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280 Hitlers Kritik an der Judenfreundlichkeit der Bündnispartner Hitlers Kritik an der Judenfreundlichkeit der Bündnispartner Antisemitismus gab es in vielfältiger Weise in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in nahezu allen Ländern Europas, wenngleich nicht in einer derart ausgeprägten Form wie in Deutschland und in Österreich. So wurden auch in Italien Juden verfolgt, doch selbst nach Mussolinis Machtergreifung 1922 behielten sie weitgehend ihre gesellschaftliche Stellung und konnten Mitglied im Partito Nazionale Fascista bleiben. Mehrere Hundert der schätzungsweise bis zu 40 000 italienischen Juden hatten sogar am »Marsch auf Rom« des Faschistenführers vom 27. bis 31. Oktober 1922 teilgenommen. Doch als 1933 die Nationalsozialisten in Deutschland an die Regierung kamen, hatte dies erhebliche Auswir- kungen auch auf das politische Klima in Italien. Zwar nahm Italien auch jetzt noch aus Deutschland geflohene Juden auf oder gestattete ihnen die Weiterreise nach Palästina, aber der Antisemitismus nahm immer härtere Züge an. In einem lesenswerten Beitrag führte Julius H. Schoeps dazu aus: Nicht Hitler, sondern Mussolini war es, der den Rassenantisemitismus in Italien einführte. Unklarheit herrscht heute höchstens noch über die Moti- ve des Duce, den Wechsel vom Judenfreund zum Handlanger von Hitlers Vernichtungspolitik zu vollziehen. War es der Abessinienkrieg 1935, der die Einstellung Mussolinis gegenüber den Juden änderte? Handelte es sich um einen taktischen Schachzug wegen des Kräftegleichgewichts der Mächte in Europa? War es das Achsenbündnis Berlin–Rom, das nicht ohne Auswir- kungen auf die italienische Innenpolitik blieb? Oder war der Rassenantise- mitismus auch in Italien ein integraler Bestandteil der faschistischen Dok- trin? In den Anfängen des faschistischen Regimes hat es keinen nennenswer- ten Antisemitismus gegeben. Es gab sogar Juden, die Mitbegründer der Bewegung waren und die als Kämpfer für die Sache des Faschismus (martiri fascisti) gefallen sind. So war der Gründer des römischen Faschismus ein Jude (Enrico Rocca), ebenso der Theoretiker des »Korporativismus« (Gino Arias). Im Gegensatz zum Nationalsozialismus war der Faschismus ver- Brought to you by | Brown University Rockefeller Lib Authenticated | 128.148.252.35 Download Date | 6/2/14 4:06 PM

"Wer Jude ist, bestimme ich" ("Ehrenarier" im Nationalsozialismus) || Hitlers Kritik an der Judenfreundlichkeit der Bündnispartner

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Page 1: "Wer Jude ist, bestimme ich" ("Ehrenarier" im Nationalsozialismus) || Hitlers Kritik an der Judenfreundlichkeit der Bündnispartner

280 Hitlers Kritik an der Judenfreundlichkeit der Bündnispartner

Hitlers Kritik an der Judenfreundlichkeit der Bündnispartner

Antisemitismus gab es in vielfältiger Weise in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in nahezu allen Ländern Europas, wenngleich nicht in einer derart ausgeprägten Form wie in Deutschland und in Österreich. So wurden auch in Italien Juden verfolgt, doch selbst nach Mussolinis Machtergreifung 1922 behielten sie weitgehend ihre gesellschaftliche Stellung und konnten Mitglied im Partito Nazionale Fascista bleiben. Mehrere Hundert der schätzungsweise bis zu 40 000 italienischen Juden hatten sogar am »Marsch auf Rom« des Faschistenführers vom 27. bis 31. Oktober 1922 teilgenommen. Doch als 1933 die Nationalsozialisten in Deutschland an die Regierung kamen, hatte dies erhebliche Auswir-kungen auch auf das politische Klima in Italien. Zwar nahm Italien auch jetzt noch aus Deutschland geflohene Juden auf oder gestattete ihnen die Weiterreise nach Palästina, aber der Antisemitismus nahm immer härtere Züge an.

In einem lesenswerten Beitrag führte Julius H. Schoeps dazu aus:

Nicht Hitler, sondern Mussolini war es, der den Rassenantisemitismus in Italien einführte. Unklarheit herrscht heute höchstens noch über die Moti-ve des Duce, den Wechsel vom Judenfreund zum Handlanger von Hitlers Vernichtungspolitik zu vollziehen. War es der Abessinienkrieg 1935, der die Einstellung Mussolinis gegenüber den Juden änderte? Handelte es sich um einen taktischen Schachzug wegen des Kräftegleichgewichts der Mächte in Europa? War es das Achsenbündnis Berlin–Rom, das nicht ohne Auswir-kungen auf die italienische Innenpolitik blieb? Oder war der Rassenantise-mitismus auch in Italien ein integraler Bestandteil der faschistischen Dok-trin? In den Anfängen des faschistischen Regimes hat es keinen nennenswer-ten Antisemitismus gegeben. Es gab sogar Juden, die Mitbegründer der Bewegung waren und die als Kämpfer für die Sache des Faschismus (martiri fascisti) gefallen sind. So war der Gründer des römischen Faschismus ein Jude (Enrico Rocca), ebenso der Theoretiker des »Korporativismus« (Gino Arias). Im Gegensatz zum Nationalsozialismus war der Faschismus ver-

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gleichsweise tolerant. »Auch wir haben unsere Juden«, erklärte Mussolini im Juni 1932 gegenüber dem Prinzen Starhemberg. »Es gibt viele in der Faschistischen Partei, und sie sind gute Faschisten und gute Italiener.«1

Hitler hatte für die Italiener nicht viel übrig. Sie liefen immer davon, und das versetze ihn in rasende Wut, meinte er in seinen Monologen im Führerhauptquartier am 5. August 1942.2 Weltanschaulich könne man jedoch nur mit ihnen verkehren, gestand er immerhin zu.

Die Nationalsozialisten übten ständig Kritik an dem für sie unzurei-chenden Vorgehen Italiens gegen Juden. Umso erfreuter zeigte sich bei-spielsweise Propagandaminister Goebbels, als Mussolini einen härteren Kurs einschlug. Am 5. August 1938 jubelte er: »Rom zieht jetzt prakti-sche Konsequenzen aus der Rassenlehre. Scharfe Verordnungen gegen die ausländischen Juden. Nun wird das Weltjudentum Mussolini schon von selbst weitertreiben.«3 Zwei Tage später war Goebbels überzeugt, dass nun auch in Italien mit der Judenverfolgung ernst gemacht würde: »Mussolini erlässt neue Rassengesetze. Numerus clausus für Juden. Er hat also Blut geleckt.«4 Ab 1938 wurde von einer »reinen italienischen Rasse« gesprochen, die »arischen Ursprungs« sein sollte, doch bis zum Fall des Mussolini-Regimes im Juli 1943 war die Lage der Juden in Ita-lien relativ sicher.

Zu den Besonderheiten des staatlich gesteuerten italienischen Antise-mitismus gehörte die große Zahl von Ausnahmen bei der Verfolgung. So wurde – vom Grundsatz her zumindest – lediglich zwischen Juden und Nichtjuden unterschieden. Bekannt ist auch, dass sich viele italienische militärische Vorgesetzte weigerten, an der Judendeportation teilzuneh-men.

Zudem gab es auch in Italien das Instrument des »Ehrenariers«, das beispielsweise auf den 1880 geborenen jüdischen General Umberto Pugliese angewendet wurde. Nach Inkrafttreten der italienischen Ras-sengesetze 1938 wurde er zunächst aus dem Dienst entlassen. Im November 1940, nachdem britische Bomber die italienische Flotte zum großen Teil vernichtet hatten, bat die Marineführung Pugliese um Mit-wirkung beim Wiederaufbau. Er sagte unter der Bedingung zu, dass er wieder die Marine-Uniform tragen dürfe. Pugliese kam zugute, dass die italienischen Rassengesetze einige Schlupflöcher aufwiesen. So war eine Form von Ehrenarierschaft nach Artikel 14 des Decreto-Lei-Nr. 1728

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im Falle von »außergewöhnlichen Verdiensten« möglich, die sich Pugliese zweifellos erworben hatte. 1944, nachdem die Achsenmacht Italien aus dem Dreimächtepakt ausgeschert war und die Deutschen das Land besetzten, wurde Pugliese von der SS verhaftet, doch »auf Bewäh-rung« wieder freigelassen.

Der Italien-Korrespondent David Colin berichtete 1938 aus Rom, dass sich zwar alle Juden zwischen achtzehn und fünfundfünfzig Jahren zur Zwangsarbeit hatten melden müssen, dass jedoch 400 jüdische Ärzte und 300 jüdische Ingenieure von dieser Pflicht ausgenommen worden waren. Mehrere Tausend Juden, Colin schätzte etwa 2800, waren zu die-sem Zeitpunkt aus Kroatien nach Italien geflohen und wurden dort betreut. Wie Colin ferner berichtete, hatte sich Italien die »Nazitechnik der Umwandlung von Juden zu ›Ehrenariern‹ angeeignet, soweit sie für Kriegsleistungen nützlich sein konnten«.

Italiens »laxer« Umgang mit Juden

Abgesehen von der Geringschätzung für die militärischen Fähigkeiten der Italiener, war den Nationalsozialisten deren – wie es Goebbels for-mulierte – »laxer« Umgang mit den Juden ein Dorn im Auge. Goeb-bels schrieb dazu am 13. Dezember 1942 in seinem Tagebuch:

Übrigens sind die Italiener in der Frage der Judenbehandlung äußerst lax. Sie nehmen die italienischen Juden sowohl in Tunis wie im besetzten Frankreich in Schutz und dulden durchaus nicht, dass sie zur Arbeit eingesetzt oder zum Tragen eines Judensternes gezwungen werden. Man kann hier wieder einmal sehen, dass der Faschismus doch nicht so recht in die Tiefe zu gehen wagt, sondern in wichtigsten Problemen an der Oberfläche haften bleibt. Die Judenfrage macht uns überhaupt sehr viel zu schaffen. Überall finden die Juden, auch bei unseren Verbündeten, noch Hilfsmannschaften, ein Beweis dafür, dass sie selbst im Achsenlager noch eine bedeutsame Rolle spielen. Umso entmachteter sind sie in Deutschland selbst.5

Deutsche auf allen Ebenen, so der Historiker Jonathan Steinberg, hätten »angewidert« festgestellt, »dass italienische Juden Privilegien genossen, die ihren Glaubensbrüdern im natio nalsozialistischem Einflussbereich

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verwehrt waren«.6 Und in Tripolis stellten Wehrmachtsangehörige Anfang 1942 »voller Abscheu« fest, dass italienische Verwaltungsbe-dienstete die rund 16 000 jüdischen Einwohner der Stadt schützten, was diesen ermöglichte, »ungehindert ihre unlauteren Geschäfte zu betrei-ben und gegen den faschistischen Staat zu komplottieren«. Als einige Beamte gar meinten, die libyschen Juden seien an sich »anständige Kerle«, stießen sie damit auf das gleiche Unverständnis wie »die Polizei, die in ihrem Verhalten zwischen Italienern und Juden keinen Unter-schied machte«.7

Probleme sah Goebbels im Umgang mit den Italienern insbesondere auch deshalb, weil sie von den Nationalsozialisten als rassisch »minder-wertig« betrachtet wurden. Er fürchtete beispielsweise eine »Unter-wanderung unserer Rasse« durch den Umgang deutscher Frauen mit Fremdarbeitern. Es sei aber schwer, eine solche Frage öffentlich zu behandeln,

weil sich sofort die betroffenen Völker und Nationen getreten fühlen. Bei-spielsweise wehren sich die Italiener mit Händen und Füßen dagegen, ras-sisch minder oder auch nur anders bewertet zu werden, als wir uns selbst bewerten.8

Der italienische Botschafter Filippo Anfuso spöttelte darüber, dass Hit-ler von Zeit zu Zeit den Reichsaußenminister, Joachim von Ribbentrop, in die verbündeten Länder geschickt habe, damit er die Anwendung der Rassengesetze verlange.

Mussolini, Pétain, König Boris hörten sich ihn an und versprachen die Anwendung der Vorschriften, die sie dann doch nicht oder doch nur in sehr abgeschwächtem Maße vornahmen.9

Ohnehin habe Hitler Mussolini nie in die letzten Geheimnisse und Grundlagen des »Rassegedankens« eingeweiht. Diese seien »urdeutsch« gewesen. Der »Rassegedanke« sei die Religion der Menschen gleichen Bluts gewesen, und Mussolini konnte daran keinen Anteil haben.10

Dass die Italiener sich nur zögerlich an der Verfolgung der Juden beteiligten, beklagte auch der Reichsführer-SS, Heinrich Himmler, als er im Januar 1943 in einem ausführlichen Brief an Ribbentrop zu den

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Zuständen in Frankreich Stellung nahm. Die französische Polizei sei zwar bereit, Frankreich »von uns unerwünschten Elementen zu reini-gen«. Sie sollten in drei Präfekturen gesammelt und dann nach dem Osten abtransportiert werden. Schwierigkeiten ergäben sich jedoch bei den Italienern, klagte Himmler. Sie lehnten die Auslieferung und den Abtransport von Juden italienischer Staatsangehörigkeit ab, und er ver-mutete, »dass wohl eine Anzahl italienischer Funktionäre Beste-chungsgelder und sonstige Vorteile erhalten haben«. Himmler bat Rib-bentrop

um Einwirken auf die Italiener, da die Durchbrechung des gesamten Prin-zips, Frankreich von den Juden frei zu machen, unsere Arbeit sehr erschwe-ren würde. Bei den Franzosen fällt die Tatsache, dass die Italiener unsere Bundesgenossen sind und in der Judenfrage nicht mitmachen wollten, besonders in die Waagschale.11

Heftige Kritik übte Himmler an italienischen Soldaten, die alles daran-setzten, sich bei der französischen Bevölkerung beliebt zu machen und sich über die deutschen Truppen feindselig äußerten. Aus Himmlers Sicht aber schlimmer noch:

Grundsätzlich bringt der Italiener – an der Côte-d’Azur vor allem – seine Sympathie für Juden zum Ausdruck, gegen die sich im unbesetzten Gebiet eine neue verschärfte Regierungspolitik vorbereitet.12

Gegen die Verfolgung von Juden durch SS und Wehrmacht gab es in Ita-lien sogar offenen Widerstand. SS-Obersturmbannführer Herbert Kapp-ler, der als Kommandeur der Sipo und des SD in Rom mit der Durchfüh-rung der »Judenaktion« beauftragt war, meldete am 18. Oktober 1943 dem Höchsten SS- und Polizeiführer in Italien, Karl Wolff, die »Juden-aktion« sei abgeschlossen, aber eine »Beteiligung der italienischen Poli-zei in Anbetracht der Unzuverlässigkeit in dieser Richtung [sei] unmög-lich« gewesen.

Trotzdem wurden im Verlauf der Aktion (…) 1259 Personen in Judenwoh-nungen festgenommen und in Sammellager in hiesiger Militärschule gebracht. Nach Entlassung der Mischlinge, der Ausländer einschl. eines Vati-

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kanbürgers, der Familien in Mischehen einschl. jüdischen Partners, der ari-schen Hausangestellten und Untermieter verblieben an festzuhaltenden Juden 1007.13

Mit bemerkenswertem Mut stellten sich Römer gegen die deutschen Polizisten, wie Kappler einräumen musste:

Verhalten der italienischen Bevölkerung: eindeutig passiver Widerstand, der sich in großer Reihe von Einzelfällen zur aktiven Hilfeleistung steigerte. In einem Fall z. B. wurden die Polizisten an der Wohnungstür von einem Faschisten mit Ausweis und Schwarzhemd empfangen, der eindeutig die Judenwohnung erst eine Stunde zuvor als seine angeblich eigene übernom-men hatte. Verschiebungsversuche der Juden bei Eindringen deutscher Poli-zisten in das Haus in Nachbarwohnungen waren eindeutig zu beobachten und dürften verständlicherweise in zahlreichen Fällen vorgekommen sein.14

Antisemitismus habe es während der Aktion nicht gegeben. In Einzelfäl-len sei sogar versucht worden, »die Polizisten von den Juden abzudrän-gen«.

In Griechenland bescheinigte Roms Generalkonsulat in Saloniki den dort ansässigen Juden die italienische Staatsangehörigkeit.15 Als die Deutschen die Bundesgenossen drängten, den Judenstern einzuführen, um die Flucht von Juden in die italienische Besatzungszone zu verhin-dern, wurde dies strikt zurückgewiesen.

Immer wieder kam es zwischen deutschen und italienischen Dienst-stellen im Hinblick auf den Umgang mit Juden zu Meinungsverschie-denheiten:

Als typischer Vertreter der projüdischen Grundhaltung im Militär wurde der Kommandeur der Infanterie-Division »Marche«, Generalleutnant Giu-seppe Amico, zitiert, der sich dahingehend äußerte: »Die Gesetze der Kro-aten sind streng; die der Deutschen noch strenger. Die armen nach Ragusa geflüchteten Juden nach Sarajevo zurückzuschicken, hieße ja, die Juden in den Tod zu schicken«.16

Amico verhinderte, dass die Kroaten die im Küstengebiet lebenden Juden auf die Insel Lopud abschoben. Und vom Chef des Stabes der in

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Mostar liegenden Infanterie-Division »Murge« wird berichtet, dass er es rundheraus ablehnte, gegen die angeblich aufrührerisch tätigen Juden in der Stadt einzuschreiten. Denn Sondermaßnahmen gegen jüdische Bürger seien unvereinbar mit der Ehre der italienischen Armee, schließ-lich habe die Führung allen Einwohnern gleiche Behandlung zugesi-chert.

In seinem Buch Deutsche Kriegsverbrechen in Italien schreibt Gerhard Schreiber:

Noch deutlicher als in Griechenland trat der deutsch-italienische Dissens in der Judenfrage im besetzten Jugoslawien zutage, wo im kroatischen Raum jüdische Landesbewohner bei den Italienern Schutz suchten und fanden. (…) Es indignierte auch die Tatsache, dass sich Offiziere in Begleitung jüdi-scher Frauen zeigten und ungeniert mit Juden verkehrten, von denen sie angeblich ca. 500 aus Sarejevo in die Stadt an der Adria [Dubrovnik] brach-ten, die dort mit gefälschten Pässen lebten.17

Die unterschiedliche Einstellung zur Judenfrage gehörte zum Konflikt-potenzial der Achsenmächte. Sie löste sogar auf höchster Ebene Aggres-sionen aus. Es spricht Bände, dass der 1946 hingerichtete Joachim von Ribbentrop den Gouverneur von Dalmatien und Unterstaatssekretär im italienischen Außenministerium, Giuseppe Bastianini, als »Ehrenju-den« bezeichnete, während die Reichsregierung ihm Obstruktion vor-geworfen hatte.

Erst als die nördlichen Landesteile Italiens nach dem Sturz Mussoli-nis und dem Ausscheiden Italiens aus der »Achse« unter deutsche Besatzung kamen, traten schlagartig Änderungen ein. Die sogenannte Republik von Salò, die von September 1943 bis April 1945 amtierende »Italienische Sozialrepublik« unter der militärischen Protektion des Deutschen Reichs, sorgte nun dafür, dass die Juden in Konzentrationsla-ger eingewiesen wurden; ihr Eigentum wurde beschlagnahmt. Gleichzei-tig liefen die Vorbereitungen für die »Endlösung«. Doch unter der Bevölkerung fand die judenfeindliche Politik des Duce und seines »Bündnispartners« nur wenig Sympathie. Viele Italiener versteckten Juden; selbst die Androhung schwerer Strafen konnte sie davon nicht abhalten.

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Die »Judenaktion« im Rom führte zu Solidaritätsbekundungen, die es in dieser Form und zu dieser Zeit in Deutschland nicht gegeben hat. Am 17. Oktober 1943 war in der Untergrundzeitung L’Italia Libera zu lesen:

Die Deutschen haben in der Nacht und während des ganzen Tages Italiener in Haft genommen. Sie wollen uns glauben machen, dass diese Menschen Fremde, Angehörige einer anderen Rasse sind. Aber sie sind von unserem Fleisch und Blut. Sie haben immer mit uns zusammen gelebt, mit uns zusam-men gekämpft und mit uns zusammen gelitten. Nicht nur arbeitsfähige Männer, sondern auch alte Leute, Frauen und Kinder wurden auf Lastwagen verladen und weggebracht. Es gibt niemand, dem es nicht bei dem Gedan-ken schaudert, welches Schicksal diese Menschen erwartet. Wir hassen nicht mehr, wir sind entsetzt. Es gibt keine Hoffnung auf Frieden in Europa, bis dieser Albtraum ein Ende hat.

Nach der Absetzung des Regimes Mussolini, kam es auch in der italieni-schen Presse zu erheblichen Umbrüchen. Geradezu angewidert notierte Goebbels am 29. Juli 1943:

Die faschistischen Journalisten sind abgesetzt worden, und an ihre Stelle treten Halbjuden, Freimaurer, kurz und gut, das bekannte alte Gelichter, das wir aus der Kampfzeit noch bestens kennen.18

Und zu dem neuen Regierungschef Badoglio meinte Goebbels:

Die Art und Weise, wie er uns verrät, zeugt für eine typisch freimaurerisch-jüdische Arbeit. Badoglio ist ja bekanntlich ein alter Freimaurer und mit einer Jüdin in Rom liiert.19

Am Rande verdiente Goebbels zufolge bemerkt zu werden, »dass [Giu-seppe] Renzetti, der italienische Gesandte in Stockholm, sich für die Badoglio-Regierung erklärt hatte.

Ich konnte das auf Grund der Kenntnis seiner Persönlichkeit kaum anneh-men; wahrscheinlich ist dieser Stimmungs- und Geistesumschwung auf sei-ne jüdische Frau zurückzuführen.20

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Während der Zeit, als Renzetti Präsident der italienischen Handelskam-mer in Deutschland war, hatten uniformierte SS-Offiziere und NS-Par-teigrößen es keineswegs verschmäht, mit der hübschen Susanne Ren-zetti, geb. Kochmann, zu tanzen, wobei die jüdische Abstammung mit Rücksicht auf die deutsch-italienische Freundschaft schamhaft ver-schwiegen wurde. Sie war die Tochter eines jüdischen Justizrates, die Renzetti in Gleiwitz kennengelernt und 1927 geheiratet hatte.

Insbesondere Goebbels ließ sich keine Gelegenheit entgehen, um Juden für den »Verrat« Italiens verantwortlich zu machen. Der »Groß-schieber Volpi«, so wollte er erfahren haben, hatte einige Wochen vor dem Ausscheiden Italiens aus dem Dreimächtepakt eine Jüdin geheiratet und war deshalb aus der faschistischen Partei ausgeschlossen worden. Für Goebbels war klar, dass Volpi, den er als einen der größten Kriegs-schmarotzer bezeichnete, sich mit der Heirat ein Alibi für spätere Zeit habe schaffen wollen.21 Auch der einst so hochgelobte Mussolini war nun aus NS-Sicht zumindest »jüdisch versippt«. So wurde das Gerücht gestreut, Edda, die Tochter Mussolinis, stamme aus einer Verbindung des Duce mit einer russischen Jüdin. Goebbels hatte dies von Hitler gehört, der glaubte, »dies vermuten zu können …«.22 Und Edda Musso-linis angeblich »hemmungsloses Triebleben« war nach Goebbels’ Inter-pretation ein Indiz dafür, »dass die These des Führers, sie sei Halbjüdin, richtig war«.23

Großzügiges »Ehrenarierrecht« in Kroatien

Ebenso wenig zuverlässig im Hinblick auf die »Judenfrage« zeigte sich der im April 1941 nach der Zerschlagung und Aufteilung Jugoslawiens unter der Herrschaft der faschistichen Ustaša auf Betreiben Hitlers aus-gerufene vermeintlich »Unabhängige Staat Kroatien«. Dort monierte der deutsche Polizeiattaché in Zagreb, Hans Helms, dass zwar die Juden-frage im Großen und Ganzen als gelöst anzusehen war, dass es aber »in öffentlichen Stellungen, besonders in der Wirtschaft und im Gesund-heitswesen, noch einige Juden« gab.24 Man müsse die kroatische Regie-rung drängen, strengere Maßstäbe bei der Verleihung des »Ehrenarier-rechts« anzulegen, verlangte Helms. Am 30. April 1941 hatte Ante Pavelic, der Regierungschef Kroatiens, drei Gesetze zur Ausgrenzung

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Großzügiges »Ehrenarierrecht« in Kroatien 289

jüdischer Bürger erlassen, die eine Reihe von Ausnahmen zuließen. Schätzungen zufolge sollen etwa 500 Personen von den kroatischen Ehrenarier-Bestimmungen betroffen gewesen sein. Zuständig für die Einstufung und folglich das Schicksal von Juden war eine Rassenpoliti-sche Kommission im kroatischen Innenministerium. Juden, die sich bei-spielsweise um die Ustaša-Bewegung verdient gemacht hatten, konnten die vollen Bürgerrechte als »Ehrenarier« erhalten.

Eine Vereinbarung vom Januar 1943 zwischen deutschen und kroati-schen Polizeidienststellen sah eine Sonderaktion vor, der zufolge alle noch im Land verbliebenen Juden, aus den öffentlichen Ämtern entfernt werden sollten, mit Ausnahme der »Ehrenarier« und »Mischlinge«.25

Der deutsche Gesandte in Zagreb, SA-Obergruppenführer Siegfried Kasche, bemängelte die Vielzahl von Ausnahmen. Dabei verfahre man folgendermaßen: Die vom kroatischen Staat anerkannten »Ehrenarier« waren von den Maßnahmen nicht betroffen. Juden in Mischehen wur-den nur dann Zwangsmaßnahmen unterworfen, wenn die Kroaten das von sich aus betrieben oder wenn politische Gründe das erforderlich machten. Halbjuden blieben verschont, wenn sie nicht mit Volljuden verheiratet waren. Dann galten sie nicht mehr als Juden.26 Dennoch gebe es in öffentlichen Stellungen, besonders in der Wirtschaft und im Gesundheitswesen, noch einige Juden, beklagte sich Helms. Deutsche Versuche, gegen sie vorzugehen, wurden von kroatischer Seite abge-blockt, da es an ausreichend ausgebildeten Ersatzkräften fehle. Auch gebe es in wichtigen Stellen noch Juden, die über gute Beziehungen zu kroatischen Persönlichkeiten oder Organisationen verfügten und daher schwer angreifbar seien:

Schwierigkeiten bei der endgültigen Bereinigung der Judenfrage in Kroatien bereitet auch der Umstand, dass die kroatische Führung im starken Maße jüdisch versippt ist. Um den Einfluss des Judentums auf das kroatische öffentliche politische und wirtschaftliche Leben auszuschalten, wäre es not-wendig, die kroatische Regierung – unter Hinweis auf die Gefahren – zu bewegen, von sich aus die noch in öffentlichen Stellungen befindlichen Juden auszuschalten.27

Außerdem könnte man die kroatische Regierung drängen, strengere Maßstäbe bei der Verleihung des »Ehrenarierrechts« anzulegen. Eine

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Vereinbarung zwischen deutschen und kroatischen Polizeistellen sah vor:

• eine»Sonderaktion«zurEntfernungsämtlicherverbliebenerJuden– ausgenommen »Ehrenarier« und »Mischlinge«.

• DieinkroatischenLagerninhaftiertenJudensollten,soweitsienichtals Arbeitskräfte eingesetzt waren, zur »Aussiedlung« nach Deutsch-land, das heißt zum Transport nach Auschwitz, freigegeben werden.

• IllegalinKroatienlebendeJudensolltenverhaftetundinsLagerJesenovac verbracht werden.

• Sämtlichefürdie»Aussiedlung«vorgesehenenJudensolltenimLager Stara Gradiska konzentriert werden.28

Auf deutscher Seite ging man davon aus, dass hiervon rund 2000 Men-schen betroffen sein würden. Dennoch wurde in Kroatien immer wieder Widerstand gegen die aufgezwungene Rassenpolitik betrieben. Voller Empörung meldete die Landesgruppe Kroatien der NS-Auslandsorgani-sation, dass Erzbischof Stepanovic am 14. März 1943 »die Rassenfrage und die Mischehe zum Gegenstand seiner Predigt in der Zagreber Kathedrale gemacht hatte«.29 In schärfster Weise sei Kritik an der deut-schen Politik geäußert worden. Dem Staat sei das Recht abgesprochen worden, in »Mischehen« einzugreifen.

In Kroatien und in der Slowakei gab es eine große Zahl von »Volks-deutschen«, die Himmler in seiner Eigenschaft als Reichskommissar der Volksdeutschen Mittelstelle (Vomi) gern im »Altreich« gesehen hätte. Aber dem stand häufig die »Abstammung« im Wege. In der Slowakei war am 1. Oktober 1941 ein »Judenkodex« verabschiedet worden, der sich an die Nürnberger Rassengesetze anlehnte. Allerdings hatten sich bei der Überprüfung der »Ahnenpapiere« von Volksdeutschen Fälle ergeben – wie Hermann Behrends, SS-Oberführer und Stellvertreter der Vomi, schrieb –, »in denen Männer, die sich jahrelang, auch in der ille-galen Zeit, für die Volksgruppe einsetzen, dem Gesetz nach Juden sind«. Sie waren auf die wohlwollende Behandlung von Gnadengesu-chen angewiesen, die zunächst der Volksdeutschen Mittelstelle vorzule-gen waren.30

Kritisiert wurde, dass in Kroatien die »Judengesetze vornehmlich aufgrund des katholischen Einflusses nicht unter Berücksichtigung des

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Rassestandpunktes erlassen wurden, sodass getaufte Juden den anderen Staatsbürgern gleichgestellt sind und demzufolge auch nicht dem Ver-ordnungszwang des Tragens der Judenplakette unterliegen«. Als Folge befänden sich in der Ustaša-Bewegung zahlreiche Volljuden und Juden-mischlinge. Empfohlen wurde nun, den »Mischlingen ersten und zwei-ten Grades, deren deutschstämmiger Elternteil bereits vor dem 1. Sep-tember 1939 Mitglied des Kulturbundes war und sich durch Haltung und Einsatz im Deutschtumskampf besondere Verdienste erworben hat, auf Antrag den Besuch der deutschen Schulen zu gestatten, wobei jedoch die Mitgliedschaft der Ausleseorganisation oder einer Gliede-rung der deutschen Volksgruppe versagt bleiben soll«.31Kurz darauf wurde Behrends zum SS-Brigadeführer befördert. Ihm schrieb SS-Sturmbannführer Rudolf Brandt am 17. Oktober 1941:

Der Reichsführer-SS ist Ihrer Ansicht, dass die Nürnberger Gesetze sowohl in der Slowakei als auch in Kroatien scharf durchgeführt werden. Er bittet, ihm sämtliche Fälle von Gnadengesuchen vorzulegen, damit er sich auch persönlich ein Bild davon machen kann. Wahrscheinlich wird der Reichs-führer-SS in allen diesen Fällen die betreffenden Volksdeutschen, die zwar Mischlinge sind, die sich aber schon seit Langem für die volksdeutsche Gruppe eingesetzt haben, in das Altreich nehmen, um den Kroaten und Slowaken jede Möglichkeit zu nehmen, etwa auf Ausnahmen in der deut-schen Volksgruppe in dieser Hinsicht hinweisen zu können.32

Diese Vorgaben führten zu geradezu absurden Situationen. So hatte bei-spielsweise Otto Richter aus Olmütz die Einbürgerung beantragt, wobei die Großeltern mütterlicherseits »vermutlich Juden« gewesen waren.33 Er war folglich als »Halbjude« zu betrachten und hätte nach Paragraf 15 des slowakischen »Judenkodex« sein Staatsamt als Obersekretär der staatlichen Gefällekontrolle in T. S. Martin nicht behalten dürfen. Zwei-ter Bewerber um die Einbürgerung war Romanic, seinerzeit Direktor des Verkaufsbüros der kroatischen Berg- und Hüttenwerke in Agram. Bei ihm handelte es sich um einen »Vierteljuden«. Nach intensiven Abstam-mungsprüfungen, einem regen Schriftverkehr und »aufgrund der aner-kannten Verdienste hatte der Reichsführer-SS die Übernahme der beiden volksdeutschen Mischlinge ins Reich genehmigt«.34 Allerdings machte

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ein SS-Untersturmführer auf die Risiken aufmerksam, denen »Misch-linge« im »Altreich« ausgesetzt waren:

Wenn jedoch diese Personen im Reich nicht in den Genuss der Einbürge-rung und der Entscheidung, dass über ihre nichtarische Abstammung hin-weggesehen wird, kommen würden, so würden sie als Halb- bzw. Viertelju-den weitaus schlechter gestellt sein als zur Zeit in der Volksgruppe.35

Derartige Einbürgerungen aber waren generell verboten, und die Ent-scheidung, »nach der bei jüdischen Mischlingen über deren nichtari-sche Abkunft hinwegzusehen« ist, konnte nur durch den »Führer« selbst vollzogen werden.

Die Aufsässigkeit der Ungarn

Nach nationalsozialistischer Denkungsart gebärdeten sich die Ungarn besonders aufsässig in der Judenfrage. Schon im Februar 1942 hatte Goebbels István Horthy, dem Sohn von Reichsverweser Miklós Horthy, der zugleich dessen Stellvertreter war, vorgeworfen, »ein ausgesproche-ner Judendiener« zu sein36 und schmähte ihn wenig später als »ausge-machten Judenfreund«.37 István Horthy hatte seinem Vater aus Kiew geschrieben:

Noch ein weiteres trauriges Thema: die jüdische Gesellschaft, wie ich höre, – dort 20 oder 30 000 Mann –, sind auf Gedeih und Verderb den Leiden-schaften der Sadisten ausgeliefert, in jeder Hinsicht (…).Ich befürchte, dass wir einmal sehr teuer dafür bezahlen werden. (Ist es möglich, sie zu Hause arbeiten zu lassen?) Andernfalls werden im Frühjahr nur noch wenige leben.38

Am 17. März 1943 hatte Hitler den ungarischen Reichsverweser Miklós Horthy nach Schloss Klessheim bei Salzburg beordert, wo er ihm vor-hielt, sich nicht an der »Endlösung der Judenfrage« zu beteiligen. Hit-ler habe Horthy anschließend die Verfehltheit seiner Politik im Großen gesehen wie speziell in der allgemeinen Kriegführung und der Juden-frage klargemacht«,39 ist bei Goebbels unter dem 19. April 1943 zu

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Die Aufsässigkeit der Ungarn 293

lesen. In seinem Tagebuch widmete der Propagandaminister diesem Umstand am 8. Mai 1943 viel Platz und stellte fest, dass diese Frage »am allerschlechtesten« in Ungarn gelöst werde. Als Gründe hierfür führte er an:

Der ungarische Staat ist ganz jüdisch durchsetzt, und es ist dem Führer bei seiner Unterredung mit Horthy nicht gelungen, ihn von der Notwendigkeit härterer Maßnahmen zu überzeugen. Horthy ist ja selbst mit seiner Familie außerordentlich stark jüdisch verfilzt und wird sich auch in Zukunft mit Händen und Füßen dagegen sträuben, das Judenproblem wirklich tatkräftig in Angriff zu nehmen. Er führt hier durchaus humanitäre Gegenargumente vor, die natürlich in diesem Zusammenhang überhaupt keine Bedeutung besitzen. Dem Judentum gegenüber kann nicht von Humanität die Rede sein, das Judentum muss zu Boden geworfen werden. Der Führer hat sich alle Mühe gegeben, Horthy von seinem Standpunkt zu überzeugen, allerdings ist ihm das nur zum geringsten Teil gelungen.40

Kurz darauf ließ Hitler elf Wehrmachtsdivisionen nach Ungarn einmar-schieren, auf deutschen Druck wurde eine neue Regierung mit General Döme Sztójay gebildet, die bis Juni 1944 40 000 Juden deportieren ließ. Horthy und seine Familie wurden von Hitler gefangen genommen und überlebten den Krieg als »Ehrenhäftlinge« auf Schloss Hirschberg bei Weilheim, bevor sie von den Amerikanern befreit wurden.

Alfred M. Posselt gibt in seinem Buch Die Ehrenarier. Verräter oder geschonte Opfer? folgende Zahlen für »Ehrenarier« und »Ausnahmeträ-ger«41 zur Zeit des Nationalsozialismus europaweit an:

Ehrenarier Sonstige AusnahmeträgerDeutsches Reich: 1000 Deutsches Reich: 32 000Polen: 2000 Polen: 18 000Litauen: 100 Litauen: 100Slowakei: 10 000 Slowakei: 5000Ungarn: 200 000 Ungarn: 100 000Italien: 5000 Italien: 5000Niederlande: 10 000 Niederlande: 27 000Frankreich: 10 000 Frankreich: 200 000Rumänien: 100 000

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294 Hitlers Kritik an der Judenfreundlichkeit der Bündnispartner

Diese auf Schätzungen beruhende Zahlen sind zweifellos überhöht. Außerdem vermeidet Posselt, den Begriff »sonstige Ausnahmeträger« zu definieren. Das aber öffnet Spekulationen Tür und Tor.

Kurswechsel in Bezug auf Japan

Schwierigkeiten bereiteten den Nationalsozialisten die rassische Einord-nung und der Umgang mit asiatischen Völkern, insbesondere mit der verbündeten »Achsenmacht« Japan. Nach der NS-Rassenlehre waren die Japaner ein »minderwertiges« Volk. Das aber durfte nicht sein, denn man brauchte Japan als Verbündeten. Die Historikerin Haruni Shidehara Furuya hat in ihrem Buch Nazi racism toward the Japanese die Unfähigkeit der Nationalsozialisten beschrieben, die Rassenfrage für Japan zu beantworten und ihre eigenen Doktrinen von Rassenlehre und Realpolitik halbwegs zu versöhnen.42 In Deutschland lebten während des NS-Regimes rund 500 Japaner, dazu wenige »Mischlinge 1. und 2. Grades«, die zwar zum Teil diskriminiert wurden, aber keine Verfol-gung zu befürchten hatten.

Bernd Martin hat darauf hingewiesen, dass bis 1933 in der »Rassen-frage« durchaus Gemeinsamkeiten zwischen Deutschland und Japan bestanden.43 Erst die Nürnberger Gesetze schufen zumindest aus japani-scher Sicht eine gewisse Klarheit, sodass noch im September 1935 auf japanische Initiative hin Bündnisverhandlungen aufgenommen wurden, die über den Antikominternpakt (1936) zu dem Dreimächtepakt (1940) führten. Die nach der »Reichspogromnacht« 1938 in den japa-nischen Machtbereich entweichenden deutschen und – ab Kriegsbeginn – auch polnischen Juden gerieten mit zunehmender Festigung der deutsch-japanischen Allianz in Abhängigkeit der Regierungen in Rom und Tokio. Nach dem Abschluss des Dreimächtepakts zeigten sich die Japaner immer geneigter, die deutschen Forderungen nach Absonde-rung jüdisch-deutscher Emigranten zu erfüllen.

In Mein Kampf hatte Hitler von den Japanern noch als »minderer Rasse« gesprochen, lobte aber später immer wieder deren Widerstand gegen die »jüdische Weltverschwörung«:

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1925 habe ich in »Mein Kampf« und einer anderen, nicht veröffentlichten Schrift geschrieben, dass das Weltjudentum in Japan den letzten nicht anfressbaren Gegner sieht. Bei den Japanern ist das Natur- und Rassenbe-wusstsein derart fest, dass der Jude weiß, von innen kann er das nicht zerstö-ren, das muss von außen geschehen.44

Auch die asiatische Physiognomie ließ er plötzlich gelten:

Sehr gut ist in diesem Japan immer die Marine gewesen. Die uns nächstste-henden Typen fanden sich immer bei der Marine – so ein prachtvoller Schä-del wie der Oshima45 – das ist eine Sache für sich!46

Hitler war überzeugt, die japanische Kultur würde ohne den ständigen Zufluss europäischer oder amerikanischer Elemente zugrunde gehen:

Es ist nicht so, wie manche meinen, dass Japan zu seiner Kultur europäische Technik nimmt, sondern die europäische Wissenschaft und Technik wird mit japanischen Eigenarten verbrämt. (…) Würde ab heute jede arische Ein-wirkung auf Japan unterbleiben, angenommen Europa und Amerika zugrun-de gehen, so könnte eine kurze Zeit noch der heutige Aufstieg Japans in Wissenschaft und Technik anhalten; allein schon in wenigen Jahren würde der Brunnen versiegen, die japanische Eigenart gewinnen, aber die heutige Kultur erstarren und wieder in den Schlaf zurücksinken, aus dem sie vor sieben Jahrzehnten durch die arische Kulturwelle aufgescheucht wurde.47

Aber Hitler hatte sich gleichzeitig eine Möglichkeit zum Rückzug bewahrt. Denn ebenfalls in Mein Kampf hob er im Zusammenhang mit den Japanern die »gewaltigste Aufgabe der nationalsozialistischen Bewegung« hervor:

Sie muss dem Volke die Augen öffnen über die fremden Nationen und muss den wahren Feind unserer heutigen Welt immer und immer wieder in Erin-nerung bringen. An Stelle des Hasses gegen Arier, von denen uns fast alles trennen kann, mit denen uns jedoch gemeinsames Blut oder die große Linie einer zusammengehörigen Kultur verbindet, muss sie den bösen Feind der Menschheit, als den wirklichen Urheber allen Leides, dem allgemeinen Zor-ne weihen.48

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296 Hitlers Kritik an der Judenfreundlichkeit der Bündnispartner

In ihrem Überlegenheitswahn stießen die Nationalsozialisten zwangs-läufig auf den Widerstand anderer Völker. Das spürte sowohl die Aus-landsorganisation der NSDAP, die den Nationalsozialismus in alle Teile Welt exportieren sollte, als auch die Reichsregierung. Asiatische Völker, vor allem die von Berlin umworbenen Japaner, reagierten äußerst emp-findlich auf die Vorhaltung, »nichtarisch« und folglich »minderwer-tig« zu sein. Schon Mitte 1935 wurde daher das Deutsche Beamtenge-setz geändert, aus dem nun die Begriffe »arisch« und »nichtarisch« entfernt werden sollten. Zur Begründung führte Reichsinnenminister Wilhelm Frick an, es habe sich in den zurückliegenden zwei Jahren eine »unheilvolle Auswirkung in außen- und innenpolitischer Hinsicht« hinreichend erwiesen:

Durch die Gleichstellung von Juden und nichtjüdischen Fremdrassen (z. B. Mongolen) in dem Sammelbegriff »nichtarisch« ist jede gegen die Juden gerichtete Maßnahme in den Augen der Welt zwangsläufig auch auf die nichtjüdischen Fremdrassen übertragen worden. Eine große Reihe außenpo-litischer Spannungen, insbesondere mit Japan, sind dadurch entstanden, dass man die ursprünglich wesentlich nur gegen die Juden gerichtete deut-sche Rassengesetzgebung als kränkende Maßnahme gegen große Völkerstaa-ten fremder Rasse aufgefasst hat.49

Zweifellos bereitete der Umgang mit Japanern und japanischen »Misch-lingen« der NSDAP Probleme. So fragte die Partei-Kanzlei am 13. Juni 1942 beim Auswärtigen Amt an, wie mit dem Wunsch von Kurt Heise um Aufnahme in den Nationalsozialistischen Deutschen Studenten-bund umgegangen werden solle. Heises Vater war demnach »deutsch-blütig, seine Mutter Japanerin«. Das Erscheinungsbild zeige deutlich, dass Heise wesentliche Züge seiner Mutter geerbt habe, schrieb die Par-tei-Kanzlei und erbat um Entscheidung, ob der Student als »Mischling 1. Grades« betrachtet werden müsse.50

1945 schließlich leugnete Hitler, je etwas gegen Asiaten gehabt zu haben:

Ich war nie der Meinung, dass etwa Chinesen oder Japaner rassisch minder-wertig wären. Beide gehören alten Kulturen an, und ich gebe zu, dass ihre Tradition der unsrigen überlegen ist. Sie haben allen Grund, darauf stolz zu

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sein, genau wie wir stolz sind auf unseren Kulturkreis, dem wir angehören. Ich glaube sogar, dass es mir umso leichter fallen wird, mich mit den Chine-sen und Japanern zu verständigen, je mehr sie auf ihrem Rassenstolz behar-ren.51

Um den wichtigen Kriegsverbündeten nicht zu verprellen – in Einzelfäl-len war dies durchaus geschehen – wurden die Japaner in ihrer Gesamt-heit von den Nationalsozialisten als »Ehrenarier« behandelt, ohne dass dies formell beschlossen oder angeordnet worden wäre. Am 27. Januar 1942 notierte Goebbels noch, die USA bemühten sich »krampfhaft« Deutschland in die Rassenfrage hineinzuziehen, »vor allem was Japan anbelangt«. Die US-Presse veröffentliche leidenschaftliche Artikel »gegen die gelbe Rasse«. Zu diesem Thema vertraute Goebbels seinem Tagebuch an:

Ich verbiete den deutschen Nachrichtendiensten, überhaupt auf diese etwas kitzligen und heiklen Probleme einzugehen, weil ich der Überzeugung bin, dass wir hier keine besonderen Lorbeeren ernten können. In der Tat ist unsere Position Japan und den Problemen Ostasiens gegenüber vor allem in Bezug auf die starre Verfechtung unseres Rassenstandpunkts etwas gefähr-lich.52

Am besten komme man durch Schweigen über diese Schwierigkeiten hinweg. Ein paar Tage später, am 14. Februar 1942, aber schrieb er: »Größte Bewunderung hegt der Führer nach wie vor für die Japaner«53 – und dies war dann in der NS-Diktatur für jedermann verpflichtend. Selbst der Rassenfanatiker Himmler kam nicht umhin, die Japaner als Vorbild für besondere Tapferkeit zu loben:

Wir sehen, wie tapfer ein Volk sein kann, das nur an seine Ahnen glaubt: Japan! Ein solches Volk ist schwer zu besiegen. Diese Gedanken und diese Kraft wollen wir in den Jahrzehnten, die noch vor uns liegen, unserem Volk einflößen. Darum muss dieser Gedanke Lebenselement der SS werden.54

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