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Seit 250 Jahren stehen bei Christie’s die Auktionatoren im Rampenlicht. Was als Haushaltsauflösung im 18. Jahrhundert begann, ist zum globalen Kunst-Business der Gegenwart geworden. Doch immer noch hat der Auktionator den Hammer in der Hand und nimmt Gebote aus dem Publikum entgegen. Ist seine Arbeit ein Handwerk, das man lernen kann? Lisa Zeitz wagte einen Selbstversuch an der Londoner Traditionsadresse FOTOS ALEXANDER COGGIN Der Moment der Wahrheit

Weltkunst_250th_December 2016

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Seit 250 Jahren stehen bei Christie’s die Auktionatoren im Rampenlicht. Was

als Haushaltsauflösung im 18. Jahrhundert begann, ist zum globalen Kunst-Business

der Gegenwart geworden. Doch immer noch hat der Auktionator den Hammer in der

Hand und nimmt Gebote aus dem Publikum entgegen. Ist seine Arbeit ein Handwerk, das man lernen kann?

Lisa Zeitz wagte einen Selbstversuch an der Londoner Traditionsadresse

F O T OS A L E X A N DE R CO G G I N

Der Moment der

Wahrheit

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issen Sie was? Ich habe schon lange davon ge-träumt, einmal selbst am Auktionspult zu ste-

hen, selbst den Hammer in der Hand zu halten und mit lautem, trockenem Knall aufs Pult zu

schlagen. »Den Moment der Wahrheit« nennen In-sider diesen Schlag. Ich habe schon viele Auktionen

vom Saal aus beobachtet, die meisten während mei-ner New Yorker Jahre, in denen ich als Kunstmarktkorres-pondentin für die Frankfurter Allgemeine Zeitung gearbei-tet habe. Damals habe ich den distinguierten Stil des englischen Auktionators Christopher Burge bei Christie’s bewundert und zu dem deutschen Tobias Meyer aufgeblickt, dessen tänzerische Bewegungen das Publikum bei Sotheby’s hypnotisierten. Auch Simon de Pury, da-mals bei Phillips, habe ich in Aktion erlebt, wie er mühelos zwischen zig verschiedenen Sprachen hin- und hersprang, um Gebote aus den Sammlern heraus-zukitzeln, mal drängelnd, mal charmant, mal mit Humor. Jede Auktion hat ihre eigene Spannung, an jedem Los hängen Hoffnungen, oft Illusionen, zudem Logistik und Verträge – und manchmal sehr viel Geld.

Besonders ist mir der Abend im Jahr 2004 in Er-innerung, als Picassos melancholischer »Garçon à la pipe« von 1905 aus der Sammlung von John Hay Whit-ney bei Sotheby’s versteigert wurde. Die Schätzung belief sich auf 70 Millionen Dollar. Zwei Plätze neben mir im Saal saß der mächtige, wortkarge, silberhaa-rige Kunsthändler Larry Gagosian, der durch sein Mobiltelefon mit einem Sammler verbunden war und

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seine Gebote in zweistelliger Millionenhöhe durch unauffäl-liges Kopfnicken anzeigte. Tobias Meyer registrierte sie mit seinen Adleraugen vom Auktionspult aus. Doch dann gab es ein Problem mit Gagosians Mobiltelefon, und er musste sich in Windeseile das seiner Begleiterin ausleihen, das je-doch ebenfalls keine Verbindung zustandebrachte. Die Se-kunden müssen für den Auktionator zäh wie Stunden gewe-sen sein und für Gagosian auch – »I can wait«, sagte Meyer

– dann endlich ging es mit dem dritten Telefon weiter, und die Gebote kletterten bis auf einen Hammerpreis von 93 Mil-lionen Dollar. Den Zuschlag erhielt schließlich nicht Gago-sian, sondern ein anonymer Bieter. Mit Aufgeld hatte er 104 Millionen Dollar zu zahlen. Ein historischer Moment für den Kunstmarkt: Zum ersten Mal war die Hundertmillio-nendollarmarke geknackt.

Dieser Rekord ist schon lange überboten: Im Novem-ber vergangenen Jahres habe ich bei Christie’s, in den gla-mourösen, immer eisgekühlten Räumen am Rockefeller Center in New York miterlebt, wie der finnische Auktiona-tor Jussi Pylkkänen Amedeo Modiglianis verführerischen Akt »Nu couché« für 170,4 Millionen Dollar (inklusive Auf-geld) versteigerte. Das war zwar eine Sensation, aber die Zu-schauer hatten sich fast schon an die hohen Preise gewöhnt. Als Käufer gab sich gleich darauf der chinesische Milliardär Liu Yiqian zu erkennen. Er bezahlte mit seiner American-Express-Karte und verdiente damit genug Meilen, um für den Rest seines Lebens erster Klasse zu fliegen. Verrückte Welt! Modigliani hält nur den zweithöchsten Auktionspreis der Welt. Im Mai 2015 hatte Christie’s für Picassos Spätwerk »Les femmes d’Alger« 179,4 Millionen Dollar erzielt – bis heute das teuerste Werk, das je bei einer Auktion verkauft wurde.

All das geht mir durch den Kopf, als ich an einem reg-nerischen Herbsttag durch Londons eleganten Stadtteil St. James an Kunsthandlungen und Galerien vorbeilaufe. Ich bin auf dem Weg zur altehrwürdigen Adresse von Christie’s, King Street Nummer 8. Nun ist es so weit – ich bin tatsäch-lich zu einem Auktionatoren-Workshop angemeldet. In ei-ner halben Stunde soll es losgehen.

Der uniformierte Doorman Colin Kemp, seit vielen Jahren an dieser Stelle und schon eine Berühmtheit für sich, grüßt am Eingang freundlich, dann treffe ich die immer pro-fessionelle Stephanie Manstein von der Presseabteilung und

Geburtstag eines Giganten

Im Dezember 1766 ließ James Christie seinen ersten Katalog drucken. Jetzt macht das Auktionshaus

Milliardenumsätze und blickt auf ein Vierteljahrtausend denkwürdige Kunstmarkt-Geschichte zurück

1766Eine fünftägige Haushaltsauflösung mit Juwelen, Möbeln, Geschirr und einigen

Flaschen Madeira: So begann der damals 36-jährige James Christie an

seiner ersten festen Geschäftsadresse in London, Pall Mall, seinen Aufstieg als

Auktionator und Unternehmer.

Viele einzigartige Meisterwerke der Kunstgeschichte sind im Lauf der Jahrhunderte bei Christie’s verkauft worden und bestücken bis heute

die großen Museen der Welt. Im 19. Jahrhundert wurde Botticelli wiederentdeckt: Die Londoner National Gallery konnte sein Gemälde »Venus und Mars« aus der Zeit um 1485 für 1050 Pfund ersteigern.

Den Auktionssaal an der King Street Nr. 8, bis heute Hauptsitz von Christie’s, weihte James

Christie, der gleichnamige Sohn des Gründers, ein. Die erste Versteigerung galt einer

Bibliothek: Damit forderte er den älteren, auf Bücher spezialisierten Rivalen Sotheby’s heraus.

1874

1823

1941Die originale Auktions kanzel,

eine Kreation von Thomas Chippendale, ging im

deutschen Bombenhagel verloren, als das Hauptquar-tier von Christie’s ausbrannte.

Heute sind Nachbildungen des berühmten Mahagoni-

Möbels überall in Benutzung, wo Christie’s Auktionen abhält, von New York,

Paris und Dubai bis Schanghai.

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1998

1990

1987

2015

Zu den denkwürdigsten Auktionen aller Zeiten gehört der

umfangreiche »Yves Saint Laurent Sale« in Paris, der den

ganzen Kosmos des Modeschöp-fers abbildet: Eileen Grays

»Fauteuil aux Dragons« erzielte knapp 22 Millionen Euro. Im selben Jahr verdoppelt in

London Raffaels Zeichnung einer Muse ihre Schätzung und landet

bei 29,2 Millionen Pfund.

Der Luxusmarken-Milliardär François Pinault kauft Christie’s – und muss im Jahr darauf erleben, wie ein Skandal um illegale Preisabsprachen zwischen Christie’s und

Sotheby’s die Kunstwelt erschüttert.

Rekord! Van Goghs »Sonnenblumen« von 1889 erzielen in London 24,75 Millionen Pfund, den höchsten Preis, der bis dahin je bei einer Kunstauktion

gezahlt wurde. Der Auktionator Charles Allsopp, Christie’s Chairman, gibt der japanischen Versicherungsgesellschaft Yasuda den Zuschlag. Heute

ist das Stillleben im Sompo Japan Nipponkoa Museum in Tokio zu sehen.

Das Badminton-Kabinett macht zweimal Furore: 1990, als es mit 8,6 Millionen Pfund den damaligen Rekord für ein Möbel setzt

– und 2004, als der Fürst von Liechtenstein es für 19 Millionen Pfund ersteigert.

Christie’s hält den Rekord für das teuerste Kunstwerk, das je versteigert wurde: Unter den

Geboten globaler Megasammler klettert Picassos Hommage an Delacroix, »Les femmes d’Alger (Version O)« von 1955, in New York bis

auf atemberaubende 179,4 Millionen Dollar.

2009

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komme in den Genuss einer Führung hinter den Kulissen. Unglaublich, wie viele Kunstwerke hier bestens gesichert la-gern. Wie viele Stile, Epochen, Materialien, Provenienzen, Werte, kleine und große. Auch für einen Blick ins Archiv ist noch Zeit. Es war ein Glück, dass die teilweise jahrhunderte-alten Dokumente den Bombenkrieg in ihrem tiefen Gewöl-be überstanden haben – anders als das Gebäude, das 1941 über ihnen ausbrannte.

Eine Handvoll internationaler Teilnehmer findet sich für unseren Kurs im zweitgrößten der Londoner Auktions-säle ein, der, wie mir jetzt auffällt, genauso kalt ist, wie ich es von New York in Erinnerung habe. Vor einer der dunkel-grauen Wände stehen Thermoskannen mit Kaffee und Tee, Shortbread und anderem süßem Gebäck. Der Auktionator Nick Finch ist schon seit knapp 35 Jahren bei Christie’s – er ist mit der Talentsuche innerhalb des eigenen Hauses betraut und bildet Auktionatoren aus. Nun steht er hier im dunkel-grauen Anzug und lachsfarbener Krawatte, seriös und doch ganz Showman. »Kennen Sie den Kinderreim ›Humpty Dumpty Sat on a Wall‹?«, will er wissen. Zur Auflockerung des Mundraumes sollen wir das Gedicht aufsagen, während wir – Finch macht es beeindruckend vor – die Zunge heraus-strecken, so weit wir können. Es klingt fürchterlich, aber da-mit machen wir uns warm wie Sportler: Auch die Schultern und die Wirbelsäule lockern wir. Bevor wir bereit sind, einer nach dem anderen, auf das Auktionspult zu steigen und je-weils vier Lose zu versteigern, gibt es natürlich auch noch einen theoretischen Teil. Was macht einen guten Auktiona-tor aus? Finch und sein Kollege Jussi Pylkkänen, der einige der wichtigsten Auktionen der letzten Jahre bei Christie’s durchgeführt hat, haben die »5 P’s« definiert: Poise (Auftre-ten), Pace (Tempo), Panache (Ausdrucks-kraft), Passion und Preparation.

Zur Vorbereitung bekommen wir Blätter, auf denen Lose und ihre Schät-zungen verzeichnet sind, aber auch die Angaben, die nicht im Auktionskatalog stehen: Wo liegt das Limit, das heißt, mit welchem Minimum würde sich der Ein-lieferer zufriedengeben? Welche schriftli-chen Gebote liegen vor?

Finch demonstriert, wie man den Hammer hält. Er hat ein paar Originale aus der Praxis mitgebracht. Ein Exemplar aus Ebenholz mit silberner Fassung nennt er den »Milliarden-Dollar-Hammer«, weil

mit ihm mindestens so viel Geld umgesetzt wurde, unter an-derem für Picassos »Les femmes d’Alger«. Der Hammer fühlt sich zierlich, kühl und glatt an, irgendwie präzise. Man kann den Stiel oder direkt den Kopf in die Hand nehmen, je nach dramatischem Effekt. Je unauffälliger der Hammer in der Hand liegt, desto weniger glaubt das Publikum, einer Ge-richtsverhandlung beizuwohnen, erklärt uns Nick Finch. Aber eine gewisse Strenge kann auch bewusst eingesetzt werden. Zu den fünf P’s würde ich noch ein sechstes hinzu-fügen: Psychologie.

Die Mahagonikanzel mit den geschwungenen Beinen kennt jeder, der schon einmal in einem Auktionssaal bei Christie’s war, egal ob in Amsterdam, Hongkong, Dubai, Schanghai, Genf oder Zürich. Das Original von Thomas Chippendale ging im Zweiten Weltkrieg leider verloren.

2 50 JA H R E C H R I ST I E’S

Jetzt werden Repliken in sämtlichen zwölf Städten benutzt, in denen Christie’s seine Auktionen durchführt.

Ich soll beginnen und steige die drei Stufen hinauf. Die Kanzel hat hinten eine Tür, die verriegelt wird, damit kein Auk-tionator bei einem besonders hitzigen Bietgefecht herunterfällt. »Good evening, Ladies and Gentlemen, welcome to Christie’s«, beginne ich und imitiere dabei den routinierten Tonfall, den ich schon so oft gehört habe. Wie war das noch? Meine kurze Liste mit Losen trägt lauter Notizen, die der Auktionator im Kopf behalten muss. Ein Beispiel: Für eine Fotoarbeit von Douglas Huebler, deren Limit bei 10 000 Pfund liegt, sind drei Telefonbieter angemeldet, außerdem liegen schriftliche Gebote von 3000, 10 000 und 14 000 Pfund vor. Nick Finch sitzt jetzt im Saal, um zu bieten, außerdem muss ich den Bildschirm im Blick behalten, auf dem Onlinegebote auftauchen können – immer wieder leuchten in Lila Gebote eines Kunden aus Florida auf.

Meine Berechnungen: Wenn kein weiteres Gebot auf-taucht, soll das Los für 10 Prozent mehr als das zweithöchste schriftliche Gebot an den Höchstbietenden gehen. Doch im Saal und auf dem Bildschirm ist nun so viel (gespieltes) Interesse, dass ich schließlich Mister Finch den Zuschlag für 14 000 Pfund gebe und mit lautem Knall den Hammer aufs Holz sausen las-se. »Oh, oh,« sagt Finch nun, »jetzt hätten Sie ein Problem!« Lag mir nicht ein schriftliches Gebot von 14 000 Pfund vor? Der er-fahrene Auktionator erklärt, dass der Kunde nun sehr verärgert wäre, denn ich hätte ihm, nicht dem Saalbieter, den Zuschlag geben sollen. Man muss als Auktionator höllisch aufpassen. Das Problem hätte ich vermeiden kön-nen, indem ich kurz vor dem kritischen Betrag den regulären Schritt von zehn Pro-zent halbiert hätte: Anstatt »13 000« hätte ich sagen sollen: »12 500«, dann hätte der Saalbieter »13 000« geboten, woraufhin ich im Auftrag des schriftlichen Gebots »14 000« erwidert hätte. Die Schritte übri-gens muss der Auktionator absolut verinnerlicht haben: von 50 bis 1000 in Fünfzigerschritten, dann bis 2000 in Hunderter-schritten, dann in Zweihunderterschritten, schließlich 3000, 3200, 3500, 3800, 4000 usw. Natürlich kann der Auktionator im Einzelfall entscheiden, aber diese Folge ist der Standard und muss ganz automatisch aus ihm herausfließen.

Beim nächsten Los bin ich noch konzentrierter auf die Zahlen und mache alle Schritte richtig – doch Nick Finch ist nicht zufrieden. Anscheinend sehe ich vor lauter Anstrengung so verbissen aus, dass jedem Interessenten die Lust zum Bieten gleich vergehen würde. »Smile!«, ruft er und deutet auf seinen Mund. Er hat noch einen Tipp: »Körpersprache ist gut, aber bit-te nicht mit dem Zeigefinger auf die Saalbieter deuten! Öffnen Sie Ihre Hand, offene Gesten wirken besser«, sagt er. Nach drei Losen wird mir heiß. Mathematik und Performance unter ei-nen Hut zu bringen ist eine Leistung, zu der ich noch viel Übung brauche. Das vierte Los, eine Skulptur von Allan McCol-lum, verkaufe ich erfolgreich lächelnd an den treuen Onlinebie-ter aus Florida. Das Auktionsfieber hat mich gepackt. Vielleicht übe ich weiter. Der Hammer fühlt sich gut an in meiner Hand. ×