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Wein Welten Italien - Steffen Maus und Markus Bassler

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Hervoragendes einzigartig aktuelles Werk mit Expertentips von Volks-Sommellier Dr. Steffen Maus und Food-Fotograf Markus Bassler. Auszüge aus dem Buch in Kapiteln je Region.

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Giuseppe da Cupertino war nicht besonders reizbar. Nur er hob schnell ab. Übereinstimmend bestätigten Bekannte und Kollegen, dass der Giuseppe immer mal wieder über dem Boden schwebte, einmal angeblich sogar 60 Meter hoch. Ohne besonderen Grund eigentlich und manchmal sogar gegen seinen Willen, das ist verbürgt. Doch solche flie-gerischen Fähigkeiten sprachen sich herum, und das konnte dem Mönch aus den Marken nicht wirklich recht sein.

Da Cupertino lebte im 17. Jahrhundert, als Phänome-ne, die nicht eindeutig erklärbar waren, gerne dem Teufel zugeschrieben wurden, und dann war es vorbei mit dem Mönchsein. Aber Giuseppe blieb ansonsten auf dem Tep-pich. Er war ein untadeliger Franziskaner, wurde später so-gar heiliggesprochen und sein Kloster in Osima bei Ancona zur Pilgerstätte.

Diese kleine Geschichte mit ihrer Mischung aus Mythos und Pragmatik könnte kaum eine bessere Kulisse finden als die Marken. In der lange unbeachteten Region haben sich die Menschen mit Realitätssinn und praktischem Fleiß eine florierende Wirtschaft aufgebaut. Gleichzeitig hängen sie leidenschaftlich an Traditionen und Legenden. „Und was heißt hier überhaupt Legenden?“, fragt Stefano Anto-nucci, Erfolgswinzer, der mit seinem Verdicchio europaweit Gewinne realisiert. Schließlich sei die Geschichte genauso wahr wie die, dass Engel das Haus der Jungfrau Maria im nahen Loreto abgesetzt haben.

Da, wo das Geburtshaus der Maria von Nazareth einst gelandet sein soll, steht heute eine gigantische Basilika. Vor-bei an vergoldeten Figuren und leuchtend bunten Fresken gelangt man in den kleinen Kellerraum aus kahlem Stein. In der schlichten Kate kann man sich fragen, ob der kleine Jesus hier immer seine Latschen herumliegen ließ und ob seine Mutter ihn dafür ausschimpfte.

Aber nur kurz, dann erinnert einen der Hintermann mit einem Stups daran, dass jährlich eine Million Men-schen nach Loreto kommen, um das Marienheim zu sehen.

rimini? kennt man: weißer strand mit hoher italo-lover-dichte. toskana? klar, kultur pur plus kulinarische extraportionen. assisi? ein rausch von kirchen-architektur. die marken?? − machen sie sich nichts draus. von der mittelitalienischen region hat kaum jemand gehört. dabei findet man dort endlose sandstrände, feinste küche und ein paar klosterkirchen, über die franz von assisi bauklötze gestaunt hätte. und natürlich die nettesten italiener der welt.

Berauschendes an Adria und Apennin

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Seite 256 − 257: Felsen von Fiorenzuola di Focara: früher strategisch wichtig, heute Blickfang für Romantiker.

Seite 258: Gut gelaunter Stefano Antonucci vom Weingut Santa Barbara.

Die silbrigen Sardinen schwimmen am liebsten in goldgelbem Verdicchio.

Wegen der himmlischen Vorgeschichte der Madonna von Loreto stellte ein Papst des 20. Jahrhunderts, Benedikt xv., kurzerhand die Piloten unter ihren Schutz. Neben dem Petersdom in Rom ist die Kirche der zweitwichtigste Wall-fahrtsort Italiens und doch nur einer von vielen Reizen der Marken.

Alle Welt steht auf die Marken

Hinter der Ostküste Mittelitaliens spannen sich die kahlen Kalkstein-Bergrücken des Apennin wie eine Gräte parallel zur Küstenlinie. Die höheren Lagen sind dünn besiedelt und oft fast unberührt von Menschen. Deshalb findet man eine ganze Reihe einsamer Nationalparks. Steinadler zie-hen dort ihre Kreise über Bergseen, reißenden Wildbächen und schroffen Canyons, in denen Wölfe und Wildkatzen Jagd machen.

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Die Höhlen von Frasassi, westlich von Ancona, sind das längste Höhlensystem Italiens. In der kaltfeuchten Welt der Grotten warten bizarre, meterhohe Tropfsteinformationen und ein Kristallsee auf den Besucher. In der Haupthöhle ließe sich locker der Mailänder Dom unterbringen.

Auf halbem Weg zwischen Hochlagen und Küste liegt das Kernland der Marken mit rollenden Hügeln und histo-rischen Städtchen. Die Marken bilden die Grenze zwischen dem italienischen Norden, dessen Einwohner bei vielen Süditalienern als überheblich und arrogant gelten, weil sie sich mit ihrer Wirtschaftskraft brüsten, und dem Süden des Landes, den dagegen viele Norditaliener für unterentwi-ckelt, seine Einwohner für träge und eine Last halten.

Als Grenzgänger halten sich die Menschen in den Mar-ken aus solchen Klischeeveranstaltungen gern heraus und arbeiten mit stillem Fleiß an ihrem eigenen Erfolg. Kon-sumgüter wie Möbel, Schuhe und Kleidung werden hier hergestellt. „Menschen in aller Welt stehen auf Schuhen aus den Marken“, das weiß Chiara Giannotti genau, „sogar Michelle Obama.“ Für die Marketingleiterin des bekann-testen Weinguts Fazi Battaglia sind die Marken die wahre Wiege des Italianstyle. Vielleicht liegt es daran, dass die Marken einen der höchsten Hochschul-Bildungsgrade für Frauen in Europa haben. Jobs für sie gibt es bei Licht-designern und Instrumentenbauern, Edelsteinverarbeitern

und Madonnenschnitzern. In industriellen Fertigungs-straßen entstehen Motorräder und Helikopter. Werften bauen Mega-Yachten für die Reichen der Welt. Produkte der Raumfahrt entstehen hier genauso wie Bohrinseln und Zeichentrickfilme.

Nach einem Arbeitstag zwischen Zukunftstechnologien und High-Tech-Produkten fahren die meisten marchegiani in beschauliche Städte wie Jesi im Hinterland von Anco-na. Dort stehen Barockpaläste neben Renaissancebauten. Enge Gassen, die an den Steigungen Treppenstufen haben, führen unter Bogengängen hindurch und enden an alten Stadttoren. An den Restauranttischen im Schatten schlürft man den Verdicchio dei Castello di Jesi zu Pasta. Denn auch Nudeln sind eine Spezialität der Marken.

Wer weiter südlich in Ascoli Piceno zu Hause ist, muss sich auf der Piazza del Popolo mit ihrer Apennin-Kulisse hinter den Renaissance-Kreuzgängen schon mal auf Besuch einstellen. Durch die Altstadt auf einem Plateau zwischen den Flüssen Tronto und Castellano laufen Touristen aus aller Welt mit staunenden Kinderaugen. Romanische Kirchen, der Kreuzgang der Franziskaner-Kirche, in dem vormittags Markt ist, und die alte Römerbrücke mit Blick über Altstadt und Fluss wollen abgehakt werden auf dem Besuchsplan. Trotzdem wirkt der Ort nicht von Fremden überlaufen oder unauthentisch. Genauso wie Urbino,

Flüchtlinge aus dem antiken Syrakus gründeten Ancona. Bis heute laufen in dem bedeutenden Hafen täglich mehrere Fähren aus Griechenland ein.

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dessen Frührenaissance-Architektur perfekt zwischen die sanften Hügel gegossen scheint. Trotz des überragenden Doms und des mächtigen Herzogspalasts wirkt das Welt-kulturerbe mit seinen vielen Studenten nie museal.

Den Palast ließ sich Herzog Federico im 15. Jahrhun-dert bauen. Seine Ideen von der kulturellen Wiedergeburt beschränkten sich nicht auf die Architektur. In der Zeit der ganz großen wissenschaftlichen Entdeckungen leistete sich der Landesvater für die Zeit unglaubliche technische Extras wie Heißwasserleitungen, Eiskeller und Lastenaufzüge für die Küche.

Kluge Köpfe als Markenzeichen

Kluge Köpfe wie High-Tech-Freak Federico sind fast ein Markenzeichen der Marken. Der spätere Kaiser Fried-rich II. wurde 1194 in einem Zelt auf dem Marktplatz von Jesi geboren. In 30 Jahren Herrschaft vereinigte das Polit-Genie völlig zersplitterte Territorien und Interes-sen zu einem Reich aus ganz Mittel- und Südeuropa und bekam dafür schon von Zeitgenossen den Titel „Erstaunen der Welt“ (lat. stupor mundi). Der Maler Raffael, der noch bis ins 19. Jahrhundert als größter Künstler aller Zeiten ge-handelt wurde, holte sich schon als Junge in der Umgebung

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seiner Heimatstadt Urbino die Anregungen zu seinen idealisierenden Bildern. Nebenher baute er zusammen mit seinem Landsmann Donato Bramante den Petersdom in Rom. Gioacchino Rossini, der Meister der komischen Oper aus Pesaro, schenkte der Welt dutzende Ouvertüren, die heute in etlichen Opernhäusern und Filmmusiken weiterleben.

Ein anderer Marchegianio landete Anfang des letzten Jahrhunderts in der New Yorker Immigranten-Sammel-stelle Ellis Island. Nach Gehversuchen als Bergarbeiter und Kneipier gründete Cesare Mondavi in Kalifornien einen Traubenhandel und machte selbst etwas Wein für den Hausgebrauch. 100 Jahre, nachdem der Einwanderer angeblich mit 14 Dollar in der Tasche in der Neuen Welt ankam, ist Mondavi Wineries zum Global player mit welt-weiten Börsennotierungen aufgestiegen. 2004 wurde das Unternehmen als eine der wichtigsten Marken der Wein-welt für 1,36 Milliarden Dollar verkauft.

Wie Mondavis Heimatort liegen die meisten histori-schen Ansiedlungen im Inland. In den fruchtbaren Tälern hat sich eine der besten Küchen Italiens entwickelt. Vieles ist deftig, vor allem Wurstwaren wie geräucherte Salami oder Schweinswurst, in Öl eingelegt. Dazu zählen aber auch Geniestreiche wie das Kaninchen-Ragout mit wildem Fenchel und gefüllte Tauben.

Sie sind nicht so bekannt wie die Pendants aus Parma oder San Daniele, aber mit viel Zeit und Handarbeit ent-stehen die nussigen Schinken von Carpegna. Pilze, Nüsse und Wildkräuter sind die lokalen Zutaten. Als größter Schatz gelten die Trüffel aus Acqualagna, große, tief-schwarze Pilzknollen, die zwar nur kurz, aber intensiv ihren animalischen Trüffelgeschmack abgeben. Doch auf Hitze reagieren sie empfindlich, deshalb lassen sie sich ideal über einen Teller Nudeln reiben.

Wer auf seiner Reise in dem Dorf Campofilone vorbei-kommt, kann die Pasta dort in einer kleinen pastificeria kaufen. Inhaber Vincenzo Spinosi hat den Kult um die Teigware auch für italienische Verhältnisse auf eine neue Ebene gehoben. Zusammen mit Wissenschaftlern der Universität von Ancona fand er heraus, dass eine Extrapor-tion Omega-3-Säuren im Hühnerfutter auch den Gehalt der ungesättigten Säuren in den Nudeln erhöht. Nach die-ser selbstentwickelten Formel macht er seine Nudeln, „aber nur mit frischen Eiern, ganz wie die Nonna“, versichert er. Im Ideal-Zuschnitt haben sie eine Kantenlänge von 1,8 mal 1,8 Millimeter – und heißen ganz einfach spinosini. Liebevoll von Hand verpackt verkauft er sie in aller Welt. Beliefert hat er schon die Queen und Papst Johannes Paul II. Nach New York versendet er besonders gerne, weil er dort als „Prince of pasta“ bekannt ist.

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Theatralischer Fischhandel

Fährt man vom Landesinneren der Marken in Richtung Meer, fallen die Berge schroff ab. Über die engen Landstra-ßen hinunter zur Küste gelangt man auch in andere Mar-ken. Nicht dass die Region ihren Plural-Namen daher hätte; er entspricht dem deutschen geografischen Begriff Mark. Karl der Große hatte diverse davon in der Region eingerich-tet, die später zu Le Marche zusammengefasst wurden.

Auf der Bergstraße verlässt man das ausgeglichene Hügelland mit seinen historischen Städtchen in Richtung Strandpromenade, heiße Sommertage und Seebrise. Die Küste ist heute wesentlich dichter besiedelt als das Inland. 150 Kilometer Küste haben ihren Anteil daran. Große Tei-le davon ziehen sich schnurgerade die Adria hinab, gesegnet mit feinen Sandstränden, Palmen und Promenaden. Die Touristen hier bringen mehr Geld ins Land als die Schiffe im Hafen von Ancona.

In einem der größten Fischereihäfen Italiens werden jeden Morgen vor der Dämmerung die Fänge versteigert.

Um ein Förderband herum sitzen Bieter auf ansteigenden Sitzreihen wie in einem Theater und beobachten die Kisten mit Seewolf und Garnelen, Pulpo und Seespinnen. An der Wand rechnet eine elektronische Anzeige die Preise im Sekundentakt herunter. Warten lohnt sich, es sei denn, man drückt den Gebotsknopf als Zweiter. Nur wer als Erster zuschlägt, dem gehört die Kiste. Zehn Tonnen Fisch und Meeresfrüchte wechseln so jeden Morgen den Besitzer. Manchmal mehr, und das meiste davon landet mittags in den Fischrestaurants der Touristenorte.

Der brodetto, der Fischeintopf, den es an der ganzen Küste gibt, gilt all’anconetana als besonders reichhaltig. Was genau hineingehört, dazu hat jeder Koch und jede Köchin eine andere Meinung. Tomaten und Essig auf jeden Fall und unbedingt genau 13 Sorten Fisch. Sonst ist er nicht anconetana, ganz klar. Welche Fische? Auch wieder eine Frage der Marktlage. Aber in der Stadt mit den vielen Fischkuttern ist die Auswahl reichhaltig.

Noch vor gar nicht so langer Zeit aß man privat fast immer besser als im Restaurant. Das hat sich mit den Bade-

Pesaro

Urbino

Jesi

Ancona

Matelica

Perugia

Monti Sibilline

Macerata

Fermo

Teramo

Offida San Benedetto del Tronto

Ascoli Piceno

Anbaugebiete 1 Lacrima di Morro d’Alba 2 Verdicchio dei Castelli di Jesi 3 Conero und Rosso Conero 4 Verdicchio di Matelica 5 Rosso Piceno 6 Rosso Piceno Superiore1

2

4

3

5

6

m a r k e nu m b r i e n

a b r u z z e n

t o s k a n a

e m i l i a - r o m a g n asan marino

Tronto

A14

10 20 30 40 50 km

5 10 15 20 25 mi

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Zwischen der Adriaküste und dem Apennin-Gebirge am Horizont wächst der Verdicchio auf den sanften Hügeln der Marken.

Touristen geändert. Ob in den malerischen Buchten am Fuß der Kalkstein-Felswände des pittoresken Monte Co-nero, der einzigen Erhebung an der Küste, oder in Orten wie Grottammare, Porto San Giorgio und Pedaso mit ihren schnuckeligen Altstädten: Gute Fischrestaurants findet man fast überall. Der hohe Salzgehalt des adriatischen Meeres mache die Meeresfrüchte so delikat, sagen viele Marchegia-ni. Mal wieder bescheiden, denn es gibt längst reihenweise Köche, die traditionelle Gerichte wieder entdecken oder Neues erfinden.

Fast immer kommen die Teller ohne Dekoration – bloß kein Chi-chi – auf den Tisch. Jakobsmuscheln bei Niedrig-temperatur gegart, Miesmuscheln mit Wildkräutern, denen etwas Zitronenschale den letzten Kick gibt, oder Raviolini mit Cigales, Safran und Topinambur repräsentieren mo-derne Gerichte der Marche. Und sie schmecken so, wie sie klingen, durch bestes Ausgangsmaterial, souverän kombi-nierte Aromen und perfekte Garzeiten.

In einem Ort wie Senigallia mit sagenhaften 13 Kilo-metern Sandstrand gibt es schon ein Restaurant, das einen

in Italien so seltenen Michelin-Stern führt. Mitten zwi-schen den anderen – gleichfalls hervorragenden – Strand-restaurants fällt es kaum auf. Vor der Tür schlendern braungebrannte Badegäste vorbei. Vom Fenster aus sieht man die Segelboote vor der Küste kreuzen. Von hier ist es nur ein Steinwurf bis nach Rimini. Das Seebad mit den Bettenburgen in der angrenzenden Emiglia-Romana ist so bekannt, dass es fast ein Synonym für Strandurlaub ist. Cesare Mondavi, von dem kaum jemand weiß, dass er Marchegiano war, machte dafür das Napa Valley weltbe-rühmt als Region für Spitzenweine. Vielleicht war er sogar mal in Cupertino. Die kalifornische Kleinstadt ehrte mit ihrer Namensgebung den Mönch Giuseppe da Cupertino, der trotz phantastischer Fähigkeiten sein Leben lang unter Lernschwierigkeiten litt. Zufall oder nicht, heute ist die Stadt weltbekannt als Sitz des Software-Giganten Apple im Silicon Valley, wo Uni-Abbrecher bekanntlich eine tragende Rolle spielen. Die Marken aber, die kennt immer noch keiner. zig

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