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Nur zwei oder drei Schülerinnen und Schüler pro Klasse mehr, das ist doch kein Problem! Wie einschneidend sind solche Sparmassnahmen in der Bil- dung wirklich, und warum überhaupt wurden sie nötig? Editorial 3 Kolumne Kleiderschrank: Zeig mir, was du trägst … 4 Sparen bei der Bildung WIR WOLLEN KEINE FERIEN Der Kanton Luzern verordnet Zwangsferien als Sparmassnahme. Wie konnte es so weit kommen? 5 Infografik Teure Schule Was kostet ein Schüler, eine Schülerin die Eltern und den Kanton? 10 Im Tresorraum mit … Marc Lindström Ein sprachbegabter Bankenpraktikant, der weiss, was er will. 12 Whatsapp-Interview Die Frau Schreinerin Chatten mit Eliane Haldemann. 13 Bildung für alle Chancen(un)gleicheit Haben in der Schweiz wirklich alle die gleichen Chancen auf Bildung? 14 Kleiderschrank: … und ich sage dir, wer du bist. 15 Wirtschaft aufgeschraubt 16 MÄRZ 2016 BILDUNG

WIRWOLLEN KEINEFERIEN - MVZ · Der gelernte Konstruk-teurarbeitetals Fotograf und als Künstler –seit zwei Jahren vorallem skulptural und installativ. Und er kochtsoleiden-schaftlichgerne,wie

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Page 1: WIRWOLLEN KEINEFERIEN - MVZ · Der gelernte Konstruk-teurarbeitetals Fotograf und als Künstler –seit zwei Jahren vorallem skulptural und installativ. Und er kochtsoleiden-schaftlichgerne,wie

Nur zwei oder drei Schülerinnen undSchüler pro Klasse mehr, das ist dochkein Problem!Wie einschneidend sindsolche Sparmassnahmen in der Bil-dung wirklich, und warum überhauptwurden sie nötig?

Editorial 3

KolumneKleiderschrank:Zeig mir, was du trägst… 4

Sparen bei der Bildung

WIR WOLLENKEINE FERIENDer Kanton Luzern verordnet Zwangsferienals Sparmassnahme. Wie konnte es so weitkommen?

5

Infografik

Teure SchuleWas kostet ein Schüler, eine Schülerindie Eltern und den Kanton?

10

ImTresorraummit…

Marc LindströmEin sprachbegabter Bankenpraktikant,der weiss, was er will.

12

Whatsapp-Interview

Die Frau SchreinerinChatten mit Eliane Haldemann.

13

Bildung für alle

Chancen(un)gleicheitHaben in der Schweiz wirklich alledie gleichen Chancen auf Bildung?

14

Kleiderschrank:…und ich sage dir, wer du bist. 15

Wirtschaft aufgeschraubt 16

MÄRZ 2016—

BILDUNG

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Bildung ist ein gesellschaftlich und volkswirtschaftlich zentraler Auftrag der öffent-lichen Hand. Dieser Fakt ist weder partei- noch finanzpolitisch umstritten. Die Wirt-schaft braucht zwingend top ausgebildeten Nachwuchs. So weit, so gut. Unser Nach-wuchs, der für eine erfolgreiche Wirtschaftsleistung von morgen verantwortlich ist, istsich dieser Tatsache bewusst und fragt sich nun: Warum wird gerade in der Bildunggespart? Das Problem orten viele in der unfairen Verteilung von finanziellen Mittelnaufgrund fehlender Weitsicht von Politik und Wirtschaft.Aus dem Blickwinkel unserer Jugendlichen eine zwar nachvollziehbare, aber ein-seitige Betrachtung, die darum zu kurz greift, weil sie die übrigen Stakeholder und denGesamthaushalt der öffentlichen Hand ausser Betracht lässt. Zur aktuellen Haushalt-sanierung im Kanton Zürich tragen alle Bereiche bei, etwa auch Gesundheit, Sozialesund der öffentliche Verkehr. Überdies werden nicht die Ausgaben reduziert, sonderneinzig ein künftiges Kostenwachstum verhindert. Bei dieser Ausgangslage sind neueDenkweisen, langfristige Konzepte und die Bereitschaft, Strukturen zu hinterfragen,gefordert. Dieser Weg ist unbequem, stellt er doch Gewachsenes und Bewährtes inFrage. Doch auch im Bildungswesen müssen wir uns mit der Frage auseinandersetzen:Welchen Beitrag muss die Bildung an einen ausgeglichenen Finanzhaushalt leisten?Steuererhöhungen verbessern wohl die Einnahmenseite, reduzieren aber die Nach-frage der Konsumentinnen und Konsumenten und sind im Kontext der Haushaltsanie-rung reine Symptombekämpfung. Kosten- und Effizienzbetrachtungen sind deshalbunerlässlich und gehören in die Toolbox der Verwaltung. Sie liefern uns die Entschei-dungsgrundlagen für die langfristige Planung.Oberstes Ziel jeglicher Bildungspolitik ist es stets, Schülern sowie Studentinnen guteLernerfolge zu ermöglichen. Sie sollen ihren Platz in Gesellschaft und Wirtschaftfinden. Junge Menschen müssen für eine Gesellschaft fit sein, in der neue Techno-logien und Lerntechniken dominieren und ein hohes Mass an Selbständigkeit gefor-dert wird. Unser Bildungssystem muss auf diese Bedürfnisse ausgerichtet werden.Das geht nicht ohne Veränderungen. Veränderung heisst aber nicht Qualitätsabbau,sondern bedeutet die Chance, ausgetretene Pfade zu verlassen und Neues auszu-probieren. Nutzen wir diese Chance.

Bei der Bildung sparen

PETER LUGINBÜHL

Vizepräsident ZürcherBankenverband

ZÜRCHERBANKENVERBAND

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Die Schweiz ist stolz auf ihr Bildungssystem.Zu Recht. In manch anderen Ländern gehteinRissdurchdieGesellschaft,der sichnichtzuletzt entlang von Qualitätsgrenzen imBildungsangebot auftut: Wer es sich leistenkann, zahlt fürguteBildung.Wernicht,mussnehmen,wasderStaat ihmbietet.Oftmals istdas nicht gerade grossartig.

InderSchweiz sollnunvielerortsgespartwerden.Dabei geht esnichtmehrnurdarum,weniger Papier im Unterricht zu verwen-den oder für die Bibliothek weniger Bücheranzuschaffen. Vielmehr sollen Klassen ver-grössert, Löhne der Lehrer gekürzt oder ihrePflichtpensen erhöhtwerden.

Die Sparpläne haben Widerstand pro-voziert. Besorgte Menschen, darunter auchviele Schülerinnen und Schüler, sind wie in

ZürichoderLuzern auf die Strasse gegangen,und rasch war die Rede von der Gefährdungder wichtigsten Ressource, die uns in derrohstoffarmen Schweiz zur Verfügung steht:Bildung, oder genauer, gut ausgebildete Per-sonen.

Doch jammern wir nicht einfach aufhohem Niveau? Ist unsere Bildung nicht sogut gepolstert, dass man den Gürtel auch et-was enger schnallen könnte? Die – notabeneselbst betroffenen – Autorinnen und Auto-ren von NZZ Toolbox stellten diese Frageverschiedenen Exponenten in der Bildungs-politik. Sie zeigen aber auch auf, wasBildunginsgesamt kostet, den Staat und den Einzel-nen. Wenig ist das nicht. Doch ist Sparenwirklich angebracht?

Ronald Schenkel, LeiterNZZToolbox

BILDUNG UND ROTSTIFT

MÄRZ 2016—

BILDUNG

3

1 5 62

8 9 10 11 12 13 14

AUTORINNEN UND AUTOREN DIESER AUSGABE

1 ANNA LUNA FRAUCHIGER ist 1998 in Bern geboren,besucht die Kantonsschule Wiedikon. Sie ging ein halbes Jahrin Kentucky zur Schule und träumt von einer Weltreise. (Seite14) — 2 JONATHAN DAVIDSON ist 1997 in Kilchberg ge-boren und geht an die Kantonsschule Wettingen. Später möchteer Skandinavistik studieren. Er schätzt ein Board unter den Füs-sen. (Seite 13) —3 LARSTHALMANN ist 1995 in Zürich ge-boren und studiert Publizistik. Neben dem Studium fährt er gerneSki und spielt erste Töne auf seinem Saxophon. (Seite 10) —4 LAURA BARBERIO ist 1996 in Zürich geboren, studiertseit diesem Herbst Germanistik im Hauptfach und Publizistik undRecht in den Nebenfächern. (Seite 10) —5 ISABELLEKOCHist 1998 geboren, besucht die Kantonsschule Frauenfeld. Nachder Matura möchte sie nach England, vielleicht auch, um dortzu studieren. (Seite 15) — 6 MERET LIMACHER ist 1996geboren, besucht die Kantonsschule Frauenfeld. Nach einemZwischenjahr in Südamerika kann sie sich ein Ethnologie- oderGeschichtsstudium vorstellen. (Seite 5) —7 SAMUEL HAITZist 1997 geboren, besucht die Kantonsschule Stadelhofen. Erengagiert sich bei den Juso, SP und ist Präsident des Dachver-bandes der Zürcher Schülerorganisationen. (Seite 5) —8 GIAN

MARIA BORDIN ist 1996 geboren, legt zurzeit ein Zwischen-jahr ein und befindet sich gerade in Marokko, um seinen Horizontzu erweitern. (Seite 10) —9 LAURABIONDI ist 1997 geborenund besucht die Kantonsschule Frauenfeld. Nach einem Sprach-aufenthalt in Irland könnte sie sich ein Psychologiestudium vor-stellen. (Seite 14) — 10 FRANCESCA KLEINSTÜCK ist1997 in St.Gallen geboren. Sie besucht das zweisprachige FreieGymnasium Zürich und schliesst 2016 ab. Später möchte sieKommunikations- und Medienwissenschaften studieren. (SocialMedia) — 11 MORRIS WOLF ist 1995 in Zürich geboren. Erstudiert Maschinenbau an der ETH Zürich und ist kunst- sowiemusikbegeistert. (Seite 10) — 12 ANNA GRAFF ist 1998in Hamburg geboren. Sie geht an die Kantonsschule Wiedikon,engagiert sich politisch und könnte sich ein Geschichtsstudiumvorstellen. (Seite 5) —13 DAMIAN BERGER ist 1996 gebo-ren und arbeitet im Zwischenjahr als Verwaltungssekretär undTeilzeit-Träumer. Er mag Buchstabensuppe und glaubt an die auf-klärerische Macht von Bindestrichen. (Seite 12) —14 FLORAHAUSAMMANN ist 1996 geboren und absolvierte die Kan-tonsschule Frauenfeld. Sie befindet sich nun im Zwischenjahr,in welchem sie arbeitet und so viel wie möglich reist. (Seite 15)

3 4 7

Fotos: GoranBasic

HINTER DEN GESCHICHTEN

NZZ Toolbox wird auf demCover des NZZ-Mediengruppe-Geschäftsberichts verewigtsein. Merci an unsere Autorinnen FrancescaKleinstück und Anna Luna Frauchiger.

Fotoshooting mit Jean-Vincent Simonet imStudio der ECAL in Lausanne.

NZZ TOOLBOX Editorial

NICO SEBASTIANMEYER ist 28 Jahre altund sowohl in Luzern alsauch in Zürich zu Hause.Der gelernte Konstruk-teur arbeitet als Fotografund als Künstler – seitzwei Jahren vor allemskulptural und installativ.Und er kocht so leiden-schaftlich gerne, wie erisst.

SHOOTING-STAR

MACH MIT!

BE SOCIAL

Bist du noch keine 20 Jahre alt, schreibwütig undmöchtest dich als Journalistin oder als Journalistversuchen? Schick uns einen Text von dir undeinen kurzen Lebenslauf. Dumöchtest dich zusam-men mit deinem Kollegen, deiner Kollegin bewer-ben? Auch das geht. Wir freuen uns auf deinenBeitrag: [email protected].

Folge uns auf Facebook:facebook.com/nzztoolboxOder Instagram:instagram.com/nzztoolboxOder auch Twitter:twitter.com/NZZToolbox

KORRIGENDUM: Im Beitrag «Quarks Reise » inder Ausgabe vom Dezember 2015 wurde ausge-führt, dass ein Liter ausländische Milch in derSchweiz rund 766 Franken koste wegen der Schutz-zölle. Richtig ist, dass der Liter mindestens 7 Fran-ken 65 Rappen plus Warenwert kosten würde.

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Eine Strickjacken-Liebhaberin oder doch einBusinesstaschen-Träger

mit einer Vorliebe für Pink?

Richtig gelesen: eine Ode. Aber keine Sorgen.Mir geht es prächtig, und ich will mir hier kei-neswegs den Ruf eines Strebers einhandeln.Wie vielen anderen ging es auch mir so: Ichhasste das ständige Vokabeln-, kurz Voci-Lernen während meiner vor kurzem ab-geschlossenen Schulzeit. Eine Ode verdientdieses stureMemorieren vonFremdsprachen-wörtchen trotzdem, und ungeachtet des dochüberraschend grossenWortschatzes in Fran-zösisch, Englisch und gar Latein, der sich in allden Jahren angehäuft hat: es war immer wie-der gut für einen Lacher.Unvergessen derMoment, in demdas«Décou-verte»-Heft unsweismachenwollte, dass fran-zösische Katzen nicht «miau», sondern«miaou» machten. Wobei der sanftere Klangder gallischen Katzensprache dem Fellknäuelja schon einen sinnlicheren Touch verleiht alsin der kurz angebundenen deutschenVariante.Nun sindGymnasiasten natürlich aufgewecktekritische Denker, die weder Mühe noch Auf-wand scheuen, um ihren Wissenshorizont zuerweitern. Genau das haben wir getan und unsdie Frage aller Fragen gestellt: Wie artikuliertsich die sprachgewandteKatze sonst noch so?ZumBeispiel in Englisch — und in Latein?UnsereNachforschungen fördertenFolgendeszutage: Die englischsprechende Katze macht«miaow», falls sie auf denBritischen Inseln ge-borenwurde, und «meow», falls sie in denwest-lichenKolonien lebt. Interessanterweise ergibtsich bei der Aussprache tatsächlich der Ein-druck einer etwas «frecheren» US-Katze imVergleich zur aristokratisch-zurückhaltendenArt, wie sie sich für eine britische Felis catusgeziemt. Bei den alten Römern konnte leiderkein Beispiel einer «sprechenden» Katze ge-funden werden — es existiert jedoch das Verb«maumare», das Miauen bedeutet. Wobeiselbst dieses Wort Neulatein ist, zu ZeitenCaesars oder Ciceros also noch nicht inGebrauch war.Sieben Leben und nichts, um sich zu artiku-lieren. Latein, ein wahrer Katzenjammer.

Text: GIAN MARIA BORDIN

Illustration: ZOSIA DZIERZAWSKA

Ode ansVoci-Lernen

Auflösung: S. 15

Kolumne/Kleiderschrank NZZ TOOLBOX

ZEIG MIRWAS DU TRÄGST ...

NZZ Toolbox blickt für jede Ausgabe in einen Kleiderschrank.

Text: FLORA HAUSAMMANN,ISABELLE KOCH

Fotografie: NICO SEBASTIAN MEYER

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5NZZ TOOLBOX Bildung

Text: ANNA GRAFF, SAMUEL HAITZ, MERET LIMACHER—Fotografie: JEAN-VINCENT SIMONET

Bildung sei das wichtigste Gut, betonen Politikerinnen und Politiker gerne.Doch in den nächsten Jahren sollen just dort mehrere Hundert MillionenFranken gespart werden. Dagegen wehren sich nicht zuletzt auch Jugend-liche, deren Zukunft auf dem Spiel steht. Sie wollen deshalb nichts wissenvon Zwangsferien und Stundentafelkürzungen.

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Bereits bei einer Klassengrösse von 15 Schülerinnen und Schülern nimmt dasWortverständnis ab, sagt eine deutsche Studie.

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6 Bildung NZZ TOOLBOX

Linus ist16Jahrealt,under istGym-nasiast. An diesem Novembertaggeht er allerdings auf die Strasse.Mit 400 anderen Kantonsschü-lern demonstriert er: gegen eine

zusätzliche Ferienwoche. Linus ist kein Stre-ber. Aber Bildung ist ihm wichtig. An dieseraber soll in seinem Kanton gespart werden.

Linus geht in Willisau zur Schule, imKanton Luzern. Dieser spart an allen Eckenund Enden. Da muss offenbar auch die Bil-dung dran glauben. Die eine Woche Zwangs-ferien für Mittel- und Berufsschulen sollenEinsparungen von vier Millionen Frankenbringen, nur vier Millionen. Im KantonLuzern ist man eben verzweifelt.

536 Millionen Franken sparenDochwiemanövriert sicheigentlicheinKan-ton in eine Situation, dass ausgerechnet ander Bildung die Sparschraube angesetzt wer-den muss, an jenem Gut, das in einem LandohneGold,ÖloderandereRessourcen immerwieder als das wichtigste proklamiert wird?

Dabei sind eine Vielzahl von Faktorenausschlaggebend. Einer davon ist aber auchhausgemacht. Er hat mit einem Wettbewerbunter den Kantonen, aber auch mit dem Aus-land zu tun. Es geht um Steuern. NiedrigeSteuern, die niedrigsten Steuern überhaupt.Denndiese sollenFirmenanlocken,diedanndas entstandene Loch mehr als nur stopfen.Steuerwettbewerbheisstdasund ist imGrun-de nichts Verwerfliches, profitieren docheigentlich alle von massvollen Steuern. WeraberSteuernherabsetzt, demdrohenvordenfetten Jahren erst einmal ein paar magere.Und wer das Budget einhalten will, musseben sparen – oder zusätzliche Einnahmenbeschaffen.

Deshalb können Spitäler zum BeispielnichtmehrPersonaleinstellen,oder ihrePri-vatisierung wird in Erwägung gezogen, wieetwadesKantonsspitalsWinterthur.Deshalbwerden aber auch Bus- oder Trambillette teu-rer, weil der Kanton die Subventionierungsenkt, oder Universitäten lassen sich Lehr-stühlesponsern,weil füreinenAusbau inFor-schungundLehrenichtmehröffentlicheGel-der zu Verfügung stehen. Oder es wird ebenbei den Schulen gespart. Seit 2013 ist dies in17 Deutschschweizer Kantonen geschehen;nur inGraubündenundindenbeidenAppen-

zeller Kantonen ist der Bildungsposten bis-her unberührt geblieben. Gesamtschweize-risch werden sich die kantonalen Spar-bemühungen im Bildungsbereich zwischen2016 und 2018 laut Schätzungen des Dach-verbandes der Lehrerinnen und LehrerSchweiz (LCH)aufmindestens536MillionenFranken belaufen.

Petition zeigte WirkungDoch warum ausgerechnet bei den Schu-len? «Wir können uns so schlecht wehren,die Bildungslobby ist nicht stark genug»,meint der 16jährige Linus aus Willisau. Et-was anders sieht es Marco Heer, Präsidentder Luzerner Jungfreisinnigen. Bildung seiein relativ kostenintensiver Posten, bei dembesonders im bürokratischen und adminis-trativen Bereich Sparpotential bestehe, be-gründet er die Kürzungen in Luzern.

Die Zwangsferienwoche ist allerdingsnurdieSpitzedesEisbergs.Wieauch inande-ren Kantonen wurden zunächst auch in Lu-zerndieKlassenvergrössert,Förderangeboteund Halbklassenunterricht gestrichen, Frei-fächerabgebautunddasSchulgeld fürMittel-schulen um 300 Franken auf auf 765 Frankenpro Jahr erhöht. Zuvor hatte man bereits dieLöhne der Lehrer und ihre Pensen gekürzt,wodurch über 20 Millionen Franken einge-spart wurden.

Das Fass zum Überlaufen brachte danndie geplante Zwangsferienwoche und dieAnkündigung, die renommierte FachklasseGrafik zu schliessen. Innert kurzer Zeit un-terschriebenüber20000LuzernerinnenundLuzerner eine Petition für den Erhalt derSchule.UnterdemEindruckdesProtestsent-schied das Kantonsparlament schliesslich,von der Schliessung abzusehen.

Eine Ziege hat mehr PlatzDochinwieweit lässt sichbeiderBildungspa-ren,ohnedieQualität zugefährden?«Sparenin der Bildung führt zu einer unglaublichenLeistungsverschlechterung»,findetderGym-nasiast Linus.

Eine Erhöhung der durchschnittlichenGrösse einer Schulklasse von 19,2 auf 19,7Kinder, wie sie etwa im Kanton Bern geplantwar und wodurch sich 4,5 Millionen Frankeneinsparen liessen, scheint auf den erstenBlick verkraftbar. Die Klassengrösse hängt

BILDUNGSLO

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245 092 Lernende in der Berufsausbildung soll esim Jahre 2024 geben, prognostiziert das Bundes-amt für Statistik in seinen «Szenarien 2015–2024für das Bildungssystem». Heute, also gezählt imJahr 2013, sind es 230 622.Bei den Jugendlichen, die eine gymnasiale Matu-ritätsschule absolvieren wollen, sieht es so aus: ImJahre 2013 gab es 70641 Jugendliche, und in derZukunft, also im Jahre 2024, sollen es 75753 sein.Bei der beruflichen Grundbildung ist in den einzel-nen Bildungsfeldern mit stark unterschiedlichenEntwicklungen zu rechnen. So soll es markant mehrLernende im Sozialwesen und in der Informatik ge-ben und deutlich weniger in der Landwirtschaft undim Gewerbe.Bei allen Bildungswegen und Szenarien sei mitkantonal sehr unterschiedlichen Entwicklungen zurechnen, hält das Bundesamt für Statistik für denBlick in die Zukunft fest.

BILDUNGSZUKUNFT IN ZAHLEN

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7NZZ TOOLBOX Bildung

536Millionen Franken sollen in der Schweiz bis 2018 bei der Bildung gespart werden, prognostiziert der Lehrer-Dachverband.

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8 Bildung NZZ TOOLBOX

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«Wher ihn der Bieldung sparrt, sparrt am falshen Ohrt»: Slogan an einer Schülerdemonstration gegen Sparmassnahmen bei der Bildung.

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9NZZ TOOLBOX Bildung

jedoch unmittelbar mit Unterrichtsqualitätzusammen. IneinemPositionspapierzuKlas­sengrössen zitiert der Dachverband der Leh­rerinnen und Lehrer eine deutsche Studie,wonach bereits ab 15 Schülern Rechtschrei­bung und Wortverständnis schlechter wür­den. Auch der Englischunterricht, so die Stu­die, würde leiden. In der Schweiz pendeln dieKlassengrössen seit 1990 zwischen 19 und 20Schülern. Einzelne Kantone wie Zürichschwingen mit durchschnittlich 21 SchülernproKlasse obenaus.

Je grösser die Klasse, desto stärker istauchdieBelastungderLehrperson,diesich janicht auf den Unterricht allein beschränkt,sondern sich auch auf Vor­ und Nachberei­tung sowie Elterngespräche erstreckt. Zwei,drei oder gar vier Schüler mehr pro Klassemachen da bereits einen merklichen Unter­schied aus.

Was gerne auch vergessen geht: Die ge­baute Schulinfrastruktur fasst nicht endlosviele Schüler. Gemäss dem Dachverband derLehrerinnen und Lehrer stünden in einemheutigen Klassenzimmer mit 20 Schülerin­nen und Schülern pro Person 2,5 bis 3 Qua­dratmeterzurVerfügung.ZumVergleich:DasschweizerischeTierschutzgesetz schreibt fürdieEinzelhaltungvonZiegenzwischen40und70KilogrammeineBoxengrösse vonmindes­tens 3Quadratmetern vor.

Weniger Zeit für den Einzelnen«MitunsererDemonstrationundunsererKri­tikwollenwireinZeichensetzenundeineDe­batte lancieren», sagtLinus.Auch inanderenKantonen (siehe Text rechts) ist diese Debat­te lanciert, und mit einer Bildungsinitiativehaben Zürcher Studierende gar einen völliganderenWegvorgeschlagen:dieAbschaffungvon Gebühren an allen Zürcher Bildungs­einrichtungen, was den Staat zu deutlichenMehrausgaben in der Bildung gezwungenhätte. Die Initiative ist zwar abgelehnt wor­den.DieDiskussion aber gehtweiter.

AndersalsLinuswerdennichtalleLuzer­nerSchülerinnenundSchülerdie zusätzlicheFerienwochehinterfragen.ManchemwirdsieFreude bereiten. Aber es werde sich zeigen,dass die schwächeren Schülerinnen undSchüler darunter litten, ist der Gymnasiastaus Willisau überzeugt. «Wie die vorge­sehene Vergrösserung der Klassen führendie Zwangsferien dazu, dass Lehrer wenigerZeit für den Einzelnen haben.»Wie hoch dieRechnungdafürausfallenwird,wirdsichabererst in der Zukunft zeigen.

AUCH IN DIESEN KANTONEN WIRD GESPARTZÜRICH

DenGürtel enger schnallenmussmanquasi überall. So auch in denmeistenKantonen bei derBildung.Nicht in allenRegionen sind die Sparmassnahmenbereits klar definiert, wiederumanandernOrtenwurden sie ohneAufhebens

akzeptiert, und in einigen gab esDemonstrationen von Jugendlichen.

BASELLAND

«Lärmkonzert» gegendie SparmassnahmenDie Regierung des Kantons Baselland will bis 2019 die Staatsausgaben um 188 Millio-nen Franken reduzieren. Im Zuge dieser Massnahme sollen zum Beispiel die Beiträge desKantons an die Universität Basel ab 2018 um 25 Millionen Franken reduziert, die Sekun-darschulklassen von 24 auf maximal 26 Personen vergrössert und der Instrumentalunter-richt am Gymnasium kostenpflichtig werden. Mit einem Sparvolumen von 52,5 MillionenFranken ist die Direktion für Bildung, Kultur undSport sehr stark von denKürzungen betrof-fen. Am 27. August 2015 veranstalteten rund 500 Schülerinnen und Schüler in Liestal ein«Lärmkonzert» gegen die geplantenSparmassnahmen.Sie kamen aus allen fünfGymnasienund hatten sich mit Musikinstrumenten ausgerüstet, um während der Landratssitzung vordem Regierungsgebäude auf sich aufmerksam zu machen, wie «bazonline» schrieb.

BERN

KeinAltgriechisch undRussischmehrMehrere Hundert Schülerinnen und Schüler haben im März 2015 gegen ein Sparpaketdemonstriert, das der Grosse Rat des Kantons Bern bereits imHerbst 2013 verabschiedethatte. Die Kundgebung finde erst jetzt statt, weil die Sparmassnahmen jetzt ihre Wirkungzeigten: Das sagte ein Sprecher der Organisatoren, Lukas Reinhard, Schüler am Gymna-siumLerbermatt Köniz, der «Berner Zeitung». DasSparpaket umfasst unter anderemsechsMassnahmen bei denGymnasien. Sowurde zumBeispiel der Instrumentalunterricht für denSchwerpunktMusik auf 30Minuten gekürzt, dieSchwerpunktfächerAltgriechisch undRus-sisch gestrichen – dieseMassnahmen sind nach Angaben der kantonalen Erziehungsdirek-tion seit August 2014 in Kraft. Die mit 5,5Millionen Franken gewichtigste ist die Einführungdes vierjährigenGymnasiums imganzenKantonBern; dies soll perAugust 2017geschehen.Weiter sieht der Regierungsrat im nächsten Sparpaket bis 2017 zusätzlich Kürzungen von22Millionen bei der Berufsbildung vor.

THURGAU

Kantonsschulrektor findet die Sparmassnahmen«überwindbar»Bunte Kartonäpfel hatten die rund 70 Absolventen der Kantonsschule Frauenfeld im Juni2014 vor demRegierungsgebäude aufgehängt. Darauf stehenForderungen undSloganswie«Lasst dieHandelsmittelschulemit zwei Klassen», «Bildung ist Zukunft» und «Wher ihn derBieldung sparrt, sparrt am falshen Ohrt», wie die «Thurgauer Zeitung» damals vermerkte.Bei denSparmassnahmenhandelte es sich umeinenNumerus clausus für dieHandelsmittel-schule und eine Halbierung des Budgets für die Mediothek der Kantonsschule.Der Rektor der Kantonsschule Frauenfeld, HanspeterHitz, stuft die Sparmassnahmen aberals «überwindbar» ein. Die Handelsmittelschule bestehe momentan aus einer Klasse, undderNumerus claususmüsse somit nicht angewendet werden. DieHalbierung derMediotheksei zuerst ein Schock gewesen, sagt er. Doch es sei genügend Zeit geblieben, um sich aufdiese Massnahme einzustellen. Die Hälfte der Stellen der Mediothek wurde abgebaut unddasSortiment um dieHälfte reduziert. Die entlassenenMitarbeitenden haben alle eine neueAnstellung gefunden. Dafür gibt es nun eine neue Selbstausleihe via Chip.

ZÜRICH

Einen «TagderBildung» organisiertIm September 2015 hat die Zürcher Bildungsdirektorin Silvia Steiner den Plan der Regie-rung bekanntgegeben, in der Bildung kürzen zu wollen. Konkret ist ein jährlicher Abbau von49Millionen geplant, der sich auf 20Millionen in der Volksschule, 18Millionen bei denMit-telschulen und11Millionen bei derBerufsbildung aufteilt. Noch ist unklar, wie dieEinsparun-gen konkret umgesetzt werden sollen. Trotzdem regte sich Widerstand in Form des «Tagesder Bildung» am 13.Januar 2016, an dem verschiedenste Schulen ihre Türen öffneten undmit einem vielfältigen Programm auf denWert der Bildung hinwiesen.

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Primar2183.85Fr.

Primar174.40Fr.

Primar715.20Fr.

Primar1280.40Fr.

Primar630.40Fr.7 Jahre 8 Jahre 9Jahre

10Jahre

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12JahrePrimar

1772.95Fr.

Primar2183.85Fr.

Primar174.40Fr.

Primar715.20Fr.

Primar1280.40Fr.

Primar630.40Fr.7 Jahre 8 Jahre 9Jahre

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11 Jahre

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7

2

9Jahre80

Primar1772.95Fr.

Ausgabenundefiniert HobbyMusik Mensa Schulbücher /-material Schulreisen Nachhilfe HobbyBewegung AustauschjahrWestschweiz

10 Infografik NZZ TOOLBOX

WIE TEUER IST ZUR-S

SOVIEL MUSSTEN MAMI UND PAPI BEZAHLEN

EineprivateStatistik zuden realenschulbedingtenAusgabeneinerSchülerin ausdemKantonThurgau.EinEinzelfall zwar, dochdurchaus repräsentativ.

1Emoji =20Fr.

MITTELSCHULE UND BERUFSSCHULE IM VERGLEICH

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2005

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5000

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2007

2008

2009

2010

2011

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2014

ANZAHL SCHÜLER/- INNEN

Mittelschule

Berufsschule

Quelle: Geschäftsberichte und Rechnungen des Kantons Zürich

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13Jahre 14Jahre

15Jahre

17 Jahre

18Jahre

16Jahre

8Jahre

Primar / Sek1802.20 Fr.

Sek1981.60 Fr.

Sek / Gymi4266.– Fr.

Gymi8885.45 Fr.

13Jahre 14Jahre14Jahre14

15Jahre

17 Jahre

16Jahre5Jahre

17 Jahre

16Jahre

143Jahrerimar / SekPrimar / Sek 1802.20 Fr.1802.20 Fr.

Sek1981.601981.60 Fr.

Sek / Gymi4266.– Fr.

Gymi6473.95 F

GymGymi 3691.403691.40 Fr.

Prüfungsgebühren Berufsberatung

Jahre

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11NZZ TOOLBOX Infografik

-SCHULE-GEHEN?

JE NACHDEM, ob man eine Berufslehre macht oder die Mittelschule be-sucht,wird es unterschiedlich teuer.Undzwarnichtnur für dieEltern, son-dern vor allemauch für denWohnkanton.Wir zeigen auf,wie viel genauderKantonZürichproSchülerinundSchüler inderBerufslehreund inderMit-telschule ausgab undwie viele Lernende es in den vergangenen Jahren gab.

Recherche: LAURA BARBERIO, GIAN MARIA BORDIN, LARS THALMANN, MORRIS WOLFInfografik: VÖLLM + WALTHERT

Quelle: Familie Bondi

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12 Im Tresorraummit… NZZ TOOLBOX

«Ich bin sehr ehrgeizig, kommunikativ und neugierig.» Ein Satz, wie er inkeinem Bewerbungsdossier fehlen darf. Nur dass man ihn Marc Lindströmohne weiteres abnimmt. Als Schweizer Bürger, aufgewachsen in Stockholm,Schweden, hat Marc trotz seinen jungen 21 Jahren bereits in diversen Län-dern gelebt und dabei immer internationale, multilinguale Privatschulen be-sucht. Obschon erst seit zwei Jahren in derSchweiz,meistert er imGesprächdie «-li » und «ch» des Zürcher Dialekts mit beeindruckender Präzision.Wahrscheinlich ist das nach Schwedisch, Französisch, Englisch, Italienischund Russisch aber auch nur noch Formsache. UndWille.

Daran mangelt es Marc auf jeden Fall nicht. «Ich wusste schon immer,dass ich einmal im Bankensektor tätig sein möchte, und habe mich auchentsprechend gezielt vorbereitet», sagt er schlicht. Konkret: weiterführendesWirtschaftsverständnis und Statistik hat er sich schon während der Gymna-sialzeit in Schweden selbst erarbeitet. Mit Erfolg, wie es scheint, denn heuteabsolviert er als einer von nur zwölf jungenPraktikantinnen undPraktikantendas «Bankenpraktikum fürMittelschulabgänger» derZürcherKantonalbank.

Dabei arbeitet er volle hundert Prozent und nimmt jeweils alle drei Mo-nate an einer zweitägigen Schulung teil. Diese Schulungen werden bewertet,bei guten Gesamtnoten lockt eine Festanstellung. Im bisherigen Teil seinesinsgesamt18monatigenPraktikumshabe er bereits einen sehr umfassendenEinblick in verschiedensteBereiche einerGrossbank erhalten, erklärtMarc.

Momentan ist er am Schalter der Filiale in Horgen tätig. Das tönt zwar nichtgerade aufregend, dochMarcmeint dazu: «Ich habe viel mehr gelernt, als icherwartet hatte. Zudem bin ich jemand, der gerne Menschenkontakt hat, dasgefällt mir an meinem Arbeitsalltag sehr.» Die Frage, ob schnelles Geld beiderWahl seines Berufsweges eine Rolle gespielt habe, verneint er bestimmt.Matchentscheidend war für den Hobby-Tennisspieler einzig die Faszinationfür die Bankenwelt. Am stärksten hegt er diese für den Bereich des PrivateBanking mit internationalen Kunden. Hier möchte er nach Möglichkeit auchgleich nach demPraktikum einsteigen. «Da ich in einem sehr internationalenUmfeld aufgewachsen bin, möchte ich mir mit der Arbeit in diesem abwechs-lungsreichen Teil der Bank einen meiner Lebensträume erfüllen. Zu Beginnetwa als Assistent in der Kundenbetreuung», wie er vorsichtig formuliert.

Marc Lindström, der, abgesehen von einem Jahr Bachelor-Grund-studium, sein Leben lang private Bildung genossen hat, wirft aber auch eineFrage auf. Die Frage, ob nach einem Bildungsrückbau durch die geplantenSparmassnahmen künftig die ambitionierten und intelligenten Nachwuchs-kräfte wie er vorwiegend aus der privaten Bildung rekrutiert würden. Unddamit konsequenterweise auch die Frage, ob die soziale Herkunft die indivi-duellenBildungschancen in Zukunft noch stärker beeinflussenwerde, als diesohnehin schon der Fall sei.Dieser Artikel entstand inZusammenarbeitmit demZürcherBankenverband.

IM TRESORRAUM MIT

Marc Lindström

Text: DAMIAN BERGER—Fotografie: NICO SEBASTIAN MEYER

Erabsolviert ein«BankenpraktikumfürMittelschulabgänger»beiderZürcherKantonalbank, istausserordentlichsprachbegabtundweissgenau,waserwill.NZZToolbox hatmit ihmüber seinePläne gesprochen.

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«Hett waschindli en andereBetrieb gsuecht…»

Du machsch ja e usbildig alsschriinerin. i wellem lehrjahr bisch?19:35

Im 4. lehrjahr19:36

Okay, demfall bisch im summer fertig?19:36

Jep19:37

Freusch di uf de abschluss?19:37

Jaaaa!19:37

Wie fühlsch dich als frau inre(clichémässig) männerdominiertewält?19:40

Ich merk das mängisch gar nöd so...also speziell isch gad bi ois: ich han

no 2 understiftINE ide Lehr! Und suschfindi das überhaupt keis problem. Ich

schetze di diräkti Art wo Manne händ19:44

Isch das nöd ehner ungwöhnlich?19:46

Das isch scho eher ungwöhnlich ja.Ide Klass simmer au im ganze 3 vo 17

19:47

Es gitt ja lehrling wo sichwerkzüüg und mängisch au noe werkzüügchiste mönd chaufe.Wie isch das bi dir?19:48

Han bis jetzt für mini Uusbildigkein Rappe sälber zahlt (im Betrieb).

Das heisst: Chleider, wärkzüüg undMaterial zahlt alles de betrieb

19:51

Gitts dänn betrieb wo d lehrling sichwerkzüüg selber mönd chaufe?19:55

Ich han niemer ide klass oderöper wo ich känn, wo das sälber

miss zahle ... Nur arbetshosechaufed di meischte sälber

19:56

s Bruefsbildigsamt hät gseit dassich lehrling mängisch werkzüüg undwerkzuüügchiste müesed chaufe.und da defür bis zu 1400 frankemönd usgäh. Du häsch ja alles vombetrieb übercho. Meinsch d betriebmönd au chli luege das d lehr attrak-tiv bliibt für neui lehrling?19:59

Isch villicht au en Grund! Aber ichfinde, für en Uusbildig sind die

chöschte z hööch für en Lehrling.Es sötted ja au all chli di gliiche

Bedingige ha ...20:06

Meinsch du hettisch die lehr nödgmacht wännd so höchi chöste ghahettisch?20:07

Das hetti mir zimli guet überleid, ja!!Hett waschindli en andere Betrieb

gsuecht ...20:08

Nomol zu de werkzüüg: häsch villpersönlichi?20:13

Ja- die wärkzüügchischte woniaafangs Lehr becho han ghört mir fürdie 4 jahr. Ich schetze mal en Wärt vo:

1000.– häd die scho20:14

Aber demfall muesch sie zruggähnoch de lehr?20:16

Ja ... Wenn den öpis fählt-dänn muess ichs sälber zahle!

20:18

Okay.. häsch no alles?20:18

Jajaa es lauft echlii so das merhalt underenand echli tuusched

zwüschetdure. Cha scho mal sii, dasiöpis nüme han. Aber den sinds chlineri

sache woni wider dörf uufülle.20:19

Chönntisch dini werkzüügchiste auchaufe nochem abschluss?20:24

Ich glaub nöd ... Müssti au nöd; wännilänger det schaffe chani si au gad phalte

un susch chumi am noie Arbeitsplatzwider Wärkzüüg über (hoffi)

20:26

STATUS PROFILB ILD

ELIANE HALDEMANN (19)Die Schreinerin im vierten Lehrjahr arbeitet grösstenteilsin der Werkstatt ihres Betriebs in Schlieren. Einen Tag proWoche geht sie in die Berufsschule. Nach ihrem Lehr-abschluss möchte sie irgendwann nach Afrika reisen, umEntwicklungshilfe zu leisten. Ihre Werkzeugkiste ist –bis auf seltene Verluste von kleinen Dingen, die sie abersofort wieder ersetzt – immer komplett.

CHAT

Interview: JONATHAN DAVIDSONFoto: ELIANE HALDEMANN

E INE WHATSAPP-UNTERHALTUNG MIT:

Your Love Never Fails,Never Gives Up,

Never Runs Out On Me

NZZ TOOLBOX Whatsapp-Interview

Okay, das hani jetzt nöd erwartet.

Praktisch…

...ond ich erscht. Im Summerhan ich Kanti fertig.

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Gleiche Chancen für alle bei der Bildung?In der Schweiz ist das noch nicht ein-gelöst, obwohl es viele spezifischeAngebotezur Förderung gibt.

Wer in der Stadt Zürich Tram fährt, ist umgebenvon Werbeanzeigen für Lernstudios, die Stützun­terricht und eine Vorbereitung für die Maturitäts­schule anbieten: «Der erfolgreiche und sichereWeg ans Gymnasium». Klingt überzeugend. Dochwas kostet ein solches Vergnügen? Der Blick aufdie Website eines Lerninstituts bestätigt die Be­fürchtung: Für einen 16wöchigen Vorbereitungs­kurs bezahlt man 1840 Franken. Nicht alle könnensich das leisten. Falls ein Jugendlicher den Über­tritt ins Gymnasium schafft, hören die Kosten nichtauf. Es muss für Bücher, Ausflüge und allfälligeNachhilfe – die bereits rund ein Fünftel der Matu­ritätsschülerinnen und ­schüler in der Schweiz inAnspruch nehmen – bezahlt werden. Bildung kos­tet ohne Zweifel einiges. Da stellt sich die Frage,wie es um die Chancengleichheit stehe.

Bildung wird vererbtAns Gymnasium und an die Universität gehen vorallem Kinder, deren Eltern bereits eine höhereBildung genossen. Dies zeigen diverse Studien.Waren die Eltern hingegen nicht am Gymnasium,wählen auch ihre Kinder oft einen anderen Bil­dungsweg. «In der Schweiz ist diese sogenannteBildungsvererbung sehr ausgeprägt, und die Bil­dungsexpansion auf andere Schichten verläuftzögerlich», sagt Rolf Becker, Bildungsforscher ander Universität Bern. Auch in der Pisa­Studieschnitt die Schweiz bezüglich Chancengleichheitschlecht ab. So haben Kinder aus bildungsfernenSchichten grössere Schwierigkeiten, in der Schu­le gut abzuschneiden, als in anderen Ländern.

«Familien verfügen über unterschiedlicheRessourcen, um ihre Kinder in Bildungsfragenzu unterstützen», sagt der Leiter des ZürcherVolksschulamts, Martin Wendelspiess. ManchenEltern fehlen indes die nötigen finanziellen Mit­

tel. Klar ist auch, dass der kulturelle Hintergrundeine erhebliche Rolle spielt. In den letzten Jahrenist jedoch das Bewusstsein für die zunehmendeBildungsschere zwischen den sozialen Schich­ten gewachsen, und es wird vermehrt nach neuenLösungen gesucht. «Der Kanton Zürich erbringtbereits erhebliche Leistungen zur Behebung vonUngleichheiten, die durch die soziale Herkunftder Kinder und Jugendlichen gegeben sind», sagtWendelspiess. Solche Angebote umfassen zumBeispiel kostenlose Aufgabenhilfe an Schulenoder «Deutsch als Zweitsprache»­Unterricht.

Kostenlose Gymi-VorbereitungNoch gezielter arbeitet der Verein ChagALL amZürcher Gymnasium Unterstrass. Er nimmt jedesJahr in einem komplizierten Auswahlverfahrenzwölf finanziell benachteiligte Schüler aus Mig­rantenfamilien auf und bietet ihnen kostenloseVorbereitung auf die gymnasiale Eintrittsprüfung.«Für Jugendliche aus Migrantenkreisen wird je­doch noch zu wenig getan, denn diese haben zu­sätzlich auch eine sprachliche Hürde zu überwin­den», sagt Dorothea Baumgartner von ChagALL.Der Verein, der bereits seit 2010 existiert, unter­stützt auch andere Schulen beim Aufbau ähnlicherProjekte. ChagALL wird teilweise vom KantonZürich sowie durch private Stiftungen finanziert.

Bildung für Jugendliche mit Migrationshinter­grund ist auch hinsichtlich der Integration wich­tig. Während die öffentliche Diskussion primärauf den Übertritt zur Oberstufe fokussiert, setzenandere schon früher an. Zu Recht, denn Kinderhaben schon zu Beginn ihrer schulischen Ausbil­dung unterschiedliche Voraussetzungen. Deshalbfinden viele Experten, dass schon von klein aufnach Lösungen gesucht werden müsse. So wer­den beispielsweise im Kanton Basel­Stadt Kinder

bereits vor dem Eintritt in den Kindergarten aufihre Deutschkenntnisse geprüft und bei Bedarfin eine obligatorische Spielgruppe für Kinder mitschlechten Deutschkenntnissen geschickt.

Man fühlt sich «gefährdet»Aber vielleicht wollen gar nicht alle die Chancen­ungleichheit bekämpfen. Mehrere Fachpersonenvermuten, dass sich höhergebildete Kreise «ge­fährdet» fühlen durch aufstrebende, sozial tiefereSchichten; sie fürchten zunehmende Konkurrenzund investieren deshalb mehr in die Bildung dereigenen Kinder, was die Kostenspirale weiternach oben treibt.

Dass der sogenannte Fachkräftemangel auto­matisch für mehr Gerechtigkeit sorgt, scheint wie­derum illusorisch zu sein. Der BildungsforscherRolf Becker sagt: «Der Fachkräftemangel – insbe­sondere bei höherqualifizierten Tätigkeiten – kannauch durch den Import von Qualifikation gelöstwerden. Dies tut die Schweiz auch und spart sichselber die teure Ausbildung etwa von Ärztinnenund Ärzten.»

Optimistische und düstere PrognosenWie sich die Chancen(un)gleichheit in der Schweizin den nächsten Jahren entwickeln wird, bleibtunklar. Baumgartner von ChagALL zeigt sich opti­mistisch: «Ich hoffe, dass Bildungspolitiker demProblem der Chancenungleichheit künftig mehrAufmerksamkeit schenken. Erste Schritte sindgetan, und es ist zu erkennen, dass das Bewusst­sein zunimmt. Wir bewegen uns in die richtigeRichtung.»

Wenig zuversichtlich stimmen da jedoch diein Aussicht gestellten Sparmassnahmen in derBildung. Steigt die Belastung für die Familie, drohtdie Ungleichheit zuzunehmen.

Chancen(un)gleichheit NZZ TOOLBOX

Text: LAURA BIONDI, ANNA LUNA FRAUCHIGER

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...UND ICH SAGE DIR,WER DU BIST.

Momentan höre ich: «Advantage Points» vonChilly Gonzales und «Novocaine For The Soul»von Eels.Momentan lese ich: «Stoffe 1–3» vonFriedrich Dürrenmatt und parallel dazu «Der un-sichtbare Apfel» von Robert Gwisdek. Mich be-schäftigt gerade: dass mein Zeitplan für morgennicht aufgehen wird und ich deshalb meinen Zugnach Stuttgart verschieben muss. Auch der Neid,den unsere Gesellschaft gegenüber Flüchtlingen

empfindet, beschäftigt mich sehr, gerade weil wires doch eigentlich so gut haben. Hier kaufe ichgerne ein: Grundsätzlich bin ich ein Migros-Kind.Ich bin aber auch ein grosser Fan von Brocken-häusern und Websites wie Ricardo. Das ist meinStyle: sehr undefinierbar. Ich habeFreude an klas-sischenDingenwiemassgeschneidertenAnzügen,abergenausogernebin ichaufMärktenunterwegs,wo ichmich nach selbstgestricktenWollumhängen

umsehen kann. An meinem perfekten Samstag:sitze ich im Zug und treffe ganz viele neue, span-nendeMenschen.Dieses Kleidungsstück würdeich nie anziehen: so ein… wie sagt man denen…dieser komischeBadeanzug aus den 1980ern: einMankini? Ich bedaure: dass ich mich manchmaletwaszusehrgesellschaftlichenVorstellungenundErwartungshaltungen anpasse. Und dass ich ge-rade viel zu wenigMusikmache.

Interview: FLORA HAUSAMMANN,ISABELLE KOCH

JannKessler, 20Janns Kleiderschrank: S. 4

Seine Maturaarbeit über multiple Sklerose hat er zumKinofilm «Multiple Schicksale» erweitert, den in derDeutschschweiz 11000Menschen gesehen haben.

Redaktion:Ronald Schenkel (Leitung), Barbara Ehrensperger – Art-Direction undBildredaktion: Völlm + Walthert, Zürich –Produktion:Andrea Fuchs –Korrektorat:Urs Remund–Verlag: Ana Majstoric (Product Management) –Redaktion und Verlag:NZZ AG, Falkenstrasse 11, Postfach, 8021 Zürich, [email protected].

IMPRESSUM

«Ich bedauere, dass ich mich manchmal zu sehr gesellschaftlichen Erwartungshaltungen anpasse.»

NZZ Toolbox erscheint am:28. Mai 2016,24. September 2016,10. Dezember 2016.

NZZToolbox erscheintals Beilage der «NeuenZürcherZeitung»:www.abo.nzz.ch.

Fotografie:NICO SEBASTIAN MEYER

NZZ TOOLBOX Kleiderschrank

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Die Tätigkeit einer Notenbank geht alle an. Denn mitGeld hat jeder und jede zu tun. Geld vereinfacht dasLeben, und im Gegensatz zu früheren Tauschgütern –etwa Fleisch oder Milch – verdirbt es nicht. Dennoch,Geld kann an Wert verlieren. Die wichtigste Aufgabeeiner Notenbank besteht daher darin, seine Kaufkraftstabil zu halten. Das setzt voraus, nicht zu viel (Gefahrvon Inflation) und nicht zu wenig Geld (Gefahr von De-flation) im Umlauf zu haben.Diese Steuerung übernimmt hierzulande die Schwei-zerische Nationalbank (SNB). Sie verfügt seit 1907über das Monopol zur Ausgabe von Banknoten. DieSchweizerische Nationalbank agiert unabhängig; dassteht in der Verfassung. Sie darf keine Weisungen vonPolitikern entgegennehmen. Das ist deshalb wichtig,weil Politiker in Versuchung geraten könnten, den Zu-griff auf die Notenpresse zu missbrauchen, sei es zurkurzfristigen Ankurbelung der Wirtschaft (erhöht dieChance der Wiederwahl) oder zur Finanzierung derStaatsschulden (senkt den Druck zum Sparen). Über-lässt man die Notenbank den Politikern, so die Erfah-rung der Geschichte, gerät das Ziel der Preisstabilitätunter die Räder.

UNABHÄNGIGE NATIONALBANK?

THOMAS FUSTER

Ein Staat, der über lange Zeit über seine Verhältnisselebt und mehr Geld ausgibt, als er einnimmt, häuft Schul-den an. Ergreift die Regierung keine Gegenmassnahmen,etwa indem sie spart oder die Einnahmen über Steuer-erhöhungen ausweitet, türmt sich ein Schuldenberg auf –es droht, wie im Fall Griechenlands, der Staatsbankrott.Als letztes Mittel greifen die Gläubiger – beispielsweisePrivatpersonen, Banken, andere Staaten – zu einemSchuldenschnitt. Um nicht ihr gesamtes Geld zu verlie-ren, erlassen sie dem notleidenden Staat einen Teil derSchulden. Damit soll der Weg zu einem Ausgleich desHaushalts geebnet werden, zumal ein Schuldenschnittdie Zinslast reduziert und den finanzpolitischen Spiel-raum vergrössert.Allerdings hat ein Schuldenschnitt auch gravierendeNachteile. Zum einen reduziert er die Kreditwürdigkeitdes Staates, der davon profitiert – niemand leiht gerneeinem Gläubiger Geld, der schon einmal seinen Verpflich-tungen nicht in vollem Mass nachgekommen ist. Zum an-dern ändert ein Schuldenschnitt nichts an den Ursachender Schuldenwirtschaft, er lindert nur ihre Folgen. Weildie politischen Entscheidungsträger und ihre Wählerin-nen und Wähler davon ausgehen, dass ihnen auch beimnächsten Mal geholfen wird, erlahmt zudem der Wille,harte Sparmassnahmen zu ergreifen und strukturelleProbleme zu lösen. Und nicht zuletzt sind Schulden-schnitte ein Affront für jene Länder, die sich an die Regelnhalten, sparsam sind und ihren Haushalt im Gleichge-wicht halten – aus ihrer Sicht wird Schuldenmachereibelohnt und Disziplin bestraft.

SCHULDENSCHNITT?

ERMES GALLAROTTI

In Zug sind an einer einzigen Strasse rund400 Briefkastenfirmen angesiedelt. Auch in an-deren Kantonen gibt es viele Gesellschaften,die weder über ein eigenes Büro noch über eineTelefonnummer verfügen. Meistens lassen dieFirmen nur die Post über eine c/o-Adresse laufen.In der Schweiz existieren rund 49 000 Brief-kastenfirmen. Die Firmen, die eine solche Gesell-schaft gegründet haben, tätigen ihre Geschäftevorwiegend im Ausland, versteuern die anfallen-den Gewinne aber zu einem sehr viel niedrige-

ren Steuersatz am Sitz der Briefkastenfirma.Davon hat der Schweizer Fiskus jahrelang pro-fitiert. Doch nun stehen die umstrittenen «LetterBoxes» vor dem Aus. Die OECD verlangt, dassam Ort der Besteuerung auch die entsprech-enden Geschäfte getätigt werden. Da sich dieSchweiz den neuen internationalen Steuerre-geln nicht verschliessen kann, wird ein «Brief-kasten» bald nicht mehr reichen, sondern esmüssen Büros bestehen und Mitarbeitendebeschäftigt sein.

BRIEFKASTENFIRMA?

NATALIE GRATWOHL

Unabhängige Nationalbank?Schuldenschnitt?Briefkastenfirma?

EineWirtschaftsredaktorinund zweiWirtschaftsredaktorenderNZZ erklären.

WIRTSCHAFT AUFGESCHRAUBT

Mit Unterstützung desZÜRCHER

BANKENVERBAND

Illustration: ZOSIA DZIERZAWSKA