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Werkstoffinnovationen für Industrie und Gesellschaft Beispiele der Projektförderung

Werkstoffinnovationen für Industrie und Gesellschaft · Einleitung 4 Umwelt- und Ressourcenschutz 5 Winzlinge für die Schadstoffentfernung 5 Hightech-Beton nicht nur für Spezialisten

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Werkstoffinnovationen für Industrie und GesellschaftBeispiele der Projektförderung

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Leitbild eines innovativen Deutschlands

Es sind die guten Ideen, aus denen in Deutschland neue Produkte und Dienstleistungen entwickelt werden. Sie sind weltweit gefragt und sichern unseren Wohlstand und unsere Lebensqualität. Auf viele drängende Fragen und Herausforderungen der Zukunft wurden bereits innovative Lösungen gefunden. In anderen Be-reichen muss weiter geforscht und experimentiert werden. Hier setzt die neue Hightech-Strategie an: Sie betrachtet systematisch den ganzen Innovationsprozess – von der kreativen Idee bis zur Umsetzung in neue Produkte und Dienstleistungen. Die neue Hightech-Strategie konzentriert sich auf Forschungsthemen, die von besonderer Relevanz für die Gesellschaft sowie für Wachstum und Wohlstand sind:

Die neue Hightech-Strategie bringt alle Akteure des Innovationsgeschehens zusammen, um Kräfte zu bündeln und den Weg von der Idee in die Anwendung zu verbessern. Sie sorgt auch dafür, dass die Bedin-gungen in Deutschland innovationsfreudig bleiben. Dafür sind quali�zierte Fachkräfte ebenso notwendig wie eine bessere Finanzierung von Innovationen oder ein forschungsfreundliches Urheberrecht.

Mehr erfahren Sie auch unter www.hightech-strategie.de

Zentrale Forschungsthemen

der Hightech-Strategie

Digitale Wirtschaft und Gesellschaft

Innovative Arbeitswelt

Intelligente Mobilität

Gesundes Leben

Nachhaltiges Wirtschaften und Energie

Zivile Sicherheit

Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort 2

Einleitung 4

Umwelt- und Ressourcenschutz 5

Winzlinge für die Schadstoffentfernung 5Hightech-Beton nicht nur für Spezialisten 7Spinnenseide nach dem Vorbild der Natur 9Seltene Materialien lassen sich recyceln 10Magnetkraft aus dem Miniaturkosmos 12Rohstoffe sparen bei Katalysatoren 13

Energie und Klimaschutz 15

Ein Mantel gegen Korrosion 15Strom aus Meereswellen 16Flüssigkristalle als Schmierstoff 18Energiesparen bei der Zementherstellung 20

Mobilität 22

Neue Batterien für die Elektromobilität 22Unterricht mit Lithium-Ionen-Akkus 24Fest, hitzebeständig und trotzdem leicht 25Leicht auf die Schiene 26Metall und Kunststoff fest vereint 27Intelligente Schiffsflossen 28

Gesundheit 30

Ein Navi für die Krebsoperation 30Nanowaffen gegen den Krebs 32Materialien für implantierbare Sehhilfen 33Individuelle Implantate 35Ersatz für geschädigtes Gewebe 36Injektionen ohne Nadel 38

Anhang 40

Weiterführende Informationen 40Impressum 41

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Vorwort

Hightech-Beton, Hochleistungsbatterien für die Elektro-mobilität und neue Krebstherapien haben auf den ersten Blick wenig gemeinsam. Erst die nähere Betrachtung zeigt: Neue Materialien und Werkstoffe bilden bei allen genannten Beispielen die Basis für innovative Produkte und Verfah-ren. Materialforschung ist ein zentraler Innovationstreiber. Deshalb fördert die Bundesregierung die Materialforschung im Rahmen ihrer umfassenden Innovationsstrategie: der Hightech-Strategie.

Die vorliegende Broschüre lässt den vielfältigen Nutzen der Materialforschung für unseren Alltag lebendig werden. Bei-spiele aus den Bereichen Gesundheit, Mobilität, Energie und Klima- sowie Umweltschutz veranschaulichen, wo Materi-alentwicklung uns überall begegnet. Schauen Sie Material-forscherinnen und Materialforschern über die Schulter, wie sie mit ihren kreativen Ideen dazu beitragen, unser Leben zu verbessern.

Ihr Bundesministerium für Bildung und Forschung

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Einleitung

„Vom Material zur Innovation“ heißt das neue Rah-menprogramm zur Förderung der Materialforschung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF). In den kommenden Jahren wird es Richt-schnur sein für gemeinsame Projekte von Materialfor-schern aus der Wissenschaft und Werkstoffentwicklern der Industrie.

Schon in den vorangegangenen Programmen hatte sich erwiesen, wie fruchtbar die enge Kooperation von Wissenschaft und Praxis im Alltag der Werkstofffor-schung und -entwicklung ist: In gemeinsamen Pro-jekten trugen die Forscher zum schonenden Umgang mit Ressourcen bei, indem sie etwa einen neuartigen Hochleistungsbeton möglich machten. Oder sie leisteten Beiträge zum Umweltschutz beispielsweise mit Nanomaterialien, also winzig kleinen Teilchen, die Schadstoffe aus Grund- und Abwasser entfernen.

Werkstoffforscher entwickelten mit Unterstützung staatlicher Fördermittel ein neuartiges Beschichtungs-material, um Windenergieanlagen in der widrigen Wit-terung auf dem Meer besser vor Rost zu schützen. Oder sie fanden Lösungen, um die Effizienz von Batterien zu erhöhen und damit die Elektromobilität wirtschaftli-cher zu machen.

Klimaschutz konkret heißt zum Beispiel, den Energie-verbrauch, der durch Reibung verursacht wird, mit der Entwicklung neuer Schmiermaterialien zu verringern. Im Gesundheitswesen hat Werkstoffforschung ganz neue Möglichkeiten für die Diagnose und Therapie von Krankheiten eröffnet.

Kurzum: Keine technische Entwicklung, keine innova-tive Anwendung, die ohne Materialforschung im Kern und Werkstoffentwicklung im weiteren Sinn zustande käme. Neue Werkstoffe helfen, Material und Energie zu sparen, die Lebensqualität zu verbessern und die Wett-bewerbsfähigkeit unserer Industrie zu erhöhen.

In den folgenden Kapiteln werden einige Arbeitser-gebnisse aus jüngster Zeit vorgestellt, die im bisherigen Rahmenprogramm „Werkstoffinnovationen für Indus-trie und Gesellschaft – WING“ mit Mitteln des BMBF gefördert wurden. Die Gliederung in die Themenberei-che „Umwelt- und Ressourcenschutz“, „Energie- und Klimaschutz“, „Mobilität“ und „Gesundheit“ dient als Lesehilfe. Die wesentliche Voraussetzung aller hier vorgestellten Arbeitsergebnisse jedoch ist die Kreativi-tät der Materialforscher und Werkstoffentwickler, die nützliche und wertvolle Produkte für eine nachhaltige-re Welt hervorbringt.

Rahmenprogramm zur Förderung der Materialforschung.

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Umwelt- und Ressourcenschutz

Der Anteil der Materialkosten an der Produktion beträgt im verarbeitenden Gewerbe mittlerweile mehr als 50 Prozent. Einsparungen durch einen effizienten Einsatz von Rohstoffen bringen daher einen erhebli-chen Wettbewerbsvorteil mit sich. Die Ergebnisse von Materialforschung und innovativer Werkstofftechnik haben noch einen weiteren Nutzen: Die Umwelt wird geschont.

Ein Beispiel dafür sind Nanomaterialien. Nur wenige millionstel Millimeter groß, sind sie unter anderem dazu in der Lage, sich als winzig kleine Reinigungs-maschinen durch Grund- und Abwässer zu bewegen. Materialforscher entwickelten nun neue Verbindun-gen, die besonders schnell und wirksam Schadstoffe entfernen, ohne selbst zu einem Risiko für Mensch und Umwelt zu werden.

Null Toleranz auch gegenüber Materialverschwen-dung: Für Elektroautos werden zum Beispiel sehr leistungsstarke Magnete benötigt, deren Bestandteile nur begrenzt auf der Erde verfügbar sind und somit zu kostbar, um die Motoren nach Gebrauch einfach zu verschrotten. Forscher fanden einen Recyclingweg für diese Hochleistungsmagnetwerkstoffe. Und sie er-innerten sich an ein theoretisches Konzept, nach dem es möglich war, die seltenen und kostbaren Magnet-werkstoffe durch Materialien zu ersetzen, die praktisch unbegrenzt vorkommen.

Einen anderen Weg wählten Materialforscher, um zu Rohstoffeinsparungen bei den massenhaft in der Au-tomobilherstellung benötigten Abgaskatalysatoren zu kommen: Indem sie deren Wirksamkeit verbesserten, senkten sie den künftigen Verbrauch von Edelmetallen.

Moderner Beton hat nicht nur extrem gute Eigenschaf-ten, er lässt sich heutzutage sogar relativ energiespa-rend herstellen – allerdings mit hohem Aufwand und zu entsprechend hohen Kosten. Das wird sich ändern, denn Materialforschern gelang die Entwicklung eines leicht herstellbaren Hochleistungsbetons auf Basis eines Nanomaterials.

Schließlich ist die Natur ein Vorbild, wenn es darum geht, mit geringen Ressourcen auszukommen und doch große Wirkung zu erreichen. Der seidene Faden der Spinne hat sich als ein wahres biotechnisches Wunderwerk entpuppt. Generationen von Forschern

haben versucht, die unglaublichen Eigenschaften dieses Materials nachzuempfinden. Ihre Hartnäckigkeit ist schließlich von Erfolg gekrönt. Es gelang ihnen mit biotechnologischen Methoden, solche Fasern künstlich nicht nur im technischen Maßstab herzustellen, son-dern auch die Verfahren für eine industrielle Produkti-on zu entwickeln.

Winzlinge für die Schadstoffentfernung

Kleinste Teilchen eignen sich gut, um Grund- und Abwasser zu reinigen. Forscher entwickelten nun neue Verbindungen aus solchen Nanopartikeln, die besonders schnell und wirksam Schadstoffe entfernen, ohne selbst zu einem Risiko zu werden.

Um Wasser zu reinigen, richten Forscher in jüngster Zeit verstärkt ihr Augenmerk auf winzige Teilchen, Na-nopartikel, die nur wenige millionstel Millimeter groß sind. Sie eignen sich durch ihre im Verhältnis zum Vo-lumen größere Oberfläche besonders gut als Reagen-zien, als Stoffe also, die mit anderen reagieren, oder als Katalysatoren, die eine chemische Reaktion auslösen oder beeinflussen. So können Schadstoffe im Wasser leicht an Nanopartikel andocken und werden schneller abgebaut. Diese Vorteile nutzten Wissenschaftler im Projekt „Fe-NANOSIT – Eisenbasierte Nanopartikel und Nanokompositstrukturen zur Schadstoffentfer-nung aus Grund- und Abwässern“ . Sie entwickelten Nanomaterialien auf der Basis von Eisen oder magneti-schen Eisenoxiden, um ihren technologischen Einsatz weiter zu verbessern und zu erproben.

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Die Forschung zur Grundwasserreinigung konzent-rierte sich auf ein Nanomaterial aus winzigen Eisen-teilchen und Aktivkohle, das sogenannte Carbo-Iron®. Es soll den Abbau von schädlichen Chlorkohlenwas-serstoff-(CKW)-Verbindungen in verunreinigtem Grundwasser beschleunigen. Der Clou dabei sind die besonderen Eigenschaften der Nanokompositstruktur. Im Vergleich zu reinen Eisen-Nanopartikeln ist dieses Verbundmaterial stabil an der Luft, lässt sich besser in das Grundwasser einbringen und dort transportieren. Es bindet und vernichtet die schädlichen CKW beson-ders effektiv.

An einem Altlastenstandort unter einer ehemaligen Wäscherei, wo das Wasser mit CKWs belastet war, erprobten die Forscher das neue Material. Sie brachten Carbo-Iron in das verschmutzte Grundwasser ein und wiesen anschließend durch eine umfangreiche Beob-achtung nach, dass es die CKWs nach mehr als zwei Monaten sehr gut chemisch abgebaut hatte.

Neben der Grundwassersanierung entwickelten die Wissenschaftler auch für die Reinigung von ver-schmutzten Abwässern innovative Nano-Katalysa-toren. Dabei hatten sie vor allem die magnetischen Eigenschaften von eisenhaltigen Nanomaterialien im Auge; denn mit einem Magneten lassen sie sich leicht wieder aus den Abwässern entfernen. Dies verhindert, dass sie in die Umwelt gelangen, andererseits schont das Verfahren Ressourcen, da die Nano-Katalysatoren mehrmals als Reinigungsmittel genutzt werden können. Um die Praxistauglichkeit der entwickelten hochaktiven Materialien zu erproben, setzten die

Forscher diese bei einem echten Abwasserproblem ein. Im Ergebnis zeigte sich, dass Nano-Katalysatoren aus Eisen-Zeolith, einem kristallinen, porösen Stoff, kleine Schadstoffmoleküle in einer Testanlage schnell abbauen konnten.

Um sicherzustellen, dass die Nanopartikel selbst in der Umwelt keinen Schaden anrichten, wurde in ökoto-xikologischen Testreihen untersucht, ob die Nanoma-terialien kleinen Lebewesen etwas anhaben können. Die Forscher wiesen nach, dass die Partikel erst in sehr hoher Dosis eine negative Wirkung auf verschiedene Organismen haben. Wägt man nun die Konzentratio-nen des Nanomaterials in der Umwelt sowie die hohe Dosis und giftige Wirkung der zu entfernenden Schad-stoffe gegeneinander ab, so überwiegen die Vorteile der neuen Methode. Die Technologie kann somit künftig wichtige Beiträge leisten, um hochgiftige Verunreini-gungen aus Grund- und Abwässern zu entfernen.

Mit Carbo-Iron, einem Nanomaterial aus winzigen Eisenteilchen und Aktivkohle, lassen sich giftige Stoffe im Grundwasser abbauen.

Einbringung des Carbo-Irons in den Boden.

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Projektdaten

Titel: Fe-NANOSIT – Eisenbasierte Nanopartikel und Nanokompositstrukturen zur Schadstof-fentfernung aus Grund- und Abwässern

Partner: • Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH – UFZ, Fachbereich Analytik und Ökotoxikologie (Koordination)

• ECT Oekotoxikologie GmbH • Fraunhofer-Institut für Keramische Tech-

nologien und Systeme (IKTS) Dresden• Golder Associates GmbH• IBL Umwelt- und Biotechnik GmbH• Technische Universität Dresden, Universi-

tätsklinikum

Laufzeit/Förder-kennzeichen:

2010 bis 2013 / 03X0082A-C, 03X0082E-G

Hightech-Beton nicht nur für Spezialisten

Moderner Hochleistungsbeton hat extrem gute Eigen-schaften, ist in der Herstellung aber sehr teuer. Durch eine neue Entwicklung lassen sich die Kosten deut-lich senken, so dass neue Anwendungsfelder für den Hightech-Beton erschlossen werden können.

Bauen und Wohnen verschlingen in Deutschland eine erhebliche Menge an Material und Energie. Um diesen hohen Verbrauch generell zu senken, um Ressourcen zu schonen und Energie zu sparen, können neue Werk-stoffe eine wichtige Rolle spielen. Beton beispielsweise ist der bedeutendste Werkstoff für das Bauwesen. Um ihn zu erzeugen, braucht man das Bindemittel Zement,

bei dessen Herstellung fünf bis sieben Prozent des vom Menschen verursachten Kohlendioxid- (CO2)-Ausstoßes verursacht werden. Verbessert man die mechanischen Eigenschaften und verlängert man die Lebensdauer von Beton-Fertigteilen, lässt sich Material einsparen. Damit sinken auch Energiebedarf und CO2-Emissionen bei der Zementherstellung und -verarbeitung.

Betone, die besonders hohem Druck standhalten, sogenannte Hochleistungsbetone und ultrahochfeste Betone (UHPC – Ultra High Performance Concrete), sind für das Bauwesen von besonderem Interesse. Sie besitzen ein extrem festes Gefüge, wodurch sie fast stahlähnliche Eigenschaften erlangen können. UHPC bekommt seine herausragenden mechanischen Eigen-schaften durch kleinste Teilchen, die in die Zwischen-räume der Sandkörnchen und sonstigen Bestandteile von normalem Beton eingelagert sind. Durch ein geeignetes Bindemittel werden diese extrem fest und dicht miteinander verbunden.

Jedoch ist es bisher sehr aufwendig, Hochleistungs-betone und UHPC industriell herzustellen. Daher hat ein Konsortium unter Leitung der Dyckerhoff AG das Projekt „OLAF – Hochleistungsbeton für Alle: Nano-technologisch optimierter, langlebiger, energieeffi-zienter und insbesondere anwendungsfreundlicher Hochleistungsbeton“ gestartet. Ziel des Projektes war es, Hochleistungsbetone zur Herstellung von Fertigteilen und Transportbeton künftig auch für kleine und mitt-lere Firmen ohne spezielle Gerätetechnik erschwinglich zu machen. Die beteiligten Wissenschaftler entwickel-ten einen Beton, dessen Clou ein besonderes Binde-mittel ist. Es basiert auf maßgeschneiderten winzigen Teilchen, auf Nanopartikeln. Dadurch kann im Beton der Anteil an Portlandzementklinker um 50 Prozent

Tragfähigkeitstest einer dünnen Rampe aus ultrahochfestem Beton.

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gesenkt und durch optimierte Kompositbestandteile ersetzt werden. Untersuchungen an unterschied-lich dicken Betonrampen haben gezeigt, dass dieser Hochleistungsbeton bis zu dreifach leistungsfähiger als klassischer Stahlbeton ist. Außerdem ist der Kohlendi-oxid-Ausstoß bei der Produktion sehr viel niedriger. Die besonderen mechanischen Eigenschaften des Betons lassen künftig auch Anwendungsfelder abseits des Bau-wesens zu, beispielsweise für Fundamente von Maschi-nen oder bei der Herstellung von Werkzeuggestellen.

Projektdaten

Titel: OLAF – Hochleistungsbeton für Alle: Nano-technologisch optimierter, langlebiger, ener-gieeffizienter und insbesondere anwendungs-freundlicher Hochleistungsbeton

Partner: • Dyckerhoff GmbH – Wilhelm-Dyckerhoff-Institut für Baustofftechnologie (Koordi-nation)

• Evonik Industries AG – Standort Wolfgang – Abt. IM-IM-NBD

• Universität Siegen – Institut für Bau- und Werkstoffchemie

Laufzeit/Förder-kennzeichen:

2009 bis 2012 / 03X0066A-C

Ein weiteres Forschungsvorhaben, „UHPC – Erfor-schung des Nanowerkstoffs UHPC für die Anwendung im Spezialtiefbau unter Berücksichtigung ökonomi-

scher und ökologischer Aspekte“, widmete sich dem Einsatz von ultrahochfesten Betonen. Im Spezialtiefbau werden hohe Gebäude in einem besonders tief reichen-den Baugrund errichtet, damit sie stabil stehen. Dabei sind die höchsten Bauwerke der Welt zumeist auf soge-nannten Bohrpfählen gebaut, die die schwere Last sicher tragen können. Solche Anordnungen von Stahlbeton-pfählen können über 100 Meter in die Tiefe reichen.

In der Regel treiben Drehbohrgeräte Löcher für die Gründungspfähle in das Erdreich. Bei weichen bis stei-fen und locker bis mitteldicht gelagerten Böden nutzt man häufig das wirtschaftlich attraktive sogenannte „Lost-Bit-Verfahren“. Nach dem Bohren wird die Spitze des Bohrers ausgeklinkt. Durch einen Hohlraum in der Mitte des Bohrgestänges vom Drehbohrgerät, das lang-

Beton

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Kamera

Einrichten amBohrpunkt

Eindrehen und Eindrücken des Bohrwerkzeugs

Erreichen der Endtiefe

Gestänge öffnen und Einbau des Bewehrungskorbs

Gleichzeitig: Ziehen des Bohrwerkzeugs und Betonieren durch hohles Bohrgestänge

Verdrängerpfahltechnik im „Lost-Bit-Verfahren“.

Bohrspitze aus UHPC.

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sam aus dem Loch gezogen wird, fließt der Beton ins Loch und verfestigt sich. Die Tragfähigkeit des Bodens ist so gezielt verbessert. Die Bohrspitzen sind in der Re-gel aus Stahl und bleiben am Grund des Bohrlochs im Erdreich liegen. Statt Stahl setzten die Projektpartner nun den deutlich kostengünstigeren UHPC als Bohr-spitze ein, dessen Herstellung sehr viel weniger Energie verbraucht und der außerordentlich korrosionsbestän-dig und langlebig ist.

Die Ergebnisse der Forschungsarbeiten haben gezeigt, dass der Einsatz von UHPC-Bohrspitzen in der Praxis funktioniert. Sie werden bereits auf mehreren Baustel-len in Europa getestet. Selbst in vergleichsweise harten Böden traten bisher keine Risse in der UHPC-Spitze auf. Das Projektteam hat auch die Voraussetzungen für eine optimale Produktqualität bei großtechnischer Herstellung diskutiert. Der Weg bis zur Marktreife ist damit nicht mehr weit.

Projektdaten

Titel: UHPC – Erforschung des Nanowerkstoffs UHPC für die Anwendung im Spezialtiefbau unter Berücksichtigung ökonomischer und ökologischer Aspekte

Partner: • BAUER Spezialtiefbau GmbH – Abt. Bau-technik (Koordination)

• Technische Universität München – Lehr-stuhl für Baustoffkunde und Werkstoff-prüfung

Laufzeit/Förder-kennzeichen:

2009 bis 2012 / 13N10456-7

Spinnenseide nach dem Vorbild der Natur

Spinnenseide ist ein faszinierendes Material mit beste-chenden Eigenschaften. In einem Förderprojekt ist es erstmals gelungen, mit biotechnologischen Methoden solche Fasern künstlich im technischen Maßstab herzu-stellen.

Höchstleistungswerkstoffe aus der Natur nötigen auch dem versiertesten Materialwissenschaftler Respekt ab. Ein herausragendes Beispiel hierfür ist die Spinnensei-

de, die über eine außergewöhnliche Kombination von Eigenschaften verfügt. Sie ist federleicht und extrem reißfest. Pro Volumeninhalt hält sie sogar einer höhe-ren Zugbelastung stand als Stahl oder Hochleistungs-fasern wie Kevlar und Karbonfasern. Darüber hinaus ist Spinnenseide, die aus Eiweißen (Proteinen) besteht, biologisch abbaubar und sehr verträglich für Haut oder Körpergewebe. Kein Wunder, dass Materialwissen-schaftler weltweit versuchen, Spinnenseide etwa für chirurgische Fäden, Wundauflagen, pharmazeutische Hilfsstoffe oder technische Fasern nutzbar zu machen.

Im Förderprojekt „Konzeption eines kontinuierlichen Spinnprozesses zur Produktion von Spinnenseiden-fasern“ ist es gelungen, künstliche Spinnenseiden-Proteine biotechnologisch herzustellen. Bei diesem neuen Verfahren werden diejenigen Genabschnitte der Spinnen, die für die Seidenproduktion verantwortlich

sind, so abgewandelt, dass sie sich in das Erbgut von Kolibakterien einschleusen lassen. Mit den veränderten Mikroorganismen lassen sich Spinnenseidenproteine

Hochleistungsfasern aus künstlicher Spinnseide weisen einzigartige mechanische Eigenschaften auf.

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in einem Bioreaktor in hoher Reinheit und großen Mengen erzeugen. Die unerwünschten bakterienei-genen Eiweiße werden abgetrennt und die gewollten Moleküle anschließend gefriergetrocknet. Nun sind die künstlichen Spinnenproteine pulverförmig. Wenn dieses Pulver sich in einem organischen Lösungsmittel verflüssigt hat, lässt es sich durch verschiedene Prozes-se weiterverarbeiten.

Thomas Scheibel von der Universität Bayreuth hat durch langjährige Entwicklungsarbeiten die materi-altechnischen Grundlagen legen können, die für die Herstellung künstlicher Spinnenseide entscheidend sind. Für seine Leistung erhielt er 2013 den Dechema-Preis. Eine breite kommerzielle Anwendung scheiterte allerdings bislang daran, dass kostengünstige Her-stellungs- und Spinnverfahren für größere Mengen fehlten. Ziel des Verbundprojektes war es daher, eine Spinnmaschine zu entwerfen und zu konstruieren, um Seidenfäden in einem kontinuierlichen Prozess in technischem Maßstab herzustellen.

Im Rahmen des Projektes konnten tatsächlich erst-mals Spinnenseiden-Proteine im technischen Maßstab produziert werden. Anschließend unternahm man mit dem Material Spinnversuche mit dem ambitio-nierten Ziel, die weltweit erste künstliche Seidenfaser zu erzeugen. Es gelang die Konstruktion eines ersten Demonstrationsmodells für eine Spinnmaschine, um damit Seidenfasern sowie das hierfür geeignete Seiden-rohmaterial herzustellen.

Seit Projektende konnten die Firma AMSilk sowie die Universität Bayreuth die Produktion des Seidenroh-materials bis in den industriellen Maßstab skalieren. Weiterhin konnte eine künstliche Seidenfaser entwi-ckelt werden, die in den mechanischen Eigenschaften der natürlichen Spinnenseide nahekommt und in tech-nischen Prozessen effizient hergestellt werden kann. Seitdem arbeitet AMSilk aktiv an der Vorbereitung einer industriellen Fertigung der Faser. Bereits heute wird das Material in Pulver- und Gelform in Kosmetik-produkten eingesetzt.

Projektdaten

Titel: Konzeption eines kontinuierlichen Spinnpro-zesses zur Produktion von Spinnenseidenfa-sern

Partner: • AMSilk GmbH (Koordination)• Lindauer DORNIER GmbH• Universität Bayreuth – Lehrstuhl für Bio-

materialien

Laufzeit/Förder-kennzeichen:

2008 bis 2012 / 13N9735-6, 13N10680

Seltene Materialien lassen sich recyceln

Für Elektroautos werden leistungsstarke Elektromoto-ren benötigt. Grundlage dafür sind neuartige Magnete. Aber die Rohstoffe dafür sind nur begrenzt verfügbar und somit zu kostbar, um die Motoren nach Gebrauch einfach zu verschrotten.

Einige Rohstoffe, die für die Elektromobilität dringend benötigt werden, sind rar und werden aus nur wenigen Erzlagerstätten weltweit gewonnen. Dies gilt besonders für die sogenannten Seltenerdmetalle, einer Gruppe von 17 chemischen Elementen, die vielfach Basis für Schlüsseltechnologien sind. Einige dieser Elemente sind unverzichtbare Bestandteile von Hochleistungs-magnetwerkstoffen für kompakte und leichte Elektro-motoren. Dazu zählen Neodym (Nd), Dysprosium (Dy), Praseodym (Pr) und Terbium (Tb), die Deutschland fast vollständig importieren muss.

AMSilk BIOSTEEL®-Fasern in der Pilotproduktion.

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Aufgrund der zu erwartenden Nachfrage und Stück-zahlen im Bereich von Hybrid- und Elektrofahrzeugen wird der Bedarf an diesen Materialien extrem steigen. Zusätzlich werden für weitere Anwendungen, wie bei-spielsweise Generatoren in Windkraftanlagen, eben-falls große Mengen dieser Magnetmaterialien benötigt. Eine Rohstoffverknappung und ein damit einherge-hendes hohes Preisniveau dieser Metalle würden also einen erheblichen Wettbewerbsnachteil für die deut-sche Industrie auf dem globalen Markt bedeuten.

Die Forschungspartner des Projekts „MORE – Recyc-ling von Komponenten und strategischen Metallen aus elektrischen Fahrantrieben“ hatten sich deshalb zum Ziel gesetzt, Komponenten und Materialien aus Elekt-romotoren von Elektro- und Hybridfahrzeugen indus-triell wiederzuverwerten. Langzeitversuche beim For-

schungspartner Daimler ergaben, dass die Magnete im normalen Fahrbetrieb nicht altern. Die Forscher haben deshalb zunächst nach einem Verfahren gesucht, die Motoren und mit ihnen die Magnete zerstörungsfrei zu demontieren. Es stellte sich heraus, dass die Magnete nach einer Entmagnetisierung und Reinigung prinzi-piell wieder neu eingesetzt werden können. Allerdings halten die Wissenschaftler diesen Recyclingweg für eher unwahrscheinlich. Denn einer direkten Wieder-verwendung stehen konstruktive Veränderungen der Motoren, aber auch eine kontinuierliche Verbesserung der Magnetmaterialien selbst entgegen.

Die Forscher im Projekt konzentrierten sich daher darauf, die Seltenerdmetalle Neodym, Dysprosium, Terbium und Praseodym stofflich zu recyceln, um das Material möglichst komplett in die Herstellung neuer Magnete zurückfließen zu lassen. Hierbei kann zwischen einer werkstofflichen und einer rohstoffli-chen Aufbereitung unterschieden werden. Bei einem werkstofflichen Recycling wird das aufzubereitende Magnetmaterial zunächst zerkleinert und anschlie-ßend zusammen mit Primärrohstoffen wieder zu Magnetmaterial verarbeitet. Dass dieser Weg prinzipiell offensteht, konnten die Beteiligten im Forschungs-projekt belegen. Allerdings sind die so entstehenden Magnete nicht so stark wie ursprünglich; sie büßen im Verarbeitungsprozess etwa drei Prozent ihrer Magneti-sierung ein.

Als erfolgsversprechender erwies sich das rohstoffliche Recycling mittels der sogenannten hydrometallur-gischen Aufbereitung. Dabei werden die Magnete in Salzsäure gelöst und zunächst Eisen, Kobalt und andere Inhaltsstoffe abgetrennt. Mit einem sich anschließen-den speziellen Extraktionsverfahren gelang es den Forschern, fast die gesamte Menge der Seltenerdmetal-le – mehr als 99 Prozent – zurückzugewinnen.

Somit steht nun ein Weg zur Verfügung, die kostbaren Wertmetalle in einem Kreislauf zu halten. Die Projekt-teilnehmer rechnen damit, dass sich ihr Recycling-verfahren bei einer größeren Marktdurchdringung der Elektro- und Hybridfahrzeuge auch wirtschaftlich betreiben lässt.

Synchronmotor für Fahrzeugantriebe.

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Projektdaten

Titel: MORE – Recycling von Komponenten und strategischen Metallen aus elektrischen Fahr-antrieben (Motor Recycling)

Partner: • Siemens AG – Corporate Technology – Abt. CT T DE HW1 (Koordination)

• Daimler AG – PT/TVP – HPC H152• Fraunhofer-Institut für System- und Inno-

vationsforschung (ISI)• Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-

Nürnberg – Department Maschinenbau – Fertigungsautomatisierung und Produkti-onssystematik

• Öko-Institut – Institut für angewandte Ökologie e. V. – Büro Darmstadt – Infra-struktur & Unternehmen

• Technische Universität Clausthal – Institut für Aufbereitung, Deponietechnik und Geomechanik 

• Umicore AG & Co. KG – Umicore Battery Recycling (UBR)

• Vacuumschmelze GmbH & Co. KG – Ent-wicklung Dauermagnete

Laufzeit/Förder-kennzeichen:

2011 bis 2014 / 03X4622A-H

Magnetkraft aus dem Miniaturkosmos

Neben dem Recycling von Seltenerdmetallen bieten sich auch andere Wege, um rohstoffliche Probleme bei der Herstellung von Hochleistungsmagneten zu vermeiden. Vergleichbar starke Magnete sollen sich künftig auch mit seltenerdfreien Materialien verwirklichen lassen, die unbegrenzt verfügbar sind.

Schon heute werden in einigen Motoranwendungen seltenerdhaltige Dauermagnete durch Hartferrite ersetzt. In ihrer Grundstruktur, die aus Eisenoxid und Strontium- oder Bariumkarbonat aufgebaut ist, gibt es bei Hartferriten kein Ressourcenproblem. Weitere Vorzüge der Hartferrite sind relativ niedrige Kosten, Korrosions- und chemische Beständigkeit sowie eine leichte Magnetisierbarkeit. Allerdings sind bislang Hartferrite wesentlich schwächer, so dass das Einsatz-feld gegenüber den seltenerdhaltigen leistungsstarken Dauermagneten stark eingeschränkt ist.

Im Verbundprojekt „KomMa – Nanoskalige Selten-erdfreie Magnete und Magnetkomposite“ haben sich Forscher deshalb zum Ziel gesetzt, neuartige Konzepte für Hartferrrite zum Einsatz in Stromgeneratoren und Elektromotoren zu erforschen und so das Einsatzfeld zu erweitern. Neben der Auswahl geeigneter Material-systeme soll die Prozess- und Verfahrenstechnik opti-miert werden. Denn Struktur, Größe und Ausrichtung der magnetischen Komponenten müssen sich gezielt einstellen lassen. Hier konnten bereits Labormagnete mit verbesserter magnetischer Härte im Rahmen des Projekts erzielt werden. Die magnetische Härte gibt an, wie stabil ein Magnet gegenüber einer Ummagnetisie-rung durch magnetische Felder ist.

Doch diese Optimierung der Hartferrite ist nur ein nächster Schritt. Langfristig sollen völlig neue selten-erdfreie Dauermagnete auf Basis des Exchange-Spring-Konzeptes entwickelt werden. Das Exchange-Spring-Konzept wurde vor etwa 25 Jahren von russischen und deutschen Forschern ausgearbeitet. Dabei werden hart- mit sogenannten weichmagnetischen Materiali-en kombiniert. Weichmagnete werden beispielsweise in Elektromagneten eingesetzt. Bei Anlegen eines Wechselstroms an die Spule des Elektromagneten wird der weichmagnetische Metallkern zu einem extrem starken Magneten. Nach Abschalten des Stromes ist der weichmagnetische Metallkern wieder nahezu unma-gnetisch. Um nun den Exchange-Spring-Effekt zu nutzen, müssen sowohl weich- als auch hartmagneti-sche Materialien auf der Nanometerskala miteinander kombiniert werden. Nur dann treten die angestrebten Kopplungskräfte zwischen beiden Materialien auf. In einem solchen Nanokomposit wird quasi die starke Magnetkraft des weichmagnetischen Materials durch

Magnet aus Hartferrit und Hartferritpulver.

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die hartmagnetischen Anteile festgehalten und damit eingefroren.

Das Ergebnis ist ein seltenerdfreier Dauermagnet, der an die Leistungsfähigkeit heutiger Neodym –Eisen –Bor Magnete heranragt. Erste Erfolge zum Nachweis des Konzepts an Nanopulvern wurden bereits in Ver-öffentlichungen beschrieben. Die Umsetzung für eine industrielle Nutzung ist jedoch noch ein langer Weg.

Auf der Suche nach seltenerdfreien Permanentmagne-ten haben die Forscher ein Auge auf spezielle Eisenver-bindungen geworfen: Eisen-Nitride eignen sich sowohl als Magnetenwerkstoff als auch als Komponenten für die angestrebten Magnete nach dem Exchange-Spring-Konzept. Sie haben darüber hinaus den Vorzug, dass das ferromagnetische Basismaterial Eisen praktisch unbegrenzt verfügbar ist. Allerdings ist die industrielle Herstellung von Eisen-Nitriden schwierig, so dass es noch weiterer Forschung bedarf, um darauf basierte Magneten verfügbar zu machen.

Projektdaten

Titel: KomMa – Nanoskalige Seltenerd-freie Magne-te und Magnetkomposite

Partner: • Siemens AG – Corporate Technology – CT RTC MAT MSR (Koordination)

• Ernst-Abbe-Hochschule Jena – Fachbereich SciTec 

• Technische Universität Darmstadt – Fach-bereich Material- und Geowissenschaften – FG Funktionale Materialien 

• TRIDELTA Hartferrite GmbH

Laufzeit/Förder-kennzeichen:

2013 bis 2016 / 03X3582A-D

Rohstoffe sparen bei Katalysatoren

Katalysatoren haben die Luftverschmutzung durch Autos erheblich gesenkt. Allerdings ist diese Kata-lysatortechnik weltweit der größte Verbraucher von Edelmetallen. Dies wollen Forscher ändern, indem sie deren Wirksamkeit verbessern.

Schon seit vielen Jahren rüsten die Automobilhersteller Benzinfahrzeuge mit einem Dreiwegekatalysator aus. Dieser Katalysatortyp befreit die Abgase der weltweit rund 790 Millionen Autos mit Ottomotor jährlich von etwa 68 Millionen Tonnen Kohlenmonoxid, 22 Milli-onen Tonnen Stickoxiden und 14 Millionen Tonnen Kohlenwasserstoffen – eine gewaltige Menge.

Kehrseite dieser Medaille ist der verschwenderische Verbrauch von Edelmetallen, die zur Herstellung von Dreiwegekatalysatoren notwendig sind. An der Spitze steht das Palladium (Pd). Sein Einsatz in Fahrzeugkata-lysatoren machte 2012 etwa zwei Drittel der Weltpro-duktion, rund 165 Tonnen, aus. Das entspricht einem Palladium-Wert von 2,7 Milliarden Euro. Ähnliches gilt für Rhodium (Rh). Ungefähr 22 Tonnen dieses Edelmetalls wanderten 2012 in die Herstellung von Katalysatoren. Das waren sogar 80 Prozent der Welt-produktion zu einem Wert von 730 Millionen Euro. Von Cer (Ce) wurden im Vergleichsjahr 40 Tonnen

Schema eines Dreiwegekatalysators.Hochleistungspermanentmagnete für Motoren.

UMWELt- UNd RESSoURcENScHUtZ 13

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benötigt – ein gutes Drittel der Weltproduktion dieses Seltenerdmetalls.

Im warmen Betriebszustand und bei optimalem Sauer-stoffgehalt im Abgas erreichen Dreiwegekatalysatoren heute einen Umsatz-Wirkungsgrad von praktisch 100 Prozent – und das sogar bei einer niedrigen Edelme-tallbeladung des Katalysators. Emissionen treten aller-dings dann noch auf, wenn der Sauerstoffgehalt vom optimalen Wert abweicht. Obwohl moderne Fahrzeuge mehrere Sensoren zur Regelung des Sauerstoffgehalts im Abgas enthalten, lassen sich Fehler in der Einstel-lung bei zügigem Fahren nicht vermeiden. Dies gilt zum Beispiel bei plötzlicher Beschleunigung.

Gute Katalysatoren zeichnen sich deshalb dadurch aus, dass sie auch dann geringe Schadstoffmengen ausstoßen, wenn der Sauerstoffgehalt vom optimalen Wert abweicht. Schon mit minimalen Verbesserungen der Katalysator-Wirksamkeit ließen sich der globale Edelmetallverbrauch und die Schadstoffemissionen deutlich senken.

Mit diesem Ziel startete das Verbundprojekt „REFF-KAT – Entwicklung von ressourceneffizienten Autoab-gaskatalysatoren mit deutlich reduziertem Gehalt an Edelmetall und Selten erdmetall". Zunächst galt es, die chemischen Abläufe an den Katalysatoren grundlegend zu verstehen. Dazu richteten die Forscher neuartige Prüfstände ein, die verschiedene Aspekte des Fahrzeug-betriebs realistisch und wiederholbar im Labor nach-stellen können. Zudem entwickelten sie Simulations-modelle, um ihre Labormessungen auf das Verhalten der Katalysatoren im Fahrzeug übertragen zu können.

Bei der Materialentwicklung konzentrierten sich die Projektteilnehmer auf die Verbesserung von Ceroxid-Mischoxiden, die im Katalysator eine wichtige Rolle als Sauerstoffspeicher haben. Zunächst berechneten sie mit speziellen Methoden die Stabilität von mehr als 700 Mischoxiden und stellten parallel dazu etwa 250 neue Cer-Mischoxide in einem automatisierten Prozess her. An neu entwickelten Laborprüfständen wurden die vielversprechendsten Materialien charakterisiert.

Eine weitere Möglichkeit, den Edelmetallbedarf des Dreiwegekatalysators zu senken, ist die Verbesserung der Regelung des Sauerstoffgehaltes im Abgas. Bisher werden hier sehr einfache Regler verwendet, die für jeden neu entwickelten Katalysator aufwendig „von Hand“ angepasst werden müssen. Eine weitere Aufgabe des Projekts war es schließlich, hierfür verbesserte Be-rechnungsmethoden zu entwickeln und zu erproben.

Durch die Kombination dieser verschiedenen Ansätze sind die Projektpartner ihrem Ziel ein gutes Stück näher gekommen: Ein Autoabgaska talysator mit hoher Wirksamkeit bei deutlich redu ziertem Gehalt an Edel-metall und Seltenerdmetall.

Projektdaten

Titel: REFFKAT- Entwicklung von ressourceneffi-zienten Autoabgaskatalysatoren mit deutlich reduziertem Gehalt an Edelmetall und Seltenerdmetall

Partner: • Umicore AG & Co. KG – Automotive Cata-lysts AC-RT-R (Koordination)

• Karlsruher Institut für Technologie (KIT) – Institut für technische Chemie und Polymerchemie

• Technische Universität Darmstadt – Ernst-Berl-Institut für Technische und Makromo-lekulare Chemie

Laufzeit/Förder-kennzeichen:

2012 bis 2015 / 03X3563A-C

Prüfstand zur Messung von Automobilabgasen.

WERKStoFFINNoVAtIoNEN FüR INdUStRIE UNd GESELLScHAFt14

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Energie und Klimaschutz

Zunächst war es eine Vermutung, die häufig bestrit-ten wurde, inzwischen ist Gewissheit eingekehrt: Wir Menschen tragen erheblich zum Klimawandel bei – vor allem mit einem zusätzlichen Eintrag von Treibhaus-gasen in die Atmosphäre. Die Verbrennung der fossilen Rohstoffe Kohle, Öl und Gas für die Energieerzeugung hat daran einen großen Anteil. Aus diesem Grund will Deutschland die Produktion von Strom aus den erneuerbaren Energiequellen Wind und Sonne ebenso forcieren wie einen sehr viel effizienteren Gebrauch der zur Verfügung stehenden Energie.

Auf diesem Weg stellen sich zahlreiche völlig neue Herausforderungen auch in der Materialforschung und Werkstoffentwicklung: Windenergieanlagen vor der Küste im offenen Meer versprechen zwar eine hohe Stromausbeute, denn hier weht der Wind beständig – aber im salzigen Meereswasser nagt der Rost an den Stahlgiganten stärker als an Land. Damit die Anlagen vor Korrosion besser geschützt sind, haben Forscher eine neuartige Kunststoffummantelung entwickelt.

Auch die Kraftentfaltung der Meereswellen ist eine nimmer endende, sich stetig erneuernde Energiequelle. Materialforscher haben längst eine riesige Wegstrecke von der Utopie in die Praxis geschafft, denn in ihren Laboren können sie schon heute demonstrieren, wie sich diese Bewegungsenergie effizient in elektrischen Strom umwandeln lässt.

Reibung ist ein lästiger Energiefresser, wie wir alle wissen, denn gut geölt fährt es sich leichter. Zudem ist Reibung die Ursache von Verschleiß. Materialforschern ist es nun gelungen, der Industrie einen neuartigen Schmierstoff zu empfehlen: Sie fanden heraus, dass

Flüssigkristalle, wie wir sie von Computer- und Fern-sehbildschirmen kennen, auch dazu imstande sind, Reibung und Verschleiß von Maschinen erheblich zu mindern.

Wie neue Werkstoffe helfen, die Material- und Ener-gieeffizienz zu steigern, zeigt ein weiteres Beispiel. Ein neues feuerfestes Auskleidungsmaterial für Ofenwän-de in Zementanlagen verhindert dort die Korrosion, verlängert somit die Zeit, in der ein solcher Ofen gebrauchstüchtig ist – und hilft der Industrie indirekt, den Energieverbrauch zu senken.

Ein Mantel gegen Korrosion

Windenergieanlagen vor der Küste sind sehr viel raueren Belastungen ausgesetzt als jene an Land. Im salzhalti-gen Meereswasser nagt der Rost an den Stahlgiganten. Damit sie vor Korrosion besser geschützt sind, haben Forscher eine neuartige Kunststoffummantelung ent-wickelt.

Der über dem Meer unablässig wehende Wind ver-spricht eine hohe Stromausbeute für Windenergiean-lagen. Vor der deutschen Küste sind deshalb Offshore-Windparks mit einer Gesamtnennleistung von 33 Gigawatt geplant. Dies bedeutet, dass in Nord- und Ost-see schätzungsweise 6.600 Anlagen installiert werden. In gut zehn Jahren sollen Windräder etwa 70 Prozent des "grünen Stroms" produzieren.

Rauer Wind und stürmische See setzen dem Material der Anlagen allerdings arg zu. Die durch Salzwasser verursachte Korrosion zerstört nach und nach die Konstruktionselemente aus Stahl, wie Rohre und Ver-bindungsknoten. Bisher werden diese Stahlstrukturen sowohl durch eine Beschichtung als auch durch ein elektrochemisches Verfahren unter Wasser geschützt. In der salzhaltigen Atmosphäre, der sogenannten Splash- oder Spritz-Zone, und im Wasser bis zu einer Tiefe von sieben Metern bewahrten bislang meist Lack-beschichtungen Strukturbauteile vor Korrosion. Diese werden aufgesprüht oder auch mit dem Pinsel auf die Bauteile aufgetragen – ein teures Verfahren, das zudem den Nachteil hat, dass die Lackschicht leicht beschädigt werden kann und dann ihre Wirkung verliert.

ENERGIE UNd KLIMAScHUtZ 15

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Zur Lösung des Problems wurde das Projekt „KOWIND – Entwicklung einer neuartigen Technologie zum Korrosionsschutz an Offshore-Windenergieanlagen“ initiiert. Forscher aus Industrie und Wissenschaft entwi-ckelten unter der Leitung der Evonik Resource Efficien-cy GmbH eine Dickschichtumhüllung, mit deren Hilfe die Tragstrukturen von Offshore-Windenergieanlagen voraussichtlich deutlich länger halten werden. Dadurch sollen auch die Kosten für die Fertigung und Wartung der Stahlkonstruktionen erheblich geringer ausfallen.

Das Material der neuen Umhüllung basiert auf einem Kunststoff, dem sogenannten Polyamid 12 (PA 12). Es ist besonders zäh und chemisch relativ beständig. Auch nimmt es im Vergleich zu anderen Polyamiden nur äußerst wenig Wasser auf. Im Forschungsprojekt gelang es den Entwicklern, das PA12-Polymer in einem automatisierten Fertigungsprozess auf Stahlrohre aufzubringen. Für die Schweißnähte haben sie außer-dem ein speziell angepasstes Nachumhüllungssystem erarbeitet. Dieses besteht im Wesentlichen aus einem Duroplast, einem Kunststoff, der nach seiner Aushär-tung nicht mehr verformt werden kann.

Das neue Beschichtungssystem verspricht einen ver-besserten Korrosionsschutz, ist unempfindlich gegen UV-Strahlen und hat mechanische Eigenschaften, die Beschädigungen verhindern. So kann es dazu beitra-gen, die für Offshore-Anlagen angestrebte Lebensdauer von 25 Jahren zu verwirklichen. Weitere Vorteile sind eine kostengünstige Fertigung, Materialeinsparungen von mehreren Tonnen Stahl je Windenergieanlage und deutlich geringere Ausgaben für die Wartung.

Das Verfahren macht die klimafreundliche Windener-gie vor der Küste also wirtschaftlicher und senkt den Materialverbrauch. Auch der Eintrag von umweltbelas-tenden Metallen in die Meeresumwelt kann bei durch-gehender Beschichtung bis zum Sediment deutlich reduziert werden. Zudem ist die von den Forschern entwickelte Anti-Korrosions-Technologie nicht nur im stark wachsenden Segment der Offshore-Windenergie-anlagen sinnvoll. Anwendungen sind darüber hinaus auch in anderen Branchen wie der Öl- und Gasindust-rie oder der Verkehrsinfrastruktur möglich.

Projektdaten

Titel: KOWIND – Entwicklung einer neuartigen Technologie zum Korrosionsschutz an Offshore-Windenergieanlagen

Partner: • Evonik Resource Efficiency GmbH – High Performance Polymere (Koordination)

• Fraunhofer-Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik (IWES) – Instituts-teil Bremerhaven

• Institut für Instandhaltung und Korrosi-onsschutztechnik gGmbH

• pb+ Ingenieurgruppe AG• Salzgitter Mannesmann Line Pipe GmbH• TIB Chemicals AG• Universität Duisburg-Essen – Lehrstuhl für

Konstruktion und Kunststoffmaschinen • WeserWind GmbH Offshore Construction

Georgsmarienhütte

Laufzeit/Förder-kennzeichen:

2012 bis 2015 / 03X3561A-H

Strom aus Meereswellen

Ökostrom aus Wellenkraft ist keine Technologie der fer-nen Zukunft. In ihren Laboren demonstrieren Forscher schon heute, wie sich die Bewegungsenergie der Meeres-wellen effizient in elektrischen Strom umwandeln lässt.

Die Energiegewinnung aus den unerschöpflichen Wellenbewegungen der Ozeane hat auf lange Sicht das Potenzial, zusätzlich gewaltige Mengen Ökostrom zu produzieren. Denn in den Wellen der Weltmee-re schlummert nach Berechnungen der Vereinten Nationen ein Gesamtenergiepotenzial von fast 30.000 Terawattstunden (TWh). Davon ließe sich prinzipiell

Beschichtetes Demonstratorbauteil.

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ein Anteil von ca. 2.000 TWh technisch für die Strom-erzeugung durch entsprechende Wellenkraftwerke nutzen. Dies entspricht immerhin etwa zehn Prozent des jährlichen globalen Stromverbrauches von derzeit rund 21.500 TWh.

Ein erstes kommerzielles Wellenkraftwerk ist bereits seit 2011 vor der nordspanischen Hafenstadt Mitruku in Betrieb. Allerdings kostet der damit produzierte Strom etwa doppelt so viel wie jener aus Windkraftan-lagen. Die hydraulischen Systeme, mit deren Hilfe heu-te die mechanische Bewegungsenergie in elektrischen Strom umgewandelt wird, sind schlicht zu teuer, um im Wettbewerb mit Windenergiekraftwerken bestehen zu können.

Vor diesem Hintergrund hat der Forschungsverbund „EPoSil – elektroaktive Polymere auf Silikonbasis zur Energiegewinnung“ nach einer alternativen techni-schen Lösung gesucht. Die am Konsortium beteiligten Forscher und Ingenieure griffen beherzt eine aus der Literatur bekannte Idee auf. Im Labor können sie bereits heute mit einem Demonstrator zeigen, wie sich künftig die Kraft der Meereswellen auf völlig neuartige

Weise in elektrischen Strom umwandeln lässt. Dabei wird ein Stapel aus Kunststofffolien durch simulierte Wellenbewegungen regelmäßig komprimiert und ent-spannt, sodass sich das Schichtsystem gleichsam wie eine Ziehharmonika hin und her bewegt. Der Clou sind die hauchdünnen Folien selbst: Das Herz des strom-erzeugenden Generators ist ein mit einem leitenden Material beschichteter Kunststoff. Dieser besteht im Kern aus einem extrem elastischen und gut isolieren-den Silikon-Kunststoff. Auf beiden Seiten jeder Einzel-folie befinden sich elektrisch leitende Schichten, die als Elektroden fungieren. Zusammen mit dem Kunststoff bilden sie einen Kondensator, der elektrische Energie speichern kann. Tausende solcher beschichteten Folien stapeln sich dann zu einem Generator, der künftig wie eine Ziehharmonika an einer tragenden Boje befestigt sein wird.

Baut sich nun unter der Boje eine Meereswelle auf, wird der elastische Elektrodenstapel zusammenge-drückt. Die Elektroden kommen einander näher und genau zu diesem Zeitpunkt wird von außen eine elek-trische Spannung an die Elektroden angelegt. Wenn sich dann die Welle unter der Boje abbaut, entspannt

Prinzip der Energieerzeugung mittels elastischer Kunststoffe in Wellenkraftwerken.

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das Elastomer, wodurch sich der Elektrodenabstand vergrößert und die aktive Fläche unter den Elektroden verkleinert. Die zuvor eingebrachte elektrische Ladung führt bei dieser Kondensatoranordnung zu einer höhe-ren Spannung, die als elektrische Energie ins Strom-netz eingespeist werden kann.

Durch dieses Spiel von Zusammenpressung und Entspannung, von Annäherung und Entfernung von Ladungen wird also die mechanische Energie der Welle im Generatorstapel in elektrische Energie umgewan-delt. Die Forscher rechnen damit, dass ein solcher Generator die anfangs zugeführte elektrische Ener-gie verdoppeln kann. Schaltet man mehrere solcher Energie-Wandler im Verbund, entsteht ein Kraftwerk.

Auch wenn sich das Grundprinzip als funktionstüchtig erwiesen hat, bleibt noch viel zu tun. Angelpunkte der Weiterentwicklung sind das Kunststoffmaterial und die Beschichtungstechnik, denn das Werkstoffsystem muss viele Tausend Dehnungen und Stauchungen aus-halten können. Auf der Habenseite schlägt zu Buche, dass die gewählte silikonbasierte Werkstofflinie für die Generator-Anwendung geeignet erscheint und sich weiter anpassen lässt. Auch die Fertigung der Gene-ratoreinheiten wird sich hochgradig automatisieren lassen. Das elektrische Regelungskonzept und die Ge-neratorkonstruktion sind so weit ausgearbeitet, dass sie in einer Versuchsanordnung getestet werden konnten. Zahlreiche Herausforderungen müssen die Forscher al-lerdings noch unter realistischen Einsatzbedingungen meistern, sodass eine Vermarktung der Technologie frühestens ab 2020 möglich sein wird.

Projektdaten

Titel: EPoSil – Elektroaktive Polymere auf Silikon-basis zur Energiegewinnung

Partner: • Robert Bosch Gesellschaft mit beschränk-ter Haftung – Forschung und Vorausent-wicklung – Elektronisches Verpacken, Reaktionsharze (Koordination)

• Bosch Rexroth Aktiengesellschaft -Tech-nisches Projektmanagement Industriean-lagen

• Ingenieurbüro Brinkmeyer & Partner• Technische Universität Darmstadt – Institut

für Elektromechanische Konstruktionen• Technische Universität Hamburg-Harburg

– Institut für Mechanik und Meerestechnik • Wacker Chemie AG

Laufzeit/Förder-kennzeichen:

2012 bis 2015 / 13X4008A-F

Flüssigkristalle als Schmierstoff

Was wir eigentlich von Computer- und Fernseh-Bild-schirmen her kennen, kann auch in Maschinen nützlich sein: Flüssigkristalle. Setzt man diese Materialien als Schmierstoffe ein, vermindern sie Reibung und Ver-schleiß erheblich und senken dadurch den Energiever-brauch.

Überall, wo sich Maschinen und Motoren bewegen, sorgt Reibung für Materialverschleiß und Energiever-luste. Schätzungen zufolge liegen in Industriestaaten die durch Reibung und Abnutzung von mechanischen Teilen verursachten Kosten in einer Größenordnung von etwa zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Dementsprechend groß ist der wirtschaftliche Anreiz, wirksamere Schmiermittel zu entwickeln.

Materialforscher sind hierbei auf eine aussichtsreiche Substanzklasse gestoßen, die man im Alltag eher aus der Unterhaltungselektronik kennt: die sogenannten flüssigkristallinen oder mesogenen Stoffe. Hierbei handelt es sich um Substanzen, deren Moleküle sich wie eine Kette aufreihen und die sich deshalb in Flüs-sigkeiten in einer bevorzugten Richtung anordnen. Sie verhalten sich also einerseits wie ein Kristall, ande-rerseits aber auch wie eine Flüssigkeit. Je nachdem, wohin sich die Moleküle orientieren, werden auch ihre Demonstrator für einen Elastomergenerator.

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Eigenschaften von einer Richtung abhängig, wie zum Beispiel die Durchlässigkeit für Licht.

Aber auch die Fließeigenschaften und die Zähigkeit (Viskosität) von Flüssigkristallen sind richtungsabhän-gig. Bringt man eine solche Substanz zwischen zwei sich gegeneinander bewegende Oberflächen, ordnen sich die Moleküle automatisch so an, dass die Viskosität in Reibrichtung gering ist; dadurch werden auch die Reibungsverluste minimal. Senkrecht zur Reibrichtung ist die Zähigkeit hingegen um ein Vielfaches größer. Auch dies ist nützlich, denn dadurch werden die gegen-einander gleitenden Oberflächen besser voneinander getrennt, und es entsteht weniger Verschleiß. Ideale Vo-raussetzungen also für einen effizienten Schmierstoff.

Um diese Eigenschaften für die industrielle Anwen-dung nutzbar zu machen, wurde das Verbundprojekt „Flureb – Entwicklung und Qualifizierung von mesoge-nen Schmierstoffen“ ins Leben gerufen. Forscher und Praktiker aus der Industrie entwickelten zunächst eine Messtechnik, um das Reibungsverhalten der flüssigkris-tallinen Schmierstoffe an Gleitlagern zu untersuchen.

Dabei stellten sie fest, dass die Reibwerte der neuarti-gen Schmiermittel nicht nur beim Anfahren, sondern sogar über einen weiten Geschwindigkeitsbereich des Gleitlagers extrem niedrig waren. Während des Projektes konnten Forscher die zugrunde liegenden Mechanismen des Reibungsverhaltens entschlüsseln. Weiterhin wurden Zusätze entwickelt, um die Eigen-schaften für technische Einsatzzwecke zu verbessern und beständiger zu machen.

Da die Herstellung der flüssigkristallinen Schmierstof-fe derzeit noch nicht im industriellen Maßstab erfolgt, sind die Kosten im Vergleich zu Standardschmier-stoffen hoch. Einsatzmöglichkeiten bieten sich daher aktuell vor allem für Gleitlager, die mit kleineren Mengen an Schmierstoffen auskommen. Dies trifft beispielsweise auf Sintergleitlager von Elektromoto-ren zu, von denen in Deutschland mehr als 80 Milli-onen Stück jährlich produziert werden. Gleiches gilt für Hochgeschwindigkeitsspindeln spanabhebender Bearbeitungsmaschinen, die hochpräzise Oberflächen herstellen. Erweisen die flüssigkristallinen Schmier-stoffe in der Praxis ihre Tauglichkeit, können sie in vielen industriellen Anwedungsfeldern beitragen, die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft zu erhöhen.

Für die eindrucksvollen Ergebnisse des Projektes wurde der Forschungsverbund mit dem Wissenschafts-preis des Stifterverbandes für die Wissenschaft 2014 ausgezeichnet.

Projektdaten

Titel: Flureb – Flüssigkristalline Schmierstoffe für Gleitanwendungen mit minimalen Reibverlus-ten und maximaler Lebensdauer

Partner: • Dr. Tillwich GmbH Werner Stehr (Koordi-nation)

• Fraunhofer-Institut für Werkstoffmechanik (IWM)

• Nematel GmbH & Co. KG

Laufzeit/Förder-kennzeichen:

2010 bis 2011 / 03X0086A-C

Flüssigkristall im Dunkelfeld eines Lichtmikroskops: Durch die Aus-richtung der Moleküle werden Reibungsverluste minimiert.

Durch Flüssigkristallschmierstoffe lassen sich Reibungsverluste bei-spielsweise von Sinterlagern in Elektromotoren reduzieren.

ENERGIE UNd KLIMAScHUtZ 19

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Energiesparen bei der Zementherstellung

Neue feuerfeste Auskleidungen der Ofenwände in Zementanlagen verhindern Korrosion und können den Energieverbrauch stark senken.

Die Herstellung von Zement verbraucht extrem viel Energie. Deshalb sind die Betreiber von Zementanlagen ständig bestrebt, kostengünstige Brennstoffe in den Öfen zu verwenden, um das Rohmaterial zu Zement-klinker zu brennen. Seit etwa 15 Jahren setzen sie daher verstärkt sogenannte Sekundärbrennstoffe ein: Dazu zählen Abfallstoffe, die bei der Verbrennung noch einen gewissen Heizwert erzielen, wie beispielsweise Altreifen, Kunststoffreste, Altöle und Lackreste. Mit der Verbrennung von mehr als zehn Millionen Tonnen Sekundärbrennstoffen pro Jahr in Deutschland wird so ein bedeutsamer Beitrag für eine ökonomische und ökologische Abfallentsorgung geleistet, anstatt kon-ventionelle Brennstoffe wie Erdöl, Erdgas und Kohle zu verwenden. Allerdings greifen die in den Abfällen enthaltenen Alkaliverbindungen durch Korrosion die feuerfeste Ausmauerung und die Stahlkonstruktion der Zementanlagen an.

Dem entgegenzuwirken war Aufgabe des Forschungs-projekts „PEHA – Prozessinnovation und Energie-einsparung in der Zement- und Sekundärbrennstoff

verwertenden Industrie durch den Einsatz von alkali-korrosionsbeständigen Schichten und Komponenten“.

Die Forschungspartner hatten sich zum Ziel gesetzt, neue feuerfeste Materialien und Wärmedämmstoffe zu entwickeln, die nicht durch Alkaliverbindungen angegriffen werden. Die Wissenschaftler kombinierten die Feuerfestauskleidung mit einer neuen effektiven, porösen Wärmedämmung. Dies hatte den Effekt, dass die Wärmeverluste signifikant sanken und so weniger Brennstoff benötigt sowie der CO2-Ausstoß verringert wird.

Seit Beginn des Forschungsprojektes im April 2009 erprobten die Beteiligten unterschiedliche feuerfeste Materialien, Schutzschichten und Komponenten im Labor. Sie entwickelten Methoden, um deren Bestän-digkeit gegenüber Alkalikorrosion nachzuweisen und zu quantifizieren.

Im Verlauf des Forschungsprojekts stellte das Kon-sortium neue Materialien her, die es in industriellen Hochtemperaturanlagen testete. So konnten sie prüfen, wie sich die neuen Materialien im Ofenbetrieb verän-dern, und sie konnten den wirtschaftlichen Aufwand für Herstellung und Einsatz abschätzen. Wichtige Schritte, um das Ziel zu erreichen, waren nicht nur die genaue Kenntnis der Korrosionsbedingungen und des sich daraus ergebenden Korrosionsschutzes von Stoffsystemen; ebenso wichtig waren auch spezielle

Die neu entwickelte Feuerfestauskleidung verhindert Korrosion und kann den Energieverbrauch senken.

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Untersuchungen ihrer thermochemischen Beständig-keit, also wie sie sich gegenüber Wärme bei chemischen Reaktionen bewähren. Schließlich erfolgte der Einbau der neuartigen Werkstoffe in unterschiedlichen Anord-nungen für weitere Industrieversuche.

Die Ergebnisse des Projekts PEHA sind vielverspre-chend. Zwei feuerfeste und wärmedämmende Mate-rialien mit den Namen Beta- und Gamma-Calutherm, deren Hauptbestandteil Aluminiumoxid ist, hat man bereits im kleintechnischen Maßstab hergestellt. Die in die Materialien gesetzten Erwartungen wurden mehr als übertroffen: Die Überwachung der Temperatur der äußeren Ofenwand sowie Kontrollen bei Ofenstopps per Augenschein haben ergeben, dass die neuen feuer-festen Auskleidungen nur geringfügige Verschleißer-scheinungen zeigten. Die Nutzungszeit des Ofens ohne Erneuerung konnte von zum Teil weniger als einem Jahr auf bis zu drei Jahre verlängert werden.

Projektdaten

Titel: PEHA- Prozessinnovation und Energieeinspa-rung in der Zement- und Sekundärbrennstoff verwertenden Industrie durch den Einsatz von alkalikorrosionsbeständigen Schichten und Komponenten

Partner: • Calsitherm Verwaltungs GmbH (Koordina-tion)

• AS Schöler + Bolte GmbH• Fraunhofer Institut für Keramische Techno-

logien und Systeme (IKTS)• OPTERRA Karsdorf GmbH• Refratechnik Cement GmbH• Technische Universität Bergakademie

Freiberg – Institut für Keramik, Glas- und Baustofftechnik

Laufzeit/Förder-kennzeichen:

2009 bis 2012 / 03X3527A-F

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Mobilität

Umweltfreundlich und unbedenklich für das Klima: An diesem Trend orientieren sich Wissenschaftler und In-genieure, um Fahrzeuge und deren Technik für unsere Mobilität weiterzuentwickeln und zu verbessern. Den Schadstoffausstoß der Verbrennungsmotoren gilt es zu senken, elektrische Antriebe zu entwickeln, und die Fahrzeuge müssen leichter werden, damit sie grund-sätzlich weniger Energie verbrauchen.

Vom Straßenverkehr bis hin zur Schifffahrt – Materi-alforscher und Werkstofftechniker haben hierbei ein gewichtiges Wort mitzureden. Sie sind gefragt, wenn es zum Beispiel darum geht, neue Batterien für die Elektromobilität zu entwickeln. Denn die macht das Autofahren unabhängig von Benzin und Diesel und bezieht in Zukunft den Strom aus Wind und Sonne.

Mit neuartigen Akkus etwa auf Basis der Lithium-Ionen-Technik verbessert sich die Reichweite von Elektroautos, sodass sie sich besser für den Alltag eignen. Allerdings ist mit diesem technischen Wandel eine Vielzahl von Veränderungen in Beruf und Gesell-schaft verbunden; der Umgang mit der neuen Technik will gelernt sein.

Ein eleganter Weg, Energie einzusparen, ist es, die Fahrzeuge leichter zu bauen. Beispielsweise kann man in einem Auto immer mehr metallische Bauteile durch entsprechend verbesserte Kunststoffe oder Material-verbundsysteme ersetzen. So können beide Werkstoffe gleichermaßen ihre unterschiedlichen Stärken einbrin-gen: Leichtigkeit und Festigkeit.

Der Automobilbau ist Vorreiter bei der Einführung von Leichtbautechniken. Der Verkehr auf den Schienen wird davon profitieren: Straßenbahn, S-Bahn oder ICE sind schon rein optisch Schwergewichte. Aber mit jedem zusätzlichen Kilogramm an Bord nimmt der Fahrwiderstand zu und damit der Energieverbrauch. Wie im Automobilbau lässt sich mit konsequentem Leichtbau daran etwas ändern.

Wenn auf die Verbrennung von Kraftstoffen voraus-sichtlich auf lange Zeit hin nicht verzichtet werden kann, gilt es auf jeden Fall, die Verbrennungsprozesse weiter zu verbessern – etwa mithilfe neuer, leichterer Materialien für die Bestandteile von Flugzeugturbinen.

Schließlich, und auch dies war ein wichtiges Arbeitsfeld von Materialforschern in den letzten Jahren, können neuartige Werkstoffe den Komfort heben. So haben sie beispielsweise eine intelligente Flosse entwickelt, die Schiffe sowohl auf hoher See als auch vor Anker im Hafen immer in einer stabilen Lage hält. Ein großer Fortschritt, den wir nicht einmal bemerken werden.

Neue Batterien für die Elektromobilität

Die Produktion von Benzin und Diesel aus Erdöl ist end-lich und deren Verbrennung belastet Umwelt und Klima. Deshalb stehen mit gutem Grund Elektrofahrzeuge am Start, um künftig die Mobilität mit dem Strom aus Wind und Sonne zu ermöglichen. Was ihnen jedoch noch fehlt, sind leistungsstarke Batterien.

Elektrisch fahrende Autos können durch den Einsatz erneuerbarer Energien maßgeblich dazu beitragen, Emissionen durch den Straßenverkehr zu reduzieren. Allerdings benötigt man große Energiespeicher, um Pkws mit Strom antreiben zu können. Herkömmliche Batterien eignen sich für elektrifizierte Fahrzeuge nicht. Stand der Technik weltweit sind Lithium-Ionen-Zellen.

Bei der Verwirklichung der Elektromobilität steht die deutsche Automobilindustrie somit vor einem System-wechsel, verbunden mit enormen Herausforderungen.

WERKStoFFINNoVAtIoNEN FüR INdUStRIE UNd GESELLScHAFt22

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Ging es bisher wesentlich darum, den Verbrennungs-motor eines Autos zu verbessern, gilt nun die Batterie-entwicklung als wichtiger Baustein für die Einführung der Elektromobilität. Die in den Batterien verbauten elektrochemischen Zellen sind das entscheidende Ele-ment für die Leistungsfähigkeit des Fahrzeugs.

Forscher und Entwickler in Ländern wie Japan, China und Korea haben dabei einen gewissen Vorsprung. Sie stellen seit Jahren Akkumulatoren für Konsuman-wendungen industriell her und sind im weltweiten Vergleich die Technologieführer und Produzenten konventioneller Speicher. Bei der Elektrifizierung des Straßenverkehrs können die asiatischen Länder auf diesem Know-how aufbauen. Während in Deutschland auf dem Gebiet der Batteriematerialien in den letzten Jahren der Anschluss an die asiatischen Länder gelang, bestanden insbesondere bei der Produktion von Batteriezellen noch Kompetenzlücken. Diese konnten nun im Rahmen des Projekts „Aufbau und Erprobung einer Forschungsproduktionslinie zur Erforschung und Optimierung der Lithium-Ionen-Zellfertigung“ geschlossen werden.

Hierzu wurde am Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW) in Ulm die „Forschungsplattform für die industrielle Produktion von Lithium-Ionen-Zellen (FPL)“ einge-richtet. Ziel ist es, den Einsatz neuer Materialien, neuer Fertigungsprozesse und Anlagenkomponenten zu prüfen und im Hinblick auf eine industrielle Nutzung zu optimieren.

Im Kern kommt es darauf an, die Prozessführung vom Material bis zur Zelle in allen Einzelheiten zu verste-hen. Denn neben funktionstüchtigen Zell-Materialien beeinflusst die Verfahrenstechnik der Zellherstellung ganz wesentlich Leistung, Qualität, Sicherheit und Kosten einer Lithium-Ionen-Batterie. Die Zellchemie ist den Forschern bekannt. Aber um die Wettbewerbs-fähigkeit der Automobil- und Zulieferindustrie zu erhalten, kommt es darauf an, die Produktionskosten deutlich zu senken und zugleich die Leistung der Zellen zu steigern. Um dann den Transfer von der For-schung in die Praxis zu garantieren, sind Unternehmen entlang der Fertigungskette in die Forschungsarbeit am ZSW eingebunden. Zudem stimmen sich alle Betei-ligten eng im Kompetenznetzwerk Lithium-Ionen-Batterien (KLiB) ab. Damit sind gute Voraussetzungen geschaffen, um wichtige Beiträge für die Etablierung einer international wettbewerbsfähigen deutschen Großserien-Zellfertigung zu generieren.

Batterie für Elektrofahrzeuge.

Befüllen der Batteriezellen mit Elektrolyt.

Am Ende der Produktionsanlage entsteht die fertige Batteriezelle.

MoBILItät 23

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Projektdaten

Titel: Aufbau und Erprobung einer Forschungspro-duktionslinie zur Erforschung und Optimie-rung der Lithium-Ionen-Zellfertigung

Partner: • Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württem-berg (ZSW) – Standort Ulm – Fachgebiet Elektrochemische Energietechnologien

Laufzeit/Förder-kennzeichen:

2012 bis 2014 / 03X4635

Unterricht mit Lithium-Ionen-Akkus

Die Einführung der Elektromobilität führt zu einer Viel-zahl von Veränderungen in der Arbeitswelt: Der Umgang mit der neuen Technik will gelernt sein.

Elektroautos werden künftig zunehmend eine um-weltfreundliche Stütze individueller Mobilität sein. Mit ihrer Einführung sind jedoch auch Veränderungen verbunden, die dem einzelnen Fahrzeug nicht anzuse-hen sind: Neben der Entwicklung neuer Materialien, Batterien und Motoren werden sich auch Service und Wartung tiefgreifend wandeln.

Für alle diese Bereiche werden junge Menschen ge-braucht, die sich für die Weiterentwicklung der neuen Technik begeistern. Um nun schon in den Schulen und Hochschulen das Interesse für die Elektromobilität zu wecken, haben Wissenschaftler der Pädagogischen Hochschule Freiburg im Projekt „NPE-EKasten“ einen Batteriebaukasten entwickelt. Ziel ist es, Prinzipien und Wirkungsweise der starken Batterien der Elek-troautos, der Lithium-Ionen-Akkus, anschaulich zu vermitteln.

Dazu haben die Pädagogen die technisch aufwendige Herstellung der Energiespeicher, die hohe Ansprüche an Handhabung und Sicherheit der Materialien stellt, in eine schnell realisierbare und für den Unterricht ri-sikolose Form gebracht. Das Funktionsprinzip des Ak-kus ist vergleichsweise einfach und leicht verständlich: Beim Ladevorgang werden positiv geladene Lithium-Ionen in die Schichtstruktur der positiv elektrisch geladenen Graphitelektrode, der Anode, gespeichert.

Gleichzeitig werden negativ geladene Anionen in die ebenfalls aus Graphit bestehende Kathode eingelagert, und nicht, wie bei herkömmlichen Lithium-Ionen-Akkumulatoren, positiv geladene Lithium-Ionen ausgelagert.

Dieser auf zwei Graphitelektroden beruhende Akku, eine sogenannte Dual Carbon Cell, ist ungiftig und somit sicher zu handhaben. Die Batteriebaukästen ste-hen inzwischen an mehr als 200 Schulen im gesamten Bundesgebiet zur Verfügung.

Projektdaten

Titel: NPE-EKasten: Perspektiven nachhaltiger Energieversorgung – Experimentelle und konzeptionelle Erschließung des Themenfel-des Lithium-Ionen-Akkumulatoren für Schule und Hochschule

Partner: • Pädagogische Hochschule Freiburg – Fakul-tät für Mathematik, Naturwissenschaften und Technik – Institut für Chemie, Physik, Technik und ihre Didaktiken

Laufzeit/Förder-kennzeichen:

2012 bis 2015 / 03X4507

Schematische Darstellung des Ladevorganges eines auf zwei Graphit-elektroden beruhenden Akkumulators (Dual Carbon Cell).

WERKStoFFINNoVAtIoNEN FüR INdUStRIE UNd GESELLScHAFt24

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Fest, hitzebeständig und trotzdem leicht

Um Motoren oder Triebwerksturbinen zu verbessern und deren Kraftstoffverbrauch zu reduzieren, müssen die einzelnen Komponenten Gewicht verlieren. For-schern gelang nun die Markteinführung einer neuen Werkstoffklasse, die sowohl leicht ist als auch hohen Temperaturen standhält.

Die Entwicklung des Werkstoffs Titanaluminid in Deutschland ist eine Erfolgsgeschichte, die schon vor vielen Jahren begann. Diese metallische Verbindung ist hitzebeständig, sehr fest und relativ leicht. Im Vergleich etwa zu Nickel-Legierungen, die ebenfalls sehr hohe Temperaturen verkraften, ist Titanaluminid nur etwa halb so schwer. Beim Einsatz in Flugzeugturbinen tre-ten dadurch in den rotierenden Turbinenschaufeln er-heblich geringere Fliehkräfte auf, wovon auch weitere Komponenten profitieren. Der zu erwartende Nutzen liegt auf der Hand: Das Triebwerk würde leichter und effizienter laufen.

Wie der Name andeutet, finden in Titanaluminid zwei Metalle zueinander, Titan und Aluminium. Anders als die meisten Metalle gehen sie dabei keine Legierung ein, sondern bilden als Titanaluminid eine sogenannte intermetallische Phase aus. Dabei handelt es sich um eine metallische Verbindung, in der sich die unter-schiedlichen Atome von Titan und Aluminium in einer neuen, geordneten Struktur formieren, die sich von den Gitterstrukturen der Ausgangsmetalle unterscheidet.

Die neuen Werkstoffe weisen außergewöhnlich vorteil-hafte mechanische und thermische Eigenschaften auf. Aufgrund ihrer aufwendigen Herstellverfahren und damit hohen Fertigungskosten kamen sie bislang aber nur in ausgewählten Hochleistungssegmenten, wie dem Formel 1 Rennsport, zum Zuge. Dieses Problem sollte mit dem in 2009 gestarteten Projekt „Beta-TiAl – Hochwarmfeste intermetallische beta-gamma Titana-luminide mit verbesserter Prozessierbarkeit“ überwun-den werden.

Ziel war es, robuste Titanaluminid-Legierungen her-zustellen, die sich speziell bei Temperaturen zwischen 1.100 und 1.300 Grad Celsius besser umformen ließen. Vorteilhafte Eigenschaften wie niedrige Dichte, hohe Festigkeit und Steifigkeit und hohe chemische Bestän-digkeit sollten dabei nicht nennenswert beeinträchtigt werden. Der neue Werkstoff sollte sich zudem aus-schließlich auf Basis von konventionellen Technologi-en der Titanindustrie kostengünstig produzieren und zu Bauteilen verarbeiten lassen.

Im Ergebnis gelang es den beteiligten Forschern und Ingenieuren, den Werkstoff zu optimieren. Sie entwi-ckelten einen Prozess, mit dem sich sogar großvolumi-ge Bauteile, wie zum Beispiel Turbinenschaufeln oder Turboladerrotoren, herstellen lassen. Bislang war daran mit Titanaluminid nicht zu denken. Die immer noch

MoBILItät 25

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hohen Produktionskosten konnten auf ein Niveau gesenkt werden, das den Einsatz in neuen, effizienzstei-gernden Triebwerken für die zivile Luftfahrt recht-fertigt. Inzwischen werden die hinteren Stufen der Niederdruckturbine von drei neuen Triebwerksfamili-en für Mittel- und Langstreckenflugzeuge der Firmen Airbus und Boeing mit Titanaluminid-Turbinenschau-feln betrieben. Dadurch wird der spezifische Treibstoff-verbrauch um etwa 15 Prozent reduziert.

Insbesondere die mittelständische GfE Metalle und Materialien GmbH aus Nürnberg hat sich als internati-onaler Lieferant von Titanaluminiden bei allen großen Triebwerksherstellern qualifizieren können. Der MTU Aero Engines GmbH gelang mit der neuen Werkstoff-klasse der Durchbruch bei der Realisierung einer völlig neuen Triebwerksgeneration. Die entwickelte schnell laufende Niederdruckturbine wird im neuen Airbus A320neo eingesetzt. Die erfolgreiche Markteinführung von Titanaluminiden in der Niederdruckturbine von zivilen Flugzeugtriebwerken wird der neuen Werk-stoffklasse auch in anderen Bereichen zum kommerzi-ellen Durchbruch verhelfen.

Projektdaten

Titel: Beta-TiAl – Hochwarmfeste intermetallische beta-gamma Titanaluminide mit verbesserter Prozessierbarkeit

Partner: • GfE Metalle und Materialien GmbH (Koor-dination)

• Böhler Schmiedetechnik GmbH & Co. KG• Brandenburgische Technische Universität

(BTU) Cottbus-Senftenberg – Lehrstuhl Metallkunde und Werkstofftechnik

• GfE Fremat GmbH • MTU Aero Engines GmbH• MW Racing GmbH – Forschung und

Entwicklung

Laufzeit/Förder-kennzeichen:

2009 bis 2012 / 03X3530A-E

Leicht auf die Schiene

Straßenbahn, S-Bahn oder ICE sind schon rein optisch Schwergewichte. Doch jedes Kilogramm an Bord erhöht den Fahrwiderstand und damit auch den Energiever-brauch. Durch konsequenten Leichtbau kann die Ener-

gieeffizienz von Schienenfahrzeugen weiter erhöht und der Verschleiß an Bremse, Rad und Schiene verringert werden. Darüber hinaus eröffnet Leichtbau die Möglich-keit für neue Zugkonzepte.

Die Luftfahrt- und auch die Automobilindustrie sind Lehrmeister in Sachen Leichtbau. Jedes Gramm kommt auf den Prüfstand, und nimmermüde erwägen die Konstrukteure, ob sich diese oder jene Funktion nicht mit einem noch leichteren Material realisieren ließe.

Jedoch gewinnt auch im Schienenfahrzeugbau der Leichtbau zunehmend an Bedeutung. Auch hier kön-nen geschickte Kombinationen aus leichten Werkstof-fen die Fahrbilanz erheblich verbessern. Dies gilt insbe-sondere im Nahverkehr mit seinen vielen Haltestellen, an denen ein Zug immer wieder bremsen und dann wieder beschleunigen muss. Eine leichtere Bauweise würde hier unmittelbar den Energieverbrauch und damit den Schadstoffausstoß verringern.

Im Hochgeschwindigkeitsverkehr könnte Leichtbau eine Erhöhung der Nutzlast bei gleich bleibendem Energieverbrauch ermöglichen. Vor diesem Hinter-grund wurde das Projekt „PURtrain – Leichtbau durch funktionsintegrierende Strukturen in Multi Material Design – hybride Sandwichbauweisen für Schie-nenfahrzeuge“ gestartet. Der Fokus lag dabei auf der Werkstoffentwicklung für eine brand- und flammge-schützte, aber gleichzeitig kostengünstige Sandwich-verbundbauweise für tragende Bauteile.

Am Beispiel einer selbsttragenden Verkleidungsstruk-tur in Leichtbauweise konnten die Forscher zeigen, dass sich unterschiedliche Funktionen integrieren

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lassen: Neben dem erreichten Leichtbau wurde die Zahl der Bauteile erheblich reduziert. Dabei konnten die Schalldämmung des Sandwichverbundes und die Güte der Oberflächen gehalten oder sogar verbessert werden. Die Prozesskette und das gewählte Ferti-gungsverfahren wurden auf ihre Wirtschaftlichkeit untersucht. Es konnte gezeigt werden, dass im Bereich der Schienenfahrzeugherstellung übliche Stückzahlen sowie eine wirtschaftliche Fertigung darstellbar sind.

Projektdaten

Titel: PUR train – Leichtbau durch funktionsinteg-rierende Strukturen in Multi Material Design – hybride Sandwichbauweisen für Schienen-fahrzeuge

Partner: • Bombardier Transportation GmbH – Divisi-on Mainline & Metros – Abt. R&D Technolo-gy (Koordination)

• Covestro Deutschland AG – BMS-PUR• DECS GmbH-Kunststoff- und Gerätetech-

nik• Deutsches Zentrum für Luft- und Raum-

fahrt e. V. (DLR) – Institut für Fahrzeugkon-zepte

• Fraunhofer-Institut für Chemische Techno-logie (ICT)

• Karlsruher Institut für Technologie (KIT) – Institut für Produktionstechnik (wbk)

• KraussMaffei Technolgies GmbH• Universität Stuttgart – Institut für Flug-

zeugbau (IFB)• Werkzeug Formen- & Systemtechnik Sontra

GmbH

Laufzeit/Förder-kennzeichen:

2008 bis 2011 / 03X3019A-I

Metall und Kunststoff fest vereint

Leichtbauteile bestehen häufig aus einem Verbund unterschiedlicher Materialien. Doch eine dauerhafte Bindung ist zwischen ihnen nur schwer herzustellen. Nun haben Forscher ein neues Haftvermittlersystem entwickelt, das über die gesamte Materialoberfläche hinweg wirksam ist.

Leichtbau ist das Gebot der Stunde, denn leichtere Automobile, Schienen- und Nutzfahrzeuge wie auch Flugzeuge verbrauchen weniger Kraftstoff und stoßen weniger Schadstoffe in die Umwelt aus. Dafür werden Kunststoffe mit Metallen so kombiniert, dass in der Summe ein Hybridbauteil entsteht. Dieses kann in einem Automobilbauteil alle jene Funktionen wahr-nehmen, die früher einem Metallwerkstoff vorbehalten waren – allerdings bei geringerem Gewicht.

Metalle und Kunststoffe sind jedoch physikalisch und chemisch ganz unterschiedlich. Im Verbund konnten die Materialien bisher nur punktuell und lokal über den so genannten Formschluss (zum Beispiel Niet-verbindungen) miteinander verbunden werden. Die zentrale Frage des Projektes „HYLIGHT – Entwicklung einer innovativen Hybridleichtbautechnologie für die Automobilindustrie“ lautete daher: Wie muss ein neuer Haftvermittler aussehen, der dauerhaft und wiederhol-bar Metall und Kunststoff „stoffschlüssig“ miteinander verbinden kann?

Leichtbau-Demonstrator aus dem Projekt PUR-Train.

MoBILItät 27

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Bei der Suche nach einem geeigneten Ausgangspro-dukt für das zu entwickelnde Haftvermittlersystem fiel die Wahl auf spezielle thermoplastische Kunststoffe, die man in der Praxis schon als Schmelzklebstoffe nutzt. Das pulverförmige Material empfahl sich den Forschern unter anderem dadurch, dass es sehr gut an Metalloberflächen anhaften kann.

Tatsächlich konnten die Forscher ein Haftvermittler-system entwickeln, das Metall und Kunststoff über die gesamte Fläche koppelt. Der Übergang vom herkömm-lichen punktuellen Formschluss zum Stoffschluss bringt gleich mehrere Vorteile: Die Verbindungen zwi-schen Metall und Kunststoff sind mechanisch belastba-rer, da sich Krafteinleitung und -verteilung verändern. Vor allem aber werden entsprechend konstruierte Hybridbauteile durch den flächigen Verbund noch leichter. Denn sowohl Metall- als auch Kunststoffkom-ponenten können je nach Anwendung und Belastung dünnwandiger ausgelegt werden. Im Endeffekt, so schätzen die Entwickler, sind so Materialeinsparungen von bis zu 20 Prozent möglich.

Die neue Technologie, die etablierte Fertigungsverfah-ren einbezieht, bietet ein attraktives Potenzial für die Praxis. Das Projekt HYLIGHT wirkt in diesem Zusam-menspiel nun als Technologieplattform für künftige Entwicklungen.

Projektdaten

Titel: HYLIGHT – Entwicklung einer innovativen Hybridleichtbautechnologie für die Automo-bilindustrie

Partner: • Evonik Industries AG – High Performance Polymers (Koordination)

• Ford-Werke GmbH• Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-

Nürnberg – Lehrstuhl für Kunststofftechnik • HÜHOCO Metalloberflächenveredelung

GmbH – Abt. Entwicklung• Institut für Kunststoffverarbeitung in

Industrie und Handwerk an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen (IKV)

• Kirchhoff Automotive Deutschland GmbH – Forschung und Produktentwicklung

• LANXESS Deutschland GmbH – BU Semi-Cristalline Products (SCP) – Abt. SCP-BLAM-PAD

• Montaplast GmbH

Laufzeit/Förder-kennzeichen:

2011 bis 2014 / 03X3030A-H

Intelligente Schiffsflossen

Jeder, der schon einmal eine Kreuzfahrt unternommen hat, kennt das unangenehme Schaukeln, das emp-findliche Menschen seekrank macht. Das muss nicht sein: Forscher haben neuartige Flossen entwickelt, die Schiffe in einer stabilen Lage halten, und zwar sowohl vor Anker als auch auf hoher See.

Durch Seegang und Wind bewegen sich Schiffe unre-gelmäßig. Besonders unangenehm empfinden Besat-zung und Passagiere das Schlingern beziehungsweise Rollen um die Schiffsachse. Diese Schiffsschwingung lässt sich mit Hilfe von Flossenstabilisatoren deutlich mindern. Ihr Einsatz ist allerdings mit einem gewich-tigen Nachteil verbunden: Die Flächen der Flossen-stabilisatoren setzen der Strömung einen erheblichen Widerstand entgegen, sodass das Schiff bei gleichblei-bender Antriebskraft langsamer wird. Folglich ver-braucht es bei einer angestrebten Fahrgeschwindigkeit zusätzlichen Treibstoff. Es ist also wünschenswert, den Strömungswiderstand der nützlichen Flossen zu verringern. So ließe sich ein kleiner Beitrag zu mehr

Demonstrator eines automobilen Frontendträgers aus Metall/-Kunst-stoff-Verbundmaterial.

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Nachhaltigkeit in der Schifffahrt leisten, deren Kohlen-dioxid-Ausstoß insgesamt immerhin in etwa dem des Straßenverkehrs entspricht.

Bisher werden die Stabilisatoren in der Regel aus Stahl gefertigt und konstruktiv für eine bestimmte Schiffs-geschwindigkeit optimal ausgelegt – etwa für die große Fahrt auf langer Strecke. Sollen die Flossen das Schiff jedoch sowohl bei langsamer als auch bei schneller Fahrt ruhig halten, ist es unmöglich, dass sie in beiden Betriebszuständen optimal wirken.

Ziel des Forschungsvorhabens „NEWA – Neue werk-stoffbasierte Aktoren zur adaptiven Formänderung “ war es deshalb, andere, bessere Flossenstabilisatoren zu erarbeiten. Sie sollten dazu in der Lage sein, die unge-wünschten Bewegungen eines Schiffes in unterschied-lichen Situationen – sowohl „Vor-Anker“ als auch „In-Fahrt“ – optimal abzumildern. Kurzum: Die Form einer Flosse sollte sich an unterschiedliche Betriebszustände anpassen können. Die beteiligten Wissenschaftler und Ingenieure haben die Aufgabe lösen können, indem sie einen mit Fasern verstärkten Kunststoff (FVK) wählten. Damit wurde es möglich, eine in ihrer Form durch kleine Antriebe (Aktoren) verstellbare Flossenstruktur zu entwickeln. Darüber hinaus entwickelten sie im Projekt eine passive Flossensteuerung, die sich an der Strömungsgeschwindigkeit orientiert sowie Verbin-dungskonzepte für den Faser-Kunststoff-Verbund.

Im Ergebnis entstand ein funktionstüchtiger Prototyp, der Anfang 2014 auf einem Küstenwachschiff der Bun-despolizei in Betrieb genommen werden konnte.

Der in der Form wandelbare Flossenstabilisator erweist sich bereits heute als Gewinn: Mit den bislang vorhan-denen Stabilisatoren hatte das Schiff in bestimmten Situationen so stark gerollt, dass es nicht mehr sicher zu betreiben war und oft nicht einmal in See stechen konnte. Das ist nun anders. Und nicht zuletzt verfügt der Projektpartner SKF Blohm + Voss Industries mit dem Flossenstabilisator aus der kreativen Schmiede des NEWA-Projekts über ein hochinnovatives Produkt für den internationalen Wettbewerb.

Projektdaten

Titel: NEWA – Neue werkstoffbasierte Aktoren zur adaptiven Formänderung

Partner: • SKF Blohm + Voss Industries GmbH (heute: SKF Marine GmbH (Koordination)

• BaltiCo GmbH• Deutsches Zentrum für Luft- und Raum-

fahrt e. V. (DLR) – Institut für Faserver-bundleichtbau und Adaptronik

Laufzeit/Förder-kennzeichen:

2011 bis 2014 / 03X3029A-C

Intelligenter Flossenstabilisator in der Erprobung bei einem Küsten-wachschiff.

Demonstratorflosse.

MoBILItät 29

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Gesundheit

Die Struktur unserer Gesellschaft verändert sich rasant und dramatisch: Das Durchschnittsalter steigt, und das hat Auswirkungen auf unser Gesundheitssystem. Vor diesem Hintergrund treiben Materialwissenschaftler und Werkstofftechniker die Innovation auch in der medizinischen Vorsorge und der Therapie von Krank-heiten voran. Denn es sind die Materialien, die, mit maßgeschneiderten Eigenschaften versehen, neue medizinische Geräte und Instrumente ebenso möglich machen wie neue Diagnoseverfahren. Werkstoffe fun-gieren immer häufiger als Transporter für Medikamen-te und bringen sie präzise an Ort und Stelle im Körper, damit sie dort ihre heilende Wirkung entfalten können.

Seit Jahr und Tag werden Implantate in den Körper eingebracht, um Defekte zu reparieren und es dem Pa-tienten zu ermöglichen, wieder ein normales Leben zu führen. Diese Implantate werden immer besser: So er-möglicht ein neues optisches Material die Herstellung künstlicher Linsen, die einerseits im Auge dauerhaft gut vertragen werden und – obwohl sehr dünn – auch eine starke Fehlsichtigkeit ausgleichen können. Ein neuartiges Knochenmaterial löst sich nach und nach wieder auf, sobald natürliches Gewebe nachwächst. Die Heilung von geschädigtem Gewebe kann von netzar-tigen Implantaten auf schonende Weise unterstützt werden.

Wird ein Krebs operiert, muss der Arzt genau wissen, wo sich erkranktes von gesundem Gewebe scheidet. Ein neuartiges Verfahren der molekularen Bildgebung kann künftig sozusagen als Navi dem Chirurgen auf den Bruchteil eines Millimeters genau die Hand füh-ren. Signalgeber sind radioaktive Substanzen, die das Tumorgewebe markieren.

Äußerst winzige Eisenoxid-Teilchen erwärmen sich sehr stark, wenn man sie einem elektromagnetischen Feld aussetzt. Diese Beobachtung brachte Wissen-schaftler auf den Gedanken, die Nanometer großen Winzlinge als Waffen gegen den Krebs in Position zu bringen: Im Körper können sie Tumorgewebe auf bis zu 80 Grad Celsius erhitzen – und zerstören.

Und es gelang Wissenschaftlern, sowohl flüssige als auch feste Wirkstoffe ohne Injektionsnadel direkt durch die Haut in den Körper einzubringen. Das ist kein leichtes Unterfangen, denn will der Arzt auf die oftmals schmerzende Spritze verzichten, müssen die

Wirkstoffe gut gekapselt sein, um bei dieser Prozedur unter hohem Druck keinen Schaden zu nehmen.

Die Beispiele zeigen, wie fruchtbar ein enger Austausch und die Zusammenarbeit zwischen Ärzten, Naturwis-senschaftlern und Ingenieuren sind. Die Ergebnisse der Materialwissenschaften und der Werkstofftechnik geben immer wieder unkonventionelle Antworten auf medizinische Fragestellungen und Probleme.

Ein Navi für die Krebsoperation

Wenn Krebsgewebe entfernt werden muss, soll dies möglichst schonend und akkurat geschehen. Dabei hilft ein neues Verfahren, das mittels dreidimensionaler Bil-der dem Chirurgen während der Operation haargenaue Navigationshilfe bietet.

Viele bösartige Tumore müssen chirurgisch entfernt werden, denn diese in der Fachsprache Resektion ge-nannte Operation ist oftmals einzige Heilungschance. Um Krebsgewebe komplett und sicher, dabei aber so schonend wie möglich herausschneiden zu können, entwickeln Forscher die Methoden der Tumorchirurgie stetig weiter. Dabei können sogenannte bildgebende Verfahren von großem Nutzen sein: Sie ermöglichen es, während eines chirurgischen Eingriffes das Tumor-gewebe und gegebenenfalls mit Tumorzellen befallene angrenzende Lymphknoten (sogenannte Wächter-lymphknoten) dreidimensional abzubilden. Sie bieten so dem Chirurgen bei der Operation Navigationshilfe.

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Im Rahmen des Verbundprojektes „eROLL- Enhanced Radio-guided Occult Lesion Localization; Intra-opera-tive 3D molekulare Bildgebung und Navigation“ wurde hierzu ein grundlegend neues System entworfen, aufgebaut und erprobt. Vorrangiges Ziel der Entwick-ler war es, Brustkrebsoperationen zu verbessern. Das Verfahren basiert darauf, den Tumor mit radioaktiven Substanzen zu markieren. Eine handgeführte miniatu-risierte Kamera, die sogenannte Gamma-Kamera, er-fasst während der Operation die radioaktive Strahlung, die von dem gekennzeichneten Tumorgewebe ausgeht. Und mithilfe eines optischen Navigationssystems, das aus zwei Wärmebild-Kameras besteht, lassen sich dann die Position der Gamma-Kamera und die des Patienten submillimetergenau im Raum in Echtzeit bestimmen. Parallel dazu nimmt eine Videokamera den Patienten auf. Das System ermöglicht eine virtuelle Überlagerung der gemessenen Radioaktivitätswerte mit den Aufnah-men der Videokamera. Dadurch kann der Chirurg den lokalisierten Tumor im Körper des Patienten mithilfe eines Monitors oder einer Datenbrille in der sogenann-ten erweiterten Realität (Augmented Reality) während der Operation sehen.

Ein wesentlicher Meilenstein des Projekts war die Kon-struktion eines handgeführten Strahlendetektors, einer

Mini-Gammakamera. Ein ebenso wichtiger Schritt war ein für eine solche Operation optimiertes optisches Navigationssystem. Informatikern gelang es, mithilfe spezieller Rechenverfahren dreidimensionale Bilder zu erzeugen. Schließlich haben die Entwickler geprüft, ob das System für den Einsatz im Krankenhaus tauglich ist.

Bisher dient dem Chirurgen eine Markierung des Tumors mit dünnem Draht unter Ultraschall als Orientierung, wenn er einen Brustkrebs operiert. Die neue Methodik und Darstellung kann, so zeigen erste klinische Ergebnisse, dieses konventionelle Verfahren ersetzen. Durch die verbesserte Operationstechnik ist es möglich, das markierte Tumorgewebe präziser zu entfernen, sodass künftig weniger Zweitoperationen notwendig sein werden. Studien mit einer aussagekräf-tigen Anzahl an Patienten müssen die Wirksamkeit der Methode allerdings noch bestätigen.

Am Universitätsklinikum Würzburg und der Missio- Klinik in Würzburg wurde das Verfahren für nichttast-bare Brusttumore bereits bei mehr als dreißig Pati-entinnen erfolgreich angewandt. „Das Projekt hat bei allen Partnerfirmen zu einem Innovationsvorsprung und zur Realisierung von Schutzrechten beigetragen. Dies wäre ohne eine Innovationsförderung wegen des zu hohen technischen Risikos nicht möglich gewesen“ bestätigt Dr. Joerg Traub, Geschäftsführender Gesell-schafter der SurgicEye GmbH. Neben dem Einsatz bei der Entfernung von Brusttumoren, die noch nicht gestreut haben, wurde das Verfahren auch für andere

Schematische Darstellung des bildgestützten Navigationssystems für Krebsoperationen.

Abbildung des markierten Gewebes einer Nebenschilddrüse am Pati-enten unter Anwendung des bildgestützten Navigationssystems.

Trackingsystem

Gamma- Kamera

declipse® SPECT Imaging Probe

• Hochauflösende dreidimensionale Bildgebung

GESUNdHEIt 31

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Krebsarten erprobt. So erzeugte es unter anderem schon hochauflösende Abbildungen der Schilddrüse sowie von markierten, auffälligen Nebenschilddrüsen während der Operation.

Das Forschungs- und Entwicklungsprojekt legte die Grundlagen für eine verbesserte Operationstechnik für Krebserkrankungen. Nach Projektende wurde das System sowohl am Universitätsklinikum in Würzburg als auch am Universitätsklinikum Jena, in den Nieder-landen am Netherland Cancer Institute in Amsterdam und dem Medical Center in Leiden sowie am Guy’s Hospital in London, Großbritannien, eingerichtet. Dort konnten die Forscher inzwischen klinische Daten ge-winnen und veröffentlichen, die den Erfolg bestätigen.

Projektdaten

Titel: eROLL – Enhanced Radio-guided Occult Lesion Localization; Intra-operative 3D mole-kulare Bildgebung und Navigation

Partner: • SurgicEye GmbH (Koordination)• Advanced Realtime Tracking GmbH• Crystal-Photonics GmbH

Laufzeit/Förder-kennzeichen:

2010 bis 2013 / 13N11143-45

Nanowaffen gegen den Krebs

Menschen, die an einem besonders bösartigen Gehirn-tumor, dem Glioblastom, erkranken, sind in kürzester Zeit dem Tod geweiht. Eine neue Behandlungsmethode, die auf winzigen Eisenoxid-Teilchen und Wärme beruht, kann ihre Lebenserwartung deutlich verlängern.

Krebs ist nach den Herz-Kreislauferkrankungen die zweithäufigste Todesursache in Deutschland. Jedes Jahr fallen hierzulande mehr als 200.000 Menschen dieser Volkskrankheit zum Opfer. Da sie vor allem ältere Menschen befällt und der Anteil dieser Altersgruppe in der Bevölkerung aufgrund der demografischen Entwicklung in vielen Industrieländern immer größer wird, werden wohl auch die Krebserkrankungen in den nächsten Jahren weiter zunehmen. Obwohl mögli-che Behandlungen von Tumoren intensiv erforscht

werden, gelten einige Krebsarten nach wie vor als nicht heilbar. Ein Beispiel hierfür ist das sogenannte Glioblastom, eine besonders aggressive Form eines bösartigen Hirntumors, an der vor allem Erwachsene erkranken. Patienten mit einem Glioblastom haben in der Regel eine Lebenserwartung von nur wenigen Mo-naten, wenn sie nicht behandelt werden, und von bis zu rund 15 Monaten bei bisher üblicher Behandlung.

Anlass zur Hoffnung gibt nun eine neue Therapie, die den Tumor mit Wärme, einem lokal wirksamen künst-lichen Fieber, bekämpft. Sie macht sich die besonderen Eigenschaften winziger Teilchen, sogenannter Nano-partikel, zunutze. Bei dem Verfahren werden nur weni-ge Nanometer große magnetische Eisenoxid-Partikel in den Tumor injiziert. Eine spezielle Beschichtung mit einer bestimmten Stoffgruppe, den Aminosilanen, be-wirkt, dass die Nanopartikel im Tumorgewebe bleiben, ohne dass die Teilchen in das umliegende, gesunde Ge-webe gelangen. Durch ein äußeres magnetisches Wech-selfeld werden dann die Nanopartikel in Schwingung versetzt. Dies erzeugt Wärme, die das Tumorgewebe auf bis zu 80 Grad Celsius erhitzt. Je nach Temperatur und Behandlungsdauer werden die Tumorzellen entweder direkt zerstört oder für begleitende Therapien, wie zum Beispiel Radio- oder Chemotherapie, sensibilisiert.

Die Idee für die Entwicklung reicht bis in das Jahr 1987 zurück. Damals beobachteten Forscher, dass gerade Partikel mit Durchmessern im Nanometerbereich sich sehr stark erwärmen, wenn man magnetische Wech-selfelder anlegt. Entscheidend für eine ausreichende

Prinzipskizze eines beschichteten Eisenoxid-Nanopartikels für die Krebstherapie.

WERKStoFFINNoVAtIoNEN FüR INdUStRIE UNd GESELLScHAFt32

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Wärmeentwicklung ist vor allem die hohe Konzent-ration der Magnetteilchen von mehr als 30 Billiarden Partikeln pro Milliliter Magnetflüssigkeit. Nach lang-jähriger Grundlagenforschung, in der Wissenschaftler das Konzept erfolgreich weiterentwickelten, wurde im Jahr 1997 das erste Unternehmen auf dem Gebiet der Nano-Wärme-Therapie gegründet. Der Vorläufer der späteren MagForce AG begann das Verfahren weiter zu verbessern und in klinischen Studien zu erproben.

Im Rahmen des Projektes „TAN – Thermisch aktivier-bare Nanocarrier zur Krebsbekämpfung“ wurde das Vorhaben von 2004 bis 2007 gefördert. Das Unterneh-men konnte dadurch wichtige Schritte der Verfahrens-entwicklung realisieren und patentrechtlich absichern. Nach insgesamt mehr als 20 Jahren gelang es der Mag-Force AG im Jahr 2010, die „NanoTherm®-Therapie“ zur Marktreife zu führen, und das Verfahren erhielt die europaweite Zulassung für Medizinprodukte. In klinischen Studien erwies sich die Methode seither als äußerst vielversprechend. Viele Patienten mit Glioblas-tom lebten mit dieser Behandlung deutlich länger als andere Betroffene. Jetzt ist es das Ziel der Forscher, die Methode auch für die Therapie weiterer Krebsarten anzupassen.

Projektdaten

Titel: TAN – Thermisch aktivierbare Nanocarrier zur Krebsbekämpfung

Partner: • MagForce AG (Koordination)• Charité – Universitätsmedizin Berlin –

Campus Virchow-Klinikum – Klinik für Strahlenheilkunde

• Leibniz-Institut für neue Materialien gGmbH (INM)

Laufzeit/Förder-kennzeichen:

2004 bis 2007 / 13N8677-79

Materialien für implantierbare Sehhilfen

Menschen mit Sehfehlern sind heute auf Brillen oder Kontaktlinsen angewiesen, oder sie entscheiden sich für eine Laser-Operation. Bald bietet sich eine weitere Alternative: Forscher entwickeln neue hauchdünne Ma-terialien für eine künstliche Augenlinse, die gut verträg-lich ist und die Sehkraft dauerhaft wiederherstellt.

Millionen Menschen weltweit leiden unter starker Fehlsichtigkeit. Schätzungsweise knapp zwei Prozent der Bevölkerung haben eine abweichende Sehschärfe von mehr als 6 Dioptrien, der Maßeinheit des opti-schen Brechwertes. Damit Betroffene ein Leben ohne Brille und Kontaktlinsen führen können, haben Augen-ärzte in den letzten Jahren häufig operiert, um Sehfeh-ler zu korrigieren. In Deutschland werden beispiels-weise pro Jahr mehr als 100.000 Augenbehandlungen mit der sogenannten LASIK-Methode vorgenommen. Dabei verändert Laserstrahlung die Hornhautkrüm-mung durch einen Gewebeabtrag und berichtigt auf diese Weise die eingeschränkte Sehkraft.

Diese Methode stößt allerdings bei sehr starker Fehl-sichtigkeit an Grenzen: Es müsste zu viel Gewebe abge-tragen werden, oder das Risiko, dass das Sehfeld einge-schränkt wird, wäre zu groß. Eine Alternative bietet die Behandlung mit sogenannten phaken Intraokularlin-sen. Hierbei handelt es sich um künstliche Linsen, die in einem rund zehnminütigen chirurgischen Eingriff vor die natürliche Linse des Auges gesetzt werden. Dort bleiben sie dauerhaft, und die Betroffenen können

Bei der NanoTherm® Therapie werden die in den Tumor (braun) eingespritzten Nanopartikel durch magnetische Wechselfelder erhitzt. Die Krebszellen werden dadurch geschwächt oder abgetötet, je nach erreichter Temperatur.

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ohne Brille oder Kontaktlinsen gut sehen. Die Methode eignet sich vor allem für erwachsene Patienten bis zu einem Alter von etwa 45 Jahren, die an sehr hoher Fehl-sichtigkeit leiden.

Entscheidend für den erfolgreichen Einsatz der Methode sind allerdings Materialien, die den hohen Anforderungen an eine künstliche Linse genügen. Dazu zählt eine gute biologische Verträglichkeit sowie eine hohe optische Brechungskraft auch bei geringer Materialstärke. Darüber hinaus muss die implantier-bare Kontaktlinse mechanisch flexibel sein, damit sie sich im gerollten Zustand durch eine dünne Kanüle in das Auge einführen lässt und sich anschließend an der richtigen Position entfaltet. Andererseits muss das Material ausreichend formstabil sein, damit die gewünschte Korrektur der optischen Brechkraft über lange Zeit anhält. Um das Risiko von Entzündungen nach der Operation zu vermindern, sollte es zudem mit entsprechenden Wirkstoffen ausgestattet sein. Mate-rialien, die all diese Eigenschaften aufweisen, waren jedoch bislang nicht verfügbar.

Vor diesem Hintergrund entstand das Projekt „HRI-PI-OL – Hochbrechendes Polymersystem für phake Intra-okularlinsen mit optionaler Wirkstofffreisetzung“. Das Projektkonsortium hatte sich vorgenommen, Biomate-rialien zu entwickeln, die die vielfältigen Funktionsan-forderungen für phake Intraokularlinsen erfüllen. Ziel war es, das Produkt bis hin zu einem fertigen Implantat zu entwickeln.

In der dreijährigen Projektlaufzeit wurden zunächst die wissenschaftlichen Grundlagen für einen geeig-neten Kunststoff erarbeitet. Daraufhin konnten die beteiligten Wissenschaftler mehrere Materialien mit hohem Brechungsindex erzeugen. Im weiteren Verlauf des Projektes erwies sich auch die Herstellung im La-borformat als praxistauglich, und die weiteren grund-legenden Arbeiten zur Anfertigung der angestrebten Intraokularlinsen verliefen erfolgreich. Dass die neuen Materialien gut verträglich sind, haben Tests mit Tieren bewiesen. Darüber hinaus entwickelten die For-scher ein Herstellungsverfahren für die sehr dünnen hochpräzisen Implantate, das die optisch notwendige Oberflächenqualität garantiert.

Prototypen aus dem verbesserten Material, an denen die notwendigen Produkttests bis zur Marktzulassung durchgeführt werden, sollen nun in den kommenden Jahren erstellt werden. Ziel der Entwickler ist es, bis 2020 die Zulassung für den EU-Markt zu erhalten.

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Modell einer phaken Intraokularlinse (Beschriftung: 1: Phake Intra-okularlinse, 2: Natürliche Augenlinse, 3: Glaskörper, 4: Augenmuskel, 5: Iris, 6: Hornhaut).

Als Alternative zur Laseroperation kann mit dieser neu entwickelten künstlichen Augenlinse Fehlsichtigkeit korrigiert werden.

WERKStoFFINNoVAtIoNEN FüR INdUStRIE UNd GESELLScHAFt34

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Projektdaten

Titel: HRI-PIOL – Hochbrechendes Polymersystem für phake Intraokularlinsen mit optionaler Wirkstofffreisetzung

Partner: • Dr. Schmidt Intraocularlinsen GmbH (Koordination)

• ACTIOL GmbH • Philipps-Universität Marburg- Physikali-

sche Chemie

Laufzeit/Förder-kennzeichen:

2010 bis 2012 / 13N10944-46

Individuelle Implantate

Für die Wiederherstellung von Schädelknochen haben Forscher ein Verfahren entwickelt, bei dem das zunächst eingesetzte Implantat nach und nach durch natürliches Knochenmaterial ersetzt wird.

Implantationen gehören zum klinischen Alltag. So werden jährlich in Deutschland ungefähr 210.000 Hüft- und 165.000 Knieprothesen eingesetzt. Solche Implan-tate müssen in der Regel hinsichtlich ihrer Form nur geringfügig an die Anatomie der zu behandelnden Patienten angepasst werden. Deutlich schwieriger ist dagegen die Herstellung von Knochenprothesen im Bereich von Kiefer, Mund und Gesicht. Dort ist nicht nur die Anatomie ganz individuell, auch die Beschädi-gung des Knochens – durch Krankheit, Unfall, natürli-che Fehlbildung oder Tumorwachstum hervorgerufen – ist bei jedem Patienten anders. In der Konsequenz muss daher jedes Implantat für jeden einzelnen Fall speziell angefertigt werden.

Da Implantate in erster Linie fehlende körpereigene Knochen ersetzen, sollen sie idealerweise aus einem Material bestehen, das dem menschlichen Knochen möglichst ähnlich ist. Der Patient soll im Idealfall den künstlichen Knochen überhaupt nicht spüren. Er soll ihn beispielsweise nicht als zu schwer empfinden und keine Schmerzen bei hohen oder tiefen Umgebungs-temperaturen an der betreffenden Körperstelle verspü-ren. Außerdem, so eine weitere Herausforderung, soll das Implantat formstabil sein und die Selbstheilung durch Knochenbildung unterstützen. Dauerhafte Implantate aus Metallen oder Kunststoffen will man daher durch eine „regenerative“ Variante ersetzen, die den natürlichen Knochen erneuern hilft. Dies hat ent-scheidende Vorteile: Es verhindert medizinische Kom-plikationen von Langzeitimplantaten und steigert das Wohlbefinden des Patienten, weil er nicht dauerhaft mit einem Fremdkörper leben muss. Für Kinder und Jugendliche ist zudem sehr wichtig, dass das Implantat sozusagen mitwächst.

Im Projekt „Bio_Laktid – Individuelle bioaktive Im-plantate für die rekonstruktive Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie“ standen genau diese Entwicklungs-ziele im Mittelpunkt. Die Forscher hatten sich vorge-nommen, Knochen bildende, individuell angepasste Implantate zu entwickeln, die resorbierbar sind, sich also auflösen, wenn neuer Knochen nachwächst. Dazu haben sie die Implantatform aus einem bioresorbier-baren Kunststoff aufgebaut und darin sogenannte Wachstumsfaktoren eingeschlossen, welche die Entwicklung von Knochensubstanz befördern. Die zur Individuell angepasstes Implantat im Schädelbereich.

Querschnitt durch ein bioaktives Polymerimplantat.

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Herstellung erforderliche Hohlform haben die For-scher jeweils individuell dem geschädigten Knochen-teil nachgebildet, damit das Implantat dem Patienten genau passt. Genau diese Kombination macht die Innovation aus: die kontrollierte Abgabe der Knochen bildenden Wachstumsfaktoren sowie der mechanisch belastbare und nach dem natürlichen Vorbild geformte Ersatz. Dies ermöglicht die Entstehung eines anato-misch ideal angepassten neuen Knochens, während das Implantat sich nach und nach auflöst.

Das Verfahren ist nicht nur für die Wiederherstellung von Gesichts- und Schädelknochen geeignet. Auch in der wiederherstellenden Chirurgie des übrigen Skelet-tes lässt es sich wirtschaftlich nutzen. Um künftig diese Technologie zum Knochenersatz und zur Knochen-neubildung in Serie herstellen zu können, haben die Partner schon während des Forschungsprojekts eine Prozesskette eingerichtet. So dürfen künftig viele Pa-tienten, die ein Knochenimplantat benötigen, auf ein beschwerdefreieres Leben hoffen.

Projektdaten

Titel: Bio_Laktid – Individuelle bioaktive Implantate für die rekonstruktive Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie

Partner: • Karl Leibinger Medizintechnik GmbH & Co. KG – Abt. Entwicklung / Konstruktion (Koordination)

• Georg-August-Universität Göttingen – Uni-versitätsklinikum und Medizinische Fakultät – Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie

• RELIATech Receptor Ligand Technologies GmbH

Laufzeit/Förder-kennzeichen:

2009 bis 2011 / 13N10002-4

Ersatz für geschädigtes Gewebe

Um die Erfolgsaussichten bei Operationen von geschä-digtem Binde-, Fett- oder Stützgewebe zu verbessern, entwickelten Forscher Implantate, die den Heilungspro-zess unterstützen. Diese gut verträglichen Materialien wachsen in das umliegende Gewebe ein und vermindern die Gefahr von Entzündungen.

Viele Menschen wissen aus eigener Erfahrung, dass Weichgewebe, also Binde-, Fett- und Stützgewebe wie Sehnen und Muskeln, Schaden nehmen kann. Dazu gehören unter anderem die landläufig als Bruch, als Bandscheibenvorfall oder als Gelenkverschleiß be-kannten Erkrankungen.

Gängige Methoden, mit denen Weichgewebe regene-riert werden soll, sind bislang nicht zufriedenstellend. Aus diesem Grund entstand der Forschungsverbund „BioInside – Bioaktive Implantate zur Reparatur und Regeneration von Defekten des Weichgewebes“. Die Kooperation verschiedener Disziplinen wie der Poly-mer- und Naturstoffchemie, der Materialwissenschaft sowie der Medizintechnik diente einem Ziel: Implanta-te zu entwickeln, die ohne Zellen auskommen und eine positive biologische Wirkung haben, also „bioaktiv“ sind. Das Material sollte bestmöglich in das umliegen-de Gewebe einwachsen und helfen, das schadhafte Weichgewebe auszubessern und es zur Erneuerung anzuregen. Zudem sollte es das Immunsystem günstig beeinflussen.

Die Fachleute entwickelten exemplarisch drei verschie-dene bioaktive Implantate: eines, um Leistenbrüche zu reparieren, eines zum Verschluss und zur Wieder-herstellung der Bandscheibe und schließlich eines, um Defekte des Gelenkknorpels zu decken und zu beseiti-gen. Bei den Implantaten handelt es sich um zellfreie, mit bestimmten Substanzen beschichtete Biomateria-lien, also gut verträgliche Stoffe. Sie bewirken, dass sich Zellen in der Umgebung anreichern, regen die Bildung von neuem Gewebe an und verbessern das Einwachsen in umliegende Körperregion.

Für die Behandlung von Leistenbrüchen wurden be-schichtete und bioaktive Implantate entwickelt, die sich am richtigen Ort gut einpassen lassen, ohne dass sich das sie umgebende Gewebe entzündet. Dazu untersuch-ten sie Netze aus biokompatiblem, also verträglichem Polyvinylidenfluorid (PVDF) als Grundgerüst. Dieses Netzimplantat aus Kunststoff beschichteten sie u. a. mit einem körpereigenen Wirkstoff, wodurch sich das Gewebe weniger leicht entzündet und damit einher-gehende Komplikationen eingeschränkt werden. Die Beschichtung beeinflusst auch die Wundheilung positiv, verbessert damit die Erholung des Gewebes in seiner natürlichen Umgebung und hemmt die Narbenbildung.

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Die eingesetzten Stücke enthalten Wirkstoffe, mit denen Zellen aus der Umgebung – auch Vorläuferzel-len, also Zellen, die sich erst noch spezialisieren – in ein Biomaterial-Gerüst gelockt werden. Auf diese Weise bildet sich ein Reparaturgewebe, das Implantat kann besser einwachsen, und das umgebende Gewebe kann sich leichter erholen.

Eine weitere häufige Erkrankung betrifft das Stützge-webe von Gelenken. Mit den bisher eingesetzten medi-zinischen Techniken bildet sich aber nicht ausreichend neuer Knorpel. Daher setzten die Wissenschaftler ein Netzwerk aus winzigen Fasern (Nanofasern) ein, das zu einem Prozent aus verträglicher bakterieller Nanozellulose (BNC) und zu 99 Prozent aus Wasser besteht. Dieses gelartige Material besitzt eine ausge-prägte Formstabilität, gute mechanische Festigkeit und eine hohe und steuerbare Porosität. Außerdem

kann es sehr gut Wasser aufnehmen. Die Forscher versahen das Faser- und Porensystem der BNC zudem mit Wirkstoffen, welche die Einbindung des Implan-tatmaterials in die Knorpel umgebung befördern. Die klinische Prüfung des BNC-Einsatzes steht noch aus. Ist diese Hürde genommen, bekommt das Fasernetz die CE-Zertifizierung, also die europaweite Zulassung als Medizinprodukt.

Projektdaten

Titel: BioInside – Bioaktive Implantate zur Repa-ratur und Regeneration von Defekten des Weichgewebes

Partner: • TransTissue Technologies GmbH (Koordi-nation)

• 3T TextilTechnologieTransfer GmbH• FEG Textiltechnik Forschungs- und Ent-

wicklungsgesellschaft mbH• Jenpolymer Materials Ltd. & Co. KG• Medizinische Hochschule Hannover – Zen-

trum Innere Medizin – Klinik für Nieren- und Hochdruckerkrankungen

• Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg – Medizinische Fakultät und Universitäts-klinikum Mannheim – Neurochirurgische Klinik

• Universitätsklinikum Jena – Medizinische Fakultät – Lehrstuhl für Orthopädie

Laufzeit/Förder-kennzeichen:

2008 bis 2011 / 13N9827-33

Förderung der Selbstheilungskräfte des Knorpels durch Anlocken von Knorpelzellen in ein bioaktives zellfreies Implantat.

Mikrofrakturierung

Implantat

ZellMigration

Knorpelreparatur-gewebe

Elektronenmikroskopische Aufnahme des bioaktiven Netzimplantates zur Behandlung von Leistenbrüchen.

GESUNdHEIt 37

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Injektionen ohne Nadel

Die Angst vor Spritzen und ungewollte Verletzungen bei einer Injektion sollen bald der Vergangenheit angehö-ren. Mit einem neuen Verfahren können Medikamente schmerzfrei und sicher allein durch hohen Druck verab-reicht werden.

Arztbesuche sind oft mit einer unangenehmen Er-fahrung verbunden: schmerzhafte Injektionen durch herkömmliche Nadelspritzen. Bei schätzungsweise mehr als zwei Millionen Menschen in Deutschland hat sich die Angst vor dem Pikser zu einer regelrechten Phobie ausgeweitet. Betroffen sind vor allem Kinder und Jugendliche, aber auch Patienten mit chronischen Krankheiten wie Multiple Sklerose oder rheumatische Arthritis. Sie reagieren dabei ganz unterschiedlich: Manche werden ohnmächtig, andere gehen einfach nicht mehr zum Arzt oder brechen – im Extremfall – die lebensnotwendigen Therapien ab. Außerdem kann der Nadelstich mit der Spritze tatsächlich eine unbeab-sichtigte Verletzung hervorrufen. Kommen Betroffene dann mit Keimen in Berührung, können gefährliche Krankheiten übertragen werden. Dieser Gefahr ist vor allem das medizinische Personal ausgesetzt. Die Zahl der Nadelstichverletzungen wird in Deutschland auf über 500.000 Fälle pro Jahr geschätzt.

Patientenfreundlicher und sicher lassen sich Arz-neimittel mit nadelfreien Injektionssystemen ver-abreichen; diese Technik gewinnt zunehmend an Bedeutung. Es ist sogar so, dass diese neue Behand-

lungsmethode die Anwendung vieler neuer Wirk-stoffe erleichtert. Dazu gehören Eiweiße (Proteine), Mehrfachzucker (Polysaccharide) und Impfstoffe, die nur schwer löslich oder nicht stabil genug sind, um geschluckt werden zu können. Deshalb ist die Injektion durch die Haut oft die einzig mögliche Alternative.

Bei dem neuen Verfahren gelangen die Wirkstoffe nicht mit einer Injektionsnadel, sondern unter hohem Druck durch die Haut in den Körper. Die Energie, die dafür erforderlich ist, wird mechanisch durch eine Fe-der oder chemisch durch Treibmittel bereitgestellt. Auf diese Weise lassen sich auch Pulver verabreichen, die in der Regel deutlich haltbarer sind als flüssige Impf-stoffe. Dies hat unter anderem den Vorteil, dass teure Kühlketten entbehrlich werden. Für viele Wirkstoffe sind diese innovativen Injektionssysteme allerdings noch nicht auf dem Markt verfügbar. So benutzen Ärzte beim Impfen ausschließlich die bisher üblichen Nadeln. Dazu zählen Ampullen und Fertigspritzen, aber auch Systeme wie stiftförmige (sogenannte Pens) und automatische Injektoren, die Patienten selber anwen-den können.

Im Projekt „Bioinjekt – Nadelfreie Injektion von flüssi-gen oder pulverförmigen biomolekularen Arzneimit-teln“ verfolgten Forscher deshalb das Ziel, innovative, nadelfreie Injektionssysteme zu entwickeln. Mit ihnen sollen Patienten sich selbst flüssige und feste Impfstof-fe zuführen können – ohne Nadelphobien zu entwi-ckeln oder sich gar selbst oder anderen unbeabsichtigte Nadelstichverletzungen beizubringen.

Im Verlauf des Projektes gelang es den Wissenschaft-lern, sowohl für flüssige als auch feste Stoffe jeweils einen Prototyp eines nadelfreien Injektionssystems erfolgreich zu entwickeln. Sie verbesserten Methoden, mit denen die Wirkstoffe in eine anwendbare Form gebracht werden und entwickelten völlig neue Düsen, Kammern und Antriebslösungen, um schließlich stabi-le und funktionsfähige Injektionssysteme anzufertigen. Keine einfache Aufgabe, wenn man bedenkt, dass die pulverförmigen Wirkstoffe während der Injektion in die Haut auf Geschwindigkeiten von bis zu 650 Meter pro Sekunde beschleunigt werden; dies entspricht nahezu zweifacher Schallgeschwindigkeit. Mithilfe von Computer-Simulationen konnten einzelne Verfahrens-schritte optimiert werden.

Anwendung des nadelfreien Injektionssystems am Patienten.

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Die Ergebnisse des Projektes sind vielversprechend. Die Wirksamkeit der nadelfreien Injektionssysteme sowohl für flüssige als auch pulverförmige Wirkstoffe konnten die Forscher in Studien sehr erfolgreich demonstrieren. Nun wollen sie die beiden Systemvarianten in weiteren Kooperationsprojekten zur Marktreife bringen.

Projektdaten

Titel: Bio-Injekt – Nadelfreie Injektion von flüssigen oder pulverförmigen biomolekularen Arznei-mitteln

Partner: • LTS LOHMANN Therapie-Systeme AG (Koordination)

• 3D-MicroMac AG• PyroGlobe GmbH• Ludwig-Maximilians-Universität Mün-

chen – Pharmazeutische Technologie und Biopharmazie

• Hochschule Koblenz – RheinAhrCampus Remagen – FB Mathematik und Technik

Laufzeit/Förder-kennzeichen:

2010 bis 2015 / 13N11315-19

Schema des nadelfreien Injektionssystems.

Modul I: Antrieb• Energiespeicher• (Feder, Treibmittel,

Gas)• Aktivierungs-

mechanismus• Stempel

Modul III: Hülle• Design optimiert

für Patienten-gruppe

Modul II: Arzneistoff-kammer• Sterile, vorbefüllte

Kammer (Glas / Kunststoff)

• Kolben• Austrittsdüse

GESUNdHEIt 39

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Anhang

Weiterführende Informationen

Vom Material zur Innovation – Rahmenprogramm zur Förderung der MaterialforschungHrsg.: Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), Berlin/Bonn, 2015www.bmbf.de/pub/Vom_Material_zur_Innovation.pdf

Wichtigste Ergebnisse der Evaluation des BMBF-Programms „Werkstoffinnovationen für Industrie und Gesellschaft – WING“ aus Sicht des BMBFVerfasser: Bundesministerium für Bildung und For-schung (BMBF), Berlin/Bonn, 2015http://www.werkstofftechnologien.de/fileadmin/media/publikationen/Evaluation_WING_Programm_Er-gebnisse_bf.pdf

Förderkatalog des BundesIm Förderkatalog des Bundes finden Sie Informatio-nen zu geförderten Projekten des Bundes. Bei Angabe des Förderkennzeichens erhalten Sie unter anderem Angaben zu Beteiligten, Laufzeit und Fördermitteln des jeweiligen Projektes.http://foerderportal.bund.de/

Internetseiten des BMBF zu Neuen Werkstoffen und MaterialienNeue Werkstoffe und Materialien sind Schlüsseltech-nologien im Rahmen der Hightech-Strategie der Bun-desregierung. Auf den Seiten des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) finden Sie einen Überblick zu diesem Förderbereich.www.bmbf.de/de/neue-werkstoffe-und-materiali-en-536.html

Forschungsförderung und Innovationsbegleitung zu Neuen Werkstoffen und MaterialienDie Fachseiten des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) bieten weiterführende Infor-mationen zur Forschungsförderung, Kompetenzkarten und Veranstaltungen auf dem Gebiet Neuer Werkstoffe und Materialien.www.werkstofftechnologien.de

DaNa - Wissensplattform zu NanomaterialienWas genau sind Nanopartikel? Was versteht man unter „Exposition“? Wann sprechen Toxikologen von einem Risiko? Antworten auf diese und weitere Fragen zur Sicherheitsforschung an Nanomaterialien finden Sie auf dieser Webseite.www.nanopartikel.info

Nationale Kontaktstellen für das EU Rahmenpro-gramm für Forschung und InnovationDie Nationalen Kontaktstellen (NKS) sind Beratungs- und Serviceeinrichtung zu den europäischen Rahmen-programmen für Forschung und Innovation. Mit ihrem Serviceangebot stehen sie allen deutschen Unterneh-men, Hochschulen und Forschungseinrichtungen kostenlos zur Verfügung und beraten unabhängig und wettbewerbsneutral.www.nks-nano.dewww.nks-werkstoffe.de

Werkstoffinnovationen für industrie und Gesellschaft40

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Impressum

HerausgeberBundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) Referat Neue Materialien; Batterie; KIT; HZG53170 Bonn

Bestellungenschriftlich anPublikationsversand der BundesregierungPostfach 48 10 0918132 RostockE-Mail: [email protected]: http://www.bmbf.deoder perTel.: 030 18 272 272 1Fax: 030 18 10 272 272 1

StandJuni 2018

DruckBMBF

Gestaltung ecosense – media & communicationKöln

Konzept und Redaktion VDI Technologiezentrum GmbHProjektträger Jülich, Forschungszentrum Jülich GmbH

Bildnachweis Cover: Uwe BellhäuserS. 2 rechts und S. 3: Uwe Bellhäuser, S. 4: BMBF, S. 6 links: Kün-zelmann, UFZ Leipzig, rechts: UFZ Leipzig, S. 7 rechts: Wilhelm Dyckerhoff Institut, S. 8 oben: BAUER Maschinen GmbH, rechts: BAUER Spezialtiefbau GmbH, S. 9 rechts, S. 10 links: AM-Silk, S. 11 oben: Siemens AG, S. 12: TRIDELTA Harfterrite GmbH, S. 13 links: Siemens AG, S. 13 rechts, S. 14: Umicore AG & Co. KG, S. 16: Evonik Resource Efficiency GmbH, S. 17, 18: Robert Bosch GmbH, S. 19 links: Nematel GmbH, rechts: Dr. Tillwich GmbH Werner Stehr, S. 20: Calsitherm Verwaltungs GmbH, S. 23 rechts: ZSW Ulm, S. 24: Pädagogische Hochschule Freiburg, S. 27 links: Bombardier Transportation GmbH, S. 28: Evonik Resource Efficiency GmbH, S. 29: SKF Blohm + Voss Industries GmbH, S. 31: SurgicEye GmbH, S. 32, 33: MagForce AG, S. 34: Dr. Schmidt Intraocularlinsen GmbH, S. 35: Karl Leibinger Medizintechnik GmbH, S. 37: TransTissue Technologies GmbH, S. 38, 39: LTS Lohmann Therapie-Systeme AG

iStockphoto.comS. 5: deepblue4you, S. 7 links: 35007, S. 9 rechts unten: Argument, S. 15: zentilia, S. 20 links: Vliet, S. 22: wellphoto, S. 23 links: zo-razhuang, S. 25 rechts: chanceb737, S. 26: nbnserge, S. 27 rechts: supergenijalac, S. 30: TommL

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TextBMBF/ Mediakonzept Düsseldorf

Diese Publikation wird als Fachinformation des Bundesminis-teriums für Bildung und Forschung kostenlos herausgegeben. Sie ist nicht zum Verkauf bestimmt und darf nicht zur Wahl-werbung politischer Parteien oder Gruppen eingesetzt werden.

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