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Fachorgan des Sanitätsdienstes der Bundeswehr 59. Jahrgang - Heft 11 - 20. November 2015 Wehrmedizinische Monatsschrift Herausgegeben durch das Bundesministerium der Verteidigung Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Wehrmedizin und Wehrpharmazie e. V.

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Fachorgan des Sanitätsdienstes der Bundeswehr 59. Jahrgang - Heft 11 - 20. November 2015

Wehrmedizinische Monatsschrift Herausgegeben durch das Bundesministerium der Verteidigung

Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Wehrmedizin und Wehrpharmazie e. V.

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Deutsche Gesellschaft für Wehrmedizin und Wehrpharmazie e. V.

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01. - 04.12.2015 16. Internationales Symposium Forensische Odontostomatologie, München

13. - 15.01.2016 2. Arbeitstagung Zahnmedizin des Kdo RegSanUstg, Damp

27. - 29.01.2016 23. Jahrestagung ARCHIS, Hamburg

02. - 04.03.2016 2. Arbeitstagung des Kdo RegSanUstg Diez in Damp

26. - 29.04.2016 Medical Biodefense Conference, Munich

27. - 29.05.2016 25. Jahrestagung des Deutschen SanOA e. V., München

08. - 10.06.2016 3. Arbeitstagung des Kdo RegSanUstg Diez in Lahnstein

21.06.2016 Fortbildung im Rahmen der „Kieler Woche“, Kiel

29. - 30.06.2016 CMC - Combat Medical Care Conference, Ulm/Neu-Ulm

19. - 21.07.2016 2. Fachkolloquium Zahnmedizin, Kloster Banz/Bad Staffelstein

06. - 09.09.2016 Weiterentwicklung und QM in der Allgemeinmedizin, Groß-Plasten

19. - 21.09.2016 3. Force Health Protection Congress 2016 - Tropical medicine and infectious diseases in international military context, Hamburg

06. - 08.10.2016 47. Kongress der DGWMP e. V., Ulm/Neu-Ulm

13.10.2016 13. Notfallsymposium, Westerstede

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Kongresskalender¬

16. Internationales Symposium Forensische Odontostomatologie, München

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Das Team der Bundesgeschäftsstelle der DGWMP e. V. wünscht Ihnen und Ihren Angehörigen eine schöne Adventszeit, besinnliche Feiertage sowie ein gesundes, glückliches und zufriedenes neues Jahr. Wir würden uns sehr freuen, Sie auch 2016 wieder auf unseren Veranstaltungen begrüßen zu dürfen.

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Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 11/2015

Sehr geehrte Leserinnen und Leser,

die Anästhesiologie hat im Laufe der letz-ten etwa 65 Jahre eine rasante Entwicklung erlebt. Die Einführung der Spinalanästhe-sie, das Lachgas, die Äthertropfnarkose mittels Schimmelbuschmaske sowie die in-halative Narkose mit volatilen Anästhetika, endotrachealer Intubation und Beatmung sind nur einige Meilensteine der Entwick-lung. War in der Historie die Narkosefüh-

rung dem nichtärztlichen Assistenzpersonal oder dem „jüngsten“ chirurgischen Assistenten vorbehalten, entstand in den 50er-Jahren mit der fortschreitenden technischen Entwicklung das eigenständi-ge Fachgebiet „Anästhesie“.Im Laufe der Zeit entstanden neue Aufgabenfelder, die von der präklinischen Notfallmedizin über die Schockraumorganisation bis zur Intensivmedizin reichten. Später kam dann die Schmerztherapie sowohl im perioperativen Rahmen als auch bei der Behandlung chronischer Schmerzen dazu. So entwickelten sich über ein halbes Jahrhundert aus den Anfängen des Fachgebietes die „4 Säulen der AINS“ – Anästhesiologie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie.Die Entwicklung der AINS vollzog sich auch in der Einsatzmedizin in großen Schritten. Die Elemente der Rettungskette – wie bei-spielsweise beweglicher Arzttrupp (BAT), Rettungshubschrauber, Schockraum und Intensivstation der Role 2/3-Einrichtungen und der strategische Verwundetenlufttransport (STRATAIRMEDEVAC) – sind anästhesiologisch geprägt und heute nicht mehr wegzuden-kender Garant einer qualitativ hochwertigen Versorgung. Als Leiter der Konsiliargruppe AINS ist es mir eine besondere Freude, Ihnen aus dem breiten Spektrum unseres Fachgebietes eini-ge ausgewählte Schwerpunkte vorstellen zu dürfen. Zwei Origi-nalarbeiten befassen sich mit der Behandlung von Explosionsver-letzungen der Lunge, den „Blast Lung Injuries“, und mit der Analgesie auf dem Gefechtsfeld. Beiträge zu den Themen Luftret-tung, Anästhesiologie im maritimen Umfeld und zur Bedeutung der zentralen interdisziplinären Notaufnahme (ZINA) der Bundeswehr-krankenhäuser für die Ausbildung aller Sanitätsoffi ziere Arzt be-treffen Bereiche, die von hoher wehrmedizinischer Relevanz sind. Grundsätzliche Überlegungen zum Thema „Einsatzanästhesie“ ma-chen darüber hinaus deutlich, dass eine Zersplitterung des Fachge-bietes in Subspezialisierungen – wie es zum Beispiel in der Chirur-gie der Fall ist – unter einsatzmedizinischen Gesichtspunkten nicht vertretbar ist.In dieser Ausgabe wurde auch dem akademischen Nachwuchs be-sonderer Raum gegeben. Die Teilnehmer am Wettbewerb um den im Rahmen des 46. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Wehrmedizin und Wehrpharmazie in Oldenburg vergebenen Heinz-Gerngroß-Förderpreis stellen die Inhalte ihrer dabei gehalte-nen Vorträge vor. Und erstmalig werden die Abstractsder auf einem Wehrmedizinischen Symposium zum Thema „Betriebliches Ge-sundheitsmanagement“ gehaltenen Vorträge als Supplement allen Lesern zur Verfügung gestellt.

Ich wünsche Ihnen viel Freude bei der Lektüre dieser Ausgabe.

Ihr

Dr. Thomas Dietze, MBAOberstarztBundeswehrzentralkrankenhaus KoblenzLeiter der Konsiliargruppe Anästhesie, Intensiv- und Notfall-medizin und Schmerztherapie

Inhaltsverzeichnis ISSN 0043-2156

Heft 11/59. Jahrgang November 2015

Editorial

Dietze, T. 333

Originalarbeiten

Braun, M., Goldmann, K. Das primäre Explosionstrauma der Lunge – Erfahrungen 334der operativen Intensivstation des Bundeswehrzentral-krankenhauses Koblenz aus sechs Jahren Afghanistaneisatz

Ritter, D. Aktuelle Arzneimittel zur Gefechtsfeldanalgesie 339

Anästhesiologie, Intensivmedizin, Notfall-medizin, Schmerztherapie

Schmidbauer, W. Anästhesie im Einsatz 345

Bretschneider, I., Hossfeld, B., Helm, M., Lampl, L. Hubschrauberrettung und Langstrecken-Intensivtransport 349– eine Schlüsselrolle für Anästhesisten der Bundeswehr

Schäfer, R. Ausbildung und Kompetenzerhalt von medizinischem 356Personal am Beispiel des Bundeswehrkrankenhauses Hamburg

Fohr, W., Hartmann, V., Posselt, D. Anästhesie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und 360Schmerztherapie (AINS) im maritimen Umfeld

Heinz-Gerngroß-Förderpreis 2015

Bericht und Kurzfassung der Vorträge 365

Aus dem Sanitätsdienst 374

Mitteilungen der DGWMP e. V. 380

Dieser Ausgabe ist zwischen den Seiten 356 und 357 eine In-formation mit den Abstracts zum am 21. und 22.11.2015 an der Sanitätsakademie in Müchen stattfi ndenden Wehrmedizini-schen Symposium „Betriebliches Gesundheitsmanagement im Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung“ beigeheftet.

Titelbild: Schockraumversorgung eines Soldaten unter anästhesiolo-gischen Einsatzbedingungen(Foto: PIZSanDstBw)

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Originalarbeiten

Aus der Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie (Klinischer Direktor: Oberstarzt Dr. H. Lischke) des Bundeswehrzentralkrankenhauses Koblenz (Chefarzt: Generalarzt Dr. J. Brandenstein)

Das primäre Explosionstrauma der Lunge –Erfahrungen der operativen Intensivstation des Bundeswehrzentral-krankenhauses Koblenz aus sechs Jahren Afghanistaneinsatz

Blast injury of the lung - experiences of the Bundeswehr Central Hospital at Coblence in high-care-treatment after six years mission in Afghanistan

Michael Braun, Kristina Goldman

Zusammenfassung

Einführung: Das primäre Explosionstrauma der Lunge als Traumaentität stellt sowohl aus pathophysiologischer Sicht, als auch im zeitlichen Krankheitsablauf deutlich andere An-forderungen an die intensivmedizinische Therapie als das übliche stumpfe Thoraxtrauma polytraumatisierter Patien-ten. In den Jahren 2005 bis 2011 kam es bei Gefechten oder durch den Einsatz improvisierter Sprengfallen zu zahlrei-chen Explosionsverletzungen der im Rahmen der „Internati-onal Assistance Force (ISAF)“ eingesetzten Soldaten. Die Behandlung der dabei aufgetretenen primären Explosions-verletzungen der Lunge soll evaluiert werden. Methode: In einer retrospektiven Untersuchung erfolgte die Auswertung der, von in den Jahren 2005 bis 2011 ins Bun-deswehrzentralkrankenhaus (BwZKrhs) Koblenz repatriier-ten und auf der anästhesiologischen Intensivstation behan-delten Verwundeten mit primärem Explosionstrauma der Lunge, fokussiert auf die anästhesiologischen / intensivme-dizinischen Beatmungsimplikationen.Ergebnisse: 31 Patienten hatten eine Explosionsverletzung erlitten, die zur Intensivpfl ichtigkeit führte, davon erlitten 25 ein primäres Explosionstrauma der Lunge. Die Beatmungs-dauer lag zwischen 12 und 1 368 h (Median 144 h). Nach Aufnahme wurden die Patienten mit hohen endexspiratori-schen Drücken (PEEP) beatmet, ohne dass beatmungsindu-zierte mechanische Komplikationen auftraten. Die Überle-bensrate betrug 100 Prozent.Diskussion: Die Häufi gkeit und Prognoserelevanz des Ex-plosionstraumas der Lunge erfordert ein bereits im Einsatz-land zu beginnendes, stringentes und individuell angepasstes Beatmungsregime. Ein suffi zienter PEEP, defi niert als Wert mit höchstem PaO2 bei niedrigstem PaCO2, führt zur Stabili-sierung der Lungenfunktion und ist sicher anzuwenden. Der Einsatz der ballistischen Schutzausstattung führt vermutlich zu einer deutlichen Reduktion von Verletzungsschwere der Lunge und zur Vermeidung abdomineller Begleitverletzun-gen. Bei einer raschen, suffi zienten Therapie im Einsatzland und während des Transportes ist das Outcome von Patienten nach einem Explosionstrauma der Lunge gut.Schlüsselworte: Explosionstrauma, Lunge, Beatmung, PEEP, Intensivtherapie

Summary

Introduction: Regarding pathophysiology and intensive care primary blast injury of the lung, as an entity of trauma, has to be signifi cantly differentiated from more common blunt thoracic trauma. German soldiers wounded in action from 2005 to 2011 suffered blast injuries caused by impro-vised explosive devices. Treatment of blast lung injuries among these patients was evaluated. Methods: Victims with primary blast injuries of the lung who were medevac-ed to the intensive care unit (SICU) of the Bundeswehr Central Hospital at Coblence between 2005 and 2011 were analyzed retrospectively with focus on respiratory implications of the anesthesiologic/ intensive care treatment.Results: 31 patients had sustained a blast injury requiring intensive-care treatment, of which 25 had suffered a primary blast injury of the lung. Artifi cial ventilation was applied for 12 to 1368 h (median: 144 h). On admission patients were treated with high end expiratory pressure (PEEP) without the occurrence of ventilator-induced complications. All patients survived.Discussion: Occurrence and prognostic relevance of blast lung injuries require a consequent and individually assessed respiratory treatment that must be initiated in the area of de-ployment as early as possible.Suffi cient PEEP results in a stabilization of the lung and is a safe treatment method. Protective ballistic gear can reduce the severity of lung injuries and concomitant abdominal injuries.Early onset of suffi cient therapy in the area of deployment and during the entire transport results in a favorable outcome of blast-injuries of the lung.Keywords: blast injury, lung, mechanical ventilation, PEEP, intensive care treatment.

Einleitung

Das primäre Explosionstrauma der Lunge als Traumaentität stellt sowohl aus pathophysiologischer Sicht, als auch im zeitli-chen Krankheitsablauf deutlich andere Anforderungen an die intensivmedizinische Therapie als das übliche stumpfe Thorax-trauma polytraumatisierter Patienten.

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M. Braun et al.: Das primäre Explosionstrauma der Lunge – Erfahrungen der operativen Intensivstation

In den Jahren 2005 bis 2011 kam es bei Gefechten oder durch den Einsatz improvisierter Sprengfallen zu zahlreichen Explo-sionsverletzungen der bei ISAF eingesetzten deutschen Solda-ten. Im folgenden Artikel werden, nach einem pathophysiologi-schen Exkurs, die eigenen Ergebnisse und Erfahrungen mit diesem Krankheitsbild dargestellt.

Das primäre Explosionstrauma der Lunge (Blast Lung Injury, BLI)

Pathophysiologie des BLIDurch die exotherme Reaktion einer chemischen Substanz während einer Explosion kommt es proportional zur Umset-zung der Chemikalie zu einer Energiefreisetzung, welche sich idealtypisch in Form einer longitudinalen, in Ausbreitungsrich-tung schwingenden Stresswelle (ähnlich einer Schallwelle) ra-diär vom Epizentrum ausbreitet. Diese sich anfänglich mit sehr hoher Geschwindigkeit ausbreitende Druckwelle zeichnet sich durch eine extrem rasche Intensitätszu- und -abnahme aus (Friedlander Wave, Abbildung 1); die Geschwindigkeit kann bei modernen Sprengstoffen im Zentrum der Explosion bis zu 9 000 m/sec betragen [9]. Die bei den Anschlägen auf unsere Patienten eingesetzten Sprengstoffe waren überwiegend „home-made explosives“ (HME) mit Explosionsgeschwindigkeiten zwischen 2 500 m/s bis 5 000 m/s (persönliche Mitteilung an den Autor durch Auswertepersonal der Anschläge). Mit einem primären BLI ist auf Grund der raschen Intensitätsabnahme der Druckwelle deshalb regelhaft in der Nähe eines Explosionsepi-zentrums zu rechnen. Insbesondere in geschlossenen Räumen und in Abhängigkeit von der Geländestruktur (vor allem bei urbanem Charakter oder im Gebirge) entstehen durch Streuun-gen, Reverberationen und Resonanzen wesentlich komplexere Schallmuster [9], welche die Vorhersage der Intensität der Stresswelle an einem bestimmten Wirkort sehr erschweren bis unmöglich machen.

Der exakte Mechanismus der Lungenschäden durch eine Ex-plosionswelle ist bisher nicht sicher geklärt und bleibt modell-haft. Diskutiert wird die Kombination mehrerer Effekte beim Auftreffen der Explosionswelle auf den Körper [5, 8]. Zunächst kommt es durch die bereits angesprochene longitudinale Stress-welle zu einer hohen Kraftentwicklung im Schnittstellenbereich von Geweben mit unterschiedlicher akustischer Impedanz (alveolokapilläre Grenzfl äche). Konsekutiv kommt es durch Scherkräfte zu Destruktionen von Membranen, Zellen und Ge-webe in diesen Bereichen, welche durch schnell aufeinander-folgende Druckwechsel von Implosion und anschließender Ex-plosion der gasgefüllten Strukturen (Alveolen) beim Wellen-durchtritt durch den Thorax verstärkt werden [8]. D´Yatchenko [5] konnte in einem Modell mit triangulärem Schallmuster an der Kaninchenlunge die Stressformation und den subatmosphä-rischen Druck, welcher der Wellenfront folgt, als wesentlichen schädigenden Faktor identifi zieren (negativer Anteil der Fried-lander Wave). Der zeitlich prolongierte Verlust antioxidativer Ressourcen und die Zerstörung von Pneumocyten des Typs II können zu einer weiteren Aggravation und dem charakteristi-schen zeitlichen Verlauf des BLI beitragen. [6]. Histologisch ist das primäre BLI einerseits gekennzeichnet durch disseminiert auftretende Alveolarrupturen und -über deh-nungen, andererseits durch subpleurale und perivaskuläre man-schettenartige Hämorrhagien [19]. Die als wesentliche Ursache für den Soforttod beschriebene Luft- oder Fettembolie fi ndet sich im Sektionspräparat nur in weniger als 50 % der Fälle [19].

Klinisches Bild des BLIFührende Symptome sind: Dyspnoe, Hypoxie und Hyperkapnie – passend zu dem Schädigungssetting – und charakteristische Veränderungen in der Bildgebung (Röntgenaufnahme des Tho-rax und CT, siehe Abbildung 2). Historisch wird die Entwick-lung einer klinischen Apparenz innerhalb von 24 bis 72 h be-schrieben [10], jedoch konnte Pizov [14] bei der Mehrzahl sei-ner Patienten bereits unmittelbar nach dem Trauma eine klini-sche Symptomatik beschreiben. Eigene Erfahrungen zeigen, dass ein Beobachtungszeitraum von bis zu 48 h, bei entspre-chender Traumagenese, bis zum Auftreten erster charakteristi-

Abb. 1: Idealtypischer Verlauf einer longitudinalen Stresswelle [9]; in diesem Beispiel besteht zum Eintreffzeitpunkt der Detonationswelle ein Überdruck (Ps) von 70 kPa, der innerhalb von t* = 100 ms auf den Ausgangsdruck zurückfällt um danach über einen Unterdruck von 10 kPa etwa 200 ms nach Eintreffen der Druckwelle etwa weitere 300 ms später nahezu auf den Ausgangswert zurückzuschwingen. Auf der y-Achse ist der Differenzdruck zum normalen Umgebungsdruck angegeben.

Abb. 2: Thorax-CT eines Soldaten mit BLI; BLI-typi-sche Kontusionen und Pneumothorax beidseits.

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M. Braun et al.: Das primäre Explosionstrauma der Lunge – Erfahrungen der operativen Intensivstation

scher Symptome erforderlich sein kann. Als Prä-dilektionsstellen werden von Horrocks [7] die medialen, costophrenischen und subpleuralen Lungenanteile beschrieben.

Material und Methode

Es wurden retrospektiv die zur Verfügung stehen-den Gesundheitsakten von verwundeten Soldaten des Afghanistaneinsatzes der Jahre 2005 - 2011 analysiert. Einschlusskriterien waren eine Ver-wundung durch eine Explosion improvisierter Sprengfallen (HME oder militärischer Sprengstoff) mit anschließender Repatriierung ins BwZKrhs Koblenz und Aufnahme auf die Intensivstation der Abteilung X – Anaesthesie und Intensivmedizin. Zur Auswertung kamen die Akten der Intensivstation des BwZKrhs Koblenz, die Medical Reports der MEDEVAC1- Transporte nach Deutschland sowie Labor- und radiologische Befunde. Im Fokus standen dabei insbesondere einfach zu erhe-bende Beatmungs- und Lungenfunktionsparameter (PEEP, Compliance, Oxygenierungsindex und Lung Injury Score), welche in der diskutierten Literatur als prognoserelevant und für die Therapiegestaltung als bedeutend klassifiziert wurden [3, 13, 14]. Da die Lungencompliance und Thoraxwandcompli-ance unter klinischen Bedingungen nicht diskriminierbar sind, wurde die Gesamtcompliance des Atemapparates abgebildet und unter endinspiratorischen und exspiratorisch Zeroflowbe-dingungen am Beatmungsgerät (EVITA 4®) ermittelt [12].

Ergebnisse

Allgemeine DatenIn den untersuchten Jahren wurden 1 610 Soldaten wegen Krankheit, Verletzungen und Verwundungen nach Deutschland repatriiert (Tabelle 1). Bei 641 Soldaten erfolgte die weiterfüh-rende Therapie im BwZKrhs Koblenz. 31 dieser repatriierten Soldaten waren auf Grund einer Explosionsverletzung intensiv-pflichtig, 25 hatten eine Explosionsverletzung der Lunge.

Verwundete mit BLIDie Verwundeten waren zum Zeitpunkt des Intensivaufenthal-tes zwischen 22 und 56 Jahre alt. Es wurden 24 männliche Sol-daten und ein weiblicher Soldat auf der Intensivstation behan-delt. An relevanten Vorerkrankungen war nichts bekannt. Die Patienten wurden zwischen 2 und 57 Tagen (Median: 12 Tage) stationär behandelt. Die Beatmungsdauer lag zwischen 12 h und 1 368 h (Median: 144 h); sie betrug bei 10 % weniger als 45 h, bei 80 % zwischen 45 und 384 h und lag bei 10 % über 384 h. Ein Patient wurde über 1 368 h beatmet.

BegleitverletzungenUnter den, bei Verletzten mit BLI aufgetretenen Begleitverlet-zungen fanden sich häufig Verletzungen im Kopf/Halsbereich,

1 MEDEVAC (Medical Evacuation) steht für Transport eines Patienten zu einer sanitätsdienstlichen Behandlungseinrichtung, in der Regel der nächsthöheren Behandlungsebene. Der Transport nach Deutschland erfolgt fast immer im Rahmen eines STRATAIRMEDEVAC (Strategic Aeromedical Evacuation) als Langstreckentransport aus dem Einsatz-gebiet zur definitiven Versorgung in das Heimatland.

selten Verletzungen parenchymatöser intraabdomineller Orga-ne. Die aufgetretenen Begleitverletzungen werden in Tabelle 2 dargestellt.

Beatmung und LungenfunktionHorovitz Quotient und Lung Injury ScoreDen für ein BLI pathognomonisch veränderten, kalkulierten Horovitz Quotient (HQ) von arteriellem Sauerstoffpartialdruck (paO2) und inspiratorischem Sauerstoffanteil (FiO2) zeigt Ta-belle 3. Bei Aufnahme zeigten 22 Patienten pathologische HQ-Werte. Nach der Berlin Definition des Acute Respiratory Distress Syndrome (ARDS) [14] waren ein Soldat von einem schweren, vier von einem moderaten und elf Soldaten von ei-nem milden ARDS betroffen, neun zeigten nach dieser Definiti-on keine Zeichen eines ARDS. Diese Tendenz zeigte sich auch in der Ermittlung des Lung Injury Score nach Murray (Tabelle 4) [13].

Jahr 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011Gesamtzahl Repatriierungen 187 222 226 222 274 260 441davon ins BwZKrhs Koblenz

78 85 84 69 116 107 103

davon Chirurgie 31 34 26 40 51 62 59 Innere 14 19 25 6 17 13 17 Psychiatrie 4 8 8 8 29 11 8 Sonstige 26 24 25 15 19 21 19

Tab. 1: Repatriierungen 2005 bis 2011

Verletzungsart Anzahl Patienten

Verbrennungen 3Frakturen 12Amputationen 1Verletzung großer Gefäße 1Kopf-/ Halsverletzungen 11Verletzung intraabdomineller parenchymatöser Organe

2

ausgedehnte Weichteilverletungen 12

Tab. 2: Begleitverletzungen zum BLI

HQ Patientenanzahl ARDS-Klassifikation50-100 1 schwer101-200 4 moderat201-300 11 mild301-350 6 pathologisch350-450 3 -

Tab. 3: Klassifizierung der Patienten nach dem Horovitz Quotienten (HQ)

Lung Injury Score Patientenanzahl0 = no lung injury 00,1-2,5 = mild-to moderate lung injury 20>2,5 = severe lung injury 5

Tab. 4: Lung Injury Score nach Murray (13)

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M. Braun et al.: Das primäre Explosionstrauma der Lunge – Erfahrungen der operativen Intensivstation

ComplianceDie Compliance als Maß für die Elastizität des Respirations-

traktes zeigte bei sieben Patienten deutlich pathologische Werte (Tabelle 5). Diese Werte sind mit den Compliancewerten beim aku-ten Lungenversagen (ARDS) ver-gleichbar. Der Großteil der Patien-ten war mit seiner Compliance zwar im subnormalen Bereich, je-doch innerhalb der auch im Rah-men von Allgemeinanästhesien zu erwartenden Werte [13].

Beatmung und positiv endexspiratorischer Druck (PEEP)Alle Patienten wurden druckkontrolliert und lungenprotektiv beatmet. Der positiv endexspiratorische Druck (PEEP) wurde individuell nach dem Best PEEP-Verfahren aufsteigend ermit-telt. Vor der PEEP-Optimierung wurde bei jedem Patienten zum Ausschluss mechanischer Obstruktionen eine fi beroptische Bronchoskopie durchgeführt. In einem incremental PEEP-Trial erfolgte die Erhöhung des PEEP-Niveaus in zwei mbar-Stufen bis maximal 20 mbar bei gleicher Druckamplitude. Anschlie-ßend erfolgten – als Surrogatparameter einer alveolären Rekru-tierung – die Bestimmung des arteriellen Sauerstoff (PaO2)- und des Kohlendioxidpartialdrucks (PaCO2). Als Best PEEP wurde der eingestellte Wert mit höchstem PaO2 bei niedrigstem PaCO2 defi niert [13]. Bei sechs Patienten wurde der PEEP nach Aufnahme im Mittel um 5 mbar erhöht (Abbildung 3). Der durchschnittliche PEEP betrug 12 mbar (5 - 20 mbar).

Diskussion

Von unseren mit Explosionsverletzungen aufgenommenen Ver-letzten hatten 80,6 % ein Explosionstrauma der Lunge. Damit bewegte sich der Anteil BLI-Verletzter an unserer Patientenkli-entel im oberen Anteil der in der Literatur angegebenen Werte [3], was sicher auch als Selektionseffekt durch die Spezifi ka des deutschen Repatriierungsalgorithmus, mit Transport nach

Deutschland innerhalb von maximal 72 h nach Trauma, zu se-hen ist. Die teilweise deutlichen Diskrepanzen in der Literatur sind aber wohl im Wesentlichen auf die unterschiedlichen „Ex-plosionssettings“, zum Beispiel innerhalb oder außerhalb ge-schlossener Räume, zurückzuführen [3, 14]. In unserem Patien-tengut ließen sich, bei nicht vorliegender Dokumentation aus dem Einsatzland, retrospektiv die lokalen Verhältnisse am Ort des Anschlags und damit der Abstand zum Zentrum der Explo-sion nicht sicher nachweisen. Der hohe Anteil an Lungenverlet-zungen lässt jedoch vermuten, dass ein Großteil der Verwun-dungen innerhalb umschlossener „Räume“ stattfand. Die Tatsa-che, dass das Explosionstrauma der Lunge eine mögliche Haupttodesursache und prognosebestimmender Faktor bei pri-mär überlebten Verletzungen nach Bombenanschlägen mit „im-provised explosive device“ (IED) darstellt [11] und eine ver-gleichsweise hohe Inzidenz bei Explosionsverletzungen hat, unterstreicht die Bedeutung einer sicheren Detektion und strin-genten Therapie des BLI.

Ein isoliertes BLI lag in unserem Kollektiv in keinem Fall vor. Dies entspricht den Ergebnissen der umfangreichen Daten des israelischen nationalen Trauma Registers [1]. Während die überwiegend zivilen Opfer in den Untersuchungen von Mellor [12] und Aaronson [1] in bis zu 50 % der Fälle abdominelle Begleitverletzungen hatten, waren in unserer Patientenpopula-tion lediglich zwei Patienten von einer Verletzung parenchy-matöser, abdomineller Organe betroffen. Dieses Fehlen per-forierender Abdominalverletzungen und die häufi geren Begleit-verletzungen im Bereich des Kopfes, Halses und der Extremitä-ten lassen den Schluss zu, dass es sich hierbei um die schützen-de Wirkung einer effi zienten ballistischen Schutzausstattung, unter anderem durch das Tragen einer beschusshemmenden Weste, handelt.

Auffallend war, dass unsere Patienten ein eher moderates ARDS-Bild bei Eintreffen in Deutschland hatten. Sowohl die Werte des HQ (Tabelle 3), die Klassifi zierung nach LIS (Tabel-le 4) als auch die Complianceveränderungen (Tabelle 5) waren in ihrer pathologischen Ausprägung deutlich geringer als in den Daten amerikanischer und israelischer Untersuchungen [1, 14]. Dieses gilt allerdings nur unter dem Aspekt der eingeschränkten Vergleichbarkeit der Kohorten. Auch wenn es sich in den ge-nannten Studien um eine sehr inhomogene Studienpopulation im Vergleich zu dem selektierten Patientenklientel unserer Un-tersuchung handelt, vermuten wir, dass es sich hierbei um einen kombinierten Effekt aus suffi zienter Schutzausstattung und um einen „Lerneffekt“ in der Therapie des BLI handeln könnte. So zeigte sich, dass die hochpathologischen HQ und Com -pliance werte überwiegend bei den Verletzten auftraten, die zu Beginn des Untersuchungszeitraums aufgenommen wurden [4]. Die Patienten wiesen im weiteren Verlauf durch eine diffe-renzierte, stringente Beatmung und intensivmedizinische The-rapie bereits im Einsatzland und deren konsequente Weiterfüh-rung während des STRATAIRMEDEVAC deutlich mildere Formen des BLI bei Eintreffen im Heimatland auf. Leider stan-den uns hierzu nur sehr unvollständige Daten aus dem Einsatz-land zur Verfügung.

Die nach Eintreffen der Verletzten von uns vorgenommenen Veränderungen der Beatmungsparameter betrafen überwiegend Veränderungen des PEEP (Abbildung 3). Wir vermuten, dass die notwendigen Korrekturen Folge der durch den Transport

Compliance ml/mbar

Patienten-anzahl

>80 160-79 240-59 1520-39 6<= 19 1

Tab. 5: Compliance bei Aufnahme

Abb. 3: PEEP bei Aufnahme und auf der Intensivstation

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und die fehlenden kinetischen Möglichkeiten hervorgerufenen atelektatischen Veränderungen der Lunge waren, insbesondere deshalb, da wir im Rahmen der initialen Bronchoskopie bei kei-nem Patienten einen Anhalt für mechanische Obstruktionen hatten.

Zum Thema Beatmungstherapie des BLI gibt es zwar zahlrei-che Veröffentlichungen [2, 3, 4, 14], jedoch kein standardisier-tes Vorgehen. Insbesondere die Applikation von hohen PEEP Werten wird teilweise sehr kontrovers diskutiert. Die Sorge, dass es durch die Applikation endexspiratorisch höherer Drücke zu Luftembolien kommt, führte in früheren Veröffentlichungen [1] zur Forderung, auf diese zu verzichten oder sie zu minimie-ren. Die Erfahrung mit unserer Patientenklientel und auch die umfangreichen Daten der israelischen Arbeitsgruppen um Pi-zov [14] und Avidan [3] zeigen jedoch, dass ein lungenprotekti-ves Beatmungsmuster mit ausreichend hohem, individuell tit-riertem PEEP (Best PEEP mit höchstem PaO2 bei niedrigstem PaCO2) nicht nur therapeutisch sinnvoll, sondern auch sicher durchführbar ist. Eine Luftembolie konnte bei keinem unserer Patienten detektiert werden. Sollten die pathophysiologischen Kriterien einer lungenprotektiven Ventilation allein nicht erfüll-bar sein, so stehen uns Spezialverfahren, wie die Extracorporale Membran Oxygenierung (ECMO) und eine Beatmung mit NO zur Verfügung. In unserem Patientengut musste lediglich ein Patient einer NO-Beatmung unterzogen werden [4]. Die früh-zeitige kinetische Therapie mit Bauchlagerung oder 130°-Lage-rung (Abbildung 4) gehört ebenfalls zum Standardrepertoire in der Behandlung des BLI.

Alle von uns untersuchten Patienten wurden im Einsatzland in-tubiert. Die Indikationen für die Intubationen waren von uns retrospektiv nicht mehr sicher eruierbar. Aus der eigenen und gängigen Praxis ist es – nicht zuletzt aus transporttaktischen Gründen – sinnvoll, initial intubierte Patienten zum und beim MEDEVAC-Transport intubiert und beatmet zu lassen. Ob eine gesicherte Intubationsindikation vor Ort bestand, konnte von uns nicht überprüft werden und war auch nicht Gegenstand der vorliegenden Untersuchung. Hier fehlen außerdem auswertbare Daten.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass das BLI im Rah-men von Explosionsverletzungen eine regelhaft auftretende und prognosebestimmende Traumafolge darstellt. Eine frühzei-

tige Diagnostik und individuell angepasste protektive Beat-mungstherapie bereits im Einsatzland und die kontinuierliche Gewährleistung dieser Beatmungstherapie während des Trans-portes führten bei unseren Patienten zu einem sehr guten Out-come. Bei unserer retrospektiven Untersuchung zeigte sich das Prob-lem der unzureichenden Datenlage auf Grund eines fehlenden Einsatzregisters für Verwundete. Erst auf dessen Grundlage lie-ße sich dann unter anderem die Frage nach der Notwendigkeit einer Intubation nur auf Grund der Diagnose „Blast Lung In-jury“ beantworten.Eine konsequente systematische Datenerhebung im Einsatz-land, die ihre Fortschreibung beim Transport (MEDEVAC), der klinischen Behandlung und letztlich auch bis hin zur Rehabili-tation fi ndet, wird auch für die optimale Therapie des BLI hilf-reich sein. Dieses ist ein weitere Grund, die herausragende Be-deutung eines „Einsatzregisters“ erneut zu betonen und im Inte-resse unserer verwundeten Soldatinnen und Soldaten seine Re-alisierung zu fordern.

Literatur

1. Aharonson-Daniel, L. et al.: Suicide Bombers Form a New Injury Profi le. Annals of Surgery 2006: Vol 244, No 6: 1018-1023.

2. Aschkenasy-Steuer, G.: Clinical review: The Israeli experience: conventional terrorism and critical care. Critical Care 2005 Vol 9, Nr. 5: 490-499.

3. Avidan, V : Blast lung injury: clinical manifestations, treatment and outcome. The American Journal of Surgery 2005: 190: 927-931.

4. Braun, M. et al.: Explosionstrauma der Lunge nach Terroran-schlag. Wehrmed. Mschr. 2006: 50: 49-51.

5. D’yachenko, A. I. et al.: Modeling of weak blast wave propagation in the lung. Journal of Biomechanics 2006: 39: 2113-2122.

6. Elsayed, N. M. et al.: Pulmonary Biochemical and Histological alterations after Repeated Low-Level Blast Overpressure Expo-sures. Advance Access publication 2007: 95(1): 289-296.

7. Horrocks, C.L.: Blast Injuries: Biophysics, Pathophsiology and Management Principles. J R Army Med Corps: 2001: 147: 28-40.

8. Ho, A. : A simple conceptual model of primary pulmonary blast injury. Medical Hypotheses: 2002: 59: 611-613.

Abb. 4: Bauchlagerung eines Patienten mit BLI

Kernaussagen / Schlussfolgerungen• Patienten mit Explosionsverletzungen sind häufi g von einer

Verletzung der Lunge betroffen.• Ein isoliertes Explosionstrauma der Lunge tritt selten auf.• Auf Grund der hohen Inzidenz und Mortalität des Explosi-

onstraumas der Lunge ist eine frühzeitige Detektion und stringente Therapie bereits im Einsatzland erforderlich.

• Eine bereits im Einsatzland begonnene und während des Transportes konsequent kontinuierlich fortgeführte, diffe-renzierte lungenprotektive Beatmung scheint in dem be-trachteten Patientenkollektiv prognoserelevant.

• Der Einsatz von einem ausreichend hohen PEEP führte in unserem Patientengut in keinem Fall zur Luftembolie.

• Bei suffi zienter und zeitnaher Therapie hat das primär über-lebte Explosionstrauma der Lunge ein sehr gutes Outcome.

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9. Iremonger, M. J.: Physics of Detonations and Blast-waves. Scien-tifi c foundations of Trauma, Ed: Graham J. Cooper, A. F. Dudley, Butterworth-Heinemann: 1997: Section 3: 189-199.

10. Lavery, G. G.: Management of blast injuries and shock lung. Cur-rent Opinion in Anaesthesiology 2004: 17: 151-157.

Bildquellen:Abbildung 1: Fisico2000 (Own work) [CC BY-SA 3.0 (http://creati-vecommons.org/licenses/by-sa/3.0)] (modifi ziert)Abbildungen 2 und 4: BwZKrhs Koblenz

Manuskriptdaten:Eingereicht: 4. Juli 2015Revidierte Fassung angenommen: 19. Oktober 2015

Zitierweise:Braun M, Goldmann K: Das primäre Explosionstrauma der Lunge - Erfahrungen der operativen Intensivstation des Bundeswehrzentral-krankenhauses Koblenz aus sechs Jahren Afghanistaneinsatz. Wehr-medizinische Monatsschrift 2015; 59(11): 334-339.

Anschrift für die Verfasser:Oberfeldarzt Dr. Michael Braun MBAStellv. klinischer DirektorKlinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin,Notfallmedizin und SchmerztherapieBundeswehrzentralkrankenhaus KoblenzRübenacherstr. 170, 56076 KoblenzE-Mail: [email protected]

Der Beitrag wird mit dem vollständigen Literaturverzeichnis im Internet unter www.wehrmed.de veröffentlicht.

Aus der Abteilung Anästhesie und Intensivmedizin (Abteilungsleiter: Oberstarzt Dr. H. Lischke) des Bundeswehrzentralkrankenhauses Koblenz (Chefarzt: Generalarzt Dr. J. Brandenstein)

Aktuelle Arzneimittel zur Gefechtsfeldanalgesie

Actual Analgetics in Battlefi eld-Analgesia

Dennis Matthias Ritter

Zusammenfassung

Hintergrund: Bei der Behandlung von Verletzungen nimmt die effektive Schmerzstillung einen hohen Stellenwert ein. Dieses gilt auch für die Versorgung von einsatzbedingten Verletzungen. Im klinischen Alltag, wie in der präklinischen Notfallmedizin, fi nden hierbei zahlreiche verschiedene Arz-neimittel Anwendung. In Bezug auf ihre Verwendbarkeit im militärischen Einsatz – besonders auch im Rahmen der Selbst- und Kameradenhilfe – sollen mit dieser Arbeit die gängigsten Analgetika einander gegenübergestellt werden.Methode: Recherche in medizinischen Datenbanken (MED-LINE, PubMed) und Publikationen der NATO; Bewertung der Vor- und Nachteile unter wehrmedizinischen Gesichts-punkten in einem AmpelsystemErgebnisse: Es stehen verschiedene Analgetika mit unter-schiedlichen Applikationsformen und Wirkungsstärken zur Verfügung, deren Verwendung im militärmedizinischen Ein-satz denkbar ist. Eine eindeutige Empfehlung kann aber der-zeit noch nicht gegeben werden. Schlussfolgerungen: Es gibt derzeit kein für den militärischen Einsatz ideal geeignetes Analgetikum. Oral und nasal applizierbare Fentanyl-Derivate und Ketamin be-sitzen das Potenzial für den Einsatz, auch im Rahmen der Selbst- und Kameradenhilfe. Sie sollten daher einer einge-henden wissenschaftlichen Betrachtung unterzogen werden. Schlüsselworte: Gefechtsfeldanalgetikum, Selbst- und Ka-meradenhilfe, Schmerzstillung, Fentanylderivate, Ketamin

Summary

Background: Suffi cient analgesia is of high importance in treatment of injuries – even in cases of battlefi eld trauma. A variety of different analgesic drugs are used in hospital care as well as in prehospital emergency medicine. Relating to their usability in a combat environment – with focus on fea-sibility for fi rst care issues – this article compares the most common analgesics.Methods: Literature review in medical Databases (MED-LINE, PubMed) and NATO publications; assessment of advan-tages and disadvantages by using red-yellow-green indicators.Results: Different analgesic drugs with different ways of ap-plication are available, which seem to be suitable for use in military medicine. But no ideal drug can be defi nitely recom-mended.Conclusions: An ideal analgesic drug for battlefi eld use can-not be identifi ed by now. Nasal and oral applicable derivates of Fentanyl and Ketamin have the capability for fi rst aid use and should be investigated intensively.Keywords: battlefi eld analgetic, buddy and fi rst aid, analge-sia, Fentanyl, Ketamin

Einleitung

„Es ist leichter, Männer zu fi nden, die bereit sind, zu sterben, als solche, die bereit sind, Schmerzen mit Geduld zu ertragen!“ (Julius Caesar, 101-44 vor Christus)

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Eindringlicher kann man die Bedeutung einer wirkungsvollen Schmerzbekämpfung im Falle einer Verwundung im Einsatz kaum darstellen. Trotz der Verfügbarkeit einer breiten Palette hochwirksamer Schmerzmittel kann auch mehr als 2 000 Jahre nach Caesars Feststellung nicht das ideale Analgetikum für die Anwendung im militärischen Umfeld genannt werden.Basierend auf den Einsatzerfahrungen des Autors müssen an dieses ideale „Gefechtsfeld-Analgetikum“ folgende Anforde-rungen gestellt werden:1. Hohe analgetische Potenz;2. Große therapeutische Breite;3. Schneller Wirkeintritt;4. Keine wesentlichen Nebenwirkungen;5. Erhalt von Handlungsfähigkeit und (eingeschränkter) Ein-

setzbarkeit;6. Anwendbarkeit am Patienten unabhängig von dessen Zu-

stand;7. Leicht zu applizieren;8. Sichere Gabe auch durch nicht-medizinisches Personal;9. Stabil auch unter schwierigen Umwelt- und Temperaturbe-

dingungen;10. Geringes Gewicht;11. Kompakte Verpackung.Bewertet man diese Anforderungen, so ist naheliegend, dass der-zeit kein auf dem Markt verfügbares Arzneimittel allen gerecht werden kann. So zeigen auch Erfahrungen der US-Streitkräfte in Afghanistan, dass lediglich 39 % aller Verwundeten am Ort ihrer Verletzung eine Schmerzmedikation erhielten, 92 % aber spätes-tens während der Tactical Evacuation ein Analgetikum aus der Gruppe der Opioide oder Ketamin bekamen [40]. 61 % aller Ver-wundeten mussten über eine mehr oder weniger lange Zeit Schmerzen erdulden. Erst nach Übergabe der Patienten von den auf dem Gefechtsfeld erstversorgenden „Combat Medics“ an den Sanitätsdienst erfolgte eine adäquate Schmerzbehandlung. Ziel muss es deshalb sein, auch den medizinischen Laien zu be-fähigen, eine suffi ziente Analgesie mit einem größtmöglichen Maß an Sicherheit durchführen zu können. Zu beachten ist wei-terhin, dass gerade die im zivilen Rettungsdienst gängige intrave-nöse Applikation von Arzneimitteln im militärmedizinischen Kontext nicht unkritisch ist. Es muss nicht nur mehr Material mitgeführt werden (unter anderem Venenzugang, Infusion, Des-infektionsmittel, Befestigungsmaterial), sondern auch die Anlage des Venenzuganges ist je nach taktischer Lage nicht möglich und nimmt darüber hinaus auch wertvolle Zeit in Anspruch.Mit der im Folgenden vorgenommen Betrachtung und Bewer-tung der aktuell gängigen Arzneimittel für die Schmerztherapie wird unter Berücksichtigung ihrer Dosierungen, Wirkungswei-se sowie Vor- und Nachteile soll eine Übersicht über den derzei-tigen Stand der Gefechtsfeld-Analgesie gegeben und eine Be-wertung des Erfüllungsgrades der wehrmedizinischen Anforde-rungen vorgenommen werden.

AnalgetikaMorphiumMorphin wurde 1804 durch den deutschen Pharmazeuten Ser-türner1 erstmalig synthetisiert und im Journal der Pharmacie

1 Friedrich Wilhelm Anton Sertürner (1783 - 1841) veröffentlichte sei-ne Entdeckung im Jahre 1806 im Journal der Pharmacie unter dem Titel: „Darstellung der reinen Mohnsäure (Opiumsäure) nebst einer wissenschaftlichen Untersuchung des Opiums mit vorzüglicher Hin-sicht auf einen darin neu entdeckten Stoff.“

1806 publiziert. Seit 1848 wird es industriell hergestellt und zählt zu den Opiaten. Zum damaligen Zeitpunkt war es das stärkste verfügbare Analgetikum und wird seither in nahezu je-dem militärischen Konfl ikt verwendet. Erstmalig beschrieben wurde die Anwendung im Krim-Krieg (1853 - 1856). Speziell die intramuskuläre Injektion war seit dem 19. Jahrhundert – vor allem während der beiden Weltkriege – der Standard in der Ge-fechtsfeldanalgesie [1]. Wirkweise, Pharmakodynamik und Pharmakokinetik sind daher bestens bekannt.

Morphin kann auf verschiedene Arten dem Patienten appliziert werden: Oral, bukkal, intravenös (i. v.), intramuskulär (i. m.) oder subcutan (s. c.). Es handelt sich um einen fast reinen µ-Rezep-tor-Agonisten mit einem geringen Effekt am Ƙ-Rezeptor. Nach Applikation unterliegt es einem hepatischen First-Pass-Effekt, der die Bioverfügbarkeit reduziert. Es wird renal eliminiert bei einer mittleren Wirkdauer von zwei bis vier Stunden, ohne nach erneuter Gabe eine kumulative Wirkung zu entwickeln. Generell haben Opioide und Opiate folgende Nebenwirkungen [14]:

Atemwege und Beatmung: • Atemdepression;• Antitussiver Effekt;• Erhöhte Thoraxrigidität;• Bronchiale Konstriktion.

Kreislauf:• Bradykardie;• Moderate Hypotension;• Venöses Pooling;• Negative Inotropie.

Weitere Nebenwirkungen:• Hypothermie;• Miosis;• Obstipation;• Erhöhter Sphinktertonus der glatten Muskulatur;• Übelkeit und Erbrechen;• Juckreiz.

Suchtverhalten: • Hohes Suchtpotenzial, jedoch nicht im Rahmen der Akut-

schmerztherapie.

Morphin hat außer diesen Nebenwirkungen zusätzlich Auswir-kungen auf die Psyche, wie zum Beispiel Auslösung von Eu-phorie, Dysphorie oder Apathie [14]. Ebenfalls sind anaphylak-

Abb. 1: Morphin-Autoinjektor der Bun-deswehr

Abb. 2: Strukturfomel von Morphin

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tische Reaktionen auf Grund seiner Histamin-Liberation be-schrieben [14].

Derzeit ist militärmedizinisch innerhalb der Bundeswehr die i. m.-Gabe der Standard. Zwar ist damit insgesamt eine weitge-hende Erfahrung vorhanden, dennoch bleiben einige Kritik-punkte bestehen. Zum einen birgt die i. m.-Gabe die Gefahr der Wundkontamination, bedingt durch die Perforation des ver-schmutzten Uniformstoffes; zum anderen sind der genaue Wir-keintritt und die Dauer bis zum Erreichen des Wirkmaximums nicht vorhersehbar. Eine jüngst publizierte Studie der britischen Streitkräfte ergab, dass weder medizinisches Personal, noch Pa-tienten mit dieser Methode zufrieden waren [1].

Im Gegensatz hierzu ist die i. v.-Gabe in vielen Ländern der Goldstandard in der Notfallmedizin. Hierbei wird eine Dosie-rung 0,05 - 0,1 mg/kg KG empfohlen [6]; bei s. c.-Gabe min-destens 0,1 mg/kg KG. Die maximale Wirkung tritt nach 15 - 30 min ein, was bei einer repititiven Gabe unbedingt berück-sichtigt werden muss [8].

In welchem Umfang Morphium die Anforderungen an ein „ide-ales“ Gefechtsfeld-Analgetikum erfüllt, zeigt Tabelle 1.

Naloxon

Im Zusammenhang mit Morphin muss Naloxon Erwähnung finden, dessen geringe analgetische Potenz es für einen Einsatz als eigenständiges Analgetikum bedeutungslos macht. Es ist aber im Falle einer akzidentellen Überdosierung von Opioiden oder Opiaten das Mittel der Wahl. Es soll bei einer Atemdepres-sion bis zum Eintreten der Spontanatmung langsam titriert ge-geben werden. Bedauerlicherweise treten hierbei häufig die Schmerzen wieder auf, die der Grund für die Behandlung mit dem Opioid-Analgetikum waren. Die Wirkung tritt in der Regel nach ein bis zwei Minuten auf und hält für ca. 30 min an. Dies muss zwingend bedacht werden, da es Opiate gibt, deren Wirk-dauer weit darüber hinaus gehen. Patienten, die mit Naloxon antagonisiert worden sind, müssen in Folge klinisch, besser un-ter Zuhilfenahme eines Pulsoxymeters, überwacht werden, bis die Wirkung abgeflaut ist und der Patient keine weiteren Ne-benwirkungen aufweist. Üblicherweise werden 0,04 – 0,08 mg i. v. gegeben mit einer Maximaldosis von 0,4 mg [14].

KetaminKetamin wurde 1962 durch Calvin L. Stevens erstmalig synthe-tisiert. Es ist ein NMDA2-Rezeptor-Antagonist und in größeren Dosierungen auch in der Lage, sich an den µ-Rezeptor Typ 2 zu binden [7]. Ketamin hat eine große Bandbreite an Effekten auf den mensch-lichen Körper. Es bewirkt eine schnell einsetzende Analgesie, reduziert Übelkeit und Erbrechen, kann in höherer Dosierung zur Bronchodilatation eingesetzt werden und hilft, Opiate ein-zusparen. Des Weiteren wird es in der Notfallmedizin gerne zur Analgesie bei hypotensiven Patienten verwendet. Wichtige Ne-benwirkungen sind Halluzinationen, Hyperakusis und Hypersa-livation [10, 41].Die Applikation kann auf verschiedenste Arten erfolgen: nasal, i. v., i. m., s. c., oral, transdermal, sublingual, rektal sowie spinal und epidural. Heutzutage findet die nasale Applikationsform immer mehr Anklang [8, 17]. Ketamin ist als Razemat mit den optischen Isomeren S(+) und R(-) erhältlich, wobei beim reinen S(+)-Ketamin, Freiname Esketamin, die Wirksamkeit deutlich erhöht ist und prohalluzinogene Nebenwirkungen weniger stark ausgeprägt sind [43]. Die Dosierungsempfehlungen zur reinen Analgesie sind niedri-ger als die zur Erzeugung einer narkotischen Wirkung. Je höher die je Kilogramm Körpergewicht verabreichte Dosis ist, desto höhere zentralnervöse Strukturen werden angesprochen [14]. Bei einer rein analgetischen Dosis werden thalamische Struktu-ren nur teilweise erregt, wohingegen bei höherer Dosierung auch neo-corticale Wirkungen erzielt werden [14]. Zur Analgesie werden je nach Applikationsform folgende Do-sen des Eskatamin empfohlen:• i. m.: 0,44 - 1,00 mg/kg KG [14],• i. v. : 0,20 - 0,50 mg/kg KG [14, 41],• nasal: 0,05 - 0,70 mg/kg KG [10, 14].Um die halluzinogenen Nebenwirkungen zu minimieren, emp-fiehlt sich die Kombination von Ketamin mit Benzodiazepinen oder Propofol. Die narkotische Dosierung beträgt 1 – 2 mg/kg KG i.v. oder 5 - 7 mg/kg KG i. m. Eine solche Dosierung führt beim Patienten zu einer sogenannten „dissoziativen Analgesie“, welche am ehesten mit einem kataleptischen beziehungsweise hypnotischen Status beschrieben werden kann [41]. Hierbei können Patienten Amnesie oder Albträume haben und manch-mal laut schreien. Die Ursache hierfür scheint in der Erregung des limbischen Systems zu liegen [14]. Dies kann im Abklingen der Wirkung ebenfalls zu einer gesteigerten körperlichen Akti-vität und Aggression führen. Vor diesem Hintergrund empfiehlt es sich dringend, Soldaten vor der Gabe von Ketamin zu ent-waffnen. Darüber hinaus bleiben normalerweise die Schutzre-flexe größtenteils erhalten. Absolute Kontraindikationen [14, 43] für Ketamin sind:• schlecht eingestellter oder nicht behandelter Bluthochdruck

mit Werten >180/100 mmHg in Ruhe,• durch Schwangerschaft verursachter Bluthochdruck mit Pro-

teinurie und Krämpfen;

2 NMDA steht für N-Methyl-D-Aspartat (NMDA), einen Stoff, der im Körper normalerweise nicht vorkommt. Es bewirkt im Experiment eine Öffnung der Ionenkanal-Untereinheit der entsprechenden NMDA-Rezeptoren.

Tabelle 1: Erfüllung der Anforderungen an ein Gefechtsfeld-Analgeti-kum durch Morphium (grün = vollständige, gelb = eingeschränkte und rot = keine Erfüllung der Anforderungen)

Hohe analgetische PotenzGroße therapeutische BreiteSchneller WirkeintrittKeine wesentlichen NebenwirkungenErhalt von Handlungsfähigkeit und (eingeschränkter) EinsetzbarkeitAnwendbarkeit am Patienten unabhängig von dessen ZustandLeicht zu applizierenSichere Gabe auch durch nicht-medizinisches PersonalStabil auch unter schwierigen Umwelt- und TemperaturbedingungenGeringes GewichtKompakte Verpackung

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• nicht oder ungenügend behandelte Hyperthreose,• Situationen, die einen muskelentspannten Uterus erfordern,

zum Besipiel drohende Uterusruptur oder Nabelschnurvorfall,• Stillzeit, sofern keine vitale Indikation vorliegt.Die Bewertung von Ketamin und Esketamin im Hinblick auf seine Eignung als Gefechtsfeldanalgetikum zeigt Tabelle 2:

Nichtsteroidale Antiphlogistika (NSAIDS)NSAIDS kommen bei leichten bis mittleren Schmerzen zur An-wendung. Neben Ibuprofen wird bei stärkeren Schmerzen gerne Ketorolac i.m. verwendet. Orale NSAIDS, wie Acetamoniphen, sind auch im täglichen Gebrauch im Rahmen der truppenärztli-chen Sprechstunde. Generell bleibt aber festzustellen, dass all die-se Präparate nicht in der Lage sind, eine adäquate Schmerzthera-pie bei schweren Verletzungen, wie zum Beispiel bei schweren Explosions- oder anderen Mehrfachverletzungen bis hin zum Po-lytrauma, zu gewährleisten. Des Weiteren bestehen nicht nur in der Langzeittherapie drei Hauptprobleme in der Anwendung: • Erhöhte Inzidenz von gastro-intestinalen Reizungen oder Blu-

tungen [11, 13],• Gefahr akuten Nierenversagens, speziell in Kombination mit

Dehydratation [11, 13],• Thrombozytenaggregationshemmung [12].Die Konsensuskonferenz des „Committee on Tactical Combat Casualty Care“ empfi ehlt den Gebrauch von COX-2-Inhibito-ren als Basisanalgesie bei militärischen Operationen. Manche Einheiten wurden daher mit sogenannten „wound packs“ aus-gestattet, in denen Acetamoniphen und Flourquinolone (zur In-fektionsprävention) enthalten sind [43].

FentanylFentanyl wurde 1960 durch J. Jansen [16] synthetisiert und wirkt rund 100-mal stärker analgetisch als Morphin.

Wie viele andere Opioide kann Fentanyl auf verschiedenste Ar-ten appliziert werden. Neben der transdermalen und i.v.-An-wendung wurden speziell zur Behandlung des Tumordurch-bruchschmerzes bei chroni-

schen Schmerzpatienten die nasale, bukkale und sublinguale Gabe etabliert, welche für eine militärmedizinische Anwen-dung sehr relevant sind [42, 43].

Intravenöse Fentanyl-Gabe

Bei i. v.-Gabe erreicht Fentanyl seine maximale Plasmakonzen-tration bereits nach fünf Minuten [18]. Nach Bolusgabe wird es schnell vom Plasma in stark vaskularisiertes Gewebe umver-teilt, bevor es etwas später in Muskulatur und Fettgewebe nach-weisbar ist. Nach der initialen Equilibration erfolgt eine Rück-verteilung in das Plasma, welches seine lange Halbwertszeit von 3 - 8 Stunden erklärt [20]. Die Dosierung bei der i. v.-Gabe beträgt 1 - 2,5 µg/kg KG als Bolus [19].

Bedingt durch die Speicherung im Fettgewebe kann Fentanyl bei repetitiver Bolusgabe oder Dauerinfusion akkumulieren. Die Eli-mination erfolgt zu 75 % renal und zu 9 % durch Umwandlung in inaktive Metabolite, welche über den Faeces ausgeschieden wer-den [20]. Bedeutendster Nachteil für die militärmedizinische An-wendung bleibt die Notwendigkeit des i.v.-Zuganges. Dies setzt neben einer entsprechenden Ausbildung auch ein deutliches Mehr an Material und somit Verpackung (Volumen) voraus. Diese As-pekte sind nicht unerheblich bei der Betrachtung und Entschei-dung, welches Analgetikum in Zukunft sinnvoll für die Selbst- und Kameradenhilfe sein kann. I.v.-applizierbares Fentanyl wird wie in Tabelle 3 dargestellt bewertet.

Transdermale Applikation von Fentanyl

Die transdermale Applikation ist im Rahmen der Schmerzthera-pie bei chronischen Schmerzen ein sehr gebräuchliches Verfah-ren. Die Lipophilie, in Kombination mit dem geringen Moleku-largewicht sowie seiner exzellenten Fähigkeit, die Haut zu durchdringen, welche etwa 1 000-mal stärker ausgeprägt ist als bei Morphin, machen Fentanyl zu einem für die Indikation „chronischer Schmerz“ sehr gut geeigneten Wirkstoff. Nachtei-lig ist eine um bis zu einem Drittel stärkere Absorption bei er-höhter Körperkerntemperatur, speziell bei Temperaturen über 40 °C [22, 23]. Auf Grund des langsamen Anstiegs der wirksa-men Plasmakonzentration ist transdermal applizierbares Fenta-nyl für die Gefechtsfeldanalgesie allerdings ungeeignet [24].

Wie viele andere Opioide kann Fentanyl auf verschiedenste Ar-ten appliziert werden. Neben der transdermalen und i.v.-An-wendung wurden speziell zur Behandlung des Tumordurch-Abb. 3: Strukturformel von

Fentanyl

Tabelle 3: Erfüllung der Anforderungen an ein Gefechtsfeld-Analgeti-kum durch i.v.-applizierbares Fentanyl (grün = vollständige, gelb = eingeschränkte und rot = keine Erfüllung der Anforderungen)

Hohe analgetische PotenzGroße therapeutische BreiteSchneller WirkeintrittKeine wesentlichen NebenwirkungenErhalt von Handlungsfähigkeit und (eingeschränkter) EinsetzbarkeitAnwendbarkeit am Patienten unabhängig von dessen ZustandLeicht zu applizierenSichere Gabe auch durch nicht-medizinisches PersonalStabil auch unter schwierigen Umwelt- und TemperaturbedingungenGeringes GewichtKompakte Verpackung

Tabelle 2: Erfüllung der Anforderungen an ein Gefechtsfeld-Analgeti-kum durch Ketamin (grün = vollständige, gelb = eingeschränkte und rot = keine Erfüllung der Anforderungen)

Hohe analgetische PotenzGroße therapeutische BreiteSchneller WirkeintrittKeine wesentlichen NebenwirkungenErhalt von Handlungsfähigkeit und (eingeschränkter) EinsetzbarkeitAnwendbarkeit am Patienten unabhängig von dessen ZustandLeicht zu applizierenSichere Gabe auch durch nicht-medizinisches PersonalStabil auch unter schwierigen Umwelt- und TemperaturbedingungenGeringes GewichtKompakte Verpackung

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Oral-transmucosale Gabe von Fentanyl Eine weitere Applikationsmöglichkeit ist die bukkale bezie-hungsweise oral-transmucosale Gabe von Fentanyl. Hierzu ste-hen unter anderem die Präparate Actiq® oder Oralet® zur Verfü-gung. Actiq® wird derzeit in Teilbereichen der Bundeswehr be-reits verwendet. Vorteil ist hierbei, dass ein venöser Zugang als Basis entfällt. Der Patient muss lediglich den „Fentanyl-Lollie“ in seinen Mund an der Wangenschleimhaut platzieren und wir-ken lassen. Entscheidend ist, dass dabei ein Verschlucken des Wirkstoffes vermieden wird, da sonst durch den First-Pass-Ef-fekt in der Leber rund 75 % des Fentanyl durch das Isoenzym Cytochrom P 450 3A4 zu Norfentanyl umgewandelt und inak-tiviert werden [3]. Zum Erreichen eines maximalen Plasmawi-rkspiegels ist es erforderlich, dass der Lutscher mindestens 20 Minuten in situ verbleibt, wobei eine erste Wirkung nach 5 - 15 Minuten beschrieben wird [25, 26]. Die Wirkdauer beträgt anschließend rund zwei Stunden [27]. Eine Cochrane-Recher-che zeigte deutlich den Nutzen in der Therapie des Tumor-durchbruchschmerzes und bei akuten Schmerzzuständen, unter anderem bei Migränepatienten [28], postoperativ bei Patientin-nen nach Hysterektomie und zur Behandlung von Verbren-nungspatienten bei Verbandwechseln [27, 28]. Studien mit gro-ßen Fallzahlen stehen leider außerhalb der Behandlung des Tu-mordurchbruchschmerzes nicht zur Verfügung, so dass zur Zeit nur eine geringe Evidenz hinsichtlich einer Anwendung im notfallmedizinischen Bereich besteht. Ein weiterer Nachteil besteht darin, dass zum Erreichen eines adäquaten Plasmawirkspiegels eine ausreichende Salivation der Schleimhäute notwendig ist [31]. Übertragen auf eine Gefechts-situation muss dies beachtet werden. Erfahrungen innerhalb der US-Streitkräfte aus der Operation „Iraqi Freedom“ zeigten, dass Verpackung und Temperaturstabilität ausreichend waren [43]. Als Nebenwirkung wurden Pruritus (50 – 60 %), Erbre-chen (40 %) und zwischenzeitlicher Abfall der pulsoxymetrisch bestimmten Sauerstoff-Sättigung unter 94 % bei bis zu 24 % der Fälle beschrieben [3]. Insgesamt kann Actiq® wie in Tabelle 4 dargestellt, bewertet werden.

Intranasal appliziertes Fentanyl Die intranasale Anwendung von Fentanyl (INF) stellt eine nicht-invasive, einfache Art der Applikation dar. Sie hat den

wesentlichen Vorteil, dass der First-Pass-Effekt umgangen wer-den kann. Ebenfalls ist eine Anwendung bei Patienten mit Übel-keit und Erbrechen möglich. Mit Instanyl® steht ein Präparat mit Dosierungen von 25, 50, 100 und 200 µg/Hub zur Verfügung, bei maximal zu applizierenden zehn Sprühstößen. In einer Pi-lotstudie, bei der die intravenöse, bukkale und intranasale An-wendung verglichen wurden, konnte ein schnelleres Erreichen des maximalen Plasmawirkspiegels durch die intranasale Ap-plikation nachgewiesen werden [18].2006 wurde in einer australischen Studie INF mit i. v. verab-reichtem Morphin im Rahmen einer präklinischen Anwendung bei unterschiedlichen Indikationen (Trauma, internistische Er-krankungen, sonstige starke Schmerzzustände) verglichen. Zu-sammenfassend konnte kein wesentlicher Unterschied in der Qualität der Analgesie und der Schmerzreduktion festgestellt und darüber hinaus keine wesentlichen Nebenwirkungen nach-gewiesen werden [38].Eine weitere randomisierte, doppelblinde, placebokontrollierte Studie verglich INF mit i. v.-Morphin bei 67 Kindern im Rahmen der Akutschmerztherapie bei Trauma in der Notaufnahme (Durch-schnittsalter: 10 Jahre). INF erwies sich hierbei als äquipotent bei einer Dosierung von 1,7 µg/kg KG [39]. Anzumerken ist weiter-hin, dass die dänische Armee derzeit die Einführung eines Fenta-nyl-Nasensprays plant, mit dem zur Vermeidung einer Überdo-sierung lediglich zwei Hübe appliziert werden können. Hinsicht-lich einer Stabilität oberhalb eines Temperaturbereiches von 30 °C liegen noch keine Daten vor; ferner ist ebenfalls von einer Anwen-dung bei bereits bewusstseinsgetrübten Patienten abzusehen. Die Bewertung von INF ist in Tabelle 5 zusammengefasst.

Sublingual applizierbares FentanylAktuell werden weitere Applikationsformen von Fentanyl er-probt. Unter anderem steht eine Zubereitung als bukkal auflös-barer Film zur Verfügung, der auf einem neuartigen transmuco-salem Transportsystems beruht, welches aus Polyvinylpyroli-don (PVP) besteht. Die Transmission des Wirkstoffes erfolgt ph-abhängig [32].Vergleichbar hierzu ist der Fentanyl-Sublingualfilm. Hier wird eine dünner Film mit bioadhäsiver Oberfläche, in den die wirk-same Substanz eingebettet ist, sublingual platziert. In-vitro-Stu-dien zeigten, dass dieser Film schnell desintegriert und den

Tabelle 4: Erfüllung der Anforderungen an ein Gefechtsfeld-Analgeti-kum durch oral-transmucosal appliziertes Fentanyl (grün = vollständige, gelb = eingeschränkte und rot = keine Erfüllung der Anforderungen)

Hohe analgetische PotenzGroße therapeutische BreiteSchneller WirkeintrittKeine wesentlichen NebenwirkungenErhalt von Handlungsfähigkeit und (eingeschränkter) EinsetzbarkeitAnwendbarkeit am Patienten unabhängig von dessen ZustandLeicht zu applizierenSichere Gabe auch durch nicht-medizinisches PersonalStabilität auch unter schwierigen Umwelt- und Temperaturbedin-gungenGeringes GewichtKompakte Verpackung

Tabelle 5: Erfüllung der Anforderungen an ein Gefechtsfeld-Analgeti-kum durch intranasal bzw. sublingual appliziertes Fentanyl (grün = vollständige, gelb = eingeschränkte und rot = keine Erfüllung der Anforderungen)

Hohe analgetische PotenzGroße therapeutische BreiteSchneller WirkeintrittKeine wesentlichen NebenwirkungenErhalt von Handlungsfähigkeit und (eingeschränkter) EinsetzbarkeitAnwendbarkeit am Patienten unabhängig von dessen ZustandLeicht zu applizierenSichere Gabe auch durch nicht-medizinisches PersonalStabil auch unter schwierigen Umwelt- und TemperaturbedingungenGeringes GewichtKompakte Verpackung

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Wirkstoff abgibt [33]. Im Rahmen einer ersten klinischen An-wendungsbeobachtung konnten erste Plasmakonzentrationen binnen 8 - 11 min nachgewiesen werden [35].

Ebenfalls sublingual wird Abstral® appliziert. Der wesentliche Vorteil besteht auch hier in der einfachen, nicht-invasiven Dar-reichung im Rahmen der Eigenmedikation. Binnen Sekunden löst sich die Tablette auf und hinterlässt einen leicht süßlichen Geschmack unter der Zunge [35]. Die Dosierung beträgt je nach Tablette zwischen 50 und 800 µg. Abstral® muss in etwa

doppelter Menge im Vergleich zur intravenösen Gabe von Fen-tanyl gegeben werden [42]. Der schnelle Wirkeintritt binnen fünf Minuten, der deutlich unter dem von Actiq® liegt, in Ver-bindung mit dem geringen Gewicht und der kleinen Ver-packungsgröße lassen erwarten, dass es sich hierbei um einen erfolgversprechenden Weg zur Etablierung eines zukünftigen Gefechtsfeldanalgetikums der Bundeswehr handeln könnte [37]. Näheres hierzu muss aber noch durch ein bevorstehendes wehrmedizinisches Forschungsvorhaben untersucht werden, welches durch den Autor derzeit umgesetzt wird. Analog zum Instanyl® fehlen jedoch auch hier Daten zur Temperaturstabili-tät oberhalb von 30 °C. Tabelle 5 zeigt die gleiche Bewertung von sublingual wie von nasal applizierbarem Fentanyl.

Fazit

Für die Akutschmerztherapie stehen bereits heute mehrere, vielversprechende Wirkstoffe/ Wirkstoffklassen und Arzneimit-tel zur Verfügung. Allerdings gibt es hinsichtlich ihrer Be-herrschbarkeit durch eventuell sogar nicht-medizinisches Per-sonal – und damit letztendlich ihrer Einsatztauglichkeit – teil-weise erhebliche Unterschiede, die in Tabelle 7 in einer Ge-samtübersicht dargestellt werden.

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Tabelle 6: Zusammenfassung der Bewertungen (grün = vollständige, gelb = eingeschränkte und rot = keine Erfüllung der Anforderungen an ein ideales Gefechtsfeldanästhetikum)

Wirkstoff / Präparat

Eignungs-kriterien

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Ket

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Hohe analgetische Potenz

Große therapeutische Breite

Schneller Wirkeintritt

Keine wesentlichen Nebenwirkungen

Erhalt von Hand-lungsfähigkeit und (eingeschränkter) EinsetzbarkeitAnwendbarkeit am Patienten unabhängig von dessen Zustand

Leicht zu applizieren

Sichere Gabe auch durch nicht-medizini-sches Personal

Stabilität auch unter schwierigen Umwelt- und Temperaturbedin-gungenGeringes Gewicht

Kompakte Verpa-ckung

Kernaussagen

• Akutschmerztherapie ist ein wichtiger Bestandteil in der Pa-tientenversorgung – auch unter Einsatzbedingungen –, deren Stellenwert analog zur Therapie vitalbedrohlicher Atem-wegs-, Beatmungs- oder Kreislaufprobleme gesehen werden sollte.

• Neben den klassischen intravenös applizierbaren Analgetika stehen neuere Applikationsformen zur Verfügung, die einen schnellen Wirkeintritt und eine einfache Handhabbarkeit versprechen.

• Hinsichtlich Anwenderfreundlichkeit, Anwendungssicher-heit durch nicht-medizinisches Personal sowie Nutzen im notfallmedizinischen Kontext stehen derzeit nur begrenzt Daten zur Verfügung, sodass zur Zeit noch keine generelle Empfehlung gegeben werden kann.

• Dennoch scheinen gerade orale oder transmucosale Applika-tionsformen des Fentanyl sehr vielversprechend und sollten dringend einer näheren Betrachtung im Rahmen der laufen-den Forschungsvorhaben unterzogen werden.

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10. Lewis SC, Langmann MJ, Lapoetl JR, et al. Dose-response rela-tionsship between individual nonaspirin nonsteroidal anti-infl am-matory drugs and serious upper ganstrointestinal bleedung: a me-ta-analysis based on individual patient data. Br J Clin Pharmacol 2002; 54(3): 320-326.

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14. Malinovsky JM et al. Brit J Anaesth, 77 (1996) 203-207.15. Stanley TH. (1992). “The history and development of the fentanyl

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Interessenkonfl ikt: Der Verfasser erklärt, dass gemäß den Bestim-mungen des „International Committee of Medical Journal Editors“ keine Interessenkonfl ikte bestehen.

Bildquellen: Bild 1: Homepage des Sanitätsdienstes der BundeswehrBild 2: Wikipedia, MorphiumBild 3: Wikipedia, Fentanyl

Manuskriptdaten:Eingereicht: 8. Juli 2015Angenommen: 19. Oktober 2015

Zitierweise:Ritter DM: Aktuelle Arzneimittel zur Gefechtsfeldanalgesie. Wehrme-dizinische Monatschrift 2015; 59(11): 339-345

Verfasser:Oberfeldarzt Dennis Matthias RitterBundeswehrzentralkrankenhaus KoblenzAbteilung XRübenacher Str. 170, 56072 KoblenzE-Mail: [email protected]

Der Beitrag wird mit dem vollständigen Literaturverzeichnis im Internet unter www.wehrmed.de veröffentlicht.

Anästhesiologie, Intensivmedizin, Notfallmedizin, Schmerztherapie

Abteilung für Anästhesie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Rettungsdienst (Leitender Arzt: Flottenarzt M. Benker) des Bundeswehrkranken-hause Berlin (Chefarzt: Flottenarzt Dr. K. Reuter)

Anästhesie im EinsatzWilli Schmidbauer

Zusammenfassung:Die moderne Anästhesie mit den Bereichen klinische Anästhesiologie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie ist ein wichtiger Bestandteil der Einsatz-medizin. Um sowohl der aktuellen medizinischen Entwick-lung im Fachgebiet als auch den militärischen Herausforde-rungen gerecht zu werden, muss ein ständiger Prozess der Weiterentwicklung gewährleistet werden. Der Artikel ver-sucht einen Überblick über den aktuellen Stand und entspre-chende Entwicklungsperspektiven zu geben.Schlüsselworte: Einsatzmedizin, Anästhesie, Damage Con-trol Resucitation, AusbildungKeywords: military medicine, anaesthesiology,damage con-trol resuscitation, Training

Einleitung

Die Anästhesie ist, zumindest im Vergleich zu den traditionel-len Fächern Chirurgie und Innere Medizin, eine junge medizini-

sche Fachrichtung, deren bis heute andauernde Entwicklung Mitte des 19. Jahrhunderts mit den ersten erfolgreichen Inhala-tionsnarkosen einsetzte [1]. Damals wie heute war und ist das primäre Ziel die suffi ziente Schmerzausschaltung während ope-rativer Eingriffe. Aus der Notwendigkeit heraus, die Vitalfunk-tionen der anästhesierten Patienten kontinuierlich zu überwa-chen und bei Bedarf zu stabilisieren, entwickelten sich zusätzli-che Kompetenzen, wie auf dem Gebiet der Atemwegssicherung oder der Volumentherapie, die wiederum die Grundlage für eine moderne Intensiv- und Notfallmedizin bildeten. Gerade oder wegen dieser rasanten Ausweitung des Leistungs- und Versor-gungsbereiches einer modernen Anästhesieabteilung mit den vier Säulen Anästhesiologie, Intensiv- und Notfallmedizin so-wie Schmerztherapie, darf die sichere und suffi ziente Durch-führung von Narkosen nicht aus den Augen verloren werden. Dies gilt umso mehr für den militärischen Sanitätsdienst, der im Rahmen der akutmedizinischen Versorgung immer durch den Widerspruch zwischen begrenzten personellen und materiellen Ressourcen und den hohen, auf den Behandlungserfolg der Ver-wundeten ausgerichteten Anforderungen charakterisiert ist.

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Um diesen Herausforderungen anästhesiologisch gewachsen zu sein, bedarf es ständiger Weiterentwicklung sowohl in fachli-cher, wie auch in organisatorischer Hinsicht.

Meilensteine der modernen Anästhesiologie

Die Narkoseführung hat sich in den letzten Jahrzehnten kontinu-ierlich weiter entwickelt, wobei die Aspekte Patientensicherheit und Verbesserung der Behandlungsqualität eindeutig im Fokus stehen. Wichtige Meilensteine, deren Bedeutung sich selbstver-ständlich auch auf den Sanitätsdienst erstrecken, werden im Fol-genden kurz skizziert:

Total intravenöse Anästhesie (TIVA)Mit der Markteinführung des Opiats Remifentanyl und des Nar-kotikums Propofol sind aufgrund der ausgesprochen kurzen Halb-wertszeiten beider Substanzen Allgemeinanästhesien ohne In-halationsanästhetika sicher durchführbar [2]. Prinzip ist dabei, die beiden Arzneimittel kontinuierlich über eine Spritzenpumpe zu applizieren, um damit ein konstantes Anästhesieniveau zu errei-chen und entsprechend des operativen Verlaufes adäquat zu erhal-ten. Diese Anästhesieform ist mittlerweile der Goldstandard in der Einsatzmedizin, weil damit das für die Anästhesie erforderliche Material reduziert werden konnte und auch in bestimmten Ein-satzlagen Narkosen außerhalb des OP-Traktes möglich geworden sind.

Atemwegsmanagement mit extraglottischen Atemwegen (EGA)Die als Alternative für die klassische Maskenbeatmung von Brain entwickelte Larynxmaske diente ursprünglich dazu, dem Anäs-thesisten mehr manuellen Handlungsspielraum zu ermöglichen, indem nicht länger die Gesichtsmaske gehalten werden musste [3]. Aus dieser Idee entwickelten sich mehrere unterschiedliche extraglottische Atemwegssysteme, deren Prinzip darin besteht, den Bereich des Pharynx mit einem luftgefüllten Ballon so abzu-dichten, dass lediglich der Zugang zum Kehlkopf frei bleibt und darüber bei korrekter Lage eine effiziente Ventilation sicher durchführbar ist. Neben der bereits erwähnten Larynxmaske hat sich dabei der Larynxtubus etabliert, die beide mit zunehmender klinischer Erfahrung eine Ausweitung ihres Einsatzes im Bereich des Airway-Managements als alternative Atemwegssicherung bei nicht möglicher Intubation erfuhren und mittlerweile fest im Be-reich der prä-und innerklinischen Einsatzmedizin etabliert sind [4].

Videolaryngoskopie Die Idee, die bessere Darstellbarkeit des Larynxeinganges durch eine im Bereich der Spatelspitze des Laryngoskops installierte Kamera zu verbessern und damit einerseits den primären Intubati-onserfolg bei schlechten Intubationsbedingungen deutlich zu ver-bessern und andererseits ein zusätzliches Tool zum Erlernen der endotrachealen Intubation zur Verfügung zu haben, konnte sich rasch durchsetzen. Mit zunehmend verbesserter Kamera- und Bildschirmtechnik war es möglich, dieses Verfahren Unterstüt-zung in den stationären Role 2/3-Einrichtungen zu implementie-ren [5]. Vorläufig letzte Entwicklungsstufe ist eine Taschenversi-on, mit einem kleinen am Laryngoskopgriff klappbar befestigten Bildschirm, die sowohl präklinisch, als auch in mobilen Role 2-Einrichtungen angewandt werden kann.

SonographieDer Einsatz der Ultraschalldiagnostik hat auch die Anästhesie erfasst. Neben der etablierten Notfalldiagnostik - wie etwa dem Nachweis freier abdomineller Flüssigkeit - ist die ultraschallge-stützte Punktion zentraler Gefäße sowie die Identifikation peri-pherer Nerven im Rahmen von Regionalanästhesieverfahren fester Bestandteil des anästhesiologischen Alltags geworden. Auch hier zählt, neben der erhöhten Patientensicherheit, der As-pekt der besseren Ausbildungsmöglichkeit der entsprechenden Punktionstechniken [6,7].

Damage Control Resuscitation Ein Schwerpunkt militärischer Akutmedizin war und ist die Versorgung des lebensgefährlich blutenden Patienten, dessen Leben durch eine rasche (chirurgische) Blutstillung gerettet werden kann [8]. Ziel einer modernen Einsatzanästhesie muss grundsätzlich sein, den Einsatzchirurgen bei der Kontrolle von Blutungen durch Schaffung eines optimalen perioperativen Umfeldes zu unterstützten. In Ergänzung zur schon länger eta-blierten Damage Control Surgery (DCS) wurde dabei das Kon-zept der Damage Control Resuscitation (DCR) entwickelt. Da-bei erfolgt, neben der eigentlichen anästhesiologischen Versor-gung von komplexen Körperhöhleneingriffen aus dem Bereich der Neuro-, Thorax und Abdominalchirurgie, eine adäquate, zielgerichtete Schockbekämpfung mit kontrollierter Volu-mentherapie. Bei entsprechender Indikation muss unverzüglich eine Transfusionstherapie einschließlich einer Korrektur des Gerinnungssystems (Hemostatic Resuscitation) eingeleitet werden [9, 10]. Unter Einsatzbedingungen ist dabei die Vorhal-tung und Durchführung einer Warmblutspende als ultima ratio immer ein Grundbaustein des einsatzanästhesiologischen Ver-sorgungsspektrums [11]. Vor allem durch die wissenschaftliche Auswertung der einsatzmedizinischen Erfahrungen aus der jün-geren Vergangenheit mit den militärischen Einsätzen im Irak und Afghanistan konnten valide Daten zur Implementierung entsprechender standardisierter Behandlungsprotokolle gewon-nen werden. Die Grundsätze der DCR haben mittlerweile auch Einzug in zivile Empfehlungen gefunden [12].

Grundsätze für die Anästhesie im Einsatz

Die aufgezählten Entwicklungen im Fachgebiet der Anästhesi-ologie erfordern, neben einem höheren individuellen Ausbil-dungsaufwand für den angehenden Anästhesisten und für das entsprechende Fachpflegepersonal, die Formulierung entspre-chend angepasster, einsatzmedizinischer Grundsätze für die Anästhesiologie innerhalb des Sanitätsdienstes.Im Mittelpunkt steht dabei der Ausgleich zwischen wachsender fachlicher Spezialisierung und bestehenden einsatzmedizini-schen Anforderungen. Dazu sollten analog zum Ausbildungs- und Verwendungskonzept des Einsatzchirurgen innerhalb des Fachbereiches Anästhesie die Anforderungen an einen „Einsatz-anästhesisten“ thematisiert werden, sowie die Erarbeitung und Implementierung eines entsprechenden Konzeptes zügig und zielgerichtet vorangetrieben werden. Essenzielle Grundlage eines solchen „einsatzanästhesiologi-schen Konzeptes“ ist die Tatsache, dass die kleinste fachärztli-che chirurgische Einheit im militärischen Einsatz immer ein Team aus Einsatzchirurg, Anästhesist und dem entsprechenden

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Nicht Spezialisierung, sondern das gesamte anästhesiologische, notfall- und intensivmedizinische Fähigkeitsspektrum des Fachge-biets ist im Einsatz – wie hier in der Aufnahme des Einsatzrettungs-zentrums – gefordert.

Fachpfl egepersonal sein wird. Diese Minimalbesetzung wird auch bei maritimen Bordfacharztgruppen und der Unterstützung von Spezialkräften nicht unterschritten werden können. Dem zukünf-tigen „Einsatzanästhesisten“ obliegt innerhalb dieser kleinsten fachärztlichen Einheit die Verantwortung für die gesamte periope-rative Betreuung auf den Behandlungsebenen Role 2 und 3 von der Aufnahme in den Schockraum bis zur Repatriierung.

Entscheidend dabei ist weniger die Tiefe als vielmehr die Breite der dafür erforderlichen fachmedizinischen Kenntnisse, Fähig-keiten und Erfahrungen. So wie jeder Einsatzchirurg breit auf-gestellt sein und aus den relevanten Bereichen Viszeral-, Un-fall- und Neurochirurgie alle erforderlichen Notverfahren si-cher beherrschen muss, ist es für den „Einsatzanästhesisten“ zwingend notwendig, die Bereiche klinische Notfallmedizin, Anästhesiologie, Intensivmedizin und Schmerztherapie so ab-zudecken, dass eine Versorgung unter Einsatzbedingungen (Role 2 und Role 3) mit entsprechendem Gefährdungspotential für einen Zeitraum von 72 Stunden gewährleistet werden kann. Vergleichbare Anforderungen gelten selbstverständlich auch für das Fachpfl egepersonal, das ebenso umfassend qualifi ziert sein muss. Ziel ist es, ein schlagkräftiges hochqualifi ziertes „einsatzanästhesiologisches“ Team zu bilden, das neben den medizinischen, auch den hohen militärischen Herausforderun-gen gewachsen ist.

NotfallmedizinJeder „Einsatzanästhesist“ muss sowohl in der präklinischen, als auch innerklinischen Notfallmedizin ausgebildet und erfah-ren sein. Dazu ist, neben dem Erwerb der Zusatzbezeichnung

Notfallmedizin, ein regelmäßiger Einsatz sowohl im Rettungs-dienst, als auch in den Zentralen Notfallaufnahmen der Bundes-wehrkrankenhäuser (BwKrhs) erforderlich. Neben dem Trau-ma-Management ist auch Erfahrung und Kompetenz in der Behandlung vor allem internistischer und neurologischer Not-fallpatienten für den „Einsatzanästhesisten“ erforderlich, da ge-rade diese Notfälle im Rahmen militärischer Einsätze immer häufi ger werden, und bis auf Ebene Role 2+ keine entsprechen-den Spezialisten verfügbar sind.

AnästhesiologieAlle gängigen Verfahren der Allgemein- und Regionalanästhesie müssen von „Einsatzanästhesisten“ sicher beherrscht werden. Dabei ist eine entsprechende Kompetenz im Bereich der Neuro-, Thorax-, Unfall- und Abdominalchirurgie erforderlich. In diesem Zusammenhang müssen auch die Besonderheiten von ange-wandten DCS-Verfahren, wie etwa die hämodynamischen Aus-wirkungen eines abdominellen Packings, bekannt sein.

IntensivmedizinDie Intensivmedizin ist durch die medizinische Versorgung von lebensgefährlich erkrankten und verletzten Patienten charakte-risiert. Wesentliche Merkmale sind invasive Monitoringverfah-ren sowie, bei entsprechender Indikation, die Durchführung von Organersatzverfahren. Jeder „Einsatzanästhesist“ muss die Grundprinzipien moderner Intensivtherapie sicher beherrschen. Dazu zählt vor allem die hämodynamische Stabilisierung mit den Schwerpunkten Schockbekämpfung, Durchführung und Überwachung moderner Beatmungstherapien, die Anwendung und Interpretation eines invasiven Patientenmonitorings sowie die Nutzung einer patientenadaptierten Analgosedierung.

SchmerztherapieÜber ein entsprechendes Basiswissen der Schmerztherapie muss jeder „Einsatzanästhesist“ verfügen.

TransfusionsmedizinJeder „Einsatzanästhesist“ muss zwingend die Ausbildung zum Transfusionsbeauftragten absolvieren und in der Lage sein, die-se Funktion in einer Role 2 verantwortungsvoll zu übernehmen. Dabei ist zusätzlich zu berücksichtigen, dass die Warmblut-spende auch zukünftig ein wichtiges einsatzmedizinisches Ver-fahren bleiben wird, obwohl diese im Inland nicht durchgeführt werden kann. Umso wichtiger erscheint es daher, dass entspre-chende theoretische Kenntnisse vorhanden sind und zumindest die praktische Beherrschung des Warmblutspende-Materials gewährleistet ist.

Militärische KenntnisseWeltweite Einsätze in militärischen Lagen können nur dann er-folgreich absolviert werden, wenn ein Mindestmaß an militäri-schen Kenntnissen und Grundfähigkeiten von allen beherrscht und aufrechterhalten werden.

Gedanken zur Umsetzung eines „einsatz anästhesiologischen Konzeptes“

Die entsprechende Qualifi zierung zum „Einsatzanästhesisten“ auf der Basis eines „einsatzanästhesiologischen Konzeptes“ mit den oben beschriebenen Inhalten erscheint für den Sanitäts-

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dienst der Bundeswehr möglich, wobei sowohl die derzeitig gültige Weiterbildungsordnung als auch die Struktur der Bw-Krhs dafür gute Voraussetzungen bieten. So vermittelt die deutsche Facharztausbildung Anästhesiologie aufgrund ihres generalisierten Ansatzes die wesentlichen für die Einsatzmedizin erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten, nicht zuletzt auch, weil bisher Bestrebungen im Sinne einer möglichen Subspezialisierung in den Bereichen Notfallmedizin und Intensivmedizin verhindert wurden. Die Anästhesiologie ist ein klinisches Fach und muss innerhalb eines Krankenhauses betrieben und ausgebildet werden. Die Bw-Krhs bilden mit ihrer festen Einbindung in den zivilen Rettungs-dienst, dem Betrieb der etablierten Zentralen Notaufnahmen so-wie der interdisziplinären bzw. operativen Intensivstationen je-weils unter anästhesiologischer Leitung sowie der grundsätzli-chen Ausrichtung als Akutkrankenhäuser mit notfallmedizini-schem Schwerpunkt die wesentlichen Voraussetzungen für eine breite „einsatzanästhesiologische“ Aus- und Weiterbildung ein-schließlich des erforderlichen Kompetenzerhalts.Unter diesen Voraussetzungen ist die mittelfristige Umsetzung eines entsprechenden „einsatzanästhesiologischen Konzeptes“ im Rahmen der Aus- und Weiterbildung aller Anästhesisten an den BwKrhs durch eine umsichtige Rotation sehr gut möglich. Zusätzlich muss aber berücksichtigt werden, dass spezielle Ver-fahren aus dem Bereich der DCS in einem zivilen Umfeld nur ausgesprochen selten zur Anwendung kommen. Um die sich daraus zwangsläufig ergebenden Lücken zumindest ansatzwei-se zu schließen, muss über alternative Wege der Aus- und Wei-terbildung nachgedacht werden. Vorbild und Idee für eine sol-che Maßnahme könnte der im Bereich der Chirurgie etablierte Kurs Einsatzchirurgie sein. Darüber hinaus kann die geplante Einrichtung entsprechender klinischer Ausbildungs- und Simu-lationszentren an den BwKrhs ein interdisziplinäres einsatzme-dizinisch-fokussiertes Training in einem effektiven und zeitge-mäßen Format darstellen.

Fazit

Zusammenfassend erscheint das Konzept des „Einsatzanästhe-sisten“ geeignet zu sein, nicht nur die hohe anästhesiologische Versorgungsqualität bei weltweiten Einsätzen zu gewährleisten, sondern auch die Einheit des Fachgebietes mit seinen vier Säu-len Anästhesiologie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie zu sichern. Grundlage muss dabei immer sein, eine entsprechend breite fachliche Kompetenz zu gewährleis-ten. Einsatzmedizinische Anforderungen wie DCS und DCR müssen in dieses Konzept integriert und gleichzeitig weiter ent-wickelt werden.

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Bildquelle: W. Schmidbauer, Berlin

Verfasser:Oberstarzt Dr. Willi Schmidbauer Abteilung X, Bundeswehrkrankenhaus Berlin Scharnhorststraße 13, 10115 Berlin [email protected]

Der Beitrag wird mit dem vollständigen Literaturverzeichnis im Internet unter www.wehrmed.de veröffentlicht.

Kernaussagen• Die Anästhesie mit ihren vier Säulen Anästhesie, Intensiv-

medizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie ist wichtiger Bestandteil einer zeitgemäßen Einsatzmedizin.

• Beginnend mit der Versorgungsebene Role 2 ist grundsätz-lich eine entsprechende fachärztliche anästhesiologische Versorgung sicherzustellen.

• Die Mitglieder eines „einsatzanästhesiologischen Teams“ sind Spezialisten für die gesamte perioperative Versorgung vom Schockraummanagement über die Narkoseführung bis zur intensivmedizinischen Stabilisierung einschließlich der Repatriierung.

• Die Mitglieder eines „einsatzanästhesiologischen Teams“ sind fachliche Generalisten, die in der Lage sein müssen, weltweit, schnell und innerhalb eines militärischen Umfel-des mit entsprechendem Gefährdungspotential ihren sani-tätsdienstlichen Auftrag zu erfüllen.

• Die Anästhesiologie ist ein klinisches Fach und hat in den Bundeswehrkrankenhäusern ihre militärische und medizini-sche Basis für Ausbildung, Kompetenzerhalt, Weiterent-wicklung sowie Besetzung von Einsatzkontingenten.

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Aus der Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin (Ärztlicher Direktor: Oberstarzt Professor Dr. med. L. Lampl) des Bundeswehrkranken-hauses Ulm (Chefarzt: Generalarzt Dr. A. Kalinowski)

Hubschrauberrettung und Langstrecken-Intensivtransport

– eine Schlüsselrolle für Anästhesisten der Bundeswehr

Ingeborg Bretschneider, Björn Hossfeld, Matthias Helm, Lorenz Lampl

ZusammenfassungDie Bundeswehr war an der Entstehung der Hubschrauber-rettung in Deutschland mit der Aufstellung von SAR-Kom-mandos und Luftrettungszentren in den 1970er Jahren maß-geblich beteiligt. Seither entwickelte sich sowohl die Luftrettung im Inland, als auch die Betreuung von Intensiv-patienten auf Langstreckentransporten insbesondere im mili-tärischen Auslandseinsatz zu einer Kernkompetenz der Anästhesisten in der Bundeswehr. Die nachfolgende Arbeit soll diese Entwicklung bis zum heutigen Stand der Rettungs-hubschrauber an den Bundeswehrkrankenhäusern, der SAR-Kommandos und des Langstrecken-Intensivtransports (Strategic Aeromedical Evacuation) darstellen.Schlüsselworte: Luftrettung, RTH, AirMedEvac, SAR, An-ästhesiologie, Bundeswehr Keywords: HEMS, AirMedEvac, SAR, anaesthesiology, German Federal Armed Forces

Historischer Hintergrund

Seit 1959 ist die Bundeswehr in die luftgestützte Patientenver-sorgung in Deutschland und in der weiteren Entwicklung in die luftgestützte Patientenversorgung ihrer Soldaten und derer ver-bündeter Nationen sowie von Bundesbürgern im Großscha-densfall weltweit eingebunden.Die ersten Berichte, in denen die Rettung bzw. Evakuierung von Verwundeten beschrieben werden, stammen aus der zwei-

ten Hälfte des 19. Jahrhunderts. So wird bereits über einen ers-ten, mit einem Heißluftballon durchgeführten Krankentransport 1871 berichtet [1]. Im frühen 20. Jahrhundert gibt es vermehrt Berichte über Kranken- und Verwundetentransport mit Flug-zeugen. Erstmals wurde im zweiten Weltkrieg 1943 eine größe-re Anzahl an Verwundeten aus Stalingrad mit einer JU-52 aus-gefl ogen [1]. Neben Überlegungen und Bestrebungen zur Ver-besserung des Transportes wurden auch Überlegungen zur Pati-entenversorgung angeregt. So formulierte Kirschner bereits 1938 die Forderung, dass der Arzt zum Patienten kommen müs-se [3]. Der erste dokumentierte Hubschrauberrettungsfl ug wur-de im Jahr 1944 in Burma mit einer Sikorsky Y-4b durchgeführt [2] (Abbildung 1). Ein weiterer Fortschritt in der Entwicklung der Luftfahrt war die Regelung des internationalen Luftrechtes. In diesem Zu-sammenhang wurde am 7. Dezember 1944 in Chicago die Con-vention of International Civil Aviation unterzeichnet und in der Folge die ICAO (International Civil Aviation Organization) ge-gründet. Die ICAO ist eine Unterorganisation der United Na-tions Organization (UNO). In Übereinstimmung mit Artikel 25 der Konvention ist jeder Mitgliedsstaat verpfl ichtet, Maßnah-men zu ergreifen und Einrichtungen zu schaffen, um bei Luft-notfällen über Land und See des eigenen Hoheitsgebietes ent-sprechende Hilfe und Unterstützung leisten zu können [4].Die Bundesrepublik Deutschland trat der ICAO am 8. Juni 1959 bei und übernahm dadurch auch die Verpfl ichtung, die ICAO-Forderungen zu erfüllen. Diese waren die Aufteilung des Hoheitsgebiets über Land und über den der deutschen Flug-

Abb. 1: Sikorsky Y-4b; a.: Lt Carter Harmann (stehend links) mit einem Team der 1st Air Command Group am 26.April 1944 in Burma; Lt Harmann führte den ersten Rettungsfl ug mit einem Hubschrauber durch; b.: Version der Sikorsky Y-4b mit einer außen montierten Trage; Versuchsmodell für die US Coastguard mit einem Techniker als Dummy.

Abb. 1: Sikorsky Y-4b; a.: Lt Carter Harmann (stehend links) mit einem Team der 1st Air Command Group am 26.April 1944 in Burma; st Air Command Group am 26.April 1944 in Burma; st

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sicherung zugeteilten Seegebieten in einen oder mehrere Search-and-Rescue (SAR)-Bereiche, die Einrichtung von SAR-Leitstellen sowie die Zuordnung von SAR-Mitteln ersten Grades, also geeigneten Such und Rettungsmitteln, die aus-schließlich für diese Aufgabe vorgesehen waren (Flugzeuge, Hubschrauber). Letztere müssen mit hierfür besonders ausge-bildetem und erfahrenem Personal besetzt werden [4].

SAR-DienstDen Such- und Rettungsdienst – oder SAR–Dienst – im Bun-desgebiet und in den der Bundesrepublik Deutschland durch ICAO-Regionalplan für die Flugsicherung zugewiesenen See-gebieten der Nord- und Ostsee führen das Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) und das Bundesministerium für Ver-kehr, Bau- und Stadtentwicklung (BMVBS) mit ihren dafür vorgesehenen Einrichtungen für alle Luftfahrzeuge gemeinsam durch [4].Im Rahmen des Zuständigkeitsbereiches des BMVg wurde ein militärischer SAR-Dienst etabliert. Aufgabe dessen ist die Un-terstützung der eigenen und verbündeten Streitkräfte im Frie-den, in Krisen und im Krieg bei besonderen Notfällen wie der Lebensrettung [4]. Darüber hinaus übernimmt der militärische SAR-Dienst Aufgaben des nationalen Such- und Rettungs-dienstes bei Luft- und Seenotfällen. In der Folge baute die Bun-deswehr im Jahr 1959 die ersten Luftrettungs- und Verbin-dungsstaffeln auf. Die ersten Standorte hierfür waren Faßberg, Lechfeld und Fürstenfeldbruck [5].In den Anfangsjahren wurde das zivile Rettungsdienstsystem nur in dringenden Notfällen durch den militärischen SAR-Dienst unterstützt (Abbildung 2). Im Zuge der Zunahme der Verkehrsunfälle in Deutschland in den 50er und 60er Jahren kam es anlässlich des Pfi ngstreiseverkehrs 1960 erstmals zur Abstellung eines Bundeswehrhubschraubers an der Autobahn [6]. Am 2. November 1971 wurde daraufhin das erste „Testret-tungszentrum“ am Bundeswehrkrankenhaus Ulm etabliert [7]. Hintergrund war der „Verkehrspolitische Bericht“ der Bundes-regierung von 1970, der zu der Feststellung führte, dass sich der

Sanitätsdienst der Bundeswehr an bestimmten und auszuwäh-lenden Schwerpunkten am zivilen Rettungsdienst beteiligen sollte [7]. Parallel hierzu entwickelte sich die zivile Luftrettung in Deutschland, so dass heute ein fl ächendeckendes Netz be-steht.

Die SAR-Mittel werden von zwei militärischen SAR-Leitstel-len geführt. Die zur Marine gehörende SAR-Leitstelle für die Seegebiete befi ndet sich in Glückburg, die bis 2013 luftwaffen- und ab da heeresgeführte in Münster. Ihre Aufgaben sind die Planung, Leitung, Koordinierung und der Abschluss von SAR-Aufgaben [4].

Die SAR-Leitstelle Glücksburg kann auf Ressourcen des Mari-nefl iegergeschwaders 5 in Nordholz sowie auf die SAR-Kom-mandos auf Helgoland und in Warnemünde zurückgreifen. Die SAR-Leitstelle in Münster wiederum auf das Transporthub-schrauberregiment 30 Niederstetten mit den SAR-Kommandos in Landsberg (SAR 56 und 58), in Nörvenich (SAR 41) und in Holzdorf (SAR 87) [5].

Die Rolle der Bundeswehr in der Entwicklung der Luftret-tung in DeutschlandDer erste Rettungshubschrauber „Christoph 1“ wurde am 1. November 1970 in München durch den Allgemeinen Deutschen Automobilclub (ADAC) in Dienst gestellt [6]. Nach Feststel-lung der Beteiligungsabsicht des Sanitätsdienstes durch den verkehrspolitischen Bericht 1970 war Oberstarzt Prof. Dr. med. F. W. Ahnefeld mit dem Aufbau des Testrettungszentrums Ulm beauftragt worden [7]. Ahnefeld war zu diesem Zeitpunkt Lei-ter des Departments für Anaesthesiologie und Dekan der Uni-versitätsklinik Ulm und gleichzeitig Chefarzt des im Aufbau befi ndlichen Bundeswehrkrankenhauses (BwKrhs) in Ulm. Schon damals erkannte er die hervorragenden Möglichkeiten, Ärzte und Sanitäter der Bundeswehr durch die arbeitstägliche Praxis im Rettungs- und Notarztdienst auszubilden und in Übung zu halten. Somit war der SAR 75 am Testrettungszent-rum Ulm der zweite dauerhaft besetzte Rettungshubschrauber in Deutschland. Von Beginn an bildeten Soldatenpatienten die

Abb. 2: SAR-Hubschrauber im Einsatz als Luftrettungsmittel bei einem Verkehrsunfall.

Abb. 3: Team eines Rettungshubschraubers (hier Christoph 22) im Einsatz

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Ausnahme, und die Besatzung des militärischen Rettungshub-schraubers stand fast ganz im Dienste der Zivilbevölkerung.Aufgrund der positiven Erfahrungen aus Ulm und des Bedarfes an notfallmedizinischer Versorgung bundesweit wurden weite-re notärztlich besetzte Luftrettungszentren an folgenden Stand-orten etabliert [5]:• SAR 75 in Ulm (1971),• SAR 73 in Koblenz (1973),• SAR 71 in Hamburg (1973),• SAR 74 Nürnberg (1974),• SAR 72 in Würselen (1974),• SAR 76 in Rheine (1982),• SAR 93 in Neustrelitz (1996).Darüber hinaus waren nicht ständig arztbesetzte SAR-Hub-schrauber an folgenden Standorten eingesetzt:• SAR 41 in Nörvenich,• SAR 46 in Pferdsfeld/Malmsheim,• SAR 51 in Manching/Ingolstadt,• SAR 61 in Bremgarten, • SAR 89 in Erfurt,• SAR 56 und 58 in Landsberg.Dadurch wurde der Sanitätsdienst der Bundeswehr integraler Bestandteil des zivilen Rettungswesens [7]. Alleine der SAR 75 fl og im Zeitraum seit Indienststellung bis zum Betreiberwech-sel im Frühjahr 2003 über 24 000 Einsätze.

Änderung der rechtlichen GrundlagenIm Jahr 1996 machten die Vorgaben des europäischen Luft-rechts JAR OPS 31 die Einführung neuer Hubschraubertypen bis 2009 notwendig. Die bis dato in der Luftrettung genutzten Hubschraubertypen BO 105, Bell 202 beziehungsweise die mi-litärische Version der Bell 202, die Bell UH-1D, genügten mit einem einzelnen Triebwerk nicht mehr den Anforderungen. Seither werden überwiegend die Typen Eurocopter EC 135, EC 145, BK 117 sowie die Bell 412 in der deutschen Luftrettung eingesetzt [9]. Im Rahmen der Umstellung der Hubschrauberty-pen zog sich die Bundeswehr fl iegerisch aus der zivilen Luftret-tung zurück und erfüllt seither wieder die originären SAR-Auf-gaben über die beiden Leitstellen in Glücksburg und Münster und deren SAR-Kommandos in Helgoland, Warnemünde, Landsberg, Nörvenich und Holzdorf.

Zivil-öffentliche-militärische KooperationenUm die medizinischen Teams weiter durch die arbeitstägliche Routine in der Luftrettung für die sanitätsdienstlichen Aufga-ben in den Auslandseinsätzen zu schulen, wurden an den betrof-fenen BwKrhs Kooperationsverträge mit zivilen gemeinnützi-gen sowie öffentlichen Betreibern geschlossen.Seit 2003 wird zum Beispiel in Ulm in Kooperation mit der ADAC Luftrettung gGmbH gefl ogen. Dabei werden das Flug-gerät, die medizinische Ausstattung und die Piloten vom ADAC gestellt, Rettungsassistent und Notarzt von der Klinik für Anäs-

1 JAR OPS 3 = Joint Aviation Requirements Operations Band 3; euro-päische Luftfahrtvorschrift, die den Flugbetrieb mit Hubschraubern und die technischen Anforderungen an diese regelt.

thesiologie und Intensivmedizin des Bundeswehrkrankenhau-ses (Abbildung 3 und 4). In ähnlicher Zusammensetzung erfolgen die Kooperationen auch an den anderen an der Luftrettung beteiligten BwKrhs. In Koblenz werden Rettungshubschrauber (RTH) und Pilot vom ADAC, in Hamburg vom Bundesamt für Zivilschutz und Kata-strophenhilfe (BBK) gestellt; das medizinische Personal kommt weiterhin von den Anästhesieabteilungen der BwKrhs. Der Ret-tungsassistent, in der Luftrettung aufgrund des erweiterten Auf-gabenspektrums auch als HEMS (Helicopter Emergency Medi-cal Services)-Crew-Member bezeichnet, übernimmt hierbei zusätzliche Aufgaben im fl iegerischen Bereich. Wie alle Ret-tungshubschrauber in Deutschland haben diese den zivilen Funk rufnamen „Christoph“ bekommen. Nun retten am BwKrhs Ulm Christoph 22, am BwZKrhs Koblenz Christoph 23 und am BwKrhs Hamburg Christoph 29.

Bedeutung der Luftrettung für die Patienten-versorgung

Der initiale Gedanke zum Aufbau eines Luftrettungssystems in Deutschland war die zeitkritische Traumaversorgung; aber schon bald wurde das Spektrum erweitert, so dass die Einsatz-bereiche der RTH heute vielfältig sind, und auch internistische, neurologische sowie pädiatrische Patienten zeitkritisch versorgt werden.Dabei erfüllen die RTH aus einsatztaktischer Sicht zwei Aufga-ben. Zum einen sind sie schneller Notarztzubringer, zum ande-ren erfüllen sie eine wichtige Transportfunktion [9]. Ein RTH soll bei • bestehender Notarztindikation und nicht verfügbarem Boden-

notarzt, • nicht möglicher Einhaltung der Hilfsfrist durch den bodenge-

bundenen Notarzt oder • bei medizinisch relevantem Zeitvorteil seitens des RTH zum Einsatz kommen [9]. Im ländlichen Raum ist der Notarzt-mangel deshalb ein häufi ger Grund für den Einsatz eines RTH [10]. Als Transportmittel hat der RTH seinen Stellenwert, wenn ein bodengebundener Transport medizinisch kontraindiziert ist oder deutliche gesundheitliche Nachteile mit sich bringen wür-de, der Patient schnellstmöglich transportiert werden muss oder

Abb. 4: Rettungshubschrauber Christoph 22 (Typ: BK 117) startet am BwKrhs Ulm.

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der bodengebundene Notarzt durch die Begleitung des Trans-portes unvertretbar lange vom Standort abwesend wäre [9]. Im Falle der Traumaversorgung bedeutet dies den raschen Trans-port des Patienten von der Notfallstelle in ein überregionales Traumazentrum [10]. Dank moderner GPS-Ortungssysteme, wie zum Beispiel RescueTrack©, ist es den Rettungsleitstellen möglich, sämtliche RTH in ihrem Verantwortungsbereich zu or-ten und zeitkritisch einzusetzen [9].

Frink et al befassten sich 2007 anhand von Daten des Trauma-registers der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (TR-DGU) mit der Frage, ob sich der Einsatz der RTH durch das schnellere Erreichen des Patienten und durch die damit beding-te Verkürzung der Prähospitalphase positiv auf das Überleben der Patienten auswirkt. In der Untersuchung zeigte sich, dass der RTH signifikant später als das bodengebundene Not-arzt-Einsatz-Fahrzeug (NEF) am Einsatzort eintraf (18:18 min versus 14:33 min) und dass die Verweilzeit des Luftrettungs-teams am Einsatzort länger war (26:26 min versus 22:29 min) [11]. Die längere Verweilzeit am Unfallort erklärt sich aller-dings durch eine deutlich höhere Rate an invasiven Interventio-nen am Unfallort, wie beispielsweise Narkose und endotrache-ale Intubation oder die Anlage einer Thoraxdrainage durch den RTH-Notarzt. Schließlich ergibt sich, trotz der späteren Ein-treffzeit und der längeren Verweildauer, ein signifikanter Über-lebensvorteil für schwerverletzte Traumapatienten: Die von ei-nem RTH-Team versorgten Patienten wiesen eine Letalität von 34,9 % im Vergleich zu 40,1 % der von einem NEF-Team ver-sorgten Patienten auf [11]. Weitere Untersuchungen haben sich mit diesem Überlebensvorteil befasst [12, 13, 14]: Als wesent-licher, für das Outcome relevanter Faktor zeigte sich die Aus-wahl eines Traumazentrums als Zielklinik. Hesselfeldt und Kollegen konnten in Dänemark eine Reduktion der Zeitspanne zwischen Unfallereignis und Erreichen der „Definitive Care“- Ebene bei Schwerverletzten von 218 min auf 90 min durch den Einsatz eines RTH verzeichnen [15]. Insgesamt beschreiben sie eine Reduktion der Mortalität bei Patienten mit einem Injury Severity Score (ISS) >15 von 29 % auf 14 % durch den RTH-Einsatz [15]. Ausschlaggebend für diesen Überlebensvor-teil scheint die größere Erfahrung der RTH-Notärzte zu sein, da diese nach einer Untersuchung von Gries et al. häufiger mit komplexeren Notfallsituationen konfrontiert sind [16] und ent-sprechend mehr Routine aufweisen. Dies gilt insbesondere für Anästhesisten, die nicht nur aus dem Notarztdienst, sondern aus ihrer arbeitstäglichen Routine im Operationssaal und auf der Intensivstation die notwendigen invasiven Techniken zur Be-wältigung komplexer und vitalbedrohlicher Notfallsituationen (Atemwegsmanagement, Thoraxentlastung, Analgosedierung und Narkose) beherrschen.

Einerseits profitieren die zivilen Notfallpatienten von dieser Routine der auf den Rettungshubschraubern eingesetzten Bun-deswehr-Anästhesisten, andererseits gewinnen gerade diese Anästhesisten durch ihren täglichen Einsatz im zivilen Ret-tungsdienst die notwendige Expertise für die Bewältigung schwierigster notfallmedizinischer Situationen auch im militä-rischen Auslandseinsatz.

Neben der Traumaversorgung hat die Luftrettung auch bei an-deren Krankheitsbildern ihren Stellenwert. So konnte beim akuten Koronarsyndrom eine Verbesserung der leitlinienge-rechten Behandlung durch den Hubschraubereinsatz gezeigt

werden [17, 18]. Eine österreichische Forschergruppe um Rei-ner-Deitemeyer konnte bei der Diagnose „Stroke“ zeigen, dass die kürzesten Zeiten vom Symptombeginn bis zum Erreichen des Krankenhauses bei direkter Versorgung und Transport durch einen RTH erreicht werden konnte [19]. Auch bei den Sekundärverlegungen von Strokepatienten gewinnt der Trans-port mit dem Hubschrauber an Bedeutung [20]. Insgesamt kann festgestellt werden, dass die Verlegungszeiten durch den Ein-satz eines Luftrettungsmittel signifikant kürzer sind [21].

Status quoHeute besteht ein flächendeckendes Luftrettungsnetz in Deutschland mit etwa 80 Luftrettungsstationen. Der routinemä-ßige Einsatzradius beträgt 50 - 80 km. Die meisten Rettungs-hubschrauber sind täglich von 07:30 Uhr bis Sonnenuntergang im Dienst. Die Intensivtransporthubschrauber, die in der Regel dem Sekundärtransport von Patienten dienen, sind meist rund um die Uhr einsatzbereit. Einschränkungen der Einsatzfähig-keiten sind überwiegend witterungsbedingt, da nach Visual Flight Rules (Sichtflugbedingungen) geflogen wird. An den Luftrettungseinsätzen der bundesweit rund 80 Stationen war die Bundeswehr im Jahr 2014 mit ihren Rettungshub-schrauberstationen Christoph 22, 23 und 29 und den verbliebe-nen SAR-Kommandos maßgeblich beteiligt.2014 wurden in Koblenz 1 690 mit dem Christoph 23 sowie mit dem Christoph 22 in Ulm 1 539 Einsätze der deutschlandweiten 52 577 ADAC-RTH-Einsätze geflogen [22]. Christoph 29 am BwKrhs Hamburg absolvierte in 2013 sogar 1 858 Einsätze [23]. Die SAR-Hubschrauber flogen 2013 370 Einsätze mit 600 Flugstunden [24].Dabei gehören zum Aufgabenspektrum der RTH, neben der Pri-märrettung, auch immer wieder dringende Sekundärtransporte kritisch kranker, schwerverletzter und vital bedrohter Patienten. Bodengebunden werden solche Transporte von speziell ausge-statteten Intensivtransportwagen (ITW) durchgeführt. Solche Fahrzeuge sind an allen BwKrhs stationiert und werden ähnlich wie die RTH durch die Abteilungen für Anästhesiologie und Intensivmedizin ärztlich und pflegerisch besetzt. Auch hier er-gibt sich, ähnlich wie bei der Hubschrauberrettung, ein positi-ver Effekt für die Aus- und Weiterbildung sowie den Kompe-tenzerhalt hinsichtlich der Repatriierung im Auslandseinsatz verletzter oder erkrankter Soldaten durch anästhesiologische Teams der Bundeswehr.

Weltweite Einsätze

Seit Anfang der 1990er Jahre ist die Bundeswehr in weltweiten Auslandseinsätzen vertreten. Der erste Einsatz fand als humani-tärer Einsatz unter einem Mandat der Vereinten Nationen in Kambodscha statt. Im Rahmen der Veränderung der Auftragsla-ge ist die Bundeswehr seither an zahlreichen Orten der Welt im Einsatz. Dies machte es nötig, nicht nur in den Einsatzländern eine qualifizierte Versorgung von Erkrankten und Verwundeten in entsprechenden medizinischen Einrichtungen (Role 1 bis Role 3) zu gewährleisten, sondern diese erforderlichenfalls auch zeitnah unter adäquaten medizinischen und vor allem in-tensivmedizinischen Bedingungen zur weiteren Versorgung nach Deutschland zu repatriieren.

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Der Transport der häufi g vital gefährdeten Patienten erfordert sowohl eine beständig dem (zivilen) Inlandsstandard anzupas-sende medizintechnische Ausstattung der militärischen Luft-fahrzeuge, als auch entsprechend qualifi ziertes intensivmedizi-nisches Begleitpersonal, welches wiederum von den Abteilun-gen für Anästhesiologie und Intensivmedizin der BwKrhs ge-stellt wird. [25].Hinter dem Begriff AirMedEvac verbirgt sich die Evakuierung beziehungsweise der Transport von Patienten unter medizini-scher Betreuung auf dem Luftweg.Militärisch unterscheidet man dabei drei (aufeinanderfolgende) Phasen [25]:• Foreward AirMedEvac: Patiententransport von der Scha-

densstelle zur ersten medizinischen Versorgung innerhalb des Einsatzgebietes,

• Tactical AirMedEvac2: Weitertransport der Patienten zu ei-ner höherwertigen medizinischen Versorgungsebene oder zu einem Flugplatz, von dem ein Anschlusstransport mit Mitteln des Strategic AirMedEvac möglich ist, und

• Strategic AirMedEvac: (Langstrecken-)Transport von Pati-enten aus dem Einsatzgebiet zur defi nitiven Versorgung im Heimatland.

Foreward AirMedEvac entspricht im Wesentlichen der Primär-rettung im notfallmedizinischen Sinne [25], jedoch mit wesentli-chen einsatztaktischen Besonderheiten im Vergleich zum zivilen System. Hier liegt der Schwerpunkt auf lebensrettenden Sofort-maßnahmen und gegebenenfalls zügiger Evakuierung bei beste-hender Eigengefährdung, zum Beispiel bei Kampfhandlungen. Tactical und Strategic AirMedEvac entsprechen im Wesentli-chen dem Sekundärtransport in eine Einrichtung höherer Ver-sorgungsstufe. Dieses kann zum Beispiel eine Role 3-Einrich-tung zur klinische Akutversorgung im Einsatzland oder eine Role 4-Einrichtung zur abschließenden klinischen Versorgung im Heimatland im Sinne eines BwKrhs sein.Für die Durchführung derartiger MedEvac-Einsätze, sowohl für den einzelnen Patienten, als auch für den Massenanfall, stehen der Bundeswehr verschiedene Luftfahrzeuge sowie speziell ge-schultes medizinisches Personal zur Verfügung [25].Die Dringlichkeit der Medical Evacuation ist im Wesentlichen vom Erkrankungs- oder Verletzungsbild des Patienten abhängig und wird von den behandelnden Sanitätsoffi zieren vor Ort fest-gelegt. Bei kritisch Kranken3 ist es das Ziel, den Patienten in-nerhalb von 24 bis 48 Stunden nach Trauma oder Erkrankungs-beginn in eine endgültige Versorgungseinrichtung in Deutsch-land zu verbringen. Diese ist in der Regel ein BwKrhs.Für Foreward AirMedEvac stehen der Bundeswehr je nach Ein-satzland die Hubschrauber Sikorsky CH-53 (Abbildung 5) oder Eurocopter NH-90 (Abbildung 6) zur Verfügung. Im Rahmen der internationalen Kooperation stützt sich die Bundeswehr auch häufi g auf die Ressourcen anderer Nationen ab. Als Bei-spiel sind hier die „Black Hawks“ UH-60 der US-amerikani-schen Streitkräfte zu nennen.

2 Je nach Lage kann auch die direkte Weiterleitung eines Patienten aus dem Forward AirMedEvac (nach Versorgung in der entsprechenden Role 2/3 Einrichtung) mit Strategic AirMedEvac erfolgen. 3 Unter dem Begriff „Kranke“ werden hier Erkrankte, Verletzte und Verwundete subsummiert.

Beim Tactical AirMedEvac kommen der Hubschraubertyp CH-53 und die Transall C-160 (Abbildung 7) zum Einsatz.

Die Flüge im Rahmen des Stategic AirMedEvac werden je nach zurückzulegender Distanz und Patientenzahl mit den Flugzeug-typen Transall C-160, Airbus A 310 und Airbus A 319 durchge-führt (Abbildung 8 und 9). Bis November 2011 war auch die Challenger C-601 im Einsatz.

In jedem der Luftfahrzeuge für Strategic AirMedEvac können Patienten unter intensivmedizinischen Bedingungen, wie sie auch auf Intensivstationen in Deutschland vorzufi nden sind, transportiert werden. Zu diesem Zweck werden bei der Luft-waffe für die Luftfahrzeuge sogenannte Patienten-Trans-port-Einheiten (PTE) vorgehalten. Die PTE ist eine einheitlich ausgestattete Behandlungseinheit für intensivpfl ichtige Patien-

Abb. 5: Forward AirMedEvac mit Hubschrauber Sikorksy CH-53; a.: CH-53 auf dem Flugfeld in Kunduz, Afgha-nistan; b.: PTE an Bord der CH-53

Beim Tactical AirMedEvac kommen der Hubschraubertyp CH-

Abb. 6: Forward Air Medevac mit Hubschrauber NH-90; Blick auf die Rettungsausstattung, im Hintergrund geparkter NH 90

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ten, die als gesamte Einheit in kurzer Zeit in die entsprechenden Luftfahrzeuge eingerüstet werden kann. Ihre Ausstattung erfüllt die Anforderungen eines modernen Intensivarbeitsplatzes im Inland. Dementsprechend gelten für das dort tätige Personal hohe Anforderungen an die fachliche Qualifi kation sowie die militärisch-fl iegerische Ausbildung. Wesentliche fachliche Kri-terien sind auch hier die qualifi zierte notärztliche und intensiv-medizinische Ausbildung der Anästhesisten und Pfl egekräfte, ergänzt durch Kenntnisse der Flugphysiologie und deren Auswirkung auf den Intensivpatienten. Insbesondere beim Foreward-AirMedEvac und beim Tactical AirMedEvac in Kri-

sen- und Kriegsgebieten sind die einsatztaktischen und militäri-schen Aspekte von wesentlicher Bedeutung. Die bekanntesten militärischen StratAirMedEvac-Einsätze sind sicherlich der Einsatz in Kabul nach einem Anschlag auf einen Bus deutscher ISAF-Kräfte 2003 oder der Einsatz nach den Karfreitagsgefechten nahe Kunduz 2010. Daneben gab es je-doch zahlreiche Einsätze, die zum Teil lebensbedrohlich er-krankte oder verletzte Kameraden sicher nach Hause brachten. Dabei wurden nicht nur Angehörige der Bundeswehr transpor-tiert, sondern auch der NATO-Bündnisstaaten.Auch wenn die Luftrettungsmittel für AirMedEvac ursprüng-lich für den militärischen Einsatz aufgestellt wurden und in die-sem Zusammenhang regelmäßig zum Einsatz kommen, so ste-hen diese im Großschadens- oder Katastrophenfall nach Anfor-derung und Prüfung durch das BMVg auch für den zivilen Be-reich zur Verfügung, so zum Beispiel bei der Evakuierung Dresdener Kliniken auf Grund des Elbe-Hochwassers. Bei diesem Einsatz wurden mit mehreren Luftfahrzeugen der Bundeswehr kritisch kranke Patienten der Universitätsklinik und des Herzzentrums Dresden auf aufnehmende Kliniken in ganz Deutschland verteilt. Über die deutschen Grenzen hinaus wurden für zivile Zwecke die Luftrettungsmittel des StratAirMedEvac zum Beispiel im Rahmen der Repatriierung deutscher Touristen nach dem Brandanschlag auf die Synagoge in Djerba 2002, nach dem Busunfall eines deutschen Reiseun-ternehmens in Mexiko oder nach der Tsunamikatastrophe in Südostasien 2004 eingesetzt. Auch im Intensivtransport ergibt sich die gleiche Synergie wie in der Luftrettung: Zivile Patienten profi tieren von der Profes-sio nalität der Anästhesisten und Rettungsassistenten der Bun-deswehr, und diese wiederum erhalten ihre Routine für den mi-litärischen Einsatz („Kompetenzerhalt“).

Fazit

Seit 56 Jahren engagiert sich die Bundeswehr in der luftgestütz-ten Patientenversorgung. Im Laufe der Jahre war sie maßgeb-lich an der Weiterentwicklung einer hochqualifi zierten Patien-tenversorgung in der prähospitalen Notfallmedizin und im In-tensivtransport beteiligt

Abb. 7: Tactial AirMedEvac mit Transall C-160; a.: C-160 auf der Runway in Kunduz, Afghanistan; b.: Patient wird auf der PTE überwacht.

Abb. 8: Airbus A 319 auf dem Flugfeld im Termez (Usbekistan)

Abb. 9: Transport eines Patienten an Bord des Airbus A 310 MEDE-VAC auf dem Flugfeld in Termez (Usbekistan)

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I. Bretschneider et al.: Hubschrauberrettung und Langstrecken-Intensivtransport - eine Schlüsselrolle für Anästhesisten

Damit ist die Bundeswehr ein hochqualifizierter, verlässlicher Partner und Leistungserbringer auf dem Gebiet der luftgestütz-ten Patientenversorgung innerhalb der NATO und ebenso für zivile Mitbürger in den verschiedenen Einsatzbereichen. Dies gilt es auch in Zukunft durch beständiges Streben nach Optimierung der fachlichen, personellen, militärischen und ma-teriellen Bedingungen und Expertise zu gewährleisten. Durch die Teilnahme an der zivilen notfallmedizinischen Patienten-versorgung steigern die Anästhesieabteilungen die Außenwir-kung der Bundeswehr und die Anerkennung in der Bevölke-rung; gleichzeitig profitieren im Einsatz verwundete, verletzte oder erkrankte Soldaten von der Routine der im zivilen Ret-tungsdienst eingebundenen Anästhesisten, Fachkrankenpfleger Intensivpflege/ Anästhesie und Rettungsassistenten.

Literatur

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Für die Verfasser:

Flottillenarzt Dr. med. Ingeborg BretschneiderKlinik für Anaesthesiologie und IntensivmedizinBundeswehrkrankenhaus UlmOberer Eselsberg 40, 89081 UlmE-Mail: [email protected]

Bildquellen:Abb 1a: United States Air Force ArchivesAbb 1b: Igor I. Sikorsky Historical Archives, Inc © 2015Abb. 2: M. Helm, UlmAbb 3: Traumateam e. V., UlmAbb. 4, 5b, 7, 8, 9: B. Hossfeld, UlmAbb. 5a: I. Bretschneider, UlmAbb. 6: PIZ Sanitätsdient

Der Beitrag wird im Internet unter www.wehrmed.de veröffentlicht.

Kernaussagen• Die Bundeswehr ist seit den 50er Jahren an der luftgestützten

Patientenversorgung in Deutschland beteiligt und hat diese maßgeblich entwickelt.

• Personal der Bundeswehrkrankenhäuser ist fester Bestand-teil der heutigen flächendeckenden Luftrettung in Deutsch-land.

• Von Kompetenzerwerb und -erhalt durch die Teilnahme von Anästhesisten und Rettungsassistenten der BwKrhs an der zivilen Luftrettung profitieren auch die Soldatinnen und Sol-daten im Einsatz.

• AirMedEvac auf allen Ebenen der sanitätsdienstlichen Ein-satzversorgung leistet einen wesentlichen Beitrag für die er-folgreiche medizinische Behandlung von Patienten mit Ein-satzverwundungen.

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Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 11/2015

Aus der Abteilung X (Leitender Arzt: Oberstarzt Dr. G. Hölldobler) des Bundeswehrkrankenhauses Hamburg (Chefarzt: Generalarzt Dr. J. Hoitz)

Die Bedeutung der interdisziplinären Notfallaufnahme für Ausbildung und Kompetenzerhalt von medizinischem Personal am Beispiel des Bundeswehrkrankenhauses Hamburg

Raik Schäfer

Zusammenfassung

Bei der Aus- und Weiterbildung sowie dem Kompetenzerhalt von medizinischem Personal der Bundeswehr leistet eine Zentrale Interdisziplinäre Notfall-Aufnahme (ZINA) auf Grund des großen und heterogenen Patientenkollektives ei-nen besonderen Beitrag. Bei konsequenter Strukturierung und Supervision der jungen Ärzte in den Notaufnahmen ist es möglich, eine breite, fachlich fundierte und an den Ein-satzbedürfnissen der Bundeswehr orientierte Qualifi kation zu ermöglichen. Dazu kommen moderne Elemente, wie Spe-zialkurse, Simulations- und Teamtraining sowie Mentoring, zum Einsatz. Die Ausbildung erstreckt sich dabei auch auf die Berufsgruppen der administrativ und pfl egerisch tätigen Soldaten. Entwicklung und Möglichkeiten der Aus- und Weiterbildung werden am Beispiel der ZINA des Bundes-wehrkrankenhauses Hamburg vorgestellt.Stichworte: Notaufnahme, Ausbildung, Weiterbildung, In-terdisziplinarität, Curriculum, Qualifi kationKeywords: emergency department, training, interdisciplin-artiy, clinical curriculum, qualifi cation

Einleitung

Im Unterschied zu einem Krankenhaus eines kommunalen, konfessionellen oder privaten Trägers kommen einem Bundes-wehrkrankenhaus (BwKrhs), neben der regulären Versorgung von Patienten, in besonderem Maße Aufgaben der Aus- und Weiterbildung sowie des Kompetenzerhalts von ärztlichem, pfl egerischem und administrativem Personal zu. Dabei schafft die durch den Einsatzauftrag des BwKrhs bedingte Sonderstel-lung die Möglichkeit zur Konzentration auf eben diesen Aus- und Weiterbildungsauftrag. Die Ausrichtung eines BwKrhs ist nicht in erster Linie auf eine hocheffi ziente Wirtschaftlichkeit und Maximierung von Erlösen fokussiert. Vielmehr sollen Sol-daten medizinisch-fachlich so exzellent und einsatznah wie möglich ausgebildet werden. Diesem Ziel werden die Aspekte der reinen Wirtschaftlichkeit oder gar des Profi ts untergeordnet. Selbst universitäre Einrichtungen der Krankenversorgung sind nicht in vergleichbarem Maße frei von ökonomischen Zwän-gen. Unter diesen Voraussetzungen unternehmen die BwKrhs enorme Anstrengungen, dem besonderen Ausbildungsauftrag gerecht zu werden. Entgegen der landläufi gen Annahme großer Teile der Bevölke-rung werden in BwKrhs nicht nur Soldaten behandelt. Tatsäch-lich macht der Anteil der Soldaten am gesamten Patientenauf-kommen eines BwKrhs derzeit nur noch maximal 30 % aus.

Will man aber militärmedizinisches Personal umfassend und auf dem aktuellen Stand der Wissenschaft aus- und weiterbil-den sowie seine Kompetenz umfänglich erhalten, muss der Zu-gang zu zivilen Patienten aller Altersgruppen gewährleistet sein. Spezielle Kenntnisse und Fertigkeiten zur Versorgung ein-satzrelevanter Verletzungen und Erkrankungen werden ergän-zend durch Verwendungen der Soldaten in Auslandseinsätzen der Bundeswehr und durch die Versorgung von verwundeten Soldaten internationaler Bündnispartner in den BwKrhs erwor-ben. Dazu müssen diese Krankenhäuser dem aktuellen Stand der medizinischen Kenntnisse, Fertigkeiten und Ausstattungen eines modernen und funktionalen Krankenhauses entsprechen. Aus dieser Konstellation ergibt sich die besondere Stellung und Aufgabe der BwKrhs in Deutschland.

Erfahrungen

Entwicklung der ZINADas BwKrhs Hamburg hat im Jahre 2013 den ersten Abschnitt eines hoch modernen Krankenhausneubaus in Betrieb genom-men. Zu den Betriebseinheiten des Neubaus gehört unter ande-rem die ZINA (Abbildung 1). Während noch in den neunziger Jahren in Deutschland fast jede Fachabteilung eine Art eigene Notfallambulanz betrieb, folgten bald Kooperationen „ver-wandter“ Disziplinen in zentralisierten Aufnahmen. Dies er-leichterte den Zu- und Selbsteinweisern die zeitaufwändige und damit mitunter „lebensgefährliche“ Suche nach dem geeigneten Fachspezialisten.

Abb. 1: Die ZINA des BwKrhs Hamburg

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Wehrmedizinisches Symposium

Betriebliches Gesundheitsmanagement im Geschäftsbereich des

Bundesministeriums der Verteidigung

24.11. - 25.11.2015

Sanitätsakademie der Bundeswehr München

Sehr geehrte Leserinnen und Leser, liebe Kameradinnen und Kameraden, es ist mir eine große Freude, Ihnen mitteilen zu können, dass in diesem Jahr erstmals in der neuen Struktur ein „Wehrme-dizinisches Symposium“ an der Sanitätsakademie der Bun-deswehr durchgeführt werden kann. Bei dem Symposium sollen den Teilnehmerinnen und Teil-nehmern neueste Erkenntnisse aus der wehrmedizinischen Forschung präsentiert werden. Mit den Forschungsprojek-ten aus dem Betrieblichen Gesundheitsmanagement (BGM) wird Ihnen dabei gleichzeitig ein wesentlicher Arbeits-schwerpunkt der Abteilung E (Wehrmedizinische Forschung und Entwicklung) vorgestellt, die für die wissenschaftliche Koordination der Projekte verantwortlich ist.Die Bundesministerin der Verteidigung, Frau Dr. Ursula von der Leyen, sieht durch die Investition in die Gesundheit für den gesamten Personalkörper eine Steigerung der Einsatz- und Durchhaltefähigkeit sowie eine Verbesserung der Ar-beits- und Dienstfähigkeit. Durch das BGM soll als ein Ziel eine bessere gesundheitliche Lebensqualität erreicht werden, insbesondere vor dem Hintergrund des demografi schen Wandels.Im Rahmen des von ihr am 8. Juli 2014 erteilten Projektauf-trags zum Themenfeld 6 „Gesundes Arbeiten“ der Agenda „Bundeswehr in Führung – Aktiv, Attraktiv, Anders“ wird die Einführung eines BGM in die Bundeswehr untersucht, um danach dessen schrittweise Umsetzung in der Fläche zu ermöglichen. Seit Januar dieses Jahres wird in einer Erprobungsphase BGM im Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Ver-teidigung (BMVg) unter der Leitung der Abteilung Führung Streitkräfte im BMVg und des Kommandos Sanitätsdienst der Bundeswehr eingeführt. Bei elf ausgewählten Pilot-dienststellen erfolgte in der Zeit vom 01.01. – 30.06.2015 die Untersuchung der Einführung. Acht Hochschulinstitute und die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) begleiteten diese Erprobungsphase wissenschaft-lich. Dieses ist eines der größten multidisziplinären For-schungskonsortien, die je eingerichtet wurden. Die Breite des Forschungsspektrums reicht dabei vom Betriebssport über die Ernährungsberatung bis hin zur Suchtprävention und zur Bedeutung eines gesunden Führungsstils.

Die für die Wehrmedizin typische Multidisziplinarität dieses zukunftsweisenden Projektes und der hohe Stellenwert, den das BGM im Rahmen der Agenda „Bundeswehr in Führung – Aktiv, Attraktiv, Anders“ einnimmt, haben mich zu dem Ent-schluss geführt, die Projekte und deren bisherige Ergebnisse auf einem Wehrmedizinischen Symposium vorstellen zu las-sen.

Wie Sie den auf den folgenden Seiten vorgestellten Abstracts entnehmen können, haben an dem BGM-Projekt führende Wissenschaftler aus den jeweiligen Fachgebieten mitge-wirkt. Und ich freue mich ganz besonders, dass wir Herrn Professor Dr. Bloch von der Deutschen Sporthochschule in Köln für unseren Festvortrag „Epigenetik und Sport“ gewin-nen konnten. Sein Vortrag stellt zweifellos einen der Höhe-punkte des Symposiums dar.

Gesundheitsverhalten, Gesundheitsökonomie, internetba-siertes Screening sowie Forschungskoordination aus prozes-sorientierter Sicht stellen nur einige wenige Aspekte dar, die auf dem Symposium vorgestellt werden. Jedes einzelne Pro-jekt hier aufzuführen, würde den Rahmen eines Vorwortes sprengen. Nur soviel sei gesagt: Das Forschungskonsortium BGM mit seinen zivilen und militärischen Einrichtungen hat wieder einmal in eindrucksvoller Weise belegt, wie Synergi-en gebündelt und effektiv genutzt werden können. Dafür möchte ich mich bei allen Beteiligten bedanken. Und ich kann ihnen mitteilen, dass ein nachfolgendes Forschungspa-ket, das die Ausfächerung von BGM im Geschäftsbereich des BMVg begleiten soll, derzeit geschnürt wird.

Ich begrüße Sie herzlich zu unserem Wehrmedizinischen Symposium in der Ernst-von-Bergmann-Kaserne und wün-sche Ihnen interessante Vorträge, lebhafte Diskussionen und einen angenehmen Aufenthalt.

Ihre

Dr. Erika FrankeGeneralstabsarztKommandeurin der Sanitäts akademie der Bundeswehr

Wehrmedizinisches Symposium: „Betriebliches Gesundheitsmanagement“ - München, 24.11 - 25.11.2015

Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 11/2015

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Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 11/2015

Wehrmedizinisches Symposium: „Betriebliches Gesundheitsmanagement“ - München, 24.11 - 25.11.2015

Mitarbeiterbefragung als Methodenbaustein zur Imple-mentierung eines Betrieblichen Gesundheitsmanagement in den deutschen Streitkräften

Employee attitude survey as method to implement occupational health management in German Federal Armed Forces

Rose DM1, Schöne K1, Adams J1, Sammito S1,2

1Institut für Lehrergesundheit am Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der Universitätsmedizin Mainz, 2Kom-mando Sanitätsdienst der Bundeswehr, Koblenz

Einleitung: Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) hat sich in den letzten Jahren zunehmend zur Verbesserung der Leistungsfähigkeit und -bereitschaft von Mitarbeitern, der Ge-sundheit und zur Attraktivitätssteigerung des Arbeitsgebers eta-bliert. Erfahrungen aus dem zivilen Bereich lassen sich auf-grund der Struktur und der unterschiedlichen Aufgaben nicht direkt auf den Geschäftsbereich des Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) übertragen, weshalb im 1. Halbjahr 2015 ein Erprobungsvorhaben zur Einführung von BGM an elf aus-gewählten, repräsentativen Dienststellen bundesweit durchge-führt wurde. Im Rahmen zweier Mitarbeiterbefragungen (Feb-ruar/März [T1] und Juni 2015 [T2]) wurden Querschnitts- sowie Längsschnittdaten erhoben.

Methoden: Zu beiden Zeitpunkten wurden die Beschäftigte ge-beten, entweder mittels einer im Internet verfügbaren Online- oder, wenn dies technisch nicht möglich war, an einer Pa-per-Pencil-Version des Fragebogens an der Befragung teilzu-nehmen. Anhand eines individuell von den Beschäftigten zu erstellenden Codes konnten beide Fragebogenergebnisse zu-sammengeführt werden. Im Vorfeld wurden die Beschäftigten durch die vor Ort befindlichen BGM-Koordinatoren im Rah-men von Kick-Off-Veranstaltungen und mittels Flyer über die Befragung und ihre Ziele informiert.

Ergebnisse: Insgesamt nahmen an T1 2.076 (22,4 %) und an T2 1.481 (16,0 %) der 9.267 Beschäftigten an der Befragung teil, davon 72,3 % (T1) und 60,1 % (T2) per Onlinebefragung, und 27,7 % (T1) und 39,9 % (T2) per Paper-Pencil-Befragung. Nur für 502 (5,4 %) der Beschäftigten konnten aufgrund des indivi-duellen Codes beiden Befragungen verbunden werden. Die Teilnahmeraten variierten in beiden Befragungen zwischen den Dienststellen stark, nämlich zwischen 5 % und 57 % (T1) bzw. zwischen 6 % und 52 % (T2). Die Mehrheit der Teilnehmer war männlich (64,0 % bzw. 66,9 %) und gehörte der Statusgruppe der Soldaten an (55,0 % bzw. 61,0 %). Die Altersgruppe bis einschließlich 29 Jahre (31,0 % bzw. 30,7 %) war am stärksten vertreten.

Diskussion: Insgesamt konnte im Rahmen der Erprobungspha-se erfolgreich eine Mitarbeiterbefragung zur Ist-Standerhebung Erhebung von Belastungen, Beanspruchungen und gesund-heitsrelevanten Verhaltensweisen eingesetzt worden, die auch geeignet ist, Veränderungen durch BGM-Maßnahmen zu vali-dieren. Es müssen die Gründe für die in einigen Dienststellen unbefriedigende Mitarbeiterteilnahmequote analysiert werden, und Maßnahmen gefunden werden, diese zukünftig zu verbes-sern.

Dieses Forschungsvorhaben wird mit Mitteln aus dem Bundes-ministerium der Verteidigung finanziert (Forschungsnummer: E/U2AD/ED003/EF555).

Verschiedene Bedürfnisse in unterschiedlichen militäri-schen Dienststellen im Rahmen einer Implementierung ei-nes Betrieblichen Gesundheitsmanagement in den deut-schen Streitkräften

Different needs of various military services within the scope of implementing occupational health management in the German Federal Armed Forces

Sammito S1,2, Schöne K1, Adams J1, Rose DM1

1Institut für Lehrergesundheit am Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der Universitätsmedizin Mainz, 2Kom-mando Sanitätsdienst der Bundeswehr, Koblenz

Einleitung: Im Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung (BMVg) wurde vom 01.01. bis 30.06.2015 zur Einführung eines Betrieblichen Gesundheitsmanagement (BGM) an elf Dienststellen ein Erprobungsvorhaben durchge-führt. Ziel dieses Erprobungsvorhaben war es, an einer Aus-wahl von repräsentativen Dienststellen mit unterschiedlichen Aufgaben und Mitarbeiterzusammensetzungen Erfahrungen für eine bundesweite Ausrollung des BGM zu sammeln. Ziel dieser Arbeit ist es die Unterschiede in den Bedürfnissen der verschie-denen Dienststellen herauszuarbeiten.

Methoden: Die 9 267 Beschäftigten der elf Erprobungsdienst-stellen wurden gebeten, an einer Mitarbeiterbefragung im Feb-ruar und März 2015 teilzunehmen, welche online, und wo tech-nisch nicht möglich, auch in Form einer Paper-Pencil-Befra-gung möglich war. Fragen zu insgesamt zwölf BGM-The-menschwerpunkten wurden jeweils gemeinsam betrachtet und in einen Score umgerechnet, wobei jeweils die beiden negati-ven Antwortkategorien „nein“ bzw. „eher nein“ berücksichtigt wurden. Die teilnehmenden Dienststellen wurden in vier Dienststellencluster „Kampfeinheiten“, „höhere Kommando-behörden & Ministerium“, „Verwaltung & Zivileinrichtung“ und „Krankenhaus“ unterteilt.

Ergebnisse: Insgesamt nahmen an der Befragung 2 076 Be-schäftigte teil (22,4 % des Gesamtkollektivs). Es zeigten sich zwischen den Dienststellenclustern signifikante Unterschiede in der Geschlechterverteilung, dem Status der Beschäftigten (militärisch bzw. zivil) und in der Altersverteilung (jeweils p < 0,05). In den Themenschwerpunkten Führungsverhalten/Soziale Aspekte, Arbeitsgestaltung, Arbeitsverantwortung, Ar-beitsmittel, Umgebungsbedingungen, Arbeitsverhalten, Psychi-sche Gesundheit, Stress, Commitment, Ernährung und Bewe-gung/Sport zeigten sich signifikante Unterschiede (bis zu 27,7 %) zwischen den Dienststellencluster (p < 0,05). Lediglich im Gesundheitsverhalten zeigten sich keine signifikanten Un-terschiede.

Diskussion: Es zeigten sich für nahezu alle betrachteten BGM-Themen signifikante Unterschiede zwischen den Dienst-stellenclustern als Hinweis auf die Notwendigkeit, dass für un-terschiedliche Dienststellen jeweils bedarfsgerechte BGM-Maß-nahmen geplant werden müssen. Die Mitarbeiterbefragung zeigt sich hierbei als ein sehr nützliches Tool zur Feststellung des Ist-Zustandes.

Dieses Forschungsvorhaben wird mit Mitteln aus dem Bundes-ministerium der Verteidigung finanziert (Forschungsnummer: E/U2AD/ED003/EF555).

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S3Wehrmedizinisches Symposium: „Betriebliches Gesundheitsmanagement“ - München, 24.11 - 25.11.2015

Prozessorientiertes Forschungsmanagement zur Förderung der Einführung des Betrieblichen Gesundheitsmanage-ments in die BundeswehrProcess orientated research management to boost the imple-mentation of occupational health management in the German Federal Armed ForcesKehe K1, Manolia M2, Weller N1, Kern EM2

1Sanitätsakademie der Bundeswehr, Direktorat Wissenschaft, München 2Universität der Bundeswehr München, Professur für Wissensmanagement und GeschäftsprozessgestaltungForschungsmanagement umfasst die Bestimmung von For-schungsinhalten, die Forschungsprogrammdefinition und -um-setzung sowie die Kontrolle und Bewertung wissenschaftlicher Leistungen. Als wesentliche Aufgabenbereiche des Forschungs-managements lassen sich damit die Strategische Forschungs-planung, die Qualitätssicherung in der Forschung, das Manage-ment von Forschungsprojekten, das Forschungscontrolling so-wie ein übergeordnetes Wissensmanagement nennen. Prozessorientiertes Forschungsmanagement ist ein aktuelles Thema, das derzeit vor allem im Kontext von Universitäten und außeruniversitären Forschungseinrichtungen z. T. sehr kontro-vers diskutiert wird. Im Fokus der Diskussion steht dabei insbe-sondere die Frage nach der Formulierung eines dem For-schungsbereich gerecht werdenden Zielsystems sowie nach ei-ner aussagekräftigen und praktikablen Operationalisierung der darin enthaltenen Ziele.Im Rahmen des Forschungsverbundes „Betriebliches Gesund-heitsmanagement“ werden derzeit mehrere Forschungsprojekte zur Untersuchung spezifischer Fragestellungen des Betriebli-chen Gesundheitsmanagements (BGM) im Geschäftsbereich des Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) durchge-führt. Intention dieser Projekte ist es, sowohl grundlegende Er-kenntnisse zum Themenfeld zu gewinnen als auch konkret um-setzbare Ergebnisse zu erarbeiten.Zielsetzung des vorliegenden Beitrages ist es, anhand des For-schungsverbundes „Betriebliches Gesundheitsmanagement“ zunächst die wesentlichen Elemente und Instrumente eines pro-zessorientierten Forschungsmanagements darzustellen. Zudem wird ein erster Ansatz zur Beschreibung von Forschungsquali-tät in diesem Kontext vorgestellt. Das Forschungsmanagement eröffnet damit die Möglichkeit, durch gezieltes Monitoring ein-zelner Qualitätsdimensionen, wie z. B. der Output- und Outco-mequalität die Bewertung der Sinnhaftigkeit und des Nutzens der Forschungsprojekte. Davon ausgehend können Anforderun-gen an die Ausgestaltung der weiteren „forschungstechnischen“ Begleitung des BGM abgeleitet werden.

Kosten-Effektivitätsanalyse im Rahmen eines BGM-Pilot-projektes der Bundeswehr am Beispiel von Maßnahmen zur BewegungsförderungCost-effectiveness analysis in the context of the pilot project on occupational health management of the German Federal Armed Forces on example of physical activity measuresKrauth C1, Wiese S1, Liersch S1

1Institut für Epidemiologie, Sozialmedizin und Gesundheitssys-temforschung, Medizinische Hochschule Hannover

Einleitung: Die Einführung eines Betrieblichen Gesundheits-managements (BGM) zeigt häufig positive Returns on Invest-ment (ROI). Kosteneinsparungen werden u. a. dadurch erreicht, dass Absentismus (krankheitsbedingte Fehlzeiten) und Präsen-tismus (Produktivitätsverluste, wenn erkrankte Mitarbeiter zwar am Arbeitsplatz erscheinen, aber wegen der Erkrankung ein geringeres Arbeitspensum erledigen können) abnehmen. Im gesundheitsökonomischen Forschungsvorhaben sollen die BGM-Kosten, die Kosteneinsparungen durch Reduktion von Absentismus/Präsentismus und gesundheitsbezogene Lebens-qualität zusammengeführt werden, um die Kosten-Effektivität des BGM zu bestimmen. Außerdem werden partielle gesund-heitsökonomische Analysen (z. B. zu den BGM-Kosten pro Teilnehmer) durchgeführt.

Methoden: Die Kosten-Effektivitäts-Analyse des BGM erfolgt aus Perspektive der Bundeswehr. Aufbauend auf einer detail-lierten Prozessanalyse werden hierfür zunächst die relevanten Leistungen des BGM identifiziert und der assoziierte Ressour-cenverbrauch erfasst (Personal, Sachmittel, Overhead). Der Personalaufwand wird zu den tatsächlichen Arbeitskosten (in-klusive Lohnnebenkosten) bewertet, Sachkosten zu den tat-sächlichen Anschaffungskosten. Die berücksichtigten Kosten-sätze werden auf das Jahr 2015 bezogen. Als Effektenparameter werden die gesundheitsbezogene Lebensqualität (HRQoL), der Body-Mass-Index sowie die körperlich-sportliche Aktivität (Std. pro Woche) einbezogen. Diese wurden im Rahmen einer standardisierten Erhebung im Prä-Post-Design erfasst. Die Be-fragung lässt eine Differenzierung nach Teilnehmern und Nichtteilnehmern an einzelnen BGM-Maßnahmen zu. Zum zweiten Messzeitpunkt (T2) wurde zudem Absentismus sowie Präsentismus erfasst, die Rückschlüsse auf gesundheitsbeding-te Produktivitätsverluste erlauben.

Ergebnisse: Von jenen Probanden die T1 und T2 teilnahmen (n=502), haben 92,4 % vollständige Angaben zur HRQoL ge-macht. Von 84,2 % (n=1.247) der Probanden die an T2 teilnah-men, können Angaben zu gesundheitsbedingten Produktivitäts-verlusten in die Analyse einbezogen werden. Die HRQoL der Kursteilnehmer ist von T1 zu T2 konstant geblieben (p>0,05), während sie bei den Nichtteilnehmern signifikant gesunken ist (p <0,05). Die HRQoL ist in T2 bei den Teilnehmern signifikant besser als bei den Nichtteilnehmern (p <0,05). Teilnehmer (21,5 %, 95 %-KI 19,6-23,5) weisen geringere gesundheitsbe-dingte Produktivitätsverluste auf als Nichtteilnehmer (21,8 %, 95 %-KI 19,5-24,1).

Diskussion: Die hier betrachteten relevanten Items verfügen über insgesamt wenige Missings so dass verwertbare Aussagen getroffen werden können. Die hier präsentierten ersten Ergeb-nisse basieren jedoch auf rohen Effektschätzern. Zukünftige Subgruppenanalysen sowie multivariate Verfahren werden Rückschlüsse auf weitere Einflussfaktoren (z. B. Alter, Ge-schlecht) auf die Kosteneffektivität zulassen.

Dieses Forschungsvorhaben wird mit Mitteln aus dem Bundes-ministerium der Verteidigung finanziert (Forschungsnummer: E/U2AD/FD001/EB783).

Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 11/2015

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S4 Wehrmedizinisches Symposium: „Betriebliches Gesundheitsmanagement“ - München, 24.11 - 25.11.2015

Pilotprojekt zur Einführung eines Betrieblichen Gesund-heitsmanagements: Prozessevaluation zur Identifikation von hemmenden und fördernden FaktorenPilot study for the introduction of a workplace health manage-ment program: Evaluation of inhibiting and promoting factors in the process and in the contextLatza U1, Sommer S1, Prigge M1, Wiencke M1, Hampel E2, Schlattmann A3

1Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), Berlin, 2WiDi-Kontor: Wissenschaftliche Dienstleistungen & Forschungsservice, Hamburg, 3Department für Sportwissen-schaft, Universität der Bundeswehr MünchenEinleitung: Das Erprobungsvorhabens Betriebliche Gesund-heitsförderung (BGF) im Rahmen der Einführung eines Be-trieblichen Gesundheitsmanagements (BGM) in den Geschäfts-bereich des Bundesministeriums der Verteidigung (BMVg) wurde wissenschaftlich begleitet. Ergänzend zur schriftlichen Mitarbeiterbefragung und dem organisatorischen Bericht sollte zur fachlichen Unterstützung spezifisches Wissen aus Sicht der Koordinatoren und ihrer Dienststellenleitungen über hemmen-de und fördernde Faktoren im Prozess sowie die Einflüsse der dienststellenspezifischen Kontexte auf die Zielerreichung in den vier Handlungsfeldern (Bewegung, Ernährung, Stressma-nagement und Suchtprävention) generiert werden.Methoden: Zur Prozessevaluation wurden qualitative leitfa-dengestützte face-to-face Interviews mit den elf Koordinatoren und deren Leitungen am Arbeitsort geführt und protokolliert. Bedeutsame Sequenzen wurden transkribiert oder direkt para-phrasiert und mittels MAXQDA kodiert und inhaltsanalytisch (nach Mayring) ausgewertet.Ergebnisse: Zwischen Anfang Mai und Ende Juni 2015 fanden alle anvisierten Interviews statt (Dauer 45 bis 90 Minuten). Nach deren Transkription wurden induktiv hemmende und för-derliche Faktoren identifiziert (z. B. für die Einstiegsphase, das Marketing, der militärische Rang und die Kompetenzen des Koordinators, die Aktivität der Leitungsebenen/Mittelbau, die Priorität der Auftragserfüllung, die Funktion von Gremium/AK Gesundheit, die Zielerreichung sowie Good-Practice), welche anschließend in einen theoretischen Kontext gestellt werden. Diskussion: Vor Abschluss der Auswertung zeichnet sich ab, dass der vorgegebene enge zeitliche Rahmen des Erprobungs-vorhabens erwartungsgemäß zu organisatorischen Defiziten und z. T. unpassenden Angeboten geführt hat, die aber durch die Koordinatoren z. T. ausgeglichen werden konnten, die mit En-gagement gute Lösungen gefunden haben. Für die Weiterent-wicklung des BGM ist eine konzeptionelle und praktische Ver-netzung der BGF mit den Säulen Arbeitsschutz (Sicherheits-fachkräfte, Betriebliches Eingliederungsmanagement) sowie Führung und Organisation notwendig.Dieses Forschungsvorhaben wird mit Mitteln aus der Bundes-anstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin finanziert (For-schungsnummer: F2370).

Kennzahlen im Rahmen des Betrieblichen Gesundheitsma-nagements: Angebote, Teilnahmehäufigkeiten und Zufrie-denheit mit BGF-MaßnahmenMetrics in the context of occupational health management: par-ticipation frequencies and satisfaction with occupational health management measures

Feistenauer C1, Demuth R1, Schlattmann A1

1Department für Sportwissenschaft, Universität der Bundes-wehr MünchenEinleitung: Mit der Einführung eines Betrieblichen Gesund-heitsmanagements werden verschiedene Ziele, wie beispiels-weise die Schaffung gesundheitsförderlicher Arbeitsbedingun-gen oder die Steigerung der Arbeitgeberattraktivität, verbun-den. Um die nicht unerheblichen Investitionen zu rechtfertigen, sind entsprechende (kennzahlenbasierte) Nachweise zu erbrin-gen.Methoden: Während der Erprobungsphase (01.01 - 30.06.2015) wurden die angebotenen und tatsächlich durchgeführten Maß-nahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung (BGF) sowie die jeweiligen Teilnehmerzahlen dokumentiert. Nach Abschluss einzelner Maßnahmen bzw. bei regelmäßig stattfindenden Ver-anstaltungen in monatlichem Turnus wurde ergänzend die Kun-denzufriedenheit erfragt.Ergebnisse: Im sechs-monatigen Erprobungszeitraum wurden insgesamt 3 105 Maßnahmen angeboten und 2 829 Maßnahmen (Ausfallquote: 9 %) mit 21 896 Teilnahmen durchgeführt. Das heißt, im Durchschnitt wurden an jeder Dienststelle täglich 2 BGF-Maßnahmen mit jeweils acht Teilnehmern durchgeführt. Zwischen den Bereichen der BGF ergeben sich Unterschiede in der Häufigkeit der durchgeführten Maßnahmen. 87 % der Maß-nahmen fallen in den Bereich Bewegung (8 % Stressbewälti-gung, 2 % Ernährung, 1 % Suchtprävention, 2 % BGM Allge-mein). Unterschiede sind auch bezüglich der durchschnittlichen Teilnehmerzahl pro Maßnahme (T/M) und Bereich zu beobach-ten (BGM Allgemein: 17 T/M, Ernährung: 14 T/M, Bewegung 8 T/M, Suchtprävention 7 T/M, Stressbewältigung 6 T/M). Ins-gesamt konnten N = 2 547 Befragungen zur Kundenzufrieden-heit durchgeführt werden. Es geben 95 % der Befragten an, mit der angebotenen Maßnahme zufrieden zu sein; 91 % haben vor, an weiteren Maßnahmen teilzunehmen, und 96 % würden die besuchte Maßnahme den Kollegen weiter empfehlen. Diskussion: Der Umfang des Angebots kann als sehr zufrie-denstellend betrachtet werden, zumal im Vorfeld eine Maßnah-me pro Tag als Zielgröße angestrebt wurde, auch wenn eine durchschnittliche Ausfallquote von 9 % der Maßnahmen nicht unberücksichtigt bleiben darf. In Bezug auf die einzelnen Be-reiche bestehen sowohl auf der Maßnahmen- als auch auf der Teilnahmeseite deutliche Unterschiede. Hier sollten - unter Be-rücksichtigung des Bedarfs der Beschäftigten - die Differenzen ausgeglichen werden. Hinsichtlich der Kundenzufriedenheit zeigt sich ein positives Bild, das es gilt aufrecht zu erhalten. Dieses Forschungsvorhaben wird mit Mitteln aus dem Bundes-ministerium der Verteidigung finanziert (Forschungsnummer: M/SAKE/EA001).

Einstellung und Bewegungsverhalten im Rahmen der Ein-führung des Betrieblichen GesundheitsmanagementsAttitudes and movement behaviour in the context of the imple-mentation of an occupational health management programEngland K1, Schlattmann A2, Kowalski J3, Stein M4

1Einsatzführungskommando der Bundeswehr, Schwielowsee, 2Department für Sportwissenschaft, Universität der Bundes-wehr München, 3Streitkräfteamt Bonn, 4Helmut-Schmidt Uni-versität Hamburg

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S5Wehrmedizinisches Symposium: „Betriebliches Gesundheitsmanagement“ - München, 24.11 - 25.11.2015

Einleitung: Die Theorie des geplanten Verhaltens (nach Ajzen) geht davon, dass positive bzw. negative Einstellungen („Sport treiben ist gesund“), subjektive Normen („Mein Vorgesetzter erwartet von mir, dass ich mehr Sport treibe“) sowie die wahr-genommene Verhaltenskontrolle („Mein Dienstplan lässt es nicht zu, Sport zu treiben“) die Intentionen („Ich habe vor, an BGF-Maßnahmen teilzunehmen“) und darüber auch das tat-sächliche Verhalten (Teilnahme an BGF-Maßnahmen) beein-flussen. Dieser theoretische Ansatz wurde bereits in zahlreichen sport- und gesundheitspsychologischen Studien erfolgreich an-gewandt, um darauf bezogene Interventionen abzuleiten.Methoden: Im Juni 2015 erhielten die elf Erprobungsdienst-stellen die Möglichkeit, an einer Online-Befragung teilzuneh-men. Im Rahmen dieser Befragung wurden neben verschiede-nen anderen Aspekten auch die Komponenten der Theorie des geplanten Verhaltens sowie die Häufigkeit der Teilnahme an bewegungsbezogenen BGF-Maßnahmen abgefragt. Insgesamt haben N = 1 481 Personen (Frauen, n = 364; Männer, n = 991) an dieser Studie teilgenommen.Ergebnisse: Vier von zehn Personen (40,1 %) geben an, dass sie mindestens einen Termin (M = 10,50, SD = 10,50) der be-wegungsbezogenen BGF-Maßnahmen wahrgenommen haben. Bezogen auf die Gesamtgruppe (n = 1 388) bedeutet dies, dass im Durchschnitt die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an den elf Erprobungsdienststellen an vier Bewegungsangeboten teilge-nommen haben. Vergleicht man die Teilnehmer von Bewe-gungsangeboten (n = 556) mit denen, die diesbezüglich (noch) nicht aktiv waren (n = 832), dann fällt auf, dass die Nicht-Teil-nehmerinnen und Nicht-Teilnehmer gegenüber den Teilneh-merinnen und Teilnehmern eine vergleichsweise weniger posi-tive Einstellung gegenüber der Betrieblichen Gesundheitsför-derung aufweisen (t = -19,12, p <0,001), dass sie auch weniger davon überzeugt sind, dass Vorgesetzte eine Teilnahme erwar-ten (t = -5,63, p <0,001). Zudem sind die Nicht-Teilnehmerin-nen und Nicht-Teilnehmer mehr als die Teilnehmerinnen und Teilnehmer davon überzeugt, dass Faktoren wie der Dienstbe-trieb eine Teilnahme an gesundheitsbezogenen Bewegungspro-grammen erschweren (t = -16,09, p <0,001). Die Häufigkeit des dienstlichen und außerdienstlichen Sports (ca. 4,5 Stunden/Wo-che) unterscheidet sich allerdings nur unwesentlich. Diskussion: Die ersten Befunde bestätigen die Modellannah-men. Weitere Analysen werden gegebenenfalls auch personen- und dienststellenbezogen Unterschiede in Einstellung und (Be-wegungs-)Verhalten zeigen. Darauf bezogen wären dann prak-tische Maßnahmen zur Unterstützung des angestrebten Bewe-gungsverhaltens abzuleiten.Dieses Forschungsvorhaben wird mit Mitteln aus dem Bundes-ministerium der Verteidigung finanziert (Forschungsnummer: M/SAKE/EA001).

Zum Zusammenhang von sportlicher Aktivität, körperli-chen Beschwerden und Gesundheitsempfinden. The correlation between physical activity, physical symptoms, and health perceptionGerbing K-K1, Schlattmann A1, Rose D-M2, Sammito S2,3

1Department für Sportwissenschaft, Universität der Bundes-wehr München, 2Institut für Lehrergesundheit am Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der Universitätsmedizin Mainz, 3Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr, Koblenz

Einleitung: Sportliche Aktivität kann dazu beitragen, dass Be-schwerden sowohl im physischen Bereich (z. B. Herz-Kreis-lauf-Probleme) wie auch im psychischen Bereich (z. B. Kon-zentrationsstörungen) reduziert werden und dass sich in diesem Zusammenhang insgesamt ein positiver Effekt auf das Gesund-heitsempfinden ergibt. Im Rahmen der Einführung des Betrieb-lichen Gesundheitsmanagements (BGM) im Geschäftsbereich des Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) ist von Inte-resse, ob und inwieweit sich diese Zusammenhänge nachwei-sen lassen.Methoden: Im Rahmen einer umfangreichen Online-Befra-gung, die standortabhängig um eine Paper-and-Pencil-Befra-gung ergänzt wurde, wurden die Mitarbeiterinnen und Mitar-beiter der 11 Dienststellen der Erprobungsphase nach dem Erle-ben von körperlichen Beschwerden, dem subjektiven Gesund-heitsempfinden und der Häufigkeit des Sporttreibens befragt (Februar - März 2015). Insgesamt nahmen an der Befragung 2.076 Personen teil (Rücklaufquote 22,4 %). Ergebnisse: Die durchschnittliche sportliche Aktivität der be-fragten Stichprobe liegt bei 3,74 Stunden pro Woche. 13,3 % sind sportlich inaktiv, 86,7 % treiben mehr oder weniger Sport: 29,8 % niedrige Aktivität (≤ 2 Stunden/Woche), 35,4 % mittlere Aktivität (>2 und ≤6 Stunden/Woche), 21,5 % hohe Aktivität (>6 Stunden/Woche). Der Gesundheitszustand wird im Durch-schnitt mit 4,25 eher positiv bewertet (1 = sehr schlecht, 6 = sehr gut). Zwischen der sportlichen Aktivität und dem allge-meinen Gesundheitsempfinden zeigt sich ein schwacher Zu-sammenhang (rs (1838) = 0,247, p <0,001). 59,0 % haben Be-schwerden im Rücken- und Nackenbereich, 36,5 % im Bereich der Schultern, Ellenbogen und Händen, 31,3 % im Bereich der Hüften, Knien und Füßen, 44,3 % berichten von Übermü-dungs-/Erschöpfungs-Symptomen. Es zeigen sich durchgängig negative Korrelationen zwischen der Häufigkeit der sportlichen Aktivität und dem Vorhandensein von körperlichen Be-schwerden (r=-0,047 bis -0,200, p <0,05). Außerdem zeigt sich, dass die eigene Gesundheit positiver wahrgenommen wird, wenn körperliche Beschwerden in geringerem Maße auftreten (r=-0,345 bis r=-0,438, p <0,01).Diskussion: Es können die vermuteten Zusammenhänge zwi-schen der sportlichen Aktivität, dem Gesundheitsempfinden so-wie den erfassten körperlichen Beschwerden aufgezeigt wer-den. Diese Befunde lassen sich als ermutigende Hinweise dar-auf deuten, dass die Bewegungsmaßnahmen, die im Rahmen des BGM (zusätzlich) angeboten werden, einen gesundheitsför-dernden Beitrag der Bundeswehrangehörigen leisten (können). Dienststellenbezogene Unterschiede wären noch herauszuar-beiten.Diese Forschungsvorhaben wird mit Mitteln aus dem Bundes-ministerium der Verteidigung finanziert (Forschungsnummer: M/SAKE/EA001 bzw. E/U2AD/ED003/EF555).

Entwicklung und Erprobung von Trainingsprogrammen zur Stressprävention und Ressourcenförderung im Rahmen des BGM-Pilotprojekts der BundeswehrDevelopment and exploration of stress prevention and resour-ces trainings in the context of the pilot project on occupational health management of the BundeswehrRenner K-H1, Felfe J2, Brunner H1, Hartel E1, Krick A2, Stein M2, Kowalski J2

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S6 Wehrmedizinisches Symposium: „Betriebliches Gesundheitsmanagement“ - München, 24.11 - 25.11.2015

1Universität der Bundeswehr München, 2Helmut-Schmidt-Uni-versität der Bundeswehr HamburgEinleitung: Im Rahmen des BGM-Pilotprojekts im Geschäfts-bereichs des Bundesministeriums der Verteidigung (BMVg) wurden drei Trainingsprogramme zur Stressprävention und Ressourcenförderung entwickelt und erprobt: (1) Ein Standard-training, (2) ein eintägiges, multimodales Intensivtraining mit anschließender Online-Coaching-Phase; sowie (3) ein Stärken- und Ressourcentraining. In den drei Trainingsprogrammen ka-men u.a. die folgenden Methoden/Techniken zum Einsatz: Psy-cho-Edukation zum Thema Stress, Progressive Muskelentspan-nung, Kognitive Umstrukturierung, Problemlöse-Training, zu-sätzliche Übungen zu den genannten Trainingsinhalten auf ei-ner Online-Plattform zur Förderung des Transfers in den Alltag; ressourcenorientierte und achtsamkeitsbasierte Interventionen (persönlichen Stärken erkennen und weiterentwickeln, Res-sourcen im Alltag identifizieren und nutzen, Aufmerksamkeit bewusst auf solche Ressourcen lenken können). Methoden: Online-(N = 164) und Paper-Pencil-Befragung (N = 49) der Trainingsteilnehmer/innen zur Evaluation der Machbarkeit, Akzeptanz und wahrgenommenen Wirkung der Trainingsprogramme. Ergebnisse: Die Programme wurden insgesamt positiv bewer-tet: M = 3,95; SD = 0,97 bei einer Zufriedenheitseinschätzung mit den Antwortalternativen 1 = überhaupt nicht bis 5 = sehr. Zudem planen die Befragten, sich dauerhaft an den Stressprä-ventionsprogrammen zu beteiligen: M = 3,66, SD = 1,15 (1 = nein bis 4 = ja). Weiterhin wurde auf einer Skala die Wirkung der Trainingsprogramme im Hinblick auf den zukünftigen Um-gang mit Stress, Entspannung sowie der Nutzung eigener Stär-ken etc. positiv bewertet (M = 3,82, SD = 0,73; 1 = trifft nicht zu bis 5 = trifft zu, N = 49).Diskussion: Obwohl die Mehrheit (62,8 %) der 164 Befragten in der Online-Erhebung nur an einer Trainingssitzung teilneh-men konnten, wurden mit dem Standardtraining zur Stressprä-vention, dem Intensiv-Training mit Online-Coaching und dem Stärken- und Ressourcentraining drei unterschiedliche Maß-nahmen entwickelt und durchgeführt, die positiv bewertet und wirkungsvoll eingeschätzt wurden. Die positiven Einschätzun-gen sind unabhängig vom Geschlecht, dem Beschäftigungsver-hältnis und der Führungsposition der Teilnehmer/innen. Dieser vorläufige Befund weist darauf hin, dass die Trainings für Per-sonen mit unterschiedlichen soziodemographischen Merkma-len gleichermaßen geeignet sind. Dieses Forschungsvorhaben wird mit Mitteln aus dem Bundes-ministerium der Verteidigung finanziert (Forschungsnummer: M/SAKE/EA004).

Der Zusammenhang zwischen Stress, gesundheitsförderli-cher Führung und Selbstführung und Arbeitgeberattrakti-vität in Bezug auf Gesundheit sowie Akzeptanz der BGF MaßnahmenThe relationship between perceived strain, self care, leadership and participation in OHPFelfe J1, Renner K-H2, Stein M1, Klamar A1, Krick A1, Kowalski J1, Sammito S3,4

1Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr Hamburg, 2Uni-versität der Bundeswehr München, 3Institut für Lehrergesund-heit am Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der

Universitätsmedizin Mainz, 4Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr, KoblenzEinleitung: Mit Blick auf zukünftige Interventionen soll unter-sucht werden, wie sich die gesundheitliche Situation (Erleben, Verhalten, Führung) der Angehörigen im Geschäftsbereich des Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) auf die Akzep-tanz der Maßnahmen im Rahmen der betrieblichen Gesund-heitsförderung (BGF) (Teilnahmeabsicht) und Teilnahmehäu-figkeit sowie die Attraktivitätseinschätzung auswirken.Methoden: Befragt wurden Mitarbeiter zu zwei Erhebungs-zeitpunkten (T1, N=2 076; T2, N=1 400).Ergebnisse: Das Erleben von psychischen (Stress) und physi-schen Beeinträchtigungen ist zu T1 und T2 negativ mit der At-traktivität in Bezug auf Gesundheit korreliert (-.17 - -.24 bzw. -.11 - -.18), während ein positiver Gesundheitsstatus und ge-sundheitsbewusstes Verhalten mit einer positiveren Einschät-zung der Attraktivität einhergehen (.14 und .19 bzw. 16 und .19). Zusätzlich werden die Attraktivität und der Gesundheits-status zu T1 maßgeblich durch Arbeitsbedingungsfaktoren (Führung, Klima, Ergonomie, Handlungsspielraum) beeinflusst (.21 - .32 bzw. .17 - .23). Zu T2 erweist sich die spezifische Unterstützung durch Vorgesetzte als bedeutsam (.33). Beschäf-tigte mit einem stärkeren gesundheitsbewussten Verhalten und mehr physischen und psychischen Beeinträchtigungen zeigen zu T1 und zu T2 tendenziell eine höhere Absicht an BGF Maß-nahmen teilzunehmen (.12 - .15 bzw. .09 - .11). Zu T2 zeigen sich ähnliche Zusammenhänge zu Teilnahmehäufigkeit und zur zukünftigen Teilnahmeabsicht. Die Teilnahmezufriedenheit geht einher mit der Attraktivität in Bezug auf Gesundheit, der Nutzenbewertung und der Unterstützung durch die Führung, weniger jedoch mit dem eigenen Gesundheitsverhalten und dem eigenen Gesundheitsstatus.Diskussion: Die Ergebnisse zeigen, dass es zwar Zusammen-hänge zwischen Gesundheit und Attraktivitätseinschätzungen gibt aber kaum Zusammenhänge zu den Akzeptanzmaßen (Teil-nahmeabsicht, Teilnahmehäufigkeit). Hier scheinen keine gra-vierenden Selektionseffekte vorzuliegen. Offenbar wird ein breites Spektrum an Mitarbeitern gleichermaßen angesprochen. Bedeutsamer sind hier die Arbeitsbedingungen und die Unter-stützung durch die Führung. Auch profitieren sowohl Teilneh-mer mit als auch ohne Beeinträchtigungen.

Dieses Forschungsvorhaben wird mit Mitteln aus dem BMVg finanziert.

Der Zusammenhang zwischen Commitment, Arbeitszufrie-denheit, Arbeitgeberattraktivität und der Teilnehme an BGF Maßnahmen

The relationship between job satisfaction, commitment, em-ployer attractiveness and participation in OHP

Felfe J1, Renner K-H2, Stein M1, Klamar A1, Kowalski J1

1Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr Hamburg, 2Uni-versität der Bundeswehr München

Einleitung: Vor dem Hintergrund der Attraktivitätsprogramme der Bundeswehr (Bw) soll untersucht werden, wie sich Com-mitment, Arbeitszufriedenheit sowie Wichtigkeit und Ist-Zu-

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stand der Arbeitgeberattraktivität in Bezug auf Gesundheit be-einflussen und sich auf die Akzeptanz (Teilnahmeabsicht, Teil-nahmehäufigkeit) der Betrieblichen Gesundheitsförder-Maß-nahmen (BGF-Maß nahmen) und Retention auswirken.Methoden: Interviews (N=98) und standardisierte Befragung von Beschäftigten im Geschäftsbereich des Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) zu zwei Erhebungszeitpunkten (T1, N=2 076; T2, N=1 400).Ergebnisse: Commitment, Arbeitszufriedenheit und Arbeitge-berattraktivität in Bezug auf Gesundheit (ist-Zustand) sind zu T1 und T2 jeweils positiv miteinander korreliert (.26 - .35; bzw. .33 - .37). Ca. 60 % der Befragten sehen durch die Einführung von BGF eine positive Wirkung auf die Gesundheitssituation in der Bundeswehr, 45 % einen positiven Effekt auf die Arbeitge-berattraktivität (z. B. für potenzielle Bewerber/-innen) und 42 % positive Auswirkungen auf das Commitment (T2). Die Absicht an BGF-Maßnahmen teilzunehmen, wird zu T1 und T2 positiv durch Commitment (.12) und die Wichtigkeit von BGF beeinflusst (.39 bzw. .24). Die Teilnahmehäufigkeit hängt neben der Kosten und Nutzenbewertung vor allem von Wichtigkeit und Ist-Zustand der Arbeitgeberattraktivität in Bezug auf Ge-sundheit ab (T2). Retention wird vor allem durch Commitment, Arbeitszufriedenheit aber auch Ist-Zustand der Arbeitgeberat-traktivität in Bezug auf Gesundheit vorhergesagt (T1 und T2).Diskussion: Commitment Arbeitszufriedenheit und Arbeitge-berattraktivität in Bezug auf Gesundheit bedingen sich gegen-seitig. Damit leistet die Attraktivität in Bezug auf Gesundheit einen Beitrag zur Bindung und auch zur Absicht zu bleiben (Re-tention), gleichzeitig bewerten zufriedene und affektiv gebun-dene Beschäftigte die Attraktivität positiver. Diese Wirkrich-tung wird durch die deutliche Einschätzung, dass sich BGF nicht nur positiv auf Gesundheit sondern auch positiv auf Com-mitment und Attraktivität auswirkt, unterstütz. Die Befunde zeigen insgesamt, dass der Gesundheitsaspekt ein integraler Bestandteil relevanter Einstellungen gegenüber der Gesamtor-ganisation ist und hier einen positiven Beitrag leistet. Darüber hinaus zeigt sich, dass Commitment die Akzeptanz der BGF Angebote erhöht. Das Vorhaben wird mit Mitteln aus dem BMVg finanziert.

Entwicklung eines Modells zur Vorhersage der Teilnahme an Maßnahmen der Betrieblichen Gesundheitsförderung der Bundeswehr basierend auf dem Health Action Process Approach und der Theory of Planned Behavior.Development of a model to predict the participation in Bundes-wehr occupational health management based on the Health Action Process Approach and the Theory of Planned BehaviorStein M1, Röttger S1, Krex-Brinkmann L1, Kowalski JT1

1Streitkräfteamt Gruppe Angewandte Militärpsychologie und ForschungEinleitung: Im Zuge der Einführung und Erprobung von Maß-nahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung (BGF) in 11 Erprobungsdienststellen des Geschäftsbereichs BMVg hat das Streitkräfteamt in Kooperation mit den Universitäten der Bun-deswehr in München und Hamburg einen Teil der für die Erpro-bung vorgesehenen wissenschaftlichen Begleitforschung durchgeführt. Methoden: Anhand eines auf den Theorien des Planned Beha-vior und des Health Action Process Approach basierenden re-

gressionsanalytischen Ansatzes wurden die Teilnahme und Nichtteilnahme an BGF-Maßnahmen bedingenden Faktoren ermittelt. Ergebnisse/Diskussion: Mit der TPB wurde mittels der Daten aus der Online-Befragung der Angehörigen der Erprobungs-dienststellen zum Ende des Pilotzeitraumes (N=1 481) eine Va-rianzaufklärung der Teilnahmeintention von R²=.39 und des Teilnahmeverhaltens von R²=.25 erreicht. Modellgemäß war die Einstellung zu BGF Maßnahmen der stärkste Prädiktor der Teilnahmeintention, dessen Einfluss auf das Teilnahmeverhal-ten über die Intention vermittelt wurde. Der stärkste Prädiktor des Teilnahmeverhaltens war entgegen der Modellannahmen die wahrgenommene Kontrolle über das Teilnahmeverhalten, die das Teilnahmeverhalten zudem unabhängig von der Teil-nahmeintention prädiziert.Das umfangreichere HAPA-Modell konnte die der BGF-Teil-nahme vorgelagerten psychologischen Prozesse in einer Stich-probe von N=106 Teilnehmern psychologischer BGF-Maßnah-men bis hin zur konkreten Handlungsplanung mit R²=.47 auf-klären. Dabei zeigte sich unter anderem, dass die positiven Er-gebniserwartungen einen deutlich stärkeren Einfluss auf die der Intentionsbildung und Handlungsplanung vorgelagerten Fakto-ren haben als negative Ergebniserwartungen, was bei der Ge-staltung von Informations- und Werbematerialien für BGF-Maß-nahmen berücksichtigt werden sollte.

“Nudging” in der Truppenküche: Kann eine gesündere Speisenauswahl angestupst werden?Small changes in choice architecture in a military lunchroom: Do they nudge towards healthier food choices? Winkler G1, Filipiak-Pittroff B1 ,Streber A2

1Hochschule Albstadt-Sigmaringen, Fakultät Life Sciences, Sigmaringen, 2Ernährungsinstitut KinderLeicht, MünchenEinleitung: Beim aus der Verhaltensökonomie stammenden „Nudging“- bzw. „Choice-architecture“-Ansatz werden in der Gemeinschaftsverpflegung Eigenschaften und Positionierung von Speisen und Getränken oder entsprechende Reize im Spei-senausgabebereich dahingehend modifiziert, dass die Essens-gäste in der Auswahl gesunder Speisen und Getränke unter-stützt werden. Im Teilprojekt „smarter lunchroom“ im Bereich Ernährung/Verpflegung der Begleitforschung zum Betriebli-chen Gesundheitsmanagement (BGM) im Geschäftsbereich des Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) wurde in der Truppenküche Kaufbeuren u. a. untersucht, ob mittels Nud-ging-Maßnahmen das Auswahlverhalten der Essengäste tat-sächlich verbessert werden kann.Methoden: Der Anteil der Essensgäste, die die sog. Eiweiß-komponente des Fitnessmenüs, Salat als Beilage oder frisches Obst als Dessert wählen sowie der Anteil von Wasser bezogen auf alle Getränke wurden zur Beurteilung herangezogen. Nach teilnehmender Beobachtung der Speisenausgabe und in enger Kooperation mit der Küchenleitung wurden mehrere unauf-wändige Nudging-Maßnahmen umgesetzt, darunter Ausstel-lung des Fitnessmenüs in einer Vitrine, erleichtertes Handling an der Salattheke, Steigerung von Vielfalt und Attraktivität des Frischobstangebots, zusätzliches Angebot von Wasser in Fla-schen. Die Anzahl ausgegebener o. g. Speisen und Getränke wurde bei weitgehend gleichen Speiseplänen jeweils über vier

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S8 Titel des BeitragesS8 Wehrmedizinisches Symposium: „Betriebliches Gesundheitsmanagement“ - München, 24.11 - 25.11.2015

Wochen erhoben: P1 (vor Einführung der Maßnahmen): 23.03. bis 17.04.; P2 und P3: kurz- resp. mittelfristig nach Einführung der Maßnahmen) 15.06. bis 10.07. und 14.09. bis 08.10.2015. Für den Test auf Gleichheit von zwei Anteilen zwischen P1 und P2 in wurde der Chi-Quadrat-Test herangezogen.Ergebnisse: In P2 wurden das Fitnessmenü (+ 4 %; p < 0,001) und Salat (+ 6 %; p < 0,001) häufiger gewählt als in P1; allerdings substituierte Salat teilweise die gegarten Gemüsekomponenten. Frisches Obst wurde mit +36 % (p < 0,001) deutlich häufiger ge-wählt und ersetzte andere Desserts. Der Anteil von Wasser an der Gesamtgetränkeausgabe stieg um + 14 % (p < 0,001) und ging mit einer Abnahme des Süßgetränkeanteils einher.Diskussion: Mit einfachen Änderungen in der Speisenausgabe konnte das Auswahlverhalten von Essensgästen in der Truppen-küche Kaufbeuren kurzfristig hin zu einer gesundheitsförderli-cheren Auswahl verschoben werden. Die mittelfristigen Effekte bleiben abzuwarten. Veränderungen in der Speisenausgabe können nur in Abstimmung und enger Kooperation mit moti-viertem Küchenpersonal ein- und durchgeführt werden. Dieses Forschungsvorhaben wird mit Mitteln aus dem Bundes-ministerium der Verteidigung finanziert (Forschungsnummer: M/HSB 1/EX 624/HUM/DFS/Sportmanagement).

Gesundheitsfördernde Mahlzeiten durch Optimierung der Speisenplanung, Steuerung der Ausgabemengen und Ent-wicklung spezieller RezepturenHealthy meals by optimizing menu planning, control of serving quantities and development of special recipesArens-Azevedo U1, Hesse I1

1Hochschule für Angewandte Wissenschaften HamburgEinleitung: Eine ausgewogene Ernährung ist Basis von Gesund-heitsförderung und Krankheitsprävention und beeinflusst Ar-beitsfähigkeit und Lebenserwartung positiv. Im Rahmen der Er-probungsphase des Betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM) werden daher die Truppenverpflegung analysiert und Empfehlungen zur Optimierung abgeleitet. Methoden: Speisen-planbewertung auf Basis des DGE-Qualitätsstandards für die Be-triebsverpflegung (Stand 2014) und der Software DGExpert (Version 3.0) mit der Datenbank des Bundeslebensmittelschlüs-sels. Die Beurteilung der Mittagsverpflegung in den Truppenkü-chen erfolgte über einen Zeitraum von vier Wochen (20 Verpfle-gungstage) anhand der Häufigkeit eingesetzter Lebensmittel und der Nährwertberechnung von Rezepturen im Vergleich zu den Referenzwerten für einen PAL von 1,4 bzw. 1,8. Darüber hinaus wurden in einer Online-Befragung in zwei Phasen anthropomet-rische Daten und einzelne Aspekte zum Ernährungsverhalten von 2 076 (T1) bzw. 1 481 (T2) Beschäftigten an ausgewählten Pilot-standorten erfasst und deskriptiv ausgewertet.Ergebnisse: Bezüglich der Häufigkeit eingesetzter Lebensmit-tel werden beim Mittagessen der Truppenverpflegung die An-forderungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) erfüllt. Es werden vielfach Convenience-Produkte verwendet. Die Nährwertberechnung der Rezepturen ergab insbesondere beim Vergleich mit den Referenzwerten bei einem PAL von 1,4 eine starke Überschreitung der empfohlenen Fettzufuhr. Die Proteinzufuhr erwies sich ebenfalls als zu hoch, während die Referenzmengen der Kohlenhydrate teilweise unterschritten wurden. Die Mengen ausgewählter Vitamine und Mineralstoffe entsprachen den Empfehlungen. Die Berechnung des BMI in

beiden Befragungsrunden ergab einen Anteil der Übergewichti-gen mit 52,2 % (T1) bzw. 46,7 % (T2) im zivilen Bereich und 50,2 % (T1) bzw. 51,8 % (T2) im militärischen. Auffällig ist die sehr geringe Teilnahme an der Truppenverpflegung.Diskussion: Eine Steigerung des Besuchs der Truppenküche ist anzustreben, ebenso eine höhere Attraktivität des Angebots. Von Bedeutung sind die Überarbeitung des Angebots zur „Fit-ness-Kost“ und die Entwicklung neuer attraktiver Rezepturen. Dabei sollte sich mindestens eine Menülinie beim Mittagessen am PAL von 1,4 orientieren. Ebenfalls bedeutsam ist der Aus-tausch mit Konkurrenz-Anbietern.

Der Einfluss von Ernährungsschulungen auf das Essverhal-tenThe impact of nutrition education on eating behaviorArens-Azevedo U1, Hesse I1, Michehl C1, Nannen-Ottens S1

1Hochschule für Angewandte Wissenschaften HamburgEinleitung: Verbreitete Gesundheitsrisiken und Erkrankungen sind oftmals ernährungsabhängig. Im Rahmen des Betriebli-chen Gesundheitsmanagements (BGM) sollen alle Mitarbeiten-den im Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidi-gung (BMVg) an Ernährungsschulungen teilnehmen können, um sich Wissen zur gesundheitsförderlichen Ernährung anzu-eignen, das eigene Ernährungsverhalten zu reflektieren und Op-timierungen vorzunehmen.Methoden: Begleitet von einer spezifischen Befragung am Standort Oldenburg zur Erfassung der Ist-Situation wurde eine neue Schulung konzipiert, basierend auf den zehn Regeln der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) und thematisch orientiert an aktuellen Erkenntnissen der Ernährungswissen-schaft und -psychologie sowie Trends im Lebensmittelkonsum und Ernährungsverhalten. Die Schulung verzichtet weitgehend auf Fachtermini sowie ausgedehnte Input-Phasen kognitiver In-halte und war aufgrund der Rahmenbedingungen auf 90 Minu-ten begrenzt. Die Unterlagen sind wenig textlastig, die zu ver-mittelnden Inhalte werden v. a. visualisiert dargestellt. Für eine nachhaltige Verhaltensänderung wird das eigene tägliche Ess-verhalten reflektiert. Durch Interaktionen werden die Teilneh-menden aktiv in den Verlauf und die Gestaltung der Schulung einbezogen. In einer Online-Befragung wurden Angaben von 1 481 Beschäftigten zu den bisherigen BGF-Maßnahmen im Bereich Ernährung erfasst und deskriptiv ausgewertet.Ergebnisse: Laut Online-Befragung unter den Mitarbeitenden nahmen 30,2 % (n = 398) an BGF-Maßnahmen zum Thema Er-nährung teil. Von diesen waren 64,8 % mit der Maßnahme (sehr) zufrieden, 44,7 % gaben an, sich seitdem (eher) vielseiti-ger und ausgewogener zu ernähren. Die Inhalte der neu konzi-pierten Pilotschulung wurden an drei Standorten erprobt und von 97 % der Teilnehmenden (n = 74) als (eher) interessant und wichtig bewertet.Diskussion: Eine gesteigerte Teilnahme an der Konsumenten-schulung ist wünschenswert, wenngleich vermutlich vermehrt Sportinteressierte und Beschäftigte, die mit dem eigenen Kör-pergewicht unzufrieden sind, sich angesprochen fühlen. Die neu ausgearbeitete Schulung sollte auf weitere Standorte ausge-rollt werden. Es sollte ein Evaluationstool entwickelt werden, das langfristige Änderungen im Ernährungsverhalten abbildet. Bei Bedarf sind weitere Schulungen zu speziellen Themen mit den zugehörigen Umsetzungstools zu erstellen.

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R. Schäfer: Die Bedeutung der interdisziplinären Notfallaufnahme für Ausbildung und Kompetenzerhalt

Zentrale Notfallaufnahmen können die Odyssee eines Notfall-patienten demnach deutlich verkürzen, wenn sie nicht nur räumlich, sondern auch fachlich-organisatorisch wahre Zentra-lisierungen aufweisen. Das Thema Interdisziplinarität bedeutet dabei im idealen Fall nicht das bloße Nebeneinander speziali-sierter Fachdisziplinen (Multidisziplinarität), sondern viel mehr das Überwinden fachlicher Grenzen durch sektorübergreifende Zusammenarbeit und gelebte Vernetzung. Erst dann werden aus „zentralen“ auch „interdisziplinäre“ Notfallaufnahmen. Gerade angesichts immer weiter ansteigender Zahlen an Patien-tenkontakten in unseren Notaufnahmen (2014 waren in den Not-aufnahmen bundesweit schätzungsweise 20 Millionen Patien-tenkontakte zu verzeichnen, das ist ein Viertel der Gesamtbe-völkerung!) braucht es dringend Konzepte, um angepasst, sinn-voll und insbesondere patienten- und erkrankungsorientiert vorgehen zu können. Auch die ZINA des BwKrhs Hamburg verzeichnet kontinuierlich ansteigende Patientenzahlen (Abbil-dung 2). Leider sieht der Alltag in vielen deutschen Notaufnah-men oft noch anders aus. Eine spezielle fachliche Qualifi kation aller an der Versorgung Beteiligten – von der Administration über die Triagierung, Diagnostik, Therapie und Entscheidungs-fi ndung - bildet meist noch die Ausnahme.

Dabei spielt gerade die ZINA einer Klinik eine herausragende Rolle bei der Akquise potenziell einer stationären Behandlung bedürfender Patienten, wie die Statistik des Jahres 2014 für das BwKrhs Hamburg zeigt (Abbildung 3).Eine ZINA wird meist als Visitenkarte des Krankenhauses an-gesehen, zeigt sich doch gerade hier, wie viel Wert die Kran-kenhausleitung auf optimale Betriebsabläufe legt. Wenn sich der Notfallpatient (und auch der begleitende Angehörige) bei der Bearbeitung seines Notfalls gut aufgehoben fühlt, kommt er sicherlich auch gern im Falle einer notwendigen stationären Be-handlung im gleichen Haus wieder.Andererseits ist es für Soldaten im Sanitätsdienst der Bundes-wehr von besonderer Bedeutung, schnell und zielsicher mit best-möglichem fachlichen Hintergrund Notfallpatienten einstufen, diagnostizieren und behandeln zu können, entscheidet dies auch und besonders im Einsatz über das Schicksal des Patienten.Eine ZINA muss zunehmend Aufgaben von Hausärzten und Notfallpraxen übernehmen, da Patienten zumeist lieber direkt Krankenhäuser aufsuchen. Neben diesen Selbsteinweisungen ist eine ZINA auch für ungeplante dringliche Behandlungen erster Anlaufpunkt, welche durch Krankentransporte zugeführt

werden. (Abbildung 4). Das eigentlich notfallmedizinisch rele-vante Klientel wird durch Rettungswagen und durch notarztbe-gleitete Rettungsmittel eingewiesen, wobei vital bedrohliche Fälle nur etwa 5 - 10 % des gesamten Patientenaufkommens ausmachen. Die Aufgabe der ZINA besteht hier in der Fortset-zung der durch den Notarzt eingeleiteten Therapie unter Über-prüfung und Erhärtung der Arbeitsdiagnose, bis eine Zuord-nung zu einem (hauptverantwortlichen) Fachgebiet erfolgt ist. Hierzu braucht es demzufolge breit ausgebildete Ärzte, die den grundsätzlichen, generellen Diagnostik- und Therapieansatz stringent verfolgen können. Genau genommen stellt dies die Fortsetzung des „Notfalltunnels“ unter nun klinischen Bedin-gungen dar.

Personal der ZINAEin Blick in die Notaufnahmen der Krankenhäuser zeigt, dass die ärztliche Besetzung noch nicht überall den aktuellen Erfor-dernissen entspricht. Oft sind es junge Assistenzärzte mit noch geringer Berufserfahrung, die den ärztlichen Erstkontakt abde-cken müssen (Abbildung 5). Ohne enge Supervision und ohne hausangepasste standardisierte Abläufe, welche auf den Emp-fehlungen der Fachgesellschaften basieren und in Form von

Abb. 2: Patientenkontakte ZINA BwKrhs Hamburg

Abb. 3: Anteil stationärer Aufnahmen aus der ZINA nach Fachabtei-lung

Abb. 4: Einweisung mit dem Krankentransport (durch Personal des BwKrHs Hamburg gestellte Aufnahme)

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Standard Operating Procedures (SOP) bereitgestellt werden, kann wertvolle Zeit verloren gehen. Die individuellen Ausbil-dungsziele des jeweiligen Assistenzarztes sowie deren Einord-nung in sein fachliches Weiterbildungscurriculum setzen dem längerfristigen Einsatz in der ZINA enge Grenzen. Somit kön-nen Erfahrungen und Kenntnisse meist nur in Intervallen ver-mittelt werden. Bei einer hohen Fluktuation der ärztlichen Mit-arbeiter der ZINA, mit zusätzlicher Beanspruchung in der „Hei-matabteilung“ durch Dienste und anderes, treten Kontinuität und Erfahrungsreifung oft in den Hintergrund. Verfügt die ZINA nicht über einen Stamm an ständig vor Ort vertretenen (Fach-)Ärzten, wird es schwer, einen angemessen hohen fach-lichen Versorgungsstandard und erst recht ein permanentes Teaching aufrecht zu erhalten. Diesen veränderten Bedingun-gen und Anforderungen muss im Rahmen der Weiterentwick-lung der Krankenhäuser Rechnung getragen werden.

Der Ruf nach Etablierung einer eigenen Fachlichkeit für Ärzte in Notaufnahmen, wie dies nicht nur international er-probt, sondern bereits durch die Landesärztekammer Berlin in Form einer Zusatzweiterbildung umgesetzt wurde, wird lauter. Unabhängig davon, wie immer auch die Bezeichnung dafür lauten wird – über alle Fach-gesellschaften hinweg eint das Wissen um die Notwen-digkeit einer hochqualitativen notfallmedizinischen Versorgung in unseren Notaufnahmen. Die Bundesärz-tekammer arbeitet derzeit an einer Novellierung der Musterweiterbildungsordnung (MWBO). Dabei soll auch die Weiterbildung und Qualifi kation von Ärzten, die in den Notfallaufnahmen Deutschlands arbeiten, neu und genauer geregelt werden. Grundlage dafür ist zum Beispiel das europäische Weiterbildungscurricu-lum der European Society for Emergency Medicine (EuSEM). Bis zur Fertigstellung der MWBO empfi ehlt sich die Nutzung des Weiterbildungsprogrammes der Landesärztekammer Berlin (http://www.aerztekam-mer-berlin.de/10arzt/15_Weiterbildung/11Logbuecher/Zusatz-Weiterbildungen/Uebersicht_LB_Notfallmedi-

zin/index.html). Wie in anderen fachlichen Weiterbil-dungen bewährt, werden interessierte Ärzte logbuchge-stützt durch verschiedene Weiterbildungsmodule ge-führt. Seit diesem Jahr ist die Absolvierung der Prüfung zum europäischen Facharzt für Notfallmedizin auch in Deutschland möglich.Weiterbildung der Sanitätsstabsoffi ziereSanitätsstabsoffi ziere (Arzt) der Bundeswehr durchlau-fen während der Weiterbildung in ihren jeweiligen Fachgebieten unterschiedlich lange Anteile in den Not-aufnahmen der BwKrhs. Bereits im sogenannten ersten klinischen Abschnitt werden sie häufi g als Arzt der No-taufnahme (AvN) eingesetzt. An ihrer Seite haben sie einen internistischen (IvN) und einen chirurgischen As-sistenzarzt (CvN). Alle drei können bei Bedarf ihren fachärztlichen Dienst hinzuziehen. Bevor sie in der ZINA eingesetzt werden können, durchlaufen alle eine Einarbeitungsphase von etwa zwei Wochen, in der sie mit bereits erfahrenem Personal „mitlaufen“. Die Struk-turierung dieser Einarbeitungsphase ist ein erstes wich-tiges Anliegen, um frühzeitig die betriebsorganisatori-schen Abläufe und fachlichen Entscheidungsbäume

verstehen und anwenden zu können. SOP auf dem aktuellsten wissenschaftlichen Stand der Empfehlungen der jeweiligen Fachgesellschaften, mit Anpassung auf die diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten des Hauses sowie nach Abstim-mung mit den beteiligten Fachvertretern, leisten einen wichti-gen Beitrag bei der Vermittlung einer fachlich korrekten Heran-gehensweise. Entscheidend ist jedoch die jederzeitige Verfügbarkeit eines in der Notfall- und Akutmedizin erfahrenen Facharztes zur Super-vision und Sicherstellung des Facharztstandards (Abbildung 6). Dabei gilt der Grundsatz, dass ein Facharzt auch außerhalb sei-nes eigenen Fachgebietes tätig werden kann, sofern er sich an die jeweils geltenden Fachstandards hält. Die täglichen gemein-samen Visiten bei den Dienstübergaben - unter Einbeziehung der beteiligten Fachdisziplinen – bieten, neben den praktischen Effekten der Übergabe, auch sehr gute Möglichkeiten der Prä-sentation und Begründung der eigenen Vorgehensweise, wie auch der Diskussion und des Teaching auf Augenhöhe. Ziel ist

zin/index.html). Wie in anderen fachlichen Weiterbil-dungen bewährt, werden interessierte Ärzte logbuchge-stützt durch verschiedene Weiterbildungsmodule ge-führt. Seit diesem Jahr ist die Absolvierung der Prüfung zum europäischen Facharzt für Notfallmedizin auch in Deutschland möglich.Weiterbildung der Sanitätsstabsoffi ziereSanitätsstabsoffi ziere (Arzt) der Bundeswehr durchlau-fen während der Weiterbildung in ihren jeweiligen Fachgebieten unterschiedlich lange Anteile in den Not-aufnahmen der BwKrhs. Bereits im sogenannten ersten klinischen Abschnitt werden sie häufi g als Arzt der No-taufnahme (AvN) eingesetzt. An ihrer Seite haben sie einen internistischen (IvN) und einen chirurgischen As-sistenzarzt (CvN). Alle drei können bei Bedarf ihren fachärztlichen Dienst hinzuziehen. Bevor sie in der ZINA eingesetzt werden können, durchlaufen alle eine Einarbeitungsphase von etwa zwei Wochen, in der sie mit bereits erfahrenem Personal „mitlaufen“. Die Struk-Abb. 5: Sanitätsstabsoffi zier (Arzt) im sog. 1. klinischen Abschnitt bei der Arbeit

in der ZINA

auch der Diskussion und des Teaching auf Augenhöhe. Ziel ist

Abb. 6: Supervision und Teaching durch den Facharzt

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die Befähigung aller ZINA-Ärzte – unabhängig von der origi-nären Fachrichtungszugehörigkeit –, den als nächstes eintref-fenden Notfall- oder Akutpatienten interdisziplinär zu versor-gen, bis die Zuordnung zu einem Fachgebiet erfolgen kann. Wichtig ist dabei die Breite der Herangehensweise und nicht der schmale fachspezialisierte Blick. Das überaus breite Spekt-rum an Notfällen, aber auch an akut erkrankten Patienten, ist die spannende Grundlage für alle an der Notfall- und Akutme-dizin begeisterten und interessierten Ärztinnen und Ärzte. Be-sonders für angehende Truppenärzte, aber auch für Personal mit geplanter Verwendung im BAT1-Pool und erst recht für Allge-meinmediziner bietet die ZINA damit ideale Handlungs- und Betätigungsfelder.

Erstmals in diesem Jahr hat das BwKrhs Hamburg einen Ein-führungskurs für junge Ärzte in Vorbereitung auf die Arbeit in der ZINA durchgeführt („Start-ED“2). Unter der Anleitung ebenfalls junger, aber bereits erfahrener ZINA-Ärzte wurden in fünf Tagen praktisches Wissen, Kenntnisse und Fertigkeiten vermittelt. Einfache „Kochrezepte“ erwiesen sich als genau so hilfreich, wie grundlegende Tipps zum „Überleben des Nacht-dienstes“. Der Kurs richtete sich in erster Linie an die Sanitäts-stabsoffi ziere des 1. klinischen Abschnittes, bot jedoch auch noch sehr viel Praktisches für die etwas Älteren. Die interakti-ven Lektionen, praktischen Workshops und zahlreichen „Hands on“-Praktika, fl ankiert von einem exzellenten Teilnehmer-Tuto-renverhältnis, garantierten den Lernerfolg. Eine Wiederholung dieser erfolgreichen Maßnahme oder vielleicht die regelmäßige Einbindung in den Jahresausbildungskalender werden derzeit geprüft.

Während der Ausbildungszeit in der ZINA müssen die Sanitäts-offi ziere auch die Möglichkeit haben, im Rahmen von ATLS®3- und ALS®4-Kursen ihre Kenntnisse und Fertigkeiten bei der strukturierten, prioritätenorientierten Schockraumversorgung traumatisierter oder erkrankter Patienten zu erweitern. (Abbil-dung 7). Zusätzlich werden derzeit spezialisierte Simulationsmo-dule erprobt, in denen das erworbene Wissen regelmäßig trainiert

1 BAT = Beweglicher Arzttrupp2 „Start-ED“ ist ein Notfallmedizinkurs für Einsteiger; ED steht für

„Emergency Doctors“; Kursformat und weitere Informationen fi nden sich auf www.notfallmedizinkurs.de

3 ATLS® = Advanced Trauma Life Support 4 ALS® = Advanced Life Support

und erweitert werden soll. Dabei ist neben dem interdisziplinä-rem auch und gerade der interprofessionelle Ansatz von besonde-rer Bedeutung. Nur im funktionierenden und eingespielten Team können die komplexen Herausforderungen bei der Schockraum-versorgung unter hohem zeitlichem Druck gemeistert werden. So ist es unabdingbar, dass bei der Qualifi zierung und Weiterbildung des ZINA-Personals auch die Pfl ege und die Administration ein-gebunden werden. Triage- und Schockraumkurse für das Pfl ege-personal (z. B. ATCN®5) sind eine wichtige Ergänzung zum Teamtraining bei der Simulation. Das BwKrhs Hamburg kann dazu auf die hervorragende Expertise und Erfahrung des Simula-tionslabors der eigenen Klinik zurückgreifen. Derzeit entwickeln wir gemeinsam neue Simulations- und Trainingsmodule für die ZINA. Neben fachlichen Aspekten stehen dabei besonders die Kommunikation und Organisation sowie das Konfl ikt- und Qua-litätsmanagement im Fokus.In einer Fortbildungsreihe wird die ZINA beginnend nach dem Sommer über eigene Fallbeispiele berichten und zur interaktiven problemorientierten Herangehensweise einladen („Der besonde-re Fall – Wie hätten Sie entschieden?“). Bereits etablierte Fortbil-dungen, wie beispielsweise M & M6-Konferenzen, Defusing, Debriefi ng und CIRS®7-Konferenzen ergänzen das Angebot.

Weiterführende Literaturhinweise beim Verfasser.

Bildquelle: Bundeswehrkrankenhaus Hamburg

Verfasser:Oberfeldarzt Dipl. med. Raik SchäferZentrale NotfallaufnahmeBundeswehrkrankenhaus HamburgLesserstraße 180,22049 HamburgE-Mail: [email protected]

Der Beitrag wird im Internet unter www.wehrmed.de veröffentlicht.

5 ATNC® = Advanced Trauma Nursing Course6 M & M = Morbidität und Mortalität7 CIRS® = Critical Incident Reporting System; anonymisiertes Mel-

desystem zu kritischen Ereignissen in der Medizin

dule erprobt, in denen das erworbene Wissen regelmäßig trainiert

Abb. 7: Schockraum-CT

Kernaussagen / Fazit

• Eine ZINA ist die Visitenkarte eines Krankenhauses und trägt zur Akquise stationärer Behandlungsfälle bei.

• Die ZINA eines BwKrhs bietet hervorragende Möglichkei-ten für die einsatz- und verwendungsrelevante Ausbildung von Sanitätspersonal aller medizinischen Berufsgruppen.

• Die Sicherstellung der erforderlichen Versorgungs- und Ausbildungsqualität erfordert die Verfügbarkeit von erfah-renem ärztlichen und pfl egerischen Personal in der ZINA; auch aus forensischen Gründen ist der Facharztstandard für die Tätigkeit in einer ZINA gefordert.

• Ein Einführungskurs vor dem ersten Einsatz sollte Sanitäts-stabsoffi ziere auf ihre Tätigkeit in der ZINA vorbereiten.

• Die zunehmenden Bedeutung der ZINA muss zwingend in den zukünftigen Strukturen der BwKrhs personell und ma-teriell berücksichtigt werden.

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Aus der Abteilung X (Leiter: Oberstarzt Dr. G. Hölldobler) des Bundeswehrkrankenhauses Hamburg (Chefarzt: Generalarzt Dr. J. Hoitz), der Sanitätsakademie der Bundeswehr München (Kommandeurin: Generalstabsarzt Dr. E. Franke) und der Abteilung X (Leiter: Oberstarzt Dr. D. Posselt) des Bundeswehrkrankenhaus Westerstede (Chefärztin: Oberstarzt Dr. N. Schilling)

Anästhesie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie (AINS) im maritimen Umfeld

Wolfgang Fohr1, Volker Hartmann2, Dirk Posselt3

Zusammenfassung

Mit Ende des kalten Krieges und nachfolgender Umstruktu-rierung der deutschen Marine hin zu einer „Expeditionary Navy“ mit weltweiten Einsätzen erfährt auch der Bordsani-tätsdienst auf Schiffen der Deutschen Marine in Abhängig-keit des Einsatzspektrums eine abgestufte Erweiterung sei-ner Versorgungsebene. So stehen in den so bezeichneten Bordfacharztgruppen, die auf Fregatten und den Einsatz-gruppenversorgern eingesetzt sind, je ein Sanitätsstabsoffi-zier mit der Gebietsbezeichnung Anästhesiologie und Chir-urgie sowie spezialisierte Pflegekräfte zur Verfügung, die über die allgemeinmedizinische und rettungsmedizinische Versorgung (Role 1) hinaus eine zusätzliche Notfallversor-gung im Sinne einer Schockraumversorgung und gegebe-nenfalls notfallchirurgische und intensivmedizinische Inte-rimsversorgung (Role 1+) ermöglichen.Der Sanitätsstabsoffizier mit der Gebietsbezeichnung Anäs-thesiologie bringt sich im maritimen Umfeld mit allen dem Fachgebiet typischen Teilbereichen - Anästhesie, Intensiv-medizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie - ein.Stichworte: Bordfacharztgruppe, Anästhesie, Intensivmedi-zin, Notfallmedizin, Schmerztherapie, Fregatte, Einsatz-gruppenversorger Keywords: board medical team, anaesthesia, intensive care, emergency medicine, pain management, frigate, combat sup-port ship

Einführung

Seit dem Jahre 1990 werden in Verbänden oder auf einzelnen Schiffen der Deutschen Marine in Einsatzvorhaben mit einem erhöhten Risikoprofil Bordfacharztgruppen zur Unterstützung der Schiffsärzte eingesetzt. Regelhaft geschieht eine solche Einschiffung im Seegebiet des Indischen Ozeans in dem seit 2008 mandatierten maritimen EU Anti-Piraterie-Einsatz „Atalanta“, an dem sich die Deutsche Marine zumeist mit einer Fregatte beteiligt. In diesen weitläufigen Einsatzräumen von der vielfachen Größe Deutschlands stehen den Schiffen nur we-nige Anlaufhäfen zur Verfügung, zu dem sind die Möglichkei-ten des TACAIRMEDEVAC1 an Bord der Fregatten limitiert. Der dort zumeist eingeschiffte Bordhubschrauber Typ „Sea Lynx“ ist einerseits nur sehr eingeschränkt für einen qualifizier-

1 TACAIRMEDEVAC = Tactical Aeromedical Evacuation (luftge-stützter Verwundetentransport in eine andere sanitätsdienstliche Be-handlungseinrichtung - Sekundärtransport - im Einsatzland)

ten Patiententransport nutzbar, andererseits steht er an Bord aus einsatztaktischen Gründen oft nur bedingt zur Verfügung. Der an Bord der Einsatzgruppenversorger verwendete sanitäts-dienstlich durchaus geeignete Helikopter Typ „Sea King“ steht ebenfalls nicht regelhaft bereit. Seine Verfügbarkeit ist seit Jah-ren durch einen fehlenden technischen Klarstand sowie durch erhebliche personelle Fehlstellen eingeschränkt. Der „Sea King“ muss zudem bereits nach 150 Seemeilen Flug - eine in Anbetracht der genannten Raum-Zeitfaktoren geringe Distanz - aufgetankt werden. Die neue Generation Marinetransporthub-schrauber vom Typ NH 90 NTH „Sea Lion“ steht noch nicht zur Verfügung. Er soll zukünftig den über dreißig Jahre alten MK 41 „Sea King“ ablösen, ist allerdings für den Einsatz an Bord von Fregatten nicht vorgesehen.Somit wird zur Sicherstellung einer qualifizierten sanitäts-dienstlichen Versorgung in mandatierten Einsätzen an Bord der Kampfschiffe eine Erweiterung der sanitätsdienstlichen Kapa-zität vorgehalten, deren Fähigkeiten deutlich über der allge-mein- und rettungsmedizinischen Versorgungsebene (Role 1) liegen.Aber auch auf Fregatten beziehungsweise auf begleitenden Ein-satzgruppenversorgern ohne aktiviertes Rettungszentrum (RZ) See, wie beispielsweise bei Auslandsausbildungsreisen im Ein-satzausbildungsverband (EAV) der Flotte, ergänzen Bord-facharztgruppen den Bord- und Verbandssanitätsdienst bei Pas-sage zentraler Ozeanbereiche und Transitfahrten entlang Küs-ten mit eingeschränkter Abdeckung durch Maritime Rescue Coordination Center (MRCC) - z.B. entlang der Ost-und West-küste Afrikas [1].

Die Bordfacharztgruppe

AufgabeDie Bordfacharztgruppe hat die Aufgabe, unter Nutzung der personellen, materiellen und infrastrukturellen Gegebenheiten und Möglichkeiten des Sanitätsabschnittes der jeweiligen Ein-heit sowie zusätzlich bereitgestellten Materials eine erste le-bensrettende, chirurgische und intensivmedizinische Versor-gung für dringend Behandlungsbedürftige [2] zu leisten. Außer-dem soll die Transportfähigkeit eines Patienten an Bord für die Anschlussbehandlung in einer höherwertigen Behandlungsein-richtung erhalten oder wiederhergestellt werden.

Verfügbare Infrastruktur an BordDie Schiffslazarette der Fregatten der Typ-Klassen 122, 123, 124 und der Einsatzgruppenversorger sind an Hand von Bau-vorschriften nach ähnlichen Grundmustern aufgebaut und kon-zipiert, unterscheiden sich allerdings typklassenabhängig er-

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heblich hinsichtlich ihrer räumlichen Ausmaße. Sie sind geglie-dert in einen Behandlungsraum mit OP-Tisch, Narkose- und Röntgeneinrichtung, einen Vorraum für administrative Zwecke, einen Krankenkojenraum mit zwei bis neun Krankenkojen, hie-ran angeschlossen sind ein Sanitärraum mit Nasszelle, Toilette und Sterilisator. Von allen Seiten begehbare Intensivkrankenko-jen beziehungsweise Betten konnten in die Krankenräume der Schiffslazarette der Fregatten der Typ-Klasse 124 sowie der beiden Einsatzgruppenversorger integriert werden.Auf den Einsatzgruppenversorgern stehen der Bordfacharzt-gruppe unabhängig von einer Aktivierung des RZ See die dort vorhandenen umfangreichen infrastrukturellen Möglichkeiten einer schwimmenden Role-2-Einrichtung zur Verfügung; für die Bordfacharztgruppen werden in einem solchen Fall einer der beiden containerisierten Operationsbereiche und der Zahn-arztcontainer teilaktiviert, so dass hier eigenständige Funkti-onsbereiche außerhalb des Schiffslazarettes entstehen.

Materielle AusstattungDie materielle Ausstattung der Schiffslazarette wurde in den letzten Jahren mehrfach erweitert, modifi ziert und dem medizi-nisch wie technischen Fortschritt angepasst. Auf die derzeitige chirurgische Ausstattung wurde bereits in anderen Publikatio-nen eingegangen [2 - 6].Dem eingeschifften Anästhesisten steht an Bord der Fregatten und Einsatzgruppenversorger ein modernes Narkosegerät - „Narkoseausstattung, Schiff, Fabius Tiro“ - zur Verfügung (Ab-bildung 1). Außerdem umfasst die anästhesiologische Ausstat-tung an Bord derzeit automatische Spritzenpumpen und Infusi-onssysteme, mobile Beatmungsgeräte (Lifebase III und je nach Ausführung Oxylog 2 000 bzw. 3 000), eine leistungsfähige mobile Absaugeinrichtung (Accuvac), einen halbautomatischen Defi brillator (Zoll M), eine umfangreiche Laborausrüstung in-klusive Blutgasanalyse und die Möglichkeiten eines nicht inva-siven und invasiven Monitorings (Patientenüberwachungsmo-nitor Propaq). Das für den Anästhesisten notwendige Sanitäts-verbrauchsmaterial („EVG-San“ mit Arzneimitteln, Betäu-bungsmitteln und Medizinprodukten) steht ebenfalls in ausrei-chenden Mengen zur Verfügung und ist im Schiffslazarett und in den zugehörigen Lasten an Bord seefest verstaut (siehe Ta-belle 1). Medizinische Geräte und Sanitätsmaterial EVG-San der Bord-facharztgruppe sind inzwischen weitest gehend standardisiert

und werden laufend den Erfahrungsberichten und dem aktuel-len medizinisch-technischen Entwicklungsstand entsprechend ergänzt und erweitert. Allerdings gibt es in den Schiffslazaret-ten der Kampfschiffe nur wenig materielle Redundanzen; emp-fi ndliche Diagnostik- und Laborgeräte können auch bei bester Pfl ege und Wartung unter rollenden und stampfenden Schiffs-bewegungen in See ausfallen und fordern so das Improvisati-onsvermögen des gesamten Lazarettteams immer wieder heraus.

Tab. 1: Zusatzausstattung Bordfacharztgruppe Anästhesie, Fregatte (Auszug)2

Artikelbezeichnung Bezugseinheit/Soll

Bupivacain 0,5% hyperbar, 4ml AM 5Dantrolen-Natrium 20mg AM 12Esketamin 25mg/ml, 2ml AM 30Mepivacain 4% hyperbar, 2ml AM 10Midazolam 5mg/ml, 3ml AM 20Propofol 1%, 50ml BT 10Propofol 2%, 50ml BT 10Remifentanil2mg BT 20Rocuronium 50mg AM 10Ropivacain 0.2%, 10ml AM 10Succinycholin 100mg AM 10Sufentanil 50µg AM 10Sugammadex 200mg AM 10Vecuronium 10mg AM 10

Blutdruckmess-Set, arteriell (MX8024-RV) SE 5Katheter/Kanüle, vena subclavia 13G EA 2Katheter, ZVK, 3-Lumig 7,0FR 20cm EA 2Katheter, ZVK, 2-Lumig 8,0FR 20cm EA 2Katheter, Seldinger, arteriell / venös EA 2Katheterset, Epidural, Komplett für PDA SE 2Katheterset, Plexolong , spezial, 19,5G SE 2Maske, Sauerstoff mit Reservoir, Erwachsene EA 2Quicktrach, Notkoniotomiebesteck, Erw. EA 2AirTraq, Optical Laryngoscope, Größe 2 u. 3 EA 2Spinalanästhesie-Set, Spinocath 24G SE 1Spinalanästhesie-Set, Spinocath 22G SE 2Tracheofl ex-Set, PVC M.Cuff, ID 7,0 PG 1Tracheofl ex-Set, PVC M.Cuff, ID 8,0 PG 1

Eine Auswahl an Tuben, Larynxmasken sowie die in der Anästhesie übli-chen Notfallarzneimittel sind im Ausrüstungssatz „Schiff mit Arzt“ vor-handen.

Der Bordfacharztgruppe der Schiffe im Einsatz „ATALANTA“ steht für eine differenzierte Flüssigkeit- und Volumentherapie seit 2010 ein Vorrat von 20 Erythrozytenkonzentraten der Blut-gruppe 0 negativ in einem speziellen Kühlcontainer (Blutlager-box / Thermostabilizer RCB 42 P) zur Verfügung. Die zunächst geäußerte Befürchtung, dass Vibration an Bord von Schiffen die Qualität der Blutprodukte erheblich beeinträchtigt, hat sich nicht bestätigt. Es konnte in einer Untersuchung gezeigt wer-den, dass die Qualität von Erythrozytenkonzentraten unter den angegebenen Lagerbedingungen auf Fregatten der Deutschen Marine für den Zeitraum der deklarierten Haltbarkeit über 42 Tage gegeben ist [7]. Weiterhin stehen in der Zusatzausstattung „Bordfacharztgruppe Anästhesie“ Lyoplasma, Tranexamsäure und Faktor VIIa-Präparate für ein differenziertes Gerinnungs-mangement bei akuter Hämorrhagie zur Verfügung.Die oft diskutierte Option der Warm- / Vollblutspende kann im Einzelfall im Sinne einer erweiterten Nothilfe erwogen werden,

2 Abkürzungen der Spalte „Bezugseinheiten“: AM = Ampulle; BT = Flasche; SE = Satz ; EA = StückAbb. 1: Anästhesiearbeitsplatz MERZ; EGV „Frankfurt am Main“

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wird aber auch im akuten lebensbedrohlichen hämorrhagischen Schock nicht wirklich weiterhelfen können, da diese Maßnah-me viel Zeit benötigt, Personal bindet und aufgrund möglicher immunologischer Reaktionen und infektiologischer Risiken zu-sätzlich erhebliche Komplikationen verursachen kann, die gera-de in der Bordmedizin vermieden werden müssen. Die entspre-chenden Entnahmebestecke und Auffangbeutel mit Stabilisato-ren und Antikoagulantien sowie Testkits zur Blutgruppenbe-stimmung und Kreuzprobe sind derzeit nur an Bord der Ein-satzgruppenversorger vorhanden.

NarkosemöglichkeitenDas Konzept inhalativer Narkosetechniken an Bord ist heute nahezu verlassen worden. Die schwierige Narkosegasabluftent-sorgung in den Schiffslazaretten sowie das nicht zu unterschät-zende Restrisiko einer malignen Hyperthermie, auch bei mo-dernen Inhalationsnarkotika, hat die TIVA im Einsatz an Bord etabliert. Die Durchführung rückenmarksnaher Verfahren wie Spinalan-ästhesie (SPA) und Periduralanästhesie (PDA) sowie regio-nalanästhesiologische Verfahren (Plexusanästhesie) sind eben-falls an Bord möglich, finden allerdings in der Anwendung bei überwiegend operativen Noteingriffen ihre Grenzen. Dagegen bieten sich in der Schmerztherapie Möglichkeiten für den Ein-satz Katheter gesteuerter Verfahren an, die an Bord vor allem bei längeren Transportwegen in die nächste Behandlungsebene für eine suffiziente Analgesie des Patienten vorteilhaft sein kön-nen [8].

SauerstoffversorgungEine für den Anästhesisten wichtige Größe stellt der Sauerstoff-vorrat dar. Er ist derzeit an Bord einer Fregatte auf etwa 25 000 Liter limitiert und wird in Flaschen, die in der Regel nur im Heimathafen befüllt werden können, bereitgestellt. Mit dieser Menge kann ein Notfallpatient für rund 48 - 72 Stunden beat-met werden. Auch wenn für den Einsatz „ATALANTA“ weitere Sauerstoffflaschen eingerüstet werden, stellt diese Menge auch unter arbeitsmedizinischen Gesichtspunkten ein durchaus ge-fährliches Potenztial bei Bränden oder Explosionen dar. Der Trend weist deshalb zukünftig in die Richtung kleinerer und in die Schiffslazarette einrüstbarer Geräte zur Eigenherstellung von Sauerstoff hin. Seit dem 1. April 2011 erlaubt der European Pharmacopoeia Standard zudem auch eine Verwendung von Sauerstoff von 93 % Reinheit, was die Möglichkeiten zur Selbst erzeugung von medizinischem Sauerstoff verbessert. In eindrucksvoller Weise ist dies bereits seit Jahren an Bord der Einsatzgruppenversorger möglich, in denen containerisierte Apparaturen zur Sauerstofferzeugung nach dem Molekular-siebverfahren integriert sind und damit eine vollständige Autar-kie für Sauerstoff und Druckluft bei Seefahrt erlauben.

Stellung und Aufgaben des Anästhesisten in der Bordfacharztgruppe

Der Schiffsarzt hat als Senior Medical Officer (SMO) die Auf-gabe, die Bordfacharztgruppe in den täglichen Dienst an Bord zu integrieren, sie mit den oft ungewohnten Verhältnissen ver-traut zu machen und ihnen das Optimum an Arbeitsbedingun-gen an Bord zu ermöglichen [2].

Der Anästhesist vertritt sein Fachgebiet mit den klinischen Fel-dern Anästhesiologie, chirurgische und interdisziplinäre Inten-sivmedizin, Rettungsmedizin und Schmerztherapie. Mit diesen Expertisen bringt er sich als Teamplayer in die Bordfacharzt-gruppe ein, er ist aber auch Einzelkämpfer an den Schnittstellen seiner Teilgebiete.Fachdienstlich geführt wird die Bordfacharztgruppe durch den Schiffsarzt bzw. durch einen SMO, der sich ihrer Expertisen bedient und sie zielgerichtet (siehe unten) einsetzt. Anästhesist und Chirurg sind immer erfahrene bis sehr erfahrene Ärzte ihres Fachgebiets. Ihr Einsatz erfolgt unter Einbeziehung der Schiffsarztgruppe und findet im Schiffslazarett unter Nutzung der dort vorhandenen Infrastruktur und Materialausstattung statt [6]. Schiffsarztgruppe und Bordfacharztgruppe bilden eine aufeinander angewiesene Gemeinschaft, um verletzten und akut erkrankten Soldaten an Bord die optimale Nothilfe zukom-men zu lassen.Der Anästhesist ist als erfahrener Rettungsmediziner bereits in der präklinischen notfallmedizinischen Versorgung der erste Ansprechpartner für den Schiffsarzt. In einer Gefechtssituation ist er als Notarzt auf dem Verbandplatz tätig und unterstützt das hier tätige Personal.Bei Schadensabwehrsituationen und Unfällen mit Personen-schaden auf dem eigenen Schiff und im Rahmen der Nothilfe auf einer Fremdeinheit kann er am Notfallort als Notarzt, bei einem Massenanfall von Verletzen auch als Leitender Notarzt (LNA) eingesetzt werden. Hierfür ist es unumgänglich, dass der Anästhesist wie alle Besatzungsangehörigen sich intensiv mit der Raumkenntnis, Schadensabwehrmöglichkeiten, den Ret-tungs- und Bergemitteln an Bord und nicht zuletzt den Trans-portwegen vertraut sein muss. Da die ärztliche Ressource an Bord knapp ist, wird der Anästhesist hier selten nur rein bera-tende Tätigkeiten ausüben, sondern wie alle Ärzte im Team im-mer auch behandeln müssen – unter anderem Sicherung des Atemweges, Volumenersatz, Blutstillung und Monitoring. Gleichzeitig bringt er seine Erfahrung im Bereich der Behand-lungspriorität / Triagierung ein und stellt die Überwachung und den Transport des Patienten in die nächste Behandlungsebene im Behandlungsraum des Schiffslazaretts sicher (Abbildung 2). Dieser dient sowohl als Schockraum als auch als OP für Notein-griffe. Hier erfolgt nach ATLS™3-Kriterien die weitere Stabili-sierung und Vorbereitung des Patienten auf einen möglichen notfallchirurgischen Eingriff [9], unter anderem durch• gegebenenfalls Intubation und Atemwegssicherung,• invasives/nichtinvasives Monitoring,• Allgemeinanästhesie,• Volumenersatz und Erhalt der Homeostase und/oder• Notfalllabor.Der Chirurg führt unterdessen mit den an Bord zur Verfügung stehenden Röntgen- und Sonographiegeräten im Sinne eines „Focused Assessment with Sonography for Trauma“ (FAST) die Diagnostik durch und bereitet eine mögliche OP vor.Sofern in der postoperativen Phase der Patient intensiv be-handlungs- und/oder überwachungspflichtig ist, übernimmt der Anästhesist diese Aufgabe bis zur Entlassung bzw. Über-gabe in die nächs te Behandlungsebene. Bei geplantem

3 ATLS™ = Advanced Trauma Life Support

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STRATAIRMEDEVAC4 trifft er die Vorbereitungen und Maß-nahmen zur Erhaltung und Herstellung der Transportfähigkeit.Die Indikation zur notfallchirurgischen Intervention an Bord ergibt sich einerseits aus einem akuten Trauma, wie• Schussverletzung,• Fraktur,• Amputation oder• Wundversorgung, andererseits bei akuter Erkrankung mit nicht aufgeschobener bzw. aufgeschobener Dringlichkeit zur Operation, unter ande-rem. bei • akuter oder subakuter Appendizitis,• Hodentorsion, • inkarzerierter Inguinalhernie,• größeren Abszessen.Elektiveingriffe werden in der Regel an Bord nicht durchge-führt. Der Anästhesist der Bordfacharztgruppe übernimmt bei allen Interventionen neben der Allgemeinanästhesie, das peri-operative Patientenmanagement und bei Bedarf auch die postoperative Betreuung, Schmerztherapie und Intensivüber-wachung / -behandlung. Abgesehen von den erwähnten Krankheitsbildern und Verlet-zungsmustern der chirurgischen Notfallmedizin ist gerade in Anbetracht der isolierten Situation auf See nicht außer Acht zu lassen, dass ein sehr großer Anteil von Notfallpatienten an Bord auf internistische und neurolologisch-psychiartische Fragestel-lungen fällt. So wurden während der Einsätze der letzten Jahre folgende Akutdiagnosen bei Soldaten an Bord gestellt:• Herzinfarkt,• ischämischer Hirninsult,• exarzerbierte psychische Reaktion / Psychose,• Meningitis,• metabolische Entgleisung.

4 STRATAIRMEDEVAC = Strategic Aeromedical Evacuation (strate-gischer Lufttransport von Patienten, d. h . Transport aus dem Ein-satzland in das Heimatland oder ein anderes Land außerhalb des Einsatzgebietes, i. d. R. in eine Einrichtung der Behandlungsebene 4 zur endgültigen Behandlung).

In solchen Fällen stellen die an Bord eingesetzten Anästhesisten durchaus einen nahezu klinischen Standard für ihre Patienten sicher und gewährleisten erst dadurch die Möglichkeit zum si-cheren STRATAIRMEDEVAC in die Heimat.

Anästhesist und SchiffsarztgruppePersonelle Unterstützung fi ndet der Anästhesist in der Schiffsarztgruppe. Der Schifffahrtmedizinische Assistent (frü-her Sanitätsmeister) der Schiffsarztgruppe, ein in der Rettungs-medizin und an Bord erfahrener Portepeeunteroffi zier, der nicht selten auch ein anästhesiologisches Praktikum absolviert hat und mit dem entsprechenden Procedere vertraut ist, ist für den Anästhesisten der Bordfacharztgruppe der erste Ansprechpart-ner und wird vorwiegend in der Anästhesiepfl ege eingesetzt. Dennoch empfi ehlt es sich dringend zu Beginn der gemeinsa-men Seefahrt die notwendigen Verfahren und Algorithmen zu rekapitulieren und immer wieder praktisch zu üben. Besonderes Augenmerk wird hierbei auf folgende Aspekte gelegt: • Dosierung, Wirkung und Einsatz von in der Anästhesie und

Notfallmedizin gängigen Arzneimitteln, • Gerätekunde (Narkosegerät, Beatmungsgerät, Patientenmoni-

tor und Perfusor), • Vorbereitung einer Intubation (Eindecken des Intubationsti-

sches) und• Notfallverfahren. In der Regel erfolgen diese Übungen zusammen mit dem Chir-urgen und dem gesamten Schiffsarztteam, da auch das Personal für die OP-Pfl ege aus der Schiffsarztgruppe gestellt werden muss. Es muss aber darauf hingewiesen werden, dass die be-engten Räumlichkeiten des Schiffslazaretts einer Fregatte mit dem vorhandenen Personal- und Materialansatz einen standar-disierten Operationsbetrieb im klinischen Sinne nicht erlauben. Der in diesem Zusammenhang immer wieder aufkommenden Forderung, zusätzlich anaesthesiologisches Assistenzpersonal in der Bordfacharztgruppe zu etablieren, wurde bisher nur auf Einheiten im Einsatz ATALANTA durch Einschiffung einer Fachkraft für Intensivpfl ege / Anästhesie Rechnung getragen. Dies bedeutet für den Anästhesisten eine bedeutende Erleichte-rung, da die Versorgungsqualität für eventuell mehrere Verletz-te/Verwundete steigt oder auch die Vorbereitungszeit für eine OP deutlich sinkt. Hiermit wird auch dem vom Gesetzgeber für jede Narkose geforderten Facharztstandard bei einer Patienten-behandlung entsprochen, der die Assistenz und Mitwirkung qualifi zierten Pfl egepersonals bedingt [10]. Für den chirurgi-schen Bereich ist dies auch auf Grund des Personalmangels in den Krankenhäusern, der kaum vorhandenen Beschäftigungs-möglichkeiten im Routinebetrieb an Bord und nicht zuletzt der eingeschränkten Unterkunftskapazitäten auf den Schiffen nicht vorgenommen worden [6]. Allerdings muss die aus chirurgi-scher Sicht immer wieder gestellte Forderung, einsatzerfahrene Fachärzte sowie ausgebildetes Assistenzpersonal (Anästhesie- und OP-Pfl ege) in der Bordfacharztgruppe vorzuhalten bezie-hungsweise intensive Schulungen und Kurse für das Personal der Schiffsarztgruppe vor einem Einsatz durchzuführen, auch aus anästhesiologischer Sicht unterstützt werden. Der Erfolg zeitkritischen Handelns hängt nicht zuletzt von der Erfahrung und vom Ausbildungsstand der Fachärzte und des Teams ab.Für das an Bordeinsätzen teilnehmende Personal des Zentralen Sanitätsdienstes der Bundeswehr wird seit einigen Jahren im

Abb. 2: Anä sthesiearbeitsplatz; Schiffslazarett Fregatte Typklasse 122 „Augsburg“; Patient mit Z.n. Bauchschussverletzung

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Rahmen der einsatzvorbereitenden Ausbildung für Konfliktver-hütung und Krisenbewältigung (EAKK) eine dreitägige Ein-weisung in der Einsatzflottille (EF) 2 vorgenommen. Dort ler-nen die Fachkollegen ihren Arbeitsplatz auf den Schiffen ken-nen und werden mit den Herausforderungen im Sanitätsdienst an Bord vertraut gemacht.

Schlussbetrachtung

Anästhesie und Chirurgie in der Bordfacharztgruppe auf einem Kriegsschiff unter Einsatzbedingungen bedeuten keinesfalls kli-nische Medizin unter Bordverhältnissen! Fregatten und auch Ein-satzgruppenversorger mit Bordfacharztgruppe fahren zudem nicht unter dem Schutz des Roten Kreuzes zur See, sie sind keine klinisch optimierten Hospitalschiffe. Die Infrastruktur an Bord der Kampfschiffe ist auf Durchhaltefähigkeit und Sicherung der Plattform Kriegsschiff im Einsatz ausgerichtet. Somit ist auch eine den vorgegebenen Grundsätzen der fachlichen Leitlinie des Inspekteurs des Sanitätsdienstes entsprechende Patientenversor-gung unter den gegebenen Voraussetzungen an Bord eines Kriegsschiffes nur sehr eingeschränkt umsetzbar. Trotzdem muss ausdrücklich betont werden, dass die Deutsche Marine ihren Be-satzungsangehörigen mit tatkräftiger Unterstützung des Zentra-len Sanitätsdienstes der Bundeswehr die im Vergleich mit ande-ren seefahrenden Nationen weitaus umfassendste und beste me-dizinische Versorgung in See gewährleistet.Mit Entsendung eines Schiffes der Deutschen Marine in spezielle Einsätze unter fremden Küsten kann das Sanitätspersonal in der Schiffsarzt- und Bordfacharztgruppe mit Verletzungen und aku-ten Erkrankungen jeglicher Art und Schwere sowohl an Bord des eigenen Schiffs als auch auf Fremdeinheiten bei Hilfeleistungen in See nach international geltendem Seerecht konfrontiert wer-den. Die Behandlung von verletzten oder akut erkrankten Perso-nen muss unter den gegebenen Bedingungen als Erstbehandlung und im Rahmen der Nothilfe durchgeführt werden. Dabei hat die Bordfacharztgruppe zunächst nur beratende Funktion. Der Einsatz eines Kriegsschiffes ist durch seinen Auftrag be-stimmt, die Handlungsprioritäten werden entsprechend der in-neren und äußeren Sicherheitslage durch den Kommandanten festgelegt; unter diesen Aspekten hat sich die Bordfacharzt-gruppe in die Bordorganisation einzufügen, bis sie den Auftrag zur Behandlung einer verletzten oder akut erkrankten Person an Bord erhält. Dieses Verständnis ist einerseits Grundvorausset-zung, andererseits Herausforderung für alle Fachärzte, die in einer Bordfacharztgruppe tätig sind. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Bordfacharztgruppe die Vorhaltung einer speziellen Fähigkeit darstellt, nämlich der umfassenden Profes-sionalisierung der notfallmedizinischen Versorgung an Bord im einsatztypischen Bedarfsfall. Sinn und Nutzen einer fachärztlichen Versorgung in See kann daher nicht an tatsächlich erzielten Leistungszahlen bemessen werden, wie zum Beispiel an der Anzahl von Narkosen oder ope-rativen Eingriffen. Man muss sich immer vergegenwärtigen, dass es nicht das Ziel sein kann, angesichts der personellen, materiel-len, infrastrukturellen und hygienischen Situation an Bord in ab-gelegenen Seegebieten, operative Elektiveingriffe durchzufüh-ren. Ebenso sollten Eingriffe mit aufgeschobener Dringlichkeit nur nach strenger Indikationsstellung und nach Abwägung der Raum-Zeitfaktoren in See durchgeführt werden. Aus dem klini-

schen Alltag Gewohntes und Wünschenswertes sind an Bord nicht immer umsetzbar, obwohl operative Noteingriffe im Rah-men der Versorgungsebene Role 1+ an Bord einer Fregatte bei eingeschiffter Bordfacharztgruppe grundsätzlich möglich sind. Bei schweren Verletzungsmustern (zum Beispiel körpernahe Ge-fäßverletzungen, innere Blutungen, Polytraumata), die einen ho-hen Blutverlust beziehungsweise Volumenumsatz bedingen, sind die Möglichkeiten allerdings erheblich limitiert. Die Fähigkeit zur Improvisation, Grenzen des Machbaren zur erkennen, und der Wille, die Bordbedingungen in See zu akzep-tieren und für Schiff und Besatzung ein Optimum an medizini-scher Versorgung im Einsatz zu ermöglichen, sind für das ge-samte Lazarettteam die täglichen Herausforderungen an Bord von Kampfschiffen im Einsatz.

Literatur

1. Fohr W, Posselt D, Hartmann V: Der Anästhesist in der Bord-facharztgruppe auf Kampfschiffen der Marine. Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2010; 34(3): 29-34.

2. Hartmann V: Der Chirurg an Bord: Eine Herausforderung im ma-ritimen Umfeld. Wehrmedizinische Monatsschrift 2009; 53(5-6): 130-134.

3. Hartmann V: Das Marineeinsatzrettungszentrum (MERZ). Wehr-medizin und Wehrpharmazie 2007; 31(3): 32-34

4. Erfahrungsberichte (unveröffentlicht) „Bordfacharztgruppe“ aus der Einsatzflottille 2.

5. Hauer T, v. Lübken F, Johann M, Schreyer Ch, Hartmann, Kollig E und Willy Ch: Deutsche Militärchirurgen im Auslandseinsatz - Le-bens- und Arbeitsbedingungen. Der Unfallchirurg 2010;113: 91-98.

Bildnachweis: Eigene Abbildungen (W. Fohr, D. Posselt)

Für die Verfasser:Flottillenarzt Dr. Wolfgang FohrBundeswehrkrankenhaus Hamburg Abteilung für Anästhesie und IntensivmedizinLesserstrasse 180, 22049 HamburgE-Mail: [email protected]

Der Beirag wird mit dem vollständigen Literaturverzeichnis im Internet unter www.wehrmed.de veröffentlicht.

Kernaussagen• Zur Sicherstellung einer qualifizierten sanitätsdienstlichen

Versorgung bei mandatierten Einsätzen sowie bei Transit-fahrten in zentralen und entlegenen Ozeanbereichen werden an Bord von Kampfschiffen der Deutschen Marine Bord-facharztgruppen eingesetzt.

• Die Bordfacharztgruppe besteht aus einem Sanitätsstabsoffi-zier mit Gebietsbezeichnung „Anästhesiologie“, einem Sa-nitätsstabsoffizier mit Gebietsbezeichnung „Chirurgie“ so-wie einem Portepeeunteroffizier „Fachkrankenpfleger für Anästhesie und Intensivmedizin“.

• Die Bordfacharztgruppe hält eine spezielle Fähigkeit, nämlich die umfassende Professionalisierung der notfallmedizinischen Versorgung an Bord im einsatztypischen Bedarfsfall, vor.

• Der Sanitätsstabsoffizier mit der Gebietsbezeichnung „Anäs-thesiologie“ bringt sich im maritimen Umfeld mit allen dem Fachgebiet typischen Teilbereichen - Anästhesie, Intensiv-medizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie - ein.

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Heinz-Gerngroß-Förderpreis 2015

Heinz-Gerngroß-Förderpreis 2015 vergeben

Im Rahmen des 46. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Wehrmedizin und Wehrpharmazie e. V. (DGWMP) vom 15. - 17. Oktober 2015 in Oldenburg bewarben sich acht Nachwuchswissenschaftler um den begehrten Preis. Mit ihren wissenschaftlichen Vorträgen gaben sie auch Zeugnis vom breiten fachlichen Spektrum der Wehrmedizin.

Am Freitag, dem 16.10.2015 stellten sich acht Kandidatinnen und Kandidaten der fünfköpfi gen Jury unter Vorsitz von Ober-starzt Prof. Dr. Becker (Bundeswehrkrankenhaus Ulm). Es galt, ein selbst bearbeitetes wissenschaftliches Thema im freien Vor-trag innerhalb von maximal zehn Minuten zu präsentieren – Zeitüberschreitungen waren nicht erlaubt. Bewertet wurden unter anderem Aufbereitung des Themas und Gliederung des Vortrags, Art der Präsentation, wehrmedizinische Relevanz, Zeitmanagement und Diskussionsverhalten.

Vortrag und Diskussion aller Teilnehmer überzeugten durch hohes akademisches Niveau. Prof. Becker: „Das war der beste Wettbewerb, den ich in den sechs Jahren, in denen ich der Jury vorstehe, erlebt habe.“ Eine Kurzfassung aller Vorträge ist auf den folgenden Seiten abgedruckt. Die Entscheidung fi el denkbar knapp aus. Nur wenige Punkte trennten schließlich die Kandidaten voneinander – und leider konnte es nur zwei Sieger geben. Oberstabsarzt Stichling aus dem Bundeswehrkrankenhaus Berlin und Frau Dr. Aistleitner vom Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr in München belegten die beiden ersten Plätze. Sie wurden anlässlich des Festabends durch den Präsidenten der DGWMP, Generalarzt a. D. Dr. Veit, mit Urkunde und Preisgeld ausgezeichnet.Der Wettbewerb um den Heinz-Gerngroß-Förderpreis 2016 darf schon heute mit Spannung erwartet werden.Bildquelle: DGWMP / Andreas Meyer-Trümpener

Oberstarzt Dr. FunkeKommando Sanitätsdienst – Pressestab

Heinz-Gerngroß-Förderpreis 2015

Teilnehmer am Heinz-Gerngroß-Förderpreis (von links). Oberstabs-arzt Dr. Back, Oberstabsarzt Stichling, Dr. Aistleitner, Oberstabsarzt Cramer, Stabsarzt Lange, Oberstabsarzt Dr. Dühr, Stabsarzt Dr. Amend, Leutnant (SanOA) Marx

Preisvergabe durch Generalarzt a.D. Dr. Veit beim Festabend an Oberstabsarzt Stichling (1. Platz, links) und Dr. Aistleitner (2. Platz, rechts)

Preisvergabe durch Generalarzt a.D. Dr. Veit beim Festabend an Preisvergabe durch Generalarzt a.D. Dr. Veit beim Festabend an

Oberstarzt Professor Dr. Heinz Gerngroß (1947 - 2005) war Facharzt für Chirurgie und Unfallchirurgie und von 1992 bis zu seinem frühen Tod im Jahre 2005 Leiter der Abteilung Chirurgie am Bundeswehr-krankenhaus Ulm. Er war Schüler von Professor Dr. Caius Burri in Ulm, der als Mitbegründer eines eigenständigen Fachs Unfallchirurgie in Deutschland gilt.Heinz Gerngroß hat wie kein anderer die Entwicklung der Einsatzchirurgie in der Bundeswehr geprägt. Viele seiner „Schüler“ sind heute Abteilungsleiter chirurgischer und unfallchirurgischer Abteilungen sowohl in den Bundeswehrkrankenhäusern als auch in großen zivilen Kliniken. Die Förderung des akademischen Nachwuchses lag Heinz Gerngroß besonders am Herzen. Konsequen-terweise trägt deshalb seit 2006 der von der Deutschen Gesellschaft für Wehrmedizin und Wehrpharma-zie e. V. gestiftete Preis im Nachwuchswettbewerb seinen Namen.

Die Wehrmedizinische Monatsschrift widmete die Ausgabe 6/2015 anlässlich seines 10. Todestages dem Gedenken an Oberstarzt Professor Dr. Heinz Gerngroß.

Oberstarzt Professor Dr. Heinz Gerngroß (1947 - 2005) war Facharzt für Chirurgie und Unfallchirurgie und von 1992 bis zu seinem frühen Tod im Jahre 2005 Leiter der Abteilung Chirurgie am Bundeswehr-krankenhaus Ulm. Er war Schüler von Professor Dr. Caius Burri in Ulm, der als Mitbegründer eines eigenständigen Fachs Unfallchirurgie in Deutschland gilt.Heinz Gerngroß hat wie kein anderer die Entwicklung der Einsatzchirurgie in der Bundeswehr geprägt. Viele seiner „Schüler“ sind heute Abteilungsleiter chirurgischer und unfallchirurgischer Abteilungen sowohl in den Bundeswehrkrankenhäusern als auch in großen zivilen Kliniken. Die Förderung des akademischen Nachwuchses lag Heinz Gerngroß besonders am Herzen. Konsequen-terweise trägt deshalb seit 2006 der von der Deutschen Gesellschaft für Wehrmedizin und Wehrpharma-zie e. V. gestiftete Preis im Nachwuchswettbewerb seinen Namen.

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Heinz-Gerngroß-Förderpreis 2015

Auswirkungen von Chlorambucil und CEES auf die Proliferation, Apoptose und den NO-Signalweg von endothelialen Progenitorzellen

Sandra Dühr

Sanitätsunterstützungszentrum Köln-Wahn

HintergrundDas im 1. Weltkrieg erstmals als Kampfgas eingesetzte S-Lost oder Senfgas gewinnt heute in Zeiten terroristischer Bedrohung wieder mehr an Bedeutung. Es gehört zu den stark alkylieren-den Substanzen, führt mit einer Latenz von wenigen Stunden zu einer entzündlichen Reaktion der Haut und über Blasenbildung zu schwerwiegenden Ulzerationen. Eine Heilung dauert je nach Schweregrad Wochen bis Monate.Für die Wundheilung ist eine gute Gefäßneubildung unabding-bar. Endotheliale Progenitorzellen (hEPCs) spielen dabei in der adulten Vaskulogenese eine wichtige Rolle – sowohl bei phy-siologischen als auch bei pathologischen Gefäßneubildungen. Einige Tumore können Zellen zu hEPCs ausdifferenzieren und zu einer pathologischen Vaskulogenese des tumorösen Gewe-bes führen, wobei ein möglicher Einfl uss alkylierender Subs-tanzen wie der aus S-lost entstandenen N-lost-Chemotherapeu-tika auf die pathologische Gefäßneubildung von Interesse ist. Ziel dieser Arbeit war es, den Einfl uss das N-lost Derivats Chlorambucil und das S-lost Derivats 2-Chloroethyl ethyl sul-fi d (CEES) auf die hEPC und damit indirekt auf die adulte Vas-kulogenese sowie. mögliche Interventionen mittels α-Linolen-säure (ALA) und N-Acetylcystein (NAC) zum Schutz der hEPCs nach Exposition zu untersuchen.

Methoden Aus Vollblut isolierten hEPCs über Dichtegradzentrifugations-schritte wurden entweder mit Chlorambucil (12,5 µg/ml) oder CEES (100 µM) und zur Kontrolle mit Ethanol (EtOH in jewei-ligen Konzentrationen) für 24 Stunden behandelt, einem Teil der Proben wurde zur Intervention N-Acetylcystein in einer Konzen-tration von 20 mM oder α-Linolensäure in einer Endkonzentra-

tion von 53,8 µM zugesetzt. Anschließend wurden Proliferation der hEPCs immunzytochemisch mit dem Protein Ki67 und Bromdeyxyuridin (BrdU), die Seneszenz durch β-Galactosidase Färbung und die Apoptose sowohl immunzytochemisch mittels Antikörperngegen die aktivierte Caspase-3 sowie das 85 kDa schwere Fragment der cPARP als auch mittels Trypanblau-Vita-litätsassay untersucht. Die Immunzytochemie diente auch zur Untersuchung des oxidativen und nitrosativen Stresses in den Zellen. Freie Radikale wurden mittels Antikörpern gegen 3-Nitro-tyrosin sowie 8-Isoprostan,Veränderungen im NO-Signalweg durch Bestimmungen der induzierbaren und endothelialen Sticksoffmonoxid-Syntasen (iNOS / eNOS) untersucht.

Ergebnisse Unter Chlorambucil zeigt sich eine verminderte Proliferation, eine erhöhte Anzahl seneszenter Zellen sowie eine gesteigerte Apoptoserate. CEES hat keinen signifi kanten Einfl uss auf Pro-liferation, Seneszenz und Apoptose der hEPCs. Beide Alkylan-tien führen zu signifi kant höhere Expressionen von 3-Nitrotyrosin und 8-Isoprostan als Zeichen vermehrten oxida-tiven und nitrosativen Stresses. Mögliche Ursache dieses Phä-nomens könnte die unter beiden Behandlungen signifi kant er-höhte iNOS als Hauptsynthase für NO-Radikale sein, wobei auch der eNOS-Signalweg unter beiden Expositionen beein-fl usst war. Die Interventionen mit NAC und ALA vermindern den nitrosativen und oxidativen Stress in den behandelten hEP-Cs signifi kant, allerdings ohne positiven Einfl uss auf die Proli-ferations- oder Apoptoserate.

SchlussfolgerungDiese Grundlagenstudie zeigte, dass das N-lost-Derivat Chlo-rambucil zu einer signifi kanten Schädigung der hEPCs führt und damit auch einen negativen Einfl uss auf die adulte Vaskulogene-se hat. Diese erwünschte Wirkung auf die pathologische kann zugleich als schwere Nebenwirkung auf die physiologische Vas-kulogenese und somit auf die Wundheilung gewertet werden. Das als monofunktionales Alkylanz in seiner Wirkungsstärke dem S-lost deutlich unterlegene CEES führt in der hier verwen-deten Konzentration zu keiner signifi kanten Veränderungen der hEPCs und scheint daher auch keinen Einfl uss auf die Vaskuloge-nese zu haben. Die Antioxidantien NAC und ALA können zwar den nitrosativen und oxidativen Stress der exponierten Zellen beeinfl ussen, eignen sich aber nicht als mögliche Intervention zum Schutz vor der schädigenden Wirkung der Alkylantien. Das für diese Arbeit gewählte Modell kann als Grundlage für die Untersuchung neuer Substanzen zu Behandlung von Lost-Vergiftungen genutzt werden.

Verfasser:Oberstabsarzt Dr. Sandra DührSanVersorgungszentrum KwWahnE-Mail: [email protected]

Immunzytochemische Analyse der Apoptose mittels a-Caspase-3-An-färbung und densitometrischer Auswertung der hEPCs (n=50) unter Behandlung mit Chlorambucil (Chlor) und Ethanol (EtOH) für 24h ohne Intervention / mit Intervention r mit N-Acetylcystein und α-Linolensäure

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Heinz-Gerngroß-Förderpreis 2015

Qualität der Anwendung von Sonnenschutz durch Externa: Ein Vergleich zwischen Soldaten und FreizeitexponiertenGunnar Marx1, Dimitar Antonov2, Peter Elsner2

Sanitätsunterstützungszentrum Erfurt1, Friedrich-Schiller-Universität Jena - Klinik für Hautkrankheiten2

Hintergrund Soldaten sind - besonders im Auslandseinsatz - erheblich stär-ker gegenüber natürlicher UV-Strahlung exponiert als der über-wiegende Teil der übrigen Bevölkerung. Dies kann zu einem erhöhten Hautkrebsrisiko führen. Die seit 01.01.2015 geltende Ziffer 5103 („Plattenepithelkarzinome oder multiple aktinische Keratosen der Haut durch natürliche UV-Strahlung“) der Be-rufskrankheitenverordnung verpfl ichtet die Bundeswehr als Ar-beitgeber zur Primärprävention. Neben der Vermeidung der Sonnenexposition (Beschattung, Tragen adäquater Kleidung) ist hierzu die regelhafte und richtige Anwendung von Sonnen-schutzpräparaten erforderlich. Die Wirksamkeit des UV-Schut-zes durch Lichtschutzpräparate hängt dabei nicht nur von deren objektiven Filterwirkungen, sondern wesentlich vom Applikati-onsverhalten ab.Ziel der Studie war, die Qualität der Anwendung von Sonnen-schutz durch Externa bei Soldaten im Dienst im Vergleich zu Pro-banden in Freizeitexposition zu untersuchen und Zusammenhän-ge bezüglich Demografi e, Hauttyp, berufl icher UV-Exposition und individuellem Sonnenschutzverhalten aufzuzeigen.

MethodenAlle Probanden (Soldaten während eines Truppenübungsplatzau-fenthaltes, Freibadbesucher als Kontrollgruppe) wurden gebeten, sich so mit einer fl uoreszierenden Testcreme einzucremen, wie sie es mit einer üblichen Sonnencreme auch tun würden. An-schließend wurde unter UV-Licht die Fluoreszenz der eingecrem-ten Hautareale als Indikator des Auftrageverhaltens beurteilt. Die Probanden beantworteten einen Fragebogen zu Demografi e- und Risikofaktoren, bei Soldaten ergänzt durch Fragen zum Dienst-grad und zu Auslandseinsätzen. Für die eingecremten Hautareale wurde ein Summenscore berechnet und ein multivariates lineares Modell erstellt, um Faktoren mit einem signifi kanten Einfl uss auf die Qualität des Eincremens zu erfassen.

ErgebnisseBei insgesamt 100 Probanden (50 Soldaten, 50 Freibadbesu-cher) waren am häufi gsten ungeschützt gebliebenen klinisch relevanten Areale: Periorbitalregion (L: 63 %, R: 62 %), Ohren (L: 42 %, R: 39%), Nacken, lateraler Hals (L: 28 %, R: 26 %) und die Handrücken (L: 31 %, R: 42 %). Die Händigkeit hatte einen signifi kant negativen Einfl uss auf die Lichtschutzapplikation der ipsilateralen Seite (p ≤ 0,05), an-dere Faktoren (wie Geschlecht, Alter, Hauttyp, Bildungsstand, Anzahl Naevuszellnaevi, regelmäßige Hautpfl ege, exzidierte Naevi oder berufl iche UV-Exposition) nicht. Im linearen Re-gressionsmodell zeigte nur die Studiengruppe (Soldaten signifi -kant besser als Freibadbesucher) und die entnommene Creme-menge einen signifi kanten Einfl uss auf den Summenscore. Bei den Soldaten hatte weder die Dienstgradgruppe noch die An-zahl der Auslandseinsätze Einfl uss auf den Summenscore.

FazitDas Auftragen von Sonnenschutzmitteln kann durch bewuss-tes Cremen von hier nachgewiesenen häufi g ausgelassenen Arealen verbessert werden. Dabei ist auf die Verwendung ei-ner ausreichenden Menge Sonnencreme zu achten, die mit ei-ner Mindestmenge an Sprühstößen, Pumphüben oder ähnli-chem vorgegeben werden sollte, da sich diese Crememenge als wichtigster Einfl ussfaktor für ein ausreichendes Schutz-verhalten erwies. Personen mit erhöhtem Risiko für Hautkrebs cremen sich nicht besser ein als andere Probanden; das Risi-kobewusstsein sollte demnach verbessert werden. Die von uns angewandte Methode mittels fl uoreszierender Testcremes ist zum Aufzeigen von ungeschützten Arealen geeignet und könnte, insbesondere in der Einsatzvorbereitung, zu Schu-lungszwecken eingesetzt werden.

Für die Verfasser:Leutnant (SanOA) Gunnar MarxSanitätsunterstützungszentrum ErfurtE-Mail: [email protected]

Ergebnisse

Abb. 2: Häufi g unge-schützte Hautarea-le mit klinischer Relevanz

Abb. 1: Unter UV-Licht in der Testkabine aufgenommenes Foto (Bild: Dr. Antonov, Jena)

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Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 11/2015

Heinz-Gerngroß-Förderpreis 2015

Die differenzierte Therapie der Kampfgasintoxikation von gasversehrten deutschen Soldaten des Ersten Weltkrieges

Niko Amend

Bundeswehrkrankenhaus Ulm, Abteilung für Innere Medizin

HintergrundAm 22. April diesen Jahres jährte sich zum 100. Mal der erste großfl ächige Einsatz der Gaswaffe. An diesem Tag blies ein deut-sches Gasregiment im südlichen Ypernbogen eine vernich tende Chlorgaswolke ab. Die Therapie der Gasvergiftung hinsichtlich einer spezialisierten Versorgung der Soldaten im Ersten Weltkrieg ist bislang im deutschsprachigen Raum nicht untersucht worden.

MethodenDie in den für die Behandlung von kampfgasversehrten deut-schen Soldaten angewendeten Behandlungsmethoden wurden im Hinblick auf die therapeutischen Optionen untersucht. Hier-zu wurden unter anderem individuelle ärztliche Erfahrungsbe-richte zum Umgang mit Kampfgasintoxikationen ausgewertet. ErgebnisseBei der Therapie der Verletzung durch Lungenkampfstoffe (Grünkreuz) konnten die Militärärzte auf bewährte Konzepte zurückgreifen, die auf Erkenntnissen aus dem zivilen Gesund-heitssystem basierten. So existierten bereits vor dem ersten Weltkrieg umfangreiche therapeutische Erfahrungen aufgrund von Industrieunfällen mit Chlorgas.Die Einführung des Schwefellosts (Hautkampfstoff) in das Kampfgeschehen durch das Deutsche Kaiserreich im Jahre 1917 konfrontierte die Mediziner im Felde mit neuen therapeu-tischen Herausforderungen. Ein geruchloser, farbloser und sesshafter Kampfstoff, der auch nach Monaten noch Intoxika-tionen hervorrufen konnte, stellte ein Novum dar.Die Hautschädigung konnte analog zu großfl ächigen Brandverlet-zungen behandelt werden, und gängige therapeutische Methoden aus diesem Bereich wurden als Standardvorgehen implementiert. Die Applikation von Zinkpulver, Dermatol und etwaigen Salben-verbänden gehörten bald zum therapeutischen Spektrum. Die Versorgung der Lungenverletzung durch Schwefellost erwies sich als ungleich schwieriger. Das Krankheitsbild, welches durch das Einatmen von Kampfstoffen der Gelbkreuzgruppe entstand, glich dem Bild der Chlorgasintoxikation: Die Soldaten wiesen Lungenödeme ungleicher klinischer Ausprägung auf. Damit wa-ren sie in einem Zeitalter vor der Entwicklung potenter Diuretika akut vital gefährdet. Bei dem toxischen Lungenödem durch

Chlorgas war der Aderlass die Therapie der Wahl. Dieser beding-te – teilweise – einen Rückstrom des Ödems aus der Lunge in das Gefäßsystem. Entgegen der Erwartungen hatte die Methode bei der Lungenschädigung durch Schwefellost potenztiell letale Konsequenzen. Ein erheblicher Anteil der Patienten entwickelte eine Pneumonie nach protrahierten Aderlässen. Damit wurde die Erforschung neuer Behandlungsmöglichkeiten des Lungen-ödems notwendig. Der Militärarzt Reinhard von den Velden, von dem besonders differenzierte Therapieschilderungen vorliegen, setzte große Erwartungen in die Verabreichung von artfremdem Eiweiß. Dieses sollte ebenfalls einen Rückstrom des Ödems in das Gefäßsystem bedingen. Allerdings bedingte die parenterale Verabreichung von Kuh milch oftmals den Exitus letalis.

Trotz dieser ungünstigen Prognose im Falle einer Lungenschä-digung war das Erkrankungsbild der Vergiftung durch Schwe-fellost meist jedoch durch das Ausmaß der Hautschädigung geprägt und damit oft kurativ behandelbar. Obgleich die Vor-aussetzungen im Felde tendenziell ungünstig waren, konnten erfahrene Spezialisten wie von den Velden zeigen, dass in ei-nem Zeitalter vor der Verfügbarkeit von Antibiotika, Diuretika oder gar intensivmedizinischer Betreuung eine adäquate Ver-sorgung dieser Patienten möglich war.

SchlussfolgerungenEine spezialisierte Therapie der Kampfgasvergiftung während des Ersten Weltkrieges war durchaus möglich. Allerdings ver-fügten nur einige wenige Spezialisten über die notwendige Ex-pertise. Wurden vergiftete Soldaten in ein Speziallazarett ver-bracht, so bestand die Möglichkeit, selbst ein toxisches Lun-genödem (zumindest bei der Vergiftung durch Chlorgas) zu überleben. Allerdings existierten nur wenige dieser spezialisier-ten Einrichtungen, und die durchschnittliche medizinische Ver-sorgung war qualitativ deutlich schlechter.

Verfasser:Stabsarzt Dr. Niko AmendBundeswehrkrankenhaus UlmE-Mail: [email protected]

Abb. 2: Hautschädigung durch Dichlorethylsulfi d (S-Lost) (Abbildung aus: Flury, Ferdinand; Wieland Hermann: Über Kampfgasvergiftungen. VII. Die pharmakologische Wirkung des Dichloräthylsulfi ds. Zeitschrift für die gesamte experimentelle Medizin 13 (1921): 367-483.

Abb. 1: Zeitgenössische Darstellung eines Blasangriffs mit Chlorgas; Es handelt sich um ein Postkartenmotiv. Der Urheber ist unbekannt.

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Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 11/2015

Heinz-Gerngroß-Förderpreis 2015

In-vitro Untersuchung von adaptierbaren und resorbierbaren antibakteriellen Implantatbeschichtungen mit verschiedenen Reserveantibiotika

David Alexander Back

Bundeswehrkrankenhaus Berlin, Abteilung Orthopädie und Unfallchirurgie, Septische und Rekonstruktive Chirurgie

Einleitung Verletzungen der Extremitäten mit bakteriell kontaminierten Weichgewebs- und Knochendefekten im Sinne septischer De-fektwunden sind charakteristisch für Traumata im Gefolge mi-litärischer Auseinandersetzungen. Hierbei besteht eine zuneh-mende Bedrohung durch hochpathogene Krankheitserreger, die auch in Form von Mischinfektionen auftreten. Auch wenn die chirurgische Behandlung im Vordergrund der Therapie steht, wird oft die hochdosierte systemische Gabe von Reserveanti-biotika erforderlich. Diese wiederum können zu relevanten or-ganischen Nebenwirkungen (wie Nephro-, Neuro- und Hepato-toxizität, Allergisierung) bei den betroffenen Patienten führen, ohne dass letztlich Sicherheit darüber besteht, ob die angestreb-te Wirkdosis im Gewebe bei oftmals zerstörter Mikroperfusi-ons-Architektur erreicht wird. Eine zusätzliche Applikation von lokalen Antibiotika kann hier eine sinnvolle Therapieergänzung darstellen. Diese In-vitro-Studie sollte untersuchen, ob Reser-veantibiotika aus Implantatbeschichtungen wirkungsvoll gegen einsatzrelevante Bakterienstämme freigesetzt werden können.

Material und MethodenTitan-Kirschner-Drähte wurden unter sterilen Bedingungen mit Poly(D,L-Laktid) (PDLLA) und entweder Gentamicin, Colistin oder Daptomycin in drei verschiedenen Konzentrationen be-schichtet und in einer NaCl-Lösung gehalten. Die Proben wur-den hinsichtlich ihres Einfl usses auf die Hemmhofgröße eines gram-positiven Bakterienstamms (Staphylokokkus aureus, MRSA) und eines gram-negativen Bakterienstamms (Acineto-bacter baumannii) untersucht. Die Freisetzungskinetik wurde durch Massenspektrometrie oder antikörperbasierte Verfahren analysiert. Des Weiteren wurden Gentamicin und Colistin in ei-ner zweifachen Beschichtung (n=6) gegen eine imitierte Misch-infektion mit Staphylokokkus aureus und Acinetobacter bau-mannii getestet. Zur Untersuchung toxischer Einfl üsse auf Kno-chenzellen wurden Osteoblasten den Beschichtungskonzentra-tionen ausgesetzt und nach drei Tagen die alkalische Phospha-tase und die metabolische Aktivität gemessen.

ErgebnisseGentamicin und Colistin zeigten im Bereich der jeweils gewähl-ten Höchstkonzentration mit 10 % der Beschichtungsmenge eine initiale schlagartige Freisetzung, die von einer ansteigenden Frei-setzung über den weiteren Beobachtungszeitraum gefolgt wurde. In dieser Dosierung von 10 % wirkten beide Antibiotika über den gesamten Beobachtungszeitraum von 42 Tagen hemmend auf die adressierten Bakterien (Staphylokokkus aureus bzw. Acinetobac-ter baumannii; Abbildung). Bei Daptomycin musste der Dosis-anteil innerhalb der Beschichtung auf bis zu 40 % gesteigert wer-den, um eine Hemmung der Zielbakterien (MRSA) zu erreichen. Hiermit konnte eine inhibitorische Wirkung für sieben Tage auf-recht erhalten werden. Die Doppelbeschichtung, bei der für Gen-tamicin und Colistin die identifi zierten wirksamsten Konzentrati-

onen von 10 % der Beschichtung gewählt wurden, zeigte eine effi ziente Freisetzung beider Antibiotika über den gesamten Zeit-raum und eine korrespondierende hemmende Wirkung auf beide Bakterienstämme. Bei der Untersuchung der gewählten Antibio-tikakonzentrationen auf Osteoblastenkulturen konnten keine ne-gativen Auswirkungen auf die Expression von alkalischer Phosphatase oder der metabolischen Aktivität nachgewiesen werden.

ZusammenfassungDie Untersuchung zeigte, dass durch die lokale Freisetzung von Reserveantibiotika aus Implantatbeschichtungen unterschied-liche Bakterienstämme wirkungsvoll inhibiert werden können, die in der Literatur bei Verwundungen im Einsatz eine relevante Rolle spielen. Gleichzeitig zeigten die Versuche auch, dass nicht alle Reserveantibiotika für den Einsatz in Implantatbe-schichtungen gleich gut geeignet sind, wobei die minimale Hemmkonzentration und die Freisetzungskinetik wahrschein-lich relevante Einfl ussfaktoren darstellen. Die hier nachgewie-sene hohe Effektivität der Doppelbeschichtung kann perspekti-visch die Optionen der resistenzgerechten Adressierung von Mischinfektionen aus gram-positiven und gram-negativen Er-regern ermöglichen und soll in einem nächsten Schritt in vivo in einem Kleintier-Osteomyelitis-Modell untersucht werden.

Verfasser: Oberstabsarzt Dr. David Alexander BackBundeswehrkrankenhaus Berlin E-Mail: [email protected]

Agarplatte mit Staphylokokkus aureus am Tag 3

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Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 11/2015

Heinz-Gerngroß-Förderpreis 2015

Identifi zierung biologischer Kampfstoffe durch Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung

Karin Aistleitner

Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr, München

EinleitungDer Nachweis und die Identifi zierung gefährlicher bakterieller Krankheitserreger, die möglicherweise auch als biologische Kampfstoffe gegen Soldaten eingesetzt werden können, sind für den medizinischen B-Schutz von besonderer Bedeutung. Zu diesen gefährlichen Erregern zählen zum Beispiel Bacillus an-thracis (Erreger des Milzbrands), Yersinia pestis (Erreger der Pest), Burkholderia mallei (Erreger des Rotz) oder Francisella tularensis (Erreger der Tularämie). Nachweismethoden für diese Krankheitserreger müssen schnelle und zuverlässige Er-gebnisse liefern und möglichst einfach anwendbar sein. Die zurzeit verfügbaren Methoden basieren meist auf dem Nach-weis von Nukleinsäurematerial durch PCR oder dem Nachweis von Antigenen durch „Hand-held-Test-Kits“. Als Erweiterung des Methodenspektrums wurde in dieser Arbeit ein schnell an-wendbarer Diagnostikalgorithmus zur Identifi zierung relevan-ter Erreger durch Fluoreszenzmikroskopie mittels Fluores-zenz-in-situ-Hybridisierung (FISH) entwickelt und optimiert.

MethodenDer Nachweis von Bakterien durch FISH beruht auf der spezi-fi schen Bindung von fl uoreszenz-markierten Oligonukleotid-sonden an RNS-Moleküle in bakteriellen Ribosomen. Die in dieser Arbeit verwendeten Sonden wurden entweder mit Hilfe des Softwarepakets arb (Quast et al. 2013) neu entwickelt oder aus bereits publizierten Studien entnommen. Zur Minimierung unspezifi scher Bindungen von Sonden oder zur Erhöhung der Signalintensität wurden zum Teil zusätzlich Kompetitor- und Helfersonden entwickelt und eingesetzt (Fuchs et al. 2000). Die Optimierung und Evaluierung der Sonden wurde an einem kon-fokalen Laserscanning-Mikroskop (Zeiss LSM 710) durchge-führt.

Der entwickelte Nachweisalgorithmus wird in zwei Schritten durchgeführt: Im ersten Hybridisierungsschritt werden die in der Probe vorhandenen relevanten Bakterien einer Großgruppe zugeordnet. Im zweiten Hybridisierungsschritt wurden diese dann mit Hilfe einer spezifi schen Sonde identifi ziert. Durch die Markierung der Oligonukleotidsonden mit jeweils zwei Fluo-reszenzfarbstoffen können durch additive Farbmischung bis zu sechs unterschiedliche Bakterienspezies in einer Probe gleich-zeitig unterschieden (Behnam et al. 2012) und zudem höhere Signalintensitäten erzielt werden (Stoecker et al. 2010).

ErgebnisseDie Anwendung aller Gruppen- und Spezies-spezifi schen Son-den auf bakteriellen Reinkulturen resultierte in hellen und kla-ren Fluoreszenzsignalen unter dem Mikroskop. Die neu entwi-ckelten Sonden sind unter den optimierten Hybridisierungsbe-dingungen spezifi sch für das jeweilige Zielbakterium. Basie-rend auf diesen Sonden ermöglicht der Diagnostikalgorithmus eine Identifi zierung von dreizehn bakteriellen Krankheitserre-gern innerhalb von vier Stunden. Die Liste der nachweisbaren

Bakterien umfasst Rickettsien, Vibrio cholerae, Yersinia pestis, Brucellen, Burkholderia mallei, Burkholderia pseudomallei, Francisella tularensis, Leptospiren, Neisseria meningitidis, Escherichia coli und Bakterien der Bacillus anthracis/ce-reus-Gruppe. Diese Bakterien konnten mit dem FISH Diagnos-tik-Algorithmus auch erfolgreich in komplexeren Probenmate-rialien wie Pulverproben, Gewebeproben und von Hautoberfl ä-chen nachgewiesen und identifi ziert werden. Um die Verwen-dung giftiger Chemikalien zu minimieren und die Feldtauglich-keit der Methode zu erhöhen, wurde zudem das in Stan-dard-FISH-Protokollen verwendete giftige Formamid durch ungiftigen Harnstoff ersetzt. Hierbei konnte gezeigt werden, dass auch unter diesen Bedingungen eine Identifi zierung der relevanten Bakterien möglich ist.

Diskussion/FazitDer entwickelte FISH-Algorithmus erlaubt den raschen, einfa-chen und kostengünstigen Nachweis von medizinisch relevan-ten B-Erregern in Patientenproben, komplexen Probenmatrices und aus der Umwelt. Ein wesentlicher Vorteil der Methode ist die Möglichkeit, auch Mischinfektionen mit bis zu sechs unter-schiedlichen Bakterienarten gleichzeitig zu identifi zieren. Zu-dem werden im Gegensatz zu anderen auf dem Erbgut basierten Nachweismethoden mit FISH nur intakte Bakterien nachgewie-sen, da Ribosomen als Zielmoleküle in der Zelle vorhanden sein müssen. Die Entwicklung eines universellen Nachweisal-gorithmus durch FISH für den medizinischen B-Schutz der Bundeswehr stellt daher eine wichtige Ergänzung des bereits vorhandenen Methodenspektrums dar.

Verfasser: Dr. rer. nat. Karin AistleitnerInstitut für Mikrobiologie der Bundeswehr, MünchenE-Mail: [email protected]

Nachweis von bakteriellen Krankheitserregern durch FISH in unter-schiedlichen Probenmaterialien. Im Paraffi nschnitt wurden neben Francisella tularensis (gelb) auch menschliche Zellkerne mit dem DNA-bindenden Farbstoff DAPI (türkis) angefärbt. (Bild: K. Aistleitner)

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Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 11/2015

Heinz-Gerngroß-Förderpreis 2015

Apparative Diagnostik unter Bioschutz-Stufe 3+-Isolationsbedingungen – eine bislang nicht beachtete Herausforderung in der Behandlung hochkontagiöser Infektionskrankheiten

Stephanie Gabriele Lange1, Behruz Foroutan2, Walter Kating1

Bundeswehrkrankenhaus Berlin, Abteilung Radiologie1 / Abteilung Innere Medizin2

Hintergrund und ZielsetzungInternationale Einsätze führen vermehrt zur Exposition von Soldaten der Bundeswehr gegenüber hochkontagiösen Erkran-kungen. Im Rahmen der Ebola-Epidemie 2014/2015 hat sich bei nahezu allen Helferländern die Policy des „Stay and Play“ zugunsten der Repatriierung infi zierter und erkrankter Patien-ten geändert, was zukünftig auch bei anderen hochkontagiösen Erkrankungen zu erwarten ist. Die Behandlung dieser Patienten erfordert strengste Isolationsmaßnahmen und ist insbesondere beim Einsatz von Medizingeräten mit einer Vielzahl von Her-ausforderungen verbunden. Ziel dieser Untersuchung war die Evaluation der praktischen Handhabung sowie notwendiger personeller, hygienischer, mate-rieller und baulicher Rahmenbedingungen am Beispiel von fahr-baren Röntgengeräten unter vollen Quarantänebedingungen.

MethodikLiteraturrecherche, Auswertung von Erfahrungsberichten aus Behandlungseinrichtungen für kontagiöse Erkrankungen sowie von Herstellerangaben und Leitlinien hinsichtlich Einsatz und Wiederaufbereitung von Medizingeräten unter den Bedingungen der Schutzstufe 3+ (S3+) gingen den Versuchen voraus. Diese beinhalten die Simulation der Betriebsabläufe unter S3+-Isola-tionsbedingungen mit drei mobilen Röntgengeräten, je einmal mit kabellosem Detektor, kabelgebundenem Detektor und mit Speicherfolienkassette. Die Anwendung erfolgte durch eine me-dizinisch-technische Radiologieassistentin (MTRA) mit der Qualifi kation „Barrier Nurse“.Bewertet wurden folgende Kriterien: Handling im Zimmer und am Patienten, Bewertung der Bewegungsfreiheitsgrade, An-wenderfreundlichkeit der Bedienelemente, Handling des De-tektors/ der Kassette, Desinfektionsmöglichkeiten/hygienisches Arbeiten, Möglichkeiten der Dateneinspeisung in das Kranken-hausinformationssystem Bildbetrachtung am Display. Zur Ab-schlussbeurteilung wurden die Ergebnisse in Form einer Stär-ken- und Schwächenanalyse verdichtet.

ErgebnisseDerzeit fehlen systematische Untersuchungen, es gibt nur weni-ge persönliche Erfahrungsberichte zum Einsatz von Medizinge-räten unter S3+-Bedingungen. Handelsübliche mobile Röntgengeräte sind für den klinischen Einsatz unter Isolationsbedingungen unterschiedlich gut geeig-net. Quarantänebedingungen zwingen zum Arbeiten unter er-heblicher räumlicher Enge, denn alle einmal eingeschleusten Materialien und Medizingeräte müssen bis zum Abschluss der Behandlung im Quarantänebereich verbleiben.WLAN-Detektoren bieten im Vergleich zu kabelgebundenen eine deutlich höhere Flexibilität in der Handhabung sowie eine hygienischere Anwendung. Das Gerät mit den meisten Bewe-gungsfreiheitsgraden des Schwenkarmes ermöglichte eine

schnellere und siche-rere Untersuchung als die anderen. Ein weiterer Vorteil digi-taler Systeme ist die Möglichkeit der Bild-betrachtung unmittel-bar am Patientenbett. Speicherfolien er for-dern im Unterschied zu volldigitalisierten Systemen die Aus-schleusung der Rönt-genkassette aus dem Isolationsbereich mit Gefahr einer Keimverschleppung; die Flächendesinfektionen der Kassetten sind sehr zeitaufwändig.Kein heute zugelassenes Desinfektionsverfahren für mobile Röntgengeräte garantiert eine anschließende Weiterverwen-dungsfähigkeit. Diese setzt eine gründliche Flächendesinfekti-on des Gerätes, bei stärkeren Kontaminationen zusätzlich eine Formaldehydvernebelung, voraus. Die Verantwortung für die korrekte Einstufung und Festlegung der Aufbereitungsmaßnah-men liegt beim Gerätebetreiber.

Diskussion/SchlussfolgerungDie Röntgendiagnostik steht nur als Pars pro toto für die Prob-lematik der Verwendung von Medizingeräten unter S3+-Bedin-gungen. Die Aufbereitungs- und Wiederverwendungsmöglich-keiten von Medizingeräten sind derzeit noch ungeklärt. Aktuell handelt es sich um individuelle Einzelfallentscheidungen, die neben der Gefahr eines Garantieverlustes im äußersten Fall so-gar eine Vernichtung und Neubeschaffung erforderlich machen.Um zukünftig den Herausforderungen einer S3+-Isolationsbe-handlung gewachsen zu sein, ist eine übergeordnete Regelung im Sinne eines interdisziplinären, wissenschaftlichen Konsenses von Infektiologen, Hygienikern, Klinikern und Herstellern notwendig.Vollgekapselte Geräte oder spezielle Umhüllungen könnten ein Lösungsansatz für eine sichere Flächendesinfektion bei gleich-zeitigen Verzicht auf eine Formaldehydvernebelung sein. Solche Geräte befi nden sich bislang jedoch noch nicht auf dem Markt.Die Indikation für apparative Diagnostik ist unter S3+-Bedin-gungen streng zu stellen – im Bewusstsein, welche erheblichen Folgen bereits ein einmaliger Einsatz eines entsprechenden Ge-rätes haben kann.

Für die Verfasser:Stabsarzt Stephanie LangeBundeswehrkrankenhaus BerlinScharnhorststraße 13, 10115 BerlinE-Mail: [email protected]

Anwendung eines kabelgebundenen Detektorsystems unter Vollschutz (gestell-tes Foto, BwKrhs Berlin)

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Heinz-Gerngroß-Förderpreis 2015

Zur wehrmedizinischen Relevanz der Generierung und Charakterisierung epitopspezifi scher monoklonaler Antikörper gegen CLN6

Thomas Cramer

Bundeswehrkrankenhaus Berlin, Abteilung Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde

EinleitungBiotechnologie, immunologische Verfahren und die Verwen-dung von Antikörpern werden in Zukunft auch zur Beantwor-tung wehrmedizinischer Fragestellungen, zum Beispiel im Rah-men des Nachweises hochkontagiöser Krankheitserreger, an Bedeutung gewinnen. Die wehrmedizinische Bedeutung des Ceroid-Lipofuszin-Proteins 6 (CLN6), dessen Nachweis in die-ser Arbeit vorgestellt wird, ist derzeit nicht abzuschätzen. Aller-dings sind die Verfahren zur CLN6-Antikörper-Generierung und -charakterisierung Grundlage für die Beantwortung militä-rischer und wehrmedizinischer Fragestellungen, die mit immu-nologischen Methoden bearbeitet werden könnten.

Krankheitsbild NCLLysosmale Speicherkrankheiten („Demenzerkrankungen im Kindesalter“) aus der Gruppe der neuronalen Ceroid-Lipofus-zinosen (NCL) sind pädiatrische neurodegenerative Erkrankun-gen, die zum Tod im Kindes- oder Jugendalter führen und bis-her nicht therapierbar sind.Bei Patienten mit NCL kommt es plötzlich zu einer Rückent-wicklung. Der Verlust der Fähigkeit, zu laufen, rapides Nach-lassen kognitiver Fähigkeiten, Visusminderung und nachfol-gende Amaurosis sowie schwer kontrollbare epileptsche Anfäl-le münden in einer völligen psychomotorischen Dekompensati-on. Radiologisch imponiert eine zerebrale Atrophie. Pathognomonisch sind ubiquitäre intrazelluäre Ablagerungen des Proteolipids Lipofuszin, was auf einen fehlerhaften lysosomalen Abbau zurückgeführt wird. Funktion und Bedeutung von CLN6 und anderer CLN-Proteine sind bisher weitestgehend unbekannt.

MethodenIm Rahmen dieser Untersuchungen wurde CLN6 analysiert und immunogene Abschnitte der Aminosäuresequenz identifi ziert. Nach dem Prinzip von Köhler und Milstein wurden dazu Mäuse mit Peptiden der CLN6-Aminosäuresequenz immunisiert. Es wurden Milzzellen/B-Zellen der immunisierten Maus mit Lym-

phom-Tumorzel-len fusioniert und somit Klone ge-neriert, welche hochspezifische murine monoklo-nale Anti-CLN6- Antikörper pro-duzieren. Diese Antikörper wur-den charakteri-siert und für im-munzytologische und immunhisto-logische Untersu-chungen einge-setzt.

ErgebnisseEs konnten hochspezifi sche, monoklonale Anti-CLN6 Antikör-per-produzierende Klone generiert werden. Westernblot und ELISA zeigten eine hohe Empfi ndlichkeit gegenüber rekombi-nantem CLN6. Immunzytologisch bestätigte sich durch den Nachweis der Kolokalisation von CLN6 und der membranstän-digen ER-spezifi schen Protein-Disulfi d-Isomerase (PDI) die vermutete ER-Lokalisation von CLN6 in der Tumorzelllinie SkBr3. Gewebe aus Glandula parotis, Nasennebenhöhlenschleimhaut, Mamma, Hypophyse, Haut, Magen, Kleinhirn, Colon und peri-pheren Nerven wurde immunhistologisch untersucht. Magen und Mamma sowie die Adenohypophyse zeigten spezifi sche Signale, was für verstärkte Expression von CLN6 spricht. In der Mamma wiesen besonders die Zellen der Glandulae mama-riae eine ausgeprägte Färbung auf. Im Magen färbten sich be-sonders die Hauptzellen an (Abbildung).

Diskussion und Schlussfolgerung Erstmals wurde mit spezifi schen Antikörpern CLN6 immunhis-tologisch in den Hauptzellen des Magens sowie in der Mamma nachgewiesen. Damit konnte ein neues Werkzeug geschaffen werden, welches möglicherweise entscheidend zur Aufklärung der intrazellulären Vorgänge um die CLN-Proteine beiträgt. Warum im Magengewebe – speziell in den Hauptzellen – sowie in Mammazellen vermehrt CLN6 nachweisbar ist, kann bei gleichzeitig negativen Befunden in anderen Organen derzeit nicht erklärt werden. Hypothetisch könnte der hohe Gehalt von rauem endoplasmatischen Retikulum in sezernierenden Zell-verbänden oder auch die hohe Dichte von proteinreiches Sekret produzierenden Drüsenzellen für die hohe CLN6-Dichte aus-schlaggebend sein.Für wehrmedizinische Fragestellungen bietet das hier vorge-stellte Verfahren erhebliches Potenzial. Spezifi sche Antikörper ermöglichen mit hoher Sensibilität und Sensitivität den Nach-weis praktisch jeder Art von biologischem Material und wahr-scheinlich auch von chemischen Substanzen, mit entsprechen-den immunhistologischen Methoden auch zellspezifi sch. Neben dem Nachweis biologischer Kampfmittel können so auch epi-demiologische Erkenntnisse im Rahmen der Infektionspro-phylaxe gewonnen werden. Die Bedeutung solcher Möglich-keiten ist nicht erst seit der Ebola-Epidemie mehr als evident. Auch die Entwicklung spezifi scher Antikörper zur Diagnostik bei der Behandlung einsatztypischer septischer Defektwunden oder Blast Injuries, die für einsatzbedingte Verletzungen ty-pisch sind, ist denkbar, Immunologie und Biotechnologie gera-ten damit mehr und mehr ins Blickfeld der Wehrmedizin.

Verfasser:Oberstabsarzt Thomas CramerBundeswehrkrankenhaus [email protected]

phom-Tumorzel-len fusioniert und somit Klone ge-neriert, welche hochspezifische murine monoklo-nale Anti-CLN6- Antikörper pro-duzieren. Diese Antikörper wur-den charakteri-siert und für im-munzytologische Immunhistologisch spezifi sch angefärbtes CLN6

in den Foveolae gastricae und den Hauptzellen durch generierte monoklonale Anti-CLN6- Anti-körper; die Braunfärbung der Hauptzellen zeigt die Präsenz von CLN6 an. (Bildquelle: T. Cramer)

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Erregerspektrum und Multiresistenz der Kolonisation und Kontamination von Verwundeten aus den Kriegsgebieten Syrien, Libyen, Ukraine und Irak

Marcus Stichling

Bundeswehrkrankenhaus Berlin, Abteilung Orthopädie und Unfallchirurgie

Einleitung Auftrag eines Bundeswehrkrankenhauses ist die Versorgung von Schwerverletzten. Aus Kriegsgebieten aus den Ländern Sy-rien, Libyen, Ukraine und Irak werden meist Patienten nach Explosions- und Schussverletzungen behandelt, mit teilweise sehr aufwendigen OP-Verfahren und langen stationären Aufent-halten. Vor dem Hintergrund der beobachteten häufi gen bakte-riellen Multiresistenz sollte eine wissenschaftlich fundierte Analyse des Erregerspektrums erfolgen. Diese dient als Basis für die Defi nition des klinikinternen Gefährdungspotentials, für die Ausrichtung adäquater Schulung und für die Implementie-rung moderner antiseptischer Strategien. Die Analyse diente zudem zur Beantwortung folgender Fragen:1. Besteht bei Patienten aus Kriegs- und Krisengebieten ein

sehr häufi ger Erregernachweis beim Hygiene-Screening und an offenen Wunden?

2. Kann das Erregerspektrum präzisiert werden?3. Besteht sehr häufi g eine Multiresistenz?

Methoden Es erfolgte eine retrospektive Analyse mikrobiologisch nachge-wiesener Erreger bei stationärer Aufnahme im Bundeswehr-krankenhaus Berlin in den Jahren 2012 bis 2015. Betrachtet wurde dabei das Hygiene-Screening (Kolonisation in Oro-pharynx, inguinal, anal) und das Erregerspektrum bei Gewebe-proben primär offener Wunden (Kolonisation, Kontamination oder Infektion). Insgesamt wurden 91 Patienten aus Syrien (n=10), Libyen (n=63), der Ukraine (n=13) und dem Irak (n=5) in die Studie eingeschlossen. Als Nachweisverfahren dienten die kulturelle Diagnostik und die PCR.

Ergebnisse Hygiene-Screening-Abstrich (Kolonisation Oropharynx, ingui-nal, anal)• Nachweis multiresistenter Erreger: 41/91 Patienten • Art der Erreger (TOP3): Escherichia coli, Klebsiella pneumo-

niae, Staphylococcus aureus (bei insgesamt 11 verschiedenen und bis zu 4 verschiedene Erregern je Abstrichlokalisation)

• Art der Multiresistenz (Top 3): 3-MRGN (17/41), 4-MRGN (9/41), MRSA (8/41)

Intraoperative Gewebeprobe und Wundabstriche an primär offener Wunde• Häufi gkeit eines Erregernachweises: 45/50 untersuchten

Wunden• Art der Erreger (TOP3): Acinetobacter baumannii, Pseudo-

monas aeruginosa, Enterococcus faecalis (bei insgesamt 25 verschiedenen Erregern)

• Multiresistenz-Häufi gkeit: 21/45 (bis zu 5 verschiedene Erre-ger je Probenlokalisation)

• Multiresistenz (TOP 3): 4-MRGN (13/21), 3-MRGN (6/21), ESBL (2/21)

Vergleich multiresistenter Erreger bei den Gewebeproben nach Herkunftsland der Patienten Syrien: n=6/10, Ukraine: n=7/13, Libyen: n=5/63.

Schlussfolgerung Die Versorgung Kriegsverwundeter stellt einen bedeutenden Teil des Versorgungsspektrums der Bundeswehrkrankenhäuser dar. Die Analyse von Kolonisation und Kontamination bei Pati-enten aus den aktuellen Kriegsgebieten zeigte: Mehr als 40 % der Patienten waren mit multiresistenten Erregern kolonisiert. Annähernd 90 % der primär offenen Wunden waren kontami-niert. Etwa die Hälfte dieser kontaminierten Wunden zeigte den Nachweis von Multiresistenz bei einer 3-MRGN-, 4-MRGN- und ESBL-Situation. Das Erregerspektrum des Hygie-ne-Screenings unterscheidet sich dabei erheblich von dem der Wund-Gewebeproben („Kolonisation ≠ Kontamination“). Ebenso zeigen sich deutliche Unterschiede in der Häufi gkeit der Kontamination primär offener Wunden durch multiresisten-te Erreger in Abhängigkeit vom Herkunftsland des Patienten (Syrien >Ukraine>> Libyen). Irakische Patienten zeigten kei-nen Nachweis multiresistenter Erreger in den Wunden.Die, im Vergleich zum gewohnten innerdeutschen zivilen Pati-entengut, besondere Häufi gkeit einer komplexen Kolonisa-tions- und Wundinfektsituation unterstreicht die zwingende Notwendigkeit der konsequenten Umsetzung eines qualitativ hohen Hygienestandards durch adäquate Schulung des Ärzte- und Pfl egepersonals. Ebenso vermittelt diese Analyse die Not-wendigkeit zum weiteren Ausbau des Antibiotic Stewardship Programmes und der Etablierung von Algorithmen antisepti-scher Strategien durch den septisch-rekonstruktiv tätigen Chi-rurgen.

Verfasser:Oberstabsarzt Marcus StichlingBundeswehrkrankenhaus BerlinE-Mail: [email protected]

Keimspek-trum der beim Hygiene-screening genommenen Ab striche

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Wehrmedizinische Monatsschrift 59 (2015), 11/2015

Nachruf auf Generalstabsarzt a. D. Dr. Peter Fraps (1945 - 2015)

Generalstabsarzt a. D. Dr. Peter Fraps verstarb am 31. August 2015 im 70. Lebensjahr nach lan-ger, schwerer Krankheit. Erinnern wir uns an ihn: Kurz nach Kriegsende wird er am 6. Sep-tember 1945 in Bad Teplitz-Schönau im Sude-tenland geboren. Nach der Vertreibung seiner Familie wächst er südlich von München auf. Nach dem Abitur tritt er seinen Wehrdienst in der Gebirgstruppe an, macht seine Ausbildung zum Reserveoffi zier und beginnt das Medizin-studium in München. Ein Studienaufenthalt in den USA prägt ihn und ist wohl der Ausgangs-punkt für seine beispiellose internationale Kar-riere. Medizinalassistent, Truppenarzt und Hör-saalleiter an der Sanitätsakademie sind seine ersten Stationen. Der Weiterbildung zum Chi rurgen folgen Verwendung an der Winter-kampfschule in Luttensee und drei Jahre als Chef der 2. Kompa-nie des gemischten Sanitätsbataillons 865 in München, der dama-ligen Speerspitze des Sanitätsdienstes.Übungen führen ihn mit seiner Truppe nach Nordnorwegen, nach Dänemark, in die Türkei und ebenso erstmals in einen humanitä-ren Einsatz: zur Erdbebenhilfe nach Italien. Im Alter von nur 39 Jahren wird Dr. Fraps zum Oberstarzt befördert und Divisionsarzt in Oldenburg, Sigmaringen und schließlich in Garmisch-Parten-kirchen. Dort erlebt er seinen zweiten humanitären Einsatz: 1991 führt er als Leitender Sanitätsoffi zier im Iran den Sanitätsdienst im Rahmen der Kurdenhilfe der Bundeswehr. Als Korpsarzt des II. Deutsch-Amerikanischen Korps und Kommandeur des Sani-tätskommandos 2 nach Ulm versetzt, wird Dr. Fraps erneut mit einem höchst anspruchsvollen Einsatz konfrontiert, der sein Le-ben entscheidend beeinfl usst und prägt: 18 Monate leitet er als Chief Medical Offi cer UNTAC im Hauptquartier der Vereinten Nationen in Phnom Penh / Kambodscha den multinationalen Sa-nitätsdienst der UN Friedensmission. Der erste Auslandseinsatz der Bundeswehr mit einem UN-Mandat, ein ausschließlich sani-tätsdienstlicher Einsatz.

Am 1. Oktober 1996 tritt er schließlich als Ge-neralarzt seine Wunschverwendung als Kom-mandeur der Sanitätsakademie an, was ver-mutlich den emotionalen Höhepunkt seines dienstlichen Lebens darstellt. Er prägt die Akademie wie kaum ein anderer, er formt sie, gestaltet sie aus und wird dabei selbst zum Sinnbild dieser Akademie. Die Ernennung zum Amtschef des Sanitätsamtes der Bundes-wehr in München, verbunden mit der Beför-derung zum Generalstabsarzt am 1. April 2003 krönt seine Karriere.Dr. Peter Fraps ist stets ein Mann der Truppe. Ein Mann, der immer einen besonderen Draht zum einfachen Soldaten hat, der sich um den Einzelnen kümmert und dabei das persönliche Gespräch, das Führen von vorne immer dem

Kästchen- oder Policy-Denken vorzieht. Peter Fraps ist ein Arzt und Offi zier alter Schule - aus Überzeugung und Leidenschaft. Ein geradliniger, hilfsbereiter und auch kritischer Mensch, der untrennbar zum Sanitätsdienst gehört. In seiner Zeit, der Periode der ersten großen humanitären Einsät-ze, ist er wohl der Sanitätsoffi zier der Bundeswehr mit der größ-ten Einsatzerfahrung im Ausland. Sein Credo ist das Peace-keeping, nicht der Kampfeinsatz späterer Jahre. Bis zuletzt ist Peter Fraps ein wacher Begleiter unseres Sanitätsdienstes und vor allem der Sanitätsakademie, der er sich stets eng verbunden fühlt. In allen Verwendungen bleibt er sich und seinen Werten immer treu. Im Ruhestand ist er ein Feingeist, ein Menschen-freund, ein Musikliebhaber, menschlich integer und zugewandt, ein Vorbild, ein Förderer, ein Unterstützer und ein zuverlässiger Berater für die, die auf ihn hören wollten.

Der Sanitätsdienst der Bundeswehr, wir alle, werden General-stabsarzt a. D. Dr. Peter Fraps stets ein ehrenvolles Gedenken bewahren.

Generaloberstabsarzt Dr. TempelInspekteur des Sanitätsdienstes der Bundeswehr

Aus dem Sanitätsdienst

Die „Gesellschaft für Geschichte der Wehrmedizin“ trauert um Generalstabsarzt a. D. Dr. Peter Fraps

Am 31. August 2015, wenige Tage vor seinem 70. Geburtstag, verstarb Generalstabsarzt a. D. Dr. Peter Fraps – ein Sanitäts-offi zier, der sich nicht nur um den Sanitätsdienst der Bundeswehr verdient gemacht hat, sondern auch der Geschichte der Wehrme-dizin in besonderem Maße verbunden gewesen ist. Noch wäh-rend seiner aktiven Dienstzeit, als Amtschef des Sanitätsamtes der Bundeswehr, brachte er die Konstituierung der „Gesellschaft für Geschichte der Wehrmedizin e. V.“ (GGWM) auf den Weg, mit dem Ziel, die Wissenschaft und Forschung auf dem Gebiet der Geschichte der Wehrmedizin zu fördern und insbesondere die „Wehrgeschichtliche Lehrsammlung des Sanitätsdienstes der Bundeswehr“ in der Sanitätsakademie der Bundeswehr zu unter-

stützen. Als Gründungsvorsitzender prägte und lenkte er seit 2008 die Geschicke dieser wissenschaftlichen Gesellschaft, bis er 2014 angesichts seiner schweren Erkrankung auf eine weitere Amtszeit verzichtete. Aufgrund seiner außerordentlich großen Verdienste wurde Generalstabsarzt a. D. Dr. Fraps am 18. No-vember 2014 einstimmig der Ehrenvorsitz der GGWM – die höchste Auszeichnung der Gesellschaft – angetragen.Die Mitglieder der „Gesellschaft für Geschichte der Wehrmedi-zin“ trauern nicht nur um ihren Gründer, herausragenden Gestal-ter und Ehrenvorsitzenden, sondern auch um einen hochverdien-ten Kameraden und Ratgeber, der aufrecht und geradlinig für seine Aufgaben und seine Überzeugungen eintrat. Wir werden Dr. Peter Fraps in ehrendem Andenken behalten.Für die „Gesellschaft für Geschichte der Wehrmedizin e. V.“Generalarzt a. D. Prof. Dr. Dr. Grunwald Oberfeldarzt Prof. Dr. Vollmuth

Die „Gesellschaft für Geschichte der stützen. Als Gründungsvorsitzender prägte und lenkte er seit

Am 1. Oktober 1996 tritt er schließlich als Ge-neralarzt seine Wunschverwendung als Kom-mandeur der Sanitätsakademie an, was ver-mutlich den emotionalen Höhepunkt seines dienstlichen Lebens darstellt. Er prägt die Akademie wie kaum ein anderer, er formt sie, gestaltet sie aus und wird dabei selbst zum Sinnbild dieser Akademie. Die Ernennung zum Amtschef des Sanitätsamtes der Bundes-wehr in München, verbunden mit der Beför-derung zum Generalstabsarzt am 1. April 2003 krönt seine Karriere.Dr. Peter Fraps ist stets ein Mann der Truppe. Ein Mann, der immer einen besonderen Draht zum einfachen Soldaten hat, der sich um den Einzelnen kümmert und dabei das persönliche Gespräch, das Führen von vorne immer dem

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Hohe Auszeichnung für Sanitätsoffi zier der Reserve

Oberfeldarzt d. R. Priv.-Doz. Dr. med. habil. Philip H. Zeplin erhält Ferdinand Sauerbruch – Forschungspreis

Oberfeldarzt d. R. Priv.-Doz. Dr. med. habil. Philip H. Zeplin, Chefarzt der Privatklinik für Plastische und Ästhetische Chirur-gie an der Schlosspark Klinik Ludwigsburg, wurde auf der 40. Tagung der Berliner Chirurgischen Gesellschaft mit dem Ferdinand-Sauerbruch-Forschungspreis ausgezeichnet. Nach der Verleihung des Langenbeck-Preises durch die Deut-sche Gesellschaft für Chirurgie im Jahre 2014 erfährt damit die wissenschaftliche Arbeit des Reservedienstleistenden erneut eine herausragende Anerkennung.

Mit dem Ferdinand Sauerbruch – Forschungspreis 2015 wurde seine Arbeit zum Thema „Spider silk as a bioshield to reduce periprosthetic fi brous capsule formation“ besonders gewürdigt, welche er 2014 im Fachjournal Advanced Functional Materials veröffentlichte. In dieser beschreibt Priv.-Doz. Dr. Zeplin die Verbesserung der Biokompatibilität von Silikonimplantaten durch eine Beschichtung mit biosynthetisch hergestellter Seide der Gartenkreuzspinne.

Über seine beeindruckende klinische und wissenschaftliche Karriere und seine erfolgreiche Laufbahn als Sanitätsoffi ziere der Reserve wurde bereits in der Ausgabe 5/2014 der Wehrme-dizinischen Monatsschrift (WMM) ausführlich berichtet. Priv.-Doz. Dr. Zeplin hält über den Verband der Reservisten und die Deutsche Gesellschaft für Wehrmedizin und Wehrpharmazie engen Kontakt zum Sanitätsdienst der Bundeswehr. Darüber

hinaus hat er sich bereit erklärt, als Gutachter im Rahmen des Peer-Review-Verfahrens der WMM zur Verfügung zu stehen.Die Angehörigen des Sanitätsdienstes gratulieren Herrn Ober-feldarzt d. R. Priv.-Doz. Dr. Zeplin herzlich zur Verleihung des Ferdinand Sauerbruch – Forschungspreises 2015 und der damit verbundenen erneuten Würdigung seiner herausragenden wis-senschaftlichen Leistungen.

Dr. Funke, OberstarztLeiter Presse und Informationszentrum des Sanitätsdienstes der Bundeswehr

Oberfeldarzt d. R. Priv.-Doz. Dr. med. habil. Zeplin (Bildquelle: Ph. Zeplin)

Qualität und Kompetenz auf hohem Niveau

Erstakkreditierung der Medizinischen Mikrobiologie am Zentralen Institut des Sanitätsdienstes der Bundeswehr Kiel, Außenstelle Berlin

Am 13. August 2015 übergab der Leiter des Zentralen Instituts des Sanitätsdienstes der Bundeswehr (ZInstSanBw) Kiel, Oberstveterinär Dr. Hans-Herbert Pott, in Anwesenheit von Mitarbeitern der Abteilung I und Gästen in der Außenstelle Ber-lin die Akkreditierungsurkunde der Deutschen Akkreditie-rungsstelle (DAkkS) an den Leiter der Abteilung I, Flottenarzt Dr. Martin Müller. Mit dieser Urkunde wird anerkannt, dass die Abteilung die in der Norm DIN EN ISO 15 189 beschriebenen hohen Anforderungen an Qualität und Kompetenz erfüllt. Nachdem die Abteilungen II (Veterinärmedizin) und III (Le-bensmittelchemie/Ökochemie) aller Zentralen Institute bereits vor einigen Jahren als Prüfl aboratorien nach DIN EN ISO 17 025 akkreditiert worden waren, ist das ZInstSanBw Kiel nunmehr das erste Institut, das in allen Laborabteilungen den von der DAkkS geforderten Qualitätsstandard vorweist.Die Überreichung der Akkreditierungsurkunde markiert den vorläufi gen Höhepunkt eines längeren Prozesses, der im Jahr

2008 begonnen wurde. Damals war in der Neufassung der „Richtlinie der Bundesärztekammer zur Qualitätssicherung laboratoriumsmedizinischer Untersuchungen (RiLiBÄK)“ für alle Laboratorien, die Analysen aus menschlichem Untersu-chungsmaterial durchführen, die verbindliche Einführung eines umfassenden Qualitätsmanagementsystems festgelegt worden. Da ein solches in den Abteilungen II und III der Zentralen Ins-titute bereits existierte, wurde in der Abteilung I ZInstSanBw Kiel ein auf den bestehenden Strukturen aufbauendes QM-Sys-tem implementiert. Dazu waren zahlreiche Dokumente zu ver-fassen oder zu adaptieren, um ein entsprechendes Zertifi kat der damaligen Kontrollinstanz, der Eichbehörde Berlin/Branden-burg, zu erhalten.

Nachdem ein QM-System auf RiLiBÄK-Niveau 2010 etabliert werden konnte, erschien es folgerichtig, den Schritt vom RiLiBÄK-zertifi zierten zum DAkkS-akkreditierten Labor mit einer deutlich anspruchsvolleren Qualitätsanforderung zu wa-gen. Zahlreiche Schriftstücke waren auf Aktualität zu überprü-fen, diverse Prozesse und Strukturen neu zu beschreiben, das Untersuchungsspektrum detailliert zu dokumentieren sowie ein Handbuch zu verfassen, in dem alle für den Einsender wichti-gen Hinweise zur Präanalytik der angebotenen Analysen sinn-voll und übersichtlich dargestellt wurden. Schließlich mussten

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die beschriebenen Prozesse und Kompetenzen nicht nur doku-mentiert, sondern in der praktischen Anwendung trainiert und sicher beherrscht werden.

Nachdem diese außerordentlich arbeitsintensive und anstren-gende Phase überstanden war, folgte die Überprüfung von

Strukturen, Verfahren und Normadhärenz des gesamten QM-Systems im Rahmen eines Begutachtungsaudits durch eine Gutachterkommission der DAkkS. Diese ungewohnte Prü-fungssituation wurde von allen Mitarbeiterinnen und Mitarbei-tern im Dezember 2014 zunächst mit großer Spannung erwar-tet, dann aber erwartungsgemäß professionell erfolgreich absol-viert.

Da die Personalsituation der Abteilung I in der Phase der Auf-stellung des DIN-gerechten QM-Systems und der Akkreditie-rungsvorbereitung häufi g angespannt war, ist den Abteilungs-angehörigen für die von ihnen geleistete QM-Arbeit größter Respekt zu zollen, denn die aufwändige Tätigkeit musste neben den regulären diagnostischen und beratenden Aufgaben erledigt werden. Insbesondere das QM-Schlüsselpersonal des Instituts und der Abteilung hat mit beeindruckendem Engagement Her-vorragendes geleistet. Allen Beteiligten gebührt dafür besonde-rer Dank.

Zwar ist mit der erfolgten Erstakkreditierung nun ein wichtiges Teilziel erreicht, die Arbeit ist jedoch keinesfalls beendet: Es gilt, das erreichte Niveau mindestens zu halten, möglichst sogar noch zu steigern. Denn das nächste Überwachungsaudit wird nicht lange auf sich warten lassen. Daher gilt im Qualitätsma-nagement, was analog auch im Fußballsport lange bekannt ist:

„Nach dem Audit ist vor dem Audit!“

Verfasser:Flottenarzt Dr. Martin MüllerZentrales Institut des Sanitätsdienstes der Bundeswehr KielAußenstelle BerlinE-Mail: [email protected]

Abb. 1: Übergabe der Akkreditierungsurkunde durch den Institutslei-ter, Oberstveterinär Dr. Pott, an Flottenarzt Dr. Müller. (Bildquelle: T. Pulpanek, BwKrhs Berlin)

Wehrpharmazie international

75. Kongress des Weltapothekerverbandes vom 29. Septem-ber bis 3. Oktober 2015 in Düsseldorf

Der internationale Kongress des Weltapothekerverbandes „Fédération Internationale Pharmaceutique“ (FIP) fand in die-sem Jahr erstmals seit über 25 Jahren wieder in Deutschland statt. Im Kongresszentrum in Düsseldorf trafen sich rund 3 000 Apotheker und pharmazeutische Wissenschaftler aus über 100 Ländern, um sich unter dem Motto „Better practice – Science based, evidence driven” fachlich und wissenschaftlich auszu-tauschen sowie neue Kontakte zu knüpfen und bestehende Netzwerke zu pfl egen. In diesem Rahmen tagte auch die „Mili-tary and Emergency Pharmacy Section“ (MEPS), in der im Schwerpunkt Militärapotheker, aber auch Apothekerinnen und Apotheker ziviler Hilfsorganisationen, vertreten sind. Kongress-teilnehmer aus allen Erdteilen nutzten die Gelegenheit zum in-tensiven Gedankenaustausch über militärspezifi sche und not-fall- beziehungsweise katastrophenbezogene pharmazeutische Fragestellungen. Sanitätsstabsoffi ziere Apotheker der Bundes-wehr waren zum einen mit verschiedenen Fachvorträgen betei- Abb. 1: Oberstapotheker Krappitz, Leitender Apotheker der Bundeswehr

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ligt, zum anderen richteten sie den traditionsgemäß im Rahmen des FIP-Kongresses stattfi ndenden „Host Nation Day“ aus, an dem den ausländischen Gästen ein Einblick in die eigenen Auf-gaben und Fähigkeiten gewährt wird. Die Leitung der hierfür im Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr (Kdo SanDstBw) eingerichteten Projektgruppe hatte Oberstapotheker Dr. Hans-Joachim Maas.

Hochkarätige fachliche Beiträge Gleich zu Beginn des Weltkongresses stellte sich Gastgeber Deutschland in einem vielbeachteten Symposium „Pharmacy in Germany“ dem internationalen Publikum vor. Unter der Lei-tung von Prof. Dr. Martin Schulz, dem Geschäftsführer Arznei-mittel der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA), präsentierten hochkarätige Referenten aus dem Hoch-schulbereich, der pharmazeutischen Wirtschaft sowie den Stan-des- und Berufsverbänden die Pharmazie in Deutschland in all ihren Facetten.

Wehrpharmazie in der Bundeswehr – eine ÜbersichtDer Leitende Apotheker der Bundeswehr, Oberstapotheker Arne Krappitz, stellte das umfangreiche Aufgabenspektrum der Apotheker und Lebensmittelchemiker in der Bundeswehr vor und gab einen detaillierten Einblick in die große Leistungsviel-falt der Wehrpharmazie. Ausgehend von den für die Gesund-heitsversorgung der Bundeswehr bedeutsamen Teilbereichen der wissenschaftlichen und praktischen Pharmazie und Lebens-mittelchemie sowie von der Sanitätsmateriallogistik zeichnete er in seinem Vortrag ein umfassendes Bild der facettenreichen Fähigkeiten der Wehrpharmazie, die von der routinemäßigen Analyse von Arzneimittel- und Medizinprodukten sowie Le-bensmitteln und Trinkwasser über die Herstellung von Blutpro-dukten bis hin zur Großherstellung und Bewirtschaftung von Notfallarzneimitteln reichen. Besonders die Tatsache, dass die-se Aufgaben zum überwiegenden Teil auch im Auslandseinsatz auf der Grundlage der Fachlichen Leitlinie in vergleichbarer Qualität erbracht wer-den und die wichtige Rolle der Wehr-pharmazie sowohl im Rahmen des vorbeugenden Gesundheitsschutzes als auch der Patientenversorgung stießen dabei auf großes Interesse der Zuhörer. Darüber hinaus ging Oberstapotheker Krappitz auf die Aus-, Fort- und Wei-terbildung der Sanitätsstabsoffi ziere Apotheker sowie deren Einsatz auch in Bereichen außerhalb der Wehr-pharmazie ein. Das breite Spektrum von Verwendungen im Bundesminis-terium der Verteidigung (BMVg) über das Engagement in der Personal-führung und im Bereich sanitäts-dienstlicher Informationstechnologie bis hin zur Aufgabenwahrnehmung im Bereich des Qualitätsmanage-ments und der wehrmedizinischen Forschung beeindruckte die internati-

onalen Zuhörer und war Gegenstand zahlreicher Gespräche auch im Nachgang des Vortrages.

Hoheitliche Aufgaben und Eigenvollzug in den StreitkräftenDer „Arzneimittelüberwachungsbeauftragte der Bundeswehr” (AMÜBBw), Oberstapotheker Matthias Meyer, ergänzte den Beitrag des Leitenden Apothekers der Bundeswehr mit einer Vorstellung der rechtlichen Rahmenbedingungen, der zugrunde liegenden Standards und der Durchführung der öffentlich-recht-lichen Überwachungsaufgaben in Bezug auf den Betrieb von Bundeswehrapotheken sowie den Verkehr mit Arzneimitteln und Medizinprodukten im Bereich der Bundeswehr. Aufmerk-sam wurde dabei registriert, dass mit dem AMÜBBw eine eige-ne Behörde im Rahmen der Eigenvollzugskompetenz der Bun-deswehr die Einhaltung der in Deutschland geltenden rechtli-chen Regelungen unter anderem des Apotheken-, Arzneimittel-, Betäubungsmittel-, Transfusions-, Transplantations- sowie des Medizinproduktegesetzes überwacht. Die enge Zusammenar-beit des den jeweiligen Behörden der Bundesländer gleichge-stellten AMÜBBw mit den Ländern sowie seine Vertretung in den entsprechenden Bund-/Ländergremien und Arbeitskreisen stellen dabei sicher, dass aktuelle Entwicklungen im Apothe-kenwesen sowie bei der Herstellung von Arzneimitteln, ein-schließlich Blut- und Gewebezubereitungen, und der Durchfüh-rung von klinischen Prüfungen für die Bundeswehr im Einklang mit den zivilen Vorgaben entsprechend berücksichtigt und um-gesetzt werden. Unter dem Strich wird damit gewährleistet, dass die Angehörigen der Bundeswehr auch hinsichtlich der Versorgung mit Arzneimitteln sowie der Arzneimittelsicherheit nicht anders gestellt sind als Zivilpersonen.

Eigenherstellung von Arzneimitteln und Medizinprodukten Aus dem BMVg in Bonn berichtete Flottillenapotheker Dr. Christian Froben zur strategischen Neuausrichtung der Herstel-lung pharmazeutischer Produkte in der Bundeswehr. Er konnte

Abb. 2: Oberstapotheker Dr. Klaubert (ZInstSanBw München) erklärt die Autoinjektorprüfung.

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darstellen, dass die Feststellungen des Bundesrechnungshofes sowie die Empfehlungen des Rechnungsprüfungsausschusses des Deutschen Bundestages zum Thema Arzneimittelprodukti-on in der Bundeswehr in hohem Maße deckungsgleich mit den von den Streitkräften selbst erhobenen Analyseergebnissen und Vorstellungen zur Weiterentwicklung waren.

Den ministeriellen Rahmenvorgaben entsprechend ist der Um-fang bundeswehreigener Großherstellung von Sanitätsmaterial auf wehrmedizinisch relevante Produkte begrenzt, die nicht oder nicht sicher marktverfügbar sind und gegebenenfalls nicht kompensatorisch bevorratet werden können. Als herausgeho-ben und zukunftsweisend wurde hierbei die Fähigkeit zur Her-stellung von Autoinjektoren, insbesondere für die Anwendung

von C-Antidoten, charakterisiert. Ihre unabhängi-ge Verfügbarkeit kann den kritischen Widerspruch zwischen militärischen Einsatzerfordernissen vor dem Hintergrund einer schnell veränderlichen Si-cherheitslage und einer monopolistisch geprägten Marktsituation mit zum Teil langfristigen Liefer-ausfällen seitens der Industrie aufheben. Darüber hinaus sind auch Produkte erfasst, deren uneinge-schränkte Verfügbarkeit im Einsatz zwingend ist, jedoch durch transportlogistische Maßnahmen nicht sichergestellt werden kann. Als Beispiel wur-de die Produktion von Sauerstoff zur medizini-schen Anwendung mit einem Gehalt von 93 % mit den ab Anfang 2016 verfügbaren Mobilen Sauer-stofferzeugungs- und -abfüllanlagen (MSEA) vor-gestellt.Zum neuen Selbstverständnis der bundeswehrei-genen Herstellung im und für den Einsatz gehört ebenso, dass eine effi ziente Nutzung der Kapazitä-ten die Möglichkeit zur Einbindung von Partnerna-tionen grundsätzlich immer berücksichtigt und damit die multinationale Einsatzrealität und Ansät-

ze wie „Pooling und Sharing“ oder das Framework Nation Con-cept zukunftsorientiert integrieren kann.

Leistungsfähigkeit der Wehrpharmazie vorgestelltNeben den fachlichen Vortragsveranstaltungen im Kongress-zentrum Düsseldorf war der Host Nation Day am 1. Oktober 2015 für die Teilnehmer aus der Military and Emergency Phar-macy Section ein besonderes Highlight. Unter der Schirmherr-schaft des Inspekteurs des Sanitätsdienstes der Bundeswehr, Generaloberstabsarzt Dr. Tempel, der durch Admiralarzt Dr. Apel vertreten wurde, präsentierte Oberstapotheker Krappitz in der Luftwaffenkaserne in Köln-Wahn eine wehrpharmazeuti-

sche Leistungsschau, die in anschaulicher und pra-xisnaher Weise das Können und die Fähigkeiten der Sanitätsoffi ziere Apotheker der Bundeswehr darstellte. Dem internationalen Fachpublikum wurde dabei die Möglichkeit geboten, einmal hin-ter die Kulissen zu schauen und die Aufgabenviel-falt im Inland und im Auslandseinsatz kennenzu-lernen. Um einen ersten Überblick zu erhalten, wurden den Besuchern die wehrpharmazeutischen Tätig-keitsfelder in den verschiedenen Organisationsbe-reichen der Bundeswehr mit Posterbeiträgen auf-gezeigt. Die anschaulichen Tafeln informierten über die Aufgaben und Leistungen der Wehrphar-mazie in Heer, Luftwaffe, Marine und Streitkräfte-basis sowie im Zentralen Sanitätsdienst der Bun-deswehr. In angeregten Gesprächen fand ein inten-siver Erfahrungsaustausch zwischen den deut-schen und den internationalen Kollegen auf dem Gebiet der Militärpharmazie statt. Besonders hohe Aufmerksamkeit schenkten die Tagungsteilnehmer der MEPS den eigens für den Weltkongress aufgestellten zelt- und containerge-stützten Sanitätseinrichtungen der Bundeswehr, die einen interessanten Blick auf den Arbeitsplatz

von C-Antidoten, charakterisiert. Ihre unabhängi-ge Verfügbarkeit kann den kritischen Widerspruch zwischen militärischen Einsatzerfordernissen vor dem Hintergrund einer schnell veränderlichen Si-cherheitslage und einer monopolistisch geprägten Marktsituation mit zum Teil langfristigen Liefer-ausfällen seitens der Industrie aufheben. Darüber hinaus sind auch Produkte erfasst, deren uneinge-schränkte Verfügbarkeit im Einsatz zwingend ist, jedoch durch transportlogistische Maßnahmen nicht sichergestellt werden kann. Als Beispiel wur-de die Produktion von Sauerstoff zur medizini-schen Anwendung mit einem Gehalt von 93 % mit den ab Anfang 2016 verfügbaren Mobilen Sauer-stofferzeugungs- und -abfüllanlagen (MSEA) vor-gestellt.Zum neuen Selbstverständnis der bundeswehrei-genen Herstellung im und für den Einsatz gehört ebenso, dass eine effi ziente Nutzung der Kapazitä-

Abb. 3: Hauptfeldwebel Manthei (ZInstSanBw München) erläutert die Ausstattung des Arzneimitteluntersuchungscontainers.

sche Leistungsschau, die in anschaulicher und pra-xisnaher Weise das Können und die Fähigkeiten der Sanitätsoffi ziere Apotheker der Bundeswehr darstellte. Dem internationalen Fachpublikum wurde dabei die Möglichkeit geboten, einmal hin-ter die Kulissen zu schauen und die Aufgabenviel-falt im Inland und im Auslandseinsatz kennenzu-lernen. Um einen ersten Überblick zu erhalten, wurden den Besuchern die wehrpharmazeutischen Tätig-keitsfelder in den verschiedenen Organisationsbe-reichen der Bundeswehr mit Posterbeiträgen auf-gezeigt. Die anschaulichen Tafeln informierten über die Aufgaben und Leistungen der Wehrphar-mazie in Heer, Luftwaffe, Marine und Streitkräfte-basis sowie im Zentralen Sanitätsdienst der Bun-deswehr. In angeregten Gesprächen fand ein inten-siver Erfahrungsaustausch zwischen den deut-schen und den internationalen Kollegen auf dem Gebiet der Militärpharmazie statt.

Abb. 4: Stabsfeldwebel Lücking (BAAINBw U3.5)1 demonstriert die Funktionsweise der Sauerstofferzeugungs- und -abfüllanlage.

1 BAAINBw U3.5= Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr , Abteilung Land-Unterstützung Referat 3.5 Wehrpharmazie, Sanitätsein-richtungen und Sanitätsausstattungen.

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deutscher Sanitätssoldaten und insbeson-dere der Bundeswehrapotheker in den Auslandseinsätzen ermöglichten. Die Besucher konnten einen Apothekencont-ainer besichtigen, in dem im Rezeptur-maßstab einer üblichen zivilen Apotheke Arzneimittel für die Soldaten im Einsatz-land direkt vor Ort hergestellt werden können. Im Arzneimitteluntersuchungs-container stellten die Experten des Zent-ralen Instituts des Sanitätsdienstes der Bundeswehr (ZInstSanBw) aus München die Möglichkeiten eines hochmobilen Untersuchungslabors vor, in dem sowohl Ausgangsstoffe für die Rezeptur als auch Fertigarzneimittel auf Identität, Reinheit und Gehalt mit nasschemischen, aber auch chromatographischen und spektros-kopischen Methoden der instrumentellen Analytik geprüft werden können.

Auf hohes Interesse stießen auch die aus-gewiesene Fachexpertise im Bereich der Lebensmittelchemie sowie die Fähigkeit zur Untersuchung und Begutachtung von Lebensmitteln und Trinkwasser, die sowohl im Inland als auch in den Auslandsein-sätzen bei allen Fragestellungen in Hinblick auf die Lebensmit-telsicherheit und den Verbraucherschutz gefragt sind. Mit den lebensmittelchemischen Laborcontainern verfügt der Sanitäts-dienst über mobile Einsatzlabore mit Möglichkeiten zur Unter-suchung von Lebensmitteln und Trinkwasser auf chemische Kontaminanten. Die Kongressteilnehmer verfolgten auch hier mit großem Interesse die Ausführungen des anwesenden Sani-tätspersonals, welches die gesamte Bandbreite der komplexen Untersuchungsmöglichkeiten vom Pestizidmonitoring der Frischverpfl egung bis hin zur schnellen Analytik von Kampf-stoffen aufzeigte.

Die Darstellung der drei Containertypen zeigte auf eindrucks-volle Weise, wie wehrpharmazeutische Tätigkeiten selbst auf kleinstem Raum durch optimale Nutzung und mit entsprechend ausgebildetem Fachpersonal kompetent und hochprofessionell unabhängig von fester Infrastruktur durchführbar sind.

Ergänzt wurde die durch Oberstapotheker Dr. Bernd Klaubert organisierte Leistungsschau durch eine mobile Sauerstofferzeu-gungs- und -abfüllanlage, die erstmals in dieser umfassenden Konfi guration aufgestellt und gezeigt wurde. Damit kann vor Ort im Einsatzgebiet autark Sauerstoff unter Einsatz von Mole-kularsieben in pharmazeutischer Qualität hergestellt werden. Eine geschützte Rettungsstation zur ersten notfallmedizini-schen Versorgung verletzter Soldaten rundete diesen Pro-grammpunkt ab. Neben der Möglichkeit, einen Blick in das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) zu werfen, konnte schließlich noch der MEDEVAC-Airbus der Luftwaffe besichtigt werden, dessen Auftrag und Ausstattung den interes-sierten Gästen kompetent durch den anwesenden Fliegerarzt, Oberfeldarzt Dr. Moll, erläutert wurde.

International anerkannt und vernetztDie internationalen Besucher der Leistungsschau waren insge-samt beeindruckt von der Professionalität und Leistungsfähig-keit des Sanitätsdienstes der Bundeswehr sowie dem Tätig-keits- und Fähigkeitsspektrum der deutschen Sanitätsstabsoffi -ziere Apotheker. Dies wurde auch durch den chinesischen Chairman der MEPS, Senior Colonel Zheng-Yu, beim abschlie-ßenden Section Dinner in besonderer Weise gewürdigt. Darüber hinaus wurde mit Oberstapotheker Krappitz in dessen Funktion als Chairman der Technical Commission for Pharmacy (TC Pharm) des International Committee of Military Medicine (ICMM) eine noch stärke Kooperation zwischen diesen beiden für die Koordinierung der Aktivitäten der weltweit tätigen Mili-tärapotheker so wichtigen Institutionen vereinbart.

FazitAuch wenn Vorbereitung und Durchführung der gesamten Ver-anstaltung mit einigem Aufwand verbunden waren und jedem einzelnen ein erhebliches Maß an persönlichem Engagement abverlangte, war der fachliche Gewinn erheblich. Aufbau und Erhalt eines internationalen Netzwerks der Wehrpharmazie konnten maßgeblich vorangetrieben werden. Damit wurde eine gute Investition in die Zukunft getätigt.

Bildquellen:Abb. 1: Pharmazeutische Zeitung / MüllerAbb. 2 - 5: Sanitätsdienst der Bundeswehr / Bannert

Verfasser:Oberstapotheker Arne KrappitzKommando Sanitätsdienst der BundeswehrLeitender Apotheker der BundeswehrVon -Kuhl-Straße 50, 56070 KoblenzE-Mail: [email protected]

Abb. 5: Senior Colonel Zheng-Yu, Admiralarzt Dr. Apel und Oberstapotheker Krappitz vereinbaren eine stärkere Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Wehrpharmazie.

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Wehrmedizinische MonatsschriftRedaktion: Oberstarzt a. D. Dr. med. Peter Mees, Baumweg 14, 53819 Neunkirchen-Seelscheid, Telefon +49 2247 912057, E-Mail: [email protected]

Herausgeber: Bundesministerium der Verteidigung, Presse- und Informationsstab, Stauffenbergstraße 18, 10785 Berlin.Beirat: Prof. Dr. med. H. Fassl, Lübeck; Prof. Dr. med. L.-E. Feinendegen, Jülich; Prof. Dr. med. Dr. phil. G. Jansen, Düsseldorf; Prof. Dr. med. Dr. med. dent. E. Lehnhardt, Hannover; Prof. Dr. W. Mühlbauer, München; Prof. Dr. med. K.-M. Müller, Bochum; Prof. Dr. rer. nat. Dr. med. E. Mutschler, Frankfurt; Prof. Dr. med. G. Paal, München; Oberstapotheker a. D. Dr. rer. nat. H. Paulus; Prof. Dr. med. dent. P. Raetzke, Frankfurt; Prof. Dr. rer. nat. H.-J. Roth, Tübingen; Prof. Dr. med. L. Schweiberer, München; Prof. Dr. med. Dr. med. dent. Schwenzer, Tübingen; Prof. Dr. med. H.-G. Sieberth, Aachen; Prof. Dr. med. H. E. Sonntag, Heidelberg; Generalarzt a. D. Dr. med. J. Binnewies, Köln; Admiralarzt a. D. Dr. med. R. Pinnow, Glücksburg.

Verlag: Beta Verlag & Marketinggesellschaft mbH, Celsiusstraße 43, 53125 Bonn, Telefon 02 28/9 19 37-10, Telefax 02 28/9 19 37-23, E-Mail: [email protected]; Geschäftsleitung: Heike Lange; Verlagsleitung: Gertraud Assél; Produktionsleitung: Thorsten Menzel. Druckvorstufe: PIC Crossmedia GmbH, Langenfeld. Druck: Rautenberg Media & Print Verlag KG, Troisdorf. Die Zeitschrift und alle in ihr enthaltenen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzuläs-sig und strafbar. Das gilt ins besondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfi lmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Autorenhinweise können unter www.wehrmed.de im Internet abgerufen werden.

Alle namentlich gezeichneten Beiträge – soweit sie nicht ausdrücklich mit einem * gekennzeichnet sind – geben die persönlichen Ansichten der Verfasserin, des Verfassers oder der Verfasser wieder. Sie entsprechen nicht unbedingt den Auf fassungen der Redaktion oder des Bundesministeriums der Verteidigung. Manuskriptsendungen an die Redaktion erbeten. Erscheinungsweise mindestens acht mal im Jahr. Bezugs preis jährlich inkl. Porto- und Handlingkosten Inland: € 35,–; Europa: € 41,50; weltweit: € 49,50. Einzelheft: € 4,50 zzgl. Versandkosten € 1,80 Inland, € 4,50 Europa, € 9,50 weltweit. Das Abonnement verlängert sich jeweils um 1 Jahr, falls nicht 8 Wochen vor Ablauf des Bezugsjahres gekündigt wird. Für Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für Wehrmedizin und Wehrpharmazie e. V. ist der Bezug der Zeitschrift im Mitgliedsbeitrag enthalten. Sanitätsoffi ziere der Bundeswehr, die Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für Wehrmedizin und Wehrpharmazie sind, erhalten die „Wehrmedizinische Monatsschrift“ über ihre Dienststellen.

Wehrmedizinische Monatsschrift

Geburtstage Januar 2016

Wir gratulieren zum 80. Geburtstag und älter:Dr. med. dent. Günter BöckmannOberfeldarzt d. R.Schürmannskamp 749080 Osnabrück 03.01.1932Dr. med. vet. Gerhard SchreiberVeterinärratOppernweg 267307 Göllheim 06.01.1932Prof. Dr. med. med. Jürgen ProbstOberstarzt d. R.Asamallee 1082418 Murnau 19.01.1927Dr. med. Jürgen MarkhoffFlottenarzt a. D.Kopperpahler Allee 10424119 Kronshagen 23.01.1935Dr. med. Ewald SchuppFlottenarzt a. D.Am Buttermarkt 256253 Treis-Karden 26.01.1926Heinz MasingOberfeldapotheker d. R.Am alten Markt 766849 Landstuhl 29.01.1930Dr. med. Erich KalousOberstarzt a. D.Am Ginsterbusch 5330459 Hannover 31.01.1922Dr. med. dent. Günther PoppGeneralarzt a. D.Heimgart 16 / c/o Volker Nübel40883 Ratingen 31.01.1921

Wir gratulieren zum 75. Geburtstag:Dr. med. Gunther ApffelstaedtFlottenarzt a. D.Auf dem Steinbüchel 1153340 Meckenheim 02.01.1941

Hans-Hellmut JordanOberstapotheker d. R.Mühlenbruchstraße 1529683 Fallingbostel 03.01.1941

Dr. med. dent. Jürgen MacheleidtGeneralarzt a. D.Rotdornstraße 153340 Meckenheim 05.01.1941

Dr. rer. nat. Volker BeckOberstapotheker a. D.Konrad Adenauer Straße 2453757 St. Augustin 25.01.1941

Dr. med. dent. Bruno SorgStabsarzt d. R.Burgunderstraße 7271384 Weinstadt 27.01.1941

Wir gratulieren zum 70. Geburtstag:Dr. med. Claus FennerOberstabsarzt d. R.Bergstraße 14/MVZ Labor20095 Hamburg 06.01.1946

Peter LangOberfeldapotheker a. D.Heinrich-Mann-Straße 2213156 Berlin 09.01.1946

Günter Bernd WilkeOberfeldarztElmshorner Straße 1614167 Berlin 09.01.1946

Mitteilungen der DGWMP e. V.

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Tagungspräsident:Wissenschaftliche Leitung:

Dr. Armin Kalinowski, GeneralarztProf. Dr. Horst-Peter Becker, Oberstarzt

47. KONGRESSder Deutschen Gesellschaft für Wehrmedizin

und Wehrpharmazie e. V. (DGWMP)

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ESELLSCHAFT FÜR WEHRMEDIZIN UND WEH

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Anmeldung wissenschaftlicher Vorträge und Poster bis zum 30. Juni 2016 unter:[email protected] - Tel.: 0731 - 1710-1001

Weitere Informationen/Anmeldung zum Kongress: www.dgwmp.de

6. - 8. Oktober 2016Edwin-Scharff-Haus, Neu-Ulm

Internationalität - Familie und Beruf - Medizinische Innovationen - Nachwuchsbindung

Zukunft aktiv gestalten -Herausforderungen meistern!

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