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MITTWOCH, DEN 24. DEZEMBER 2008 _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ SEITE 51 Weihnachten 2008 WILHELMSHAVENER ZEITUNG Dr. Heinrich Breloer ist mit den von ihm entwi- ckelten Doku-Dramen zur deutschen Ge- schichte wie „Todes- spiel“ oder „Die Manns“ berühmt gewor- den. Vorab sprach er mit der Wilhelmshave- ner Zeitung. VON MARTIN WEIN Herr Breloer, pünktlich wie die Maurer – oder sollte ich sagen: Wie die Manns? BRELOER: Ja, das passt. Tho- mas Mann jedenfalls saß je- den Morgen um Punkt neun Uhr am Schreibtisch komme, was wolle. Die Pressevorführungen sind gelaufen, der Film startet am 1. Weihnachtstag. Ist das für Sie als Regisseur wie „Warten aufs Christkind“? BRELOER: Das können Sie wohl sagen. Das wird meine persönliche Bescherung, wenn das Publikum den Film annimmt. Die Quote im Fernsehen erfahre ich jedes Mal am nächsten Morgen um 11 Uhr. Jetzt werde ich schon sehr auf die Folter ge- spannt. Wären Sie bei der Familie Buddenbrook resp. Mann gern zum Weihnachtsessen eingeladen worden? BRELOER: Ich habe einmal mit Marcel Reich-Ranicki im Fischer-Verlag ein Buddenbrook-Es- sen bekommen, alle sieben, acht Gänge. Seither glaube ich: Budden- brooks sind am Es- sen gestorben! Nach Schwarzbrot und Taube kommt zum Schluss noch Marzipan und Likör und noch eine Scho- kolade. Man konnte nicht mehr. Bei den Manns hätte ich da- gegen sicher gerne Platz genommen, obwohl man da gut vorbereitet hinge- hen musste. Man konnte nicht ein- fach losplappern. Es herrschte ein ge- wisser Comment. Ein Schriftstel- ler-Kollege hat das mal so umschrie- ben: „Thomas Mann brach das Brot der Grammatik mit den Seinen.“ In den Buddenbrooks ist das „ganz einfache Mittags- brot“ dann auch beschrie- ben. Es besteht aus Kräuter- suppe mit geröstetem Brot, Fisch, einem kolossalen pa- nierten Schinken mit Char- lottensauce „und einer sol- chen Menge von Gemüsen, dass alle aus einer einzigen Schüssel sich hätten sätti- gen können“. Das ist Teil der Ironie, die wir an dem Roman so lieben. BRELOER: Und Teil des Realis- mus. Wenn der Karpfen ge- kocht wird, sind die Rezepte mit drin: „Bitte alles Blut mit- nehmen in die Soße“. Da hat er sich alles herangeholt, was in der Küche und im Kel- ler für das wohlhabende Bür- gertum bereitgestellt wurde. Die „Buddenbrooks“ gelten als erster deutscher Ge- sellschaftsroman von Weltrang. Mit Ihrem TV-Dreiteiler „Die Manns“ haben Sie das Interesse da- ran 2005 neu belebt. Was reizt Sie an dem Stoff? BRELOER: Dieses Buch wurde in ganz Europa gelesen und verstanden, weil es solche Fa- milien überall gab, die über Generationen aufgestiegen waren und dann, vielleicht auch verdorben durch den Luxus, durch falsche Heira- ten, in den Generationen da- nach schwächer wurden und verschwanden. Ich habe mich einfach sehr gefreut, dass wir solche Weltfiguren haben. Die letzte Verfilmung liegt 50 Jahre zurück. Da, habe ich gedacht, könnten wir doch unser deutsches Hausbuch, unsere große Ge- schichte des 19. Jahrhun- derts noch einmal dem Kino- zuschauer von heute vorstel- len. Inwieweit sind denn die „Buddenbrooks“ ein deut- scher Roman? Oder sind sie wirklich allgemeingültig? BRELOER: Sie haben beides in sich. Die Geschichte erzählt in Lübeck von der deutschen Verspätung in Europa. Das Land war ein Flickenteppich von Kleinstaaten mit Zollbu- den davor. England und Frankreich sind weit voraus. Napoleon hat ganz Europa geprägt, hat sogar Lübeck er- obert. Nun, während die Ge- schichte der Buddenbrooks läuft, beginnt Deutschland, seinen Platz zu suchen als Nationalstaat. Die Zoll- schranken fallen, Konkur- renz kommt ins Haus. Es gibt die Leute, die Angst da- vor haben. Andere sagen: Je größer der Markt, desto grö- ßer die Chancen. Genau, was wir heute auch sagen. Die einen haben Angst vor der billig produzierenden Dritten Welt, andere hoffen darauf, dass sich auch wohl- habend gewordene Inder bald die deutschen Autos kaufen können. Es sei denn, sie hatten bei Lehman Brothers investiert. BRELOER: Genau. Wir haben also im 19. Jahrhundert den rasanten Wandel durch den Kapitalismus, der zusammen mit der technischen Revolu- tion das Land umkrempelt und auch die Familien ein wenig verändert. Die Familie ordnet sich dem Geschäft un- ter. Steht man vor dem Bud- denbrook-Haus in Lübeck, so hängt links die Sonnen- uhr, rechts das Füllhorn der Gaben. Soll heißen: Wenn du deine Zeit gut bewirt- schaftest, dann wird dir die Fülle der Wohltaten zukom- men. „Der Herr wird vorsor- gen“ – steht darunter. Selbst Hochzeiten werden dem un- tergeordnet. Tony Budden- brook würde gerne den Mor- ten heiraten, wird aber vom Vater einem Kaufmann gege- ben. Er hatte die Macht und das Recht dazu. Mann nennt die Firma Buddenbrook „diesen ver- götterten Begriff“. Lässt sich seine Kritik an den protes- tantischen Idealen auf heute übertragen? BRELOER: Der Roman heißt im Untertitel „Verfall einer Familie“. Der Herr hat eben nicht vorgesorgt. Die Familie kann die technischen, wirt- schaftlichen Chancen nicht aufgreifen. Der Konkurrent Hagenström ist dynami- scher, vitaler und hat das Glück bei seinen Spekulatio- nen. Der kauft am Ende das Buddenbrook-Haus: „Meine Familie platzt aus allen Näh- ten. Ich brauche Raum.“ Tho- mas Buddenbrook setzt selbst auf eine Teufelswette, kauft das Korn auf dem Halm, will auch hochspekula- tiv arbeiten – und verliert. Und darin sehen Sie Parallelen zur Gegenwart? BRELOER: Das Kapital in Ge- stalt von Gerste oder Roggen fuhr mit dem Dampfschiff und der Eisenbahn viel schneller um die Welt als zu- vor. Der Telegraf meldete die Ankunft in den Häfen. Man konnte schneller wieder ver- kaufen. Das alles hat das Le- ben total beschleunigt. Mit der Beschaulichkeit des mit- telalterlich wirkenden Lü- beck war es vorbei. Und das erleben wir auch, dass unser Leben sich durch den Com- puter und die Handys un- glaublich beschleunigt. Die Vernetzung der Finanzwelt ist beängstigend und die Überlebenssorgen sind ähnli- che wie zu Buddenbrooks Zeiten. Es gab 1959 den Film, 1979 die zehnstündige Fernseh- fassung. Wie hat sich der Blick in den letzten 30 Jahren verändert? BRELOER: In der Aden- auer-Ära stand die Familien- geschichte im Vordergrund. Die Fernsehfassung von '79 hat die Buddenbrooks wie auf einer Bühne fotografiert. Gernot Roll, der schon 1979 hinter der Kamera stand, sagt, der neue Film sei für ihn wie eine Wiedergutma- chung. Wir sind sehr dicht an die Figuren und ihre Ge- fühle herangegangen. Da liefert Ihnen Thomas Mann auch recht dankbare Charaktere, wenn man an den Lebemann Christian denkt, den unsäglichen Liebhaber Herrn Grünlich oder an die Tony, Wer ist Ihnen besonders ans Herz gewachsen? BRELOER: Mephisto ist span- nender als Faust. Also Chris- tian natürlich. Das ist eine ganz moderne Figur, einer der manchmal nicht mehr schlucken kann und bei Tisch ungebührlich davon er- zählt. Er ist weder Künstler noch Kaufmann, aber schon so sensibel, dass er sein Lei- den sehr genau beschreiben kann. Das stört seinen Bru- der Thomas, der ähnliches in sich hat, aber mit Fleiß und Disziplin um Erfolg und Triebbeherrschung ringt. „Sprich nicht drüber schweig“, sagt Thomas. Sind Christian und Thomas die beiden Seiten des Autors Thomas Mann? BRELOER: Er ist in beiden drin. Nur er ist eben Künst- ler geworden und hat sich mit seiner Familienge- schichte den Grundstock zu einem Millionen-Vermögen erschrieben. Dazu hat er wie sein Vater jeden Morgen am Schreibtisch gesessen – un- ser täglich Blatt gib uns heute. Aber er war nicht frei von Angst. Auch Thomas Mann konnte wie die Figur Christian gelegentlich nicht schlucken. Er hatte Angst, dass das Essen nicht runter- rutschen würde. Noch seine Tochter Elisabeth hat es mir beim Essen vorgemacht, als ich fragte, warum sie immer ein kleines Glas Wein zur Hand hatte: „Ja, ich kann auch nicht schlucken. Das habe ich von meinem Vater geerbt.“ Der Roman deckt eine lange Zeitspanne ab von 1835 – 1877. Wie gehen Sie damit um? BRELOER: Wir mussten auf 145 Minuten kommen und dazu stark verdichten. Aus den ersten zwei Generatio- nen haben wir eine gemacht. Die mittlere Generation ha- ben wir sehr ausführlich ge- zeigt: Tony, die Tochter, die immer mit den Männern Pech hat, gerade weil sie der Firma helfen will. Thomas wählt eine Künstlerin, die ihm einen kaum lebensfähi- gen Sohn Hanno schenkt. Und Christian, der es mit der Aline Puvogel treibt, einer Sängerin. Die Mutter ist ent- setzt: „So eine kommt mir nicht ins Haus. Eine Lorette!“ Erst nach dem Tod der Mut- ter wagt Christian zu heira- ten. Dann zeigen wir, wie der kleine Hanno von seiner Mut- ter in den Tempel der Musik entführt wird. Der Vater ver- liert den kleinen Künstler als Nachfolger im Geschäft. Der Romanaufbau ent- spricht so gar nicht einem typischen Blockbuster-Film, vor allem nicht das bittere Ende? BRELOER: Ja, das würde man in Hollywood vielleicht um- schreiben. 1959 hat man zu- mindest erst Hanno und dann Thomas sterben lassen. Wir sind am Buch geblieben und haben sie in dessen Chro- nologie zu Grabe getragen, erst den Vater und dann den Jungen, die letzte Hoffnung der Familie Buddenbrook. Sie sind sozusagen der Vater nachgespielter Szenen in Dokumentationen. Es ist nicht ganz einfach, das 19. Jahrhundert wieder ent- stehen zu lassen. War es eine Freude, das für einen Kinofilm mit anderem Bud- get umsetzen zu können? BRELOER: Ohne ausreichen- des „Production Value“ – wie die Fachleute sagen – ist das reiche, wohlhabende Lübeck der Buddenbrooks nicht dar- stellbar. Wer das Leben in diesem Patrizierhaus zeigen will, der muss es so üppig tun wie wir. Ich musste für das Budget kämpfen, aber es war dann auch ein großes Vergnügen. Natürlich hält man einen Film nie für kom- plett fertig, weil man viele Kompromisse eingehen muss. Mit einem Bleistift und Papier für fünf Cent kön- nen Sie einen Roman schrei- ben, wenn Sie ein Butterbrot und eine Tasse Kaffee ha- ben. Eine Filmproduktion ist eine Gruppenleistung, bei der Sie auch noch fremdes Geld bewirtschaften. Ich habe „Buddenbrooks“ freiwillig als Erwachsener gelesen. Viele haben den Roman in der Schule gehasst. Warum sollen die jetzt ins Kino gehen? BRELOER: Denen, die ent- täuscht sind, sage ich: Kommt ins Kino. Ich zeige euch eine anrührende, komi- sche und moderne Ge- schichte, obwohl sie im 19. Jahrhundert spielt. Ihr seht Buddenbrooks, wie Ihr sie damals nicht gelesen habt. Lübeck zu Zeiten der Buddenbrooks: Geschäftiges Treiben vor dem Holstentor. FOTOS: FALKE/WARNER BROS. PICTURES 2008/BAVARIA FILM „Buddenbrooks“-Regisseur Heinrich Breloer. Breloer und seine Buddenbrooks Am 1. Weihnachtstag kommt die Neuverfilmung nach Thomas Mann auch ins Wilhelmshavener Kino Die Lübecker Familie Bud- denbrook im Film (von links): Tony (Jessica Schwarz), Christian (Au- gust Diehl), Konsul Jean (Armin Mueller-Stahl), Tho- mas (Mark Waschke) und Konsulin Bethsy (Iris Ber- ben).

WZ102: WZ-VORDRUCKSEITEN [HAUPTAUSGABE -51 ] 24.12 · mas Buddenbrook setzt selbst auf eine Teufelswette, kauft das Korn auf dem Halm, will auch hochspekula-tiv arbeiten

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Page 1: WZ102: WZ-VORDRUCKSEITEN  [HAUPTAUSGABE -51 ] 24.12 · mas Buddenbrook setzt selbst auf eine Teufelswette, kauft das Korn auf dem Halm, will auch hochspekula-tiv arbeiten

[WZ102: WZ-VORDRUCKSEITEN <51> [HAUPTAUSGABE -51 ] . . . 24.12.08] Autor:SV 23.12.08 23:24

MITTWOCH, DEN 24. DEZEMBER 2008 _______________________________________________________________________________________________________________________________ SEITE 51 Weihnachten 2008

WILHELMSHAVENER ZEITUNG

Dr. Heinrich Breloer istmit den von ihm entwi-ckelten Doku-Dramenzur deutschen Ge-schichte wie „Todes-spiel“ oder „DieManns“ berühmt gewor-den. Vorab sprach ermit der Wilhelmshave-ner Zeitung.

VON MARTIN WEIN

Herr Breloer, pünktlich wiedie Maurer – oder sollte ichsagen: Wie die Manns?

BRELOER: Ja, das passt. Tho-mas Mann jedenfalls saß je-den Morgen um Punkt neunUhr am Schreibtisch –komme, was wolle.

Die Pressevorführungen sindgelaufen, der Film startetam 1. Weihnachtstag. Istdas für Sie als Regisseur wie„Warten aufs Christkind“?

BRELOER: Das können Siewohl sagen. Das wird meinepersönliche Bescherung,wenn das Publikum denFilm annimmt. Die Quote imFernsehen erfahre ich jedesMal am nächsten Morgenum 11 Uhr. Jetzt werde ichschon sehr auf die Folter ge-spannt.

Wären Sie bei der FamilieBuddenbrook resp. Manngern zum Weihnachtsesseneingeladen worden?

BRELOER: Ich habe einmalmit Marcel Reich-Ranicki imFischer-Verlag einBuddenbrook-Es-sen bekommen,alle sieben, achtGänge. Seitherglaube ich: Budden-brooks sind am Es-sen gestorben!Nach Schwarzbrotund Taube kommtzum Schluss nochMarzipan und Likörund noch eine Scho-kolade. Man konntenicht mehr. Bei denManns hätte ich da-gegen sicher gernePlatz genommen,obwohl man da gutvorbereitet hinge-hen musste. Mankonnte nicht ein-fach losplappern.Es herrschte ein ge-wisser Comment.Ein Schriftstel-ler-Kollege hat dasmal so umschrie-ben: „Thomas Mann brachdas Brot der Grammatik mitden Seinen.“

In den Buddenbrooks istdas „ganz einfache Mittags-brot“ dann auch beschrie-ben. Es besteht aus Kräuter-suppe mit geröstetem Brot,Fisch, einem kolossalen pa-nierten Schinken mit Char-lottensauce „und einer sol-chen Menge von Gemüsen,dass alle aus einer einzigenSchüssel sich hätten sätti-gen können“. Das ist Teilder Ironie, die wir andem Roman so lieben.

BRELOER: Und Teil des Realis-mus. Wenn der Karpfen ge-kocht wird, sind die Rezeptemit drin: „Bitte alles Blut mit-nehmen in die Soße“. Da hater sich alles herangeholt,was in der Küche und im Kel-ler für das wohlhabende Bür-gertum bereitgestellt wurde.

Die „Buddenbrooks“ geltenals erster deutscher Ge-sellschaftsroman von

Weltrang. Mit IhremTV-Dreiteiler „Die Manns“haben Sie das Interesse da-ran 2005 neu belebt. Wasreizt Sie an dem Stoff?

BRELOER: Dieses Buch wurdein ganz Europa gelesen undverstanden, weil es solche Fa-milien überall gab, die überGenerationen aufgestiegenwaren und dann, vielleichtauch verdorben durch denLuxus, durch falsche Heira-ten, in den Generationen da-nach schwächer wurden undverschwanden. Ich habemich einfach sehr gefreut,dass wir solche Weltfigurenhaben. Die letzte Verfilmungliegt 50 Jahre zurück. Da,habe ich gedacht, könntenwir doch unser deutschesHausbuch, unsere große Ge-schichte des 19. Jahrhun-derts noch einmal dem Kino-zuschauer von heute vorstel-len.

Inwieweit sind denn die„Buddenbrooks“ ein deut-scher Roman? Oder sind siewirklich allgemeingültig?

BRELOER: Sie haben beides insich. Die Geschichte erzähltin Lübeck von der deutschenVerspätung in Europa. DasLand war ein Flickenteppichvon Kleinstaaten mit Zollbu-den davor. England undFrankreich sind weit voraus.Napoleon hat ganz Europageprägt, hat sogar Lübeck er-obert. Nun, während die Ge-schichte der Buddenbrooksläuft, beginnt Deutschland,seinen Platz zu suchen alsNationalstaat. Die Zoll-schranken fallen, Konkur-renz kommt ins Haus. Es

gibt die Leute, die Angst da-vor haben. Andere sagen: Jegrößer der Markt, desto grö-ßer die Chancen. Genau,was wir heute auch sagen.Die einen haben Angst vorder billig produzierendenDritten Welt, andere hoffendarauf, dass sich auch wohl-habend gewordene Inderbald die deutschen Autoskaufen können.

Es sei denn, sie hatten beiLehman Brothers investiert.

BRELOER: Genau. Wir habenalso im 19. Jahrhundert denrasanten Wandel durch denKapitalismus, der zusammenmit der technischen Revolu-tion das Land umkrempeltund auch die Familien einwenig verändert. Die Familieordnet sich dem Geschäft un-ter. Steht man vor dem Bud-denbrook-Haus in Lübeck,so hängt links die Sonnen-uhr, rechts das Füllhorn derGaben. Soll heißen: Wenndu deine Zeit gut bewirt-schaftest, dann wird dir die

Fülle der Wohltaten zukom-men. „Der Herr wird vorsor-gen“ – steht darunter. SelbstHochzeiten werden dem un-tergeordnet. Tony Budden-brook würde gerne den Mor-ten heiraten, wird aber vomVater einem Kaufmann gege-ben. Er hatte die Macht unddas Recht dazu.

Mann nennt die FirmaBuddenbrook „diesen ver-götterten Begriff“. Lässt sichseine Kritik an den protes-tantischen Idealen aufheute übertragen?

BRELOER: Der Roman heißtim Untertitel „Verfall einerFamilie“. Der Herr hat ebennicht vorgesorgt. Die Familiekann die technischen, wirt-schaftlichen Chancen nichtaufgreifen. Der KonkurrentHagenström ist dynami-scher, vitaler und hat dasGlück bei seinen Spekulatio-nen. Der kauft am Ende dasBuddenbrook-Haus: „MeineFamilie platzt aus allen Näh-ten. Ich brauche Raum.“ Tho-mas Buddenbrook setztselbst auf eine Teufelswette,kauft das Korn auf demHalm, will auch hochspekula-tiv arbeiten – und verliert.

Und darin sehen SieParallelen zur Gegenwart?

BRELOER: Das Kapital in Ge-stalt von Gerste oder Roggenfuhr mit dem Dampfschiffund der Eisenbahn vielschneller um die Welt als zu-vor. Der Telegraf meldete dieAnkunft in den Häfen. Mankonnte schneller wieder ver-kaufen. Das alles hat das Le-ben total beschleunigt. Mitder Beschaulichkeit des mit-telalterlich wirkenden Lü-beck war es vorbei. Und daserleben wir auch, dass unserLeben sich durch den Com-puter und die Handys un-glaublich beschleunigt. DieVernetzung der Finanzweltist beängstigend – und dieÜberlebenssorgen sind ähnli-che wie zu BuddenbrooksZeiten.

Es gab 1959 den Film, 1979die zehnstündige Fernseh-fassung. Wie hat sich derBlick in den letzten 30Jahren verändert?

BRELOER: In der Aden-auer-Ära stand die Familien-geschichte im Vordergrund.Die Fernsehfassung von '79hat die Buddenbrooks wieauf einer Bühne fotografiert.Gernot Roll, der schon 1979hinter der Kamera stand,sagt, der neue Film sei fürihn wie eine Wiedergutma-

chung. Wir sind sehr dichtan die Figuren und ihre Ge-fühle herangegangen.

Da liefert Ihnen ThomasMann auch recht dankbareCharaktere, wenn man anden Lebemann Christiandenkt, den unsäglichenLiebhaber Herrn Grünlichoder an die Tony, Wer istIhnen besonders ans Herzgewachsen?

BRELOER: Mephisto ist span-nender als Faust. Also Chris-tian natürlich. Das ist eineganz moderne Figur, einerder manchmal nicht mehrschlucken kann und beiTisch ungebührlich davon er-zählt. Er ist weder Künstlernoch Kaufmann, aber schonso sensibel, dass er sein Lei-den sehr genau beschreibenkann. Das stört seinen Bru-der Thomas, der ähnlichesin sich hat, aber mit Fleißund Disziplin um Erfolg undTriebbeherrschung ringt.„Sprich nicht drüber –schweig“, sagt Thomas.

Sind Christian und Thomasdie beiden Seiten des AutorsThomas Mann?

BRELOER: Er ist in beidendrin. Nur er ist eben Künst-ler geworden und hat sichmit seiner Familienge-schichte den Grundstock zueinem Millionen-Vermögenerschrieben. Dazu hat er wiesein Vater jeden Morgen amSchreibtisch gesessen – un-ser täglich Blatt gib unsheute. Aber er war nicht freivon Angst. Auch ThomasMann konnte wie die FigurChristian gelegentlich nichtschlucken. Er hatte Angst,dass das Essen nicht runter-rutschen würde. Noch seineTochter Elisabeth hat es mir

beim Essen vorgemacht, alsich fragte, warum sie immerein kleines Glas Wein zurHand hatte: „Ja, ich kannauch nicht schlucken. Dashabe ich von meinem Vatergeerbt.“

Der Roman deckt einelange Zeitspanne ab von1835 – 1877. Wie gehenSie damit um?

BRELOER: Wir mussten auf145 Minuten kommen unddazu stark verdichten. Ausden ersten zwei Generatio-nen haben wir eine gemacht.Die mittlere Generation ha-ben wir sehr ausführlich ge-zeigt: Tony, die Tochter, dieimmer mit den MännernPech hat, gerade weil sie derFirma helfen will. Thomaswählt eine Künstlerin, dieihm einen kaum lebensfähi-gen Sohn Hanno schenkt.Und Christian, der es mit derAline Puvogel treibt, einerSängerin. Die Mutter ist ent-setzt: „So eine kommt mirnicht ins Haus. Eine Lorette!“Erst nach dem Tod der Mut-ter wagt Christian zu heira-ten. Dann zeigen wir, wie derkleine Hanno von seiner Mut-ter in den Tempel der Musikentführt wird. Der Vater ver-liert den kleinen Künstler alsNachfolger im Geschäft.

Der Romanaufbau ent-spricht so gar nicht einemtypischen Blockbuster-Film,vor allem nicht das bittereEnde?

BRELOER: Ja, das würde manin Hollywood vielleicht um-schreiben. 1959 hat man zu-mindest erst Hanno unddann Thomas sterben lassen.Wir sind am Buch gebliebenund haben sie in dessen Chro-nologie zu Grabe getragen,

erst den Vater und dann denJungen, die letzte Hoffnungder Familie Buddenbrook.

Sie sind sozusagen der Vaternachgespielter Szenen inDokumentationen. Es istnicht ganz einfach, das19. Jahrhundert wieder ent-stehen zu lassen. War eseine Freude, das für einenKinofilm mit anderem Bud-get umsetzen zu können?

BRELOER: Ohne ausreichen-des „Production Value“ – wiedie Fachleute sagen – ist dasreiche, wohlhabende Lübeckder Buddenbrooks nicht dar-stellbar. Wer das Leben indiesem Patrizierhaus zeigenwill, der muss es so üppigtun wie wir. Ich musste fürdas Budget kämpfen, aber eswar dann auch ein großesVergnügen. Natürlich hältman einen Film nie für kom-plett fertig, weil man vieleKompromisse eingehenmuss. Mit einem Bleistiftund Papier für fünf Cent kön-nen Sie einen Roman schrei-ben, wenn Sie ein Butterbrotund eine Tasse Kaffee ha-ben. Eine Filmproduktion isteine Gruppenleistung, beider Sie auch noch fremdesGeld bewirtschaften.

Ich habe „Buddenbrooks“freiwillig als Erwachsenergelesen. Viele haben denRoman in der Schulegehasst. Warum sollen diejetzt ins Kino gehen?

BRELOER: Denen, die ent-täuscht sind, sage ich:Kommt ins Kino. Ich zeigeeuch eine anrührende, komi-sche und moderne Ge-schichte, obwohl sie im 19.Jahrhundert spielt. Ihr sehtBuddenbrooks, wie Ihr siedamals nicht gelesen habt.

Lübeck zu Zeiten der Buddenbrooks: Geschäftiges Treiben vor dem Holstentor. FOTOS: FALKE/WARNER BROS. PICTURES 2008/BAVARIA FILM

„Buddenbrooks“-Regisseur HeinrichBreloer.

Breloer und seine BuddenbrooksAm 1. Weihnachtstag kommt die Neuverfilmung nach Thomas Mann auch ins Wilhelmshavener Kino

Die Lübecker Familie Bud-denbrook im Film (vonlinks): Tony (Jessica

Schwarz), Christian (Au-gust Diehl), Konsul Jean(Armin Mueller-Stahl), Tho-

mas (Mark Waschke) undKonsulin Bethsy (Iris Ber-ben).