Wolfgang Zimmermann - Karl Korsch

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  • 8/9/2019 Wolfgang Zimmermann - Karl Korsch

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    Reihe Forschungsberichte

    SOAK Verlag, Hannover 1978Alle Rechte beim Autor

    Gesamtherstellung und VertriebSOAK GmbH

    3000 Hannover, Am Taubenfelde 30Telefon: 1 76 18

    ISBN: 3-88 209-011-1

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    INHALT

    AKTUELLE EINFHRUNG 3

    EINLEITUNG: Karl Korsch, Biographisches 10

    1.1 DIE HEGEL - MARX REZEPTION 11Korschs Gedanken in den 20er Jahrenaus heutiger Sicht

    1.2. THEORIE UND GESCHICHTE 14Philosophie und revolutionre Gesellschaftswissenschaft

    1.3. MARXISMUS-LENINISMUS 16Soziale Revolution und bergangsstaat

    1.4. GEISTIGE AKTION" gegen 18

    brgerliche Ideologie1.5. DIE PHASENTHEORIE 20

    Marxismus und Arbeiterbewegung1.6. THEORIE UND PRAXIS 22

    Brgerliche Intellektuelle undproletarisches Klassenbewutsein 24

    1.7. MARX LENINBrgerliche und proletarische Klassein der sozialen Aktion

    2.1. DIE ERNEUTE MARX - HEGEL - REZEPTION 262.2. HEGEL - MARX LENIN 27

    Korschs Gedanken ab 1930 aus heutiger Sicht2.3. THEORIE UND GESCHICHTE 30

    Brgerliche und proletarische Gesellschaftswissenschaft2.4. MARXISMUS - LENINISMUS - ANARCHISMUS 36

    Soziale Revolution und bergang3. VOM BRGERLICHEN ZUM PROLETARISCHEN MATERIALISMUS 44

    -Gesellschaftliche Entwicklung und materialistische Wissenschaft3.1. THEORIE UND PRAXIS 45

    Brgerlicher und proletarischer Materialismus3.2. MATERIALISTISCHE WISSENSCHAFT 46

    und gesellschaftliche Entwicklung in Korschs Denken

    ANMERKUNGEN TEIL I 51ANMERKUNGEN TEIL II 56ANMERKUNGEN TEIL III 60

    LITERATURLISTE 61HINWEIS 63

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    KorschzurEinfhrung

    EinWeg

    zum

    absoluten

    Materialismus

    MitaktuellerEinfhrung

    VonWolfgangZimmermann

    InMemoriam: Avicenna,Maimonide,meinenElternundHansMayer

    TheoutstandingMuslimhistoriensmadeexhaustive,collectionsofhistoricalinventsandwrote

    themdowninbookform.But,then,personswhohadnorighttooccupythemselveswithhistory

    introducedintothosebooksuntruegossipwhichtheyhadthoughtorfreelyinvented,aswellas

    falseNoonecanstandupagainsttheauthorityoftruth,andtheevelodfalshoodistobe

    faughtwithenlighteningspeculations

    IBNKHALDN,THEMUQADDIMAH,AnIntroductiontohistory,Foreword,PrincetonNewJersey,

    geschriebenim13.14.Jahrhundert

    AufdemWegezumoffenenabsolutenMaterialismus

    AbsoluteArbeit,dieDialektikzumAbsoluten

    KorschzurEinfhrungalsNeuausgabe.

    Diese3.AusgabeistnunimInternetprsent.

    DasErscheinendererstenAusgabemehrtsichnunzum30.Mal.DieLagederWelthatsich

    weitgehendverndert.DerKltestromdesMarxismusistinErstarrunggetreten(Nordkorea)oder

    vollstndigversickert.

    VieleswirdinChinaheutematerialistischergriffenwasanderswozerstrtundvernachlssigtworden

    ist.

    DerobjektiveMaterialismusvonErnstBlochhatmitallenseinenUngleichzeitigkeitenEinzug

    gehaltenindiesesRiesenreichauchmitdenkonomischenundideologischenRckgriffen,auch

    wenndiesoffiziellnichtproklamiertwird.

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    DieAnwendungderDialektikaufdieArbeiterbewegungunddieGeistigeAktion,diedenDiskurs

    durchTheaterundSituationismusinitiierenhilft, kanndurchdasStudiumvonKorsch undder

    GesellschaftinsinnlichpraktischerWeisemitdemmaterialistischenVerstandundderVernunftdas

    EnsembledergesellschaftlichenVerhltnisseverndern.

    NeueSchichtenergreifendiegesellschaftlichenVerhltnisse.DerArbeitsscheinerscheintals

    UngleichzeitigkeitzwischenzweiGesellschaftsformationendermixedeconomy.Ohnesiehttedie

    NeuergreifungundAufhebungkollektivenEigentumskeinenSinn.IndieserUngleichzeitigkeitwird

    bewusst,dassdieArbeitalsLohnarbeitsichnichtverndernkannohnedenabsolutenStandpunkt

    wiedermaterialistischzuergreifen.AbsoluteArbeitheitaucherneuteineneueideologische

    Auseinandersetzung,dieErgreifungderReligionen,dieGotteskritikundihreAufhebungauf

    materialistischerBasis.WieimTrancezustandsinddieMassennachAuflsungdesSozialismusdurch

    dieglobaleKriseweltweitindieReligionenzurckgegangenundhabensichvomversprochenen

    goldenenKalb

    vorerst

    abgewendet

    vielleicht

    bis

    die

    Dialektik

    der

    Utopie,

    der

    kollektiven

    GesellschaftdesgoldenenZeitalters,desParadiesesneumaterialistischergriffenwordenist.

    WasinChinaheutegeschiehtisteineneueMischung.DerKltestromdesMarxismuswurde

    ergriffen,derPreiswardieAufnahmeeinesKltestromsdesKapitalismus.Dieseneue

    gesellschaftskonomischpolitische,kulturelleundnochwenigkologischeFormationistinstndiger

    Vernderung.SienimmtdaskapitalistischePrivateigentummitaufunderhltsodiemodernsten

    Industrien/Technologien.DerPreisderkonomisch,sozialen,kulturellenUmwandlungerscheint

    gro vieleswirdeinfachumgewlztundnichtgewandeltodergedreht,sondernverdreht.Jedoch

    gibteskeineandereChancediesozialistischeGesellschaftsformationnachvornezubringen.Die

    Kreativittist

    versiegt,

    eigentlich

    erschlagen

    und

    schlug

    sich

    in

    unproduktiven

    Aktionen

    kulturrevolutionrerVernderungennieder.

    InanderensozialistischenStaatendesSozialismussowjetischerPrgungwardasRechtaufArbeit

    keinRechtaufGlck.DieMenschenkonnteninsinnlichpraktischerTtigkeitkeinBewusstsein

    entwickeln.IhrkollektivesUnbewussteswurdeblockiert,alsodasGlck(Aristoteles,amerikanische

    Verfassung)blockiert.Dadurchkonntensieihrkonomischpolitisches,kulturelles,kologisches,

    religisesetc.Erbenichtergreifen,sondernhabenesungeniertbeiseitegeschoben,getreuauchnach

    derDevisevonMarx, ReligionseiOpiumfrsVolk.

    HeutekmmernsichdieRubernichtmalmehrumsbetenoderSndenerlass,wennsiemitOpium

    dieMenschheitvergiften,dieProduktivittundKreativittganzerEthnien,Staaten,Gruppenund

    Klassenzerstren.MankannnunnichtbehauptenMarxseiauchfrdieseBanditender

    Chefideologe,denn dieseAliBabarshabenkeineKulturundbeherrschenschongarnichtdie

    Dialektik.SielaufenalsMafiaoderzumTeilalsTalibanedurchdieWeltundsteinigenMenschen

    wasimaltorientalischenIslamverbotenistundalsPraktikabtrnnigerSektengilt,dienichtden

    philosophischenIslamvertreten.Manbehauptetsogar,siehttendenKriegumsWorldTrade

    Centergefhrt.NurUnschuldigedarfmandanachalterKriegsordnungnichtumkommenlassenund

    dagegenhabensieoffenbarverstoen.DennderKriegistimmereinKriegderRuber,diewahren

    Besitzendenmssenverschontwerden.DasgaltschonsoinaltenorientalischenZeiten,woderIslam

    durchdieorientalischjdischislamischenPhilosophenundrzte Avicienna,Averros,Maimonide

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    etc.mitderantikenPhilosophieverbunden,durchsieinterpretiertundmitdemAbsoluten

    verbundenwurde.Alleentsprangenu.a.derFamilieAbrahamsundhabeningleichberechtigten

    GemeindeninneutralenStaaten(Sultanatenzusammengelebt,bisVorluferderTalibanedie

    BibliothekeninAlAndaluszerstrthaben.Diesgiltauchfrdiealtorientalischen(meistjdisch

    islamischen)SultanederOsmanen.EinAngriffaufdieJudeniststetsaucheinAngriffaufdenIslam.

    WerdiesvergisstwillseineeigenenWurzelnzerstrenundstehtderMafiaunddenTalibanennher.

    Eristnichtwissend,sondernfalschglubigundlebt indersinnlichenGewissheitohnevielVerstand

    undVernunftundhatdenKontaktzumAbsoluteneigentlichverwirkt.AberimIslamkonntedies

    immerleichtergeklrtwerden.

    DerIdeologevonAlAndalusAverroeshatgegendieSekten(heuteauchverschiedeneStrmungen

    wie Schiitenetc.desIslams,diewahrscheinlichzurZersplitterungdeseinsteinheitlichenReiches

    beigetragenhabenkritischeBeitrgegeliefert.SiehabenausdenAnhngerndesIslamGlubigeund

    nichtWissende

    gemacht

    und

    damit

    den

    philosophischen

    Zugang

    zum

    Absoluten

    (Allah)

    versperrt.

    Or,sil`onconsidretoutessesdoctrines,etquel`onconsidred`autrepartl`intentionquipresidelmissiondumessagervl,ons`apercoitquecesont,dansleurimmensemajorit,desthsesde

    leurproprecruetdesinterprtationsinnovantesblmables(alkashf,9910024;Averroes,L`Islam

    etlaraison,99,Paris2000)

    MitdenChristenwaresimmerschwierigermitderGleichberechtigung,dermenschlichenWrde

    unddemLaizismusoderderreligisenToleranz.NachderVertreibungundVerfolgungderJudenund

    derMuslimeausAlAndalusfanden Kreuzzge,Judenverfolgungen,Assimilationversucheder

    Gleichberechtigung

    und

    die

    Zulassung

    des

    aufrechten

    Ganges,

    die

    schlielich

    in

    der

    Negativitt,

    der

    nihilistischenZerstrunginderShoaenden,statt.

    EsgabauchvieleGelehrteundlngereBltezeitenindenmultikulturellenGesellschaftender

    Orientalen(Juden,ArabernmitBerbern,Persern,Afrikanernetc.). Dortgingesbereitsdialektisch

    zu.(Vgl.:E.Bloch, AvicennaunddiearistotelischeLinke).DiesePhilosophen,rzteetc.warenmeist

    AngehrigederHerrscherfamilienundgehrtenhufigmehrerenReligionenimWissend.h.vorallem

    philosophischan.SiestandennichtaufderStufedesreinenGlaubens,demsohufigdieIntoleranz

    undIgnoranzzurSeitestand.brigensstammenvonihnenauchallegroeneuropischenGelehrten

    ab.SiesindvondaherauchalsOrientalenzusehenwiez.B. Hegel,Hlderlin,Marx, Korsch,Bloch

    etc.. ErbenderAntikeunddesOrients,woGemeinsinnundkollektiverGeist,demEigennutz

    vorgestelltsindunddasKollektive,IndividualittfesterBestandteildesAllgemeinenist.

    SchondamalsgingenGesellschaftenunterwieinderjngstenGeschichte.Undschondamalswurde

    dieGeschichteverflschtdurchdiechristlichenEroberer.MedizinischeOperationen,dieesinder

    orientalischenBlteundvorherderAntikegabwurdenverbotenundkonntennurheimlichvonmeist

    orientalischenrztendurchgefhrtwerden.DieEuroperundAraberhandeltenmitSklavenund

    brachtensienachAmerika.DieOsmanen,Chinesen,PerserhandeltennichtmitSklavenfrAmerika,

    siebesaenbisweilenHausundKriegssklaven.SieliefertenbereitsSeide,Porzellanu.a.imAustausch

    nachAfrikabevordieEuroperalleszerstrtundignorierthatten.FrHegelwarAfrikanurnochein

    dunklerErdteilindendieEuroperheuteAbflle,alteKleidungundkaputteAutosliefern.Die

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    ChinesenbauendagegenEisenbahnen,liefernSolarzeug, ebenso1WarenwientzlicheWerkzeuge

    undneueKleidung,Geschirr,wodurchwenigerabgeholztwerdenmussundPflanzenabfllezum

    dngenverwendetwerdenknnen.DiessollzumkurzenAusblick berdiedamaligeundheutige

    Weltreichen.KorschhatamEndeseinesLebenshierzuinteressanteBemerkungengemacht,dieim

    BuchzumSchlussdiskutiertwerden.

    DochzurckzumMarxismus:

    EinminimalesWissenderDialektikwollenwirnunLenin nichtganzabsprechen,auchwenner nur

    nochschlimmerenBanditenwieTrotzkyundStalindenWegbereitethat.Maohatm.E.sichnuraus

    taktischenGrnden

    seinen

    Vorlufern

    angeschlossen.

    AlteHuser,Bruche,Kulte,ReligionenwurdenzerstrtundEthnienumgesiedelt.Auerdemgabes

    imsowjetischenPassauchdenJudenstern.AberberStalinsSuberungsaktionensollhiernichtdie

    Redesein.HiersindinterkulturelleAufgabenzubewltigen,derenMethodenund

    Theorie/Praxis/WissenschaftanandererStelleergriffenwerden.

    ZurckzumOpiumfrVolk.DieLsunghierzufhrtu.a.berdieFeuerbachthesenvonMarx.Marx

    schriebReligionistOpiumfrsVolk.AndererseitsschrieberanandererStelleungefhr:derAlpder

    totenGeschlechterlastetaufdenlebenden.DaskollektiveUnbewusstelsstsichnichtdurchdie

    SprengungderTempel,Synagogen,Kirchen,Moscheen beseitigen,manraubt ihnenihre

    ideologischeGeschichte,abermanhatsienichtmaterialistischaufgehoben(idealistischja,bei

    Hegel).WenndasUnbewussteblockiertistknnendieMenschenauchnichtglcklichwerden.Hier

    liegteinScheiterndesStaatssozialismusleninistischerPrgung Chinaist heuteaufeinemanderen

    Weg,dersogenanntenmixedeconomy,einerGesellschaft,diedieRckgriffeinkapitalistische

    MethodenwagtumimneuensozialistischproletarischbrgerlichenVorscheinzulanden.

    Materialistischergriffenhat Bloch(objektiverMaterialismus)diesProblemderIdeologien,

    Religionen,Literatur,Malerei,Mrchenetc.undes wissenschaftlichmaterialistischvorbereitet.

    SeinVerdienstliegtdarindieseProblemebisinsDetailvor undaufbereitetzuhaben.Seine

    materialistischeUmsetzungkonnteernurimtheoretischen,wissenschaftlichenDiskursoderin

    Vortrgenerreichen.

    Allein

    die

    gesamt

    gesellschaftliche

    Umsetzung

    in

    sinnlich

    praktischer

    Ttigkeit

    mitdemmaterialistischenVerstandunddermaterialistischenVernunftwarihmnichtmglich.Die

    gesellschaftlichenVerhltnissewarennichtreifgenugundesmangelteanderletztensinnlich,

    praktisch,theoretischwissenschaftlichenUmsetzungsmglichkeitdurchdieAktion.Dieprovokative

    ArtalsgeistigeAktion(Korsch),auchsurrealistischwarhnlichsubjektivgefrbtwiebeiFichteim

    deutschenIdealismus.DiesgiltauchfrdiegewollteDiskurstechnik.NurdieEntwicklungeiner

    DialektikderAktionundOrganisationbeiRosaLuxemburggehthierbereitsschonneueWegeohne

    dieformelleundinhaltlicheSeiteindenErkenntnisstufenlsenzuknnen.Jederisteben

    Sohn/TochterseinerZeitwieHegelrichtigbemerkte.Der absoluteMaterialismus,derabsoluten

    Arbeitwirddeshalboffenbleibenmssen.WirarbeitenundhabenschonunterunserenFenden

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    neuenWeg,alsosindwirschonundmssenunsnichtnurnochmehrhabensondernauchdie

    gegenstndlicheWelt, umindieHeimat(Bloch) zugelangen.

    DieUmbildungdergegenstndlichenWeltnachderErgreifungimungleichzeitigenProzess

    berbauundBasisdurchgeistigeAktion, Provokation,Diskurs

    Wirhandeln insinnlichpraktischerTtigkeitnichtnurindialektischen Beziehungenaufden

    verschiedenenEbenenderGesellschaft, inverschiedenenSchichten,inBasisundberbauinden

    verschiedenenKulturen,derunterschiedlichenmultikulturellenbrgerlichproletarischen

    GesellschaftinseinerUngleichzeitigkeit.

    Diesinnlich

    praktische

    Ttigkeit

    vollzieht

    sich

    nicht

    durch

    eine

    einzige

    Umwlzung,

    den

    einmaligen

    jakobinischenoderleninistischenProzessderUmwlzungdurch Revolution,sondernineinerlangen

    Periodereformistischer undrevolutionrerVernderungen,reaktionrer,totalitrer,brgerlicher

    undproletarisch konservativerRckschlge, dieindialektischenBeziehungen denhistorischen

    VerlaufderbrgerlichenGesellschaftsformationauchnachkurzemStillstand,Zerstrungundkurzen

    Rckwrtsgngen bersichhinaustreibenzurglobalenVernderungderReproduktions und

    Produktionsverhltnisse.

    VergesellschaftungsprozessealsAneignungs/Ergreifungsprozesse: Politische,kologische,

    konomischeAneignungdurchdasmultikulturelleWir.Wirsindmultikulturellundergreifendie

    gegenstndlicheWeltdiesozialistischeAkkumulationalssozialer,kologischer,politischerund

    konomischerVernderungsprozess:dersozialistischeWrmestromder Globalisierungkannsichals

    drflicher,innerstdtischer,innerlandwirtschaftlicher,innerindustrieller,innergewerkschaftlicher,

    innerparteiischer,interethnischermultikultureller interkulturellerProzessmitseinenvielfltigen

    Ungleichzeitigkeitenanden Orten,denWaren,demKapital,demBoden,derMeere(Fischzuchtund

    Fang),desLandes(kologischesLandalsPrivateigentumundGemeineigentum)ergriffen,beginnen,

    stattfindenundfortgesetztwerden.

    DasZeitalterdieserUngleichzeitigkeitenistalsbergangzusehen:Ergreifen,Sein,Werdenund

    Vergehenlassensichindersozialistischen AkkumulationdesmultikulturellenVorscheinsals

    dauerndedialektischeBewegungbegreifen.InsofernerscheintdasZeitalteralseinbergang,wosich

    dasNeue

    immer

    weiter

    herausbildet:

    wie

    die

    Stdtebildungen

    um

    die

    Meere

    des

    Orients

    und

    in

    der

    Antike,spterinWest undNordeuropainOberitalien,Flandernmitihrenverschiedenen

    OrganisationenderKaufleute(Hanse,Ostindiengesellschaftetc.) undHandwerker. Auchunter

    diesenEntwicklungenderAkkumulationendeskapitalistischenKapitalsgibtesimmerwieder

    kollektivesozialistischeErgreifungsversuche,dievonderkapitalistischenTotalittnieganzvernichtet

    werden,allerdingsunterihreProduktionsweisesubsumiertwerden.DerpolitischeAkt,derandie

    EntwicklungsverlufederbrgerlichenGesellschaftorientiertenleninistischenRevolutionen,erweist

    dasUnvermgenderUmbildungdesjeweiligenLandesineinesozialistischevergesellschafte

    Gesellschaft(Russland,China,Kubaetc.).EinauerkonomischerUmgestaltungsaktderGesellschaft

    erscheintalswenigpraktikabel.DieFolgendesWertesozialismusderSozialdemokratiemitdem

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    RckbauderlangeundblutigerkmpftensozialenErrungenschaftenderArbeiterbewegungfinden

    mitderfortlaufendenArmutdurchHartzIVi.a.gesundheitspolitischeManahmeneinebenso

    schrecklichesEndewiederLeninismusaufandererEbene.DerDerKapitalismuskonservativerund

    sozialdemokratischerPrgungfhrtzursurrealistischenProduktion.EswerdenKonsumtempel

    errichtet,Autosgebautdiesofortweggeworfenwerdenknnenohnedas,dassBruttosozialprodukt

    fallenwrde.AndererseitsknntemandenArbeitslosenmehrGeldgeben.Manmsstemehr

    Schuldenmachen,wasschlielichzwarzum Staatbankrottfhrenknnte,wennnichtdie

    tatschlichenEigentumsverhltnissediedurchRaubanjdischem Eigentum,Raubdurch

    Schwarzmarktgeldern,DrogenhandelundjahrhundertelangeVerkufevonLehenseigentum,Drogen

    etc.dieGesellschaftinKriegeundUngleichgewichtegestrzthat,nichtrckgngiggemachtwerden.

    AlsodurchdieBewegungenergriffenwerden, dienachdenaltenGrundstzenhandeln:Gemeinnutz

    gehtvorEigennutzzumWohleallerundzumFortschrittderWissenschaftenundKnstewie

    beispielsweiseindenlaizistischenGesellschaftender SultanatenderaltenorientalischenWelten,

    ganzzuSchweigenvomgoldenenZeitalter,Paradies,Urkommunismusu...

    Lecaractrelargementscularisdelacivilisationislamiqueandalousepermettaitparailleursaux

    gensdulivredesesentierleshritiers d`undgrandeetrespectabletraditionculturelle.Etlalangue

    dominante,l`arabe,moinstroitmentattachelareligionrgnantequelelateinneltaitl`Eglise

    deRomeod`Orient,etaitutiliscourammentetsansrservequandilsabordaientl`tudedeleurs

    proprestextessacr.(CourrierdelUNESCO,35,1991)

    DiemodernenFinanz undWirtschaftskrisensindnichtsalseinAusdruckdieserwirtschaftlichen

    RaubordnungnachAliBabaDasKapitalvonMarxistdieGeschichtediesesRaubes.Sieendetmitder

    faktischenFormel,

    dem

    falschen

    Schluss

    die

    Enteigner

    (Ruber

    )zu

    enteignen

    und

    alles

    in

    die

    Hnde

    desStaatesundnichtdeskollektivenGemeinwesenszulegen,woderRaubauchergriffenund

    aufgehobenimSinnevonRckgngiggemachtwirddurchdieHerstellungalterEigentumsrechte.Die

    MafiakriegemitAl Kaidau.a.sindnurderGipfeldieserkonomischenundpolizeilichenUnordnung.

    Europagibtsichiminnerenoffen!WerjedochHartzIVbeziehtkommtmitdemFahrradnichtsehr

    weit. EinunsichtbarerZaunbeschrnktseinenLebensraum.EineStacheldrahtgrenzebrauchtnicht

    mehrgezogenzuwerden.

    AlsomussdieweitereErgreifungdergesellschaftlichen Verhltnisse indenkonomisch

    kologischenundmultikulturellenpolitischenundsozialenUngleichzeitigkeitenbeginnen.

    ImglobalenMastabgesehenfindensichUngleichzeitigkeitenindenkonomischenVerhltnissen,

    dieimmernochan urzeitlicheJgerundSammler inEis undTundragebieten, indenWsten, im

    AmazonasundanderswoanvergangeneReproduktionsverhltnissedesgesellschaftlichenLebens

    erinnern.EbensogibtesRestefeudalerGesellschaftenineinigenlgebieten,sowieAfghanistans.

    KeinederaltenkonomischenReproduktionsformendesgesellschaftlichenLebens existiertjedoch

    inReinform.DieanihremRandeagierendeglobalekapitalistischeProduktionsweisehatlngstden

    Kontaktzuihnengefunden.Dennochschliet sichhieraucheinneuerKreiseinekreisfrmigeTreppe

    wiesieHansMayerinBezugaufdieMusikvonHansEislerbeschriebenhat,umdendialektischen

    Prozess zuerklren (TbingerProtokoll) Vgl.auchHansMayer,berDeutscheundJuden.

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    AberwobleibendieEbenendesmaterialistischenVerstandes,derVernunftzummaterialistischen

    AbsolutenindialektischerAktion? AlsodieErgriffemitAktionen: diskursiv,provokativ,durch

    eingreifendesHandeln(Brecht,Malereietc) situationistisch etc.zur sinnlichpraktischen

    UmgestaltungderWelt,diedasAbsoluteundderenInterpretationennachBlochergriffenhabenum

    vorwrtszugehen?Wasbedeutet,dassdieReligionen,Musik,Literatur,Kulte,Malerei,

    Essgewohnheit,kologie,Medizin,Baukunst etc. iminnerenergriffenwerden,dasErbedialektisch

    aufgenommen interpretiertwird,sodassdenMenschenallmhlichihreFunktion/gesellschaftliche

    SituationimErgreifen,Sein,WerdenundderutopischenMglichkeit/Notwendigkeitbewusstwird.

    Soknnenwiralleshinterunslassenundz.B.dieReligionen verlassenundallesmusealals

    GeschichtebewahrenundalsfreieMenschenleben.Aberumnachvornezugehenmssenwirnicht

    nurnachhintenschauen,sonderndasErbeergreifen,erleben,durchspielenundesobjektivund

    subjektivindengesellschaftlichenVerhltnissenaufheben.EinProzess dessenKreisemitder

    ErkenntnisvonderTiefe,derGeschichtesichauchimmerweiterindieHhe,BreiteindenRaumund

    inderZeitbewegenwird

    AdornoundHorkheimerkommendasgroeVerdienstzu,dasssiedennegativenTeilderGeschichte

    aufbereitethaben.SiesindnichtzurNegationderNegationgelangt.

    AlsomssenwirbeiBloch,deroftauchsprachlichdenorientalischenWegbeschreitet,

    weitermachenohneihreWerkezuvernachlssigen.FrdieArbeitamAbsoluten(Gott,dasLicht,

    Manitouetc)sindsieaufdermaterialistischenBasisunumgnglich,weilohnesieauchdieDialektik

    zum Arbeitsscheinnichtergriffenwerdenkann.

    Der

    Beitrag

    von

    Karl

    Korsch

    und

    sein

    Einfluss

    auf

    Berthold

    Brecht

    u.a.

    ist

    hier

    nicht

    unwesentlich.

    DeshalbdieseNeuauflagemeinesvorber30JahrengeschriebenenWerkes.Vernderungenwurden

    imInnerenabsichtlichnichtvorgenommen.EssollalshistorischesDokumentaufdemWegeinden

    absolutenMaterialismuserhaltenbleibenwieeseinstverfasstwurdeunterdenZeichenseinerZeit.

    18.3.09letzteVersion

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    Einleitung:

    Karl Korsch, Biographisches

    Karl Korsch wurde 1886 in Tostedt in der Lneburger Heide geboren. Er studierteRechtswissenschaften, Nationalkonomie und Philosophie in Mnchen, Genf, Berlin undJena. In Jena arbeitete er bei der Freien Studentenschaft" mit. Diese Studenten kamenmeistens aus nicht traditionell akademischen Familien. Als Studenten Zweiter Garnitur"bemhten sie sich um soziale Einrichtungen, waren als Werkstudenten ttig und fhrtenArbeiterschulungen durch. Vier Jahre spter (1912) tritt er in die SPD ein, geht nach Londonund arbeitet in der Fabian Society mit. Im I. Weltkrieg weigert er sich, die Waffe in die Handzu nehmen. 1918 wird er Mitbegrnder des Arbeiter- und Soldatenrates in Meiningen und ist

    Assistent von Robert Wilbrandt in der Sozialisierungskommission fr den Kohlenbergbau. ImJuni 1919 tritt er in die USPD, Ende 1920 in die KPD ein. Zu dieser Zeit beginnt er mit derintensiven Marxrezeption. 1923 argumentiert er als Delegierter zum 8. Parteitag der KPD inLeipzig gegen die Linken. Im August desselben Jahres wird er in Jena Professor fr Zivil-,Proze- und Arbeitsrecht. Vom 16.10. bis 12.11. ist er Justizminister in der Thringer SPD-KPD-Koalitionsregierung. Nach dem Einmarsch der Reichswehr tritt er zurck. 1924, nachkurzer Zeit der Illegalitt wird er in den Thringer Landtag gewhlt, rckt in den Reichstagnach und gibt sein Landtagsmandat wieder auf. Reaktionre Studenten und dieUniversittsbrokratie hindern ihn seine Antrittsvorlesung Jus belli ac paci im Arbeitsrecht"zu halten. Fr ein paar Monate ist er Chefredakteur der theoretischen Zeitschrift der KPD (DieInternationale). 1925 wird Korsch aus dem Leitungsgremium der KPD ausgeschlossen. Nach

    einem Vergleich in Zweiter Instanz mit dem Land Thringen erhlt er alle Rechte seinerProfessur zurck, verzichtet aber freiwillig darauf, Lehrveranstaltungen durchzufhren. Ende1925 beginnt er eine linke Opposition aufzubauen. 1926 findet die erste Reichskonferenz derEntschiedenen Linken" statt. Es erscheint die erste Nummer der Kommunistischen Politik".Im gleichen Jahr wird er aus der KPD ausgeschlossen und versucht eine neue ZimmerwalderUnke" zu formieren. Ab 1926 arbeitet er nur noch mit kleineren Zirkeln zusammen. Er lerntBert Brecht 1928 kennen und veranstaltet freie Diskussionszirkel, an denen neben Brechtauch E. Mhsam, R. Rocker, A. Souchy, I. Steinberg, P. Partos, E. Gerlach, H. Langerhans,A. Dblin teilnehmen.

    1930 studiert er mathematische Statistik und ihre Anwendung auf konomie und Soziologie.

    Er hlt Studienzirkel ber klassischen Marxismus ab und ist freier Mitarbeiter des Instituts frSozialforschung. 1933 wird er von den Nazis aus dem Universittsdienst entlassen undemigriert noch im selben Jahr nach England. Whrend der Emigration besucht er Brechtlngere Zeit in Svendborg und erhlt den Auftrag, fr die Reihe Modern Sociologists" dasBuch ber Karl Marx zu schreiben. 1936 wird er aus England ausgewiesen und geht in dieUSA. Finanzielle Untersttzung erhlt er durch die Hermann-Weil-Memorial-Foundation.Vergeblich bemht er sich um verschiedene Universittsstellen und Guggenheim-Stipendien.Er arbeitet mit der Rte-Gruppe um Paul Mattik und beschftigt sich mit dem Problem desVerhltnisses zwischen Revolution und Konterrevolution. Kurzzeitig ist er Lecturer am StateCollege of Washington Pullmann und dann zwei Jahre Visiting Assistant Professor ofSociology an der Tulane University of Louisiana. Ab 1945 will er Bakunins Buch

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    ,,Staatlichkeit und Anarchie" ins Englische bersetzen und glossiert herausgeben. Erbeschftigt sich mit Problemen Asiens und Imperialismus- fragen. Mit Rosdolsky diskutiert er1950 bis 53 ber Bakunin und Marx. Probleme der bergangsgesellschaft und des Staates

    stehen bis zu seiner Krankheit (Gehirnzellenzersetzung) 1956 im Vordergrund. Die letztenfnf Jahre seines Lebens war er hospitalisiert. Er verstarb 1961 in den USA, ohne ahnen zuknnen, da er sechs Jahre spter zu einem der geistigen Vter der Studentenbewegungwurde.

    Korsch gehrte zu jener Generation Intellektueller, die in die Zeit des bergangs von derbrgerlichen zur proletarischen Gesellschaftsform hineingewachsen sind. Er erlebte noch dasalte - nur brgerliche Zeitalter und zugleich mit der Oktoberrevolution den Aufbruch in dieneue Zeit. Diese bergangszeit ist im Denken und Handeln Korschs sehr detailliert nach-vollziehbar. Seine kritischen uerungen ber Marxismus, Theorie und Praxis sollen vondaher in dieser Arbeit kritisch gewrdigt werden. Er bietet, wie kaum ein anderer, die ersten

    Schritte zur Weiterentwicklung und berwindung des Marxismus an, ohne dies jedoch selberimmer zu bemerken. In dieser Arbeit wird der Versuch gemacht dies zu verdeutlichen. Eswird gezeigt, da sich das Verhltnis von Theorie und Praxis zu Korschs Lebzeiten bereitsgewandelt hat. Denn das Verhltnis von Theorie und Praxis wird beim bergang ins nichtmehr brgerliche Zeitalter ein anderes, da das Verhltnis von Bewutsein und Gegenstand einanderes geworden ist. Dies soll im Folgenden gezeigt werden.

    1.1. Die Hegel - Marx - Rezeption

    Karl Korschs Gedanken in den 20er Jahren aus heutiger Sicht

    Eines der ersten Ergebnisse von Korschs grndlicher Marx- und Hegel-Rezeption stellt die imJahre 1923 erschienene Schrift Marxismus und Philosophie" dar. Sie behandelt hnlicheProbleme wie die Aufsatzsammlung Geschichte und Klassenbewutsein" von Georg Lukcs,mit der sich Korsch im Nachwort zu Marxismus und Philosophie" einverstanden erklrte,aber sich eine Kritik noch vorbehielt. Die Absicht jener Schrift war, so Korsch in derAntikritik 1930, trotz ihres streng wissenschaftlichen Charakters den praktischen Zusammen-hang des Verhltnisses von Marxismus und Philosophie der Zeit nicht zu verleugnen, sondern

    im Rahmen der geistigen Aktion", ein in Marxismus und Philosophie" entwickelter Begriff,praktischen Einflu auf die kommunistische Bewegung zu nehmen.

    Das Gegenteil dessen, was er gewollt hatte, trat ein. Der, Herr Professor" wurde nebenLukcs zur Feindfigur hochstilisiert, als jemand, der - so Sinowjew im Juni 1924 auf dem V.Weltkongre der Komintern - zunchst den Marxismus und Leninismus studieren" msse.Der Kampf gegen die Korsch-Gruppe wird schlielich bis zur restlosen Vernichtung"(Stalin) gefhrt, die mit seinem Rauswurf aus der KPD am 3.5.1926 besiegelt werden sollte.Korsch hat 1930 auf dieses Ketzergericht" in seiner Antikritik geantwortet und dieVerflschungen seiner Schrift seitens verschiedener Rezensenten dargestellt und kritisiert.'Jener 1925 begonnene Kampf gegen die kleinbrgerliche Korsch-Gesellschaft" wird von

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    Seiten einiger orthodoxer Marxisten bis zum heutigen Tage auf vllig unwissenschaftliche Artund Weise gefhrt, wie Herr Richard Albrecht in jngster Zeit wiederholt bewiesen hat: Erschrieb in einer Rezension des Fischer-Jahrbuchs 1, in dem verschiedene Autoren sich mit

    Korsch auseinandersetzen: Es handelt sich hierbei um ein zielgerichtetes Unternehmen imInteresse der Imperialistischen Reaktion."2

    Dabei ist eine solche unqualifizierte Auseinandersetzung mit den Korschschen Gedankenheute noch weniger als damals gerechtfertigt, weil wichtige Positionen des westlichenMarxismus und der neu entstandenen sozialen Bewegung auf ihm fuen.3

    In Deutschland hat Erich Gerlach zur Wiederaufnahme der Korsch-Debatte wichtige Beitrgegeleistet. Er hat in der SDS- Zeitschrift Neue Kritik" einen Abri ber die MarxrezeptionKorschs gegeben und sich um die Neuauflage zahlreicher Schriften bemht.4

    Rudi Dutschke hat 1966 in seinem kritischen Literaturbericht ber den revolutionrenSozialismus auf die Zricher Thesen Korschs hingewiesen, die besagen, da mit einerRekonstruktion der sozialistischen Theorie und Praxis die Weiterentwicklungen desMarxismus sowie seine Gegenspieler, also Bolschewismus, Anarchismus, Syndikalismus, etc.nicht nur als Revision, Vorlufer, Abweichler oder Verrter des Marxismus zu betrachtenseien, sondern als Antworten auf die jeweils historisch vernderten Bedingungen gesehenwerden mten.

    Hans-Jrgen Krahl, ebenfalls einer der wichtigsten Exponenten der Studentenbewegung, hatunter anderem den Korschschen Ansatz der Kritik der Marxschen Revolutionsstrategieaufgenommen.

    Gerade weil Korsch zahlreiche Fragen aufgeworfen hat, die im Wesentlichen auch heute nochungelst sind und an denen man bei einer Weiterentwicklung des Marxismus nichtvorbeikommt, ist er noch aktuell.

    Ausgangspunkt fr eine solche Auseinandersetzung knnten, wenn man an die Rte-Diskussion anknpft oder von ihr ausgehend eine Korsch-Debatte fhrt, die von Erich Ger-lach herausgegebenen Schriften zur Sozialisierung" (1919 - 1920) oder das Arbeitsrecht frBetriebsrte" (1922) sein. Sie haben die Wiederaufnahme der Korsch-Debatte zusammen mitvielen als Raubdruck erschienenen Schriften berhaupt wieder ermglichte Fr viele istKorsch dadurch zum Ideologen eines westlichen Marxismus" geworden, der an das kritisch-

    pragmatische Element vor allem des jungen Marx und der Rte-Bewegung anknpft. Mit demseit mehr als einem halben Jahrhundert fortschreitenden Sieg der verschiedensten Parteien derArbeiterklasse und der Herausbildung zahlreicher sozialistischer Staaten, die sich mehr oderweniger auf Marx berufen, stellen sich die Fragen nach dem Verhltnis von Marxismus undPhilosophie, bzw. Theorie und Praxis unter einem neuen Aspekt. Es erhebt sich die Frage, obder Marxismus selber in vielen Teilen eine Theorie des bergangs vom Kapitalismus zumSozialismus ist, und inwiefern diese Theorie nicht in einem bestimmten historischen Stadiumvon der Arbeiterklasse umgebildet werden mu. Fragestellungen in dieser Richtungdurchziehen das Gesamtwerk Korschs. Sie finden ihren "Hhepunkt" in dem unvollendetenManuskript Das Buch der Abschaffungen".7

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    In dieser Arbeit werden hauptschlich Gedanken reflektiert, die die Fragen nach demVerhltnis von marxistischer Wissenschaft, Theorie und Praxis betreffen. Aufgeteilt wurdedas Ganze in drei Abteilungen:

    1. Korschs berlegungen zu diesen Problemen in den zwanziger Jahren

    2. Seine nacherneuter Hegel-Rezeption angestellten berlegungen ab den dreiiger Jahren

    3. In diesem Teil werden einige Reflektionen ber den Marxismus als bergangswissenschaftangestellt.

    Hierzu ist nun folgendes zu sagen: Es wird die Aneignung des Marxismus und der HegelschenPhilosophie, wie sie sich fr Korsch in den zwanziger Jahren darstellte, nachempfunden.Korschs Anstze werden dann aufgenommen, kritisiert oder weiterentwickelt.

    Zuerst mu die Aneignung des Hegel-Marxschen Erbes nachvollzogen werden. Dies wirdunter 1.2. getan. Es geschieht whrend der revolutionren Ereignisse der zwanziger Jahre. DieSchrift Marxismus und Philosophie" erscheint kurz bevor Korsch in der KPD-SPD-Koalitionsregierung in Thringen vom 16. Oktober bis 12. November 1923 Justizministerwird. Im nchsten Abschnitt dieser Arbeit werden dann einige Aspekte zur Staatsproblematikerrtert. Die Frage der Macht ist wichtiger als die exakte Staatsableitung. Der Wissenschaftler

    Korsch ist gleichzeitig Revolutionr. Dies darf bei der Aufnahme der Gedanken nichtvergessen werden. (1.3.) Ist die Staatsmacht erobert, so stellt sich die Frage der geistigenAktion" und der Erbschaft unter einem anderen Aspekt (1.4.). Unter 1.5. wird deshalb derBezug von Marxismus und Arbeiterbewegung im Zusammenhang mit Korschs Phasentheoriereflektiert. Dies fhrt, nachdem er den Bezug zur proletarischen Massenbewegung nicht mehrhat, in der Antikritik" zu Fragen der Beziehung zwischen Intellektuellen, Wissenschaft undTheorieproduktion unter 1.6. Hierauf wird der Leninismus von Korsch anders behandelt, Erdifferenziert zwischen Wissenschaft, Theorie und Praxis der Arbeiterbewegung. Danach folgtder bergang in die dreiiger Jahre.

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    1.2. Theorie und Geschichte

    Philosophie und revolutionre Gesellschaftswissenschaft

    Um den revolutionren Theorie- und Praxisbezug des Marxismus herzustellen und allgemeindeutlich zu machen, hatte bereits Lenin ein intensives Studium der Hegelschen Philosophieempfohlen. Wenn auch in der idealistisch verklrten Weise, nach der die Geschichtewesentlich Resultat des Geistes als dialektischer Proze der Entuerung des Absolutenaufgefat wurde, war die Hegelsche Philosophie jedoch kein leeres Hirngespinst und fr einbreiteres Marx-Verstndnis immer noch notwendiges Studienobjekt, um jenenZusammenhang zwischen Sein und Bewutsein zu verstehen, wie er in der Hegelschen undMarxschen Dialektik entwickelt worden ist. So scheinen nach Hegel die ,,Taten des

    Denkens" als geschichtlich, eine Sache der Vergangenheit zu sein und jenseits unsererWirklichkeit zu liegen. In der Tat aber was wir sind, sind wir zugleich geschichtlich ... DerBesitz an selbstbewuter Vernnftigkeit, welcher uns, der jetzigen Welt angehrt, ist nichtunmittelbar entstanden und nur aus dem Boden der Gegenwart gewachsen, sondern es ist dieswesentlich in ihm, eine Erbschaft und nher das Resultat der Arbeit, und zwar der Arbeit allervorhergegangenen Generationen des Menschengeschlechts.8

    Entgegen der landlufigen Meinung einiger orthodoxer Marxisten zeigt Korsch inMarxismus und Philosophie", da viele Marxisten mit der Hegelschen Philosophie hnlichverfahren, wie Feuerbach einst mit dieser umging, was Engels mit den Worten erledigte, erhabe sie einfach ungeniert beiseite geschoben. So wurde die Beschftigung mit

    erkenntnistheoretischen und methodologischen Schwierigkeiten in der II. Internationale alsberflssige Kraftverschwendung angesehen; man hat sie nicht verboten, meinte aber, fr denKlassenkampf seien solche Fragen irrelevant. Es bestand deshalb fr die Theoretiker der II.Internationale kein Widerspruch darin, wenn ein ,,fhrender Marxist" im PrivatlebenAnhnger der Philosophie Schopenhauers war. So gab es scheinbare bereinstimmungenzwischen brgerlicher und marxistischer Wissenschaft Man meinte, entweder der Marxismushabe mit Philosophie nichts zu tun, bese keinen eigenen philosophischen Gehalt oder manergnzte ihn durch Kantianische, Dietzgensche, Marxsche Gedanken.

    Korsch will verdeutlichen, da ein derartiges Verstndnis von Theorie und Praxis auf einenvorhegelianischen Standpunkt zurckfllt. Wir werden nmlich sehen, da ganz hnlich wie

    bei den brgerlichen Gelehrten der 2. Hlfte des 19. Jahrhunderts mit dem totalen Vergessender Hegelschen Philosophie auch jene 'dialektische' Betrachtung des Verhltnisses vonPhilosophie und Wirklichkeit, Theorie und Praxis gnzlich verloren gegangen ist, die in derhegelschen Epoche das lebendige Prinzip der gesamten Philosophie und Wissenschaftgebildet hatte, auf der anderen Seite auch bei den Marxisten in der gleichen Epoche dieursprngliche Bedeutung dieses dialektischen Prinzips, das in den 40-ger Jahren die beidenjugendlichen Hegelianer Marx und Engels bei ihrer Abwendung von Hegel mit vollemBewutsein 'aus der deutschen idealistischen Philosophie' und die 'materialistische'Auffassung des geschichtlich-gesellschaftlichen Entwicklungsprozesses hinber gerettethatten, mehr und mehr in Vergessenheit geraten war".9 Dieses Vergessen deutet den Verfalldes brgerlichen Denkens an. Schlielich war mit Hegel die brgerliche Philosophie zum

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    Abschlu gekommen, auch wenn in Deutschland der Kapitalismus noch nicht zumDurchbruch gelangt war, so hatte der deutsche Idealismus durch Hegel den 'Emanzipations-Proze' des Brgertums hnlich zum Abschlu gebracht, wie Ricardo die brgerliche

    konomie. Die brgerliche Klasse konnte nun nicht nur politisch und konomisch, sondernauch wissenschaftlich nicht mehr allein revolutionres Subjekt sein, in dem Moment, wo mitdem Durchbruch der kapitalistischen Produktionsweise der freie" Lohnarbeiter demKapitalisten gegen- ber stand. Die einzig zu leistende Aufgabe bestand darin, diesen sinnlichwahrnehmbaren praktischen Widerspruch zwischen Lohnarbeit und Kapital bewut zumachen und auf die Hhe der Wissenschaft zu erheben. Marx und Engels haben dies getan,stieen jedoch auch hier schon laut Korsch auf eine historische Schranke, wie im 2. Teil derArbeit gezeigt wird.

    In Marxismus und Philosophie" geht es Korsch vor allem erst einmal darum, zu erklren,wieweit Theorie und Praxis, Wissenschaft und Klassenkampf Ausdruck bestimmter Pro-

    duktionsverhltnisse und Klassenwidersprche sein mssen. Ob diese Parteilichkeit bewutoder unbewut eingenommen wird, ist letztlich gleichgltig, sie ist auf alle Flle vorhanden.Auf den verschiedenen Formen des Eigentums, auf den sozialen Existenz-Bedingungen"hatte Marx im 18. Brumaire geschrieben, erhebt sich ein ganzer berbau verschiedener undeigentmlich gestalteter Empfindungen, Illusionen, Denkweisen und Lebensanschauungen.Das einzelne Individuum, dem sie durch Tradition und Erziehung zuflieen, kann sich einbil-den, da sie die eigentmlichen Bestimmungsgrnde und den Ausgangspunkt seines Handelnsbilden."10

    Zu diesem, ber dem materiellen Reich der Produktivkrfte liegenden berbau gehrt sowohlin ihren inhaltlichen als auch in ihren formellen Elementen die Philosophie. Weil die brger-

    lichen Philosophen seit Mitte des letzten Jahrhunderts sich von der dialektischen Methode undder Hegelschen Philosophie losgesagt hatten, konnten sie letzten Endes auch mit demwissenschaftlichen Sozialismus von Marx und Engels nichts anfangen.

    Korsch stellt nun drei Schranken fest, denen die brgerlichen Philosophen des 19.Jahrhunderts erlegen waren: da

    1. der Ideengehalt einer Philosophie nicht nur in der Philosophie, sondern ebenso gut in denpositiven Wissenschaften und der gesellschaftlichen Praxis fortlebt;

    2. die deutschen Philister-Philosophen nur die deutsche Philosophie betrachteten und dabei

    die Weiterbeschftigung mit der Hegelschen Philosophie im Ausland bersahen;

    3. man den bergang von der Hegelschen Philosophie zum Marxismus vllig verkannte; sowurde die Auseinandersetzung mit Hegel bei den Junghegelianern als Zersetzungsproze derHegelschen Schule begriffen, worauf in den 60-ger Jahren nur der Rckgang zu Kant erfolgte.

    So ergab sich hieraus, da die deutsche Philosophie dieser Zeit nur ideologischer Ausdruckdes verfallenen brgerlichen Bewutseins sein konnte und demnach die marxistische Theorieder Ausdruck einer ihr entgegengestellten und sich im Konstitutionsproze befindlichenKlasse.

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    Es ist ein und derselbe geschichtliche Entwicklungsproze in dem einerseits aus derrevolutionren Bewegung des dritten Standes eine 'selbstndige' proletarischeKlassenbewegung hervorgeht, andererseits der brgerlichen Ideal-Philosophie die neue

    materialistische Theorie des Marxismus 'selbstndig' gegenber tritt ... Die Entstehung dermarxistischen Theorie ist, hegelianisch-marxistisch gesprochen, nur die 'andere Seite derEntstehung der realen proletarischen Klassenbewegung; beide Seiten zusammen erst bildendie konkrete Totalitt des geschichtlichen Prozesses".11

    Daraus folgert Korsch, da es die Aufgabe sei, alle brgerlichen Ideologien, Philosophienoder sonstigen geistigen Gebilde zu bekmpfen, solange sie noch existieren und immer wiederverschleiert neu" geboren werden - denn auch Marx und Engels haben Philosophien nicht alsleere Hirngespinste, sondern als realen Bestandteil einer vor ihren Augen stattfindendenBewegung behandelt und kritisiert:12

    1.3. Marxismus Leninismus

    Soziale Revolution und bergangsstaat

    Und ebenso wie mit der Philosophie verhalte es sich - und hier schimmert deutlicher Korschshchst aktuelles Anliegen durch - auch mit dem Staat. Gerade 1923, in seiner orthodox-leninistischen" Phase, in die auch die Arbeiter-Regierung in Thringen fllt, in der er als

    Justizminister ttig war, geht es Korsch darum, das revolutionr-materialistische Prinzip, dieFragen nach dem bergangsstaat in die breite Diskussion einzubringen. Die Orthodoxenhaben sich mit dem Problem - Staat und Politik - wenig beschftigt, und es sei das VerdienstLenins, diese Fragen 1917 aus dem praktischen Bedrfnis heraus auf die Tagesordnunggesetzt zu haben, denn nach der materialistischen Geschichtsauffassung sei nicht nur die allenanderen geschichtlich-gesellschaftlichen Erscheinungen letzten Endes zugrunde liegendeBasis, die konomische Struktur der Gesellschaft, sondern auch das Recht und der Staat, derjuristische und politische berbau ein Wirklichkeit", die nicht wie in den anarchistisch-syndikalistischen Theorien ignoriert und beiseite geschoben werden knne, sondern durcheine politische Revolution wirklich umgewlzt werden msse.13

    Gerade dieser wichtige Punkt wird oft aus heutiger Sicht nicht korrekt interpretiert. Hier seimit der Aufnahme von Korschs Gedanken gleich ein Fehlansatz diskutiert.

    Rusconi, Herausgeber von Korsch-Schriften in Italien und zu- gleich Interpret, hat hierzubemerkt, da die Konstruktion dieser Parallele von Staats-Problemen und Philosophie-Problemen, die einer der originellen Gedanken von 'Marxismus und Philosophie sei, aufdem brchigen Boden einer fast wrtlichen bertragung der alten Leninschen Frage des'Verhltnisses der Revolution zum Staat' in die Frage 'des Verhltnisses der Revolution zurIdeologie stehe.14

    Fr den Leninisten" Korsch kann sich 1923 diese Frage eigentlich gar nicht stellen, denn

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    letztlich spricht hier auch der Revolutionr, dem es darauf ankommt, mit derkommunistischen Partei die Revolution zu machen. Rusconi htte die Staatsfrage nher mitder Phase Einteilung aus Marxismus und Philosophie" und der leninistischen Position

    Korschs erklren mssen, so ist in der Kritik von ihm die politische Position und derhistorische Standort zu sehr vernachlssigt. Denn Korsch nimmt vom Standpunkt der Zentralegegen Fischer-Maslow in der Frage der Arbeiterregierung im gleichen Jahr folgende Positionein: Auch wir wollen die Einheitsfront mit der Arbeiterregierung als Propaganda benutzen.Aber wir wissen dabei, da fr eine kommunistische Partei das wirkliche Ziel ihrerPropaganda-Ttigkeit in nichts anderem besteht als in der Organisation des wirklichenrevolutionren Kampfes der proletarischen Klasse. Wollen wir diesen Zweck erreichen, sokann fr uns hierfr im gegenwrtigen Augenblick die chemisch-reine Formel 'Diktatur desProletariats' nichts ntzen, weil sie diesen wirklichen Zweck nicht erfllen, den wirklichenKampf der Arbeiterklasse im gegenwrtigen Augenblick nicht organisieren kann."15

    Man sieht aus diesem kleinen Beispiel, wie Korsch immer wieder das kritisch-pragmatischvernderbare Element im Marxismus aus der aktuellen Situation hervorhebt. Deshalb konntendie Rusconischen Befrchtungen, da sich der Raum der Wirklichkeit der Autonomie undfolglich der Kritik fr die Theorie sozusagen auf Null reduziert" gar nicht als Frage auf-tauchen - sie sind vielleicht eher ein Ergebnis reiner Theorie- Reflexion auerhalb einerrevolutionr-proletarischen Bewegung, also chemisch-reine" Theorie-Produktion.16

    Da sich die Kritik fr den Leninisten Korsch nicht auf Null reduziert, geht auch aus dem vonRusconi zitierten Der Standpunkt der materialistischen Geschichtsauffassung" hervor.Rusconi stellt diesen Sachverhalt allerdings so dar, als lge dieser Aufsatz zeitlich hinterMarxismus und Philosophie", und fr Korsch bestnde demzufolge die Notwendigkeit, die-

    ses Problem berzeugend zu lsen".17

    Tatschlich jedoch datiert jener Aufsatz auf das Jahr 1922 und kann daher als Vorstudie zuMarxismus und Philosophie" aufgefat werden. In Der Standpunkt der materialistischen

    Geschichtsauffassung" hatte Korsch geuert, da die materialistische Geschichtsauffassungin einem Teil ihres Wesens noch etwas" sei, was der brgerlichen Wissenschaft undPhilosophie gleichartig ist". Als kritische Widerlegung und berwindung der brgerlichenWissenschaft und Philosophie bleibe die materialistische Geschichtsauffassung unvermeidlichmit der einen Seite ihres Wesens selbst noch Wissenschaft und Philosophie."18 Mit deranderen Seite ihres Wesens aber schreite sie ber den brgerlichen Wissenschafts- und

    Philosophiehorizont doch zugleich hinaus.

    Ebenso verhalte es sich auch mit dem Staat, welcher als bergang nach dem proletarischenKlassenkampf an die Stelle des alten brgerlichen Staatsapparates treten msse. Nach dereinen Seite seines Wesens habe dieser Staat noch Eigen- schaften eines brgerlichen Staatesim heutigen Sinne, nach der anderen Seite seines Wesens habe er schon Eigenschaften, dieden bergang zur klassenlosen und staatenlosen kommunistischen Gesellschaft bilden.Rusconi stellt hierzu fest, da das stndige Hin- und Herlaufen zwischen verschiedenenSeiten des Wesens in der Tat vllig unzureichend" ist.19

    Diese Probleme sind fr Korsch, und das sollte der kurze Exkurs zeigen, als unmittelbar in

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    einer revolutionren Bewegung beteiligtem Akteur gar nicht zu lsen gewesen, weil zumanderen hierfr eine tiefere Analyse der kapitalistischen Gesellschaft, ein sozialistischer Sieg,die Herausbildung eines hohen Grades von Klassenbewutsein ntig gewesen wre. Diese

    Voraussetzungen waren trotz politischer Erfolge der kommunistischen Partei in Deutschlandjedoch nicht vorhanden, so herrschte ein Widerspruch zwischen politischem Masseneinfluund theoretischer Bildungsarbeit, der sich zwangslufig theoretisch und praktisch in allenBereichen niederschlagen mute.20

    Diese chaotischen Zeitumstnde mssen in Korschs Theorie zu einem spezifischen Hin- undHerlaufen zwischen den verschiedenen Seiten des Wesens in der geistigen Aktion" eben- sowie in der praktischen Frage des Staates in der bergangsphase fhren.

    1.4. Geistige Aktion" gegen brgerliche Ideologie

    Diese geistige Aktion" msse laut Korsch ebenso wie die politische und konomische Aktionnach der Ergreifung der Staatsgewalt durch das Proletariat Bestandteil des revolutionrenUmwlzungsprozesses bleiben, theoretisch und praktisch bis zu Ende gefhrt werden. Diesgelte fr alle Bewutseinsformen der brgerlichen Gesellschaft im Allgemeinen, wie fr diephilosophische Aktion im Besonderen. Das brgerliche Bewutsein ... mu durch dierevolutionr materialistische Dialektik, die Philosophie der proletarischen Klasse, auchphilosophisch bekmpft werden, bis es am Ende dieses Kampfes zugleich mit der

    vollstndigen praktischen Umwlzung der gesamten bisherigen Gesellschaft mit samt ihrenkonomischen Grundlagen, auch theoretisch vollstndig berwunden und aufgehoben seinwird".21

    Diese Problematik hat Korsch jedoch leider nicht nher ausgefhrt. So bleibt offen, wie inForm und Inhalt nach der Eroberung der Staatsgewalt durch das Proletariat die brgerlichenBewutseins-Restbestnde berwunden werden. Nach der einen Seite hin, wo sie alsbrgerliche zu kennzeichnen sind, ist diese Frage klar, doch nach der anderen Seite, wie sievom Proletariat angeeignet und weiter entwickelt werden, bleibt dies bei Korschunbeantwortet.

    Letztlich ist jener Kampf gegen die brgerlichen Bewutseinsformen etc. in dervorrevolutionren Gesellschaft, in der das Proletariat die Staatsgewalt noch nicht erobert hat,ein anderer, als in jener Phase des bergangs, in der die Staatsgewalt in den Hnden desProletariats liegt, wenn die eigentliche Erbschaft und die Neudeterminierung derselben erst inihrer Vollstndigkeit eingelutet werden kann.

    Im Laufe des Geschichtsprozesses mit der Vernderung der Produktivkrfte undProduktionsverhltnisse, der Herausbildung des Klassenbewutseins mte in der Phase desbergangs dieses reine Wissen in Bildung, Umbildung, d.h. eigene Theorie-Produktionumschlagen, sodann tritt die Arbeiterklasse auch in diesem Bereich die eigentliche Erbschaftan.

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    So konsequent fhrt Korsch, der im Wesentlichen auf Engels Bezug nimmt, dieErbschaftsfrage nicht durch, wie man anhand der Antikritik sehen kann. Bis 1930 hat Korschdieses Problem in der folgenden Weise begriffen.

    Friedrich Engels hatte 1888 am Ende seiner Schrift Ludwig Feuerbach und der Ausgang derklassischen deutschen Philosophie" die deutsche Arbeiterklasse als die 'Erbin der deutschenklassischen Philosophie' bezeichnet. Und Korsch kennzeichnet dieses Erbe alsWissensaneignung", was in dem bekannten Ausspruch Wissen ist Macht" zum Ausdruckkommt. Nur in soweit die deutsche Arbeiterbewegung damals, in der Zeit der Entstehung derII. Internationale die Marx-Engelssche Theorie im Ganzen, und damit auch diephilosophischen Elemente dieser Theorie 'rezipiert' hat, kann die damalige 'deutscheArbeiterbewegung' als die 'Erbin der deutschen klassischen Philosophie' betrachtetwerden."22

    Allerdings erfolgte die Aneignung der Marx-Engelsschen Theorie durch die Brille der II.Internationale.23

    Um die hier angeschnittenen Fragen der Ideologie, des Theorie- und Praxisverhltnisses nherzu betrachten, ist es not- wendig, sie im Zusammenhang mit Korschs Phasentheorie, in derdas Verhltnis marxistischer Theorie zur proletarischen Klassenbewegung nher beleuchtetwird, zu begreifen.

    Es kann davon ausgegangen werden, da brgerliche Ideologie-Produktion wie ebenfallsrevolutionre Theorie, wenn sie nicht im Reiche der Unmittelbarkeit stecken bleiben soll,wesentlich Geschft der brgerlichen Intellektuellen ist, d.h. das Verhltnis zwischen

    proletarischem Emanzipations-Proze und Konstitution des Proletariats als Klasse, wird biszum Abschlu dieses Prozesses immer ein brgerlich-proletarisches sein.24

    Korsch hat dies 1931 in seinen Thesen ber Hegel ansatzweise erkannt. In Marxismus undPhilosophie" sieht er dieses Problem noch nicht. Er betrachtet also nicht, wie weit brgerlicheIdeologie nach abgelaufenem Konstitutionsproze nicht anders bekmpft werden kann undmu.25

    Brgerliche Ideologien etc. sind vom proletarischen Standpunkt aus nicht mehr als geistigeAktionen" im Sinne Korschs. Sie sind in einer neuen sinnlich-praktischen Ttigkeit zu ber-winden, weil durch den Konstitutionsproze das Theorie-Praxis-Verhltnis ein anderes

    geworden ist. Nicht mehr das brgerliche Bewutsein bekmpft seine eigenen Ideologien,sondern das proletarische Bewutsein, setzt sich mit ihnen im revolutionren Kampf, derdurch das vernderte Verhltnis von Produktivkrften und Produktionsverhltnissen geschaf-fen worden ist, auseinander, wodurch also das Verhltnis zwischen dem Bewutsein undseinem Gegenstand ein anderes geworden ist. Fr den brgerlichen Militanten Korsch stehendiese Fragen noch nicht auf der Tagesordnung.26

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    1.5. Die Phasentheorie

    Marxismus und Arbeiterbewegung

    Korsch geht es viel mehr darum aufzuzeigen, wie weit mit mit der Anwendung derdialektischen Methode von Marx sich auch das Verhltnis von marxistischer Theorie undproletarischem Klassenkampf verschoben hat. Dies Verhltnis gibt Aufschlu darber, wiebei der Wiederherstellung des Marxismus mit den Theoretikern der II. Internationale zuverfahren sei, wie diese die marxistische Theorie verdreht haben und wie im Gegensatz dazuMarx und Engels einen viel klareren Bezug zur Bewegung hatten und in ihrerwissenschaftlichen Kritik eine hhere Ebene erreichten. Hier liegt dann 1923 wie heute dereigentliche Anknpfungspunkt zur Wiederherstellung des Marxismus oder zu seiner

    Oberwindung im Sinne einer Weiterentwicklung durch die Erbschaft.

    Durch die Anwendung auf die Geschichte der Arbeiterbewegung und des Marxismusunterscheidet Korsch drei groe Entwicklungsperioden, welche der Marxismus nach seinerEntstehung durchlaufen hat. Die erste Periode beginnt um 1843 mit der Kritik der HegelschenRechts-Philosophie. Sie endet mit dem Beginn der Revolution, oder besser am Vorabend der48-er Revolution mit der Abfassung des Kommunistischen Manifest". Die zweite Periodebeginnt mit der Niederwerfung des Pariser Proletariats 1848 in der Juni-Schlacht. In sie hineinfallen Grndung und Untergang der I. Internationale, die Pariser Kommune, der Kampf derLassalleaner und Marxisten, die Sozialistengesetze und die Gewerkschaftsgrndung, Grn-dung der II. Internationale - sie endet etwa um die Jahrhundertwende und geht ber in die

    dritte Periode, die fr Korsch z.Zt. der Anti-Kritik noch fortdauert.

    In Marxismus und Philosophie" bezeichnet er die zweite Periode als Zeit, in der nichtproletarische Klassengeschichte im allgemeinen, sondern nur die innereEntwicklungsgeschichte der marxistischen Theorie in ihrem Zusammenhang mit der all-gemeinen Klassengeschichte" stattgefunden hat.27 So stelle der wissenschaftlicheSozialismus des Kapitals" und der brigen Schriften eine in vieler Hinsicht vernderte undweiter entwickelte Erscheinungsform der marxistischen Gesamttheorie gegenber demunmittelbar revolutionren Kommunismus des Manifests von 1827/1848 bzw. auch desElends der Philosophie", der Klassenkmpfe in Frankreich" und des 18. Brumaire" dar.

    In ihrem wichtigsten Grundzug aber bleibt die marxistische Theorie auch in den spterenSchriften von Marx/Engels wesentlich unverndert. Auch in seiner weiterentwickeltenErscheinungsform bleibt der Marxismus von Marx und Engels das umfassende Ganze einerTheorie der sozialen Revolution Die Vernderung besteht nur darin, da in der spteren Phasedie verschiedenen Bestandteile dieses Ganzen, konomie, Politik, Ideologie -wissenschaftliche Theorie und gesellschaftliche Praxis - weiter auseinander treten. Aber derMarxismus lst sich niemals, wie es einige Vulgrmarxisten spter taten, in eine Summe vonEinzelwissenschaften auf. Korsch verweist in diesem Zusammenhang auf HilferdingsFinanzkapital". Nur bei oberflchlicher Betrachtung scheint es", so Korsch, als htte diereine Theorie des Denkens die Praxis des revolutionren Willens zurckgedrngt."28

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    Die Arbeiterbewegung habe die hochentwickelte marxistische Theorie in der 2. Hlfte des 19.Jahrhunderts nicht rezipieren knnen, so da sie teilweise hinter dieser revolutionren Theoriezurckblieb" bzw. ihr widersprach. So war in dieser Phase der Marxismus keine wirkliche

    Theorie, d.h. 'bloer allgemeiner Ausdruck fr die tatschlich vor sich gehende Bewegung'(Marx), sondern immer nur eine 'von auen' fix und fertig angenommene 'Ideologie'.28

    Ganz anders sah dieses Problem G. Sorel, der Vertreter eines Sozialismus, dessen Auffassunges war, da der Sozialismus aus einer reinen proletarischen Bewegung hervorgehen msse. Erschreibt: Die Ideen Bernsteins fanden sehr gnstige Aufnahme bei denen, die wnschten, dader Marxismus aus der Unbeweglichkeit herauskme, in der Kautsky ihn halten mchte.Indem Bernstein die Zusammenhangslosigkeit des Systems aufzeigte, bewies er, wienotwendig es sei, die Grundtendenzen des modernen Sozialismus von neuem, wenn auch nurvorbergehend, ins Gleichgewicht zu bringen. So wurde einer Lehre, die bis dahin zurUnfruchtbarkeit verdammt war, neues Leben eingeflt; das aber war eine Auflsung des

    Marxismus."30 Was Korsch als Ideologisierung des Marxismus bezeichnet und von Sorel alsAuflsung des Marxismus gesehen wird, kennzeichnet ein hnliches Problem. Korschreflektiert den Wissenschaftsstandpunkt des Marxismus auf die Arbeiterklasse und stellt ihrnoch nicht weit genug entwickeltes Bewutsein fest - weshalb er vom Zurckbleiben" derArbeiterbewegung hinter der hochentwickelten Theorie spricht. Es ist dies der Blickwinkelvon oben", vom Brgerlichen auf das Proletarische hin, whrend in der Betrachtungsweisedes rein" Proletarischen, der wissenschaftliche Standpunkt stark ausgeblendet und auchverkannt wird, wie Korsch im folgenden Bezug auf Das Kapital" vorfhrt.

    Im Kapital" bricht der revolutionre Wille auch uerlich immer wieder hervor. Als einBeispiel gibt Korsch den 7. Unterabschnitt des 24. Kapitels ber die geschichtliche Tendenz

    der kapitalistischen Akkumulation an.31 Korsch wendet sich gegen die Vulgrmarxisten, beidenen die Kritik der politischen konomie" eine rein theoretische Aufgabe hat. Siekritisieren die brgerliche Volkswirtschaft und stellen die Ergebnisse der Arbeiterparteisozusagen zur Verfgung. Diesen naiven Realismus, der eine Trennungslinie zwischen demBewutsein und seinem Gegenstand vollzieht, kritisiert er dahingehend, da Marx undEngels nicht nur in ihrer ersten philosophischen Periode, sondern auch in der zweiten, positiv-wissenschaftlichen, von solch (dualistisch) metaphysischen Auffassung des Verhltnisses vonBewutsein und Wirklichkeit" entfernt waren.32

    Der Kern des Marxismus bestehe gerade darin, keinen Trennungsstrich zu machen zwischenBewutsein und Wirklichkeit, denn dieses bedeutet, da auch die materiellen Produktions-

    verhltnisse der kapitalistischen Epoche das, was sie sind, nur zusammen mit denjenigenBewutseinsformen sind, in denen sie sich sowohl im vorwissenschaftlichen als auch im(brgerlich) wissenschaftlichen Bewutsein dieser Epoche wieder- spiegeln, und ohne dieBewutseinsformen in Wirklichkeit nicht bestehen knnten, eine Kritik der politischenkonomie nie und nimmer zu dem wichtigsten Bestandteil einer Theorie der sozialenRevolution htte werden knnen".33

    So ist fr Korsch der Marxismus nicht wie fr die orthodoxen Marxisten unparteiliche, reineobjektive oder wie auch immer sogenannte Theorie, sondern revolutionre Wissenschaft desProletariats", Theorie der sozialen Revolution, die im Gegensatz zur Philosophie Hegels dasBestehende nicht rechtfertigt, sondern kritisch revolutionr umwlzt. Ebenso wie die

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    Orthodoxen, so werden auch die Reformisten der II. Internationale kritisiert. Bereits Marx undEngels haben sich verbittert ber die Programme der deutschen Sozialdemokratieausgesprochen und kritisiert, da sie auf ideologischem Gebiet fast nur reformistische

    Forderungen" aufstelle, in denen von dem wirklichen, materialistisch-revolutionren Prinzipdes Marxismus kein Hauch mehr zu spren" sei.34 Erst durch die Wiederherstellung desMarxismus in den kommunistischen Parteien leninistischen Typs ist das revolutionreTheorie- und Praxis-Prinzip verwirklicht.

    Im Jahre 1923 sieht Korsch im leninistischen Parteitypus das Instrument dieserWiederherstellung des revolutionren Marxismus, obwohl er bereits die theoretischenGrundlagen des 'Leninismus' kritisiert hat. Michael Buckmiller hat in seiner ArbeitMarxismus als Realitt" auf diese Art Schere" aufmerk- sam gemacht.35 Korsch selber istdiese Schere" erst nach dem Heraustreten aus der Arbeiterbewegung bewut geworden.36 Inder Anti-Kritik geht er auf dieses Verhltnis zwischen marxistischer Theorie und

    proletarischer Praxis nher ein.

    1.6. Theorie und Praxis

    Brgerliche Intellektuelle und proletarisches Klassenbewutsein

    Hiermit beginnt der Umschlagproze in der Betrachtungs- weise. Alle bisher angeschnittenen

    Probleme der Ideologiekritik der Wiederherstellung des revolutionren Marxismus etc. sind inden bislang aufgefhrten Zitaten aus der Antikritik" nur noch schrfer formuliert als inMarxismus und Philosophie". Aber mit dem Ausschlu aus der Kommunistischen Parteiverndert sich Korschs Auffassung von Theorie und Praxis in der Antikritik". Er stellt sichals Intellektueller ohne Bezug zur Arbeiterbewegung auf den Standpunkt des Proletariats".Er betrachtet die Entwicklung von unten" - vom rein proletarischen Standpunkt. Hierbei gehtdie brgerliche Erbschaft und damit auch die marxistische Erkenntnistheorie unzureichend indie Theorie-Praxis-Problematik ein. Auch wenn er hierbei die Marxsche Methode verkennt,so stellen diese berlegungen doch einen wichtigen Beitrag zur Weiterentwicklung undberwindung des Marxismus dar.

    Der Marxismus als Ganzes ist in der zweiten Hlfte des 19. Jahrhunderts fr Korsch nun nichtmehr wirkliche Theorie einer revolutionren Bewegung. Dadurch wird von ihm dasVerhltnis von der Entwicklung der marxistischen Wissenschaft einerseits, und der Theorieund Praxis innerhalb der proletarischen Bewegung andererseits neu reflektiert. Diese Liniefhrt direkt zu den Thesen ber Hegel und die Revolution" aus dem Jahre 1931. Zumzweiten wird seine theoretische Position gegenber dem Leninismus und der Sowjetunionimmer kritischer. Vom strammen" Leninisten (1923) ber den Kritiker der Komintern-Politik, die die kommunistischen Bruderparteien immer mehr zum Instrument derAuenpolitik der Sowjetunion mache, wird Korsch nun auch zum schrfsten Kritiker derleninistischen Theorie.

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    Der ultralinke brgerliche Intellektuelle Korsch reflektiert nun von der proletarischenBetrachtungsweise" aus die eben angeschnittenen Fragen auch in ihrem Bezug auf denWissenschafts-Produzenten - den Intellektuellen. Korsch sieht zu seiner Zeit noch nicht die

    Mglichkeiten einer Wissenschafts-Produktion durch Teile des Proletariats, er reflektiertdiesen Aspekt auch nicht als Mglichkeit in der bergangsgesellschaft; dies hngt wieder mitseiner Haltung gegenber der Sowjetunion zusammen. Darin liegt auch ein Scheitern seinerVersuche, die revolutionre Theorie wiederherstellen zu wollen.

    Viele orthodoxe Marxisten waren nach Korschs Ansicht der Meinung, die revolutionreTheorie sei durch die knftige Arbeiterbewegung nur noch auszufllen oder wie Kautsky undLenin behaupteten, der Sozialismus sei nur 'von auen' durch die brgerlichen Intellektuellenals Trger der Wissenschaft an geistig hervorragende Proletarier mitzuteilen, die ihn dann inden Klassenkampf des Proletariats hineintragen. So war auch Rosa Luxemburg 1903 derAnsicht, da Entwicklung und Stillstand im Marxismus", einerseits auf die geistige

    Schpferkraft des seinerzeit mit allen Hilfsmitteln brgerlicher Klassenbildung ausgerstetgewesenen Marx" zurckzufhren sei, andererseits auch die fr die ganze Dauer derkapitalistischen Epoche unverndert fortbestehenden 'sozialen Daseinsbedingungen desProletariats in der heutigen Gesellschaft' keinen anderen Weg ermglichten.37

    Dagegen habe das Proletariat in der Phase der Herausbildung und Entwicklung desMarxismus in der letzten Phase der der 1. Hlfte des 19. Jahrhunderts eine theoretische undpraktische Entwicklungsstufe erreicht, die die II. Internationale in dieser Form noch nichtwieder erreicht hatte. Fr die Entwicklung des Marxismus hatte dies fr Korsch folgendeKonsequenzen: Als in der Mitte des Jahrhunderts die in der vorhergehenden geschichtlichenEpoche bereits zu einer hohen Entwicklungsstufe gelangte Arbeiterbewegung vorlufig vllig

    aufhrte und auch in der Folge unter den vernderten objektiven Bedingungen erst ganzallmhlich wieder auflebte, konnten auch Karl Marx und Friedrich Engels ihre ursprnglichim unmittelbaren Zusammenhang mit der praktischen revolutionren Bewegung konzipierteTheorie nur noch als Theorie fortbilden."38

    Eigentmlicherweise mit Korsch mit einem ungleichen Mastab: hier marxistische Theorie,die in unmittelbarem Zusammenhang mit der revolutionren Bewegung vor 1850 entstandenwar, und dort proletarische Klassenbewegung gegen Ende des 19. Jahrhunderts, die dieseTheorie nicht mehr rezipieren konnte.

    Die marxistische Theorie, die als ein Ausdruck der sozialen Bewegung vor 1850 entstanden

    war, stand auch schon damals unter einem Widerspruch, den Korsch weder in Marxismusund Philosophie" noch in der Antikritik" erkennt, sondern erst 1931 in seinen Thesen berHegel andeutet. Dieser Widerspruch entspringt aus den gesellschaftlichen Verhltnissen, denunmittelbaren Lebensbedingungen des Proletariats selber. Marx und Engels haben mit demRstzeug der brgerlichen Klasse" vom berbau der brgerlichen Gesellschaft aus diemateriellen Produktivkrfte und Produktionsverhltnisse analysiert und sie haben in dieserZeit des bergangs von der deutschen idealistischen Philosophie zur materialistischenGeschichtsauffassung die im Unterbau" der Gesellschaft entstandenen proletarischenEmanzipationsanstze aufgegriffen und wissenschaftlich revolutionr weiterentwickelt.Dieses Verhltnis von Theorie und Praxis knnte, wie eingangs schon angedeutet, alsbrgerlich-proletarisches gekennzeichnet wer- den - allerdings als ein historisch bedingtes,

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    das durch den geschichtlichen Proze selber auch in sein Gegenteil umschlagen mu.

    Entscheidend ist hier wohl folgendes: Selbst wenn die Arbeiterbewegung gegen Ende des

    Jahrhunderts unmittelbar an die Tradition von 1850, d.h. an die damals entwickeltemarxistische Theorie angeknpft htte, so wre jener oben charakterisierte Widerspruch nichtaus der Welt geschafft worden. Das unzeitgem" hohe Niveau der marxistischen Theorie istnicht nur eine Frage der Weiterentwicklung der Arbeiterbewegung in Theorie und Praxis,sondern auch ein Problem zwischen der Theorie, die als revolutionre Wissenschaft fr dasProletariat von auen" entwickelt wird und des proletarischen Emanzipationsprozesses, wieer sich durch das Verhltnis von Produktivkrften und Produktionsverhltnissen, Produktionund Klassenkampf fortpflanzt; - bis dahin mu die proletarische Wissenschaft" als reinesWissen" vom Proletariat aufgenommen werden.39

    Dagegen setzt der eigentliche Emanzipationsproze ein, wenn die materialistische Theorie

    und Praxis als Ganzes von Teilen des Proletariats aufgenommen und umgeformt wird. Damitsind die Bedingungen zur Lsung der Frage des Klassenbewutseins geschaffen. Erst dann istder Umschlag zwischen Bewutsein und Gegenstand mglich. Dann wird der brgerlichedurch den proletarischen Intellektuellen abgelst.

    Diese Widersprche und die damit vorhandenen Entwicklungsbedingungen sieht Korsch auchbei seiner Phaseneinteilung noch nicht klar. Als Frage tauchen sie ansatzweise ab dendreiiger Jahren auf, wie der Leser im zweiten Teil dieser Arbeit sehen wird.

    1.7. Marx - Lenin

    Brgerliche und proletarische Klasse in der sozialen Aktion

    Fr Lenin und die bolschewistische Partei sind die eben angeschnittenen Probleme aber nichtnur von theoretischer Bedeutung, Sondern vor allem von praktischer Bedeutung. Seine vonauen" in das Proletariat hineingehenden brgerlichen Intellektuellen haben in der Tat fr diedamalige russische Situation eine entscheidende Bedeutung, von der Sieg oder Niederlageeiner Revolution abhing, soda die 1930 von Korsch hervorgehobenen philosophischen

    Fragen im Leninismus eine untergeordnete Rolle spielen.

    Fr Korsch war 1923 dieses Problem ebenfalls nicht so bedeutend und auch nicht bewut -erst nach seinem Ausschlu aus der KPD und seiner praktischen Isolation von derkommunistischen Arbeiterbewegung mit er ihr in der Antikritik" hhere Bedeutung zu. Ergesteht aber auch dort der leninistischen Theorie eine historische Bedeutung zu, die sich ausder konomischen und gesellschaftlichen Lage Rulands ergeben hatte. Anders verhlt es sichnun mit der Theorie und Praxis der leninistischen Partei in West-Europa.

    Diese gesamte 'leninistische Theorie ist aber kein ausreichender theoretischer Ausdruck frdie praktischen Bedrfnis- se der gegenwrtigen Entwicklungsstufe des internationalen

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    proletarischen Klassenkampfes und die als das ideologische Fundament jener leninistischenTheorie dienende materialistische Philosophie Lenins ist aus diesem Grunde auch nicht die,die der heutigen Entwicklungsstufe entsprechende revolutionre Philosophie des

    Proletariats".40

    Wenn 1929 die leninistische Theorie keine revolutionre Berechtigung mehr hatte, so war sieaber, und hier liegt bei Korsch eine ambivalente Haltung zugrunde, schon vor dem erstenWeltkrieg ein Bestandteil des orthodoxen Marxismus, ja die russische Marx-Orthodoxie habenoch einen ideologischeren Charakter gehabt als die deutsche Marx-Orthodoxie. Diese immerschrfer werdende kritische Position Korschs setzt gerade in dem Moment ein, wo Korsch denpraktischen Kontakt zur Arbeiterbewegung immer mehr verloren hat.41 Seinewissenschaftliche Kritik der theoretischen Voraussetzung des Leninismus trifft wohl derenwissenschaftlichen Kern, kann aber von dieser Ebene aus nicht die Arbeiterbewegung und dieOktober-Revolution treffen. Korsch kann mit seiner Kritik weder die historischen

    Widersprche der Arbeiterbewegung aus der Welt schaffen, noch kann die Arbeiterbewegungum der Wissenschaft willen notwendige Entwicklungsbedingungen berspringen. Solange derKonstitutionsproze des Proletariats in der bergangsgesellschaft nicht das erste Stadiumseiner eigenen wirklichen Emanzipation erreicht hat, mu die Vorherrschaft der brgerlichenKlasse und ihrer Produktionsweise und deren theoretischer und praktischer Einflu, auch dieproletarische Bewegung mitbestimmen. Diese Ambivalenz drckt sich deutlich in der HaltungKorschs aus, wenn er Lenins Widerspiegelungs- und Parteitheorie kritisiert.

    Lenin war in seiner Schrift Materialismus und Empiriokritizismus" zu einemerkenntnistheoretischen Standpunkt gelangt, der sich zwar aus der historischenRckstndigkeit Rulands erklren lt, aber mit der dialektisch revolutionren Methode

    Marxens wenig zu tun hat. Der Materialismus berhaupt anerkennt das objektive Sein (dieMaterie), das unabhngig ist von dem Bewutsein, der Empfindung, der Erfahrung usw. derMenschheit. Der historische Materialismus anerkennt das gesellschaftliche Sein unabhngigvom gesellschaftlichen Bewutsein der Menschheit. Das Bewutsein ist hier wie dort dasAbbild des Seins, bestenfalls sein annhernd getreues Adquates (idealexaktes) Abbild."42

    Korsch hat in seiner .Antikritik" diesen Standpunkt Lenins ausfhrlicher kritisiert undgezeigt, da durch diese einseitige Verlagerung der Dialektik in das Objekt, die Natur und Ge-schichte, bei der die Erkenntnis passive Widerspiegelung des objektiven Seins ist, dasdialektische Verhltnis von Sein und Bewutsein und somit auch zwischen Theorie undPraxis zerstrt wird. In der Frage nach dem Objekt und Subjekt der Erkenntnis fat Lenin, so

    Korsch, zugleich diese Erkenntnis als einen grundstzlich widerspruchslos fortschreitendenevolutionren Proze und als einen unendlichen Proze an die absolute Wahrheit auf."43

    Die Frage nach der Theorie und Praxis im revolutionren Proze lse sich demnach in eineGegenberstellung - eine reine Theorie, die die Wahrheiten finde und eine reine Praxis, diediese gefundenen Wahrheiten auf die Praxis anwende - auf. Im unmittelbaren Zusammenhanghiermit ist auch Lenins Auffassung von Klassenbewutsein zu sehen, nach der die Arbeiternur konomisches Bewutsein entwickeln knnen; deshalb bedarf es eines bergeordnetenSubjekts, - der Partei leninistischen Typs, die die Dinge durchschauen kann, - welches dieWahrheit erfat und durchsetzt.

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    Die bolschewistische Partei im Falle der Oktoberrevolution erhlt von daher den Charaktereiner Mannschaft von Sozialtechnikern", die einige emanzipative Strmungen unterdrckenmu, um die erste sozialistische Revolution nicht zu gefhrden.44

    Vom reinen revolutionr-wissenschaftlichen Standpunkt, wie ihn Korsch in der Antikritik"und noch schrfer spter in dem Aufsatz zur Geschichte der marxistischen Ideologie inRuland" (1932) vertritt, ist die leninistische Theorie und Praxis letzten Endes als brgerlich-kapitalistische Aufbaubewegung" zu kritisieren, jedoch luft dieser Standpunkt darauf hinaus,zu der brgerlichen Arbeiterbewegung" ein kontemplatives Verhltnis zu gewinnen. Vondiesem Standpunkt aus wird zwar die eine Seite als brgerlich reflektiert - aber die andereSeite nicht als die eines im Werden begriffenen Konstitutionszusammenhangs erfat.45

    Andererseits birgt die Entwicklung einer Partei (unter den spezifisch konomischenBedingungen), wie die der Bolschewiki in diesem Stadium des bergangs vom Kapitalismus

    zum Sozialismus eine Reihe von Konsequenzen, Fehlentwicklungen, die u.U. nur durch langerevolutionre Arbeit zu berwinden sind. Aber letzten Endes ist der schlechteste Sozialismusimmer noch besser als der beste Kapitalismus und ein grerer Fortschritt als einewissenschaftliche Kritik dieses Fortschritts.

    Beide Seiten, die revolutionr wissenschaftliche" und die realpolitische einerbolschewistischen Partei sind aber, abgesehen von der anfnglichen RckstndigkeitRulands, nur die zwei Seiten eines und desselben Prozesses, welcher den bergang vonbrgerlicher und proletarischer Theorie und Praxis, also auch brgerlicher und sozialistischerGesellschaftsform ausmacht und als historische Schranke zu begreifen ist.46

    2.1. Die erneute Marx - Hegel - Rezeption

    Korschs Gedanken ab 1930 aus heutiger Sicht

    Whrend Korsch in den 20-er Jahren als aktiver Revolutionr der KPD immer wieder dierevolutionren Bestandteile des Marxismus hervorkehrte und nach der Isolierung von einerMassenbewegung durch Ausschlu aus der KPD 1926 diese Position weitgehend gegenber

    allen orthodoxen Richtungen mit seiner Anwendung des Marxismus auf den Marxismus sel-ber durchfhrte, (so in der gegen Kautsky gerichteten Schrift MaterialistischeGeschichtsauffassung"), so wird Anfang der 30-er Jahre nach vorbergehendem Aufschwungund erneuter Niederlage der kommunistischen Bewegung seine Position gegenber demMarxismus selber immer kritischer; sie beginnt wieder mit einer Hegel-Rezeption.

    Seinen Ausgangspunkt findet die Suche nach neuen theoretischen Anstzen in den Thesenber Hegel und die Revolution" 1931 und fhrt von da ber die Zricher Thesen 1950 zumBuch der Abschaffungen (ca. 1956). Faschismus, Exil, Stalinismus, Zweiter Weltkrieg,Ausbreitung des Sozialismus in Europa und Asien - diese Ereignisse schlagen sich in derKorschTheorie nieder und fhren zu theoretischen Schwankungen und Widersprchen. In

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    seinem Marx-Buch zeichnet sich dieser Kampf mit dem Marxismus sehr deutlich ab. AuerKarl Marx" hat Korsch in dieser Zeit kein greres Werk mehr zustande- gebracht, so daein umfassendes Korsch-Bild nur entsteht, wenn man auer den verffentlichten Aufstzen,

    Briefe und Manuskripte zu Hilfe nimmt. In der Korsch-Forschung ist diese Periode bishernoch nirgends eingehend durchdrungen worden.

    Deshalb beruht das Schwergewicht dieses Teils der Arbeit darauf, die von Korschentwickelten Anstze, die von einer Weiterentwicklung zur berwindung der MarxschenTheorie fhren knnten, ansatzweise herauszuarbeiten, ohne dabei historische Schranken,Fehlanstze zu vertuschen.

    Unter welch neuen Aspekten Korsch jetzt den bergang von Hegel zu Marx und dieBeziehung zu Lenin sieht, wird unter Punkt 2.2 gezeigt. Was proletarische Theorie und Praxisim Ansatz ist, haben Marx und Engels klarer gesehen als Korsch, dennoch liefert dieser

    brauchbare berlegungen. Um vom proletarischen Theorie- und Praxis-Verhltnis zu einerneuen Wissenschaft zu kommen, mu wieder der klassenmige Bezug jeder Wissenschafterrtert werden. Dies geschieht unter 2.3. Um Miverstndnissen vorzubeugen: es geht nichtum Herkunft- oder Standpunktfragen, sondern um gesellschaftliche Entwicklungsprozesse,die Korsch nicht ganz richtig interpretiert. Trotz des methodisch falschen Ansatzes, wie dieLeninismusproblematik zeigt, sind die berlegungen der Korsch- Gruppe interessant. Hierwird versucht, einen Unmittelbarkeitsbezug zwischen Theorie und Praxis undwissenschaftlicher Entwicklung herzustellen, wie er von linken Gruppen immer wiederpraktiziert wird - dies ist geradezu ein Kardinalfehler des Linksradikalismus.

    Es kommt zum Ausdruck, da Korsch nicht der Vertreter eines kontinuierlichen Teils der

    Arbeiterbewegung ist, sondern eben jener, der kurzfristig in die Bewegung hineinstt undebenso schnell wieder verschwunden ist, wenn sich die Realitt nicht schnell genug nachseinen Vorstellungen verndert.

    So sind es die Ereignisse in Spanien in der 30-er Jahren, die Korsch zu Fragen dermarxistischen und anarchistischen Arbeiterbewegung fhren.

    Der vorher errterte theoretische Hintergrund soll zum Schlu dann noch einmal Licht in dieFragen des bergangs werfen. Dies geschieht in der Diskussion der beiden Erzfeinde:Marxismus-Leninismus - Anarchismus unter 2.4.

    2.2. Hegel - Marx Lenin

    Dialektische Methode und Wirklichkeit

    In seinen Thesen ber Hegel und die Revolution" (1931) hebt Korsch die historischeSpezifitt der Hegelschen Philosophie der brgerlichen Revolution des 17. und 18. Jahrhun-derts. Sie drcke nicht den ganzen Proze der brgerlichen Revolution, sondern nur seinen

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    Abschlu aus: Sie ist insofern eine Philosophie nicht der Revolution, sondern der Restaura-tion".'

    Diese zweifache geschichtliche Bestimmung erscheine formell in einer zweifachenEinschrnkung des revolutionren Charakters der Hegelschen Dialektik:

    a Die Hegelsche Dialektik endet trotz der dialektischen Verflssigung aller vorgefundenenVerfestigungen im Ergebnis mit einer neuen Verfestigung; Verabsolutierung der dialektischenMethode selbst und damit zugleich des ganzen dogmatischen Inhalts des darauf von Hegelaufgebauten philosophischen Systems.

    b die in dem Ansatz der dialektischen Methode enthaltene revolutionre Pointe wird vonHegel in der Synthesis knstlich zurckgebogen zum 'Kreis', zur begrifflichenWiederherstellung der unmittelbar gegebenen Wirklichkeit und zur Vershnung mit dieser

    Wirklichkeit, zur Verklrung des Bestehenden."2

    Diese Spezifitt der Hegelschen brgerlich dialektischen Methode ist schlielich das hchstetheoretische Resultat des brgerlichen Emanzipationsprozesses, von daher mu die zweifacheEinschrnkung des revolutionren Charakters der Hegelschen Dialektik rhren. Im Jahre 1946erklrt Korsch die Thesen in folgender Weise: Dialektik wird hier nicht als eine ArtSuperlogik angesehen, d.h. nicht als eine Reihe von Regeln, die von individuellen Denkern imProze des Denkens gerade so wie die gewhnliche Logik angewendet werden und sich vondieser letzteren unterscheidet, wie die sogenannte hhere Mathematik von den einfacherenund tatschlich lngst berholten Regeln, die als 'elementare Mathematik' in unseren Schulenheute gelehrt werden. Sie wird vielmehr behandelt als eine Anzahl von charakteristischen

    Erscheinungen, die in der Aufeinanderfolge und Entwicklung der Gedanken in einergegebenen geschichtlichen Periode von auen beobachtet werden knnen." 2.1

    Aus einem Brief vom 25.11.1935 an seinen Schler Paul Parthos, mit dem er sein Marx-Buchdiskutierte, geht hervor, da Korsch nach einer Diskussion mit Brecht seinen Stand- punkt zurHegelschen Dialektik kurzfristig gendert hatte. Die scheinbare Lsung war ungefhr so",schreibt Korsch, da die Hegelsche Dialektik als eine auch nicht mehr brgerliche, sondernder Bourgeoisie durch den proletarischen Angriff aufgezwungene und von ihr zugleichsabotierte Denkweise dargestellt wurde."3

    Diese Auffassung entsprach aber mehr Brechts Idee. Korsch wollte dagegen auch zeigen,

    wieweit Restbestnde des deutschen Idealismus im Marxismus auftauchen und ihn in einehistorische Schranke weisen. Unter III in den Thesen ber Hegel heit es, da die vonMarx/Engels und Lenin vollbrachte Hinberrettung" der bewuten Dialektik aus demdeutschen Idealismus in die materialistische Auffassung der Natur und Geschichte, aus derbrgerlichen in die proletarische Revolutionstheorie" geschichtlich und theoretisch nur denCharakter des bergangs habe. Hiermit sei keine Theorie der proletarischen Revolution"geschaffen, wie sie sich auf ihrer eigenen Grundlage entwickelt habe, sondern umgekehrt,wie sie eben aus der brgerlichen Revolution hervorgeht", die in jeder Beziehung im Inhaltund in der Methode" noch mit den Muttermalen des Jakobinismus, der brgerlichenRevolutionstheorie" behaftet sei. Merkwrdigerweise spricht Korsch hier von der bewutenDialektik und der Revolutionstheorie, nicht aber vom wirklichen Verhltnis proletarischer

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    Theorie" einerseits und proletarischer Klassenbewegung andererseits. Sein Schwerpunkt liegtdort, wo er von der nicht auf ihrer eigenen Grundlage auf- gebauten Theorie spricht,Revolutionstheorie und nicht marxistischer Theorie im allgemeinen.4

    Korsch schreibt 1932, als er auf einen Widerspruch in der russischen Entwicklungaufmerksam macht, da es sich in Ruland um ein besonders deutliches Beispiel handele,einen Widerspruch, welcher in der einen oder anderen Form in allen Phasen dergeschichtlichen Entwicklung des Marxismus bemerkbar" sei. Er sei zu charakterisieren alsWiderspruch zwischen der marxistischen Ideologie einerseits und der unter dieserideologischen Verkleidung jeweils verborgenen wirklich geschichtlichen Bewegungandererseits".5

    Anders sei dies im Westen gewesen, so schreibt er in Anlehnung an seine schon inMarxismus und Philosophie" entwickelte Phasentheorie, hier habe die marxistische Theorie

    die Tendenz der durch die kapitalistische Entwicklung selbst erzeugten und ber sich hinausschwebenden proletarischen Klasse zum Ausdruck" gebrachte

    Hier zeichnet sich Korschs zwiespltige Position deutlich ab, wenn er den nach Rulandgelangten Marxismus als ideologische Importware deklariert, unter deren Firma" dann eineRevolution erfolgreich beendet wurde und von deren Anfngen er 1939 noch lobend bemerkt:Es war fr das russische Proletariat und seine bolschewistischen Fhrer sehr ntzlich, 1917die Erfahrung der wirklichen beginnenden Revolution zu machen, statt ber sie zuphilosophieren oder zu schreiben."7

    So schreibt er ber das von Lenin im Jahre 1899 verffentlichte konomische Hauptwerk

    Die Entwicklung des Kapitalismus in Ruland", da hier im Grunde von keiner Seite mehrdie marxistische Theorie als theoretischer Ausdruck einer proletarisch-sozialistischenBewegung vertreten" wurde .5

    Damit trennt er, wie schon in den 20-er Jahren, den Leninismus in Theorie und Praxis auf(was, wie vorher gezeigt, aus historischen Grnden bei Lenin angelegt ist), betont selber nunaber allein die Praxis und trennt sie vllig von der leninistischen Theorie und derWeiterentwicklung der marxistischen Wissenschaft durch Lenin. Denn nicht erst Lenin,sondern bereits Marx und Engels haben ihre fr die praktische Auseinandersetzung bentigtentheoretischen Grundlagen nicht aus der konomischen Entwicklung Deutschlands oderEnglands, sondern aus den Revolutionen Frankreichs bezogen und deren Ergebnisse in der

    europischen Revolution von 1848 im damals polit-konomisch rckstndigen LandDeutschland angewendet. Ganz hnlich verfuhr 50 Jahre spter der Bolschewik Lenin, demaber im Gegensatz zu Marx und Engels die Ausarbeitung einer neuen Wissenschaft" erspartblieb, mit der Anwendung des Marxismus auf die damals in Ruland entstehendenkapitalistischen Verhltnisse.

    Beide Lnder (Deutschland in der 48-er Revolution und Ruland um die Jahrhundertwende)standen am Vorabend einer kapitalistischen Entwicklung, in die eine revolutionre Partei, dieim Zusammenhang mit einer europischen Bewegung stand, eingreifen wollte, - beide Malegreift Korsch die Hinberrettung" der bewuten Dialektik" und den Jakobinismus in dertheoretischen Grundlage an. Seine Fehleinschtzungen der realen Situation einerseits und die

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    falsche Anwendung des Marxismus als allgemein wissenschaftlicher Kritik derkapitalistischen Produktionsweise und ihre Anwendung auf die reale Praxis, wie sie sich ausdem brgerlichen Theorie-Praxis-Verhltnis notwendigerweise ergibt, lassen ihn die

    Konstitutionsbedingungen in wichtigen Anstzen falsch sehen. Dies betrifft vor allem dieFrage nach einem proletarischen Theorie- und Praxis-Verhltnis.

    2.3. Theorie und Geschichte

    Brgerliche und proletarische Gesellschaftswissenschaft

    Dabei haben Marx und Engels bei ihrer Abkehr von den Resten der Hegelschen Schule bereitsauf ein proletarisches Theorie- und Praxis-Verhltnis hingewiesen, was aber in der Folge dergeschichtlichen Entwicklung in seiner inhaltlichen Seite keinen gewaltigen Sprung" mehrgemacht hat und somit nicht ber den gesunden Menschenverstand" hinausgekommen ist. inder heiligen Familie" polemisiert Marx gegen die kritischen Kritiker, die meinen, mit ihrentheoretischen Reflexionen die Welt verndern zu knnen und weist trotz aller Kritik auf dieArbeiten von Proudhon hin: Er schreibt nicht aus dem Interesse der selbstgengsamenKritik, aus keinem abstrakten selbstgemachten Interesse, sondern aus einem massenhaftenwirklichen historischen Interesse, aus einem Interesse, das es weiter als zur Kritik, nmlichzur Krise bringen wird. Proudhon schreibt nicht nur im Interesse der Proletarier; er selbst istProletarier, Ouvrier. Sein Werk ist ein wissenschaftliches Manifest des franzsischen

    Proletariats und hat daher eine ganz andere historische Bedeutung als das literarischeMachwerk irgendeines kritischen Kritikers."9

    Marx gelangt hier zu einem bei vielen spteren Marxisten nicht wieder zu findendenundogmatischen Standpunkt, eigentlich auch seiner eigenen Theorie gegenber, er sieht sei-nen wissenschaftlichen Arbeiten historische Grenzen gesetzt, - ja, da sie gewissermaendurch seine Klassenlage bestimmt sind, denn nicht umsonst hebt er hervor: Proudhon seiProletarier, Ouvrier".

    Marx geht noch weiter, wenn er bei aller Kritik Proudhons Werk als das wissenschaftlicheManifest des franzsischen Proletariats" bezeichnet - was in dieser Phase auf einen von ihm

    als historisch notwendig betrachteten Subjektwandel in den Wissenschaften hinweist.

    Er mu zu seiner Zeit (vor 1850) diesen Subjektwandel auch schon im Kapitalismus imvorrevolutionren Kampf fr mglich gehalten haben. Sptere Theoretiker wie RosaLuxemburg und auch Korsch hatten dieses nicht in Erwgung gezogen.

    Allerdings sei hier auf den Aufsatz Undogmatischer Zugang zum Marxismus" von Korschhingewiesen, der zuerst 1946 verffentlicht wurde und mit vier wichtigen Dokumentenversehen die Arbeitsergebnisse seines Studienzirkels aus den frhen 3o-er Jahren festhielt, wou.a. Alfred Dblin, Bert Brecht, Bernhard v. Brentano etc. mitgewirkt haben.

  • 8/9/2019 Wolfgang Zimmermann - Karl Korsch

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    In diesen kurzen Dokumenten wird der Versuch unternommen, den Marxismus zuentdogmatisieren. Dokument 1 sind: die Thesen ber Hegel und die Revolution, Nr. 2: ThesenG. Sorels zur materialistischen Geschichtsauffassung und Dokument Nr. 3 stammt von Lenin

    und ist ein Auszug aus: Der konomische Inhalt der Volkstmer - Rich