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DOI: 10.1007/s00350-014-3618-2 Winkeladvokaten-Streit unter Rechtsanwälten im Arzthaftungsprozess GG Artt. 1 Abs. 1 S. 1, 2 Abs. 1, 5 Abs. 1 S. 1; BGB §§ 823 Abs. 1 u. Abs. 2, 1004 Abs. 1 S. 2; StGB § 185 Die Bezeichnung einer Rechtsanwaltskanzlei in einer arzthaftungsrechtlichen Auseinandersetzung als „Win- keladvokatur“ kann von der Meinungsfreiheit gedeckt sein. BVerfG, Beschl. v. 2. 7. 2013 – 1 BvR 1751/12 (OLG Köln) Problemstellung: Über Arzthaftungsrecht wird engagiert gestritten. Angesichts der Heftigkeit der Aus- einandersetzungen ähnelt es durchaus einem „politischen Rechtsgebiet“. Vordergründig geht es mit den Klagean- trägen zwar „nur um Geld“; im Hintergrund steht jedoch fast immer auch eine missglückte Behandlungsbeziehung. Die Patienten, mitunter schwer traumatisiert, beklagen einen Vertrauensverlust in den – zuweilen eingangs über- mäßig idealisierten – Arzt, sehen sich von ihm „im Stich gelassen“ und – wenn der Verdacht falscher Leistungser- bringung aus pekuniären Gründen mitschwingt – „ver- raten“, was sich durch ein missglücktes Kommunikations- management auf Arztseite nach der Konfrontation mit Fehlervorwürfen sodann noch steigert. Die regelmäßig restriktive Haltung der Haftpflichtversicherungen ver- härtet die Fronten weiter. Solche Ausgangskoordinaten bebildern ein „Schlachtfeld“, auf dem der Feststellungs- antrag auf Schadensersatz zum Verdikt überhöht wird, was sich der Arzt, in seiner beruflichen Ehre betroffen, unter keinen Umständen bieten lassen möchte. Werden solche „Waffengänge“ sodann im starren Korsett eines Zi- vilverfahrens ausgetragen, ohne den Versuch einer Klä- rung der persönlichen Verhältnisse voranzustellen, greift die Heftigkeit des Streits zuweilen auch auf die Prozessbe- vollmächtigten über, wovon der vorliegende Fall handelt. Vermehrt musste sich die Rechtsprechung in den letzten Jahren der Frage zuwenden, in wie weit Äuße- rungen von Parteien und Parteivertretern in den Medi- en und vor Gericht isoliert quasinegatorischen Unter- lassungsansprüchen aus §§ 1004, 823 BGB i. V. mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht zugänglich sein kön- nen. Das BVerfG hat hierzu eine weitere Mosaikfrage beantwortet und getreu seiner traditionellen Rechtspre- chungslinie zu Art. 5 Abs. 1 GG (vgl. BVerfG, NJW 2009, 316: „durchgeknallter Staatsanwalt“) klargestellt, dass Unterlassungsansprüche – anders als das OLG Köln (– 16 U 184/11 –) meinte – nicht als Instrument zur Durchsetzung allgemeiner Höflichkeitsformen herhal- ten dürfen. Nach Zurückweisung an das LG Köln – 5 O 344/10 – hat der Kläger seine Unterlassungsklage daher inzwischen zurückgenommen. Zum Sachverhalt: Der Bf., Rechtsanwalt, hat in einem Verfah- ren vor dem LG Köln die Interessen einer Patientin gegen mehrere Zahnärzte vertreten. Für zwei dieser Zahnärzte war der Kl. des Aus- gangsverfahrens als Rechtsanwalt tätig. Der Bf. warf dem Kl. Partei- verrat und widerstreitende Interessen vor, weil dieser nur für einen seiner Mandanten habe günstig vortragen und ihn effektiv gegen Haftungsvorwürfe verteidigen können, aber nicht für beide. Der Bf. zeigte den Kl. bei der Staatsanwaltschaft und bei der Rechtsanwalts- kammer an; beide Verfahren wurden eingestellt. In einem weiteren Rechtsstreit vor dem LG vertrat der Bf. erneut dieselbe Patientin und der Kl. wieder zwei Zahnärzte. In diesem Verfahren monierte der Bf. in einem Schriftsatz einen widersprüchlichen Außenauftritt des Kl., denn es sei nicht klar, ob dieser mit zwei Rechtsanwälten in einer Sozietät oder in einer Bürogemeinschaft zusammenarbeite. Hier zeige sich eine Parallele zu den von dem Kl. vertretenen Zahn- ärzten, bei denen auch nicht klar sei, ob sie eine Praxisgemeinschaft oder eine Gemeinschaftspraxis bildeten. Dem Schriftsatz fügte der Bf. eine E-Mail an die Rechtsanwaltskammer bei, in der er auf die Erledigung des berufsständischen Verfahrens geantwortet hatte. Dort heißt es unter anderem: „Mir persönlich erscheint es daher fragwürdig, wie es die Rechts- anwälte mit ihrer prozessualen Wahrheitspflicht halten, wenn sie dem Gericht gegenüber eine ‚Kooperation‘ behaupten, wo sonst von ih- nen allenthalben der Eindruck einer Sozietät zu vermitteln versucht wird. Ich gehe davon aus, dass es nicht unsachlich ist, eine solche geschickte Verpackung der eigenen Kanzlei – mal als Kooperation, mal als Sozietät (wie es gerade günstig ist) – als „Winkeladvokatur“ zu apostrophieren.“ Das LG verurteilte den Bf., es zu unterlassen „den Kl. als Winkel- advokaten und/oder ihn oder das von ihm geführte Büro als Winkel- advokatur zu bezeichnen“. Es ordnete die Äußerung als Schmähkritik ein, weil die Bezeichnung „Winkeladvokatur“ des erforderlichen Sach- bezugs entbehre und als bloße Diffamierung angesehen werden müsse. Das OLG wies die Berufung des Bf. mit angegriffenem Urteil zurück. Es lässt offen, ob die streitige Äußerung als Schmähkritik einzustufen sei, weil die Interessenabwägung zum Nachteil des Bf. ausgehe. Unter einem Winkeladvokaten sei derjenige zu verstehen, der eine Sache nicht entsprechend seinem Berufsstand verantwor- tungsbewusst zu vertreten befähigt sei. Die Äußerung sei für den Anlass vollkommen unangemessen und unnötig. Aus den Gründen: II. Die Verfassungsbeschwerde wird gemäß § 93a Abs. 2 Buchst. b BVerfGG zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung der Grundrech- te des Beschwerdeführers angezeigt ist. Die Voraussetzun- gen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93c Abs. 1 S. 1 i. V. mit § 93a Abs. 2 Buchst. b BVerfGG). 1. Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist i. S. des § 93c Abs. 1 S. 1 BVerfGG offensichtlich begründet. Die ange- griffenen Urteile verletzen den Beschwerdeführer in sei- nem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG. a) Unter den Schutz der Meinungsfreiheit fallen nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG Werturteile und Tatsachenbehauptungen, wenn und soweit sie zur Bildung von Meinungen beitragen (vgl. BVerfGE 85, 1, 15). Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit ist allerdings nicht vor- behaltlos gewährt. Es findet seine Schranke in den allge- meinen Gesetzen, zu denen die hier von den Gerichten angewandten Vorschriften der § 823 Abs. 1, Abs. 2, § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog i. V. mit Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG, § 185 StGB gehören. Auslegung und Anwendung die- ser Vorschriften sind Sache der Fachgerichte, die hierbei je- doch das eingeschränkte Grundrecht interpretationsleitend berücksichtigen müssen, damit dessen wertsetzender Ge- halt auch auf der Rechtsanwendungsebene gewahrt bleibt (vgl. BVerfGE 7, 198, 205 ff.; 120, 180, 199 f.; st. Rspr.). Dies verlangt in der Regel eine Abwägung zwischen der Schwere der Persönlichkeitsbeeinträchtigung durch die Äußerung einerseits und der Einbuße an Meinungsfreiheit durch ihr Verbot andererseits (vgl. BVerfGE 99, 185, 196 f.; 114, 339, 348). Das Ergebnis der Abwägung ist verfassungs- rechtlich nicht vorgegeben und hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (vgl. BVerfGE 85, 1, 16; 99, 185, 196). Das BVerfG ist auf eine Nachprüfung begrenzt, ob Zivilge- richte den Grundrechtseinfluss ausreichend beachtet haben (vgl. BVerfGE 101, 361, 388). Bedeutung und Tragweite der Meinungsfreiheit sind ver- kannt, wenn eine Äußerung unzutreffend als Tatsachen- Eingesandt und bearbeitet von Rechtsanwalt Dr. Martin Riemer, Fachanwalt für Medizinrecht, Pingsdorfer Straße 89, 50321 Brühl, Deutschland RECHTSPRECHUNG MedR (2014) 32: 97–98 97

Winkeladvokaten-Streit unter Rechtsanwälten im Arzthaftungsprozess

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Page 1: Winkeladvokaten-Streit unter Rechtsanwälten im Arzthaftungsprozess

DOI: 10.1007/s00350-014-3618-2

Winkeladvokaten-Streit unter Rechtsanwälten im Arzthaftungsprozess

GG Artt. 1 Abs. 1 S. 1, 2 Abs. 1, 5 Abs. 1 S. 1; BGB §§ 823 Abs. 1 u. Abs. 2, 1004 Abs. 1 S. 2; StGB § 185

Die Bezeichnung einer Rechtsanwaltskanzlei in einer arzthaftungsrechtlichen Auseinandersetzung als „Win-keladvokatur“ kann von der Meinungsfreiheit gedeckt sein. BVerfG, Beschl. v. 2. 7. 2013 – 1 BvR 1751/12 (OLG Köln)

Problemstellung: Über Arzthaftungsrecht wird engagiert gestritten. Angesichts der Heftigkeit der Aus­ein ander setzungen ähnelt es durchaus einem „politischen Rechtsgebiet“. Vordergründig geht es mit den Klagean­trägen zwar „nur um Geld“; im Hintergrund steht jedoch fast immer auch eine missglückte Behandlungsbeziehung. Die Patienten, mitunter schwer traumatisiert, beklagen einen Vertrauensverlust in den – zuweilen eingangs über­mäßig idealisierten – Arzt, sehen sich von ihm „im Stich gelassen“ und – wenn der Verdacht falscher Leistungser­bringung aus pekuniären Gründen mitschwingt – „ver­raten“, was sich durch ein missglücktes Kommunikations­management auf Arztseite nach der Konfrontation mit Fehlervorwürfen sodann noch steigert. Die regelmäßig restriktive Haltung der Haftpflichtversicherungen ver­härtet die Fronten weiter. Solche Ausgangskoordinaten bebildern ein „Schlachtfeld“, auf dem der Feststellungs­antrag auf Schadensersatz zum Verdikt überhöht wird, was sich der Arzt, in seiner beruflichen Ehre betroffen, unter keinen Umständen bieten lassen möchte. Werden solche „Waffengänge“ sodann im starren Korsett eines Zi­vilverfahrens ausgetragen, ohne den Versuch einer Klä­rung der persönlichen Verhältnisse voranzustellen, greift die Heftigkeit des Streits zuweilen auch auf die Prozessbe­vollmächtigten über, wovon der vorliegende Fall handelt.

Vermehrt musste sich die Rechtsprechung in den letzten Jahren der Frage zuwenden, in wie weit Äuße­rungen von Parteien und Parteivertretern in den Medi­en und vor Gericht isoliert quasinegatorischen Unter­lassungsansprüchen aus §§ 1004, 823 BGB i. V. mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht zugänglich sein kön­nen. Das BVerfG hat hierzu eine weitere Mosaikfrage beantwortet und getreu seiner traditionellen Rechtspre­chungslinie zu Art.  5 Abs.  1 GG (vgl. BVerfG, NJW 2009, 316: „durchgeknallter Staatsanwalt“) klargestellt, dass Unterlassungsansprüche – anders als das OLG Köln (– 16  U 184/11  –) meinte – nicht als Instrument zur Durchsetzung allgemeiner Höflichkeitsformen herhal­ten dürfen. Nach Zurückweisung an das LG Köln – 5 O 344/10 – hat der Kläger seine Unterlassungsklage daher inzwischen zurückgenommen.

Zum Sachverhalt: Der Bf., Rechtsanwalt, hat in einem Verfah­ren vor dem LG Köln die Interessen einer Patientin gegen mehrere Zahnärzte vertreten. Für zwei dieser Zahnärzte war der Kl. des Aus­gangsverfahrens als Rechtsanwalt tätig. Der Bf. warf dem Kl. Partei­verrat und widerstreitende Interessen vor, weil dieser nur für einen seiner Mandanten habe günstig vortragen und ihn effektiv gegen Haftungsvorwürfe verteidigen können, aber nicht für beide. Der Bf. zeigte den Kl. bei der Staatsanwaltschaft und bei der Rechtsanwalts­

kammer an; beide Verfahren wurden eingestellt. In einem weiteren Rechtsstreit vor dem LG vertrat der Bf. erneut dieselbe Patientin und der Kl. wieder zwei Zahnärzte. In diesem Verfahren monierte der Bf. in einem Schriftsatz einen widersprüchlichen Außenauftritt des Kl., denn es sei nicht klar, ob dieser mit zwei Rechtsanwälten in einer Sozietät oder in einer Bürogemeinschaft zusammenarbeite. Hier zeige sich eine Parallele zu den von dem Kl. vertretenen Zahn­ärzten, bei denen auch nicht klar sei, ob sie eine Praxisgemeinschaft oder eine Gemeinschaftspraxis bildeten. Dem Schriftsatz fügte der Bf. eine E­Mail an die Rechtsanwaltskammer bei, in der er auf die Erledigung des berufsständischen Verfahrens geantwortet hatte. Dort heißt es unter anderem:

„Mir persönlich erscheint es daher fragwürdig, wie es die Rechts­anwälte mit ihrer prozessualen Wahrheitspflicht halten, wenn sie dem Gericht gegenüber eine ‚Kooperation‘ behaupten, wo sonst von ih­nen allenthalben der Eindruck einer Sozietät zu vermitteln versucht wird. Ich gehe davon aus, dass es nicht unsachlich ist, eine solche geschickte Verpackung der eigenen Kanzlei – mal als Kooperation, mal als Sozietät (wie es gerade günstig ist) – als „Winkeladvokatur“ zu apostrophieren.“

Das LG verurteilte den Bf., es zu unterlassen „den Kl. als Winkel­advokaten und/oder ihn oder das von ihm geführte Büro als Winkel­advokatur zu bezeichnen“. Es ordnete die Äußerung als Schmähkritik ein, weil die Bezeichnung „Winkeladvokatur“ des erforderlichen Sach­bezugs entbehre und als bloße Diffamierung angesehen werden müsse.

Das OLG wies die Berufung des Bf. mit angegriffenem Urteil zurück. Es lässt offen, ob die streitige Äußerung als Schmähkritik einzustufen sei, weil die Interessenabwägung zum Nachteil des Bf. ausgehe. Unter einem Winkeladvokaten sei derjenige zu verstehen, der eine Sache nicht entsprechend seinem Berufsstand verantwor­tungsbewusst zu vertreten befähigt sei. Die Äußerung sei für den Anlass vollkommen unangemessen und unnötig.

Aus den Gründen: II. Die Verfassungsbeschwerde wird gemäß § 93 a Abs. 2 Buchst. b BVerfGG zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung der Grundrech­te des Beschwerdeführers angezeigt ist. Die Voraussetzun­gen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93 c Abs. 1 S. 1 i. V. mit § 93 a Abs. 2 Buchst. b BVerfGG).

1. Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist i. S. des § 93 c Abs. 1 S. 1 BVerfGG offensichtlich begründet. Die ange­griffenen Urteile verletzen den Beschwerdeführer in sei­nem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG.

a) Unter den Schutz der Meinungsfreiheit fallen nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG Werturteile und Tatsachenbehauptungen, wenn und soweit sie zur Bildung von Meinungen beitragen (vgl. BVerfGE 85, 1, 15). Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit ist allerdings nicht vor­behaltlos gewährt. Es findet seine Schranke in den allge­meinen Gesetzen, zu denen die hier von den Gerichten angewandten Vorschriften der § 823 Abs. 1, Abs. 2, § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog i. V. mit Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG, § 185 StGB gehören. Auslegung und Anwendung die­ser Vorschriften sind Sache der Fachgerichte, die hierbei je­doch das eingeschränkte Grundrecht interpretationsleitend berücksichtigen müssen, damit dessen wertsetzender Ge­halt auch auf der Rechtsanwendungsebene gewahrt bleibt (vgl. BVerfGE 7, 198, 205 ff.; 120, 180, 199 f.; st. Rspr.). Dies verlangt in der Regel eine Abwägung zwischen der Schwere der Persönlichkeitsbeeinträchtigung durch die Äußerung einerseits und der Einbuße an Meinungsfreiheit durch ihr Verbot andererseits (vgl. BVerfGE 99, 185, 196 f.; 114, 339, 348). Das Ergebnis der Abwägung ist verfassungs­rechtlich nicht vorgegeben und hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (vgl. BVerfGE 85, 1, 16; 99, 185, 196). Das BVerfG ist auf eine Nachprüfung begrenzt, ob Zivilge­richte den Grundrechtseinfluss ausreichend beachtet haben (vgl. BVerfGE 101, 361, 388).

Bedeutung und Tragweite der Meinungsfreiheit sind ver­kannt, wenn eine Äußerung unzutreffend als Tatsachen­

Eingesandt und bearbeitet von Rechtsanwalt Dr. Martin Riemer, Fachanwalt für Medizinrecht, Pingsdorfer Straße 89, 50321 Brühl, Deutschland

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MedR (2014) 32: 97–98 97

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behauptung, Formalbeleidigung oder Schmähkritik einge­stuft wird mit der Folge, dass sie dann nicht im selben Maß am Schutz des Grundrechts teilnimmt wie Äußerungen, die als Werturteil ohne beleidigenden oder schmähenden charakter anzusehen sind (vgl. BVerfGE 85, 1, 14).

Verfassungsrechtlich ist die Schmähung eng definiert. Sie liegt bei einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage nur ausnahmsweise vor und ist eher auf die Privatfehde beschränkt (vgl. BVerfGE 93, 266, 294). Eine Schmähkritik ist dadurch gekennzeichnet, dass nicht mehr die Auseinan­dersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Per­son im Vordergrund steht (vgl. BVerfGE 82, 272, 284).

b) Nach diesen Maßstäben haben die angegriffenen Ent­scheidungen verfassungsrechtlich keinen Bestand.

aa) Die von dem LG vorgenommene Einordnung der streitgegenständlichen Äußerung als Schmähkritik begeg­net durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Das LG räumt selbst ein, dass die Äußerung anlässlich einer sachthemenbezogenen Auseinandersetzung getätigt wor­den sei. Die Äußerung stellt eine etwaige Diffamierung des Kl. nicht in den Vordergrund, sondern weist Sachbe­zug auf, indem der Beschwerdeführer den Außenauftritt des Kl. moniert. Dies wiederum steht in sachlichem Bezug zu dem Arzthaftungsprozess, in den der Beschwerdeführer die E­Mail eingeführt hat, denn er wollte auf die Paralleli­tät der gesellschaftsrechtlichen Formen der Rechtsanwalts­kanzlei des Kl. einerseits und der Arztpraxis von dessen Mandantschaft andererseits und auf einen möglichen Inte­ressenkonflikt hinweisen.

bb) Das OLG lässt die Frage der Schmähkritik offen und führt die gebotene Interessenabwägung zwar durch, be­rücksichtigt dabei aber wesentliche Aspekte nicht und ver­kennt deshalb das Gewicht der Meinungsfreiheit.

Zutreffend ist allerdings die Einschätzung des OLG, dass durch den Begriff „Winkeladvokatur“ in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Kl. eingegriffen wird. Denn er in­sinuiert, dass der Kl. ein Rechtsanwalt sei, der eine geringe fachliche Eignung aufweist und dessen Seriosität zweifel­haft ist. Dies setzt ihn in seiner Persönlichkeit herab.

Das OLG gewichtet indes nicht stark genug, dass die Äu­ßerung zunächst nur gegenüber der Rechtsanwaltskammer getätigt und dann in einen Zivilprozess eingeführt wurde, in dem nur die Prozessbeteiligten und das Gericht von ihr Kenntnis nehmen konnten. Das OLG befasst sich zwar recht ausführlich mit der Frage der Privilegierung der Äußerung, wird aber dem Ausnahmecharakter der Unzulässigkeit von Äußerungen in einem gerichtlichen Verfahren nicht gerecht. Denn Rechtsschutz gegenüber Prozessbehauptungen ist nur gegeben, wenn die Unhaltbarkeit der Äußerung auf der Hand liegt oder sich ihre Mitteilung als missbräuchlich darstellt (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats v. 28. 3. 2000 – 2 BvR 1392/96 –, NJW 2000, 3196, 3198). Die bloße „Unangemessenheit“ und „Unnötigkeit“ der Äu­ßerung, auf die das OLG rekurriert, reichen dafür nicht aus.

Das OLG räumt dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Kl. ein übermäßiges Gewicht ein, indem es schon in der internen Verwendung eines ehrenrührigen Begriffs den Grund für ein Überwiegen seiner grundrechtlich geschütz­ten Interessen sieht. Das OLG hat nicht hinreichend in seine Erwägungen eingestellt, dass der Vorwurf des Winkelad­vokaten nur eine begrenzt gewichtige Herabsetzung allein in der beruflichen Ehre bedeutet und den Kl. damit ledig­lich in seiner Sozialsphäre betrifft, zumal der Beschwer­deführer sich wörtlich allein auf die Kanzlei und nicht auf die Person bezogen und den Begriff Winkeladvokatur in Anführungszeichen gesetzt hat. Insgesamt haben die Fach­gerichte verkannt, dass die Verurteilung zur Unterlassung einer Äußerung im Interesse des Schutzes der Meinungs­freiheit auf das zum Rechtsgüterschutz unbedingt Erfor­derliche beschränkt werden muss (vgl. BVerfGK 2, 325, 329), nicht aber den Zweck hat, die sachliche Richtigkeit

oder Angemessenheit der betreffenden Meinungsäußerung in dem Sinne zu gewährleisten, dass zur Wahrung allge­meiner Höflichkeitsformen überspitzte Formulierungen ausgeschlossen werden.

2. Bezüglich der übrigen Grundrechtsrügen des Be­schwerdeführers wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Von einer Begründung wird insoweit abgesehen (§ 93 d Abs. 1 S. 3 BVerfGG).

3. Die angegriffenen Urteile beruhen auf den aufgezeig­ten verfassungsrechtlichen Fehlern. Es ist nicht auszuschlie­ßen, dass das LG bei erneuter Befassung zu einer anderen Entscheidung in der Sache kommen wird.

Beteiligung Berufsfremder an einer Heilkunde-GmbH

GG Art. 12 Abs. 2 u. 3; BGB § 134; HPG § 1; Nds. HKG § 32; MBO § 23 a; Berufsordnung der ÄK Niedersachsen § 17 Abs. 6

Bei der Beteiligung Berufsfremder an einer Heilkun-de-GmbH oder Ärztegesellschaft verfolgt die Gesell-schaft ihren Unternehmensgegenstand nicht in geset-zeskonformer Weise und hat daher keinen Firmenwert.OLG Celle, Beschl. v. 17. 6. 2013 – 9 U 54/13 (LG Verden)

Problemstellung: In einem Hinweisbeschluss (§ 522 Abs. 2 ZPO), befasst sich das Gericht mit der Fra­ge, welche Rechtsfolgen ein Verstoß gegen das Fremd­besitzverbot bei einer Heilkunde­GmbH auslöst. Die 1994 rechtmäßig gegründete Gesellschaft verstößt ge­gen die Vorgaben des später in Kraft getretenen § 32 des Nds. Kammergesetzes für die Heilberufe bzw. des § 17 der Berufsordnung der Ärztekammer Niedersachsen. Danach darf grundsätzlich nur eine solche Gesellschaft Heilkunde anbieten, bei der u. a. keine Kaufleute (Al­lein­)Gesellschafter sind, die Geschäftsführung zumin­dest auch Heilberufsangehörigen obliegt und Dritte nicht am Gewinn beteiligt sind. Das Kammergesetz ent­hält keine Übergangsbestimmungen, so dass wie beim Beteiligungsverbot nach § 128 Abs. 2 S. 3 SGB V (vgl. dazu BT­Dr. 16/10609, S. 78) Umstrukturierungen vor­zunehmen waren, die vorliegend unterblieben sind.

Unzutreffend ist allerdings der Hinweis des Gerichts auf § 23 a MBO (Ärztegesellschaften), weil der Beklag­te Zahnarzt ist. Deshalb durften der Beklagte und die Gesellschaft durch ihn von Beginn an keine Diagnosen und Therapien mittels Naturheilverfahren durchführen, sofern er über keine Heilpraktikererlaubnis verfügte. Richtigerweise wird hingegen herausgestellt, dass es ei­ner Bestimmung im Gesellschaftsvertrag bedarf, wenn sich ein Arzt über die Verpflichtung zur Kapitaleinlage hinausgehend verpflichtet, ärztliche Dienstleistungen als Gesellschafterbeitrag zu leisten, § 3 Abs. 2 GmbHG. In­sofern gilt nichts Anderes, als wenn sich ein Vertragsarzt verpflichtet, seine vertragsärztliche Tätigkeit unter dem Dach einer MVZ­GmbH zu erbringen.

Vorliegend verstieß die Gesellschafter­ und Binnen­struktur der Gesellschaft in mehrfacher Hinsicht gegen berufsrechtliche Vorgaben. Ändert die Gesellschaft wie hier im Laufe des Geschäftsbetriebs ihre Struktur und missachtet daher berufsrechtliche Vorgaben, müsste die unrichtige Eintragung gem. § 330 Abs.  1 FamFG ge­löscht werden, weshalb es konsequent ist, ihr keinen Firmenwert mehr beizumessen.

Eingesandt und bearbeitet von Dr. iur. Karsten Scholz, Justiziar der Ärztekammer Niedersachsen, Berliner Allee 20, 30175 Hannover, Deutschland

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