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Wirtschaftswachstum in der Kritik Einführung in eine komplexe und wichtige Debatte Univ.-Prof. Dr. Ulrich Brand Auftakt zur Reihe „Wachstum wohin?“ VHS Linz, AK Oberösterreich, IPW Uni Wien Was ist Wirtschaftswachstum? Was hängt daran? Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages Kritik am Wirtschaftswachstum Wie wird mit Kritiken umgegangen? Was regt die Debatte um Wachstum an? Eine offene Frage

Wirtschaftswachstum in der Kritik - … · Wirtschaftswachstum in der Kritik Einführung in eine komplexe und wichtige Debatte Univ.-Prof. Dr. Ulrich Brand Auftakt zur Reihe „Wachstum

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Wirtschaftswachstum in der Kritik Einführung in eine komplexe und wichtige Debatte

Univ.-Prof. Dr. Ulrich Brand

Auftakt zur Reihe „Wachstum wohin?“

VHS Linz, AK Oberösterreich, IPW Uni Wien

• Was ist Wirtschaftswachstum? Was hängt daran?

• Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages

• Kritik am Wirtschaftswachstum

• Wie wird mit Kritiken umgegangen?

• Was regt die Debatte um Wachstum an?

• Eine offene Frage

Wirtschaftswachstum

• In Geld bewertete jährliche Zunahme der produzierten Güter und

Dienstleistungen Bruttoinlandsprodukt (BIP)

• Daran hängen Unternehmensgewinne, ggf. Investitionen

• Erwerbseinkommen, Verteilungsspielräume „wachsender

Kuchen“, „kräftiger Schluck“

• Staatliche Finanzierung

• Legitimation guter Politik

• Historische Erfahrung seit Zweitem Weltkrieg: Wachstum führt zu

mehr Wohlstand, stabilisiert Gesellschaft

Bundestags-Enquete „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“

Ausgangspunkt – Einsetzungsbeschluss (Herbst 2010):

„Nicht nur in Deutschland, auch in anderen Industriestaaten gibt es

eine Debatte darüber, ob die Orientierung auf das Wachstum des

Bruttoinlandsproduktes (BIP) ausreicht, um Wohlstand,

Lebensqualität und gesellschaftlichen Fortschritt angemessen

abzubilden“

Aktuelle Krise hat Glaubenssätze ins Wanken gebracht; z.B.:

– „deregulierte Märkte und freier Welthandel fördern Wachstum“

– „Wachstum schafft Arbeitsplätze“ und Wohlstand

– „Grünes“, „qualitatives“‚ „nachhaltiges“ Wachstum löst die Umweltkrise

Konstituierung Januar 2011

17 MdBs & 17 sachverständige Mitglieder (anfangs nur Männer)

5 Arbeitsgruppen zu (1) Wachstum, (2) Indikatoren, (3) Umwelt / Entkopplung, (4) Ordnungspolitik und (5) Arbeit, Konsum, Lebensstile

Abschlussbericht hat 844 Druck-Seiten und 60 (!) Sondervoten

- u.a. Sondervoten der Fraktionen (SPD-Grüne; Linke), „sozial-ökolog Trafo“, Handlungsempfehlungen PG 3, Polanyi, Kritik des Eurozentrismus, feministische Perspektiven, diverse Ausblicke

am 6. Juni 2013 im Bundestag vorgestellt

Wirtschaftswachstum in der Kritik

• Klassische Nationalökonomik: Wachstum kommt an

Grenzen (J.St. Mill, 1848); : kapitalistische

Produktionsweise „untergräbt Springquellen des

Reichtums“ (Erde und Arbeiter, K.Marx, 1867)

• 1930er Jahre: Keynes … wirtschaftliche Probleme lösen

sich in 100 Jahren

• 1970er: Bericht „Grenzen des Wachstums“

• Aktuell seit Krise 2008; intensive Debatte

Wirtschaftswachstum in der Kritik (2)

1. Das gerissene Band von Wohlstand / Lebensqualität und

Wachstum …ppt

2. Ohnehin abnehmende Wachstumsraten (Doz. N. Reuter)

Change by design statt change by desaster

3. Ökologische Kritik … ppt

4. Wachstum sichert Herrschaftsverhältnisse

Wirtschaftswachstum wird vom Stabilisator zum De-Stabilisator

Bei Finanzmärkten klar, auch in anderen Bereichen

kein „gutes Leben“ für viele Menschen

• Verteilungsfragen separiert; keine Erfahrung mehr, dass es bei

Wachstum allen besser geht

• Jobless growth

• Druck auf Erwerbsarbeit, Entgrenzung

• burn-out, Unsicherheit

• „Leben um zu arbeiten“ statt „arbeiten um zu leben“

• Produktivismus: Produktion um der Produktion willen

• Konsumismus „Kauf Dich glücklich!“

•Studie von Pickett/Wilkinson: „Gleichheit ist Glück“ zzz

Projektgruppe „Wachstum, Ressourcenverbrauch und technischer

Fortschritt. Möglichkeiten und Grenzen von Entkopplung“

„Menschheitsaufgabe der Entkopplung“ - relativ und absolut (Reduktion!)

Zentrale Ergebnisse

1.Anerkennung „planetarischer“ ökologischer Grenzen; Anthropozän

2. Ressourcen-peaks nicht per se und nicht handlungsleitend (Beispiel USA! – „unkonventionelle“ fossile Ressourcen)

3. Probleme des Rebound / Abprall-Effekts von Effizienzstrategien

4.Technologische Innovationen und Substitution reichen nicht aus

wir können nicht so weitermachen

„Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass“

ZZZZ www.linksfraktion.de 9

Ökologische Kritik am Wachstum

• Unsere Produktions- und Lebensweise erzeugt enorme

Probleme, um die wir weitgehend wissen

• Effizienz und technologische Innovationen sind wichtig

• Reichen nicht aus

• Umbau der Produktions- und Lebensweise in ökologisch

nachhaltige (ich komme darauf zurück)

Wirtschaftliches Wachstum und soziale Herrschaft

• anerkennen: historische Kämpfe der ArbeiterInnen-Bewegung,

daher Verteilungsfragen stark politisiert und institutionalisiert

• Wachstum ist kapitalistischer Wachstumszwang, aus Geld mehr

Geld machen

• Systemische Gefahr der Überproduktion und Krisen

• Sichert dominante Rolle der Kapital- und Vermögensbesitzer,

treffen zentrale (Investitions-) Entscheidungen

• Lässt Lohnabhängige in betrieblicher Herrschaft, sozial

untergeordnet, mit weniger Handlungsspielräumen, Angst vor

Arbeitslosigkeit und Statusverlust

• Sichert bestimmte Arbeitsteilung: geschlechtsspezifische,

rassifizierte, internationale

• Strukturelle Grenze der Demokratie

2. Teil:

Wie wird mit Kritiken umgegangen?

auch hier: Auftakt zu Reihe, nicht erschöpfend

Wie nun mit den Kritiken damit umgehen?

1. Kontroverse Debatte: Stellenwert von Wachstum; Beispiel aus

Enquete

2. Berichtswesen / Indikatoren: Loslösung von enger Bindung an

das BIP; Beispiel aus Enquete

3. Qualitativ anderer „Kuchen“: was wird wie und zu welchem Zweck

produziert, gehandelt und konsumiert?

4. Berücksichtigung nicht-geldvermittelter Aspekte

gesellschaftlichen Wohlstands; Beispiel aus Enquete

5. Progressive (in dieser Reihe entwickelt) und konservative

Wachstumskritik (M.Miegel)

www.linksfraktion.de 14

1) Kontroversen: „Stellenwert von Wachstum in Wirtschaft

und Gesellschaft“ (Projektgruppe 1 in Enquete)

• Damalige Koalition (Union und FDP)

– Ohne Wachstum keine Entwicklung; Wachstum als Grundkonstante

menschlicher Existenz;

– Wachstum ist immer qualitativ und steigert per se Wohlstand und

Lebensqualität; Politik: Befreiung der Marktkräfte für höheres Wachstum

(mit bekannten Forderungen)

• Opposition (SPD, Grüne, Linkspartei)

– Wachstum kein Ziel, sondern ein Mittel, um wirtschaftliche, gesellschaftliche

und soziale Ziele zu erreichen;

– Wachstum ist mit zunehmenden Problemen verbunden (Umwelt, Verteilung

von Einkommen und Vermögen, Arbeitsmarkt);

– zudem ist zukünftig schon wegen der demographischen Entwicklung mit

weiter abnehmenden Wachstumsraten zu rechnen;

Politik: konkrete Ziele im demokratischen Prozess definieren und Wege zur

Erreichung beschreiben / Priorität von Verteilungsfragen

ZZZZ

2) Indikatoren für Wohlstand (eigene Projektgruppe)

• Bericht ist vorzüglicher Überblick über Indikatoren-Debatte

• 10 Leitindikatoren

• A) materieller Wohlstand: BIP, Einkommensverteilung (80/20),

Staatsschulden (nicht Vermögen)

• B) Soziales / Teilhabe: Beschäftigung, Bildung, Gesundheit /

Lebenserwartung, Freiheit

• C) Ökologie: CO2-Emissionen, Artenverlust, Stockstoff

• 9 Warnlampen und eine Hinweislampe

bis zum Ende offen, ob und wie das kommuniziert werden soll

„BIP-plus“-Fraktion hat sich durchgesetzt

Vorschlag für einen Jahreswohlstandsbericht, zu dem

Bundestag, Regierung Stellung nehmen muss

ZZZZ

3) Den „Kuchen“ der Güter und Dienstleistungen

qualitativ anders backen

Mit deutlich weniger Ressourcen- und Energieeinsatz, deutlich

weniger Abraum und Emissionen

Aber auch wirtschaftliche Prozesse ansehen (z.B.

Arbeitsverhältnisse)

• jeweils konkret: wie werden gesellschaftliche Bedürfnisse

befriedigt? produziert und konsumiert?

• Essen und Kleidung

• Wohnen und Entwicklung von Stadt/Land

• Mobilität und Kommunikation

• Etc.

4) anderes Wohlstandsverständnis Beispiel Enquete-Projektgruppe zu Arbeit, Konsum,

Lebensstile

• Suffizienz neben Effizienz und Konsistenz akzeptiert

• drei Arbeitsbegriffe

– (a) Ausweitung Arbeitszeit, Leute „fit machen“; (b) gute Arbeit; (c) das

Ganze der Arbeit

• Konsum: Verantwortung VerbraucherInnen, politische Gestaltung -

-- auch auf Produktionsseite sehen

5)

• progressive Wachstumskritik (in dieser Reihe entwickelt)

• konservative Wachstumskritik (M.Miegel)

• Was sind die Differenzen? – Teil der Diskussionen

• Aus meiner Sicht: werden die Menschen / Beschäftigten

mitgenommen, Wohlstandmodell für alle?

• Oder: Gürtel enger schnallen, „wir“ konsumieren zu viel,

leben über „unsere“ Verhältnisse

Zwischenfazit und eine offene Frage

• Chance der Diskussion: breiteres Verständnis von

Wohlstand – wir wird der produziert und gelebt

• Einsatzpunkt in Krise: weg vom Starren auf

Wachstumsraten, aber nicht als „ja / nein“ zu Wachstum,

ist komplexer

• Offen Frage …

Offene Frage: Schwellen- und Entwicklungsländer

• Milliarden von Menschen wollen gutes Leben

- arbeiten hart dafür, geben bisherige Lebensumstände auf

- akzeptieren schlechte Standards (oder werden gezwungen; Stichwort Bangladesh)

• globale new consumers

• „Wie im Westen, so auf Erden“: ressourcen- und energieintensiv

• gutes Leben: mehr Güter konsumieren

Folge: wir müssen voranschreiten;

haben die Mittel, sind sonst nicht glaubwürdig

Fehler: „.. aber der Süden muss wachsen dürfen“

aus meiner Sicht ein zentraler Punkt der Diskussion • Wohlstand hat etwas mit funktionierender und nachhaltiger

Produktion von guten Produkten und Dienstleistungen zu tun

• glaubwürdige und kompromissbereite Unternehmer, starke

Vertretung ArbeitnehmerInnen, gute Erwerbsarbeit, seriöse Politik

und mit viel mehr!

• eine attraktive Produktions- und Lebensweise bedeutet nachhaltige

Ernährung, Mobilität, Wohnen und Kleidung

• Reduktion in bestimmten Branchen!

Automobilität, Fleischproduktion, industrialisierte Landwirtschaft

nicht auf dem Rücken der Beschäftigten, sie mitnehmen, erklären

• viele Tätigkeiten, nicht Erwerbsarbeit sind wichtig für Wohlstand

• bedeutet gute soziale Beziehungen und Zeitwohlstand

• aktiv gegensteuern, dass Wohlstand auf Wachstum reduziert wird

wird zum Zwang („Fahrrad“); gefährlich

Wohlstand durch Verantwortlichkeit

Herzlichen Dank für Ihre

Aufmerksamkeit!

gerne zum Ansehen / Mitnehmen

- USB-Stick mit Enquete-Bericht und Materialien (kostenlos);

auch im Internet

- Sonderausgabe „Wohlstand ohne Wachstum?“; APuZ

(kostenlos, auch im Internet)

- „Wohlstand wie anders? Linke Perspektiven“ (3.-)

- „ABC der Alternativen“; 161 Stichwörter; auch

„Wachstumskritik“ (8.-)

- „Post-Neoliberalismus“ (8.-)