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 Historia, Band 58/4 (2009) © Franz Steiner Verlag, Stuttgart WIR TSCHAFT UND MORAL IM URTEIL DIOKLETIANS Zu den kaiserli chen Argumenten für Höchstpreise Das Edikt, mit dem Diokletian und seine Mitkaiser gegen Ende des Jahres 301 reichs- weit gültige Höchstpreise verordneten, 1  wird zurecht zu den wichtigsten, inschriftlich überlieferten lateinischen Texten des Altertums gezählt. 2  Gleichzeitig gehört es zu den meistbesprochenen epigraphischen Texten der römischen Welt, was allerdings nicht allein auf seine ausserordentliche historische Bedeutung zurückzuführen ist, sondern auch daran liegt, dass selbst an zentralen Aspekten seiner Deutung noch viele offene Fragen haften. So besteht in der Forschung keine Ei nigkeit darüber, wie die konkreten Umstände und Absichten zu beurteilen sind, die zu diesem massiven und in se iner um- fassenden Art und Gültigkeit offenbar vollkommen neuen Eingriff ins wirtschaftliche Leben des Römischen Reiches geführt hatten. Bisher wurde vor allem versucht, solche Fragen mit Hilfe von Rekonstruktionen der wirtschaftlichen und monetären Ursachen und Folgen dieser kaiserlichen Massnahme zu beantworten. Die aussergewöhnlich lan- ge Begründung, welche die Tetrarchen für die Notwendigkeit ihrer Verordnung selbst gaben, blieb dabei als Ganzes jedoch zu wenig berücksichtigt. 3  Eine Analyse der in der  praefatio  des Höchstpreisedikts vorgetragenen kaiserlichen Argumente sowie der V er- gleich mit einem jüngst veröffentlichten Edikt Kai ser Hadrians vom Jahre 129 können deshalb dazu beitragen, weiteres Licht auf diese Fragen zu werfen. I. Preisbildung und Habgier ( avaritia) In der langen praefatio des Höchstpreisedik ts legten die Tetrarch en öffentlich ihre Grün- de dar, die sie zu diesem Erlass bewogen hatten. Inhalt und Argumentation des Textes lassen deshalb wichtige Einblicke in die kaiserlichen Absichten zu, denn sie sind als 1 S. Lauffer, Diokletians Preisedikt, Berlin 1971. M. Giacchero, Edictum Diocletiani et Collegarum de pretiis rerum venalium, 2 Bde., Genua 1974. D. Feis sel, Les constitutions des Tétrarches connues par l’épigraphie, Antiquité Tardive 3, 1995, 33–53, bes 43ff. Siehe auch unten Anm. 3. Im vorli egenden Text wird der Paragrapheneinteilung Lauffers gefolgt. 2 M. Giacchero, Il mondo della produzione e del lavoro nell’Edictum de Pretiis, in: Studi in onore di Arnaldo Biscardi 6, Mailand 1987, 132. A. Demandt, Die Spätantike. Römische Geschichte von Diocletian bis Justinian 284–565 n. Chr., 2. Au. München 2007, 6. 3 Eine ausführliche Darlegung der in der Forschung bis 2001 vertretenen zahlreichen Ansichten ndet sich bei W. Kuhoff, Diokletian und die Epoche der Tetrarchie, Frankfurt a. M. etc. 2001, 543ff. Der Leser sei nachdrücklich auch auf die dort umfangreich zitiert e Literatur verwiesen. Siehe ferner et wa S. Corcoran, The Empire of the Tetrarchs, 2. Au. Oxford etc. 2000, 178f. 205ff. 347. B. Meissner, Über Zweck und Anlass von Diokletians Preisedikt, Historia 49, 2000, 79–100. H. Brandt, Erneute Überlegungen zum Preisedikt Diokletians, in: A. Demandt / A. Goltz / H. Schlange-Schöningen (Hrsg.), Diokletian und die Tetrarchie, Millennium-Studien Bd. 1, Berlin, New York 2004, 47–55. Demandt (wie Anm. 2) 69. Siehe auch unten Anm. 40.

Wirtschaft Und Moral Im Urteil Diokletians

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WIRTSCHAFT UND MORAL IM URTEIL DIOKLETIANS - Zu den kaiserlichen Argumenten für Höchstpreise

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  • Historia, Band 58/4 (2009) Franz Steiner Verlag, Stuttgart

    WIRTSCHAFT UND MORAL IM URTEIL DIOKLETIANSZu den kaiserlichen Argumenten fr Hchstpreise

    Das Edikt, mit dem Diokletian und seine Mitkaiser gegen Ende des Jahres 301 reichs-weit gltige Hchstpreise verordneten,1 wird zurecht zu den wichtigsten, inschriftlich berlieferten lateinischen Texten des Altertums gezhlt.2 Gleichzeitig gehrt es zu den meistbesprochenen epigraphischen Texten der rmischen Welt, was allerdings nicht allein auf seine ausserordentliche historische Bedeutung zurckzufhren ist, sondern auch daran liegt, dass selbst an zentralen Aspekten seiner Deutung noch viele offene Fragen haften. So besteht in der Forschung keine Einigkeit darber, wie die konkreten Umstnde und Absichten zu beurteilen sind, die zu diesem massiven und in seiner um-fassenden Art und Gltigkeit offenbar vollkommen neuen Eingriff ins wirtschaftliche Leben des Rmischen Reiches gefhrt hatten. Bisher wurde vor allem versucht, solche Fragen mit Hilfe von Rekonstruktionen der wirtschaftlichen und monetren Ursachen und Folgen dieser kaiserlichen Massnahme zu beantworten. Die aussergewhnlich lan-ge Begrndung, welche die Tetrarchen fr die Notwendigkeit ihrer Verordnung selbst gaben, blieb dabei als Ganzes jedoch zu wenig bercksichtigt.3 Eine Analyse der in der praefatio des Hchstpreisedikts vorgetragenen kaiserlichen Argumente sowie der Ver-gleich mit einem jngst verffentlichten Edikt Kaiser Hadrians vom Jahre 129 knnen deshalb dazu beitragen, weiteres Licht auf diese Fragen zu werfen.

    I. Preisbildung und Habgier (avaritia)

    In der langen praefatio des Hchstpreisedikts legten die Tetrarchen ffentlich ihre Grn-de dar, die sie zu diesem Erlass bewogen hatten. Inhalt und Argumentation des Textes lassen deshalb wichtige Einblicke in die kaiserlichen Absichten zu, denn sie sind als

    1 S. Lauffer, Diokletians Preisedikt, Berlin 1971. M. Giacchero, Edictum Diocletiani et Collegarum de pretiis rerum venalium, 2 Bde., Genua 1974. D. Feissel, Les constitutions des Ttrarches connues par lpigraphie, Antiquit Tardive 3, 1995, 3353, bes 43ff. Siehe auch unten Anm. 3. Im vorliegenden Text wird der Paragrapheneinteilung Lauffers gefolgt.

    2 M. Giacchero, Il mondo della produzione e del lavoro nellEdictum de Pretiis, in: Studi in onore di Arnaldo Biscardi 6, Mailand 1987, 132. A. Demandt, Die Sptantike. Rmische Geschichte von Diocletian bis Justinian 284565 n. Chr., 2. Aufl . Mnchen 2007, 6.

    3 Eine ausfhrliche Darlegung der in der Forschung bis 2001 vertretenen zahlreichen Ansichten fi ndet sich bei W. Kuhoff, Diokletian und die Epoche der Tetrarchie, Frankfurt a. M. etc. 2001, 543ff. Der Leser sei nachdrcklich auch auf die dort umfangreich zitierte Literatur verwiesen. Siehe ferner etwa S. Corcoran, The Empire of the Tetrarchs, 2. Aufl . Oxford etc. 2000, 178f. 205ff. 347. B. Meissner, ber Zweck und Anlass von Diokletians Preisedikt, Historia 49, 2000, 79100. H. Brandt, Erneute berlegungen zum Preisedikt Diokletians, in: A. Demandt / A. Goltz / H. Schlange-Schningen (Hrsg.), Diokletian und die Tetrarchie, Millennium-Studien Bd. 1, Berlin, New York 2004, 4755. Demandt (wie Anm. 2) 69. Siehe auch unten Anm. 40.

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    hochoffi zieller Ausdruck dessen zu verstehen, was die Herrscher im Zusammenhang mit ihrer Verordnung von Hchstpreisen verbreitet wissen wollten. In dieser wortreichen Einleitung werden Maximaltarife als heilsame Massnahme der kaiserlichen Frsorge fr das Reich und seine Bewohner vorgestellt, die ersonnen und erlassen wurden, um die seit Jahren4 wtenden und durch Habgier (avaritia) verursachten Exzesse bei der Preis-bildung zu beenden. Dabei zerfllt die Argumentation Diokletians und seiner Mitkaiser fr die Notwendigkeit der verordneten Massnahmen (Praef. 514) in einen lngeren, allgemeinen Teil (Praef. 512) und in eine knappere Darlegung des Anlasses, der die Tetrarchen zum Handeln bewogen hatte (Praef. 1314). Der allgemeine Teil beginnt mit der Erklrung der Herrscher, sie beabsichtigten nach ihren Siegen ber die ruberischen Barbaren nun durch den Erlass geeigneter Gesetze auch im Inneren des Reiches eine dauerhafte Ruhe des Friedens zu sichern (Praef. 5). Dies bedinge ihr Eingreifen gegen die anhaltende, masslose und abscheuliche Gier einiger weniger (pauci: Praef. 20), skru-pelloser und habschtiger Preistreiber, die Menschen in Armut und Elend gestrzt htten (Praef. 7). Insgesamt zielt die Argumentation darauf, dass die moralischen und ethischen Grundwerte jener, die die Preise bisher frei bestimmt hatten, unrettbar verloren seien und dass der einzige Ausweg, die Menschen vor solcher Raffgier zu schtzen, nun in der kaiserlichen Verordnung von reichsweit gltigen Maximaltarifen liege (Praef. 15).

    Angesprochen wurde ausdrcklich die Gesamtheit der Provinzbewohner (provin-ciales nostri), da sie sich in Zukunft alle an diese zu ihrem Wohl ersonnene Verordnung zu halten hatten (Praef. 12. 20). Beinahe bis zum berdruss wird mit zahlreichen Adjek-tiven die Habgier der beltter verurteilt, die vor allem ber Formen und Ableitungen des Verbums rapere berdies mit den von den Kaisern besiegten Barbarenstmmen auf eine Stufe gestellt werden.5 Ob der zeitgenssische Leser die mehrfache und wortreiche Verurteilung der avaritia ebenfalls als exaggerated to the level of caricature emp-fand, wie dies heutigen Lesern erscheinen mag,6 sei dahingestellt. Jedenfalls sollte die Schilderung der schamlosen Gier und der masslosen Selbstbereicherung Weniger auf Kosten und zum Schaden Vieler die Wut der Leser gegen die Tter und ihr Mitleid mit den unschuldigen Opfern wecken, um daraus eine allgemeine Zustimmung und Unter-sttzung fr die kaiserlichen Massnahmen zu gewinnen, deren Bedeutung nicht geringer einzuschtzen sei als die Kriegszge gegen die usseren Feinde des Reiches. Der grosse rhetorische Aufwand, den die Tetrarchen (und ihre Kanzleien) bei der Formulierung der praefatio des Hchstpreisedikts betrieben haben, ist deshalb nicht nur ein beredtes Zeugnis kaiserlicher Selbstdarstellung. Vielmehr zeigt sich darin ebenso der Versuch, durch die Anrufung grundlegender moralischer Werte ihrem Eingriff in den Alltag auf den Mrkten des Rmischen Reichs eine breite Akzeptanz zu verschaffen.

    Nimmt man dieses deutlich erkennbare Anliegen der Verfasser der praefatio ernst, so lassen einige weitere Aussagen aufhorchen. Denn beinahe gleichzeitig mit der Schil-derung der Missstnde wird auch versucht, in mehreren usserungen einer erwarteten oder allenfalls sogar schon bekannten Kritik an den kaiserlichen Massnahmen vorzu-

    4 Praef. 6ff., bes. 9: tot annorum reticentiam nostram 5 Vgl. Praef. 8: inimicos singulis. Hierzu und zum folgenden auch Corcoran (wie Anm. 3) 208ff.6 So Corcoran (wie Anm. 3) 209. Dort auch zum Topos der avaritia in der zeitgenssischen Litera-

    tur.

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    beugen. Diese Kritik betrifft den Zeitpunkt des Erlasses, denn die Tetrarchen fhlten sich offenbar gentigt, ihr jahrelanges Zuwarten (Praef. 9) ber lngere Textstrecken hinweg zu erklren (Praef. 89, vgl. auch 67). Ihr Zgern selbst in Kenntnis einer nicht nur jhrlich und monatlich, sondern angeblich sogar stndlich, ja jeden Moment sich verschlimmernden Lage7 begrndeten die Herrscher mit ihrer Geduld und ihrer lange gehegten, aber letztlich vergeblichen Hoffnung, durch exemplarische Bestrafungen der schlimmsten beltter eine selbststndige Verbesserung der Verhltnisse herbeifhren zu knnen (Praef. 89).

    Diese Teile der Argumentation lassen somit zwei Bereiche erkennen, in denen die Verfasser offenbar eine besondere Notwendigkeit erkannten, die Reichsbewohner vom Nutzen des Erlasses zu berzeugen. Denn die kaiserliche Verordnung, die ja jeden Marktteilnehmer im gesamten Reich treffen musste, wurde nach der Aussage der Tetrar-chen wegen des Fehlverhaltens nur einiger Weniger erlassen. Die starke Betonung der moralischen Argumente konnte somit auch zur Vorbeugung gegen den Vorwurf dienen, dass die Verordnung als weit bertrieben und deshalb als ungerecht abgelehnt wrde. Mehrfach wird im Text deshalb durch Beschreibungen der geldgierigen beltter der Gerechtigkeitssinn der Leser angesprochen, ihre Emprung geweckt, die Wirkungs-losigkeit der bisherigen Methoden beschrieben und schliesslich mit der Bekanntgabe des nunmehr entschlossenen und radikalen kaiserlichen Handelns ihr Wunsch nach der Wiederherstellung gerechter Verhltnisse zufriedengestellt.8 Die Rechtfertigung fr den Zeitpunkt des Eingreifens bekrftigte dabei die Ernsthaftigkeit der kaiserlichen Absicht, den Preistreibern nun das Handwerk zu legen und der Raffgier und damit den Wucherpreisen ein Ende zu setzen.

    II. Das Los der Soldaten (ipsae causae)

    Fr die Deutung der praefatio ist es aber entscheidend, dass es der Text nicht bei diesen allgemeinen Aussagen belsst. Denn das Eingreifen der Tetrarchen nach langen Jahren des Zuwartens fand schliesslich noch eine sehr konkrete Begrndung. Sie wird mit den Worten eingeleitet (Praef. 13):

    Sed iam etiam ipsas causas, quarum necessitas tandem providere diu prolatam patientiam compulit, explicare debemus

    Nun mssen wir aber auch die Beweggrnde selbst erklren, deren Dringlichkeit unsere Geduld, die wir so lange gezeigt haben, zum Eingreifen zwang

    Diese ipsae causae werden im folgenden Abschnitt (Praef. 14) beschrieben. Sie bestan-den im angeblich allgemein bekannten Umstand, dass von Soldaten, wohin auch immer sie zum Wohle Aller unterwegs seien, nicht nur in Drfern und Stdten, sondern berall

    7 Praef. 6: quae sine respectu generis humani, non annis modo vel mensibus aut diebus, sed paene horis ipsisque momentis ad incrementa sui et augmenta festinat.

    8 Siehe etwa Praef. 5. 7 und vgl. 13. 15. 17. Zur Bedeutung moralischer berlegungen in der rmi-schen Wirtschaftspolitik allgemein siehe bes. D.R. Walker, The Metrology of the Roman Silver Coinage, Bd. 3, Oxford 1978, 106148.

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    auf ihrem Marsch Kaufpreise fr Handelswaren verlangt wrden, die nicht bloss um das Vier- oder Achtfache erhht wrden, sondern um ein namenloses Vielfaches. Es geschehe sogar, dass Soldaten durch den Kauf einer Ware ihres gesamten Soldes und ihrer kaiserlichen Geldgeschenke verlustig gingen.9 Der Stil der Argumentation, der ber die Erweckung von Wut und Mitleid zur Zustimmung zu den verordneten Mass-nahmen fhren und mithin das Bild der Tetrarchen als frsorgliche und gerechte Herr-scher (parentes generis humani etc.) besttigen sollte, wird zwar auch hier ungebrochen weitergefhrt, doch das Unglck der Soldaten wird in diesem Abschnitt keineswegs, wie jngst behauptet wurde, nur als konkretes Beispiel fr die Missstnde oder als pars pro toto fr das Leid der Reichsbevlkerung aufgefhrt.10 Vielmehr sollte im hochoffi -ziellen Wortlaut der praefatio das Los der Heeresangehrigen, das ausdrcklich als der eigentliche Anlass (ipsae causae) genannt wird, der die Herrscher zum Handeln bewog, ernst genommen werden. Zurecht wurde zwar darauf hingewiesen, dass die Empfnger fester Lhne, unter denen die Soldaten die grsste und bedeutendste Gruppe waren, besonders unter den Auswirkungen von Preissteigerungen zu leiden hatten.11 Man darf auch annehmen, dass die Herrscher ber die Missstnde nicht zuletzt durch Klagen unterrichtet wurden, die von den Soldaten selbst an sie herangetragen worden waren.12

    Doch wenn sich rmische Herrscher zur Verbesserung der Lebensumstnde ihrer Soldaten entschlossen, so stand dahinter meist weit mehr als grossmtige kaiserliche Frsorge. Das muss gerade auch fr Diokletian und seine Mitkaiser gegolten haben, denn nicht nur kannten alle vier Tetrarchen als ehemalige Offi ziere die Belange des Heeres aus eigener Anschauung, sondern auch die grossen Gefahren fr die kaiserliche Herrschaft, die aus der Unzufriedenheit der Soldaten entstehen konnten.

    Die Aussage dieses Abschnitts lsst sich deshalb so verstehen, dass die Tetrarchen berhhte Preise in der Hoffnung auf eine selbststndige Besserung so lange hatten dulden knnen, wie dies ohne erheblichen Einfl uss auf die Stimmung im Heer geblieben war. Der eigentliche Anlass ihrer Sorge und der Grund fr die necessitas ihres Handelns lag deshalb vor allem in der wachsenden Unzufriedenheit der Soldaten. Doch trotz der offensichtlichen Bedeutung dieses Abschnitts in der Argumentation zeigt seine Krze und seine Stellung am Ende der Begrndung fr die Notwendigkeit des Edikts, dass es den Verfassern insgesamt um weit mehr ging als um einen Erlass zum Schutze der Soldaten. So argumentiert der Text bereits in der zweiten Hlfte des selben Abschnitts

    9 Praef. 14: Quis ergo nesciat utilitatibus publicis insidiatricem audaciam, quacumque exercitibus no-stros dirigi communis omnium salus postulat, non per vicos modo aut per oppida, sed in omni itinere animo sectionis occurrere, pretia venalium rerum non quadruplo aut octuplo, sed ita extorquere, ut nomina aestimationis et facti explicare humanae linguae ratio non possit? Denique interdum dis-tractione unius rei donativo militem stipendioque privari? Einen ausfhrlichen berblick ber die Einschtzung der Bedeutung des Militrs in der bisherigen Forschung zum Hchstpreisedikt bietet Kuhoff (wie Anm. 3) 548f. Dort, 548 Anm. 1220, auch mit der wichtigen Beobachtung, dass dabei bisher die ausschlaggebende Rolle der Soldaten als Herrschaftssttze oft nicht deutlich genug zum Ausdruck komme.

    10 So jngst etwa Kuhoff (wie Anm. 3) 548. Corcoran (wie Anm. 3) 211. 11 Meissner (wie Anm. 3) 98. Corcoran (wie Anm. 3) 211f.12 Corcoran (wie Anm. 3) 212. Siehe dazu auch M.A. Speidel, Heer und Herrschaft im Rmischen

    Reich der Hohen Kaiserzeit, Mavors 16, Stuttgart 2009, 498f. vgl. unten im Text zu Anm. 21.

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    wieder aus der Sichtweise der Reichsbewohner und erklrt, dass durch die Ausplnderung der Soldaten das gesamte Steueraufkommen, das die Allgemeinheit fr den Unterhalt des Heeres zahle, in den Hnden jener abscheulichen und unermesslich reichen Ruber ende.13 All dies lsst erkennen, dass die Hhe des Soldes und der weiteren Zuwendungen unter diesen Umstnden kaum mehr ausreichte, um die materiellen Bedrfnisse der Soldaten angemessen zu befriedigen. Gleichzeitig gibt diese Aussage auch eine Antwort auf die Frage, weshalb Diokletian die Not seiner Soldaten nicht einfach durch hhere Zahlungen an das Heer lste. Denn nach der Logik der vorgetragenen Argumentation wre auch zustzliches Geld fr die Soldaten, das man zweifellos htte durch hhere Steuereinnahmen aufbringen mssen, letztlich ebenfalls nur in die Hnde schamloser Preistreiber gefallen. Nach der Gesamtaussage der praefatio diente die Verordnung von Maximaltarifen somit weder ausschliesslich noch vornehmlich den Soldaten, sondern allen Reichsbewohnern gleichermassen, doch ohne die Klagen der Soldaten wre das Hchstpreisedikt nicht (oder nicht zu jenem Zeitpunkt) erlassen worden.

    III. Soldaten als Opfer der avaritia

    Welche besonderen Umstnde hatten aber zu den Klagen der Heeresangehrigen gefhrt? Die auffallende Hervorhebung der Soldaten in der Argumentation wurde vor kurzem mit einer Teuerung erklrt, die als Ergebnis lokal berhitzter Nachfrage zu deuten sei und die jeweils durch eine berdurchschnittlich hohe, wenn auch teils nur vorbergehende militrische Prsenz ausgelst worden war.14 Als Vergleich wurde dabei vor allem auf die Berichte zum Aufenthalt und zum Truppenzusammenzug Julians in Antiochia im Jahre 362 verwiesen; denn diese schreiben der Anwesenheit des Kaisers, seines Hofes und dem Heer eine erhebliche lokale Teuerung zu und bezeugen zugleich preisbin-dende Massnahmen des Kaisers, um die Missstnde zu beenden.15 Der Vergleich ist zwar aufschlussreich, hat jedoch in entscheidenden Punkten seine Schwchen: Julians Massnahmen bezogen sich ausschliesslich auf die Stadt Antiochia und nur auf die Dauer eines gewaltigen Aufmarsches von Truppen, mit denen der Kaiser schliesslich in seinen Perserkrieg zog. Das entspricht aber weder der im Hchstpreisedikt beschrieben noch der fr das Jahr 301 bezeugten Situation. Auch der Hinweis auf den militrischen Auf-bau und die Befestigung der Grenzen whrend der 290er Jahre oder die Prsenz von Soldaten an ihren Stationierungsorten und den kaiserlichen Residenzen hilft zunchst

    13 Nach Aurelius Victor, Caes. 39,45 htten sich die Tetrarchen besonders um die annona urbis und die stipendiarii gekmmert. Obwohl regelmssig im Zusammenhang mit Diokletians Hchstpreisedikt zitiert, spricht nichts in diesem Text dafr, dass ein Hinweis auf den Erlass der Maximaltarife vorliegt. Der fr den Zusammenhang entscheidende Begriff stipendiarii bezeichnet in jener Stelle zweifellos die Steuerzahler. So richtig Brandt (wie Anm. 3) 52f. Die Bemerkung gilt deshalb wohl den neuen tetrarchischen Steuerregelungen. Die zweite Bedeutung des Begriffs stipendiarius, Sldner, ergibt dort jedenfalls keinen Sinn. Keinesfalls waren aber Soldaten gemeint, die auch bei Aurelius Victor milites genannt wurden: z. B. Caes. 37,2f. 40,9.

    14 So zuletzt besonders Corcoran (wie Anm. 3) 215ff. und Meissner (wie Anm. 3) 84ff. mit weiterer Literatur. Dort auch zum Folgenden.

    15 Julian, Misop. 368Cff. Amm. 22,14. Liban., Or. 18,195f. Socrates, HE 3,17.

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    kaum, den Wortlaut der praefatio zu verstehen, denn dort heisst es von den um ihre Einknfte betrogenen Soldaten ausdrcklich, sie seien zum Nutzen der Allgemeinheit non per vicos modo aut per oppida, sed in omni itinere unterwegs.

    Dieser Schilderung der spezifi schen Umstnde, unter denen die Soldaten berhhte Preise bezahlen mussten, ist bisher nicht gengend Aufmerksamkeit zuteil geworden. Beschrieben waren hier Heeresabteilungen auf dem Marsch16 und vor allem die zahl-reichen Soldaten, die einzeln oder in kleineren Gruppen in offi zieller Mission auf den Strassen des Reiches zu Transport- und Nachrichtendiensten unterwegs waren. Die-ser militrische und administrative Verkehr und die damit verbundenen Missbruche wurden whrend der Regierungszeit Diokletians durch die Vierzahl der Herrscher mit ihren verschiedenen Residenzen und ihren zahlreichen Reisen sowie durch die bedeu-tende Vermehrung der Provinzen und der militrischen Einheiten zweifellos erheblich gesteigert und waren damit eine Erscheinung, die sich in ihrem Ausmass von den Ver-hltnissen frherer Zeiten wesentlich unterschied. Wenn aber die damals stark erhhte Reisettigkeit der Soldaten17 fr viele Hndler Aussicht auf neue und hhere Gewinne mit sich brachte, ist die Behauptung der Tetrarchen, dass die Ankunft der Soldaten auf den lokalen Mrkten zu berhhten Preisen fhrte, leicht verstndlich, und dass dies bei den betroffenen Soldaten zu Missstimmungen und damit zu vermehrten Klagen fhrte, durchaus wahrscheinlich.

    Ein vor kurzem verffentlichtes Edikt Kaiser Hadrians aus dem Jahre 129 hilft, die Schwierigkeiten der Soldaten auf ihren Reisen besser zu verstehen.18 Es handelt sich dabei um einen in griechischer Sprache auf eine nahezu vollstndig erhaltene Marmor-stele abgeschriebenen Erlass, dessen unbekannter Fundort anscheinend im weiteren Hinterland von Ephesos zu suchen ist. Der Text regelt das richtige Verhalten von in offi zieller Mission reisenden Soldaten sowie von den Bewohnern jener Siedlungen, durch die solche Heeresangehrige auf ihren Reisen zogen. Hadrian begrndete sei-nen Erlass damit, dass er whrend seines Aufenthalts in der Provinz Asia im Frhjahr und im Sommer des Jahres 129 erfahren hatte, dass Soldaten ihren Nachrichten- oder Transportdienst mehrfach missbraucht htten, um in Stdten und in Drfern und teils abseits der Hauptstrassen unzulssige Requisitionen zu ttigen. Das Edikt enthlt deshalb Kurzfassungen der wichtigsten Rechte und Verbote, denen die zu solchen Diensten im staatlichen Auftrag reisenden Soldaten unterworfen waren.19 Es gehrte dabei zu den

    16 Als Hinweis auf bevorstehende Kriegszge gegen ussere Feinde ist dies allerdings kaum zu ver-stehen, denn diese hatten die Kaiser nach ihrer Aussage zu Beginn der praefatio bereits besiegt und vernichtet (praef. 5).

    17 Ein eindrucksvolles Beispiel dafr bieten die Reisen des Legionssoldaten Aurelius Gaius: AE 1981, 777 = SEG 31, 1116.

    18 T. Hauken / H. Malay, A New Edict of Hadrian from the Province of Asia Setting Regulations for Requisitioned Transport, in: R. Haensch (Hrsg.), Selbstdarstellung und Kommunikation. Die Verf-fentlichung staatlicher Urkunden auf Stein und Bronze in der Rmischen Welt, Vestigia 61, Mnchen 2009, 327348.

    19 Zu den Einzelheiten der Requisitionsrechte und den damit verbundenen und mehrfach bezeugten Missbruchen bes. S. Mitchell, Requisitioned Transport in the Roman Empire: A New Inscription from Pisidia, JRS 66, 1976, 106131. A. Kolb, Transport und Nachrichtentransfer im Rmischen Reich, Berlin 2000. Speidel (wie Anm. 12) 501513.

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    Regeln dieses Dienstes, dass selbst jene Soldaten, die im Rahmen ihrer Missionen zu bestimmten Requisitionen berechtigt waren, fr ihre Verpfl egung und jene ihrer Tiere selbst zu zahlen hatten. Dazu enthlt das neue Edikt Hadrians eine bisher unbekannte Verfgung, nach der die Preise, die man von solchen Soldaten verlangen konnte, nicht ber den zehn Tage zuvor gltigen Marktpreisen liegen durften.20 Das ist freilich nichts anderes als eine Hchstpreisverordnung, die, wie jene Diokletians, offenbar deshalb ausgesprochen wurde, weil sich die Soldaten beim Kaiser darber beklagt hatten, dass ihre Ankunft in den Siedlungen entlang ihrer Reiserouten die Preise oft hatte in die Hhe schnellen lassen. In solchen Umstnden knnte deshalb auch einer der Grnde gelegen haben, weshalb Soldaten immer wieder die Hauptstrassen verliessen, um sich bei der sicherlich wehrloseren und weniger gut unterrichteten Land bevlkerung wider-rechtlich zu versorgen.21 Jedenfalls legt der Zusammenhang aber nahe, dass Hadrian berhhte Preise fr das Fehlverhalten der Soldaten mitverantwortlich gemacht hat und dass die Preistreiber somit ihren Anteil an Strungen und Schden hatten, die auch Dritte betrafen.

    In den Stdten der Provinz Asia sollten die Anordnungen Hadrians vermutlich von den lokalen Agoranomen berwacht und durchgesetzt werden;22 doch ob hnlich lautende Edikte damals auch fr andere Provinzen, die er bereiste, erlassen wurden, knnten erst weitere Inschriftenfunde sicher nachweisen. Dennoch ist dies keineswegs unwahrscheinlich, da gerade die Anwesenheit des Kaisers wohl nicht unwesentlich zu den beklagten Missstnden beigetragen hatte. Denn wo immer sich der Kaiser mit seiner umfangreichen Gefolgschaft aufhielt, musste deren Versorgung und Kommunikation zu einem erheblichen Anstieg des Verkehrs (und damit auch der beschriebenen Missbruche) fhren.23 Es ist deshalb durchaus zu erwarten, dass dies nicht nur in der Provinz Asia zu den beschriebenen Klagen fhrte. Zudem lsst der Wortlaut des Edikts nicht eindeutig erkennen, ob Hadrian seine Preisverordnung im Jahre 129 neu einfhrte oder ob er hier (vielleicht eher) eine bereits zuvor gltige Bestimmung lediglich erneut in Erinnerung rief. Es ist sogar mglich, dass diese oder eine hnlich lautende Bestimmung bis in die Jahre vor 301 gltig war, wenn die in der praefatio des Hchstpreisedikts genannten exemplarischen Bestrafungen der schlimmsten beltter (Praef. 8) auf dieser Rechts-grundlage geschahen.

    Hadrians Edikt zeigt somit, dass reisende Soldaten schon in den friedlichen Jahr-zehnten des zweiten Jahrhunderts, als keine nennenswerte Teuerung herrschte, Opfer der avaritia werden konnten (oder sich wenigstens dem Kaiser gegenber als solche darstellten) und dass die Verordnung preisbindender Massnahmen zu deren Schutz keine grundstzliche Neuerung Diokletians gewesen ist. Somit argumentierte die praefatiodes Hchstpreisedikts in diesem Punkt mit einer Erfahrung, die auch frhere kaiserliche

    20 Z. 34f.: kai; ajgora; timh'~ h{ti~ h\n pro; devka hJmerw'n. Dazu Hauken / Malay (wie Anm. 18) 344f. 21 Dazu Speidel (wie Anm. 12) 485ff. 508ff.22 Zu den agoranomoi etwa H. Brandt / F. Kolb, Lycia et Pamphylia. Eine rmische Provinz im Sd-

    westen Kleinasiens, Mainz 2005, 35. C. Marek, Pontus et Bithynia. Die rmischen Provinzen im Norden Kleinasiens, Mainz 2003, 86ff. 144. mit weiterer Literatur.

    23 Siehe nur SB 3924 (erstes Edikt) und Plin., Paneg. 20,3. Allgemein H. Halfmann, Itinera principum. Geschichte und Typologie der Kaiserreisen im Rmischen Reich, Stuttgart 1986, 70ff. Kolb (wie Anm. 19) 248ff.

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    Regierungen im selben Zusammenhang gemacht hatten (quis ergo nesciat )24 und als deren Ursache bereits damals eine dem kaiserlichen Rechtssinn widersprechende Preistreiberei benannt wurde. Die praefatio des Hchstpreisedikts schreibt die sprung-haft steigenden Preise jedenfalls auch in diesem konkreten Textzusammenhang noch einmal ausdrcklich allein der Habgier schamloser Preistreiber zu. Gerade in diesem, den Tetrarchen mit ihrer militrischen Erfahrung zweifellos gut bekannten und als eigentlicher Anlass fr das kaiserliche Eingreifen beschriebenen Kontext liessen sich Hchstpreise somit als geeignetes Mittel zur Bekmpfung der in der praefatio beklagten avaritia rechtfertigen.

    IV. Ein Edikt zum Wohle Aller?

    Einzelne und regional begrenzte Hchstpreisverordnungen (hauptschlich fr Getreide) waren in Notlagen schon seit Jahrhunderten als Ausdruck der Frsorge rmischer Re-gierungen erlassen worden.25 Diokletians Edikt konnte deshalb wohl auch als Versuch verstanden werden, durch die Ausdehnung solcher Massnahmen auf alle Preise und Dienstleistungen sowie auf das gesamte Reichsgebiet seine eigene Frsorge (und die sei-ner Mitkaiser), die in der praefatio so deutlich zum Ausdruck gebracht wurde, weit ber das bisher bekannte und vorstellbare Mass zu erheben. Die verordneten Maximaltarife sollten deshalb auch ausdrcklich zum Wohle aller Reichsbewohner dienen, auch wenn es erst die Klagen der Soldaten gewesen waren, die Diokletian und seine Mitkaiser zum Eingreifen bewogen hatten. Hadrians Erlass trgt auch in dieser Hinsicht zum Verstnd-nis weiterer Aspekte von Diokletians Hchstpreisedikt bei. Denn die Preisbindung, die Hadrian im Jahre 129 zum Schutze der Soldaten aussprach, erscheint in einem Text, der im Interesse der Bewohner von Stdten und Drfen verfasst wurde und der als Ganzes vor allem den geschftlichen Austausch der beiden Gruppen regeln und damit zur Sicherung friedlicher Zustnde in der Provinz beitragen sollte.26 Es ist deshalb bemerkenswert, dass auch Diokletians Hchstpreisedikt in zwei sptantiken Texten offenbar ganz hnlich und jedenfalls nicht als Erlass zugunsten der Soldaten verstanden wurde.

    So erklrte Tib. Fulvius Asticus, der Statthalter der Provinz Phrygia et Caria, Ende 301 in seinem Erlass zur Bekanntmachung des Hchstpreisedikts,27 dass die kaiserliche Verordnung gerechter und begrenzter Preise28 fr alle Menschen dazu fhre, dass niemand wegen der Hab- und Geldgier einiger weniger Mangel am Lebensnot wendigen leiden

    24 Praef. 14.25 Dazu mit den Zeugnissen P. Garnsey, Famine and Food Supply in the Greeco-Roman World: Re-

    sponses to Risk and Crisis, Cambridge 1988, 222ff. 238f. Corcoran (wie Anm. 3) 213ff.26 Z. 39f.: oujde;n de meikrovn ejstin to; bohqh'son tai'~ pov/lesin pro;" to; mhde;n bivaion paqei'n.27 SEG 26, 1353 = AE 1997, 1443. Dazu M.H. Crawford / J. Reynolds, The Publication of the Prices

    Edict: A New Inscription from Aezani, JRS 65, 1975, 160163. J.H. Oliver, The Governors Edict at Aezani after the Edict of Prices, AJPh 97, 1976, 174175. Meissner (wie Anm. 3) 92ff. mit deut-scher bersetzung, aber ohne Kenntnis der wichtigen Textverbesserungen und Kommentare von N. Lewis, The Governors Edict at Aizanoi, Hellenica 42, 1991/92, 1520.

    28 Dass der Statthalter, wie immer noch meist angenommen wird (zuletzt etwa A.K. Bowman, Dio-cletian and the First Tetrarchy. A.D. 284305, in: Ders. / P. Garnsey / A. Cameron [Hrsg.], The

  • MICHAEL A. SPEIDEL494

    msse, weil damit zugleich jeder Gedanke an beltaten verschwinden werde. Schon die Herausgeber des Textes wiesen darauf hin, dass der Statthalter die Sorge der Tetrarchen um das Wohl der Soldaten nicht erwhnte.29 Es wurde sogar angenommen, Fulvius Asti-cus habe die in Phrygien und Karien wegen ihrer am Ende des zweiten und in der ersten Hlfte des dritten Jahrhunderts mehrfach bezeugten bergriffe30 angeblich allgemein verhassten Soldaten mit Absicht unerwhnt gelassen, da die Provinzbewohner die kai-serlichen Massnahmen als geradezu zynisch empfunden htten, wenn sie zugunsten dieser notorischen beltter begrndet worden wren, und weil die Maximaltarife sonst in Karien und Phrygien wohl auf allergrsste Widerstnde getroffen wren.31

    Die Beobachtung, dass das statthalterliche Edikt keine vollstndige Zusammen-fassung der praefatio des Hchstpreisedikts gab, trifft zweifellos zu, zumal der Statthalter neben dem Los der Soldaten auch noch weitere Ausfhrungen der praefatio (etwa zu den durch die masslose avaritia entstandenen Schden: Praef. 67, zu den bisher vergeblichen Versuchen, sie zu begrenzen: Praef. 89, zur Preistreiberei durch Warenentzug: Praef. 12. 20, oder zur Preisbildung durch Angebot, Nachfrage und Transportkosten: Praef. 1517) unerwhnt liess und selbst auf die Bekanntgabe verzichtete, dass bei einem Verstoss gegen die Bestimmungen des kaiserlichen Erlasses die Todesstrafe drohe (Praef. 18). Ob die Soldaten freilich aus den oben genannten Grnden unerwhnt blieben, ist fraglich. Nicht nur hatte bereits Hadrian keine Bedenken, Preisbindungen im selben Zusammen-hang auszusprechen, sondern auch das Motiv selbst, die angebliche Unbeliebtheit der Soldaten, hat als Argument nur beschrnkte berzeugungskraft. Denn den Zeugnissen fr die bergriffe durch Soldaten (vornehmlich aus den lndlichen Regionen Lydiens, Kariens und Phrygiens) stehen aus dem selben, ein halbes Jahrhundert und weiter zurck liegenden Zeitraum andere Texte gegenber, in denen Anerkennung und Dankbarkeit vor allem der stdtischen Bevlkerung in diesen Gebieten (einschliesslich jener von Aphrodisias) fr die Ttigkeiten der Heeresangehrigen ausgedrckt wurden.32

    Vor allem aber geht es in der kurzen statthalterlichen Vorstellung des tetrarchischen Edikts offensichtlich nicht um die Darlegung der Grnde, die zu seiner Entstehung gefhrt hatten, sondern lediglich um den Kern der dort verkndeten Absicht. Das erreichte der Statthalter aber durchaus mit der gebotenen Genauigkeit, indem er es in knappen Worten als das vorstellte, was es nach der Aussage seiner Verfasser htte sein sollen: eine der kaiserlichen Frsorge geschuldete Verordnung zum Wohle der Allgemeinheit.33 Denn

    Cambridge Ancient History, 2. Aufl ., Bd. 12, Cambridge 2005, 84), die Hchstpreise als Festpreise missverstanden habe, trifft nicht zu, wie bereits N. Lewis (wie Anm. 27) 19 gezeigt hat.

    29 Crawford / Reynolds (wie Anm. 27) 162. So etwa auch Meissner (wie Anm. 3) 93f. Brandt (wie Anm. 3) 50f.

    30 Dazu Speidel (wie Anm. 12) 486ff. 508ff. 31 So Brandt (wie Anm. 3) 51.32 Aphrodisias: ILS 9474 = MAMA VIII 508 = SEG XXXI 905,1 = AE 1981, 771. CIG 2802 = SEG

    XXXI 905,2 = AE 1981, 771 = BE 1982, 357. Ferner etwa: IGRR III 301. IV 728. 786. SEG XVI 754 Z. 32f. Vgl. auch SEG XXXVII 1186 Z. 36. TAM V 1, 419 Z. 6ff. mit T. Hauken, Petition and Response, Bergen 1998, 164. Allgemein dazu Speidel (wie Anm. 12) 483ff.

    33 Praef. 20: res constituta ex commodo publico. Zu den zahlreichen Anklngen im griechischen Wortlaut des Statthalteredikts an den lateinischen Text des Hchstpreisedikts siehe bes. Lewis (wie Anm. 27) 16ff.

  • Wirtschaft und Moral im Urteil Diokletians 495

    ebenso wie das Hchstpreisedikt richtete sich auch das Edikt des Statthalters ausdrcklich an die Provinzbewohner34 mit der Versicherung, die Einfhrung von Maximaltarifen und das Ende ungerechter Preise dienten dem Wohle Aller, weil als Folge des kaiserlichen Eingreifens Habsucht und Gier durch Gerechtigkeit ersetzt wrden. Alle Einzelheiten, so der Statthalter, habe man der Abschrift des Hchstpreisedikts zu entnehmen.

    Dass die Nichterwhnung der Soldaten der Hauptgrund fr die abweichenden Ausfhrungen des Fulvius Asticus gewesen sei35 und dass der Statthalter der Provinz Phrygia et Caria Diokletians Edikt damit zur Akzeptanzbeschaffung umgedeutet htte, ist deshalb weder dem Wortlaut seines eigenen Edikts zu entnehmen noch auf Grund sonstiger berlegungen wahrscheinlich zu machen.36 Deutlich diente Asticus Edikt aber dem Lob der kaiserlichen Massnahme zur Wiederherstellung gerechter Verhlt nisse auf den Mrkten und mithin vor allem der eigenen Selbstdarstellung und der Verkndung seiner Loyalitt.

    Ein Hinweis auf regulierende Eingriffe Diokletians ins Marktgeschehen fi ndet sich auch in der Chronik des Johannes Malalas. Dort wird in einem Abschnitt zu den im syrischen Antiochia getroffenen Massnahmen berichtet, der Kaiser habe Allen Masse (metra;) fr Getreide und alle anderen Waren gegeben, damit kein Hndler von den Soldaten misshandelt werde.37 Wenn in der von Malalas erwhnten Massnahme meist eine Anspielung auf Diokletians Maximaltarife erkannt wurde, so sah man doch in der Beschreibung ihres Zwecks der Verhinderung von Misshandlungen der Hndler durch Soldaten einen Widerspruch zur Aussage der praefatio des Hchstpreisedikts. Da dort die Soldaten als Opfer geldgieriger Preistreiber beschrieben werden, glaubte man an eine fehlerhafte berlieferung.38 Das ist aber keineswegs notwendig, denn auch wenn die praefatio (verstndlicherweise) keinen Hinweis auf beltaten der Soldaten gibt, so konnte die Verordnung und reichsweite Bekanntmachung von Hchstpreisen unschwer auch als Massnahme zum Schutz der Hndler ausgelegt werden. Gerade das zeigt auch Hadrians Edikt vom Jahre 129. Denn nachvollziehbare, als gerecht erklrte und allgemein bekannte Hchstpreise mussten die Hndler vor dem Vorwurf schtzen, sie wrden den Soldaten ihre Waren aus Gier und Gewinnsucht berteuert verkaufen. Es ist deshalb nicht auszuschliessen, dass Johannes Malalas bei der Verfassung seiner

    34 Praef. 12. Meissner (wie Anm. 3) 94 irrt deshalb, wenn er behauptet, das Hchstpreisedikt stelle die Sorge fr das Militr in den Vordergrund, whrend der Statthalter die Herstellung von Rechtssi-cherheit, die Bekmpfung des Mangels und die Sorge fr Gerechtigkeit und rechtliches Verhalten betone. hnlich auch Kuhoff (wie Anm. 3) 547. Bowman (wie Anm. 28) 83 etc.

    35 So Brandt (wie Anm. 3) 51. Eine Umdeutung des kaiserlichen Edikts vermuten etwa auch Meissner (wie Anm. 3) 91ff. H. Grassl, Marktorganisation und Preisbildung in der rmischen Kaiserzeit, in: R. Rollinger / C. Ulf (Hrsg.), Commerce and Monetary Systems in the Ancient World, Stuttgart 2004 352365, bes. 360. hnlich Corcoran (wie Anm. 3) 179. 245. Bowman (wie Anm. 28) 84.

    36 Vgl. auch A. Eich, Diplomatische Genauigkeit oder inhaltliche Richtigkeit? Das Verhltnis von Original und Abschrift, in: Haensch (wie Anm. 18) 267299. Im brigen gibt selbst Laktanz, De mort. pers. 7,6 keinen Hinweis darauf, dass das Edikt die Sorge um die Soldaten in den Vordergrund gestellt htte, obwohl er daraus vermutlich ein weiteres Argument fr die Schlechtigkeit Diokletians htte gewinnen knnen.

    37 Malalas 12,307.38 So bereits A. Vogel, Der Kaiser Diokletian, Gotha 1857, 82. Siehe ferner Giacchero (wie Anm. 1)

    1 Anm. 3. Corcoran (wie Anm. 3) 219. Brandt (wie Anm. 3) 53.

  • MICHAEL A. SPEIDEL496

    Chronik Berichte vorlagen, die solche Argumente enthielten. Jedenfalls aber kann nicht behauptet werden, Malalas Aussage stehe im Widerspruch zur Argumentation in der praefatio des Hchstpreisedikts, zumal diese ausdrcklich verkndet, die Maximaltarife wrden zum Vorteil aller Reichsbewohner verordnet. Hndler waren davon keineswegs grundstzlich ausgeschlossen weder negotiatores noch mercatores werden in der prae-fatio berhaupt ausdrcklich genannt , allein der masslosen Gier sollte ein Ende gesetzt werden. Mit Bedacht scheint somit die Begrndung fr die Hchstpreisverordnung so formuliert worden zu sein, dass sie weder wichtige Bevlkerungsgruppen wie Hndler und Verkufer von den Vorteilen des Erlasses ausschloss noch dass sie zum alleinigen Wohl der Soldaten diente.

    V. Ein Edikt zur Infl ationsbekmpfung?

    Seit der Entdeckung mehrerer Fragmente eines als Whrungsreform erkannten Edikts im karischen Aphrodisias im Jahre 1970,39 welches Diokletian und seine Mitkaiser ebenfalls in der zweiten Hlfte des Jahres 301 erlassen hatten, wird in der modernen Forschung meist ein inhaltlicher Zusammenhang dieses Textes mit dem Hchstpreisedikt erkannt. Das nur sehr bruchstckhaft erhaltene Whrungsedikt verfgte offenbar die Erhhung (teils? die Verdoppelung) des Nennwerts (potentia) bestimmter Nominale (jedenfalls auch solcher mit Silbergehalt), ohne jedoch deren Substanz zu verndern. Eine Begrn-dung fr den Erlass der Whrungsreform ist nicht erhalten. Beide Edikte werden heute meist als Massnahmen eines umfassenden, als Ganzes nach einer rationalen, kono-mischen Analyse volkswirtschaftlicher und monetrer Zusammenhnge ersonnenen und in seinen Einzelteilen aufeinander abgestimmten, reichsweiten Reformwerkes beurteilt, mit denen Whrung und Wirtschaft auf eine neue, dauerhafte Grundlage gestellt wer-den sollten.40 Dabei ist vor allem die aus heutiger, konomischer Sicht nahe liegende Annahme verbreitet, dass die im Whrungsedikt verfgten Massnahmen unweigerlich zu Preissteigerungen fhren mussten, die deshalb durch das Hchstpreisedikt htten abgefangen werden sollen.41 Andere beurteilten Whrungsedikt und Hchstpreis-

    39 AE 1973, 526 a = AE 1981, 764. K. Erim / J. Reynolds / M. Crawford, Diocletians Currency Re-form: A New Inscription, JRS 61, 1971, 171177. J. Reynolds, The Regulations of Diocletian, in: C. Rouech, Aphrodisias in Late Antiquity, London 1989, 254265. Dazu auch Corcoran (wie Anm. 3) 177f. Siehe auch unten Anm. 51. zum kaiserlichen Brief in der selben Inschrift.

    40 Siehe die zahlreiche, bei Kuhoff (wie Anm. 3) 540f. 564 und Meissner (wie Anm. 3), 80f. zitierte und zusammengefasste Literatur. Ferner etwa C. Howgego, Geld in der Antiken Welt, Darmstadt 2000, 153. Brandt (wie Anm. 3) 48. D.S. Potter, The Roman Empire at Bay, London 2004, 334f. Bowman (wie Anm. 28) 83.

    41 So zuletzt etwa Demandt (wie Anm. 2) 69. Corcoran (wie Anm. 3) 215. Brandt (wie Anm. 3) 47f. mit Verweis auf Dens., Zeitkritik in der Sptantike. Untersuchungen zu den Reformvorschlgen des Anonymus de rebus bellicis, Mnchen 1988, 2629 und Dens., Geschichte der rmischen Kaiser-zeit. Von Diokletian und Konstantin bis zum Ende der konstantinischen Dynastie (284363), Berlin 1998, 7586. Zuvor bereits u. a. J. Jahn, Zur Geld- und Wirtschaftspolitik Diokletians, JNG 25, 1975, 91105. J.W. Ermatinger, The Economic Reforms of Diocletian, St. Katharinen1996. E. Lo Cascio, How Did the Romans View Their Coinage and its Funktion?, in: C.E. King / D. Wigg (Hrsg.), Coin Finds and Coin Use in the Roman World. Studien zu Fundmnzen der Antike 10, Berlin 1996,

  • Wirtschaft und Moral im Urteil Diokletians 497

    edikt als gemeinsame und sich ergnzende Massnahmen zur Stabilisierung der Wh-rung.42

    Die zeitliche Nhe der beiden Edikte, die wohl innerhalb von rund drei Monaten in Kraft traten,43 lsst kaum einen Zweifel daran, dass die kaiserliche Regierung sich sp-testens im Jahr 301 intensiv mit Fragen zu Whrung und Preisbildung beschftigte. Dabei sprechen der kurze zeitliche Abstand der beiden Verordnungen und die anzunehmende lngere Zeitspanne, die fr die Ausarbeitung der Maximaltarife notwendig war,44 gegen die Annahme, dass das Hchstpreisedikt erst als Reaktion auf die durch die Whrungs-reform ausgelsten Vernderungen entstand,45 zumal die Tetrarchen versicherten, die Hchstpreisverordnung diene der Bekmpfung eines bereits seit vielen Jahren bestehenden bels.46 Neben der zeitlichen und der thematischen Nhe sind die beiden Verordnungen aber auch durch ihre gleichzeitige Bedeutung fr die Marktteilnehmer verbunden. Zu-mindest in Aphrodisias wurde dies auch durch den Aufstellungsort der beiden in Stein gemeisselten Texte an prominenter Stelle auf der Agora zu beiden Seiten des Eingangs der Basilika sichtbar gemacht.47 Auch in einem auf Papyrus teilweise erhaltenen Brief werden beide Massnahmen erwhnt.48 Offenbar war fr den Empfnger die gleichzeitige Kenntnisnahme beider Erlasse wichtig, was im Hinblick auf ihre Folgen fr das tgliche Geschehen auf dem Markt sicherlich auch fr zahllose andere Reichsbewohner galt.

    Wenn somit wohl zurecht geschlossen wurde, dass Whrungsreform und Hchst-preisedikt in ein- und denselben politischen und strategischen Kontext gehren,49 so

    273287. Kuhoff (wie Anm. 3) 540ff. Ebd. sowie bei Meissner (wie Anm. 3) 80f. Anm. 7 zahlreiche weitere Literatur mit usserungen in diesem Sinn.

    42 So u. a. Erim / Reynolds / Crawford (wie Anm. 39) 177. H. Bhnke, Ist Diocletians Geldpolitik gescheiert?, ZPE 100, 1994, 473483. Howgego (wie Anm. 40) 153. Corcoran (wie Anm. 3) 215. Potter (wie Anm. 40) 334f. Vgl. auch Bowman (wie Anm. 28) 83: There is perhaps no reason to think the emperors could not have recognized the potential effects of remonetization and attempted to stabilize prices in terms of the new values of the coins, even if the degree of real infl ation was less than has generally been thought; that is, price increases follow adjustments to the coinage.

    43 Das Whrungsedikt trat am 1. September 301 in Kraft: Reynolds (wie Anm. 39) 262. Das Hchst-preisedikt wird heute meist auf die Zeit zwischen dem 20. November und dem 9. Dezember 301 datiert: dazu zuletzt etwa Corcoran (wie Anm. 3) 206. Allerdings wurde an dieser engen Datierung des Hchstpreisedikts mit bedenkenswerten Grnden auch gezweifelt und eine grssere Zeitspanne gegen Ende 301 und damit die Mglichkeit einer (nahezu) zeitgleichen Verordnung angenommen: M. Crawford, Finance, Coinage and Money from the Severans to Constantine, ANRW II,2, 1975, 579 Anm. 77. Reynolds (wie Anm. 39) 262f. 268.

    44 Corcoran (wie Anm. 3) 210. Kuhoff (wie Anm. 3) 541. Brandt (wie Anm. 3) 48.45 So Corcoran (wie Anm. 3) 210. Kuhoff (wie Anm. 3) 541. Dazu auch Reynolds (wie Anm. 39) 263.

    Howgego (wie Anm. 40) 153. Siehe auch unten im Text zu Anm. 69f.46 Siehe oben Anm. 4.47 Reynolds (wie Anm. 39) 252: Both documents are cut on a series of marble panels which seem to

    have stood at the front of the great basilica on the west side of the south portico of the Agora the Currency inscription at the left end and the Prices Edict across the centre and the right end. Ebd. 262 (zum Whrungsedikt): Its exact chronological relation to the Prices Edict is disputed; that it was complementary to it is clear.

    48 PSI 965 = SB 12134 (Ende 301 / 302). Dazu E. Ruschenbusch, Diokletians Whrungsreform vom 1.9.301, ZPE 26, 1977, 206. Corcoran (wie Anm. 3) 178. 215. 231.

    49 Brandt (wie Anm. 3) 48.

  • MICHAEL A. SPEIDEL498

    bleibt dennoch zu fragen, welche gemeinsame Wirkung den beiden Eingriffen zugedacht war, und ob sie grundstzlich als Ergebnis einer rationalen, konomischen Analyse (wenn auch vielleicht mit teils fehlerhaften Annahmen) zur Bekmpfung komplexer volkswirtschaftlicher Phnomene ersonnen und verordnet worden waren. In der langen Begrndung des Hchstpreisedikts ist von solchen berlegungen jedenfalls nichts zu erkennen. Auch nimmt dieser Text bekanntlich in keiner Weise auf die Whrungsreform Bezug.50

    Vom Whrungsedikt selbst sind, ausser den Kaisernamen und -titulaturen, nur so geringe Reste des Textes erhalten, dass sich weder alle Einzelheiten dessen, was hier geregelt wurde, noch die berlegungen, die zu diesem Erlass gefhrt hatten, aus den erhaltenen Resten erkennen oder zuverlssig erschliessen lassen.51 Auch erhebliche Anstrengungen, die Einzelheiten von Diokletians Whrungs reform von 301, ihre Ab-sichten und ihre Folgen fr die Infl ation mit Hilfe numismatischer berlegungen zu rekonstruieren, haben in der Forschung bisher zu keinem Konsens fhren knnen.52

    Weitgehende Einigkeit besteht jedoch darin, dass die Whrungsreform im Jahre 301 den nominellen Wert des Mnzmetalls Silber anhob (was einer Mnzverschlechterung gleichkam) und dass dies auf einen erhhten staatlichen Silberbedarf hinweist.53 Auch in den drei vorangegangenen Jahrhunderten der Kaiserzeit standen vergleichbare Ein-griffe in die Whrung meist im Zusammenhang mit erhhten Staatsausgaben,54 wie sie gerade auch fr die Regierungszeit Diokletians mit ihren zahlreichen Kriegen, ihrer ausserordentlichen Bauttigkeit, den Neuerungen in der Verwaltung und im Heerwe-

    50 Das fhrte jedoch bisher nur vereinzelt zu Zweifeln an der angenommenen Form und Absicht des Zusammenwirkens beider Edikte. Siehe etwa Ruschenbusch (wie Anm. 48) 210. Meissner (wie Anm. 3) 80f. R. Rees, Diocletian and the Tetrarchy, Edinburgh 2004, 42f. Vgl. auch Corcoran (wie Anm. 3) 210. 214f.

    51 Auf das Edikt folgt eine teilweise besser erhaltene Abschrift eines kaiserlichen Briefes, der inhaltlich offensichtlich mit den Massnahmen des Whrungsedikts zusammenhngt: AE 1973, 526b = AE 1990, 971. Siehe dazu auch Corcoran (wie Anm. 3) 134f. Doch auch hier fehlt zuviel Text, um den gesamten Inhalt dieses Schreibens und damit seinen Bezug zum Whrungsedikt vollstndig zu erfassen. Allein die den Brieftext abschliessenden Anweisungen zur Rckzahlung von Schulden, die vor und nach dem 1. September 301, dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der Whrungsreform, gemacht wurden, sind als Ganzes verstndlich, helfen aber fr die Rekonstruktion der fehlenden Textteile nicht weiter. Die ausstehende Publikation einiger weiterer, noch unverffentlicher Bruchstcke durch M. Crawford und B. Salway wird zweifellos zu einem verbesserten Textverstndnis fhren, doch scheinen auch diese nur stellenweise Fortschritte zu erlauben. Dazu Corcoran (wie Anm. 3) 134f. 177f. 200. 231.

    52 Siehe den berblick bei Kuhoff (wie Anm. 3) 536ff. mit der dort zitierten Literatur und das Fazit ebd. 542: Nichtsdestoweniger macht sich berall die unzureichende Quellenlage negativ bemerkbar, so dass fast so viele verschiedene Auffassungen geussert wurden wie Forscher die diokletianische Whrungsproblematik untersuchen.

    53 Siehe dazu Kuhoff (wie Anm. 3) bes. 540ff. mit der dort umfangreich aufgefhrten Literatur. Ferner etwa Ruschenbusch (wie Anm. 48) 209f. Howgego (wie Anm. 40) 149. 151. Demandt (wie Anm. 2) 69. Vgl. auch Meissner (wie Anm. 3) 80 mit Literatur. Rees (wie Anm. 50) 42. Bowman (wie Anm. 28) 83. Siehe aber auch Howgego (wie Anm. 40) 132ff. und 150f. zu weiteren Grnden fr Whrungsmanipulationen in der rmischen Welt, darunter auch solche, die mit rationalen und ko-nomischen Beweggrnden nicht zu erklren sind.

    54 Howgego (wie Anm. 40) 136f.

  • Wirtschaft und Moral im Urteil Diokletians 499

    sen sowie dem umfangreiche Ausbau der Grenzbefestigungen usw. erkennbar sind.55

    Es ist deshalb zweifellos richtig, in der Whrungsreform von 301 den Ausdruck eines staatlichen Silbermangels zu erkennen.

    Das schliesst freilich die Mglichkeit noch nicht aus, dass mit dem Whrungsedikt und dem beinahe zeitgleichen Erlass des Hchstpreisedikts auch noch weitere Ziele verfolgt wurden, die auf rationalen, konomischen Einsichten grndeten und die, wie allgemein angenommen, zur Infl ationsbekmpfung dienen sollten. Die vllige Abwe-senheit solcher Zusammenhnge in der Argumentation der langen praefatio und in der schriftlichen berlieferung zum Hchstpreisedikt fllt jedoch genau so auf wie das Fehlen weiterer Hinweise dafr, dass man dem zeitgenssischen Leser eine gemein-same Zielsetzung der beiden Erlasse zu erkennen gegeben htte. So zeigen etwa die in Aphrodisias gefundenen Abschriften der beiden Edikte in ihrer Ausfhrung so deutliche Unterschiede, dass sie sich zumindest in ihrer Gestaltung als Inschriften nicht als zu-sammengehrige Bestandteile des selben Massnahmenpakets darboten.56 Auch in ihrer beabsichtigten Wirkung auf die ffentlichkeit scheinen die beiden Erlasse unterschied-lich konzipiert worden zu sein. So war dem Whrungsedikt in seiner erhaltenen Form offenbar keine Einleitung vorangestellt, in der, wie beim Hchstpreisedikt, grundstz-liche und ausfhrliche Erklrungen die Notwendigkeit der verordneten Massnahmen vorstellen. Vielmehr beginnt dieser Text unmittelbar mit einem technischen Ausdruck, Bicharactam p [ecuniam (oder Bicharacta mo [neta ) und drfte deshalb sogleich auf den konkreten Inhalt der Verordnung eingegangen sein. Das Hchstpreisedikt, das als exemplum sacrarum litterarum57 vielerorts in Stein gemeisselt (andernorts vermut-lich auf Bronzetafeln oder wenigstens auf tabulae dealbatae geschrieben)58 wurde, ist bekanntlich durch eine ausserordentliche Vielzahl von Bruchstcken von rund 40 verschiedenen Fundorten bekannt.59 Vom Whrungsedikt hingegen liegt bisher nur eine einzige, bruchstckhafte Abschrift auf Stein vor, deren Anfertigung deshalb sogar dem persnlichen Eifer des Statthalters Fulvius Asticus der Provinz Phrygia et Caria zuge-schrieben wurde.60 Sollte sich darin wenigstens annhernd die antike Realitt spiegeln, drfte das Whrungsedikt weniger hufi g auf Stein abgeschrieben worden sein als das Hchstpreisedikt61 und deshalb als erinnerungswrdige kaiserliche Verlautbarung ins-gesamt nicht das selbe Gewicht gehabt haben.62 Das scheint sich auch in der brigen

    55 Siehe dazu auch Lact., De mort. pers. 7,1ff.56 Erim / Reynolds / Crawford (wie Anm. 39) 171. Reynolds (wie Anm. 39) 252: it is clear that

    they were not designed to form a unit. Heights, breadths and thicknesses vary markedly , while the mouldings may be heavy and elaborate, in one case with fl anking columns, or quite narrow and comparatively simple.

    57 S. Corcoran, The Heading of Diocletians Prices Edict at Stratoniceia, ZPE 166, 2008, 295302.58 W. Eck, ffentlichkeit, Politik und Administration. Epigraphische Dokumente von Kaisern, Senat

    und Amtstrgern in Rom, in: Haensch (wie Anm. 18) 7596.59 Dazu etwa Corcoran (wie Anm. 3) 205.60 Reynolds (wie Anm. 39) 252. Corcoran (wie Anm. 3) 245.61 Es ist dabei freilich zu bercksichtigen, dass der Text des Hchstpreisedikts wesentlich mehr Fl-

    che beanspruchte als jener des Whrungsedikts. Daraus allein ist aber der enorme Unterschied der Fundhufi gkeit kaum zu erklren.

    62 Damit ist natrlich nichts ber die damalige Verbreitung des Whrungsedikts ausgesagt. Diese geschah, falls die obigen berlegungen das Richtige treffen, lediglich hufi ger mittels anderer Medien.

  • MICHAEL A. SPEIDEL500

    schriftlichen berlieferung zu spiegeln, denn weder Laktanz noch Tib. Fulvius Asticus, der Statthalter von Phrygia et Caria, in seinem Erlass, mit dem er das Hchstpreisedikt der Bevlkerung seiner Provinz vorstellte,63 erwhnten die Whrungsreform. Auch in der um 350 n. Chr. entstandenen Chronik der Consularia Constantinopolitana wurde zum Jahr 302 lediglich die Verordnung der Maximaltarife vermerkt.64

    Der fehlende Hinweis auf die Whrungsreform in der Begrndung fr die Hchst-preisverordnung wurde jngst damit erklrt, man habe die Whrungs problematik mit Ab-sicht verschwiegen, weil die Kaiser damit sonst eingestanden htten, durch ihre eigenen whrungspolitischen Massnahmen selbst fr die Preis treiberei verantwortlich gewesen zu sein.65 Das fhrt freilich zur Frage, weshalb die damalige kaiserliche Regierung, die zwar gute Einsichten in die Folgen ihrer Whrungsreform fr die Teuerung gehabt haben soll,66 grundlegende konomische Zusammen hnge bei der Infl ationsbekmpfung durch das Hchstpreisedikt vllig ausser Acht liess.67 Ob die Tetrarchen mit der praefatio des Hchstpreisedikts tatschlich beabsichtigten und hoffen konnten, die Marktteilnehmer ber die (angeblich) von ihnen erkannten Grnde der Teuerung zu tuschen, lsst sich natrlich nicht beweisen. Eine erfolgversprechende Verheimlichung der tatschlichen Infl ationsgrnde (oder was man dafr hielt) htte jedenfalls vorausgesetzt, dass diese Grnde den Marktteilnehmern, im Gegensatz zur kaiserlichen Regierung, nicht allgemein bekannt oder zugnglich waren und dass die lange Argumentation der praefatio mit ih-rer Verurteilung der avaritia einiger Weniger deshalb berzeugen knne. Laktanz, was immer sein Urteil wert sein mag, beschuldigte rckblickend aber dennoch Diokletian (nicht die avaritia), fr eine erhebliche Teuerung (caritas) verantwortlich gewesen zu sein. Allerdings erkannte er den Grund dafr nicht in der Whrungsreform, sondern in der Verordnung der Maximaltarife.68 Weshalb er als unmittelbarer Zeuge der Entwicklungen seine Kritik an Diokletian in diesem Zusammenhang nicht auch auf die fast zeitgleiche Whrungsreform ausdehnte, muss offen bleiben. Es sollte aber die Mglichkeit nicht ausgeschlossen werden, dass die Whrungsreform von 301 in der kurzen Zeitspanne vor der Verordnung der Hchstpreise zu keinen erheblichen Preissteigerungen gefhrt hatte,69 oder auch, dass sie keine derart dramatische Teuerung erwarten liess, die einen so ausserordentlichen und neuartigen, infl ationssteuernden Eingriff wie die reichsweite

    63 Siehe oben Anm. 27f.64 Chron. Min. I. p. 230: His conss. vilitatem iusserunt imperatores esse.65 Brandt (wie Anm. 3) 49.66 Siehe in diesem Sinne auch die oben in Anm. 41f. zitierte Literatur. 67 Siehe etwa Corcoran (wie Anm. 3) 215 zum Hchstpreisedikt: Further, the apparent attribution of

    all infl ation to greed makes any sophisticated economic thinking unlikely. Rees (wie Anm. 50) 42: it (d. h. die Hypothese, wonach Diokletian die Folgen seiner Whrungspolitik vorhergesehen habe) attributes to Diocletian a command of economic theory that would have been unusual in antiquity, and which is not refl ected in the preamble to the Price Edict. Potter (wie Anm. 40) 335: The edict on coinage appears to have been a reasonable response to the problem of infl ation, but the price edict was not. () In practical terms, the Edict on Maximum Prices was an act of economic lunacy. Demandt (wie Anm. 2) 69 schreibt zum Maximaltarif, dass er natrlich im Prinzip nicht gelingen konnte, weil eine Kontrolle der Preise eine undurchfhrbare Kontrolle der Produktion und des Konsums voraussetzt.

    68 De mort. pers. 7,6.69 So Meissner (wie Anm. 3) 81 mit weiterer Literatur.

  • Wirtschaft und Moral im Urteil Diokletians 501

    Verordnung von Maximaltarifen htte notwendig erscheinen lassen (zumal das Hchst-preisedikt, nach Aussage der Kaiser, ein seit vielen Jahren wtendes bel bekmpfen sollte). Zumindest scheinen die rmischen Erfahrungen mit Mnzverschlechterungen und mit Whrungs manipulationen der drei vorangegangenen Jahrhunderte insgesamt keineswegs so eindeutig gewesen zu sein, dass sie zwangslufi g zum Schluss fhren mussten, dass damit unmittelbare und erhebliche Preissteigerungen und Kaufkraftein-bussen verbunden waren.70

    Mit diesen Beobachtungen soll keineswegs behauptet werden, dass den Kaisern und ihren Ratgebern smtliche volkswirtschaftlichen und monetren Zusammenhnge verborgen waren oder dass sie nicht auch weiter reichende Ziele verfolgten, als sie in ihren schriftlichen usserungen erkennen liessen. Tatschlich zeigt der Wortlaut der praefatio zum Hchstpreisedikt, dass die Verfasser sich zur Preisbildung etwa durch Angebot und Nachfrage und durch Transportkosten (Praef. 1517) ebenso Gedanken ge-macht hatten wie zum Einfl uss der Preise auf die Warenstrme (Praef. 17). Erst in diesen Abschnitten, in denen es lngst nicht mehr um die Missstnde und die Grnde geht, die zur Verordnung der Hchstpreise gefhrt hatten, sondern um die versprochenen Vorteile der Maximaltarife, erscheint der Begriff caritas (Praef. 15. 17). So sollten Hchstpreise im Falle einer Teuerung (von der aber gehofft wurde, sie mge nie eintreten) sowohl den Schaden begrenzen, der sich gerade dann durch zgellose Habgier besonders schmerzhaft auswirken wrde (Praef. 15), als auch fr eine gerechte Verteilung der Waren aus dem Fernhandel sorgen, indem diese dann nicht mehr allein dorthin geliefert wrden, wo berhhte Preise erzielt werden konnten (Praef. 17).71 Hier kommt sehr deutlich zum Ausdruck, dass die Tetrarchen ihr Hchstpreisedikt nicht im Kontext einer allgemeinen oder pltzlichen Infl ation (caritas) und als Massnahme zu deren Bekmpfung verstanden wissen wollten die Abwendung einer mglichen caritas erhofften sie vielmehr von den Gttern72 , sondern zum Schutz der Allgemein heit vor vorbergehend und allein aus Geldgier masslos berhhten Preisen.73 Was damit konkret gemeint war, hatte die Schilderung vom Los der Soldaten verdeutlicht, deren Ankunft auf den Mrkten die Preise in namenlose Hhen schnellen liess (Praef. 14).

    Die Herrscher unterschieden somit zwischen vorbergehend steigenden Preisen, die einer schrankenlosen avaritia geschuldet waren und zu deren Bekmpfung das Edikt erlassen wurde, sowie dauerhaften Preissteigerungen, caritas, zu deren Ursachen und zu deren Bekmpfung sich die praefatio des Hchstpreisedikts jedoch nicht ussert. Zudem wird die caritas nicht als Zustand beschrieben, der zum Zeitpunkt des Erlasses

    70 So jedenfalls die Einschtzung von Howgego (wie Anm. 40) 143ff. Siehe auch die dort zitierte Lite-ratur. Tatschlich scheinen auch nicht alle Preise sogleich auf die im Hchstpreisedikt festgesetzten Maximaltarife gesprungen zu sein. Dazu etwa Demandt (wie Anm. 2) 69. Meissner (wie Anm. 3) 98f. Anm. 76f. mit weiterer Literatur.

    71 Praef. 15: ut cum vis aliqua caritatis emergeret quod dii omen averterint avaritia statuti nostri fi nibus vel moderaturae legis terminis stringentur. Praef. 17: ut, cum et ipsi sciant in caritatis necessitate statuta rebus pretia non posse transcendi qua iuste placuisse perspicitur nusquam carius vendituros esse qui transferunt.

    72 Praef. 15: quod dii omen averterint.73 Caritas ist dann aber freilich genau das, was Diokletian und seine Mitkaiser im Urteil des Laktanz

    durch ihr Hchstpreisedikt auslsten: De mort. pers. 7,6.

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    herrschte, sondern als gefrchtete Entwicklung, die sich allenfalls zu einem nicht abseh-baren Zeitpunkt in der Zukunft einstellen knnte.74 Avaritia und caritas wurden somit ausdrcklich als zwei unterschiedliche Erscheinungen beschrieben, die von einander unabhngig und auf unterschiedliche Weise auf die Preise wirkten. In der Logik dieses, von den Tetrarchen vermittelten Bildes braucht die Abwesenheit rationaler, konomischer Argumente fr die Hchstpreisverordnung als infl ations bekmpfende Massnahme (al-lein oder im Verbund mit dem Whrungsedikt) nicht zu erstaunen, denn die Ursachen und die Bekmpfung der caritas waren nach Aussage der praefatio gerade nicht der Gegenstand dieses Erlasses.

    VI. Fortuna rei publicae

    Sollte aber die Verordnung der Maximaltarife gegen berhhte Preise tatschlich vor allem zur Wiederherstellung des allgemeinen Wohlstandes dienen, wenn die Kaiser damit keine allgemein herrschende Infl ation bekmpfen wollten? Die Aussage der prae fatio,dass erst das Los der Soldaten die Tetrarchen zum Eingreifen bewogen hatte, lsst daran zweifeln. Zudem stellt sich die Frage umso mehr, als Hadrians Edikt vom Jahre 129 zeigt, dass frhere Kaiser hnliche Schwierigkeiten, wie sie die Tetrarchen zum Han-deln veranlassten, anders gelst hatten. Zwei wesentliche Unterschiede zwischen den Preisbindungen von 129 und von 301 sind deutlich erkennbar: der Gltigkeitsbereich und die Defi nition der Hchstpreise. Hadrians Edikt richtete sich nur an die Bevlke-rung der Provinz Asia. Von solchen Lsungen wollte sich Diokletians Verordnung aber ausdrcklich unterscheiden, da sie non civitatibus singulis ac populis adque provinciis, sed universo orbi (Praef. 20) erlassen wurde. Ein Grund wird nicht genannt, doch darf man darin sicherlich Diokletians Vorliebe fr einheitliche und reichsweit gltige Re-formen vermuten. Wre es Diokletian aber nicht dennoch mglich gewesen, zugunsten durchziehender Soldaten berall im Reich Preise zu verordnen, wie sie zehn Tage zuvor gltig gewesen waren? Mglicherweise waren die Erfahrungen mit solchen Lsungen unbefriedigend, vor allem aber war diese Art der Preisbindung nicht geeignet, bei hu-fi gen Durchreisen gerechte und stabile Preise herbeizufhren.

    Dass aber Diokletians Hchstpreisedikt deutlich mehr beabsichtigte als den Schutz reisender Soldaten vor geldgierigen Hndlern, zeigt vor allem auch die Liste der Waren und Lhne, deren Maximalpreise im Edikt festgeschrieben wurden, denn sie gehen ber die Bedrfnisse reisender Soldaten weit hinaus. Allerdings gehrten die dort in nicht geringer Zahl aufgefhrten Luxusartikel, darunter etwa edle Marmorsorten, seltene Gewrze, Delikatessen und erstklassige Weine aus Italien, Duftle, exotische Wildtiere, Goldprodukte, purpur gefrbte Seide, Stiefel fr Patrizier und Senatoren usw., aber auch kaum zu den Dingen, deren Preise die grosse Mehrheit der Reichsbewohner in Sorge versetzte. Zweifellos half die Bercksichtigung dieser Eintrge auch einige reiche Privat-personen vor berhhten Preisen zu schtzen, doch es ist weit wahrscheinlicher, dass die

    74 Damit sei hier freilich keine Aussage ber die damals tatschlich herrschende konomische und monetre Situation gemacht.

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    Verfasser des Edikts bei der Aufnahme der Luxusartikel nicht an deren Ausgaben dachten, sondern an jene, die der Hof und der kaiserliche Lebenswandel verursachten.

    Trifft dies das Richtige, so rckt insgesamt ein weiteres zentrales Motiv fr den Erlass der Maximaltarife in den Vordergrund: die Sorge der Tetrarchen um die Ausgaben der staatlichen Kassen. Diese Sorge lsst sich auch im Hinweis auf das Steueraufkommen fr das Heer (Praef. 14) erkennen, das nach der Argumentation der Herrscher angesichts der schamlos hohen Preise offenbar kaum mehr ausgereicht hatte, die Bedrfnisse der Soldaten angemessen zu decken. Fr diese Deutung spricht auch der Umstand, dass die Verordnung von Hchstpreisen nach der in der praefatio vorgetragenen Argumen-tation versprach, gerade auch die Ausgaben der Regierung ohne Einsparungen schnell und erfolgreich zu begrenzen, denn sie richtete sich auch gegen jene, quos cottidie in peiora praecipites et in publicum nefas (Praef. 8), gegen utilitatibus publicis insidiat-ricem audaciam (Praef. 14), whrend sie ex commodo publico (Praef. 20) zum Wohle der fortuna rei publicae (Praef. 5) erlassen wurde. Damit brachten die Verfasser zum Ausdruck, dass die kaiserlichen Massnahmen ebenso im Interesse des Staates (und somit seiner Kassen) lagen wie etwa in jenem des genus humanum (Praef. 5), der necessitudo communis (Praef. 7) oder der communis humanitatis ratio (Praef. 12).

    Die Sorge um die staatlichen Ausgaben wurde zwar in der praefatio nicht ausfhr-licher beschrieben, doch das braucht nicht zu erstaunen, denn es wre wohl auch gar nicht denkbar gewesen, Einzelheiten zur Knappheit der staatlichen Mittel zum Gegenstand einer ffentlichen Diskussion zu machen. Die Bedeutung des Edikts fr die res publicawar im Sinne der Herrscher zweifellos angemessen genannt und entkrftete zudem keine der brigen kaiserlichen Begrndungen fr die Notwendigkeit der Maximaltarife. Es gibt somit keinen erkennbaren Grund zur Annahme, dass etwa die Emprung ber die Preistreiberei oder die Versicherung, die Hchstpreise dienten zum Wohle Aller, nicht einer aufrichtigen berzeugung entsprungen waren.75 Dafr spricht jedenfalls der Ab-schnitt zu den Soldaten (Praef. 14), der ohne Scheu die schwierige Lage der Herrscher und ihren dringenden Handlungsbedarf zu erkennen gibt.

    Wenn der Verordnung von Hchstpreisen, wie hier vorgeschlagen, auch die Sor-ge der Tetrarchen um die staatlichen Ausgaben zugrunde gelegen hat, dann sind die aufgelisteten Maximaltarife vor allem als Preise zu verstehen, die der Staat und seine Diener zu berschreiten nicht mehr gewillt waren.76 Das Edikt sollte so einer von ei-nigen Habgierigen angeblich seit Jahren praktizierten, schamlosen Preistreiberei ein dauerhaftes Ende setzen.77 Das nahezu zeitgleiche Whrungsedikt, das als Zeichen eines erhhten Finanzbedarfs der Herrscher gedeutet werden kann, drfte dann vor allem einer Strkung der staatlichen Zahlungsfhigkeit gedient haben. Whrungs- und Hchstpreisedikt lassen sich somit auch unter dieser Voraussetzung als Bestandteile eines

    75 Vgl. auch Potter (wie Anm. 40) 334: the tone of Diocletians chancery was more than mere rhetoric. It refl ects a tendency to believe that the emperor genuinely did know what was best for his subjetcs, whether they were inclined to realize it or not.

    76 So jngst auch Potter (wie Anm. 40) 335.77 Dass dies bloss als vorbergehende Massnahme gedacht war, wie Meissner (wie Anm. 3) 98 an-

    nimmt, ist dem Wortlaut der praefatio nirgends zu entnehmen und widerspricht auch der Auffassung des Statthalters Fulvius Asticus, SEG 26, 1353 = AE 1997, 1443 Z. 9ff., der ber die beabsichtigte Gltigkeitsdauer zweifellos gut unterrichtet war.

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    einzigen Reformprojekts beurteilen. Als Versuch der Tetrarchen, ihren eng gewordenen fi nanziellen Handlungsspielraum zu erweitern, um ihre Ausgaben weiter fi nanzieren zu knnen, waren Diokletians Eingriffe in die Wirtschaft von den Zeitgenossen offenbar auch tatschlich zu erkennen. Jedenfalls warf Laktanz, unmittelbar vor seiner Kritik an Diokletians Hchstpreisedikt, dem Kaiser selbst unersttliche avaritia vor, da dieser angeblich immer wieder neue Wege fand, die Verringerung der Mittel in seinen Kassen zu verhindern.78 Aus kaiserlicher Sicht war aber freilich auch dies zum Besten der fortuna rei publicae und der Romana dignitas maiestasque (Praef. 5), zumal die Maximaltarife gleichzeitig die Herrschaft der Tetrarchen stabilisieren sollten.

    VII. Schluss

    Im Urteil Diokletians und seiner Mitkaiser, so wie es sich in der praefatio des Hchst-preisedikts zu erkennen gibt, war die verlorene Moral einiger weniger, hab schtiger Preistreiber fr grosse Schden verantwortlich, unter der Reichs bevlkerung und Staat zu leiden hatten. Masslose Gier wurde als das bel beschrieben, gegen das sie vorgingen, und Hchstpreise erschienen ihnen deshalb als geeignete Massnahme, um der zgel-losen Habsucht Schranken zu setzen und damit zum Wohle der Allgemeinheit und zum Besten des Staates wieder gerechte Preise und friedliche Verhltnisse auf den Mrkten des Rmischen Reiches zu schaffen. Dass sie mit diesem Edikt, wie bisher meist ange-nommen, vor allem auf weiter reichende, konomische Folgen durch das Zusammen-wirken mit ihrer nahezu gleichzeitig verfgten Whrungsreform gehofft htten, ist dem Wortlaut der praefatio nicht zu entnehmen. Zwar knnen solche Absichten, selbst wenn sie in ihrer Art damals ohne Beispiel waren, nicht vllig ausgeschlossen werden, doch zwingt auch nichts zu ihrer Annahme. Denn Wucher sowie schamlos berhhte Preise und Lhne lassen sich durchaus als eigenstndige und von einer allgemeinen Teuerung unabhngige Erscheinungen der Marktwirtschaft begreifen, gegen die staatliche Eingriffe bekanntlich bis heute oft als sinnvoll erachtet werden. Zudem gehrten preisbindende Massnahmen gegen solche Missstnde, wenn auch bei weitem nicht im selben Umfang, seit langem zum Handlungsrepertoire rmischer Regierungen. Vor allem aber wollten die Herrscher selbst ihre Verordnung in diesem Sinne und keineswegs als Mittel zur Bekmpfung einer allgemeinen Teuerung verstanden wissen, zumal das Reich nach ihrer Aussage zum Zeitpunkt des Erlasses unter keiner Infl ation litt.

    Wenn der Wortlaut der praefatio des Hchstpreisedikts somit zwar nicht den Bezug zu den damals herrschenden konomischen und monetren Verhltnissen betont, so lsst er doch, wie auch die Whrungsreform von 301, deutliche Ziele der Tetrarchen im Hin-blick auf die Zahlungsfhigkeit der staatlichen Kassen (und mithin auf die Stabilitt ihrer Herrschaft) erkennen. Solche Absichten waren offenbar auch fr einige zeitgenssische Beobachter erkennbar. Dennoch ist es durchaus mglich, dass die Argumentation der Herrscher (wenigstens zu Beginn) auch zahllose Reichsbewohner berzeugen konnte, denn die Verordnung versprach im Sinne ihres beschriebenen Zwecks zweifellos all-

    78 De mort. pers. 7,5: Idem insatiabili avaritiae thesauros numquam minui volebat, sed semper extra-ordinarias opes ac largitiones congerebat, ut ea quae recondebat integra atque inviolata servaret.

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    gemein willkommene Wirkungen. Wie wichtig den Kaisern eine breite Zustimmung zu ihren Massnahmen war, zeigt die lange Begrndung der Hchstpreisverordnung, in der die Reichsbewohner als Konsumenten, Steuerzahler, Brger und vor allem als moralisch empfi ndende Menschen angesprochen wurden. Indem die Tetrarchen ihren Erlass dabei in die Tradition einiger (allerdings nur lokal gltiger) Hchstpreisverordnungen stellten, die in der Vergangenheit zur Linderung von Notlagen erlassen worden waren,79 prsen-tierten sie ihre Massnahme der ffentlichkeit als Beweis ihrer eigenen, beispiellosen Frsorge, mit der sie Gerechtigkeit, Friede und Wohlstand im Reich wieder herstellen wollten. Die grosse Hufi gkeit, mit der dieser Text in Diokletians Reichsteil auf Stein bertragen wurde, lsst die Bedeutung erkennen, die man hier der dauerhaften Erinne-rung an diese frsorgliche Massnahme und an ihren Wert als denkwrdigen Schritt auf dem Weg zur tetrarchischen Erneuerung des Rmischen Reiches beimass.

    Universitt Bern Michael A. Speidel

    79 Vgl. etwa den Erlass des domitianischen Statthalters L. Antistius Rusticus zugunsten der Bewohner von Antiochia in Pisidien: AE 1925, 126 mit Praef. 10f. und 20 des Hchstpreisedikts.

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