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Sabine Büttner: Die Französische Revolution – eine Online-Einführung 1 WIRKUNGSBEREICHE göttlicher Ursprung des Rechts Aufklärung Naturrecht Montesquieu Rousseau Recht und Verfassung Die bürgerlichen Protagonisten der Revolution sahen das Hauptinstrument der gesellschaftlichen Umgestaltung in der Verfassungs- und Gesetzgebung. Die wiederholten Modifikationen und heftigen parlamentarischen Debatten vor allem um die Bestimmungen der Verfassungen zeugen von einer intensiven politischen Auseinandersetzung. 1. Ursprung des Rechts Die mittelalterliche Rechtsvorstellung, dass die Quelle des Rechts im göttlichen Willen liege, kraft dessen das sakrale Königtum seine Legitimität und die staatliche Souveränität besitze, verlor im Laufe des 18. Jahrhunderts an Gültigkeit. Der Prestigeverlust der Krone, und damit einhergehend auch der Vertrauensverlust in den König als traditionellen Garanten des Rechts, führte in der Zeit vor Ausbruch der Revolution auch zu einer verbreiteten Rechtsunsicherheit in der Bevölkerung. Alternativen zu den herkömmlichen staatsrechtlichen Vorstellungen bot das reichhaltige Denken der Aufklärung, aus dem wirkungsmächtige theoretische Grundlagen für Reformen des Staates und der Gesellschaftsordnung hervorgingen. Durch den „Rückzug Gottes aus der Welt“ - im theologischen Denken wie im allgemeinen religiösen Empfinden – war der Mensch auf sich und seine Natur zurückgeworfen und versuchte daraus sein Selbstverständnis neu zu begründen. Weite Verbreitung fand die Idee von den natürlichen, vorstaatlichen Rechten des Individuums. Da diese angeborenen Rechte auch vom staatlichen Souverän nicht verletzt werden dürfen, implizieren sie eine Beschränkung der absolutistischen Machtvollkommenheit, die bald zur politischen Forderung wurde. Die Menschenrechtserklärung von 1789 rezipierte die naturrechtlichen Vorstellungen der Philosophie. So heißt es in Artikel 1: „Die Menschen sind und bleiben von Geburt an frei und gleich an Rechten.“, und Artikel 2 definiert die Aufgabe des Staates, diese „natürlichen und unveräußerlichen Rechte“ des Einzelnen zu garantieren und zu schützen. Die Frage der rechtlichen Grundlage stellte sich erneut für die Ordnung des Zusammenlebens der Individuen. Montesquieu leitete die Gesetzte der Gemeinschaftsorganisation ebenfalls nicht mehr vom göttlichen Willen, sondern von der Erfahrung der Menschen ab. In seinem Hauptwerk Vom Geist der Gesetze (De l’Esprit des lois, 1748) gelangte er aufgrund einer Untersuchung der Regierungsformen Monarchie, Republik und Despotismus zu dem Schluss, dass die durch eine Verfassung gezähmte Monarchie die beste Staatsform sei. Rousseau formulierte diesen Ansatz noch deutlicher: In seinem Gesellschaftsvertrag (Du Contrat Social, 1762) ist allein die willentliche Übereinkunft der Individuen die rechtliche Basis der Gemeinschaft. Dadurch, dass er freiwillig den Gesellschaftsvertrag eingeht, kann

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Sabine Büttner: Die Französische Revolution – eine Online-Einführung

1

WIRKUNGSBEREICHE

göttlicher Ursprung

des Rechts

Aufklärung

Naturrecht

Montesquieu

Rousseau

Recht und Verfassung Die bürgerlichen Protagonisten der Revolution sahen das Hauptinstrument der gesellschaftlichen Umgestaltung in der Verfassungs- und Gesetzgebung. Die wiederholten Modifikationen und heftigen parlamentarischen Debatten vor allem um die Bestimmungen der Verfassungen zeugen von einer intensiven politischen Auseinandersetzung. 1. Ursprung des Rechts Die mittelalterliche Rechtsvorstellung, dass die Quelle des Rechts im göttlichen Willen liege, kraft dessen das sakrale Königtum seine Legitimität und die staatliche Souveränität besitze, verlor im Laufe des 18. Jahrhunderts an Gültigkeit. Der Prestigeverlust der Krone, und damit einhergehend auch der Vertrauensverlust in den König als traditionellen Garanten des Rechts, führte in der Zeit vor Ausbruch der Revolution auch zu einer verbreiteten Rechtsunsicherheit in der Bevölkerung. Alternativen zu den herkömmlichen staatsrechtlichen Vorstellungen bot das reichhaltige Denken der Aufklärung, aus dem wirkungsmächtige theoretische Grundlagen für Reformen des Staates und der Gesellschaftsordnung hervorgingen. Durch den „Rückzug Gottes aus der Welt“ - im theologischen Denken wie im allgemeinen religiösen Empfinden – war der Mensch auf sich und seine Natur zurückgeworfen und versuchte daraus sein Selbstverständnis neu zu begründen. Weite Verbreitung fand die Idee von den natürlichen, vorstaatlichen Rechten des Individuums. Da diese angeborenen Rechte auch vom staatlichen Souverän nicht verletzt werden dürfen, implizieren sie eine Beschränkung der absolutistischen Machtvollkommenheit, die bald zur politischen Forderung wurde. Die Menschenrechtserklärung von 1789 rezipierte die naturrechtlichen Vorstellungen der Philosophie. So heißt es in Artikel 1: „Die Menschen sind und bleiben von Geburt an frei und gleich an Rechten.“, und Artikel 2 definiert die Aufgabe des Staates, diese „natürlichen und unveräußerlichen Rechte“ des Einzelnen zu garantieren und zu schützen. Die Frage der rechtlichen Grundlage stellte sich erneut für die Ordnung des Zusammenlebens der Individuen. Montesquieu leitete die Gesetzte der Gemeinschaftsorganisation ebenfalls nicht mehr vom göttlichen Willen, sondern von der Erfahrung der Menschen ab. In seinem Hauptwerk Vom Geist der Gesetze (De l’Esprit des lois, 1748) gelangte er aufgrund einer Untersuchung der Regierungsformen Monarchie, Republik und Despotismus zu dem Schluss, dass die durch eine Verfassung gezähmte Monarchie die beste Staatsform sei. Rousseau formulierte diesen Ansatz noch deutlicher: In seinem Gesellschaftsvertrag (Du Contrat Social, 1762) ist allein die willentliche Übereinkunft der Individuen die rechtliche Basis der Gemeinschaft. Dadurch, dass er freiwillig den Gesellschaftsvertrag eingeht, kann

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Volkssouveränität

Verbreitung positivistischer

Rechts-vorstellungen

der Einzelne seine ursprüngliche Freiheit bewahren. Der Staat existiert nur in der Verkörperung des Gemeinwillens (volonté générale), der regelmäßig erneuert und bestätigt werden muss. Somit ist nun das Volk alleiniger Souverän und Quelle des Rechts. Dieses Denken und ein damit verbundener, allmählicher Mentalitätswandel schufen erst die Voraussetzung für das politische Handeln breiter Massen. Denn nur dadurch, dass Verfassung und gesellschaftliche Strukturen als etwas Menschliches und nicht mehr als von Gott Gegebenes begriffen wurden, konnte überhaupt ein Glaube an die Veränderbarkeit und Gestaltbarkeit der Zustände entstehen. Im Laufe der Revolution lässt sich die allmähliche Verbreitung eines positivistischen Rechtsverständnisses gegenüber naturrechtlichen Vorstellungen beobachten, das die Abhängigkeit des Rechts vom Regelungsbedarf und den Wertvorstellungen einer Gesellschaft anerkennt.

Gesellschafts-

ordnung

Menschen- und Bürgerrechte

Reform des Justizwesens

Vereinheitlichung des Rechts

2. Gesetzgebung Die revolutionären Regierungen bzw. Legislativorgane versuchten mit einer Fülle von Gesetzen die Reformvorstellungen umzusetzen, über die nach z.T. heftigen Diskussionen Konsens erzielt worden war. Der Abbau von Privilegien und sozialen Ungleichheiten führte zu einer Neustrukturierung der Gesellschaft, die auf den Ideen von Gleichheit und Freiheit beruhte. In dieselbe Richtung wirkte die Abschaffung des Feudalwesens. Vom rechtlichen Standpunkt aus waren nun alle Bürger gleich, der gesellschaftliche Ort des Einzelnen war nicht mehr durch die Standeszugehörigkeit geregelt, sondern wurde von Besitz und Leistung abhängig. In die Eigentumsverhältnisse griff der Gesetzgeber nur zaghaft ein. Die Menschen- und Bürgerrechte dienten der verfassungsmäßigen Garantie der Freiheit der Person. Das revolutionäre Frankreich schloss hier erstmals auch religiöse Minderheiten wie Calvinisten, Protestanten und Juden ein, die das volle Bürgerrecht zugesprochen bekamen. Die Grenzen der Gleichheit wurden bei den Auseinandersetzungen um die Sklaven-Emanzipation sichtbar. Die Abschaffung der Sklaverei wurde am 28. September 1791 zwar für Frankreich dekretiert, in den Kolonien erlangte sie aber erst am 4. Februar 1794 Geltung. Ausgeschlossen vom Gleichheitsprinzip waren die Frauen, was bis auf wenige Ausnahmen auch für kaum einen Zeitgenossen zur Debatte stand. Das Justizwesen wurde ebenfalls reformiert und nach dem Prinzip der Gewaltenteilung zu einer unabhängigen Kraft umgestaltet. Da auch die Rechtsprechung der Volkssouveränität unterworfen war, erfolgte sie im Namen der Nation und durch gewählte Richter und Geschworenengerichte. Feudale Sondergerichte und die Parlements wurden zugunsten von Gerichtshöfen abgeschafft, die in drei Instatnzen gemäß eines einheitlichen Verfahrenswegs tätig wurden. Als zentrale Berufungsinstanz wurde der Kassations-Gerichtshof eingerichtet, während das nationale Hochgericht im Falle von Amtsmissbrauch von Ministern und hohen Staatsbeamten bzw. bei Verstößen gegen die Staatssicherheit eingriff. Die Rechtssicherheit und der Schutz des Angeklagten wurden allerdings vorübergehend durch die Notstandsdiktatur der Jahre 1793/94, im Besonderen durch die Terreur-Gesetze und das Revolutionstribunal, weitgehend außer Kraft gesetzt.

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Bereiche der Gesetzgebung

mangelnde Kontinuität

Die Rechtsbestimmungen, bisher eine Vielzahl, nach Stand und Regionen stark variierender Sonder- und Einzelrechte, wurden vereinheitlicht. Weitere Kernbereiche der Gesetzgebung waren: Neuordnung der Verwaltung, Liberalisierung der Wirtschaft, Reformierung des Steuer- und Finanzwesens und – eine Hauptaufgabe der revolutionären Parlamente – die Verfassungsgebung. Vielen Erlassen der Revolutionsperiode war nur eine kurze Lebensdauer beschieden, was ihr den Charakter einer Übergangszeit verleiht. Zum einen waren die Gesetze stark situativ gebunden und bald überholt, zum anderen führte der Umschwung der politischen Richtung häufig zu neuen Regelungen.

Verwaltungssystem

des Ancien Régime

Munizipal-revolution

Einteilung in Departements

Prinzip der Selbstverwaltung

administrative Neuordnung von

Paris

Umsetzungs-schwierigkeiten

3. Verwaltungsreform Das Provinzialverwaltungssystem des Ancien Régime war geprägt gewesen von Zentralismus, Unübersichtlichkeit und der häufig eigenmächtigen und willkürlichen Amtsführung der königlichen Intendanten und lokalen Autoritäten. Hier bestand dringender Reformbedarf, wollte man die Effizienz und Akzeptanz des Staates stärken. Die Munizipalrevolution des Sommers 1789 führte auf der Ebene der Städte und Gemeinden bereits zu einer provisorischen Reorganisation und Demokratisierung. Am 22. Dezember 1789 wurde eine neue administrative Einteilung des Landes in 83 Departements festgelegt, welche in der Verfassung von 1791 noch einmal eigens festgehalten wurde. Jedes Departement wurde einheitlich in Distrikte, Kantone und Gemeinden untergliedert. Den einzelnen Verwaltungsebenen waren spezifische Aufgaben und Kompetenzen zugewiesen, die sie gemäß dem Prinzip der demokratischen Selbstverwaltung wahrnahmen. So bestimmten etwa die Gemeindebürger in direkter Wahl den Bürgermeister und den Magistrat, welcher die Steuern erhob, Polizeibefugnisse innehatte und die Nationalgarde aufstellte. Die lokalen Freiheitsrechte standen nicht isoliert da, sondern waren über die jeweils höhere Verwaltungsstufe in den Zusammenhang und das politische Leben der Nation eingebunden. In der Hauptstadt Paris wurden die bestehenden 60 Verwaltungs-Distrikte in 48 Sektionen umgeformt. Die Aktiv-Bürger der Sektionen wählten Delegierte in den Stadtrat (Commune), der mit einem Bürgermeister an der Spitze die wichtigsten Hoheitsbefugnisse innehatte. Die Sektionen mit ihren regelmäßigen Bürgerversammlungen und Komitees wurden bald zu basisdemokratischen Zentren der Volksbewegung, die zunehmenden Druck auf die Nationalversammlung ausübten. Die flächendeckende Umsetzung der Verwaltungsreform in die Praxis erwies sich zunächst als äußert schwierig, da es den Behörden und ihren ausführenden Beamten an Erfahrung und entsprechender Schulung mangelte. In der Krisensituation von 1792/93 griffen die Jakobiner wieder zu mehr Zentralisierung, eine Tendenz, die unter Napoleon weiter ausgebaut wurde.

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Verfassung als gesellschaftliches

Gestaltungs-instrument

Euphorie und Pragmatismus

Grundlegung des europäischen

Konstitutio-nalismus

Fundament des klassischen

Liberalismus

4. Verfassung Im Zentrum der politischen Forderungen vor 1789 stand die Verfassungsfrage. Die Verfassung galt als das wichtigste Instrument der gesellschaftlichen Neuordnung, sie sollte Rechtssicherheit schaffen, Willkürherrschaft verhindern und das allgemeine Glück befördern. Die Hoffnung auf die Wirkungsmacht des konstitutionellen Textes ist vor dem Hintergrund eines Mentalitätswandels im Laufe des 18. Jahrhunderts zu sehen: Entchristianisierung und Aufwertung des Rationalismus verbreiteten ein Bild des Menschen, der durch den Gebrauch seiner Vernunft seine Umwelt eigenständig gestaltete. Diese Verfassungseuphorie der ersten Revolutionsjahre machte spätestens unter dem Direktorium bei der Mehrheit der Abgeordneten einer pragmatischeren Perspektive Platz, welche die Verfassung stärker in den Dienst der aktuellen politischen Notwendigkeiten stellte und sie von allzu großen Erwartungen „befreite“. Wie stark der Glaube an die Verfassung aber auch bei der Masse der Bevölkerung verbreitet war, zeigte sich noch einmal im „Prairial-Aufstand“ von 1795, dessen Devise „Brot und die Verfassung von 1793!“ war. Der Ort der Verfassungsdebatten war neben einer sich entwickelnden politischen Öffentlichkeit in erster Linie das Parlament. Hier wurden Modelle diskutiert und erarbeitet, die richtungsweisend für das 19. Jahrhundert – das „Jahrhundert des Konstitutionalismus“ – wurden. Kaum ein Staat konnte sich mehr der Forderung nach einer Verfassung entziehen. Die wesentlichen Streitpunkte, um die sich spätere Verfassungskämpfe drehen sollten, hatten sich schon in der kurzen Verfassungsgeschichte der Französischen Revolution herauskristallisiert:

- konstitutionelle Monarchie oder Republik - das Wahlrecht als Schlüsselfrage, in welchem Umfang Partizipationsrechte des

Volks gewährt werden sollten und - die Gewichtung von Exekutive und Legislative.

Im Verbund mit der Erklärung der Menschenrechte schufen die Revolutionsverfassungen das Fundament des klassischen Liberalismus mit den zentralen Werten der Freiheit des Individuums, der Gleichheit der Staatsbürger vor dem Gesetz und der Unverletzlichkeit des Eigentums.

vier Verfassungen

Verfassung 1791

monarchisch- liberal

Integration des Königs scheitert

5. Revolutionsverfassungen Im Jahrzehnt der Französischen Revolution wurden nicht weniger als vier Verfassungen ausgearbeitet. Die Veränderungen zwischen den Texten von 1791, 1793, 1795 und 1799 spiegeln dabei in gewissem Maße das Wechselspiel von Theorie und Praxis, den äußeren Verlauf und die inhaltlichen Debatten der Revolution, wider. Die Verfassung von 1791, an der die Assemblée Nationale Constituante zwei Jahre gearbeitet hatte, verwirklichte die liberalen Ideen des Bürgertums im Modell der konstitutionellen Monarchie. Ihre Eckpfeiler waren die Gewaltenteilung und die Souveränität der Nation, wobei letztere durch das Zensuswahlrecht und das Veto-Recht des Königs allerdings eingeschränkt war. Zur Enttäuschung der bürgerlichen Revolutionäre zeigte sich bald, dass sich Ludwig XVI. nicht auf den ihm von der Verfassung zugewiesenen Platz stellen ließ. Seine Obstruktionshaltung gegenüber der Legislative wurde spätestens angesichts des Krieges,

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Verfassung 1793

schwache Exekutive

allgemeines

Wahlrecht

soziale Grundrechte

Verfassung 1795

Schwächung der Legislative

Machtauf-splitterung

Verfassung 1799

Dominanz der Exekutive

Verfassungs-wandel als

Erfahrungsprozess

der rasche und klare Entscheidungen erforderte, untragbar. Auf diese Weise wurde das Funktionieren der Verfassung durch die Praxis überholt. Der Tuilerien-Sturm und seine politischen Folgen besiegelten das schnelle Ende der monarchischen Option. Der Entwurf der sog. „Jakobiner-Verfassung“ von 1793 basierte auf einer republikanisch-demokratischen Grundordnung. Die monarchische Spitze wurde abgeschafft, statt dessen sollte die Regierung durch einen Exekutivrat aus 24 regelmäßig ausgewechselten Ministern geführt werden. Die uneingeschränkte Volkssouveränität drückte sich im allgemeinen Wahlrecht für alle männlichen Bürger aus. Durch die Möglichkeit der Wählerbeteiligung an der Gesetzgebung via Referendum waren auch Elemente der direkten Demokratie vorgesehen. In der Erweiterung des Menschen- und Bürgerrechtskatalogs um soziale Komponenten wie das Recht auf Arbeit und das Recht auf Unterstützung in Notlagen wird das Bestreben deutlich, auch die materielle Existenzgrundlage der Bevölkerung durch die Verfassung zu sichern, so wie dies viele Menschen 1789 erwartet hatten. Obwohl die Verfassung von 1793 aufgrund des Ausnahmezustands von Krieg und Bürgerkrieg nie die Bewährungsprobe der gelebten Verfassungswirklichkeit antreten musste, hatte sie für viele spätere Demokratien Vorbildcharakter. Die Direktorial-Verfassung (1795) schränkte die demokratischen Zugeständnisse ihrer Vorgängerin wieder ein, stand aber durchaus in der liberalen Tradition von 1791. Ihre bürgerlich-konservativen Autoren verarbeiteten die Erfahrungen von Diktatur und Herrschaft der Straße, vor denen sie die Nation bzw. das Besitzbürgertum zukünftig schützen wollten. Der Zensus reduzierte den Kreis der Wahlberechtigten wieder erheblich. Durch das Zwei-Kammersystem wurde die Macht der Legislative beschnitten, demgegenüber erfuhr die Exekutive eine deutliche Aufwertung. Um die Usurpation der Regierungsgewalt durch einen Einzelnen zu vermeiden, wurde ein fünfköpfiges Direktorium an die Spitze der Exekutive gestellt. Das klare Manko der Direktorial-Verfassung lag in der Aufsplitterung der Kompetenzen, die aus dem Bemühen resultierte, Machtkonzentrationen zu verhindern. Die Folge war, dass die Regierung nur bedingt handlungsfähig war bzw. sich nur noch durch die Praxis der Staatsstreiche am Leben erhalten konnte. Der Staatsstreich vom 18. Brumaire machte den Weg für die Konsulats-Verfassung des Jahres 1799 frei. Im Gegensatz zu den vorherigen Verfassungen ist hier keine Menschenrechtserklärung vorangestellt. Die Volkssouveränität wurde nun durch ein mehrstufiges, indirektes Wahlverfahren bzw. die Nominierung von Amtsträgern der Legislativgremien de facto abgeschafft. Die Exekutive erhielt eine unangefochten dominante Machtstellung mit einem Initiativrecht in der Gesetzgebung und in Haushaltsfragen. An ihrer Spitze stand der Erste Konsul, der quasi-diktatorische Vollmachten besaß. Die enge Verknüpfung von Verfassungsentwicklung und Ereignisgeschichte legt die Interpretation nahe, dass die Verantwortlichen zunehmend von abstrakten Gestaltungsideen Abstand nahmen und die Verfassungen stärker den Erfahrungen und Erfordernissen der erlebten politischen Realität anpassten. Ein Indiz dafür ist auch die – partielle - personelle Kontinuität der bürgerlichen Revolutionäre über den Wechsel der Regierungen und

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Verfassungen hinweg.

allgemeiner Wohlstand durch

Liberalisierung

freier Markt

Gewerbefreiheit

Koalitionsverbot

Steuerreform

wenig Einnahmen

Wirtschafts- und Sozialpolitik War der Dritte Stand mit gemeinsamen Forderungen nach persönlichen und politischen Rechten gegen Adel und Klerus erfolgreich aufgetreten, so zerbrach die Interessengemeinschaft dieser heterogenen Gruppe in Fragen der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Da die Akteure der „Verfassungsrevolution“ fast ausschließlich aus den Reihen des besitzenden Bürgertums kamen, konnte dieses seine Positionen politisch weitgehend durchsetzen. 1. Liberalisierung der Wirtschaft durch die Konstituante Eine allgemeine Verbesserung der ökonomischen Verhältnisse versprachen sich die Mitglieder der Konstituante (verfassungsgebende Nationalversammlung) durch ein umfassendes Liberalisierungsprogramm. Gleichheit - so die Theorie des Wirtschaftsliberalismus - ist die Gleichheit der Chancen: Waren erst die entsprechenden Voraussetzungen geschaffen, so würde der Wettbewerb auf dem freien Markt bald zur Steigerung des allgemeinen Wohlstands beitragen. Die Revolution musste bei der Umgestaltung des Wirtschaftssystems keineswegs nur aus sich selbst schöpfen, sondern konnte an Reformen anknüpfen, die unter dem Ancien Régime bereits begonnen oder projektiert worden waren. Dazu gehörte die Schaffung eines nationalen Marktes durch die Auflösung von Handelsmonopolen wie z.B. das der Ost-Indien-Kompagnie, die Aufhebung der städtischen und regionalen Zollschranken und die Vereinheitlichung des Maß- und Gewichtssystems. Mit Ausnahme des Getreideexports wurde der Handel gänzlich freigegeben. Die Aufhebung der Zünfte durch das Gesetz d’Allard vom 2. März 1791 sollte überkommene Produktionshemmnisse abschaffen. Um neue Formen berufsständischer Vereinigungen und kollektiver Interessenvertretung - wie sie sich in Streiks und Lohntarifforderungen bereits andeuteten - zu verhindern, erließ die Konstituante mit dem Le Chapelier-Gesetz (14. Juni 1791) im Interesse der unternehmerischen Freiheit ein allgemeines Koalitions- und Streikverbot, das eine Einschränkung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit beinhaltete. Da die Ungerechtigkeit des Steuersystems nicht nur eine Hauptquelle des sozialen Unmuts in der Bevölkerung war, sondern auch ein Hindernis für ein funktionierendes Wirtschafts- und Finanzwesen, gehörte die Steuerreform zu den dringlichsten Aufgaben. Das komplizierte, von vielfältigen Ausnahmen, regionalen Sonderregelungen und Privilegierungen bestimmte Abgabensystem wurde durch eine allgemeine Grundsteuer auf Immobilienbesitz, Vermögenssteuer und Gewerbesteuer ersetzt. Gestrichen wurde der überwiegende Teil der zahlreichen Verbrauchssteuern wie z.B. die Salzsteuer (gabelle). Die Reform führte aus Sicht der Staatskasse allerdings zunächst nicht zu der gewünschten Sanierung des Haushalts. Mit dem Ausbruch der Revolution hatte die Bevölkerung die Zahlung der Abgaben quasi eingestellt und setzte auch nach der Neuregelung die Praxis der

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Landwirtschaft

Freigabe des Getreidehandels vs.

Kontrolle

Steuerhinterziehung fort, zumal dem Staat zunächst die organisatorischen und personellen Mittel zur Durchsetzung fehlten. Auf dem Agrarsektor waren die Abschaffung der grundherrlichen Rechte und Abgaben sowie die Freiheit des Bodens die entscheidenden Neuerungen. In den Ausführungsbestimmungen erwies sich die gewonnene Freiheit für die ärmeren Bauern und Kleinpächter allerdings als äußerst beschränkt. Für die Ablösung der Naturalabgaben mussten sie den 25-fachen, bei Geldabgaben den 20-fachen Jahresbetrag zahlen, was für viele nicht erschwinglich war. Von der Abschaffung der Feudalität profitierten in erster Linie wohlhabende Großbauern sowie Stadtbürger, die in Grundbesitz investierten. Ein zentraler Streitpunkt, bei dem die Interessengegensätze von Großbürgertum und Unterschichten zum Tragen kamen, war die Freigabe des Getreidehandels, der traditionell der staatlichen Kontrolle unterworfen war. Bereits frühere Versuche zur Freigabe des Getreidehandels hatten vielerorts Unruhen und Revolten der städtischen und ländlichen Unterschichten provoziert, die ihre Grundversorgung bedroht sahen. Entsprechend schwierig ließen sich die Liberalisierungsvorhaben der Nationalversammlung durchsetzten. Durch Missernten und Krieg hervorgerufene Versorgungsengpässe führten wiederholt zu Teuerungsunruhen und heftigen politischen Kämpfen. Ohne staatliche Eingriffe wie Subventionen und Preisregulierungen war die Lebensmittelversorgung vor allem der großen Städte auch in der Folgezeit nicht möglich.

Assignaten

Inflation

Gewinner und Verlierer

Einzug der Assignaten

2. Schuldenkrise und Geldpolitik Das wohl belastendste Vermächtnis des Ancien Régime war ein Schuldenberg von etwa 5 Milliarden Livres. Die ersten Reformmaßnahmen der Nationalversammlung trieben die Ausgaben zudem weiter in die Höhe, während die Einnahmen aufgrund der Steuerausfälle deutlich hinter den Erwartungen zurückblieben. Rasche Abhilfe sollte der Verkauf der verstaatlichten Kirchengüter schaffen. Auf den zu veräußernden Grundbesitz wurden gemäß eines Beschlusses vom 19. Dezember 1789 Schuldscheine ab einem Wert von 1.000 Livres ausgegeben. Diese sog. Assignaten nahmen immer mehr den Charakter einer Parallelwährung an: Nach gut einem Jahr war das Papiergeld in Stückelungen bis zu 5 Livres erhältlich und diente als alltägliches Zahlungsmittel. Das Verfahren vergrößerte die zirkulierende Geldmenge beträchtlich und zeigte stark inflationäre Wirkung. Das Metallgeld verschwand weitgehend vom offenen Markt, Spekulation und Warenhortung waren weitere Folgen. Profitieren konnten die Besitzer von Sachwerten und Boden, das Nachsehen hatten Lohnempfänger, Kapitalrentiers und Produzenten, die ihre Rohstoffe im Ausland erwerben mussten, vom Abnehmer aber in Assignaten bezahlt wurden. Die verheerenden Wirkungen der Inflation verstärkten die Existenzängste breiter Bevölkerungsschichten und ließen die Rufe nach dirigistischen Maßnahmen lauter werden. Insgesamt hatten die unbewältigten Finanzprobleme wesentlichen Anteil daran, dass der Revolution auch lange Zeit keine politische Stabilisierung gelang. Als die Assignaten nur noch einen Bruchteil ihres Ausgabewertes besaßen, wurden sie im Frühjahr 1796 eingezogen und konnten im Verhältnis 1:30 durch „Territorialmandate“ ersetzt werden, welche ihrerseits im darauffolgenden Jahr eingestellt wurden.

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Insgesamt wurden Assignaten im Wert von circa 45 Mrd. Livres ausgegeben. Dem gegenüber steht eine Schätzung des Gesamtwertes der Nationalgüter auf nur 4-5 Mrd. Livres.

Sicherung der Grundversorgung

Enragés und Hébertisten

Höchstpreis-regelungen

weitere zwangswirt-

schaftliche Maßnahmen

Reliberalisierung

3. Dirigismus der Jakobiner Unter den Voraussetzungen der anhaltend katastrophalen Wirtschaftssituation – verstärkt durch Krieg und Inflation – versuchte der Jakobiner-Konvent mit zwangswirtschaftlichen Maßnahmen die Grundversorgung der Bevölkerung aufrecht zu erhalten. Die nachdrücklichsten Befürworter staatlicher Eingriffe in die Wirtschaft waren die Enragés um Jacques Roux und die Hébertisten, die als politische Spitze der Sansculotten-Bewegung vor allem für die Durchsetzung sozialpolitischer Programme eintraten. Ihre Polemik richtete sich gegen Händler und reiche Bauern, die als „Reiche“, „Wucherer“ und „Aushungerer des Volkes“ beschimpft und für die Versorgungsengpässe in den Städten verantwortlich gemacht wurden. Da Knappheit und Inflation die Preise für Grundnahrungsmittel stark in die Höhe trieben, wurde von Mai bis Oktober 1793 eine Reihe von Dekreten erlassen, die die Versorgung regeln sollten. Am 4. Mai 1793 wurde das „kleine Maximum“ eingeführt, das Höchstpreise für Getreide und Mehl festlegte, am 29. September 1793 folgte das „große Maximum“, das alle wichtigen Lebensmittel und Konsumgüter in die Preisregulierung einschloss. Allerdings wurden auch die Löhne einem Maximum unterworfen, das bei dem anderthalbfachen Durchschnittslohn von 1790 lag, und wogegen sich z.T. heftiger Widerstand der Lohnarbeiter regte. Alle lebensnotwenigen Güter mussten bei den Behörden gemeldet werden. Warenhortung und Preistreiberei wurden mit empfindlichen Strafen belegt. Die Getreidevorräte wurden zentral erfasst und in staatlichen Vorratslagern aufbewahrt. Erntehelfer konnten ebenso wie Lebensmittel zwangsrekrutiert werden. Ende Oktober 1793 gab die Stadtverwaltung von Paris Lebensmittelkarten aus und überwachte den Verkauf von Fleisch und Zucker. Der Staat kontrollierte nicht nur die Lebensmittelversorgung, sondern auch die Manufakturen im Bereich der Kriegsproduktion. Schließlich erteilte der Konvent der Lebensmittelkommission die Befugnis, die Preise für alle industriellen, handwerklichen und landwirtschaftlichen Produkte festzulegen. Nach dem Ende der Jakobinerherrschaft setzte unter dem Direktorium eine erneute Liberalisierung der Wirtschaft ein. Die Freigabe der Preise und ein sehr kalter Winter führten 1794 zu einer schlimmen Hungersnot, zumal Zwangswirtschaft und Inflation die Getreideproduktion schon vorher stark hatten sinken lassen. Für alle, die mit Assignaten bezahlen mussten, war kaum etwas erhältlich, während die Besitzer von Hartgeld ein sehr luxuriöses Leben führen konnten.

sozialistische/ marxistische

Interpretation

4. Veränderung der ökonomischen Strukturen? Die sozialistische und marxistische Geschichtswissenschaft (A. Mathiez, G. Lefebvre, A. Soboul u.a.) interpretierte die Französische Revolution als Klassenkampf zwischen Feudalaristokratie und „Bourgeoisie“, der mit dem Sieg des bürgerlichen Lagers letztlich

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keine Revolutionierung

der Wirtschaft

Krieg als Wirtschafts-

hemmnis

Dominanz der Landwirtschaft

Ideal des Kleineigentümers und -produzenten

auch dem modernen Kapitalismus zum Durchbruch verholfen habe. Neuere Untersuchungen haben jedoch erwiesen, dass die Revolution Frankreich keinen qualitativ entscheidenden Wandel der wirtschaftlichen Strukturen bescherte. Die Wirkungen der wirtschaftsliberalen Öffnungen der Nationalversammlung blieben beschränkt, da Kriegswirtschaft, Schuldenkrise und der Umschwung zum jakobinischen Dirigismus kaum Raum für die Entfaltung kapitalistischer Produktionsweisen boten, sondern vielmehr zahlreiche Manufakturen in den Ruin trieben. Wenn Kapitalüberschüsse erwirtschaftet wurden, so wurden diese meist wieder in Grundbesitz investiert. Insgesamt wurde die wirtschaftliche Dynamik durch die Revolution und vor allem durch die Auswirkungen des Krieges deutlich abgebremst und ließ Frankreich weit hinter England zurückfallen, das zu dieser Zeit bereits zum industriellen „Take off“ ansetzte. Die Landwirtschaft blieb weiterhin der wichtigste Wirtschaftssektor. Die Agrarpolitik der Revolutionsregierungen verfestigte im Endergebnis die ländlichen Besitzstrukturen, in deren Zentrum die kleinbäuerliche Produktion stand, die kaum die Stufe der Subsistenzwirtschaft übersprang. Auch ideologisch wurde das traditionelle Ideal des kleinen, unabhängigen Produzenten – verkörpert durch den Sansculotten – gestützt, der bis ins 20. Jahrhundert hinein charakteristisch für die französische Wirtschaft blieb. Die Volksbewegung zeigte in ihren Intentionen also eher traditionalistische und antimodernistische Züge als prä-proletarische Konturen.

Vermehrung des Kleingrundbesitzes

Konditionen des Nationalgüter-

verkaufs

Verkauf der Emigrantengüter

5. Umstrukturierung der ländlichen Besitzverhältnisse Die ländliche Bevölkerung hatte sich von der Revolution vor allem die Befreiung aus der seigneuralen Abhängigkeit und die Stärkung des Kleingrundbesitzes versprochen. Die agrarpolitischen Maßnahmen der Konstituante (verfassungsgebende Nationalversammlung) zielten zunächst in diese Richtung: Im Zuge der „Entfeudalisierung“ und durch den Verkauf der Nationalgüter sollte die Gruppe der Landeigentümer vermehrt und dabei vor allem die ärmeren Bauern unterstützt werden. Das Ausführungsgesetz vom Juli 1790 schrieb eine Parzellierung der Nationalgüter vor, allerdings nur, wenn dadurch bei den Versteigerungen mehr erzielt würde als beim Verkauf größerer Landstücke. Den Käufern wurde eine langsame Schuldentilgung – Ratenzahlungen für 12 Jahre bei 12% Anzahlung und 5 % Zinsen – eingeräumt. Diese vorteilhaften Konditionen wurden aber schon im November wieder deutlich eingeschränkt, da die Staatskasse dringend Geld benötigte und den Verkauf daher beschleunigen wollte. In den Jahren 1792/93 wurde mit Beschlagnahmung und Verkauf der Emigrantengüter zu günstigeren Bedingungen ein weiterer Versuch unternommen, den kleinbäuerlichen Besitz zu vermehren. Es war erklärtes Ziel des Konvents, die Landbevölkerung in den revolutionären Prozess damit stärker einzubeziehen und ihre Unterstützung zu sichern. Manche Dorfgemeinschaften sowie andere Gruppen kapitalschwächerer Interessenten schlossen sich zusammen, um gemeinsam ein größeres Stück Land zu kaufen. Da jedoch diese Kollektivkäufe schnell verboten wurden, war dem Großteil der ärmeren Bauern der Grunderwerb weiterhin unmöglich.

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keine umfassende

Umverteilung

Gewinner des Nationalgüter-

verkaufs andauernde soziale

Spannungen

Resümierend bleibt festzustellen, dass die Agrarpolitik der Revolutionsregierungen keine umfassenden sozialen Umstrukturierungen der Besitzverhältnisse bewirkt hat. Zwar wechselten durch den Verkauf der Kirchengüter etwa 10% des französischen Bodens den Besitzer, es kam dabei aber kaum zu einer vertikalen Umverteilung des Besitzes innerhalb der Gesellschaft. Nur in geringem Umfang konnte der Kleingrundbesitz gestärkt werden, die ärmsten Gruppen der Landbevölkerung wie etwa die Tagelöhner hatten kaum eine Chance auf den Erwerb eigenen Landes und blieben weiterhin in ökonomische Abhängigkeitsverhältnisse eingebunden. Da angesichts des prekären Staatshaushalts – entgegen den ursprünglich erklärten Intentionen – meist doch die zahlungskräftigeren Großbauern, Großpächter und reichen Stadtbürger als Käufer bevorzugt bzw. durch die Praxis der Versteigerung begünstigt wurden, zählen diese letztlich zu den Hauptprofiteuren des Nationalgüterverkaufs. Dabei war es von Region zu Region verschieden, ob die Nationalgüter eher in die Hände der Großbauern oder des Stadtbürgertums übergingen. Meist wurden die schon bestehenden regionalen Sozialstrukturen bestärkt. Die sozialen Spannungen auf dem Land bleiben somit grundsätzlich bestehen und führten wiederholt zu Prostesten und Aufständen bzw. zur enttäuschten Abwendung von der Revolution.

Existenzsicherung vs. Eigentum

Forderungen der

Volksbewegung

Entgegenkommen der jakobinischen Wirtschaftspolitik

Ideen Babeufs

Eigentum als Grundrecht

6. Eigentum und „Soziale Frage“ Im Verlauf der Revolution zwang der Druck der Straße Regierung und Parlament in zunehmendem Maße die Diskussion um die Beschränkung des Eigentumsrechts auf. Es zeigte sich dabei ein grundlegender Interessenkonflikt zwischen dem Recht auf Existenzsicherung, wie es etwa die Sansculotten verlangten, und dem Recht auf Eigentum, dem die Mehrheit der bürgerlich-liberalen Politiker Priorität einräumte.

Im konkreten Forderungskatalog der Sansculottenbewegung standen die Vermehrung des Kleineigentums, Zwangsbesteuerung bzw. Enteignung der Reichen und die öffentliche Fürsorge für bedürftige „Patrioten“. Ihr sozialpolitisches Ziel war ein gemäßigter Ausgleich der Eigentumsverhältnisse und die staatliche Garantie der Grundversorgung. Der Jakobiner-Konvent kam diesen Forderungen mit seiner dirigistischen Wirtschaftspolitik teilweise nach. Den – populistisch motivierten - Höhepunkt sozialpolitischen Entgegenkommens stellte sicherlich der Erlass der Ventôse-Dekrete dar, welche die Konfiskation der Besitztümer von Verdächtigen und ihre Verteilung unter den Bedürftigen ermöglichen sollte. Wirklich fundamentale Angriffe auf die Wirtschafts- und Eigentumsverhältnisse finden sich in den Ideen des Radikalsozialisten Babeuf, der – zumindest für den Agrarsektor – die Umverteilung und Sozialisierung von Grundbesitz und Produktionsmitteln anstrebte. Der Blick in die Verfassungen zeigt aber, dass das Recht auf Eigentum darüber hinaus nie grundsätzlich in Frage gestellt wurde; auch die Verfassung von 1793 schränkte das Eigentumsrecht nicht ein, sondern ergänzte es durch das Recht auf Fürsorge und

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staatliche Sozialfürsorge

Maßnahmen der Konstituante

Gesetzgebende Versammlung

sozialpolitische Pläne des Konvents

Kontinuität zum Ancien Régime

Unterstützung. Auf dem Gebiet der Sozialfürsorge kam auf den Staat ein Bündel neuer Verpflichtungen zu, da ihm die bisher von der Kirche getragenen Aufgaben nach deren Enteignung und „Nationalisierung“ zufielen. Der Staat stand damit vor einer bedeutenden Aufgabe, denn der Ausbruch der Revolution hatte die Lebensbedingungen vieler Leute weiter verschlechtert. Der Bericht des Comité de mendicité („Bettelausschuss“) stufte schon 1790 ein Fünftel der Bevölkerung als bedürftig ein. Die Verfassung von 1791 sah die Einrichtung „einer allgemeinen Anstalt für öffentliche Hilfeleistung“ vor, doch die verfassungsgebende Nationalversammlung (bis Herbst 1791) brachte keine zusammenhängende Neuorganisation der Sozialfürsorge auf den Weg, sondern behalf sich, indem sie die karitativen Orden vom Verkauf der Nationalgüter ausnahm und mit Subventionen unterstützte. Zwei Dekrete vom Mai und August 1790 bestimmten darüber hinaus die Einrichtung von Armenhäusern. Die gesetzgebende Nationalversammlung löste am 19. August 1792 die religiösen Orden auf, die sich bisher um die Armenfürsorge gekümmert hatten, ohne jedoch für ausreichenden Ersatz zu sorgen. Zu ihren sozialpolitischen Initiativen gehörten u.a. die Gründung von Armenwerkstätten und die Unterstützung für Arbeitsunfähige. Der Konvent arbeitete weit reichende Pläne sozialer Wohlfahrt aus, konnte die organisatorische und finanzielle Umsetzung allerdings kaum leisten: Kostenlose medizinische Versorgung, Pensionen für Ältere und Hilfe für kinderreiche Mütter blieben weitgehend Versprechungen. Auch die Registrierung der Bedürftigen in den Gemeinden, die Einrichtung einer Fürsorgekommission und die Nationalisierung der Wohlfahrtseinrichtungen änderten daran nichts. Der Ansatz der staatlichen Fürsorge fußte weiterhin auf dem Prinzip der finanziellen Hilfeleistung im Fall der Bedürftigkeit, nicht auf strukturellen Veränderungen etwa durch Landverteilung. Die Kontinuität zur Armenfürsorge des Ancien Régime zeigte sich auch im rigorosen Vorgehen des Konvents gegen die Bettelei: Widerspenstige konnten seit Herbst 1793 mit der Deportation in die Kolonien bestraft werden.

Rolle der Frau als Ernährerin der

Familie

Frauen und Familie Auch wenn die Gleichheit zu den wichtigsten Prinzipien der Französischen Revolution bzw. der Menschenrechte gehörte: die Frauen blieben von der vollen rechtlichen Gleichstellung ausgeschlossen. Sie waren aber keineswegs nur Hintergrundfiguren im revolutionären Geschehen, sondern aktive Teilnehmerinnen und auch Gestalterinnen der Ereignisse. 1. Frauen als Akteurinnen der Revolution Das revolutionäre Engagement der Frauen aus den städtischen Unterschichten wuchs aus der direkten Betroffenheit heraus: Da sie es waren, die für die häusliche Wirtschaft und die Ernährung der Familie zuständig waren, wurden sie zu den Hauptträgerinnen der spontanen Journées und „Brotaufstände“, die vor allem die Sicherung der Lebensmittelversorgung

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Volksaufstände

Hauptnahrungs-mittel Brot

Formen des Engagements

Frauen-Clubs

zunehmende Politisierung

Club der revolutionären

republikanischen Bürgerinnen

Verbot der

Frauenclubs

erzwingen sollten. So ist es kein Zufall, dass wichtige Ereignisse der Revolutionsgeschichte mit verschärften Versorgungsengpässen zusammenfallen: der ebenso legendäre wie erfolgreiche „Zug der Marktweiber“ nach Versailles am 5./6. Oktober 1789, der Tuilerien-Sturm vom 10. August 1792, die Aufstände des Frühjahrs 1795. Frauen waren an der Plünderung von Läden beteiligt, sie zwangen die Bauern und Produzenten auf den Märkten, ihre Waren günstiger abzugeben, kämpften gegen den Wucher und forderten mit Nachdruck die Festlegung von Höchstpreisen. Vergleichbare Aktionen von Frauen waren auch schon von Hungerkrisen vor der Revolution bekannt und wurden meist nicht strafrechtlich verfolgt, da sie Ausdruck unmittelbarer Existenznöte waren. Die Brisanz der Brotpreise wird deutlich, wenn man sich vor Augen hält, dass ein Großteil des Arbeitslohnes für Brot ausgegeben werden musste. Brot war das wichtigste und in Zeiten der Not auch das einzige Nahrungsmittel. Man rechnet einen durchschnittlichen Tagesbedarf von anderthalb Pfund Brot pro Erwachsenen, so dass eine eine 4-5-köpfige Familie circa 6-7 Pfund Brot benötigte. Die Aktivität der Frauen beschränkte sich aber keineswegs auf spontane, sozial motivierte Erhebungen. Sie bedienten sich wie die Männer neuer Organisationsformen wie z.B. der Clubs und Gesellschaften, sie waren auf den Zuschauerrängen des Parlaments ebenso zu finden wie auf politischen Versammlungen, sie veröffentlichten Broschüren und Denkschriften, trugen Petitionen vor und versuchten Einfluss auf politische Entscheidungen zu nehmen. 1790 bildeten sich im ganzen Land Clubs und Gesellschaften, die ausschließlich weibliche Mitglieder zählten: etwa der Cercle Partriotique des Amies de la Vérités („Patriotischer Kreis der Freundinnen der Wahrheit“), der Club des Femmes („Club der Frauen“), die Soeurs de la Constitution („Schwestern der Verfassung“), daneben entstanden aber auch gemischte Gesellschaften wie die Société fraternelle des Deux Sexes („Brüderliche Gesellschaft beider Geschlechter“). Die auf diese Weise organisierten Frauen widmeten sich zunächst häufig wohltätigen, „patriotischen“ Zwecken: Sie halfen bei der Armenfürsorge, sammelten Hilfsgüter und strickten Kleidungsstücke für die Soldaten – weshalb sie auch als „Strickweiber“ tituliert wurden. Mit der Radikalisierung der Revolution wurden aber auch die Positionen der Frauen politischer, ihr Engagement kämpferischer. Sie nahmen an den aktuellen Diskussionen teil, wachten über die Einhaltung der Verfassung und formulierten politische Forderungen. Einer der aufsehenerregendsten Clubs der Pariser Sansculottenbewegung war der Club des Citoyennes Républicaines Révolutionaires („Club der revolutionären republikanischen Bürgerinnen“), der im Mai 1793 von Claire Lacombe und Pauline Léon gegründet wurde. Die „revolutionären Republikanerinnen“ trugen Hosen, die Nationalkokarde und die Jakobinermütze und bewaffneten sich. Sie forderten das Wahlrecht für Frauen und propagierten angesichts der Bedrohung durch den Krieg die Aufstellung eines „Amazonenheers“ sowie striktes Vorgehen gegen die inneren Feinde der Revolution. Derartiger weiblicher Einsatz wurde von männlicher Seite mit größtem Misstrauen beobachtet. Anlässlich eines Streits zwischen Sansculottinnen und Marktfrauen um die Pflicht des Kokarden-Tragens verbot der Jakobiner-Konvent im Oktober 1793 alle

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Frauenclubs.

Forderungen nach rechtlicher

Gleichstellung

„natürliche“ Unterordnung der

Frau

Olympe de Gouge

Etta Palm

Théroigne de Méricourt

Condorcet

2. Feministische Positionen Im engeren Sinne politische Forderungen bzw. theoretische Überlegungen zu den Rechten der Frau kamen in erster Linie von Frauen aus der Mittel- und Oberschicht, die über eine gewisse Bildung verfügten. Diese setzten sich für Unterricht, die Reform der Ehegesetze und auch für die politische und rechtliche Gleichbehandlung der Geschlechter ein. Gleichberechtigung bedeutete nicht nur die politische Partizipation, sondern auch die Befreiung aus der Vormundschaft der Väter und Gatten. Die Frauen mussten dabei gegen die gängige und von der Aufklärung gestützte Auffassung ankämpfen, dass der Wirkungskreis der Frau aufgrund ihrer biologischen Beschaffenheit auf Haus und Familie beschränkt sei. Rousseau’schen Positionen folgend argumentierten viele Männer, dass es den Gesetzen der Natur widerspreche, wenn sich eine Frau die Stellung eines Mannes anmaße. So gab es unter den revolutionären Gruppierung keine, die eine aktive Teilhabe der Frauen an der Politik befürwortete. Ein außergewöhnliches Beispiel weiblichen Emanzipationsbestrebens war die Schriftstellerin Olympe de Gouges, die im September 1791 eine Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin veröffentlichte. Mit dem Naturrecht begründete sie ihre Forderungen nach völliger zivilrechtlicher und politischer Gleichstellung der Frau. Die Ehe als Institution sah sie als überholt an und schlug vor, sie durch einen Sozialvertrag zu ersetzen. In zahlreichen politischen Flugschriften versuchte sie ihre Geschlechtsgenossinnen zum revolutionären Engagement aufzufordern und setzte sich für die Belange der Frau und die Reform der Gesellschaft ein. Als die Anhängerin der konstitutionellen Monarchie 1793 für die öffentliche Abstimmung über die Staatsform plädierte, wurde sie als Konterrevolutionärin verhaftet und hingerichtet. Eine weitere Vorkämpferin der Frauenrechte war die Niederländerin Etta Palm, die 1790 nach Paris gekommen war. Dort gründete sie die „Patriotische und wohltätige Gesellschaft der Wahrheit“ und veröffentlichte u.a. im April 1792 den Aufruf an die Französinnen über die Erneuerung der Sitten und die Notwendigkeit des Einflusses von Frauen in einer freien Regierung. Als drittes prominentes Mitglied in der Riege der revolutionären Frauen sei noch Théroigne de Méricourt genannt. Die Tochter eines reichen Bauern setzte sich in öffentlichen Reden und Schriften für die Gleichberechtigung ein, nahm aber auch aktiv, teilweise in Männerkleidern und bewaffnet, an den Pariser Aufständen teil. Als die populäre „Amazone“ im Club des Cordeliers um Aufnahme bat, wurde sie jedoch von der Männer-Gesellschaft zurückgewiesen. Sie endete wahrscheinlich in einem Pariser Irrenhaus. Einer der wenigen Männer, die öffentlich für die rechtliche Gleichstellung der Geschlechter eintraten, war der Philosoph und Mathematiker Condorcet. Er argumentierte, dass die Frau ebenso ein vernunftbegabtes Wesen sei wie der Mann und folglich gleichermaßen am politischen Leben partizipieren könne. Die bestehende untergeordnete Stellung der Frau sei ein Produkt der Gesellschaft, nicht der Natur.

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Zivilehe

symbolische Bedeutung

mehr Eheschließungen

Scheidung

Verfügungsgewalt über Familienbesitz verbesserte Bildung

Entzug der politischen

Partizipations-möglichkeiten

3. Rechtliche Veränderungen Zu den bleibenden wichtigen Veränderungen, die den Status der Frau und die Beziehung der Geschlechter betrafen, gehört die Reform des Eherechts. Die Ehe wurde der alleinigen Verfügung der Kirche entzogen und auf einen zivilrechtlichen Akt gegründet, der die Verbindung der Ehepartner vertraglich regelte. Das Heiratsalter wurde 1792 für beide Geschlechter auf 21 Jahre festgelegt, was speziell für die Frauen eine bedeutsame Emanzipation aus der väterlichen Gewalt bedeutete. Nach dem Willen der Jakobiner sollte die Zivilehe auch zu einer stärkeren Verknüpfung von individuellem und gesellschaftlichem Leben führen; die Trauungszeremonie wurde zunehmend zu einer symbolischen Demonstration und Bestärkung der republikanischen Gesinnung genutzt. Gleichermaßen sollten durch die Institution Familie die Grundlagen der demokratisch-staatsbürgerlichen Erziehung vermittelt werden. Die Zahl der Eheschließungen stieg in den Revolutionsjahren deutlich an. Zwei Ursachen lassen sich dafür benennen: Zum einen ermutigte die Hoffnung auf bessere Lebensbedingungen viele Paare zu diesem Schritt, zum anderen versuchten viele Männer dadurch der Levée en masse zu entgehen, da Verheiratete von der Rekrutierung ausgenommen wurden. Das Gesetz vom 20. September 1792 ermöglichte unter bestimmten Voraussetzungen auch die Scheidung. Die Befürworter sahen darin die praktische Anwendung des Freiheitsprinzips auf die Ehe. Von dem neuen Recht machten anfangs vor allem viele Frauen Gebrauch. Eine weitere Verbesserung erzielten die Frauen 1793, als ihnen die Verfügungsgewalt über das Familieneinkommen zuerkannt wurde und sie sich damit einen weiteren Schritt aus der völligen Abhängigkeit vom Mann befreiten. Bis dahin hatten sie ohne Zustimmung des Ehemanns keine finanziellen Geschäfte tätigen dürfen; selbst ein von der Frau verfasstes Testament erhielt erst durch die Unterschrift des Gatten Gültigkeit. Nun erhielt die Frau das Recht, Familienbesitz selbständig zu verwalten und auch an Mädchen oder uneheliche Kinder zu vererben. Der Code Civil (1804) machte die Neuregelung jedoch wieder rückgängig und die Männer erlangten das volle Verfügungsrecht zurück. Die Reformen des Schulwesens, vor allem der Grundschulen, verbesserten die Ausgangsbedingungen der Mädchen, für die vorher keine Schulpflicht bestanden hatte. Politische Mitwirkungsrechte, die sich die Frauen in der Revolution erkämpft hatten bzw. die geduldet worden waren, wurden bald wieder eingeschränkt. Nachdem schon im Oktober 1793 die Clubs mit ausschließlich weiblichen Mitgliedern verboten worden waren, setzte Robespierre im Frühjahr 1794 ein Verbot für die Teilnahme von Frauen an den Volksgesellschaften durch. Unter dem Direktorium verloren die Frauen sämtliche politischen Rechte und wurden wieder in ihre traditionelle Rolle zurückgedrängt.

notwendiger Zusatzverdienst

4. Erwerbstätigkeit von Frauen Auch schon vor dem Zeitalter der Industrialisierung war für die ärmeren Familien der Zusatzverdienst von Frauen und Kindern unverzichtbar, denn das Stückchen Land des Kleinbauern genügte häufig ebenso wenig wie der Lohn eines städtischen Arbeiters, um eine

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Heimarbeit

Erwerbsmöglich-keiten in der Stadt

öffentliche Werkstätten, Prostitution

Sorge für die

Familie

größere Familie zu ernähren. Frauen waren häufig als Heimarbeiterinnen für Woll- und Baumwollspinnereien tätig, die vor allem in Nordfrankreich ein wichtiger Wirtschaftsfaktor waren. Für die Manufakturen war das lukrativ, da Frauen grundsätzlich niedrigere Löhne erhielten. In den Städten traf man sie vielfach als selbständige Marktfrauen, umherziehende Händlerinnen oder Wäscherinnen. Die Frauen von Handwerksmeistern arbeiteten im heimischen Betrieb tatkräftig mit bei der Verwaltung der Finanzen ebenso wie bei der Betreuung der Gesellen. In manchen Fällen betrieben sie nach dem Tod des Mannes das Geschäft eigenständig weiter. In Zeiten großen Arbeitskräftemangels – wie ihn etwa der Krieg verursachte - findet man sogar weibliche Arbeiterinnen in Bergwerken, in der Papier- oder Glasproduktion oder als Lastenträgerinnen. Als im Laufe der Revolution die Lebensbedingungen weiter verschlechterten, suchten Frauen in zunehmendem Maße Arbeit. Die Regierung richtete öffentliche Werkstätten ein, wo Bedürftige Anstellung finden können. Viele Frauen flüchteten sich auch in die Bettelei oder die Prostitution. Man schätzt, dass es in Paris zeitweilig etwa 30.000 Prostituierte gab. Die Erwerbstätigkeit bedeutete für die Frauen eine zusätzliche Belastung zu der Verpflichtung, die Familie zu ernähren. Der Suche nach Brot, anderen erschwinglichen Lebensmitteln und Brennholz ging häufig einher mit ausgedehnten Märschen durch die ganze Stadt und stundenlangem Schlangestehen vor den Geschäften.

vorrevolutionäre Kirchenkritik

Verteidigung der Privilegien

Kirche und Religion Bleibende Auswirkungen - mit der Folge gesellschaftlicher Polarisierungen bis in die Gegenwart hinein – hatte die revolutionäre Kirchen- und Religionspolitik. Hier erlitt eine Kraft dauerhaften Machtverlust, die über Jahrhunderte hinweg eine zentrale Rolle im geistigen, politischen, sozialen und wirtschaftlichen Leben Frankreichs gespielt hatte. 1. Kirche und Staat Ende des 18. Jahrhunderts geriet die katholische Kirche verstärkt in die Kritik, sowohl von Seiten der Laien als auch aus den Reihen des niederen Klerus, der bei äußerst karger Bezahlung die Fülle seiner Aufgaben häufig kaum bewältigen konnte. Die Reformbestrebungen richteten sich vor allem gegen die Auswüchse des Pfründewesens und die starre Hierarchie der Kirchenordnung, die weder den einfachen Priestern noch dem Kirchenvolk Einflussmöglichkeiten und Mitspracherechte zugestand. Auch in Fragen des Glaubens gab es innerkirchliche Spannungsfelder. Als die königlichen Finanzexperten in den Jahren 1787/88 Pläne zur dringend benötigten Haushaltsreform auf den Tisch brachten und darin unter anderem auch eine Besteuerung der Kirchengüter bzw. eine Sonderzahlung der Kirche in die Staatskassen vorsahen, verteidigte der hohe Klerus die Privilegien seines Standes und lehnte ein Entgegenkommen ab.

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Generalstände-versammlung

keine Sonderstellung der

Kirche

Abschaffung des Zehnten

Nationalisierung der Kirchengüter

Aufhebung der Orden

Zivilstands-verfassung

Verfassungseid

In der Generalständeversammlung in Versailles waren es einige reformorientierte Geistliche bzw. Teile des niederen Klerus, die gemeinsam mit den Vertretern des Dritten Standes gegen die politische Ungleichberechtigung der Stände zu kämpfen bereit waren. Die Mehrheit des Klerus schloss sich erst nach längerem Zaudern der selbsterklärten Nationalversammlung an und zeigte bedingte Kooperationsbereitschaft, die Reform der Monarchie mitzutragen. Es stellte sich allerdings bald heraus, dass die Kirche ihre bisherige gesellschaftliche Sonderstellung nicht halten konnte: Die Revolution zerschnitt energisch das enge Band zwischen Staat und katholisch-gallikanischer Kirche, die in Frankreich seit 1516 Staatskirche gewesen war. Der erste Schritt war die Abschaffung des Zehnten im Zuge der „Entfeudalisierung“, dem der Klerus in der „Opfernacht der Privilegierten“ am 4. August 1789 angesichts der revolutionären Dynamik zustimmte. Mit dem Verzicht auf diese Abgaben verlor die Kirche etwa die Hälfte ihrer Einnahmen, die insgesamt ca. 200 Mio. Livres jährlich betrugen. Der Grundbesitz, die zweite wichtige Einnahmequelle, wurde von der Nationalversammlung am 2. November 1789 zum „Nationaleigentum“ erklärt und damit der Kirche entzogen. Mit der Ausgabe der Assignaten und dem tatsächlichen Verkauf der Güter ab 1790 sollten die riesigen Finanzlöcher in der Staatskasse gestopft werden. Der Staat übernahm mit der Säkularisierung der Kirchengüter allerdings auch die Sorge für den Unterhalt der sozialen Einrichtungen – Schulwesen, Krankenhäuser, Armenfürsorge -, die bisher Domäne der Kirche gewesen waren. Im Februar 1790 wurden alle nicht-karitativen Orden und Klöster aufgehoben und säkularisiert; 1792 folgten dann auch die karitativen Ordensgemeinschaften. Nach intensiven öffentlichen Diskussionen beschloss die Nationalversammlung am 12. Juli 1790 die „Zivilstandsverfassung des Klerus“, welche die Kirche nach dem Vorbild politischer Institutionen neu organisierte und dem Staatswesen eingliederte: Anzahl und Größe der Diözesen wurden der Département-Einteilung angepasst, Pfarreien wurden umstrukturiert und großzügig zusammengefasst. Pfarrer und Bischöfe wurden durch politische Wahlgremien auf Gemeinde- bzw. Départementebene bestimmt. Ihre Besoldung bezogen sie vom Staat, dem sie fortan als „Beamte der Moral und Erziehung“ galten. Darüber hinaus verlangte die Nationalversammlung von allen Geistlichen einen Eid auf die Verfassung, den jedoch nur etwa jeder Zweite zu leisten bereit war. Wer den Eid verweigerte, verlor sein Amt und sah sich in wachsendem Umfang mit Ausgrenzungsmaßnahmen konfrontiert, die Ansporn als auch Echo in der öffentlichen anti-klerikalen Propaganda fanden.

2. Dechristianisierung und Ersatzkulte An ihrem Beginn kann die Revolution keineswegs als anti-klerikal bzw. anti-religiös charakterisiert werden. Sie wurde es aber zunehmend, als sie sich von äußeren und inneren Feinden in die Defensive gedrängt fühlte und in der Geistlichkeit eine wichtige Säule der konterrevolutionären Bewegung sah.

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Dechristianisie-rungskampagne

1793/94

Zwangs-maßnahmen

Zerstörung des christlichen

Lebensrhythmus

Religionsersatz

Riten und Feste

Märtyrer und Heilige

Kult der Vernunft

Kult des Höchsten Wesens

1793 setzte eine breite Dechristianisierungskampagne ein, die vor allem die kirchenfeindlichen Ressentiments kleinbürgerlicher Kreise bediente und verstärkte. Nicht nur die Kirche als Institution sollte getroffen werden, sondern auch der christliche Glaube als Weltanschauung, in seiner Verwurzelung in den Mentalitäten und dem Alltag der Menschen, sollte verdrängt werden. Eidverweigernde Priester wurden in großer Zahl verhaftet, deportiert oder gar exekutiert. Manche Priester demütigte man durch Zwangsverheiratung. Öffentliche Kulthandlungen wurden verboten, Kirchen geplündert und geschlossen, Kultgegenstände und Symbole zerstört. Mancherorts kürzte man die Kirchtürme auf die „demokratische Höhe“ der umstehenden Häuser. Häufig handelte es sich dabei um spontane Aktionen, initiiert von Sansculottenkommandos, Verwaltungsbehörden oder lokalen Clubs. Durch die Einführung des neuen Kalenders am 5. Oktober 1793 versuchte man auch, den kirchlich geprägten Wochen- und Jahresrhythmus zu zerstören: neue, republikanische Feste traten an die Stelle religiöser Feiertage, die Sonntagsruhe wurde verboten und dafür der decadi zum Ruhetag erklärt. Dies konnte sich jedoch gegen den zähen Widerstand der in ihrer gewohnten Zeiteinteilung und dem damit verbundenen Brauchtum verankerten Bevölkerung nicht behaupten. Im Gegenzug zur Dechristianisierung sollte die Revolution selbst zu einem religiösen Erlebnis werden, sollten die traditionellen Formen der Spiritualität und der Feier in den politischen Raum umgelenkt werden. Das drückte sich aus in rituellen, symbolischen Handlungen wie dem Bruderkuss, dem feierlichen Bürgereid, dem Errichten von Freiheitsbäumen und „Altären des Vaterlands“ sowie patriotischen Prozessionen. Ebenfalls stark ritualisiert und inszeniert wurden die zunächst spontan entstandenen Revolutionsfeste. Besonders deutlich wird der „Transfer des Sakralen“ (Mona Ozouf) an der Verehrung der revolutionären „Märtyrer“ und „Heiligen“. Die Verschmelzung der religiösen und der politischen Sphäre kann dabei so weit gehen, dass Revolutionshelden mit Jesus Christus gleichgesetzt wurden. So ist etwa bekannt, dass Pariser Frauen einen Psalm mit dem Text „O cor Jésus, O cor Marat“ sangen. Eng am Vorbild kirchlicher Glaubenslehrbücher orientierten sich auch die Verfasser revolutionärer Katechismen, die der Belehrung der Bürger dienten. Eine Bewegung aus der Provinz aufgreifend, veranstaltete die Pariser Commune im November 1793 erstmals ein „Fest der Vernunft“, das der Begründung eines „Kultes der Vernunft“ dienen sollte. Die Kathedrale Notre Dame wurde zu einem Tempel umgestaltet und eine Zeremonie nach antikem Vorbild zu Ehren der Freiheit zelebriert. Der Vernunftkult und die Umwidmung der Kirchen in Tempel fanden bald weite Verbreitung. In breiten Kreisen der Bevölkerung regte sich jedoch auch Widerstand gegen die völlige Verdrängung der traditionellen Religiosität. Robespierre erkannte die politischen Folgen des Religionsverbots, das die moralisch-emotionalen Bedürfnisse der Menschen außer Acht ließ und außerdem die Revolution bei allen ihren Gegnern noch mehr in Misskredit brachte, und setzte sich daher öffentlich für die freie Religionsausübung ein. Auf sein Betreiben wurde im Mai 1794 per Dekret der Vernunftkult durch den „Kult des Höchsten Wesens“ ersetzt. Im Eingangsartikel des Gesetzes heißt es: „Das französische

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Volk erkennt die Existenz eines höchsten Wesens und die Unsterblichkeit der Seele an.“

Schisma

Haltung des Papstes

Verfolgung

geringe Akzeptanz

religiöse Erneuerung

Neukonstituierung der Kirche

Laizisierung

3. Folgen der revolutionären Kirchenpolitik Die Zivilkonstitution und die Unterordnung der Kirche unter die Idee der Nation blieben keineswegs unangefochten. Die Kirche selbst erfuhr eine tiefe Spaltung in „konstitutionelle“ (eidleistende) und „eidverweigernde“ Priester („Refraktäre“) einschließlich ihrer Anhängerschaft. Der Großteil des hohen Klerus lehnte die aufoktroyierte, romfeindliche Kirchenverfassung strikt ab und organisierte konservativen Widerstand, der wiederum in Teilen der Bevölkerung die Angst vor einer aristokratisch-klerikalen Verschwörung nährte. Papst Pius VI. verweigerte der Zivilstandsverfassung seinen Konsens, bannte 1791 alle Priester, die den Verfassungseid geleistet hatten und rief die europäischen Monarchen zum energischen Vorgehen gegen die Revolution auf. Mit dem Ausbruch des Krieges und der Radikalisierung der Revolution wurde auch das Vorgehen gegen widerständige Kleriker schärfer, so dass die katholische Kirche gezwungen war, sich im Untergrund zu organisieren. Der Konvent verbot das Tragen geistlicher Kleidung, erließ ein Prozessionsverbot für Paris und ordnete im August 1792 die Deportation der romtreuen Priesterschaft an. In den „Septembermorden“ von 1792 fielen etwa 300 Priester in den Pariser Gefängnissen dem blindwütigen Morden der Volksmassen zum Opfer. Tausende von Priestern flüchteten sich in die Emigration. Die revolutionäre, „konstitutionelle“ Kirche konnte nur etwa 30% der Katholiken Frankreichs für sich gewinnen. Viele Menschen, vor allem auf dem Land, konnten mit der Idee der „zivilen Religion“, wie sie Voltaire und Rousseau entwickelt hatten, wenig anfangen und erfuhren die politischen Veränderungen als Zerrüttung ihrer traditionellen, stark kirchlich geprägten Lebensumwelt. Das Entfernen der Kirchenglocken löste ebenso Proteste aus wie das Verschließen der Kirchen. Mit der Jakobinerherrschaft endeten auch die systematischen Angriffe auf die katholische Kirche. Bald kehrten viele Geistliche aus der Emigration zurück. Diejenigen, die auch in den Zeiten der Verfolgung am Glauben festgehalten hatten, gingen gestärkt aus dieser Erfahrung hervor. Unter dem Direktorium wurde eine strikte Trennung von Staat und Kirche vereinbart und das Recht auf freie Religionsausübung anerkannt. Unter diesen Bedingungen konnte sich die Kirche auf einem Nationalkonzil (1797) neu konstituieren; das Konkordat, das Napoleon 1801 mit dem Papst schloss, gab der Neuordnung den finanziellen und organisatorischen Rahmen. Zu den Folgen der Religionspolitik der Revolutionsära gehört eine bis heute andauernde Spaltung der französischen Gesellschaft in ein konservativ-katholisches und ein republikanisch-laizistisches Lager. Ein Prozess der Laizisierung und Abwendung von der Kirche, der schon im frühen 18. Jahrhundert eingesetzt hatte, war durch die Revolution spürbar beschleunigt worden.

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staatliche Schulaufsicht

fehlende Mittel

Bildungsdebatte

Schulpflicht und Gründung von

Volksschulen

„patriotischer“ Unterrichtsstoff

Rückkehr zur Elitenförderung

Kultur Mentalitätsgeschichtliche Untersuchungen haben in jüngerer Zeit den Blick verstärkt auf kulturelle Phänomene gelenkt und den massiven didaktischen Impetus der Revolution herausgearbeitet, der z.T. radikale Veränderungen der Ideologien, Einstellungen und kollektiven Verhaltensweisen mit sich brachte. 1. Schule und Erziehung Auf dem zentralen Wirkungsfeld der nationalen Erziehung, dem Schulwesen, wurden zwar viele Pläne geschmiedet, jedoch keine umfassenden Reformen des veralteten Systems auf den Weg gebracht. Während des Ancien Régime war die Kirche Trägerin der meisten Bildungseinrichtungen gewesen. Nun definierte die Nationalversammlung Bildung als öffentliche Aufgabe und übertrug Ende 1789 die Schulaufsicht den noch im Entstehen begriffenen örtlichen und départementalen Verwaltungen. Der Staat konnte aber weder für eine entsprechende finanzielle Ausstattung noch für das nötige Personal sorgen, da mit der kirchlichen Schulträgerschaft die bisherige materielle Basis der Schulen wegbrach, ohne dass entsprechender Ersatz vorhanden gewesen wäre. Unter der Führung Condorcets erarbeitete ein Ausschuss einen Entwurf zur „allgemeinen Organisation des öffentlichen Unterrichts“, dessen optimistische Zielvorstellungen jedoch kaum realisierbar waren. Das Parlament widmete dem Thema Bildung erst im Dezember 1792 eine große Debatte, in der vor allem die politische Relevanz der Erziehung betont wurde. Eine grundlegende Bildung sollte möglichst alle Bürger zur Teilnahme am staatlichen Leben und der demokratischen Willensbildung befähigen. Die Ergebnisse der Diskussion flossen auch in die Verfassung von 1793 ein, welche die Menschenrechtserklärung eigens um die gesellschaftliche Pflicht zur Förderung der Bildung ergänzte. Am 19. Dezember 1793 wurde mit dem „Gesetz zur Neuordnung der Grundschulen“ die allgemeine Schulpflicht eingeführt, die eine breitere Elementarbildung garantieren sollte. Bisher war nur etwa ein Drittel der Landbevölkerung alphabetisiert. Das Gesetz erlaubte die freie Schulwahl und gab den Lehrern viel Freiraum bei der Auswahl des Unterrichtsstoffes. Daraufhin ging eine Welle von Einrichtungen republikanischer Volksschulen durch das Land. Der Widerspruch zwischen euphorischen Absichtserklärungen und dem realen Mangel an materieller Ausstattung sowie qualifizierten Lehrern blieb jedoch eklatant. Zum elementaren Lehrstoff der patriotischen Bildung wurden die Menschenrechte, die Verfassung und das Tableau des actions héroïques ou vertueuses, eine Zusammenstellung revolutionärer Heldengeschichten, erklärt. Zahlreiche „Katechismen“, verfasst von revolutionär gesinnten Pädagogen oder auch von Laien, wurden an die Lehrer verteilt und dienten zur didaktischen Vermittlung der republikanischen Moral. Mit dem Direktorium war die Blütezeit republikanischer Volkserziehung vorbei. Der Staat reduzierte sein Engagement im Elementarschulbereich, belebte dafür aber wieder die traditionelle Elitenförderung mit der Gründung sogenannter „Zentralschulen“ (Gymnasien)

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und technischer Hochschulen (Ecole polytechnique). Napoleon verwarf das in der Revolution gewachsene System der Volks- und Zentralschulen, beließ das Bildungswesen aber in der Hand des Staates. Auch wenn das Konzept der republikanischen Volkserziehung nur in Ansätzen und nicht dauerhaft Realität geworden ist, so trugen die Diskussionen und Anstrengungen doch zu einer entscheidenden gesellschaftlichen Sensibilisierung für die Notwendigkeit und Formen öffentlicher Bildung bei.

Gleichheitsideal in der Sprache

Begriffsbildungen Umbenennung von

Orten, Straßen, Plätzen

Wirkung öffentlicher Rede

Regionalsprachen vs. Einheit der

Nation

Verbot der Regionalsprachen

2. Sprache Die nach 1792 einsetzende die Revolutionierung aller Lebensbereiche erfasste auch die Sprache. So sollte der republikanische Gleichheitsgedanke selbst in den Anredeformen zum Ausdruck kommen. Statt Monsieur und Madame titulierte man sich als Citoyen bzw. Citoyenne, statt des förmlichen „Sie“ verwendete der Republikaner nun das brüderliche „Du“. Viele Schlüsselbegriffe der Revolution waren Neologismen bzw. gingen durch die massenhafte Verbreitung in den allgemeinen Sprachgebrauch ein: Sansculotte, Montagnard, Nation, Verfassung, Freiheit, Gleichheit, Patriotismus, Revolution. Ein neues politisches Vokabular, neue Bedeutungsspielräume und –inhalte waren entstanden. Um den Bruch mit der alten Ordnung äußerlich deutlich zu machen, erhielten zahlreiche Orte, Straßen und Plätze während Kulturrevolution des Jahres II neue, revolutionäre Namen: Aus der Rue de Condé wurde beispielsweise eine Rue de l’Egalité, aus der Rue du Faubourg-Montmartre wurde in Erinnerung an Marat die Rue du Faubourg-du-Mont-Marat, die Barrière du Thrône wurde nach dem Sturz des Königtums in Barrière du Thrône renversé umbenannt und aus der Place Vendôme wurde die Place des Piques. Verhasste „Inbegriffe“ und Reizwörter des Ancien Régime wurden ebenfalls ersetzt, wie z. B. das Wort impôt (Steuern) durch contribution. Die Wirkung der Sprache und sprachlicher Neuerungen lässt sich aber im abstrakten Begriff allein nicht erfassen, sondern muss immer im Zusammenhang mit ihrer sinnlich erfahrbaren „Aufführung“ gesehen werden. Gestik und Mimik begabter Redner waren wesentliche Zutaten für den bezeugten Erfolg bei den zeitgenössischen Zuhörern. Ein weiterer Gegenstand der revolutionären Sprachpolitik war die Vielfalt der Dialekte und Regionalsprachen: Etwa 50% der Franzosen sprachen das Französische nicht oder nur mangelhaft. Angesichts dieser sprachlichen Barrieren ließ die Nationalversammlung alle Beschlüsse und Debatten in die einzelnen Regionalsprachen und lokalen Dialekte übersetzen, um dem demokratischen Anspruch gerecht zu werden, alle Bürger gleichermaßen an der politischen Diskussion teilhaben zu lassen. Die Jakobiner brachen mit dieser toleranten Praxis und betrieben eine strikte Politik der nationalen Vereinheitlichung; sprachliche Vielfalt setzte man mit Föderalismus und konterrevolutionären Tendenzen gleich. Im Juli 1794 wurden Dialekte und Regionalsprachen für den schriftlichen Gebrauch verboten. Zwar ließ sich dieses Verbot unter den gegebenen Voraussetzungen nur ansatzweise verwirklichen, es bedeutete aber eine wichtige ideologische und praktische Weichenstellung zur Durchsetzung der französischen Nationalsprache.

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favorisierte Gattungen

neue Funktionen

Paradigmen-wechsel

schreibende Handwerker

Drama

Theater als Erziehungsanstalt

Umgestaltung volkstümlicher

Formen

Förderung mündlicher Kultur

3. Literatur Die Besonderheit der Literatur in der Revolutionsepoche lässt sich vielleicht am besten an den favorisierten Gattungen ablesen: Während der Roman, der bis 1788 dominiert hatte, gänzlich an Bedeutung verlor und sie erst wieder nach 1795 zurückgewann, wurden das Theater, Chansons, Almanache und literarisch-journalistische Kurztexte zu den beliebtesten Ausdrucksformen. Diese Textgattungen erlaubten größeren Aktualitätsbezug sowie politische Stellungnahmen und erfüllten im gesellschaftlichen Kommunikationsprozess teilweise die Funktion heutiger Massenmedien. Die Literatur antwortete damit auf die gewachsene Politisierung der Öffentlichkeit und konnte sich nach dem Wegfall der Zensur 1789 neu entfalten. Bewusst wandten sich die Autoren vom Ideal der „Schönen Literatur“ ab und begriffen sich als „patriotische Schriftsteller“. Tradierte Kulturinstitutionen wie Akademien, Lesegesellschaften und bestimmte Zeitschriften verloren an Bedeutung oder wurden aufgelöst. Der Kreis der Schriftsteller und Publizisten erweiterte sich um Angehörige der unteren Schichten: Handwerker und Kleinbürger schrieben Hymnen und Lieder, veröffentlichten politische Reden und Reformpläne. Das Theater mit seiner großen sinnlichen Suggestionskraft wurde zu einem wichtigen Ort der öffentlichen Meinungsbildung und einer neuartigen Massenunterhaltung. Allein 1791 wurden über 30 Bühnen neu gegründet, zahlreiche „patriotisch-revolutionäre“ Dramen entstanden. Zu einem „Schlager“ wurde Chéniers 1787 geschriebenes Stück Charles IX. ou l’Ècole des rois, das von der königlichen Zensur verboten wurde und erst im November 1789 aufgrund des öffentlichen Drucks zur Aufführung gelangte. Im Sommer 1793 deklarierte der Wohlfahrtsausschuss ausdrücklich das Theater als politische Erziehungsanstalt und der Nationalkonvent ordnete das regelmäßige Spielen von Dramen wie Voltaires Brutus, an, welche „die glorreichen Ereignisse der Revolution und Tugenden der Freiheitskämpfer darstellen“. Nicht selten entfachten die Aufführungen oder geplante Theaterprojekte heftige politische Kontroversen. Die aus der volkstümlichen Literatur stammenden Chansons, Lieder Almanache und Katechismen wurden ebenfalls auf die aktuellen Ereignisse bezogen und politisch umfunktioniert. Ebenso wie das Theater kamen auch diese Textformen den Bedürfnissen einer zu zwei Dritteln illiteraten Gesellschaft entgegen. Die verantwortlichen Politiker waren sich dieser Problematik der Erreichbarkeit von Leseunkundigen durchaus bewusst und versuchten verstärkt, mündliche oder teil-mündliche Formen der Kultur beispielsweise durch kostenlose Theateraufführungen und öffentliche Vorlesungen zu fördern.

4. Bildende Kunst Wie in der Literatur, so ist auch in der bildenden Kunst im Revolutionsjahrzehnt eine Krise der herkömmlichen Kunstproduktion festzustellen, die jedoch einhergeht mit einer Konjunktur alternativer Ausdrucksformen.

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politischer Wirkungsanspruch

Problem der Aktualität

Malerei für das Volk

Massengraphik

Festdekorationen

Denkmäler und Ikonoklasmus

Schutz des Kulturguts

Charakteristisch ist auch hier die Politisierung, der große öffentliche Wirkungsanspruch der Kunst. Jacques-Louis David, Mitglied des Jakobiner-Clubs und „Hausmaler der Revolution“, versuchte ebenso wie andere Künstler, die Leitbegriffe der Revolution ästhetisch zu erfassen und im Gewand einer erneuerten Historienmalerei zu veranschaulichen. An Davids Werk Ballhausschwur zeigt sich aber auch die Problematik einer Kunst, die unter den Voraussetzungen rascher Ereignisfolgen und häufiger Kurswechsel aktuell sein will: Bezeichnenderweise gelangte der Ballhausschwur, geplant als großformatiges Gemälde und Sinnbild der Nation, nicht über das Stadium des Entwurfs hinaus, zu schnell waren auf der Skizze zentral positionierte Persönlichkeiten in politischen Misskredit gefallen. Von großer Wirkung hingegen war Davids Darstellung des sterbenden Marat, die im Sitzungssaal des Konvents ausgestellt war. In deutlicher Abwendung von den Traditionen der akademischen Historienmalerei präsentierte David den „Revolutionsmärtyrer“ in schlichter, allgemein verständlicher Manier. Die Anklänge an christliche Pietà-Darstellungen sind unverkennbar und es ist bekannt, dass das Bild quasi-religiöse Ehrerweisungen der Jakobiner für den Ermordeten hervorrief. Besser geeignet für die Bedürfnisse der revolutionären Kunst waren „schnelle“ und breitenwirksame Ausdrucksmittel, wie vor allem die Druckgraphik und die Festdekoration. Die Graphik, in Form unzähliger Stiche, illustrierter Flugschriften, bebilderter moralischer und politischer Anweisungen verbreitet, war von nicht zu unterschätzender Wirkung im Prozess der öffentlichen Meinungsbildung. Der Vorteil der bildlichen Darstellung, bevorzugt auch Karikaturen und politischen Allegorien, war, dass sie ganz unmittelbar auch die Leseunkundigen erreichen konnte. Dabei entstand ein Arsenal „visueller Codes“ und revolutionärer Symboliken, das einen wichtigen Beitrag zur Verständigung über neue Ideale und Feindbilder leistete. Großer Wert wurde auf die Gestaltung von Festen und Staatsfeiern gelegt. In den Inszenierungen der großen Revolutionsfeste war von den Kostümen über die Requisiten bis zu den Gesten der Redner und den Begeisterungsrufen des Volks alles genauestens festgelegt. Im Bereich der Denkmäler und Skulpturen kam es zu einem regelrechten Kampf zwischen neuer und alter Ordnung. Die Monumente der Revolution sollten größer und mächtiger sein als die steinernen Ruhmeszeugnisse des Ancien Régime. Diese wurden häufig durch Zerstörung oder Sturz „entmachtet“ wie etwa die Insignien und zahlreiche Standbilder des Königtums. Die Embleme des verhassten Feudalismus sollten vernichtet und damit auch symbolisch besiegt werden. Andererseits entstand der Wunsch nach Konservierung und Musealisierung der Kulturgüter, die man jetzt verstärkt als „nationales Erbe“ und Mittel der öffentlichen Bildung begriff. Abbé Grégoire prägte den Begriff des „Vandalismus“, um die Zerstörungen von Kunstwerken anzuprangern. Am 10. August 1793 wurde im Louvre ein Museum eröffnet, das dazu bestimmt war, die Denkmäler der Wissenschaften und Künste zu bewahren. Unter dem Direktorium wurde die Musealisierung der Kunst fortgesetzt, ist nun aber eher im Kontext einer Politik zu sehen, die auf die Eindämmung der öffentlichen Wirksamkeit der Kulturschaffenden zielte.

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Einführung des Revolutions-

kalenders

„Zeitalter der Gleichheit“

neue Zeiteinteilung

Umbenennung der Monate

republikanische Feiertage

Dechristianisie-rungsmaßnahme

fehlende Akzeptanz

durch die Bevölkerung

5. Revolutionskalender Der Aufbruch in ein „neues Zeitalter der Menschheitsgeschichte“ sollte sich nach dem Willen des Konvents auch in einer veränderten Zeitrechnung ausdrücken. Am 5. Oktober 1793 beschlossen die Parlamentarier die Einführung des Revolutionskalenders, der bis zum 31. Dezember 1805 offiziell Gültigkeit behielt. Der Beginn der neuen Zeitrechnung wurde auf den 22. September 1792 zurückdatiert. Dieser Tag war von doppelter Symbolkraft, einerseits als Gründungstag der Republik, andererseits als Zeitpunkt der Tag- und Nachtgleiche, die das Gleichheitsprinzip der Revolution vortrefflich repräsentierte. Ein Revolutionsjahr wurde in 12 Monate mit je 30 Tagen eingeteilt. Der Wochenrhythmus wurde aufgehoben zugunsten einer Dreiteilung der Monate in Dekaden, von denen der 10. Tag, der decadi, den Sonntag als Ruhetag ersetzen sollte. Selbst die Einteilung in die kleineren Zeiteinheiten wurde dem Dezimalsystem angepasst, so dass der Tag aus zehn Stunden mit jeweils 100 Minuten à 100 Sekunden bestand. Der Dichter und Parlamentsabgeordnete Fabre d’Englantine erhielt den Auftrag, die Monate neu zu benennen. Er fand poetische Namen, die an dem natürlichen Jahreszyklus angelehnt waren und die Verbundenheit des Menschen mit der Natur zum Ausdruck bringen sollten: z.B. Vendémiaire (Weinlesemonat, 22.9.-21.10.), Pluviôse (Regenmonat, 20.1.-18.2.) oder Floréal (Blütenmonat, 19.4.-18.5.). Alle kirchlichen Feiertage wurden abgeschafft und stattdessen republikanische Festtage eingeführt, die dem Andenken an die wichtigen Ereignisse der jungen Revolutionsgeschichte (14. Juli, 10. August) galten oder „moralischen“ Themen wie „Jugend“, „Hochzeit“, „Erkenntnis“ gewidmet waren. Die Kalenderreform ist nicht nur als symbolische, sondern auch als didaktische Maßnahme anzusehen und im engeren Kontext der Dechristianisierungskampagnen anzusiedeln: Sie sollte dazu beitragen, mit der christlichen Zeitrechnung Religion und religiöses Brauchtum selbst auszuhebeln und die republikanische Gesinnung zu vertiefen. Der massive Eingriff in die Strukturierung der Zeit konnte sich im Gegensatz zur Neuordnung des Raumes durch die Verwaltungsreform allerdings nicht behaupten. Besonders die Landbevölkerung widersetzte sich dieser Neuerung und hielt beharrlich am Rhythmus des christlichen Kirchenjahres fest, so dass Napoleon folgerichtig die Rückkehr zum gregorianischen Kalender beschloss.

Auswirkungen auf Europa Die Revolution konnte aufgrund ihres universellen Geltungsanspruchs nicht auf Frankreich beschränkt bleiben. Sowohl ideell als auch konkret – in Form des Krieges – griff sie über die Grenzen hinaus. Auch wenn die große politische Umwälzung der europäischen Staatenwelt auf das Konto Napoleons ging, so liegen doch die Ursprünge dieser Entwicklung im ersten Revolutionsjahrzehnt.

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Gegenentwurf zur alten Ordnung

Vorbildcharakter

„Revolutionen von oben“

Reform statt Revolution

neue politische Kultur

Restauration

Durchsetzung der bürgerlichen

Gesellschafts-ordnung

1. Revolution, Reform, Restauration Die politischen Leitprinzipien der Französischen Revolution waren Ideen von grenzüberschreitender Sprengkraft, die in Europa begeisterte Zustimmung ebenso wie leidenschaftliche Ablehnung hervorriefen; immer jedoch war die Revolution gedanklicher und argumentativer Angelpunkt für Befürworter wie Gegner. Die Revolutionäre und das französische Volk hatten einen radikalen Gegenentwurf zu den bisherigen Fundamenten der europäischen Gesellschaften - christliche Kultur und monarchischer Ständestaat – Realität werden lassen. Der revolutionäre Funke entzündete in den Nachbarstaaten - meist lokal beschränkte – Aufstandsbewegungen und führte vielerorts zur Gründung von Jakobiner-Clubs, wie z.B. in Mainz. Die Französische Revolution als die Revolution schlechthin behielt Vorbildcharakter für die europäischen Revolutionen von 1830 und 1848 und die russische von 1917. Auf die deutschen Einzelstaaten und ihre Regenten übten die französischen Ereignisse einen unverkennbaren Modernisierungsdruck aus: In Preußen wurden umfassende Reformen des Staatswesens in den Bereichen Agrarordnung, Militär, Recht und Bildung durchgeführt, in einigen süddeutschen Staaten wurden vergleichbare Neuerungen darüber hinaus durch den Erlass von modernen Repräsentativverfassungen ergänzt und untermauert. Eine wachsende liberale Bewegung kämpfte für das Recht der öffentlichen Meinungsäußerung und der politischen Mitbestimmung. Bewusst, mit Blick auf die Gewaltexzesse der Terreur-Phase, plädierten die europäischen Liberalen und Demokraten jedoch mehrheitlich für den Weg der Reform. Eine Beeinflussung durch das französische Vorbild lässt sich auch für die politische Kultur feststellen: eine radikalere Publizistik trug zu intensiver, polarisierter Meinungsbildung bei, die wirkungsmächtige Freiheits- und Gleichheitssymbolik fand Eingang in die öffentliche Kultur und es bildeten sich unterscheidbare politische Lager heraus (Konservative, Liberale, Demokraten). Die Anhänger des monarchischen Legitimitätsprinzips schlossen sich auf europäischer Ebene zu einer restaurativen Abwehrfront zusammen und versuchten – die Französische Revolution als „Schreckgespenst“ vor Augen – die Forderungen nach Volkssouveränität, Liberalismus und Verfassungsstaatlichkeit zu unterdrücken. Längerfristig gesehen setzten sich im Laufe des 19. Jahrhunderts wichtige Prinzipien der Französischen Revolution im west- und mitteleuropäischen Raum durch, wobei das Element der Demokratisierung schon unter Napoleon weit zurückgedrängt wurde: (zumindest bedingte) Volkssouveränität, Mitbestimmungs- und Selbstverwaltungsrechte der Bürger und Kommunen, Gleichheit vor dem Gesetz, Garantie des Eigentums, Freiheit der Person, wirtschaftliche Liberalisierung. Unter dieser Perspektive zeigt sich die Französische Revolution als Wegbereiterin der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaftsordnung.

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vom Defensiv- zum

Eroberungskrieg

Schwester-republiken

napoleonische Kriege

„Flurbereinigung“

in Deutschland

2. Krieg und staatliche Neuordnung Nachhaltige Wirkung auf viele europäische Staaten und auf Europa als Machtgefüge hatte die Französische Revolution durch ihre militärische Dimension. Dabei wandelte sich der Charakter des Krieges in seinem Verlauf: War er als Defensivkrieg gegen die konterrevolutionären Fürsten und Monarchen und als „Befreiungsfeldzug“ für deren Untertanen begonnen worden, so dominierte spätestens ab Sommer 1794 hegemoniales Expansionsstreben, das häufig mit einer wirtschaftlichen Ausbeutung der besetzten Gebiete einherging. Die Gründung von Schwesterrepubliken in Italien und der Schweiz boten ebenso wie die deutschen Rheinbundstaaten die Möglichkeit zu direkten Eingriffen in die dortigen Verhältnisse, die oft intensive Modernisierungen der betroffenen Gebiete zur Folge hatten. Was unter der Revolution begonnen hatte, wurde von Napoleon fortgeführt. Seine Kriegszüge dehnten den französischen Einfluss auf ganz Europa aus, riefen aber schließlich eine breite Front des Widerstands gegen die französischen Eroberer und Besetzer hervor, die am Ende siegreich war und in die Neuordnung der europäischen Staatenwelt durch den Wiener Kongress mündete. Als eine „territoriale Revolution“ kann man die Auswirkungen der Kriege auf die deutschen Einzelstaaten bezeichnen. Die Entschädigung linksrheinischer Fürsten, die Säkularisation der geistlichen Besitztümer und Herrschaften und schließlich die gesamte räumliche Neustrukturierung, die in einer Reduktion von circa 2000 selbständigen Herrschaften auf 35 Bundesstaaten resultierte, hinterließen eine völlig veränderte politische Landkarte. Zweifelsohne gab die Revolution den Anstoß zum Untergang des Alten Reiches.

Nation und Gleichheit

das Volk als Nation

Nation als Legitimations-

prinzip

3. Leitbegriff Nation Mit der Revolution und dem europaweiten Krieg trat eine Idee ihren Siegeszug an, die noch viel wirkungsmächtiger werden sollte als die Ideale „Freiheit“ und „Gleichheit“: die Idee der Nation. Die Entstehung der „Nation“ als politischer Leitbegriff hängt eng mit dem Egalitätsprinzip zusammen, denn die Forderung nach Gleichheit und Partizipation aller Bürger am Staat erweiterte automatisch den Nationsbegriff, der bisher an eine privilegierte Elite gebunden war, auf das ganze Volk. Umgekehrt konnte so auch die Forderung nach nationaler Einheit zu einem Angriff auf die auf Ungleichheit beruhende Gesellschafts- und Herrschaftsordnung werden. Gegen die ständische Beschränkung des Nationsbegriffs argumentierte auch Abbé Sièyes 1789 in der Generalständeversammlung, als er die Vertreter des Dritten Standes, der die überwältigende Mehrheit der französischen Bevölkerung ausmachte, zu Repräsentanten der Nation erklärte. („Was ist der Dritte Stand? – Alles.“) Die Nation wurde, wie es sich in der Französischen Revolution beobachten lässt, zur Begründung für politisches Handeln, in der Innen- wie in der Außenpolitik. Viele der Maßnahmen der Revolutionsregierungen zielten auf die nationale

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Vereinheitlichung

Sinnstiftungs-funktion

Selbstbestimm-ungsrecht der

Völker

Nationalisierung des Krieges

Nationalismus

Homogenisierung, sei es die Reform der Verwaltung, die Abschaffung regionaler Sonderrechte, die Bildungsmaßnahmen oder etwa die Bestrebungen zur Durchsetzung des Französischen als einheitliche Nationalsprache. Nach dem Wegfall bzw. dem Bedeutungsverlust traditioneller Identifikationsangebote wie Stand, Konfession oder Dynastie übernahm die „Nation“ verstärkt diese Funktion der Sinnstiftung. Als säkulare Glücksvorstellung verhieß sie Gemeinschaft, Orientierung und soziale Besserstellung für alle. Bald nahmen die Riten, Feiern und Vorstellungen, die auf die Nations-Idee bezogen waren, quasi-religiösen Charakter an. Ebenfalls ein Kind der Französischen Revolution ist das Selbstbestimmungsrecht der Völker, auf das sich in der Folgezeit viele Völker und Volksgruppen bei ihrem Kampf um nationale Souveränität beriefen. Das Selbstbestimmungsrecht diente auch als Rechtfertigung für die damit verbundenen Kriege, denn kaum eine Nationalstaatsbildung des 19. Jahrhunderts gelang unblutig. Waren Kriege früher hauptsächlich eine Angelegenheit der adeligen Führungsschicht, von Söldnern oder nach Bedarf rekrutierten Untertanenverbänden, so wurde er durch die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht zur nationalen Aufgabe jedes Bürgers. Einher mit dieser „Nationalisierung des Krieges“ ging außerdem die enge Verknüpfung von Innen- und Außenpolitik, die frühere Jahrhunderte so nicht kannten. Im Laufe des 19. Jahrhunderts verlor der revolutionäre, auf Egalität abzielende Ursprung des Nationsbegriffs an Bedeutung gegenüber stärkeren Ab- und Ausgrenzungstendenzen, welche die Entstehung des „Nationalismus“ markieren.

vormoderner Begriff:

„Revolution“ als Kreislauf

progressiver Richtungssinn

Revolutionsbegriff Semantik des Begriffs „Revolution“ ist ein Begriff mit sehr komplexem Bedeutungsspielraum, der in seinem engeren, modernen Sinn erst seit der Französischen Revolution gebräuchlich ist. Das Wort stammt aus der mittelalterlichen astrologisch-astronomischen Fachsprache und bezeichnete dort den Umlauf der Gestirne. In der Neuzeit wurde es auf den politischen Bereich übertragen, wobei – in Analogie zum antiken Modell des Verfassungskreislaufs von Monarchie, Aristokratie und Demokratie - der quasi-organische Wandel von Herrschaftsordnungen gemeint war, eine Bewegung, die die Dinge zu ihrem Ausgangspunkt zurückbringt. Daneben ist aber dem 18. Jahrhundert auch die gegenläufige Bedeutung von Aufruhr und plötzlicher Neuerung bekannt; der Ausdruck schwankte lange zwischen diesen beiden Konnotationen. In der Zeit der Aufklärung erfuhr der Begriff durch die geschichts-philosophische Ausweitung eine neue Qualität: „Revolution“ umfasste nun die positiv beurteilte Kraft des Wandels aller Lebensbereiche, die den Fortschritt der Gesellschaft beförderte und zu einer besseren Zukunft führte. Diese progressive Ausrichtung auf ein bisher unbekanntes Ziel hob die Idee der Kreisbewegung auf und gab dem Revolutions-Begriff gleichzeitig eine legitimatorische

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Mehrdeutigkeit

„revolutionär“

Revolution als Handlungssubjekt

der Geschichte

Erfahrung der Beschleunigung

und des völlig Neuen

Modellhaftigkeit der Französischen

Revolution

„Evolution“

Funktion. Der moderne Revolutionsbegriff ist jedoch in Bezug auf den Modus des Wandels weiterhin nicht eindeutig, sondern kann sowohl die gewaltsame, plötzliche Veränderung meinen, die einen Verfassungswandel herbeiführt, als auch längerfristige, strukturverändernde Prozesse. Die Französische Revolution selbst hat das semantische Feld des Wortes verändert und erweitert. Mit der Bildung des Adjektivs révolutionnaire, das seit 1789 belegbar ist, kommt zum Aspekt des abstrakten Wandels der Verhältnisse die Vorstellung des revolutionären Akteurs hinzu, der seine Umwelt durch die Kraft seines Freiheits-Willens gestalten kann. Gleichzeitig wird das vielströmige revolutionäre Geschehen sprachlich zu einem Kollektivsingular („die Revolution“), der die Einzelereignisse zu einem Gesamtprozess bündelt. Die Revolution wird zu etwas Einmaligem und Einzigartigem, zu einem selbständigen Handlungssubjekt der Geschichte. („Die Revolution frisst ihre Kinder.“) Den Revolutionären diente die solchermaßen als eigenmächtige Geschichtskraft verstandene Revolution als Legitimation für das Getane – bis hin zur Terreur -, gleichzeitig war sie ihnen Verpflichtung zum Handeln. Dieser Bedeutungsgehalt erklärt auch den missionarischen und universellen Anspruch, der mit dem Revolutions-Begriff verbunden wurde. Im Bewusstsein der Zeitgenossen stellte die Revolution die Erfahrung einer massiven Beschleunigung des historischen Wandels dar, der die Grenzen des bisher Bekannten überschritt. Da die eigene Erfahrung als Basis für die Zukunftserwartung nicht mehr hinlänglich war, sahen sich die Menschen gewissermaßen mit einem Aufbruch ins Ungewisse, einem absoluten Neubeginn konfrontiert. Für die europäischen Nachbarn wurde die Französische Revolution bald zum Modell für Revolutionstheorien und –erwartungen. Man glaubte nach den französischen Erfahrungen einen allgemeinen Ablaufzyklus von „Revolution – Terror – Herrschaft des Einzelnen“ erkennen zu können, was vor allem in Deutschland dazu führte, die Revolution als Mittel der notwendigen gesellschaftlichen und politischen Veränderung abzulehnen. Entsprechend dazu kamen bald „Evolution“ und „Reform“ als Gegenbegriffe auf, die den Ausschluss von Gewalt und Chaos zugunsten der friedlichen Entwicklung und Planbarkeit zum Ausdruck bringen sollten. Der Revolutionsbegriff blieb aber im 19. und 20. Jahrhundert äußerst aktuell und diente als Beschreibung und Zielvorstellung für unterschiedlichste gesellschaftliche Phänomene und politische Projekte – von der industriellen Revolution bis zur Revolution der 68er.

Empfohlene Zitierweise: Bitte zitieren Sie nach der Online-Fassung unter: http://www.historicum.net/themen/franzoesische-revolution/einfuehrung/