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Abhandlungen 132 | OZK 2009 / 4 WETTBEWERB IN DER LANDWIRTSCHAFT – Teil I Das materielle österreichische Wettbewerbsrecht („Kartellrecht“) stimmt im Wesentlichen mit dem europäischen Wettbewerbsrecht überein. Auf die abweichenden, österreichischen Regelungen für Empfehlungen 1 und für den Verkauf unter dem Einstandspreis 2 bin ich bereits in zwei früheren Artikeln eingegangen. 3 Daneben ist aber auch das Verhältnis der Ausnahmen 4 vom Kartellver- bot 5 zum europäischen Recht nicht ganz klar: Ausnahmen gibt es für Bagatellkartelle, 6 Buchprei- se, 7 Genossenschaften, 8 Kreditinstitute 9 und bestimmte landwirtschaftliche Absprachen. 10 Im Fol- genden soll die europäische Regelung für die Landwirtschaft dargestellt und anschließend mit der österreichischen Rechtslage 11 verglichen werden. Johannes Peter Gruber Inhaltsverzeichnis I. Europäisches Landwirtschaftsrecht A. Landwirtschaft B. Einheitliche Gemeinsame Marktordnung (EGMO) C. Wettbewerbsbeschränkungen II. Europäisches Wettbewerbsrecht A. Allgemeines B. Erste Ausnahme: fehlende EU-Marktordnungen C Zweite Ausnahme: landwirtschaftliche Ziele D. Dritte Ausnahme: Erzeugervereinigungen III. Österreichisches Wettbewerbsrecht IV. Schlussfolgerung I. Europäisches Landwirtschaftsrecht A. Landwirtschaft 1. Landwirtschaft ist die Herstellung und der Absatz land- wirtschaftlicher Erzeugnisse. Nach Art 32 EG sind land- wirtschaftliche Erzeugnisse „die Erzeugnisse des Bodens, der Viehzucht und der Fischerei“ und die mit ihnen „in un- mittelbarem Zusammenhang stehenden Erzeugnisse der ersten Verarbeitungsstufe“. 12 Alle landwirtschaftlichen Er- zeugnisse sind im Anhang I zum EG-Vertrag abschließend aufgelistet. 13 Zur Auslegung dieser Liste ist die Nomenklatur des Rates für die Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Zollwesens 14 1) § 1 Abs 4 KartG. 2) § 5 Abs 1 Z 5 KartG. 3) J.P. Gruber, Empfehlungen im Kartellrecht, OZK 2009, 14; J. P. Gruber, Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung – Zu OGH 8.4.2008, 4 Ob 23/08y – Tageszeitung Ö, OZK 2008, 137. 4) § 2 Abs 2 KartG. 5) § 1 KartG. 6) § 2 Abs 2 Z 1 KartG. 7) § 2 Abs 2 Z 2 KartG. 8) § 2 Abs 2 Z 3 KartG. 9) § 2 Abs 2 Z 4 KartG. 10) § 2 Abs 2 Z 5 KartG; Vereinbarungen, Beschlüsse und auf- einander abgestimmte Verhaltensweisen iSd § 1 KartG (Art 81 EG) werden im Folgenden zusammen als Absprachen bezeichnet. 11) § 2 Abs 2 Z 5 KartG. 12) Art 32 EG: „(1) Der Gemeinsame Markt umfasst auch die Landwirtschaft und den Handel mit landwirtschaftlichen Erzeug- nissen. Unter landwirtschaftlichen Erzeugnissen sind die Er- zeugnisse des Bodens, der Viehzucht und der Fischerei sowie die mit diesen in unmittelbarem Zusammenhang stehenden Er- zeugnisse der ersten Verarbeitungsstufe zu verstehen. (2) Die Vorschriften für die Errichtung des Gemeinsamen Marktes fin- den auf die landwirtschaftlichen Erzeugnisse Anwendung, so- weit in den Artikeln 33 bis 38 nicht etwas anderes bestimmt ist. (3) Die Erzeugnisse, für welche die Artikel 33 bis 38 gelten, sind in der diesem Vertrag als Anhang I beigefügten Liste aufgeführt. (4) Mit dem Funktionieren und der Entwicklung des gemein- samen Marktes für landwirtschaftliche Erzeugnisse muss die Gestaltung einer gemeinsamen Agrarpolitik Hand in Hand ge- hen.“ 13) Art 32 Abs 3 EG. 14) Verordnung (EG) Nr 1031/2008 der Kommission vom 19.9. 2008 zur Änderung von Anhang I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates über die zolltarifliche und statistische No- menklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif, ABl 2008 L 291, 1.

WETTBEWERB IN DER LANDWIRTSCHAFT – Teil I · 2020-02-07 · zeugnisse sind im Anhang I zum EG-Vertrag abschließend ... Aufzählung16 (was zum Teil als zu starres System kritisiert

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Abhandlungen

132 | OZK 2009 / 4

WETTBEWERB IN DER LANDWIRTSCHAFT – Teil I

Das materielle österreichische Wettbewerbsrecht („Kartellrecht“) stimmt im Wesentlichen mit dem

europäischen Wettbewerbsrecht überein. Auf die abweichenden, österreichischen Regelungen für

Empfehlungen1 und für den Verkauf unter dem Einstandspreis2 bin ich bereits in zwei früheren

Artikeln eingegangen.3 Daneben ist aber auch das Verhältnis der Ausnahmen4 vom Kartellver-

bot5 zum europäischen Recht nicht ganz klar: Ausnahmen gibt es für Bagatellkartelle,6 Buchprei-

se,7 Genossenschaften,8 Kreditinstitute9 und bestimmte landwirtschaftliche Absprachen.10 Im Fol-

genden soll die europäische Regelung für die Landwirtschaft dargestellt und anschließend mit der

österreichischen Rechtslage11 verglichen werden.

Johannes Peter Gruber

Inhaltsverzeichnis

I. Europäisches LandwirtschaftsrechtA. LandwirtschaftB. Einheitliche Gemeinsame Marktordnung (EGMO)C. Wettbewerbsbeschränkungen

II. Europäisches WettbewerbsrechtA. AllgemeinesB. Erste Ausnahme: fehlende EU-MarktordnungenC Zweite Ausnahme: landwirtschaftliche ZieleD. Dritte Ausnahme: Erzeugervereinigungen

III. Österreichisches WettbewerbsrechtIV. Schlussfolgerung

I. Europäisches Landwirtschaftsrecht

A. Landwirtschaft

1. Landwirtschaft ist die Herstellung und der Absatz land-wirtschaftlicher Erzeugnisse. Nach Art 32 EG sind land-wirtschaftliche Erzeugnisse „die Erzeugnisse des Bodens,der Viehzucht und der Fischerei“ und die mit ihnen „in un-mittelbarem Zusammenhang stehenden Erzeugnisse derersten Verarbeitungsstufe“.12 Alle landwirtschaftlichen Er-zeugnisse sind im Anhang I zum EG-Vertrag abschließendaufgelistet.13 Zur Auslegung dieser Liste ist die Nomenklaturdes Rates für die Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Zollwesens14

1) § 1 Abs 4 KartG.2) § 5 Abs 1 Z 5 KartG.3) J.P. Gruber, Empfehlungen im Kartellrecht, OZK 2009, 14; J. P. Gruber, Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung –Zu OGH 8.4.2008, 4 Ob 23/08y – Tageszeitung Ö, OZK 2008,137.4) § 2 Abs 2 KartG.5) § 1 KartG.6) § 2 Abs 2 Z 1 KartG.7) § 2 Abs 2 Z 2 KartG.8) § 2 Abs 2 Z 3 KartG.9) § 2 Abs 2 Z 4 KartG.10) § 2 Abs 2 Z 5 KartG; Vereinbarungen, Beschlüsse und auf-einander abgestimmte Verhaltensweisen iSd § 1 KartG (Art 81EG) werden im Folgenden zusammen als Absprachen bezeichnet.11) § 2 Abs 2 Z 5 KartG.12) Art 32 EG: „(1) Der Gemeinsame Markt umfasst auch dieLandwirtschaft und den Handel mit landwirtschaftlichen Erzeug-

nissen. Unter landwirtschaftlichen Erzeugnissen sind die Er-zeugnisse des Bodens, der Viehzucht und der Fischerei sowiedie mit diesen in unmittelbarem Zusammenhang stehenden Er-zeugnisse der ersten Verarbeitungsstufe zu verstehen. (2) DieVorschriften für die Errichtung des Gemeinsamen Marktes fin-den auf die landwirtschaftlichen Erzeugnisse Anwendung, so-weit in den Artikeln 33 bis 38 nicht etwas anderes bestimmt ist.(3) Die Erzeugnisse, für welche die Artikel 33 bis 38 gelten, sindin der diesem Vertrag als Anhang I beigefügten Liste aufgeführt.(4) Mit dem Funktionieren und der Entwicklung des gemein-samen Marktes für landwirtschaftliche Erzeugnisse muss dieGestaltung einer gemeinsamen Agrarpolitik Hand in Hand ge-hen.“13) Art 32 Abs 3 EG.14) Verordnung (EG) Nr 1031/2008 der Kommission vom 19.9.2008 zur Änderung von Anhang I der Verordnung (EWG) Nr.2658/87 des Rates über die zolltarifliche und statistische No-menklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif, ABl 2008 L 291, 1.

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heranzuziehen, weil es keine eigenen gemeinschaftsrecht-lichen Vorschriften zur Erläuterung der Begriffe gibt.15

Die europäischen Behörden halten sich streng an dieseAufzählung16 (was zum Teil als zu starres System kritisiertworden ist17).

2. Die Liste des Anhang I ist allerdings teilweise weiter undteilweise enger als die Definition des Art 32 EG:18 Zu denlandwirtschaftlichen Erzeugnissen zählen auch „Zuberei-tungen von Gemüse, Küchenkräutern, Früchten und an-deren Pflanzen oder Pflanzenteilen“19 und „Zubereitun-gen von Fleisch, Fischen, Krebstieren und Weichtieren“.20

Andererseits sind „Branntwein, Likör und andere alkoho-lische Getränke, zusammengesetzte alkoholische Zuberei-tungen – Essenzen – zur Herstellung von Getränken“21

ausdrücklich ausgenommen. Armagnac22 und Cognac23 sinddaher keine landwirtschaftlichen Erzeugnisse; ebenso

wenig Tierfelle und Tierhäute,24 künstliche Süßstoffe,25

Mineralwasser,26 künstlicher Alkohol,27 Baumwolle, Lei-nen, Jute, Seide und Wolle.28

3. Nur Erzeugnisse der Urproduktion und der ersten Verar-beitungsstufe gelten – wenn sie im Anhang I enthaltensind29 – als landwirtschaftliche Erzeugnisse. Erzeugnisseder folgenden Arbeitsstufen,30 Hilfsmittel und Hilfsstoffezur Herstellung landwirtschaftlicher Erzeugnisse (wie zBDünger und Pflanzenschutzmittel) zählen grundsätzlich31

nicht mehr dazu.32 Es kommt auch nicht darauf an, obdie landwirtschaftlichen Erzeugnisse aus den Mitglied-staaten oder aus Staaten außerhalb der EU stammen.33

4. Die Sonderbestimmungen für die Landwirtschaft geltennach überwiegender Auffassung grundsätzlich nicht nurfür landwirtschaftliche Erzeuger der Urproduktion und

15) EuGH 25.3.1981, Rs 61/80 – Cooeperative Stremsel- enKleurselfabrik, Rdn 20; EuGH 29.2.1984, Rs 77/83 – Cilfit /Ministerio della Sanita, Rdn 7; Erhart in Hirsch / Montag /Säcker, Münchener Kommentar zum Europäischen und Deut-schen Wettbewerbsrecht (2007), Band 1, Europäisches Wettbe-werbsrecht, Art 81 Rdn 3; Buth in Loewenheim / Meessen / Rie-senkampff, Kartellrecht (2005/2006), Band 2: GWB, § 28 Rdn 33;Wiedner in Grabitz / Hilf, Das Recht der Europäischen Union(Loseblattsammlung mit Erg-Lief seit 1990) Art 81 (Stand: 20.Ergänzungslieferung, 2002) Rdn 7; Schulze-Hagen, Die land-wirtschaftlichen Zusammenschlüsse nach deutschem und euro-päischem Wettbewerbsrecht (1977) 139.16) ZB EuGH 3.12.1987, Rs 136/86 – Bureau National Inter-professionnel de Cognac (BNIC) / Aubert, Rdn 15; EuGH25.3.1981, Rs 61/80 – Cooeperative Stremsel- en Kleurselfabrik,Rdn 21; EuG 2.7.1992, T-61/89 – Dansk Pelsdyravlerforening /Kommission, Rdn 37.17) Und zu einer flexibleren deutschen Regelung geführt hat,vgl den Regierungsentwurf zur 6. GWB-Novelle, Bundesrat-Drucksache 852/97, 54, vgl FN 218; Buth in Loewenheim /Meessen / Riesenkampff, Kartellrecht (2005/2006), Band 1: Euro-päisches Recht, Landwirtschaft, Rdn 14.18) Schweizer in Immenga / Mestmäcker, Wettbewerbsrecht4

(2007), EG/Teil 2, Landwirtschaft, C, Rdn 2; Van Bael / Bellis,Competition Law of the European Community4 (2005) 1455;Schröter in Schröter / Jakob / Mederer, Kommentar zum Euro-päischen Wettbewerbsrecht (2003), DurchführungsvorschriftenLandwirtschaft, Rdn 4; Jean-Éric de Cockborne, Les règles com-munautaire de concurrence applicable aux entreprises dans ledomaine agricole, RTDE (Revue trimestrielle du droit européen)1988, 293 [294].19) Kapitel 16.20) Kapitel 20.21) Kapitel ex 20.8.22) Kom 26.7.1976, ABl 1976 L 231, 24 – Pabst + Richarz /BNIA, Rdn II.5: „Die Verordnung Nr. 26 des Rates, die unter be-stimmten Voraussetzungen Ausnahmen von der Anwendungder Wettbewerbsvorschriften zugunsten landwirtschaftlicher Er-zeugnisse vorsieht, ist im vorliegenden Fall nicht anwendbar, daArmagnac als industrielles Erzeugnis nicht zu den im Anhang II

[nunmehr: Anhang I] des Vertrages aufgeführten landwirtschaft-lichen Erzeugnissen gehört.“23) EuGH 30.1.1985, Rs 123/83 – Bureau National Interprofes-sionnel de Cognac (BNIC) / Clair, Rdn 15; Kom 15.12.1982, ABl1982 L 379, 1 – UGEL/BNIC (nicht ausdrücklich erwähnt).24) EuG 2.7.1992, T-61/89 – Dansk Pelsdyravlerforening / Kom-mission, Rdn 37.25) 18. WB, Rdn 53.26) 17. WB, Rdn 75.27) Kom 5.9.1979 ABl 1979 L 286, 32 – BP Kemi/DDSF, ohnesich mit dieser Frage im Einzelnen auseinanderzusetzen. Etha-nol (auch: Äthanol) ist eine farblose, leichtentzündliche, ste-chend riechende Flüssigkeit, die umgangssprachlich als Alkoholbezeichnet wird, http://de.wikipedia.org/wiki/Ethanol.28) Schweizer (FN18), C, Rdn 2.29) EuGH 30.1.1985, Rs 123/83 – Bureau National Interprofes-sionnel de Cognac (BNIC) / Guy Clair, Rdn 15; de Bronett in Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts2 (2008) § 32 Rdn 3;Brown / Das / Rayment in Bellamy / Child, European Communi-ty Law of Competition6 (2008) Rdn 12.201; Schweizer (FN 18),C, Rdn 3; Buth (FN 17) Rdn 52; Schröter (FN18) Rdn 4; Wiedner(FN 15) Rdn 7; nicht enthalten ist zB Fruchtjoghurt, so der Re-gierungsentwurf zur 6. GWB-Novelle, Bundesrat-Drucksache852/97, 54.30) Jestaedt in Langen / Bunte, Kommentar zum deutschen undeuropäischen Kartellrecht10 (2006), Band 2, Europäisches Kar-tellrecht, Sonderbereich Landwirtschaft, Rdn 3; Schröter (FN 18)Rdn 5.31) Außer sie sind in Anhang I aufgelistet.32) EuGH 15.12.1994, C-250/92 – Gøttrup-Klim / Dansk Land-brugs Grovvareselskab („DLG“), Rdn 23; Kom 5.12.1979 ABl1980 L 51, 19 – Lab, Rdn 26 f [bestätigt durch EuGH 25.3.1981,Rs 61/80 – Cooeperative Stremsel- en Kleurselfabrik, Rdn 21];Brown / Das / Rayment (FN 29) Rdn 12.201; Schweizer (FN 18),C, Rdn 3; Jestaedt (FN 30) Rdn 3; Buth (FN 17) Rdn 14; Schrö-ter (FN 18) Rdn 5, 20 (FN 83).33) ZB Kom 8.1.1975, ABl 1975 L 29, 26 – Pilzkonserven, Punkt II.4.; Kom 25.7.1974, ABl 1974 L 237, 16 – Frubo, Punkt III [allgemein bestätigt durch EuGH 15.5. 1975, Rs 71/74– Frubo / Kommission].

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deren Vereinigungen („Genossenschaften“), sondernauch für alle anderen Unternehmen, die Erzeugnisse derAnlage I herstellen und absetzen. Das sind in erster Liniedie Unternehmen der Lebensmittelindustrie,34 des Le-bensmittelhandwerks35 und des Landhandels.36 DieserAuffassung wird – wohl nicht ganz zu Unrecht – ent-gegengehalten, dass nur die besonderen Bedingungen derlandwirtschaftlichen Urproduktion eine besondere Be-handlung der Landwirtschaft rechtfertigen würden.37 DieVorschriften für landwirtschaftliche Erzeugergemein-schaften (unten II.D.) gelten hingegen ausdrücklich nurfür landwirtschaftliche Erzeuger.

B. Einheitliche Gemeinsame Marktordnung (EGMO)

1. Art 32 EG legt fest, dass für die Landwirtschaft in erster Linie die in den Art 33 bis 38 EG38 festgelegten Bestim-mungen gelten und dass diese den „Vorschriften für die

Errichtung des Gemeinsamen Marktes“ vorgehen.39 DieseSonderbestimmungen legen für die Landwirtschaft eigeneZiele und eigene Mittel zur Verwirklichung dieser Ziele fest.

2. Die Ziele für die Landwirtschaft (Art 33 EG) sind eine Sta-bilisierung der Märkte, die Steigerung der Produktivität, dieSicherstellung der Versorgung, ein angemessenes Einkom-men für die Landwirte und angemessene Preise für dieVerbraucher.40 Mit Stabilisierung der Märkte ist die Schaffungvon dauerhaft funktionierenden und gegen Krisen abgesi-cherten Märkten gemeint.41 Es soll „rationell geleiteten Be-trieben die Aufrechterhaltung der Produktion mit ange-messenen Gewinnen nachhaltig ermöglicht“ werden.42

3. Die Ziele sollten in den vergangenen Jahrzehnten in ers-ter Linie mit den Gemeinsamen Marktorganisationen („GMO“)43

und den zahlreichen sie ergänzenden Vorschriften44 er-reicht werden.45 Die zuletzt 21 Marktordnungen sind seit2007 in der VO 1234/2007, der Verordnung über eine ein-

34) Wie zB Molkereien, Buth (FN 17) Rdn 48, Schlachthöfe, Er-hart (FN 15) Rdn 32, Hersteller von Fleischkonserven oder Mar-garine, Jestaedt (FN 30) Rdn 3.35) ZB Fleischhauer, Bäcker, Konditor.36) Brown / Das / Rayment (FN 29) Rdn 12.201; Schweizer (FN18), C, Rdn 5; Buth (FN 17) Rdn 15; Gleiss / Kleinmann, Anpas-sung der Begriffe im deutschen Kartellgesetz an das europäi-sche Recht, NJW 1970, 1485 [1486]; wohl auch Schröter(FN 18) Rdn 17; ohne eigene Stellungnahme: Jestaedt (FN 30)Rdn 3 („umstritten“); vgl auch de Cockborne (FN 18) 305 ff;Schulze-Hagen (FN 15) 142 ff; DGAR (FN 37) 37 ff.37) Schulze-Hagen (FN 15) 144; Deutsche Gesellschaft fürAgrarrecht („DGAR“), Die kartellrechtliche Sonderregelung fürdie Landwirtschaft im EWG-Kartellrecht (1970) 38; allenfallsauch Schröter (FN 18) Rdn 17; ohne eigene Stellungnahme: Jestaedt (FN 30) Rdn 3 („umstritten“).38) Art 32 Abs 2: „Die Vorschriften für die Errichtung des Ge-meinsamen Marktes finden auf die landwirtschaftlichen Erzeug-nisse Anwendung, soweit in den Artikeln 33 bis 38 nicht etwasanderes bestimmt ist.“39) Art 32 EG: „(1) Der Gemeinsame Markt umfasst auch dieLandwirtschaft und den Handel mit landwirtschaftlichen Erzeug-nissen. Unter landwirtschaftlichen Erzeugnissen sind die Er-zeugnisse des Bodens, der Viehzucht und der Fischerei sowiedie mit diesen in unmittelbarem Zusammenhang stehenden Er-zeugnisse der ersten Verarbeitungsstufe zu verstehen. (2) DieVorschriften für die Errichtung des Gemeinsamen Marktes fin-den auf die landwirtschaftlichen Erzeugnisse Anwendung, so-weit in den Artikeln 33 bis 38 nicht etwas anderes bestimmt ist.(3) Die Erzeugnisse, für welche die Artikel 33 bis 38 gelten, sindin der diesem Vertrag als Anhang I beigefügten Liste aufgeführt.(4) Mit dem Funktionieren und der Entwicklung des gemein-samen Marktes für landwirtschaftliche Erzeugnisse muss dieGestaltung einer gemeinsamen Agrarpolitik Hand in Hand ge-hen.“40) Art 33 Abs 1 EG, wobei als Hauptziele die Steigerung derProduktivität und eine angemessene Versorgung der landwirt-schaftlichen Bevölkerung angesehen werden, EuGH 15.5.1975,

Rs 71/74 – Frubo / Kommission, Rdn 25/26 [allgemein bestätigtdurch EuGH 15.5.1975, Rs 71/74 – Frubo / Kommission]; aberauch angemessene Preise für die Verbraucher, EuGH 16.12.1975, Rs 40 bis 48, 50, 54 bis 56, 111, 113, 114/73 – SuikerUnie / Kommission, Rdn 221/224.41) Busse in Lenz / Borchardt, EU- und EG-Vertrag4 (2006) Art 31EGV, Rdn 13.42) DGAR (FN 37) 33.43) De Bronett (FN 29) § 32 Rdn 17; Schweizer (FN 18), C, Rdn 18; Erhart (FN 15) Rdn 3, Jestaedt (FN 30) Rdn 2; Buth(FN 17) Rdn 3; Schröter (FN 18) Rdn 2; de Cockborne (FN 18)308 ff; Schulze-Hagen (FN 15) 4 ff.44) Ergänzt werden die Gemeinsamen Marktordnungen durch„zahllose weitere Rechtsvorschriften“, die den Außenhandel,Interventionen, Sicherheiten, Beihilferegelungen, Kontrollen etcbetreffen oder bei denen es sich um Durchführungsverordnun-gen zu den Gemeinsamen Marktordnungen handelt, Walzel vonWiesentreu in Holoubek / Potacs, Handbuch des öffentlichenWirtschaftsrechts2 (2007) 1216.45) Erfasst sind laut Wimmer / Th. Müller, Wirtschaftsrecht (2007),367 (ohne weitere Nachweise) über 90 % der landwirtschaft-lichen Erzeugnisse. Die EGMO (FN 45) enthält die Marktordnun-gen für Getreide, Reis, Zucker, Trockenfutter, Saatgut, Hopfen,Olivenöl und Tafeloliven, Flachs und Hanf, Obst und Gemüse,Verarbeitungserzeugnisse aus Obst und Gemüse, Bananen,Wein, lebende Pflanzen und Waren des Blumenhandels, Rohta-bak, Rindfleisch, Milch und Milcherzeugnisse, Schweinefleisch,Schaf- und Ziegenfleisch, Eier, Geflügelfleisch, Sonstige Erzeug-nisse und – zwar keine Marktordnung aber – Sonderbestimmun-gen für Ethylalkohol landwirtschaftlichen Ursprungs, Bienen-zuchterzeugnisse und Seidenraupen, Art 1 EGMO (FN 45) und ei-ne eigene Marktordnung für Fischerei, ABl 2000 L 17, 22 idF ABl2006 L 335, 3; vgl Walzel von Wiesentreu (FN 43) 1193 f, und derGD Landwirtschaft, http://eur-lex.europa.eu/de/legis/ 20090101/chap0360.htm. Keine Marktordnungen gibt es für Kartoffeln, an-deren Essig als Weinessig, Naturkork, Zichorienwurzeln, frischeAnanas, Kaffee, lebende Schlachtpferde und Pferdefleisch, Wal-zel von Wiesentreu (FN 43) 1216.

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heitliche Gemeinsame Marktordnung („EGMO“) zusammen-gefasst.46 Die EGMO regelt – wie schon zuvor die ein-zelnen Marktordnungen – die europäischen Märkte fürlandwirtschaftliche Erzeugnisse hoheitlich. Dabei könnenzB öffentliche Einrichtungen zur Zahlung eines Mindest-preises („Interventionspreis“) verpflichtet47 oder den Er-zeugern Produktionsbeschränkungen auferlegt werden(„Quotensysteme“; wie zB bei Milch und Zucker)48. Eskönnen Beihilfen gezahlt,49 Qualitätsvorgaben festge-setzt50 und Erzeugergemeinschaften51 gefördert werden.Einfuhren in die EU können durch Zölle erschwert52 undAusfuhren durch Subventionen gefördert53 werden.54 Al-le diese Regelungen schränken den freien Wettbewerbmehr oder weniger ein; regelmäßig bleibt aber ein „ge-wisser Wettbewerb“55 bestehen.56 Ein völliger Ausschlussdes Wettbewerbs wäre jedenfalls unzulässig.57

4. Der Grund für diese besondere Behandlung der Land-wirtschaft ist die „besondere Eigenart der landwirtschaft-

lichen Tätigkeit“. Diese besondere Eigenart besteht lautEG-Vertrag in „dem sozialen Aufbau der Landwirtschaftund den strukturellen und naturbedingten Unterschiedender verschiedenen landwirtschaftlichen Gebiete“ (Art 33Abs 2 lit a EG). Damit sind in erster Linie die Abhängig-keit der Landwirte von Grund und Boden, dem Wetterund sonstigen unberechenbaren Gegebenheiten,58 die re-lativ konstante Nachfrage bei einem von den Jahreszeitenund Zyklen59 abhängigen Angebot,60 die Unmöglichkeit,sich rasch geänderten Marktverhältnissen anzupassen,61

die zeitlich begrenzte Lagermöglichkeit62 und die Vielzahläußerst kleiner Hersteller, denen in der Regel marktmäch-tige Abnehmer gegenüberstehen, gemeint.63

C. Wettbewerbsbeschränkungen

1. Die EGMO und die sonstigen landwirtschaftlichen Vor-schriften gehen den Wettbewerbsregeln vor.64 Wenn sieWettbewerbsbeschränkungen festlegen oder wettbe-

46) Vgl die Auflistung im 2. Erwägungsgrund der Verordnung(EG) Nr. 1234/2007 des Rates vom 22. Oktober 2007 über einegemeinsame Organisation der Agrarmärkte und mit Sondervor-schriften für bestimmte landwirtschaftliche Erzeugnisse (Verord-nung über die einheitliche GMO), ABl 2007 L 299, 1 („EGMO“),geändert durch VO 247/2008 [ABl 2008 L 76, 1], VO 248/2008[ABl 2008 L 76, 6], VO 361/2008 [ABl 2008 L 121, 1], VO470/2008 [ABl 2008 L 140, 1], VO 510/2008 [ABl 2008 L 149,61] und VO 13/2009 [ABl 2009 L 5, 1]. Daneben besteht nocheine Marktordnung für Fischerei laut Verordnung (EG) Nr. 104/2000 des Rates vom 17. Dezember 1999 über die gemeinsameMarktorganisation für Erzeugnisse der Fischerei und der Aqua-kultur, ABl 2000 L 17, 22, geändert durch Akte über die Bedin-gungen des Beitritts der Tschechischen Republik, der RepublikEstland, […] und der Slowakischen Republik und die Anpassun-gen der die Europäische Union begründenden Verträge [2003 L236, 33], VO 1759/2006 [ABl 2006 L 335, 3].47) Art 10 ff EGMO (FN 45).48) Wobei bei Überschreiten der vorgegebenen Menge Abga-ben zu entrichten sind, Art 55 ff EGMO (FN 45).49) Art 86 ff EGMO (FN 45).50) Art 113 ff EGMO (FN 45).51) Art 122 ff EGMO (FN 45).52) Art 135 ff EGMO (FN 45).53) Art 162 ff EGMO (FN 45).54) Walzel von Wiesentreu (FN 43) 1201.55) ZB in der europäischen Zuckerindustrie: EuGH 16.12.1975,Rs 40 bis 48, 50, 54 bis 56, 111, 113, 114/73 – Suiker Unie /Kommission, Rdn 23.56) Schweizer (FN 18), B, Rdn 1, 5; Jestaedt (FN 30) Rdn 1;Mestmäcker / Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht2 (2004)§ 1 Rdn 46; Ritter / Braun, European Competition Law3 (2004)878 („often more competitive“); Schröter (FN 18) Rdn 2 („er-heblich eingeschränkt“); Schulze-Hagen (FN 15) 137 („durchausnoch Freiräume“).57) EuGH 9.9.2003, C-137/00 – The Queen / Milk Marque, Rdn 57 f; Kom 18.12.1987, ABl 1988 L 59, 25 – Frühkartoffeln,

Punkt B.II.; de Bronett (FN 29) § 32 Rdn 13; Schweizer (FN 18),C, Rdn 26; Erhart (FN 15) Rdn 6; Jestaedt (FN 30) Rdn 7; Schrö-ter (FN 18) Rdn 13; wohl auch Buth (FN 17) Rdn 4 und, was dieVO 1184/2006 betrifft, de Bronett (FN 29) § 32 Rdn 13.58) De Bronett (FN 29) § 32 Rdn 20; Schweizer (FN 18), A, Rdn 1; Buth (FN 17) Rdn 5; Schulze-Hagen (FN 15) 3; DGAR(FN 37) 14. Daher lässt sich vor allem im Pflanzenanbau der zuerwartende Ertrag in Menge und Qualität kaum vorhersagen,Walzel von Wiesentreu (FN 43) 1198 f.59) Bei hohen Preisen kommt es zu verstärkten Investitionen,die sich wegen der Aufzuchtzeit erst verzögert auf das Angebotauswirken und dann zu einem Überangebot und Preisverfallführen. Infolgedessen kommt es zur Reduzierung der Produk-tion, die sich ebenfalls erst zeitverzögert auswirkt und dann zueinem relativen Überschuss der Nachfrage (Angebotslücke) unddadurch steigenden Preisen führt. Durch diese Zeitverzögerun-gen im Regelmechanismus zwischen Angebot, Nachfrage undPreis entsteht eine instabile Marktsituation, die das Angebot so-lange regelmäßig schwanken lässt, wie sich die Schweinehalteran den jeweils aktuellen Schweinepreisen zur Zeit der Investi-tionsentscheidung statt an den zu erwartenden Preisen im Ver-marktungszeitpunkt orientieren. Der von Arthur Hanau in seinerDissertation über Schweinepreise 1927 beschriebene „Schweine-zyklus“ ist inzwischen in der Agrarwissenschaft und Wirtschafts-wissenschaft verbreitet, http://de.wikipedia.org/wiki/Schweinezy-klus.60) Walzel von Wiesentreu (FN 43) 1198; DGAR (FN 37) 13 f.61) De Bronett (FN 29) § 32 Rdn 20; Schulze-Hagen (FN 15) 3.62) Walzel von Wiesentreu (FN 43) 1198; Schulze-Hagen (FN 15)3; DGAR (FN 37) 13 f.63) De Bronett (FN 29) § 32 Rdn 20; Schweizer (FN 18), A, Rdn 1,und C, Rdn 51; Buth (FN 17) Rdn 5: Schulze-Hagen (FN 15) 3;DGAR (FN 37) 13 („,atomistische’ Zersplitterung“), 33 ff. 64) EuGH 9.9.2003, C-137/00 – The Queen / Milk Marque, Rdn 50,81; EuGH 29.10.1980, Rs 139/79 – Maizena / Rat, Rdn 23, EuGH15.10.1996, C-311/94 – Jssel Vliet Combinatie / Niederlande, Rdn31; EuGH 5.10.1994, C-280/93 – Deutschland / Rat, Rdn 61.

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hinaus sollen die jeweiligen Erzeugnisse verbessert unddie Herstellung rationalisiert werden. Die Mitglieder einer Erzeugergemeinschaft sind typischerweise ver-pflichtet, ihre gesamte Produktion der Erzeugerge-meinschaft zur Verfügung zu stellen.78

b. Die Details legen die Durchführungsbestimmungender Kommission fest. So haben zB Erzeugergemein-schaften für Seidenraupenzüchter (ua) aus mindestens50 Mitgliedern79 zu bestehen, die sich (ua) verpflichtenmüssen, der Gemeinschaft mindestens drei Jahre anzu-gehören.80 Bei Hopfen reichen hingegen sieben Mitglie-der, wenn sie zusammen über mehr als 60 ha (in Grie-chenland: mehr als 30 ha) Anbaufläche verfügen.81 BeiObst und Gemüse kann ein Mitgliedstaat die Regeln einerErzeugergemeinschaft82 für höchstens drei Jahre auchauf die Erzeuger eines „Wirtschaftsbezirks“ ausdeh-nen, die nicht Mitglieder der Gemeinschaft sind,83 undsie zur Zahlung entsprechender „Finanzbeiträge“ ver-pflichten.84

3. Die EGMO anerkennt darüber hinaus berufssparten-übergreifende Vereinbarungen („Branchenverbände“)zwischen Erzeugern, Verarbeitern und Händlern für Oli-venöl und Tafeloliven, Tabak,85 Zucker86 und Obst und Gemü-se.87 Es handelt sich dabei um vertikale Vereinbarungen –im Gegensatz zu den horizontalen Erzeugergemeinschaf-ten – mit denen mehr oder weniger dieselben Ziele88 er-reicht werden sollen (sieht man von den zusätzlichen Zie-

werbsbeschränkende Absprachen65 zulassen, sind diesekraft Gesetzes als für die Verwirklichung der Ziele des Art 33 EG notwendig anzusehen.66 Welche Absprachenim Einzelfall zulässig sind, ist nach dem jeweiligen land-wirtschaftlichen Erzeugnis verschieden und gesondert zuprüfen. Die EGMO enthält jeweils allgemeine Regeln, diefür mehrere Erzeugnisse gelten, wie zB die Regeln über„öffentliche Interventionen“ (Ankauf der Produktiondurch öffentliche Stellen)67 oder über Produktionsbe-schränkungen („Quotensysteme“).68 Daneben bestehenSondervorschriften für einzelne Erzeugnisse, wie zB dieRegeln über besondere Interventionsmaßnahmen bei Ge-treide,69 Reis70 und Zucker71 oder die Regeln über beson-dere Produktionsbeschränkungen bei Zucker72 undMilch.73 Die Kommission wird dabei jeweils ausdrücklichermächtigt, genauere Durchführungsbestimmungen zuerlassen.74

2. Die EGMO anerkennt ausdrücklich horizontale Abspra-chen in Form von Erzeugergemeinschaften („Erzeuger-organisationen“) für Hopfen, Olivenöl und Tafeloliven, Obstund Gemüse75 und Seidenraupen, wenn sie zu den von ihrvorgegebenen Zielen76 errichtet werden.77

a. Erzeugergemeinschaften (und Vereinigungen solcherGemeinschaften) haben in erster Linie die Aufgabe,das Angebot zusammenzufassen und die Produktionan die Bedürfnisse des Markts anzugleichen. Darüber

65) § 2 Abs 2 Z 5 KartG; Vereinbarungen, Beschlüsse und auf-einander abgestimmte Verhaltensweisen iSd § 1 KartG (Art 81EG) werden im Folgenden zusammen als Absprachen bezeich-net.66) Schweizer (FN 18), C, Rdn 18, 34; Schröter (FN 18) Rdn 18;de Cockborne (FN 18) 304; wohl auch de Bronett (FN 29) § 32Rdn 17.67) Art 6 ff EGMO (FN 45).68) Art 55 ff EGMO (FN 45).69) Art 47 EGMO (FN 45).70) Art 48 EGMO (FN 45).71) Art 49 ff EGMO (FN 45).72) Art 56 ff EGMO (FN 45).73) Art 65 ff EGMO (FN 45).74) ZB Art 127 EGMO (FN 45) für Erzeugerorganisationen undBranchenverbände.75) Bei „Landwirten, die eines oder mehrere Erzeugnisse diesesSektors und/oder solcher Erzeugnisse anbauen, die ausschließ-lich zur Verarbeitung bestimmt sind“, Art 122 lit a Punkt iii EG-MO (FN 45).76) Sicherstellung einer planvollen und insbesondere in quanti-tativer und qualitativer Hinsicht nachfragegerechten Erzeugung,Bündelung des Angebots und Vermarktung der Erzeugung ihrerMitglieder, Optimierung der Produktionskosten und Stabilisie-rung der Erzeugerpreise, Art 122 EGMO (FN 45).77) Art 122 EGMO (FN 45).

78) Vgl zB Art 122 iVm Art 125a Abs 1 lit c EGMO (FN 45) oderArt 2 Abs 1 lit f der Verordnung (EG) Nr. 223/2008 der Kom-mission vom 12. März 2008 zur Festlegung von Bedingungenund Verfahren für die Anerkennung von Erzeugerorganisatio-nen der Seidenraupenzüchter, ABl 2008 L 69, 10.79) Welche „in dem Wirtschaftsjahr, in dem die Anerkennungausgesprochen wird, mindestens 2.500 Samenschachteln in Betrieb nehmen oder sich dazu verpflichten“, Art 2 Z 1 lit b VO223/2008 (FN 78). 80) Vgl Art 2 VO 223/2008 (FN 78).81) Vgl Art 2 der Verordnung (EG) Nr. 1299/2007 der Kommis-sion vom 6. November 2007 über die Anerkennung von Erzeu-gergemeinschaften auf dem Hopfensektor (kodifizierte Fassung),ABl 2007 L 289, 4 idF ABl 2008 L 205, 3.82) Die in Frage kommenden Regeln sind im Anhang XVIa derEGMO (FN 45) erschöpfend aufgezählt.83) Art 125f EGMO (FN 45).84) Art 125f EGMO (FN 45).85) Art 123 EGMO (FN 45).86 Art 50 EGMO (FN 45).87) Art 125k EGMO (FN 45).88) Zusammenfassung des Angebots und Vermarktung der Er-zeugung der Mitglieder, gemeinsame Anpassung der Erzeu-gung an die Markterfordernisse und Verbesserung der Erzeug-nisse, Förderung der Rationalisierung und Mechanisierung derErzeugung, Art 123 EGMO (FN 45).

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2006 durch die VO 1184/2006 geringfügig geändert95

und ersetzt. Die Abgrenzungsregeln der VO 1184/2006galten (45 Jahre lang) immer dann, wenn weder die EG-

89) Aufgelistet in Art 123 Abs 3 lit c EGMO (FN 45), zB Bran-chenverbände zur Durchführung von Marktforschung undMarktstudien, zur Ausarbeitung von Standardverträgen, zurUntersuchung des Verbrauchergeschmacks und der Verbrau-chererwartungen, zur Verringerung von Pflanzenschutzmitteln,zum Schutz des ökologischen Landbaus, der Ursprungsbezeich-nungen, Gütesiegel und geografischen Angaben, Förderungumweltfreundlicher Erzeugungsmethoden.90) Art 50 EGMO (FN 45).91) Art 103c Abs 2 lit a, b EGMO (FN 45).92) EuGH 29.10.1980, Rs 139/79 – Maizena / Rat, Rdn 23; EuGH13.5.1971, Rs 41 bis 44/70 – International Fruit Company / Kom-mission, Rdn 68/72. Eine völlige Ausschaltung des Wettbewerbswird aber als unzulässig angesehen, Erhart (FN 15) Rdn 6.93) Art 37 Abs 2 EG, und zwar mit qualifizierter Mehrheit aufVorschlag der Kommission und nach Anhörung des Europäi-schen Parlaments. Bei einfacher Mehrheit zählen die Stimmenaller Mitgliedstaaten gleich viel, bei qualifizierter Mehrheit wer-den die Stimmrechte der einzelnen Staaten unterschiedlich ge-wichtet, vgl Art 205 EG. 94) VO 26/62, ABl 1962 Nr. 30, 993/62.95) Entfallen ist im Ergebnis eigentlich nur Art 3, der allerdings be-reits seit 31.12.1969 gegenstandslos war, Schröter (FN 18) Rdn 2.

len bei Obst und Gemüse ab89). Die Regelungen für Zuckerschreiben vor, dass die Vereinbarungen zwischen den Er-zeugern von Zuckerrohr und Zuckerrüben Absprachenüber die Aufteilung der Bestellungen auf die Erzeuger, überdie Qualität der Erzeugnisse sowie über die Berechnung desPreises enthalten.90 Bei Obst und Gemüse können zB Rück-nahmen vom Markt, eine Ernte vor der Reifung oder dasNichternten von Obst und Gemüse angeordnet werden.91

II. Europäisches Wettbewerbsrecht

A. Allgemeines

1. Die landwirtschaftlichen Regeln gehen zwar den Wettbe-werbsregeln vor, sie dürfen aber – wie erwähnt (I.B.2.) –nicht zu einem völligen Ausschluss des Wettbewerbs füh-ren. Nach Art 36 EG hat der Rat festzulegen, inwieweitdie Wettbewerbsregeln der Art 81 ff EG auch für dieLandwirtschaft gelten.92 Er kann Verordnungen undRichtlinien erlassen, Entscheidungen treffen und Emp-fehlungen abgeben.93 Der Rat hat dazu 1962 die so ge-nannte „Verordnung Nr. 26“94 beschlossen. Sie wurde

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MO noch eine andere besondere landwirtschaftliche Be-stimmung eine Sonderregelung vorsah.96 Im Jahr 2007 hatdie EGMO diese Abgrenzungsregelungen für die von ihrerfassten Erzeugnisse übernommen.97 Die VO1184/2006 selbst gilt jetzt „nurmehr“ für die landwirt-schaftlichen Erzeugnisse, die nicht in der EGMO geregeltsind.98 Inhaltlich gibt es aber keine Unterschiede.

2. VO 1184/200699 und EGMO100 legen übereinstimmendfest, dass die Wettbewerbsregeln des Vertrags101 samtDurchführungsvorschriften102 grundsätzlich auch für dieHerstellung und den Handel mit landwirtschaftlichen Er-zeugnissen gelten.103 Von diesem Grundsatz gibt es dreiAusnahmen.104 Das Verbot des „Artikel 81 Absatz 1 desVertrags“105 gilt nicht für

a. Absprachen, die (wesentlicher) Teil der Marktordnungeines Mitgliedstaates sind;

b. Absprachen, die notwenig sind, um die landwirtschaft-lichen Ziele des Vertrags (Art 33 EG) zu verwirklichen;

c. landwirtschaftliche Erzeugergemeinschaften.

3. Diese Ausnahmen sind eng auszulegen.106 Gegenstand,Inhalt und Grenzen richten sich nach Art 33 EG undnicht nach Art 81 EG.107 In keinem der drei Fälle darf eszu einer vollständigen Ausschaltung des Wettbewerbskommen.108 Die Ausnahmen gelten nur für wettbewerbs-beschränkende Absprachen (Art 81 EG), nicht aber fürwettbewerbswidrige einseitige Maßnahmen (Art 82EG):109 Der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stel-lung kann nicht durch die landwirtschaftlichen Ziele desVertrags gerechtfertigt werden.110

4. Die landwirtschaftlichen Ziele (und die anderen beidenAusnahmen) gehen ausdrücklich nur dem Verbot des Art 81 Abs 1 EG (nicht aber dem ganzen Art 81 EG)vor. Es ist daher systematisch nicht ganz klar, welche Bedeutung in diesem Zusammenhang Art 81 Abs 3 EGhat.111 Nach Art 81 Abs 3 EG sind Verstöße gegen Art 81 Abs 1 EG gerechtfertigt, wenn – vereinfacht gesagt – die Vorteile die Nachteile überwiegen.112 Esliegt dann (insgesamt) kein Verstoß gegen Art 81 EGvor.

96) De Bronett (FN 29) § 32 Rdn 1; Schweizer (FN 18), C, Rdn 10;Erhart (FN 15) Rdn 21; Jestaedt (FN 30) Rdn 10; Buth (FN 17)Rdn 11; Schröter (FN 18) Rdn 2, 24; Schulze-Hagen (FN 15) 159.97) „Wettbewerbsvorschriften“, Art 175 ff EGMO (FN 45); vglauch den 83. Erwägungsgrund.98) Art 1 VO 1184/2006.99) Art 1a f VO 1184/2006.100) Art 175 f EGMO (FN 45).101) Art 81 bis 86 EG.102) Also insbesondere auch die VO 139/2004 [„EG-Fusions-kontrollverordnung“ – FKVO, ABl 2004 L 24, 1] und die VO1/2003 [„Verfahrensverordnung“, ABl 2003 L 1, 1], de Bronett(FN 29) § 32 Rdn 1; Schweizer (FN 18); C, Rdn 6; Erhart (FN 15)Rdn 11; Jestaedt (FN 30) Rdn 2; Buth (FN 17) Rdn 8 f; Schröter(FN 18) Rdn 3; Schulze-Hagen (FN 15) 137.103) Schon aus Artikel 36 sei abzuleiten, „dass die Anwendungder im Vertrag vorgesehenen Wettbewerbsregeln auf die Pro-duktion landwirtschaftlicher Erzeugnisse und den Handel mitdiesen zum Wesen der Gemeinsamen Agrarpolitik gehört“, 2. Erwägungsgrund der VO 1184/2006.104) Für Obst und Gemüse gibt es ein Sonderverfahren fürBranchenvereinbarungen zur Erreichung der besonderen Ziele(FN 88) des Art 123 Abs 3 lit c EGMO (FN 45).105) Art 2 VO 1184/2006 und die Art 176f EGMO erwähnen –inkonsequenterweise – nur den ersten Absatz („Artikel 81 Ab-satz 1 des Vertrags gilt nicht […]“), nicht aber den dritten.106) EuGH 12.12.1995, C-399/93 – Oude Luttikhuis / Coberco,Rdn 23; EuG 13.12.2006, T-217, 245/03 – FNCBV / Kommis-sion („Französisches Rindfleisch“), Rdn 199; EuG 14.5.1997, T-70/92 – Florimex, Rdn 152; Brown / Das / Rayment (FN 29)Rdn 12.200; Erhart (FN 15) Rdn 15; Jestaedt (FN 30) Rdn 2;Schröter (FN 18) Rdn 7; differenzierend Schweizer (FN 18), C,Rdn 13.107) Schweizer (FN 18), C, Rdn 113; Buth (FN 17) Rdn 23;Schröter (FN 18) Rdn 7; wohl auch Jestaedt (FN 30) Rdn 2.

108) Auch wenn das im jeweiligen Gesetz nur für die dritte Aus-nahme ausdrücklich festgelegt ist, de Bronett (FN 29) § 32 Rdn 13.109) EuGH 9.9.2003, C-137/00 – The Queen / Milk Marque,Rdn 64; de Bronett (FN 29) § 32 Rdn 1; Brown / Das / Rayment(FN 29) Rdn 12.200; Schweizer (FN 18), C, Rdn 54; Erhart(FN 15) Rdn 13; Buth (FN 17) Rdn 18, 74; Jestaedt (FN 30) Rdn 2; Bechtold / Bosch / Brinker / Hirsbrunner, EG-Kartellrecht(2005) Art 81 EG, Rdn 4; Mestmäcker / Schweitzer, Europäi-sches Wettbewerbsrecht2 (2004) § 1 Rdn 45; Schröter (FN 18)Rdn 8; de Cockborne (FN 18) 295; Schulze-Hagen (FN 15) 137.110) Jestaedt (FN 30) Rdn 2; Schröter (FN 18) Rdn 8 („unter kei-nen Umständen“); eine analoge Anwendung kommt dahernicht in Frage, Schweizer (FN 18), C, Rdn 54.111) Für de Bronett (FN 29) § 32 Rdn 37 besteht eine „weitge-hende inhaltliche Überschneidung der Tatbestandsvorausset-zungen in beiden Normen“; ähnlich Schweizer (FN 18), C, Rdn 53, nach dem die Voraussetzungen des Art 81 Abs 3 EG„kaum“ vorliegen werden, wenn die Voraussetzungen des Art 2VO 1184/2006 nicht erfüllt sind.112) OGH 21. 3. 2007, 16 Ok 12/06 – Haftungsverbund II uVaEuGH 16.6.1965, Rs 58/64 – Grundig und Consten, Art 81 Abs 3 EG: „Die Bestimmungen des Absatzes 1 können für nichtanwendbar erklärt werden auf Vereinbarungen oder Gruppenvon Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse oderGruppen von Beschlüssen von Unternehmensvereinigungen,aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen oder Gruppen vonsolchen, die unter angemessener Beteiligung der Verbraucheran dem entstehenden Gewinn zur Verbesserung der Waren-erzeugung oder -verteilung oder zur Förderung des techni-schen oder wirtschaftlichen Fortschritts beitragen, ohne dassden beteiligten Unternehmen a) Beschränkungen auferlegtwerden, die für die Verwirklichung dieser Ziele nicht unerläss-lich sind, oder b) Möglichkeiten eröffnet werden, für einen wesentlichen Teil der betreffenden Waren den Wettbewerb aus-zuschalten.“

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a. Art 81 Abs 3 EG ist nach seinem Wortlaut erst dann zuprüfen, wenn die Voraussetzungen des Art 81 Abs 1EG erfüllt sind.113 Wenn Art 81 Abs 1 EG wegen desVorrangs der landwirtschaftlichen Ziele „nicht gilt“,114

kann konsequenterweise auch Art 81 Abs 3 EG nichteingreifen. Andererseits verstößt aber ein Verhalten,dass zwar nach Art 81 Abs 1 EG an sich verboten wäre, aber nach Art 81 Abs 3 EG gerechtfertigt ist,insgesamt nicht gegen Art 81 EG, sodass es keinenSinn macht, den landwirtschaftlichen Zielen irgendei-nen Vorrang einzuräumen.115 Die Ausnahmen der VO1184/2006 und der EGMO müssten daher richtiger-weise als Ausnahmen vom Verbot des „Art 81 EG“ –und nicht bloß vom Verbot des „Art 81 Abs 1 EG“ –verstanden werden.

b. Diese systematische Unstimmigkeit dürfte historischzu erklären sein. Im Verhältnis des Art 81 Abs 1 EG zuArt 81 Abs 3 EG gab es bis zur Einführung der neuenVerfahrensverordnung 1/2003116 eine verfahrenstech-nische Schranke: Art 81 Abs 3 EG galt erst dann, wenndazu eine konkrete (Freistellungs-) Entscheidung derKommission ergangen war.117 Es dürfte wohl die Sor-ge vor einem unnötigen Verfahrensaufwand der Kom-mission dazu geführt haben, bereits bei einer – weil Art 81 Abs 1 EG erfüllt ist – bloß wahrscheinlich beste-henden wettbewerbsbeschränkenden Absprache voneinem Vorrang der landwirtschaftlichen Ziele auszuge-hen und aus praktischen Gründen gar nicht (genau) zu

prüfen, ob tatsächlich ein Wettbewerbsverstoß nachArt 81 EG – also nach Art 81 Abs 1 und Abs 3 EG –vorliegt.

B. Erste Ausnahme: fehlende EU-Marktordnungen

1. Die erste Ausnahme gilt für Absprachen, „die wesent-licher Bestandteil einer einzelstaatlichen Marktordnungsind“. Damit sollte 1962 vorerst weiterhin das Funktio-nieren der in den einzelnen Mitgliedstaaten bestehendenMarktordnungen sichergestellt werden. Die Ausnahme istim Ergebnis aber eine Übergangsbestimmung.118 Der Rathat im Lauf der Zeit die Marktordnungen der Einzelstaa-ten mehr und mehr durch gemeinsame europäischeMarktordnungen119 ersetzt.120 Die Mitgliedstaaten warenund sind dabei verpflichtet, ihre Marktordnungen abzu-schaffen, sobald es – jeweils für ein bestimmtes Erzeug-nis – eine gesamteuropäische Marktordnung gibt.121 In-zwischen sind alle wichtigen landwirtschaftlichen Erzeug-nisse in der EGMO122 geregelt,123 sodass die Bedeutungdieser Ausnahme nur mehr gering ist.124 Die Kommissionhat sie bisher nur in einem Fall im Jahr 1987 angewandt.125

2. Nicht ausdrücklich festgelegt ist, was eine einzelstaatliche„Marktordnung“ ist. Der EuGH126 definiert sie – demEG-Vertrag und seinen landwirtschaftlichen Zielen127

entsprechend – als ein „Bündel rechtlicher Mittel“ zur

Kommission / Französische Republik [„Schaffleisch“], Rdn 7; EuGH10.12.1974, Rs 48/74 – Charmasson / Ministre de l‘économie etdes finances, Rdn 20; EuGH 29.11.1978, C-083/78 – Pigs Mar-keting Board / Raymond Redmond, Rdn 56/57; EuGH 18.5.1977,Rs 111/76 – Officier van Justitie / van den Hazel, Rdn 13.122) Und der Marktordnung für Fischerei, ABl 2000 L 17, 22 idFABl 2006 L 335, 3.123) Vgl FN 45.124 De Bronett (FN 29) § 32 Rdn 14; Brown / Das / Rayment(FN 29) Rdn 12.202; Schweizer (FN 18), C, Rdn 19; Erhart(FN 15) Rdn 16; Jestaedt (FN 30) Rdn 8; Buth (FN 17) Rdn 35 f;Bechtold / Bosch / Brinker / Hirsbrunner (FN 108) Art 81 EG, Rdn6; Van Bael / Bellis (FN 18) 1457; Ritter / Braun (FN 55) 880;Schröter (FN 18) Rdn 2, 12; de Cockborne (FN 18) 297; Schul-ze-Hagen (FN 15) 147.125) Kom 18.12.1987, ABl 1988 L 59, 25 – Frühkartoffeln, deBronett (FN 29) § 32 Rdn 14; Schweizer (FN 18), C, Rdn 26; Erhart (FN 15) Rdn 13; Jestaedt (FN 30) Rdn 8; Buth (FN 17) Rdn 36; Schröter (FN 18) Rdn 12; Wiedner (FN 15) Rdn 11; deCockborne (FN 18) 299.126) EuGH 10.12.1974, Rs 48/74 – Charmasson / Ministre del‘économie et des finances, Rdn 26; vgl bereits EuGH 13.11.1964, Rs 90, 91/64 – Kommission / Luxemburg und Belgien [Slg1964, 1331, 1348]; Kom 18.12.1987, ABl 1988 L 59, 25 – Früh-kartoffeln, Punkt B.I.1.127) Art 33 Abs 1 EG.

113) Art 81 Abs 3 EG beginnt mit: „Die Bestimmungen des Ab-satzes 1 können für nicht anwendbar erklärt werden […]“.114) Art 2 VO 1184/2006 und die Art 176f EGMO: „Artikel 81Absatz 1 des Vertrags gilt nicht […]“.115) Das sieht wohl auch der EuGH so, nach dem zu prüfen ist,ob die Voraussetzungen des Art 81 Abs 3 EG zu prüfen sind,wenn die Voraussetzungen des Art 2 VO 1184/2006 nicht er-füllt sind, zB EuGH 12.12.1995, C-399/93 – Oude Luttikhuis /Coberco, Rdn 30; EuGH 12.12.1995, C-319/93, Friesland Coö-peratie BA und Cornelis van Roessel, Rdn 24.116) Vgl FN 101.117) Die in der Praxis regelmäßig durch ein „formloses Verwal-tungsschreiben“ ersetzt wurde, zB de Bronett (FN 29) Verord-nung Nr. 17, Art 2 Rdn 5.118) Schweizer (FN 18), C, Rdn 19; Jestaedt (FN 30) Rdn 8;Schröter (FN 18) Rdn 9; im Ergebnis auch Brown / Das / Ray-ment (FN 29) Rdn 12.202; Buth (FN 17) Rdn 35; de Cockborne(FN 18) 297 f.119) Art 34 Abs 1 lit c EG, oder durch andere der in Art 34 EGvorgesehenen Formen, wie gemeinsame Wettbewerbsregeln(Art 34 Abs 1 lit a EG) oder durch eine „bindende Koordinierungder verschiedenen einzelstaatlichen Marktordnungen“ (Art 34Abs 1 lit b EG).120) Art 37 Abs 2 EG.121) EuGH 29.3.1979, Rs 231/78 – Kommission / VereinigtesKönigreich [„Kartoffeln“], Rdn 15; EuGH 25.9.1979, C-232/78 –

Page 9: WETTBEWERB IN DER LANDWIRTSCHAFT – Teil I · 2020-02-07 · zeugnisse sind im Anhang I zum EG-Vertrag abschließend ... Aufzählung16 (was zum Teil als zu starres System kritisiert

Abhandlungen

140 | OZK 2009 / 4

hoheitlichen Regulierung und Beaufsichtigung einesMarkts, um eine Stabilisierung der Märkte,128 eine Steige-rung der Produktivität, die Sicherstellung der Versorgung,ein angemessenes Einkommen der Landwirte und ange-messene Preise für die Verbraucher zu erreichen.129 Eineeinzelstaatliche Marktordnung im Sinn der ersten Aus-nahme ist damit – kurz gesagt – eine Regelung, die aufEbene eines Mitgliedstaates die gleichen Ziele verfolgtwie die Art 32 ff EG auf gesamteuropäischer Ebene.130

3. Einzelne Eingriffe in den Markt – wie zB die mengenmä-ßige Beschränkung der Einfuhr von Bananen aus anderenMitgliedstaaten durch Frankreich131 – sind noch keineMarktordnung.132 Die Voraussetzungen für eine Markt-ordnung sind aber erfüllt, wenn die Landwirtschaftsbe-

hörden die Marktregulierung berufsständischen Körper-schaften übertragen und sie selbst nur die Aufsicht ausü-ben.133 Es müssen zumindest Absprachen vorliegen, dievon den Behörden gebilligt worden sind.134 Diese Ab-sprachen müssen ein „wesentlicher Bestandteil“ derMarktordnung sein. Dazu reicht nicht, dass die Abspra-che die Organisation des Markts erleichtert. Sie muss viel-mehr für das Funktionieren der einzelstaatlichen Markt-ordnung unerlässlich sein.135 In Österreich gibt es keinenationalen Marktordnungen mehr.136

Fortsetzung in der OZK 5/2009

132) EuGH 10.12.1974, Rs 48/74 – Charmasson / Ministre del‘économie et des finances, Rdn 27; das Gleiche gilt (natürlich)für private Marktregelungen, mögen sie auch ähnlich wie staat-liche Marktordnungen organisiert sein.133) Kom 18.12.1987, ABl 1988 L 59, 25 – Frühkartoffeln,Punkt B.I.2.134) Schweizer (FN 18), C, Rdn 21; Jestaedt (FN 30) Rdn 6;Schröter (FN 18) Rdn 10; de Cockborne (FN 18) 298.135) Jestaedt (FN 30) Rdn 7 unter Berufung auf Schröter (FN 18)Rdn 11. Ob man in der Wesentlichkeit ein eigenes Kriterium,Schröter (FN 18) Rdn 13, oder einen „Prüfungsmaßstab“ sieht,Erhart (FN 15) Rdn 18, scheint in erster Linie eine Frage derWortbedeutung („Semantik“) zu sein.136) Das Bundesgesetz über die Durchführung der gemeinsa-men Marktorganisationen (Marktordnungsgesetz 2007 – MOG2007), BGBl 55/2007, enthält nur Verfahrensvorschriften zurAnwendung der gesamteuropäischen Marktordnungen, Walzelvon Wiesentreu (FN 43) 1220.

128) Damit ist die Schaffung von dauerhaft funktionierendenund gegen Krisen abgesicherten Märkten gemeint; ohne solcheMärkte ist ein angemessenes Einkommen für die Landwirtschaftnicht möglich, Busse in Lenz / Borchardt, EU- und EG-Vertrag4

(2006) Art 31 EGV, Rdn 13.129) Wörtlich: „ein Bündel rechtlicher Mittel, dass die Regulierungdes Marktes der betreffenden Erzeugnisse hoheitlicher Aufsichtunterstellt, um durch die Steigerung der Produktivität und durchden bestmöglichen Einsatz der Produktionsfaktoren, insbesonde-re der Arbeitskräfte, eine angemessene Lebenshaltung für die Er-zeuger, die Stabilisierung der Märkte, die Sicherheit der Versor-gung und angemessene Verbraucherpreise zu gewährleisten“.130) EuGH 10.12.1974, Rs 48/74 – Charmasson / Ministre de l‘éco-nomie et des finances, Rdn 22/25; vgl die in DGAR (FN 37) 18 ff an-geführten Beispiele aus den damaligen Mitgliedsstaaten der EWG.131) Auf französischem Staatsgebiet werden Bananen zB in Fran-zösisch Guyana angebaut, vgl http://en.wikipedia.org/wiki/Banana.

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Das Buch soll sowohl für Juristen einen Einstieg in eine spe-zielle Materie bieten, es soll jedoch auch juristischen Laien, diepersönlich oder im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit mitZwangsversteigerungen in Berührung kommen, einen Über-blick über das Verfahren verschaffen und ihnen dessen Ablaufverständlich machen. Es verzichtet bewusst auf Zitate aus derJudikatur und verweist lediglich auf die gesetzlichen Bestim-mungen.

Mag. Markus Riedl ist Richter für Exekutions- und Bestand-sachen am BG Innere Stadt.

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