vorstellungen von der Poesie unserer Darsteller verzaubert werden, in der Nacht wieder langfristig hohe Ziele planen.

Kochen Sie gern? Ja, jedoch nie für mich alleine.

Haben Sie in Greifswald einen Lieblingsplatz? Marktplatz vor dem Rathaus, Eldena und das mit neuen bordeauxroten Stühlen versehene Oval.

Ihr Lebensmotto? Langfristig hohe Ziele setzen.

Interview: Uwe Roßner

Anton Nekovar, Intendant des Theater Vorpommern

kulturköpfe

m.trifft...Foto: Enno Franzius

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arvids kolumne

„Last Christmas I gave you my heart ...“ – „Ich kann es nicht mehr hören! Dieser Weihnachtsmarkt macht einen noch fer-tig! Was soll dieser ganze Rummel über-haupt? Weihnachten ist doch das Fest der Liebe und der Besinnlichkeit...“ Ja, genau! Das ist es, worauf es beim Weihnachtsfest ankommt. Dafür kann man doch locker auf den ganzen Ramsch und Kommerz verzichten. Und eigent-lich auch auf die Geschichte, angefangen beim Weihnachtsmann. Der ist doch eh‘ nur ein PR-Produkt von CocaCola. Letztendlich auch die Sache mit dem Christkind. Das ist eigentlich nur ein My-thos, der durch die Kirche immer weiter tradiert worden ist. Ob nun die Maria eine Jungfrau war oder ob Ochs und Esel im Stall ge-standen haben, das ist doch für das Fest an sich nicht von Belang. Moment! Die Weihnachtsgeschichte – ein Mythos? Nichts weiter als ein Konstrukt – ohne Anspruch auf Echtheit? Wieso Echtheit? Was un-terscheidet die phantas-tische Welt von „Narnia“, die sich hinter einem alten englischen Wandschrank auftut, von den aramäi-schen Dialogen im Mel-Gibson-Film „Die Passion Christi“? Es ist der Glau-be! Der Glaube an eine Wissenschaft: die der Ge-schichte.Wir haben uns ein Rezep-tionsverhalten angewöhnt, das zwischen Termini wie „Fantasy“ oder „Histori-endrama“ differenziert. Auch wenn man sich bewusst ist, dass ein Kinofilm im-mer einen Großteil an Fiktion, also an menschlicher Phantasie enthält, wird dennoch das, was „historische“ Quel-len aufzeigen, mit anderen Augen gese-hen. Es ist der Glaube an eine objektive Wahrheit, die sich auf eine der Vernunft entspringende Wissenschaft stützt.Man mag den Interpretationsgehalt anti-ker oder mittelalterlicher Überlieferun-gen noch akzeptieren, doch dem, „was die Leute noch selbst erlebt haben“, glaubt man. Ich glaube meiner Oma, dass sie 1945, als sie auf einem überfüllten dä-nischen Transportschiff aus Hinterpom-mern floh, nach der tagelangen Reise im

Hafen von Wismar vom Kapitän in die Speisekammer mitgenommen wurde, um sich etwas für den weiteren Weg mitzunehmen. Ich kann nicht wissen, ob es wirklich ein Stück Butter war, das sie in ihrer Bescheidenheit auswählte, aber ich glaube es. Nun mag diese platte Differenzierung von Glauben und Wissen nicht dem Mysterium der „Fleischwerdung Gottes in Jesu Christi“ gerecht werden. Wenn zum einen der Zweifel am Wahrheitsge-halt der Wissenschaft zunimmt und zum anderen der Lebensbezug mythischer Stoffe zu elitär-allegorischen Schatten verkommt, ist die Sinnkrise perfekt. Wird der partielle Waffenstillstand von

1914, wie er im Film „Merry Christmas“ thematisiert wird, bald von einigen Krei-sen als „europäisches Gedankenspiel“ angesehen und wird es bald Leute geben, deren Oma ihnen felsenfest versichert, dass sie im Jahre 1932 „King Kong“ hat wirklich am Empire State Building hoch-klettern sehen? Wer dies nun als Gedankenspielerei der Geisteswissenschaft abtut, die er von der Naturwissenschaft zu unterscheiden weiß, dem sei beispielsweise bewusst ge-macht, dass sich deren Ergebnisse zwar in der universellen Sprache der Zahlen fassen lassen, aber der Mensch sich noch vom Computer unterscheidet, indem er nicht in Zahlen spricht. Um die vermeint-

lich objektiven Ergebnisse der Forschung kommunizierbar zu machen, brauchen wir eine menschliche Sprache und eine Sprache ist immer durch Abstraktionen und Allegorien gekennzeichnet, die jeder durchaus subjektiv interpretiert. Ob nun der mathematische Begriff der Ellipse mit einem „Eirund“ identisch ist, liegt im Ermessen des Betrachters. Es liegt also an uns allen, sich in diesen Ta-gen wieder einmal klar zu machen, dass es Dinge gibt, die sich der Vorstellung eines rationalen Wissenschaftsbegriffs entziehen und zugleich weit mehr als ein „mythisches Hirngespinst“ sind. Und um diese Dinge lebendig zu halten ist die Ruhe und Besinnlichkeit der Weihnachts-

zeit ein Gut, das es zu wahren gilt. Vielleicht sind Schneecha-os und Stromausfall zu den einzigen ultimativen Mitteln geworden, die freundschaft-liche oder familiäre Gemein-schaft zu provozieren. Wenn man dann den väterli-chen Erzählungen lauscht, ist es nebensächlich, ob damals im Winter ’78/’79 der NVA-Ma-jor wirklich in überheblicher Feldherrnmanier in dem Dorf Alt Käbelich (zwischen Neu-brandenburg und Woldegk) ankam, um nur wenig später ebenso in den Schneemassen zu scheitern, wie es die zuvor taten, die seinem Genius aus dem Weg zu gehen hatten. Dass ein sowjetischer Panzer noch bis zum Frühjahr in ei-nem heute so unscheinbaren Straßengraben festgesessen haben soll, ist letztendlich nur

Beiwerk, wenn man erfährt, dass sich unter diesen Umständen meine Eltern kennen lernten. So wird man vielleicht einer zukünfti-gen Filialgeneration von dem lauten und bunten Rummel sowie dem Duft von Schmalzkuchen und gebrannten Man-deln erzählen können, den es „damals“ auf dem Weihnachtsmarkt gab. Und der Aussage, dass Gott in Jesus Christus Mensch geworden ist, tut auch der Ge-danke nicht Abbruch, dass die Geburt in Bethlehem nur zur Erfüllung alttes-tamentlicher Prophetie gedacht ist und dass die „drei Weisen aus dem Morgen-land“ ihre Geschenke zunächst einem gewissen Brian überbrachten.

„Das Volk, das im Finstern wandelt“Von Arvid Hansmann

Das Jesuskind auf dem blanken Erboden – nur eine Fiktion der Brigitta von Schweden?

Hugo van der Goes: „Portinari-Altar“, Mitteltafel (um 1476), Uffizien, Florenz

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