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Wie viele Götter sind im Himmel? · 2018. 9. 4. · Katja Dubiski, Ibtissame Essich, Friedrich Schweitzer, Anke Edelbrock, Albert Biesinger Religiöse Differenzwahrnehmung im Kindesalter

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  • Wie viele Götter sind im Himmel? Religiöse Differenzwahrnehmung im Kindesalter

  • Interreligiöse und Interkulturelle Bildung

    im Kindesalterherausgegeben von

    Albert BiesingerAnke Edelbrock

    Helga Kohler-SpiegelFriedrich Schweitzer

    Band 1

    Waxmann 2010Münster / New York / München / Berlin

  • Anke EdelbrockFriedrich Schweitzer

    Albert Biesinger (Hg.)

    Wie viele Götter sind im Himmel? Religiöse Differenzwahrnehmung

    im Kindesalter

    Waxmann 2010Münster / New York / München / Berlin

  • Bibliografi sche Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografi e; detaillierte bibliografi sche Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

    Gefördert durch die

    Interreligiöse und Interkulturelle Bildung im Kindesalter, Bd. 1

    ISSN 2191-2114ISBN 978-3-8309-2391-6

    © 2010 Waxmann Verlag GmbHPostfach 8603, 48046 MünsterWaxmann Publishing Co.P.O. Box 1318, New York, NY 10028, USA

    [email protected]

    Umschlaggestaltung: Christian Averbeck, MünsterTitelbild: © VRD – Fotolia.comSatz: Stoddart Satz- und Layoutservice, MünsterDruck: Hubert & Co., Göttingen

    Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier,säurefrei gemäß ISO 9706

    Alle Rechte vorbehalten. Printed in Germany.

    http://dnb.d-nb.dehttp://www.waxmann.commailto:[email protected]

  • Inhalt

    Dorothee Hess-MaierMein Gott – Dein Gott, kein Gott? Religionen in Kitas erleben .............................7

    Anke Edelbrock, Friedrich Schweitzer, Albert Biesinger Zur Einleitung ..........................................................................................................9

    Teil 1: Interreligiöse Differenzwahrnehmung im Kindesalter – Befunde, Diskussionen, Perspektiven

    Albert Biesinger, Friedrich Schweitzer, Anke EdelbrockInterkulturelle und interreligiöse Bildung in KindertagesstättenDas Forschungs- und Entwicklungsprojekt im Überblick .....................................15

    Katja Dubiski, Ibtissame Essich, Friedrich Schweitzer, Anke Edelbrock, Albert BiesingerReligiöse Differenzwahrnehmung im KindesalterBefunde aus der empirischen Untersuchung im Überblick ...................................23

    Rachel HerwegReligiöse und kulturelle Unterschiedlichkeit als pädagogische Herausforderung im Elementarbereich. Eine jüdische Perspektive .......................39

    Rabeya MüllerReligiöse Differenzwahrnehmung im KindesalterEine islamische Perspektive ...................................................................................51

    Karin S. AmosDie Erfahrung religiöser Differenz in der Kindertagesstätte – ein Kommentar aus erziehungswissenschaftlicher Perspektive .............................61

    Sturla SagbergChildren’s Faith – a Matter of Morality?Ethical Perspectives on Faith and Culture, Examples From Norwegian Case Studies ...............................................................................77

    Ina ter AvestDer Andere – fast so wie ich? Der Unterschied zwischen dem Ich und dem Anderen aus der Sicht von Kindergartenkindern ...................................................89

  • Friedrich SchweitzerInterreligiöse Bildung – bildungstheoretische Perspektiven ................................105

    Teil 2:Die Tübinger Studie

    Katja Dubiski, Ibtissame Essich, Friedrich Schweitzer, Anke Edelbrock, Albert BiesingerReligiöse Differenzwahrnehmung im KindesalterEine qualitativ-empirische Untersuchung mit Kindern im Alter zwischen 4 und 6 Jahren ........................................................................121

    1. Theoretische Hintergründe in Psychologie, Pädagogik und Religionspädagogik – Zum Stand der Forschung ...................................122

    1.1 Psychologische Ansätze ..........................................................................1221.2 Pädagogische und religionspädagogische Ansätze..................................1302. Zielsetzung der Untersuchung .................................................................1393. Vorgehensweise und Untersuchungsmethoden .......................................1413.1 Vorgehen ..................................................................................................1413.2 Durchführung ..........................................................................................1454. Ergebnisse ...............................................................................................1504.1 Einzelporträts...........................................................................................1504.2 Übergreifende Befunde ...........................................................................1584.2.1 Wissen .....................................................................................................1594.2.2 Erleben.....................................................................................................1704.2.3 Einstellungen ...........................................................................................1734.2.4 Sprachfähigkeit ........................................................................................1805. Diskussion ...............................................................................................1865.1 Wissen: Religiöse Weltsichten der Kinder ..............................................1865.2 Erleben: Eindrücke und Erfahrungsverarbeitung ....................................1885.3 Einstellungen: Innere Landkarten ...........................................................1895.4 Sprachfähigkeit: Voraussetzung für interreligiöse Kommunikation .......190 Zusammenfassung: Kinder noch ohne Xenophobie? ..............................1916. Pädagogische Implikationen....................................................................191

    Anhang: Interviewleitfäden .................................................................................195

    Autorinnen und Autoren ......................................................................................201

  • Dorothee Hess-Maier

    Mein Gott – Dein Gott, kein Gott? Religionen in Kitas erleben

    Die Vielfalt an religiösen Überzeugungen und Glaubensgemeinschaften ist heut-zutage groß in Deutschland. Neben Protestanten, Katholiken, Orthodoxen und anderen christlichen Gruppierungen etablierte sich der Islam mit rund 4 Millio-nen Gläubigen noch vor Judentum und Buddhismus als drittgrößte und auch in sich vielfältige Religionsgemeinschaft mit diversen religiösen Richtungen innerhalb sun-nitischer, schiitischer und alevitischer Strömungen.

    Bedingt durch die hohe Zahl von Migrantenfamilien verändern sich in Deutsch-land die Bevölke rungsstrukturen in Ballungsgebieten, aber auch in ländlichen Regi-onen ganz entscheidend – ein Herd für verborgen oder auch offen ausgetra gene gesellschaftliche Konfl ikte. Oft gibt es erhebliche kulturelle Unterschiede zwischen Zuwande rern und „einheimischen“ Deutschen, aber auch zwischen den national und religiös defi nierten Migrantengruppen.

    Umso wichtiger erscheint die Frage: Wann und in welchem Rahmen soll die Integration von Migrantenkindern und die religiös-kulturelle Sensibilisierung von Kindern aus deutschen Familien beginnen? Und wie können Erzieherinnen auf diese wichtige pädagogi sche Aufgabe vorbereitet werden? Die Verantwortlichen der gemeinnützigen Stiftung Ravensburger Verlag und die katholischen bzw. evan-gelischen Religionspädagogen der Universität Tübingen, die bereits seit dem Jahr 2004 gemeinsam wissenschaftliche Forschungspro jekte erarbeiten, sind sich über die Grundeinstellung zu diesen Fragen einig:

    Kindergärten und Kitas bieten die früheste Chance zur Integration, weil sich dort erstmals in ihrem Leben Kinder aus christlichen, muslimischen, jüdischen, buddhis-tischen und konfes sionslosen Familien treffen. Hier können sie frühzeitig die Ver-schiedenheit und die Gemein samkeiten von Religionen erleben und erkennen. Auf der Grundlage einer wertorientierten Erziehung, die individuelle religiöse Vorstel-lungen und Rituale respektiert, können Drei- bis Sechsjährige in ihrer Kita ganz praktisch religiöse Differenzen beobachten und Rituale gemein sam „ausprobieren“. Diese ersten prägenden Erfahrungen bieten ihnen eine frühe Chance zu Toleranz und Integration.

    Werteerziehung stellt für die Stiftung einen wichtigen Baustein für die früh-kind li che Bildungs arbeit dar, dazu gehört auch religiöse Begleitung. Das von der Stif tung geförderte Tübinger Forschungsprojekt „Interkulturelles und interreli-giöses Lernen in Kindertagesstätten“, eine mehrjährige empirische und repräsen-tative Bestandsaufnahme und qualitative Auswertung der Situation in kirchlichen und kommunalen Kindertagesstätten Deutschlands, soll einen Impuls in die Bil-dungslandschaft geben. Es soll dazu bei tragen, die Kompetenz von Erziehe rin-nen, an die hohe Ansprüche gestellt werden, zu steigern und die Integration mus-

  • 8 Dorothee Hess-Maier

    limischer Kinder in Kitas zu fördern, ihre spätere Ausgrenzung zu verhindern und stattdessen ihre Integration zu erleichtern.

    Das wissenschaftliche Symposion „Religiöse Differenzwahrnehmung im Kindes-alter“, das im Frühjahr 2010 in Tübingen mit Referenten und Teilnehmern aus For-schung und Institutionen in Deutsch land, Norwegen und den Niederlanden statt-fand, bereitete den Boden für einen fruchtbaren Dialog und für die in diesem Band versammelten Beiträge. Für das Forschungs team stellte es einen Zwi schenschritt dar, eine selbst auferlegte Positionskontrolle. Deshalb ist die Lektüre der Diskussi-onsbeiträge so spannend.

    Die Stiftung Ravensburger Verlag bedankt sich beim Team der Evangelischen und der Katholischen Religionspädagogik an der Universität Tübingen für diese Ini-tiative, speziell bei den Projektleitern Professor Dr. Albert Biesinger, Professor Dr. Friedrich Schweitzer und Dr. Anke Edelbrock. Wir hoffen, dass dieser Sam melband – wie schon die erste Publikation „Mein Gott – Dein Gott“ mit den Ergebnissen der Pilotstudie – einen Anstoß in die Bil dungslandschaft gibt, um die interreligiöse und interkulturelle Bildung im Kindergarten fest zu verankern.

  • Anke Edelbrock, Friedrich Schweitzer, Albert Biesinger

    Zur Einleitung

    Im Zentrum dieses Bandes steht die Frage, wie Kinder religiöse Unterschiede in ihrer eigenen Lebenswelt wahrnehmen. Der Schwerpunkt liegt bei Kindern in Kin-dertagesstätten und damit bei der Situation, in der Kinder häufi g erstmals in dauer-hafter Form mit anderen Kindern zusammen sind, die andere kulturelle und religi-öse Hintergründe aufweisen als sie selbst. Bislang haben die empirische Forschung ebenso wie die Bildungs- und Sozialpolitik diesen Aspekt im Aufwachsen der Kin-der fast durchweg ausgespart. Angesichts einer zunehmend multireligiösen Gesell-schaft – in Deutschland leben beispielsweise mehr als 4 Millionen Muslime – kann es nicht mehr einleuchten, die Fragen einer interreligiösen Bildung und damit auch der religiösen Differenzwahrnehmung im Kindesalter auszublenden.

    In diesem Band geht es an erster Stelle um empirische Einsichten in die Art und Weise, wie Kinder selbst mit der multikulturellen und multireligiösen Situation umgehen. Da die bisherige Forschung, vor allem in der Erziehungswissenschaft, sich fast ausschließlich auf interkulturelle Beziehungen und Aspekte bezieht und alle auf Religion bezogenen Fragen übergeht, konzentrieren wir uns auf die interre-ligiöse Dimension und auf interreligiöse Bildung.

    Damit reagieren wir aber nicht nur auf Defi zite in den bislang verfügbaren Untersuchungen, sondern wollen auch zum Ausdruck bringen, dass Bildung sinn-orientiert und sinnorientierend sein muss. Sinnfi ndungsprozesse können pädago-gisch nicht einfach hergestellt werden, aber Kinder brauchen auch Unterstützung bei ihrem Bemühen, Orientierung in der Welt zu fi nden. Dabei spielen ihre „gro-ßen Fragen“ eine wichtige Rolle, nicht zuletzt auch in interreligiöser Hinsicht. Die für Kinder schon immer wichtige Frage nach Gott – „Wer oder was ist Gott eigent-lich?“ wird nun anders gestellt: „Wie viele Götter sind im Himmel?“

    Religion ist ein Zukunftsthema, ebenso individuell wie gesellschaftlich. Religion kann dabei eine Bereicherung sein und eine Ressource für das persönliche und für das gemeinsame Leben, aber sie kann auch zu Konfl ikten führen oder in Auseinan-dersetzungen einbezogen sein. Das Problem von Vorurteilen und die Aufgabe einer Bildung zu Toleranz, wechselseitigem Respekt und gegenseitiger Anerkennung wer-den in den Beiträgen des vorliegenden Bandes immer wieder angesprochen. Offen-bar spielen schon für Kinder religiöse Wahrheitsansprüche eine wichtige Rolle. Sie nehmen religiöse Überzeugungen nicht bloß zur Kenntnis, sondern sie wollen wis-sen, was verlässlich ist und woran sie sich halten können. Das gehört zu ihrer Ori-entierung im Leben.

    Solche Überlegungen waren Anlass für eine Tübinger Forschergruppe, ein eige-nes Projekt zu Interkultureller und Interreligiöser Bildung in Kindertagesstätten durchzuführen. Nach einer Pilotstudie, deren Ergebnisse bereits veröffentlicht sind1,

    1 F. Schweitzer/A. Biesinger/A. Edelbrock (Hg.), Mein Gott, Dein Gott. Interkulturelle und inter-religiöse Bildung in Kindertagesstätten, Weinheim/Basel 22009.

  • 10 Anke Edelbrock, Friedrich Schweitzer, Albert Biesinger

    folgen nun erste Ergebnisse zu einem Teilprojekt, das sich auf die Kinder bezieht. Weitere Veröffentlichungen zu den Kindertagesstätten, zu den Erzieherinnen sowie zu den Eltern sind geplant. Gegenwärtig werden hierzu Repräsentativstudien durch-geführt.

    In Deutschland steht derzeit vielfach die Beziehung zwischen Christen und Mus-limen im Vordergrund. Dies entspricht der demographischen Situation und wird deshalb auch im vorliegenden Band besonders berücksichtigt. Doch dürfen die quantitativen Verhältnisse nicht dazu führen, dass das Judentum und jüdische Kin-der in Deutschland einfach vergessen werden. So ist es gut, dass in diesem Band beide, Islam (Rabeya Müller) und Judentum (Rachel Herweg), mit eigenen Beiträ-gen vertreten sind. Auch andere Kinder – ohne Konfessionszugehörigkeit oder mit einer anderen als den genannten Religionszugehörigkeiten – sind mit im Blick, auch wenn sie hier nicht gleichermaßen im Zentrum stehen.

    Nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Ländern der westlichen Welt wird gefragt, wie eine religiöse und interreligiöse Begleitung schon im Kindesalter gestaltet werden kann. Wir freuen uns, dass es gelungen ist, mit den Beiträgen von Sturla Sagberg (Norwegen) und Ina ter Avest (Niederlande) auch den internationa-len Horizont mit in die Diskussion einzubeziehen. Wie in vielen anderen Bereichen gilt auch für Ansätze einer interreligiösen Bildung im Elementarbereich, dass sich das wissenschaftliche Verständnis nicht mehr auf den deutschen Diskussionszusam-menhang beschränken kann. So werden in diesem Band verschiedene Nationen und Religionen angesprochen und sind Vertreterinnen und Vertreter verschiedener Berei-che und wissenschaftlicher Disziplinen beteiligt. Kinder- und Kindheitsforschung ist ein interdisziplinäres Unternehmen.

    Terminologisch ist es nicht immer leicht, die richtigen Bezeichnungen zu fi n-den. Vor allem die Beiträge aus unserem Projekt orientieren sich an den religiösen Hintergründen, ohne dass beispielsweise bei den Kindern jeweils eigens kenntlich gemacht wird, wie sich Religions- und Nationalitätszugehörigkeit zueinander ver-halten. Zum Teil folgen wir auch einfach dem Sprachgebrauch der Kinder selbst. Leserinnen und Leser sollten dabei nicht vergessen, dass neueren Angaben zufolge rund die Hälfte der in Deutschland lebenden Muslime deutsche Staatsbürger sind.2

    Den Ausgangspunkt für diesen Band bildete ein internationales Symposion, das im Januar 2010 in Tübingen stattfand. Der vorliegende Band bietet jedoch keine Dokumentation des Symposions. Vielmehr wurde der größte Teil des Bandes erst für diese Veröffentlichung verfasst. Bei dem Symposium ging es darüber hinaus zum Teil auch um Erfahrungen aus der Arbeit mit Eltern. Unsere Befunde zu die-sem Thema sollen in einem eigenen Band veröffentlicht werden, in dem dann auch der beim Symposion vorgetragene Diskussionsbeitrag von Frau Gisela Brude-Fir-nau, Berlin einen Platz fi nden soll.

    Das Projekt wäre nicht denkbar gewesen ohne die innovative, großzügige und verlässliche Unterstützung der Stiftung Ravensburger Verlag. Für ihr weitsichtiges

    2 „Zu den 2,1 bis 2,3 Millionen Muslimen ausländischer Staatsangehörigkeit [kommen] zusätz-lich zwischen 1,7 und 2,0 Millionen deutsche Muslime mit Migrationshintergrund der entspre-chenden Länder hinzu.“ Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Hg.), Muslimisches Leben in Deutschland, im Auftrag der Deutschen Islam Konferenz, Nürnberg 2009, 78.

  • 11Zur Einleitung

    Engagement wollen wir an dieser Stelle Frau Hess-Maier als Vorsitzender sowie Frau Andrea Reidt als Projektleiterin des Stiftung Ravensburger Verlag besonders danken.

    Sehr zu Dank verpfl ichtet sind wir auch allen Autorinnen und Autoren, die zu diesem Band beigetragen haben. Das Tübinger Gesamtteam, das über die Heraus-geber und Autorinnen noch einmal hinausreicht und das die Entstehung dieses Ban-des ebenfalls begleitet und unterstützt hat, wird in den entsprechenden Beiträgen genannt.

    Tübingen, im Sommer 2010 Anke Edelbrock Friedrich Schweitzer Albert Biesinger

  • Teil 1: Interreligiöse Differenzwahrnehmung im Kindesalter –

    Befunde, Diskussionen, Perspektiven

  • Albert Biesinger, Friedrich Schweitzer, Anke Edelbrock

    Interkulturelle und interreligiöse Bildung in KindertagesstättenDas Forschungs- und Entwicklungsprojekt im Überblick

    Der vorliegende Band zur religiösen Differenzwahrnehmung im Kindesalter steht im Zusammenhang eines weiteren Arbeitsvorhabens, das sich auf interkulturelle und interreligiöse Bildung in Kindertagesstätten bezieht. Im Zentrum geht es um die Aufgabe, wissenschaftlich-empirische Einsichten zur Praxis in den Einrichtun-gen zu gewinnen – als Voraussetzung dafür, diese Praxis unterstützen und gemein-sam mit den Einrichtungen weiterentwickeln zu können.

    Da die Kenntnis der weiteren Arbeitszusammenhänge auch für das Verständ-nis der in diesem Band vorgestellten Befunde bedeutsam ist, soll das Gesamtpro-jekt an dieser Stelle zumindest in Umrissen beschrieben werden. Dazu gehört auch das bereits abgeschlossene Pilotprojekt, dessen Ergebnisse als eigene Veröffentli-chung vorliegen.1 Diese Ergebnisse waren ein wichtiger Ausgangspunkt für das jet-zige Projekt.

    1. Hintergründe: Interreligiöse Bildung in Kindertagesstätten als übergangene Herausforderung

    Die Voraussetzungen für das Forschungsprojekt wurden bereits im Zusammenhang der Pilotstudie beschrieben. Einiges davon muss an dieser Stelle wiederholt wer-den. Im Zentrum des Vorhabens steht das Aufwachsen in der Pluralität, als Heraus-forderung ebenso für jedes einzelne Kind als auch für die Gesellschaft. Thema ist die interkulturelle und vor allem die interreligiöse Bildung im Kindesalter (Elemen-tarbereich).

    Die Kinder, die heute Kindertagesstätten besuchen, werden, statistisch gesehen, bis weit hinein in das 21. Jahrhundert leben und dieses Jahrhundert gestalten. Sie werden sich damit auseinanderzusetzen haben, dass Religion sich auch in Deutsch-land zu einem immer wichtiger werdenden Thema entwickelt. Kompetenzen für die interreligiöse Verständigung und zum Dialog sind grundlegend für die Bewälti-gung gegenwärtiger und zukünftiger Lebenssituationen. Nicht nur im Blick auf die gesellschaftliche Entwicklung, sondern auch im Blick auf jedes einzelne Kind, sind wir davon überzeugt, dass Kinder ein Recht auf Religion und auf religiöse Beglei-tung haben.2 Eltern, Kindertagesstätten oder auch die Gesellschaft haben umgekehrt

    1 F. Schweitzer/A. Biesinger/A. Edelbrock (Hrsg.), Mein Gott, Dein Gott. Interkulturelle und in-terreligiöse Bildung in Kindertagesstätten, Weinheim/Basel 22009.

    2 F. Schweitzer, Das Recht des Kindes auf Religion. Ermutigungen für Eltern und Erzieher, Gü-tersloh 22005.

  • 16 Albert Biesinger, Friedrich Schweitzer, Anke Edelbrock

    nicht das Recht, „Kinder um Gott zu betrügen“.3 Im Blick auf die Familie ist die Frage, ob Kinder Religion brauchen, in einem unserer früheren Projekte gestellt und zum Teil beantwortet worden.4 Weitergehend ist zu klären, wie es in Kindertages-stätten möglich sei, eine religiöse Begleitung von Kindern zu gewährleisten, und dies unter den Voraussetzungen einer kulturell und religiös immer pluraleren Situ-ation.

    Soll diese bildungstheoretisch und gesellschaftlich sich aufdrängende Fragestel-lung nicht willkürlich behandelt werden, ist eine wissenschaftlich fundierte Analyse und Refl exion unerlässlich. So ist es mehr als erstaunlich, dass es zu diesem Pro-blembereich bislang keine Ergebnisse gibt, die weiterführende Handlungsorientie-rungen erschließen und unterstützen. So gibt es zwar zahlreiche Untersuchungen zum interkulturellen Lernen, aber die religiöse Dimension von Kultur bleibt weit-hin ausgeblendet. Deshalb legen wir selbst den Schwerpunkt nicht erneut auf Fra-gen von Interkulturalität, sondern stellen Religion und interreligiöse Beziehungen in den Vordergrund. Man könnte auch sagen, dass es uns um die Einheit des interkul-turellen und interreligiösen Lernens geht.

    Im Jahr 2006 hat die Bundesregierung mit der Ausrufung eines „Bündnisses für Erziehung“5 in Aussicht gestellt, diesen Bereich endlich zu erforschen. Dieses Vor-haben ist jedoch noch immer nicht eingelöst. Selbst die elementarsten religionsbe-zogenen und religionspädagogischen Fragen im Blick auf die Kindertagesstätte las-sen sich, empirisch fundiert, nicht beantworten. Es ist nicht einmal bekannt, wel-che Religionszugehörigkeiten die Kinder in den Einrichtungen haben. Deutschland braucht jedoch nicht nur wirtschaftliches Wachstum, sondern auch soziales Wachs-tum, kulturelle und interreligiöse Verständigung.

    Im Blick auf die Kirchen, in deren Trägerschaft viele der Kindergärten und Kin-dertagesstätten in Deutschland stehen, stellt sich die Situation naturgemäß anders dar. Das Thema der religiösen Bildung ist hier keineswegs verdrängt. Schwieriger sieht es jedoch auch hier im Blick auf interreligiöse Bildung aus. Wie Christen und Muslime zusammenleben und sich miteinander verständigen können, wenn dabei auch der Glaube nicht ausgespart bleiben soll, diese Frage hat noch keine abschlie-ßende Antwort gefunden, weder in der Kirche noch in der Theologie. Schließ-lich noch eine Vorbemerkung zu unserer Terminologie. Bewusst sprechen wir von „interreligiöser Bildung“, nicht wie sonst häufi g üblich von „interreligiösem Ler-nen“. Wir wollen hervorheben, dass auch Religion, Religionen und Interreligiosi-tät einen Platz in der neuen Debatte über Bildungsaufgaben in der Kindheit haben müssen. Bildung kann sich nicht nur auf sprachliche Fähigkeiten oder mathema-tisch-naturwissenschaftliches Denken beschränken.

    Das Projekt bezieht sich mit dem Thema der religiösen Pluralität also auf Her-ausforderungen im Elementarbereich, die einerseits zunehmend bewusst sind, die andererseits aber noch immer weithin vernachlässigt werden. Besonders in der

    3 So der bewusst provozierende Titel von A. Biesinger, Kinder nicht um Gott betrügen. Anstif-tungen für Mütter und Väter, überarb. Neuaufl age Freiburg 142007.

    4 A. Biesinger/H.-J. Kerner/G. Klosinski/F. Schweitzer (Hrsg.), Brauchen Kinder Religion? Neue Erkenntnisse – Praktische Perspektiven, Weinheim/Basel 2005.

    5 Vgl. A. Biesinger/F. Schweitzer (Hrsg.), Bündnis für Erziehung. Unsere Verantwortung für ge-meinsame Werte, Freiburg 2006.

  • 17Interkulturelle und interreligiöse Bildung in Kindertagesstätten

    erziehungs- und sozialwissenschaftlichen Forschung und Literatur hat man sich bis-lang noch kaum auf diese Herausforderungen eingelassen. Zwar werden interkultu-relle Zusammenhänge durchaus breit diskutiert, aber die religiöse Dimension wird auch dabei in aller Regel ausgespart. Religiöse Pluralität fi ndet sich aber auch in den Kindergärten und Kindertagesstätten. In den Fachzeitschriften der Kinderta-gesstätten wird oft die kulturelle Pluralität diskutiert,6 die religiöse Dimension fi n-det dabei weit weniger Berücksichtigung.7 Ursula Neumann jedoch schreibt in den Materialien zum 12. Kinder- und Jugendbericht mit Blick auf die unter sechsjähri-gen Kinder mit Migrationshintergrund: „Für die Bildungsvoraussetzungen von Kin-dern mit Migrationshintergrund ist der Zusammenhang zwischen Sprache und Reli-gion bedeutsam. In den Familien besteht sowohl eine starke Loyalität gegenüber den Herkunftssprachen als auch gegenüber der Religion der Herkunft. Beide Orien-tierungen sind verknüpft und in der Praxis der Familien oft aneinander gebunden.“8 In diesen Äußerungen wird zwar der enge Zusammenhang zwischen Kultur und Religion berücksichtigt, aber entsprechende Konsequenzen für eine weitere Unter-suchung dieses Zusammenhangs bleiben aus. Wie fi ndet interkulturelle und interre-ligiöse Bildung in Kindertagesstätten statt? Zu dieser Fragestellung liegen bislang keine empirischen Daten vor.9

    2. Das Pilotprojekt

    Das nun schon mehrfach angesprochene Pilotprojekt wurde bereits in einer Publika-tion dargestellt.10 Angesichts des Fehlens empirischer Daten zum Thema „interkul-turelle und interreligiöse Bildung in Kindertagesstätten“ bestand die Aufgabe darin,

    6 Ch. Schurian-Bremecker, „Da redet niemand mit mir …“. Interkulturelle Kompetenzen bei Er-zieherinnen. In: Kinderzeit 1 (2006), 20-22; A. Ibrahim-Zimmermann, Zwischen Identität und Pluralität. In: Welt des Kindes 2 (2006), 23-25; S. Ilhan-Herkert, Vielfalt erlebbar machen. In: Welt des Kindes. Fachzeitschrift für Kindertageseinrichtungen 2 (2009), 8-11.

    7 Medi Kuhlemann z.B., Referentin für Interkulturelle Pädagogik im Kinder- und Jugendschutz, Aktion Kinder- und Jugendschutz (AKJS) in Kiel, thematisiert in ihren Ausführungen aber auch die Religion. Vgl. M. Kuhlemann, Unvertrautem mit Neugier begegnen. Das Aufwach-sen in einer multikulturellen Gesellschaft begleiten. In: klein&groß 7/8 (2006), 7-13, besonders 12f.

    8 U. Neumann, Kindertagesangebote für unter sechsjährige Kinder mit Migrationshintergrund. In: L. Ahnert/H.-G. Rossbach/U. Neumann/J. Jeinrich/B. Koletzko, Bildung, Betreuung und Erzie-hung von Kindern unter sechs Jahren, (Materialien zum Zwölften Kinder- und Jugendbericht, Bd. 1) München 2005, 177-226, 190.

    9 Im Bereich der interkulturellen Arbeit im Elementarbereich existieren unterschiedlichste Mo-dellversuche und Projekte. Ursula Neumann liefert eine Übersicht. Vgl. a.a.O. (Anm. 8), 221-226. Hauptthemenfeld ist der Bereich der Sprache/Sprachen. Konfession und Religion wird in den Projekten so gut wie nie berücksichtigt. Eine Ausnahme bildet: B. Dippelhofer-Stiem, Trä-ger, Kirchengemeinde und Eltern als Umfeld des konfessionellen Kindergartens. In: Dies./W. Bernhard, Ökologie des Kindergartens. Theoretische und empirische Befunde zu Sozialisations- und Entwicklungsbedingungen, Weinheim/München 1997, 27-50.

    10 A. Edelbrock/M. Patak/F. Schweitzer/A. Biesinger, Religion und Religionen in der Kinderta-gestätten. Eine empirische Studie zu interreligiöser Bildung in der Praxis. In: F. Schweitzer/A. Biesinger/A. Edelbrock (Hrsg.), Mein Gott, Dein Gott. Interkulturelle und interreligiöse Bil-dung in Kindertagesstätten, Weinheim/Basel 22009, 149-277.

  • 18 Albert Biesinger, Friedrich Schweitzer, Anke Edelbrock

    erste Einsichten in die Praxis vor allem der interreligiösen Bildung in Kinderta-gestätten zu gewinnen sowie zu prüfen, wie eine entsprechende Forschungsmetho-dologie auszusehen hätte.

    Die Untersuchung schloss sowohl qualitative als auch quantitative Anteile ein: • Im qualitativen Teil des Projekts wurden 37 Interviews durchgeführt und ausge-

    wertet. Neben Multiplikatoren, die besonders zu Beginn des Pilotprojektes zur Erstellung des Interviewleitfadens befragt wurden, konnten weitere Interviews in ausgewählten, aufgrund ihrer unterschiedlichen Situation besonders interes-santen Einrichtungen geführt werden, und zwar in sieben Städten: Berlin, Ham-burg, Frankfurt am Main, Mannheim/Ludwigshafen, Stuttgart und Aachen, da hier jeweils ein großer Anteil der Bevölkerung über einen Migrationshintergrund verfügt. Wenn in Ostdeutschland auch weitaus weniger Menschen mit Migra-tionshintergrund leben, war es uns doch wichtig, auch Einrichtungen im Osten Deutschlands mit im Blick zu haben. Hier fi el unsere Wahl auf die am östlichsten liegende Großstadt Dresden. In diesen Kindertagestätten – es waren sowohl kon-fessionelle als auch nicht-konfessionellen Einrichtungen – wurden in der Regel Interviews mit der Leiterin der Einrichtung durchgeführt.

    • Im quantitativen Teil des Projekts wurde auf der Grundlage der Ergebnisse aus den Interviews ein Fragebogen erarbeitet. Der inhaltliche Schwerpunkt der Fragen lag auf der interreligiösen Bildung. Der Fragebogen wurde 1698 mal an Kindertagestätten in den genannten sieben Städten geschickt. 364 ausgefüllte Fragebogen wurden zurückgesandt und ausgewertet. Der Rücklauf lag somit bei 21,4%, was ein vergleichsweise zufrieden stellendes Ergebnis für eine Frage-bogenstudie ohne Direktkontakt war.11

    Diese zwar nicht repräsentative, aber doch aussagekräftige Erhebung führte insbe-sondere zu folgenden Ergebnissen:

    Die von uns befragten Einrichtungen betreuten rund 25700 Kinder. Von diesen Kindern gehörten 51% der christlichen Religion an, 19% der Kinder gehören der islamischen Religion an und 3% der Kinder einer anderen Religion. 27% der Kin-der waren ohne Bekenntnis.

    Die Auswertung des Fragebogens ergab, dass nur ein Teil dieser Kinder eine religiöse Begleitung in den Einrichtungen erhält. Die Vielfalt der Religionen wird in den Einrichtungen oft ausgeklammert, sodass eine lebensgeschichtlich frühe Anbah-nung dialogischer Fähigkeiten, von Respekt, Toleranz und Anerkennung anderer Religionen sowie im Blick auf nichtreligiöse Weltanschauungen nicht gefördert wird. Die muslimischen Kinder, die wie gesehen neben den christlichen Kindern die größte Gruppe in den Kindertagesstätten sind, haben nur in den wenigsten Fällen Zugang zu einer kompetenten religiösen Begleitung (bestenfalls ca. 10%).

    Nicht weniger wichtig als die inhaltlichen Ergebnisse des Pilotprojekts war die Gewinnung einer Methode und eines Designs für die Untersuchung solcher Frage-

    11 Vgl. Jan Glatter (2006) Uni Berlin, Vorlesungsskript: Rücklauf postalischer Befragung 10-20%.

  • 19Interkulturelle und interreligiöse Bildung in Kindertagesstätten

    stellungen. In dieser Hinsicht konnte deutlich gemacht werden, dass die von uns gewählte Vorgehensweise zu wichtigen Einsichten führt und dass es möglich sein würde, auf dieser Grundlage auch zu weiterreichenden, zumindest zum Teil auch bundesweit repräsentativen Ergebnissen zu gelangen. Gleichzeitig legten es die Befunde und deren Rezeption in Praxis und Öffentlichkeit nahe, das für die Pilot-studie gewählte Design um einige wichtige Elemente zu erweitern. Mit Unterstüt-zung der Stiftung Ravensburger Verlag wurde es dann tatsächlich möglich, diese Erkenntnisse auch in die Praxis umzusetzen – nämlich in Gestalt des derzeit laufen-den und nun zu beschreibenden Hauptprojekts, über dessen erste Ergebnisse in die-sem Band berichtet wird.

    3. Das Gesamtprojekt: Kinder, Kindertagesstätten, Eltern und Erzieherinnen

    Das Gesamtprojekt versteht sich als Hauptprojekt, das die Erkenntnisse aus dem Pilotprojekt aufnimmt, diese durch eine zumindest zum Teil repräsentative Untersu-chung weiterführt und zusätzliche Elemente einschließt. Im Einzelnen können fünf Teilprojekte unterschieden werden:• Befragung der Kinder• Befragung der Erziehrinnen• Befragung der Eltern• Identifi kation und Beschreibung von Best Practise-Modellen• Entwicklung von Modulen für Ausbildung und Fortbildung.

    1) Die bereits abgeschlossene Untersuchung zu den Kindern und ihren Wahrneh-mungen und Deutungsweisen ist Gegenstand des vorliegenden Bandes und braucht deshalb an dieser Stelle nicht weiter dargestellt werden. Entscheidend ist der Einbezug der Perspektive der Kinder selbst. Es wäre nicht angemessen, die Kinder lediglich über „Fürsprecher“, die an ihrer Stelle sprechen – also Eltern und Erzieherinnen –, zu Wort kommen zu lassen.

    Kinder setzen sich aktiv mit ihrer Lebenswelt auseinander, auch mit ihrer religi-ösen und interreligiösen Lebenswelt. Ein Beispiel aus dem Pilotprojekt zeigt das sehr deutlich: Erhalten Kinder keine Erläuterungen im Bereich der Religion, so schaffen sie sich ihre eigenen Erklärungen. So wurde in einer von uns befrag-ten integrativen Einrichtung ein muslimisches Kind mit Down-Syndrom betreut. Unsere Interviewpartnerin berichtete: „Für die anderen Kinder war es keine Frage: Ja, Sultan ist ganz doll behindert, weil Sultan darf nämlich keine Würst-chen essen“ (Interview 11, Aussage 176). Religiös bedingte Speiseordnungen waren mit den Kindern nicht besprochen worden. Die Kinder werden anhand der ihnen zugänglichen Informationen über Sultan selbst mit Deutungen und Erklä-rungen aktiv und stellen seine Behinderung und das Würstchenverbot in einen kausalen Zusammenhang. Unklar bleibt dabei, was die Kinder als Ursache und

  • 20 Albert Biesinger, Friedrich Schweitzer, Anke Edelbrock

    was sie als Wirkung sehen und ob sie die Behinderung vielleicht in Analogie zu einer Allergie sehen.12

    2) Bei der Befragung von Erzieherinnen geht es um eine repräsentative Erhebung. Mit einer solchen Befragung können Aussagen über die Situation interreligiöser Bildung in deutschen Kindertagestätten erreicht werden, die erstmals ein empi-risch fundiertes Bild dieser Situation zulassen.

    Mit Hilfe des Leibniz-Instituts GESIS wurde dafür ein repräsentatives Sample erstellt. In einer Telefonaktion wurden mehr als 2000 Einrichtungen kontaktiert und gefragt, ob sie sich eine Beteiligung an der Untersuchung vorstellen könn-ten. Die Bereitschaft ist erfreulich hoch. Die Untersuchung selbst wurde im Früh-jahr/Frühsommer 2010 durchgeführt.

    Das eingesetzte Befragungsinstrument weist naturgemäß starke Parallelen zur Voruntersuchung auf, konnte aber aufgrund weiterer Optimierungsprozesse und Testläufe in wichtigen Hinsichten noch einmal verbessert werden.

    3) Die Eltern mussten im Pilotprojekt ebenfalls noch ausgeklammert bleiben. Gerade in der frühen Bildung haben Eltern aber ein besonders großes Gewicht.

    Sie entscheiden zum Beispiel über die Wahl des Kindergartens. Um Vorstellungen, Wünsche und Einstellungen von Eltern bezüglich interreli-

    giöser Bildung zu erheben, wurden auch hier zunächst Interviews durchgeführt. In einer qualitativen Studie wurden Eltern befragt, d.h. an dieser Stelle zumeist Mütter, mit unterschiedlichen religiösen Hintergründen (ohne Bekenntnis, christ-lich, muslimisch). Thematisch wurden unterschiedliche Bereiche angesprochen: Kriterien der Kindertagesstättenwahl, die Erwartungen der Eltern an die Einrich-tung, ihre Wahrnehmung des pädagogischen und religionspädagogischen Kon-zepts, ihre Einstellungen zur religiösen und interreligiösen Bildung und die Eltern arbeit der Einrichtung.

    Über diese Interviews hinaus wird derzeit eine möglichst repräsentative Eltern-befragung angestrebt. Auf der Grundlage der Interviews wurde dazu ein Frage-bogen entwickelt, der nun in Testläufen erprobt wird.

    4) Bei der Vorstellung der Befunde aus dem Pilotprojekt wurde immer wieder der Wunsch geäußert, mehr über gelingende Praxisbeispiele zu erfahren. Im Blick auf interreligiöse Bildung in Kindertagesstätten bestehe in dieser Hinsicht ein erheblicher Bedarf. Zu den Aufgaben des Projekts wurde deshalb auch die Iden-tifi kation modellhafter Einrichtung und die Auswertung ihrer Erfahrungen hinzu-gefügt. Die Perspektive zielt hier auf ein Lernen aus der Praxis für die Praxis.

    In diesem Bereich des Projektes werden u.a. mit Hilfe von Multiplikatoren und anderen Fachleuten zunächst Einrichtungen gesucht, denen interkulturelle und interreligiöse Bildung besonders wichtig ist und die entsprechende Angebote

    12 Vgl. A. Edelbrock/M. Patak/F. Schweitzer/A. Biesinger, Religion und Religionen in der Kinder-tagestätten. Eine empirische Studie zu interreligiöser Bildung in der Praxis. In: F. Schweitzer/A. Biesinger/A. Edelbrock (Hrsg.), Mein Gott, Dein Gott. Interkulturelle und interreligiöse Bil-dung in Kindertagesstätten, Weinheim/Basel 22009, 149-277, 157.