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Atelier de la Concurrence Tagungsbericht Strafrechtliche Verfahrensgarantien vor WEKO und FINMA – Quo Vadis? XXIX

XXIX - zhaw.ch · 4 beispielsweise die Gesetzmässigkeit, die Verhältnismässigkeit, die Unparteilichkeit und die Trans-parenz der Regeln sowie der Gerichts- und Behördenpraxis

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Atelier de la ConcurrenceTagungsbericht

Strafrechtliche Verfahrensgarantien vor WEKO und FINMA – Quo Vadis?

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Strafrechtliche Verfahrensgarantien vor WEKO und FINMA – Quo Vadis?

Ziel der WEKO ist es, offene und freie Märkte zu garantieren. Ziel der FINMA ist es, das Funkti-onieren des Marktes sicherzustellen. Diese Ziele können nur wirksam erreicht werden, wenn der WEKO und der FINMA Instrumente zur Sanktionierung von Fehlverhalten zur Verfügung stehen. Aus diesem Grund wurden der FINMA und der WEKO das Recht eingeräumt, Verwaltungssanktio-nen auszusprechen.

Wo aber Sanktionen ausgesprochen werden, wird in die Rechte der Betroffenen eingegriffen. Aus diesem Grund müssen zum Schutz der Betroffenen in jedem Verfahren, Verfahrensgarantien be-achtet werden. Es kommen jedoch nicht für alle Verfahren dieselben Verfahrensgarantien zur An-wendung. Welche Verfahrensgarantien massgebend sind, hängt davon ab, wie einschneidend der Ausgang des Verfahrens für die Beteiligten sein wird.

«Kann ich mich eigentlich noch verteidigen?»

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Prof. Dr. RA Patrick L. KrauskopfZHAW, AGON PARTNERS

Prof. Dr. Andreas Heinemann Universität Zürich, Präsident der WEKO

Patric Eymann Leiter Enforcement und Geschäftsleitung, FINMA

Prof. Dr. Urs Zulauf Konsulent, ENQUIRE Rechtsanwälte

Simon Brun Dozent für Strafrecht an der ZHAW

Katja Fehrlin Moser Rechtsanwältin und Dozentin für Strafrecht an der ZHAW

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Teil 1: Einführung und Begrüssung

Prof. Dr. Patrick L. Krauskopf, Leiter Zentrum Wettbewerbs- und Handelsrecht der ZHAW, AGON Partners

Prof. Dr. Patrick L. Krauskopf begrüsst in der Aula der ZHAW School of Management and Law die zahlreich erschienenen Teilnehmenden des XXIX. Atelier de la Concurrence zum Thema «Straf-rechtliche Verfahrensgarantien vor WEKO und FINMA – Quo Vadis?». Prof. Dr. Krauskopf erläutert die Entwicklungen und Probleme, denen sich die zwei Bundesbehörden – WEKO und FINMA – in den letzten zehn Jahren stellen mussten. Die hochkarätige Auswahl der Referenten erlaubt dem Publikum, sich mit den rechtlichen Herausforderungen dieses Themas vertraut zu machen.

Teil 2: Referate

2.1 Verfahrensgarantien bei der WEKO Prof. Dr. Andreas Heinemann, Universität Zürich, Präsident der WEKO

Zu Beginn der Präsentation stellt Prof. Dr. Andreas Heinemann den Ausgangspunkt des Referates vor. Dieser betrifft die Verfahrensgarantien, welche in der Praxis der WEKO gewährt werden, insbe-sondere den Grundsatz «nemo tenetur». Er weist darauf hin, dass die Behörden sehr kreativ sein mussten, um mit dem Grenzbereich zwischen Verwaltungsrecht und Strafrecht zurechtzukommen.

Einer der wichtigsten Grundsätze der Verfahrensgarantien ist derjenige des fairen Verfahrens, der in allen Verfahrensstadien an oberster Stelle steht. Unter dem Begriff der Fairness versteht man

Friedrich Frank Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht bei der Anwaltskanzlei Tethong Blattner

Dr. Beat Zirlick Wettbewerbskommission

Christoph Kuhn Eidgenössische Finanzmarktaufsicht

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beispielsweise die Gesetzmässigkeit, die Verhältnismässigkeit, die Unparteilichkeit und die Trans-parenz der Regeln sowie der Gerichts- und Behördenpraxis.

Die Sanktionskompetenz hat in den letzten Jahren zu intensiven Diskussionen geführt und die Frage aufgeworfen, ob eine Verwaltungsbehörde überhaupt Sanktionen verhängen darf, die ei-nen strafrechtlichen Charakter aufweisen. Hierzu argumentiert Prof. Dr. Heinemann, dass der Gesetzgeber der Behörde durch die Einführung direkter Sanktionen in das Gesetz an der Kartellgesetzrevision im Jahre 2003 diese Sanktionszuständigkeit übergeben hat. Diese direkten Sanktionen stellen ein gleichermassen präventives und repressives Mittel dar, um zu verhindern, dass es zu Kartellrechtsverstössen kommt. Auch die Gerichte kamen zum Ergebnis, dass sich die direkten Sanktionen im Kartellrecht im Bereich des Strafrechts befinden. Der Unterschied liegt hauptsächlich darin, dass es sich bei Kartellrechtssanktionen nicht um Freiheitsstrafen handelt, sondern lediglich um sehr hohe Geldbeträge. Ausserdem fanden die Schweizer Gerichte und die Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) solche Sanktionen stellen Quasistrafrecht dar. Daraus leitete der EGMR schliesslich die Rechtsfolge ab, dass die strafrechtlichen Garantien, wie Art. 6 EMRK, anwendbar sind, wenn auch nicht in vollem Umfang. Eine weitere Diskrepanz besteht darin, dass gemäss Art. 6 Ziff. 1 EMRK ein unabhängiges und unparteiisches Gericht über strafrechtliche Anklagen zu entscheiden hat. Folglich stellte sich die Frage, ob eine Kartellbehörde als Gericht gelten würde. Das Ergebnis ist eindeutig. Eine Kartellbehörde ist eine Behörde und ent-spricht nicht den Anforderungen von Art. 6 EMRK. Dieser Schlussfolgerung zufolge wird die WEKO, als Behördenkommission, nicht als richterliche Behörde anerkannt. Mit dieser Problemstellung hat-ten sich sowohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Fall «Menarini» im Jahr 2011, als auch die schweizerischen Gerichte im Fall «Swisscom-Terminierungsgebühren» aus dem Jahr 2010 auseinandergesetzt. In beiden Fällen wurde die Vereinbarkeit der Behördenzuständigkeit mit den grundrechtlichen Vorgaben bestätigt. Erforderlich ist, dass ein unabhängiges Gericht im Sinne der EMRK als Rechtsmittelinstanz den Anforderungen genügt. Das heisst, dass mindestens ein unabhängiges Gericht kartellrechtliche Sanktionen mit voller Kognition in Tat- und Rechtsfragen beurteilen können muss.

Nach diesen Erläuterungen betreffend der Sanktionszuständigkeit erläutert Prof. Dr. Andreas Heinemann den Grundsatz «nemo tenetur» auch mit Blick auf verschiedene Jurisdiktionen.

• Herkunft und Bedeutung. Der EGMR leitet den Grundsatz «nemo tenetur» aus Art. 6 EMRK ab und zählt ihn zum Kernbereich eines fairen Verfahrens.

– Zu diesem Grundsatz gehört einerseits, dass der Beschuldigte sich selbst nicht belasten muss. Folglich dürfen keine Beweismittel verwendet werden, die unter ungerechtfertigtem Zwang oder Druck erlangt wurden.

– Andererseits umfasst «nemo tenetur» auch das Recht zu schweigen. Dieses Schweigen des Beschuldigten darf nicht zu seinem Nachteil ausgelegt werden und auch nicht zur Annahme seiner Schuld führen.

• Rechtsprechung des EGMR. Der EGMR unterscheidet zwischen Kernstrafrecht und dem straf-rechtsähnlichen Bereich. Da Kartellsanktionen einen strafrechtsähnlichen Charakter aufweisen, gelten in Kartellsanktionsverfahren die Garantien von Art. 6 EMRK, aber nicht in voller Strenge, wie bereits am Fall «Menarini» demonstriert. Es stellte sich die Frage, ob man die Auskünfte,

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welche im Verwaltungsverfahren unter Zwang erlangt wurden, in einem parallel geführten oder drohenden Strafverfahren verwenden darf. Der EGMR erachtet diese Verwendung im Strafver-fahren als unzulässig, beurteilte allerdings den verwaltungsrechtlichen Zwang zur Herausgabe von Dokumenten als EMRK-konform.

• Rechtsprechung des EuGH/EuG. Der EuGH löst das Spannungsverhältnis zwischen «nemo tenetur» und den Mitwirkungspflichten, denen die Unternehmen im Kartellverfahren unterstehen, wie folgt: Er unterscheidet zwischen Tatsachen und Geständnissen. Wenn Unter-nehmen dazu verpflichtet werden, der Kartellbehörde bestimmte unternehmerische Tatsachen zu liefern, liegt kein Konflikt mit Art. 6 EMRK vor. Diese Verpflichtung zur Beantwortung von rein tatsächlichen Fragen oder zur Vorlage vorhandener Unterlagen verletzt den Grundsatz der Wahrung der Verteidigungsrechte und den Anspruch auf einen fairen Prozess nicht. Folglich darf sich ein Unternehmen nur dann auf das Geständnisverweigerungsrecht berufen, wenn sie eine Zuwiderhandlung eingestehen müsste.

• Rechtsprechung der Schweizer Gerichte. Das Bundesgericht qualifiziert die direkten Sanktio-nen als strafrechtsähnlich und erklärt Art. 6 EMRK auf kartellrechtliche Sanktionen für anwend-bar. Da jedoch ein Kartellsanktionsverfahren primär zum Verwaltungsrecht zählt, kommen die Verfahrensgarantien des EMRK nicht in voller Strenge zur Anwendung. Sie sind gemäss Bun-desverwaltungsgericht in eine einzelfallbezogene Interessenabwägung einzubeziehen. Auch das Bundesverwaltungsgericht unterscheidet, ähnlich wie der Europäische Gerichtshof, zwischen Tatsachen und Geständnissen: Fragen zu Angaben bezüglich des objektiven Sachverhalts und des Marktes sind unproblematisch. Hingegen sind Inquisitionen zur Tathandlung und -motivati-on, welche ein Eingestehen einer Zuwiderhandlung provozieren, als problematisch zu erachten.

• Praxis der WEKO. In Kartellsanktionsverfahren stellt sich jeweils die Frage, wie weit die Aus-kunftspflicht nach Art. 40 KG geht und inwieweit sich die Unternehmen auf den strafrechtlichen Grundsatz, sich nicht selbst belasten zu müssen, berufen und so die Auskunft verweigern kön-nen. Hier muss eine Abwägung zwischen den Eingriffen in die Verfahrensrechte der Unterneh-men einerseits und dem öffentlichen Interesse an der Durchsetzung des Kartellgesetzes ande-rerseits getroffen werden.

Prof. Dr. Andreas Heinemann erklärt, dass diese Fragen insbesondere bei verschiedenen Instru-menten der WEKO, wie der Versendung von Fragebögen, Auskunftsbegehren, Auskunfts- und Edi-tionsverfügungen sowie Einvernahmen von Parteien und Zeugen, eine hohe Relevanz besitzen.

• Fragebögen und Auskunftsbegehren. Fragebögen und Auskunftsbegehren sind einfache Ver-waltungsschreiben mit Fragen zum Sachverhalt. Ein Hinweis auf das Auskunftsverweigerungs-recht ist nicht notwendig, denn die Verweigerung hat keine direkten rechtlichen Folgen.

• Auskunfts- und Editionsverfügung. Bei der, in der Praxis eher seltenen, Auskunfts- und Edi-tionsverfügung, welche Sanktionsandrohungen enthält, steht den Adressaten soweit sie sich selbst belasten würden, das gesetzliche Aussageverweigerungsrecht zu.

• Einvernahme von Parteien und Zeugen. In der Praxis ist es von grosser Bedeutung, ob eine Partei Parteistatus hat oder lediglich als Zeuge auftritt. Denn im Gegensatz zu Zeugen haben Parteien, aktuelle formelle und faktische Organe des betroffenen Unternehmens, ein absolutes

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Schweigerecht. Während Zeugen, zu denen auch ehemalige Mitarbeiter der betroffenen Gesell-schaft zählen, nur dann das Zeugnisverweigerungsrecht ausüben können, sollten die konkreten Informationen sie selbst belasten. Gemäss Bundesverwaltungsgericht ist eine abschliessende Beurteilung, wie weit im konkreten Fall das Schweigerecht oder das Zeugnisverweigerungsrecht zulässig ist, erst im Verfahren, in der Endverfügung oder aber auch erst im Rechtsmittelverfahren möglich.

Zusammenfassend hält Prof. Dr. Andreas Heinemann fest, dass die WEKO zu den neuen und noch nicht rechtskräftigen Rechtslagen, insbesondere zur Befragung von ehemaligen Organen, eine Pra-xis entwickeln wird. 2.2 Verfahrensgarantien bei der FINMA Patric Eymann, Leiter des Geschäftsbereichs Enforcement und Mitglied der Geschäftsleitung, FINMA

Patric Eymann erklärt am Anfang seines Vortrages, dass bei der FINMA die Garantien nach Art. 29 BV und Art. 30 BV für ein faires Verfahren gelten, welche von der WEKO ebenfalls gewährt werden. Umstritten sei jedoch die Frage, ob bei der FINMA die strafprozessualen Verfahrensgaran-tien ebenfalls anwendbar sind oder nicht.

Als ersten Aspekt behandelt Patric Eymann das Enforcement der FINMA:

• Das oberste Ziel der FINMA ist die Wiederherstellung des ordnungsgemässen Zustandes. Die-ser Grundsatz ist in Art. 31 FINMAG verankert und rechtfertigt als zentrale Norm das Agieren der Behörde. Um diesen ordnungsgemässen Zustand wiederherzustellen, kann sie Massnahmen und Sanktionen aufstellen sowie Verfahren einleiten. Daraus lässt sich schliessen, dass für die Wiederherstellung des Zustands ein Enforcement nicht zwingend nötig ist.

• Das Enforcement ist kein Selbstzweck und wird nicht primär dazu genutzt, ein bestimmtes Ver-halten zu pönalisieren. Es dient der Durchsetzung der Ziele der Aufsicht.

• Einen grossen Fokus legt die FINMA auf das Geschäftsverhalten der von ihr beaufsichtigten Unternehmen. Eines der strategischen Ziele der Behörde ist es, das Verhalten der Unterneh-men positiv zu beeinflussen. Sollte es in den Bereichen Geldwäscherei, Marktverhalten und Cross-Border-Geschäfte zu einer Zuwiderhandlung kommen, würde die FINMA mit Enforcement (re-)agieren. In diesem Fall kann sich das Enforcement auch gegen natürliche Personen richten. Dabei liegt der Fokus auf Personen, die kausal und schuldhaft die Verantwortung für die auf-sichtsrechtliche Verletzung tragen. Damit soll bezweckt werden, dass nicht das ganze Unterneh-men unter den Konsequenzen leidet, sondern lediglich derjenige, der für die Zuwiderhandlung verantwortlich ist.

• Bei einem Enforcement-Verfahren werden die betroffenen Parteien notifiziert und der Sach-verhalt wird ihnen geschildert. Ein zentrales Instrument, worauf sich die FINMA in einem sol-chen Verfahren stützt, ist die Mitwirkungs- und Auskunftspflicht gemäss Art. 29 Abs. 1 FINMAG. Relevant in einem solchen Verfahren ist die Generalkompetenz gemäss Art. 31 FINMAG. Darauf stützt die FINMA ab, welche Massnahmen sie treffen wird, um den ordnungsgemässen Zustand wiederherzustellen.

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• Eine der vielen Massnahmen, welche die FINMA ergreifen kann und die zu intensiven Diskus-sionen geführt hat, ist das Berufsverbot, gestützt auf Art. 33 FINMAG. Diese Massnahme sieht vor, dass eine Person in leitender Stellung für eine gewisse Dauer von seiner Position entfernt wird. Es wurde behauptet, dass es sich bei diesem Verbot um eine strafrechtliche Massnahme handelt. Das Bundesgericht kam 2016 zum Schluss, dass ein Berufsverbot keine strafrechtliche Anklage im Sinne von Art. 6 EMRK darstellt, sondern verwaltungsrechtlicher Natur ist.

Der Referent behandelt als zweiten Aspekt die Mitwirkung und den Grundsatz des «nemo tenetur».

• Patric Eymann weist zunächst auf die Uneinigkeit dieses Grundsatzes mit den Mitwirkungs-pflichten im Verwaltungsverfahren hin. Denn die Mitwirkungspflichten gelten bei der FINMA auch dann, wenn die betroffene Partei sich selbst belastet. Ein weiterer Disput stellt die Situation dar, dass Aufsichts- und Strafverfahren meistens parallel laufen. Art. 38 FINMAG besagt, dass diese beiden Behörden einander Rechtshilfe zu leisten haben und dazu verpflichtet sind, Informationen und Koordinaten der Verfahren auszutauschen. Somit werden Informationen, die von der FINMA ermittelt wurden, welche selbstbelastend sein können, unvermeidlich den Strafverfolgungsbe-hörden übergeben. Grundsätzlich muss der Strafrichter über die Verwertbarkeit entscheiden.

• Solche Konflikte versucht die FINMA nach Möglichkeit zu mildern oder wenn möglichst zu vermeiden. Sie achtet deshalb darauf, dass wenn beide Behörden aktiv sind, die Strafver-folgungsbehörde den Vorrang erhält und möglichst schnell Massnahmen ergreift, sodass die Verwaltungsbehörde ihre Informationen von ihnen kriegt und nicht umgekehrt.

Abschliessend hält Patric Eymann fest, dass die strafprozessualen Verfahrensgarantien im FINMA-Enforcement keine Anwendung finden. Denn die FINMA agiert als Aufsichtsbehörde und verfolgt ausschliesslich das Ziel, den rechtmässigen Zustand wiederherzustellen. Dies bedarf eines schnellen Handelns und eines raschen Verfahrens. Um dieses Ziel schnellstmöglich zu erreichen, benutzt sie ihr wichtigstes Untersuchungsmittel, nämlich die Auskunftspflicht.

2.3 FINMA Enforcement: «Strafrechtliche Anklage» im Sinne von Art. 6 EMRK? Prof. Dr. Urs Zulauf, Konsulent, ENQUIRE Rechtsanwälte, Zürich

Prof. Dr. Urs Zulauf weist in seinem Vortrag zuerst auf die zahlreichen Unterschiede zwischen WEKO-Verfahren und FINMA-Verfahren hin.

• Einer der Hauptunterschiede ist, dass die FINMA eine dauernde Aufsichtsbehörde ist, die tau-sende Unternehmen beaufsichtigt. Die WEKO führt ihre Verfahren jedoch punktuell durch und hat keine weitere Beziehung zu den betroffenen Parteien.

• Eine weitere Differenz zwischen den beiden Behörden ist die Bussenkompetenz. Anders als die meisten ausländischen Aufsichtsbehörden und anders als die WEKO, ist die FINMA nicht befugt, Bussen gegen Institute oder Einzelpersonen auszusprechen. Zu den einschneidendsten Sankti-onen, welche die FINMA verhängen darf, gehört das Berufsverbot.

• Einer der Gründe, weshalb es bei der FINMA im Vergleich zur WEKO so oft zu einem Verfahren kommt, ist die dauernde Aufsicht über die Gesellschaften durch die FINMA. Kommt es zu einer Verletzung der FINMAG-Bestimmungen, kann die FINMA ein Verfahren eröffnen.

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• Ein weiterer Grund ist die Meldepflicht der Banken. Sollte eine Zuwiderhandlung gegen die ge-setzlichen Regeln vorliegen, sind Banken verpflichtet, die Zuwiderhandlung den Behörden zu melden, was wiederum zu einem Verfahren führt.

• Ausserdem findet bei einem FINMA-Verfahren kein Hearing der Parteien statt, bei der WEKO hingegen schon.

• Schliesslich wird unterschieden zwischen den Entscheidungsverfahren der Behörden. Während bei der WEKO als Kommission alle Vertreter, die anwesend sind, unter Vorsitz des Präsidenten, über ein Verfahren entscheiden, ist es bei der FINMA ein Ausschuss, der die Entscheidung über ein Verfahren trifft.

Danach kommt Prof. Dr. Urs Zulauf auf die wichtige Frage zu sprechen, ob das FINMA-Enforce-ment-Verfahren in Verbindung mit den ausgesprochenen Sanktionen wie Berufsverbot, Ein-ziehung oder Veröffentlichung einer Verfügung eine «strafrechtliche Anklage» im Sinne von Art. 6 Ziff. 1 EMRK ist. Der Referent verweist in diesem Zusammenhang auf den Bundesgerichts-entscheid, welcher besagt, dass das Berufsverbot als administrative und nicht als strafrechtliche Massnahme zu qualifizieren ist. Folglich seien die ausgesprochenen Sanktionen der FINMA keine strafrechtlichen Anklagen.

Abschliessend kommt Prof. Dr. Urs Zulauf auf die Bussenkompetenz zu sprechen. Er ist überzeugt, dass dieser Punkt bei der FINMA weiterhin ein umstrittenes Thema bleiben wird.

Teil 3: Paneldiskussion (Auszüge)

Simon Brun, Dozent für Strafrecht an der ZHAW, ergreift nach dem letzten Referat das Wort. Als Moderator des Panels begrüsst er das Publikum und stellt die vier Panelgäste vor: Dr. Beat Zirlick von der WEKO, Friedrich Frank, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht bei der Anwaltskanz-lei Tethong Blattner, Christoph Kuhn von der FINMA und Katja Fehrlin Moser, Rechtsanwältin mit Fokus auf Strafecht und Dozentin für Strafrecht an der ZHAW.

Simon Brun

Simon Brun fragt Katja Fehrlin Moser nach ihrer Meinung zum Stand der Dinge aus der Sicht einer praktizierenden Strafrechtlerin.

Katja Fehrlin Moser

Katja Fehrlin Moser zeigt sich gegenüber den FINMA-Verfahren äusserst skeptisch. Sie macht da-rauf aufmerksam, dass es im Strafrecht viele weitergehende Garantien gibt, welche bei aufsichts-rechtlichen Massnahmen nicht gewährt werden, obwohl einige dieser Massnahmen ihrer Ansicht nach einen pönalen Charakter aufweisen. Insbesondere das Berufsverbot sei als strafrechtliche Anklage zu qualifizieren und dementsprechend sollten auch strafrechtliche Garantien gewährleistet werden.

Ein weiterer Punkt, den Katja Fehrlin Moser als fragwürdig erachtet, ist, dass die Untersuchungs-akten der FINMA der Bundesanwaltschaft übergeben werden, also die Durchlässigkeit zu einem Parallelverfahren.

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Friedrich Frank

Friedrich Frank ist mit allen Punkten von Katja Fehrlin Moser einverstanden. Ihren Aussagen fügt er hinzu, dass der Begriff «strafrechtsähnlich» in den Referaten sehr oft gefallen sei. Seines Erachtens gibt es entweder Strafrecht oder Verwaltungsrecht, aber dazwischen existiere nichts. Das Berufs-verbot stellt auch für ihn einzig und allein eine repressive Sanktion dar. Sie gehört gemäss Friedrich Frank unmissverständlich nicht in den Bereich des Verwaltungsrechts.

Christoph Kuhn

Christoph Kuhn äussert sich zu den Feedbacks von Katja Fehrlin Moser und Friedrich Frank. Nach seiner Überzeugung handelt es sich beim Berufsverbot eindeutig um eine administrative Massnah-me. Er begründet seine Meinung mit Art. 33 FINMAG. Dieser Artikel hält fest, dass das Berufsverbot als Aufsichtsinstrument und nicht als Strafrechtsinstrument konzipiert ist. Dieser Ansicht sei auch das Bundesgericht.

Er beteuert, falls es zu einem Berufsverbot kommt, sei der Verhältnismässigkeitsgrundsatz zu beachten.

Simon Brun

Der Moderator wendet sich an Dr. Beat Zirlick mit der Frage nach dem Unterschied zwischen Bus-sen nach Art. 49a KG und Art. 54 KG?

Beat Zirlick

Beat Zirlick legt das Problem wie folgt dar: Es gibt zwei unterschiedliche Meinungen bezüglich des Begriffes «strafrechtsähnlich». Einige sind der Auffassung, dass es nur «Strafrecht» und «Nichts-trafrecht» gibt. Der EGMR, der EuGH und das schweizerische Bundesgericht hingegen vertreten die Ansicht, dass es zwischen Verwaltungsrecht und dem Kernstrafrecht noch einen hybriden Be-reich gibt, welcher sich in den letzten Jahren immer mehr entwickelt hat. Man spricht von «straf-rechtsähnlich» oder «Quasistrafrecht». Dieses Quasistrafrecht differenziere sich vom klassischen Strafrecht ebenso, dass die Sanktionen unter anderem einen hybriden Charakter aufweisen. Eine Kartellsanktion gegen das Unternehmen habe unbestritten pönale und repressive Elemente, soll aber primär den, durch den Kartellgesetzverstoss erzielten, unrechtmässigen Gewinn abschöpfen. Somit hat die Sanktion eine Doppelfunktion. Zusammenfassend sei festzuhalten, dass der Gesetz-geber höchstpersönlich diese Unterscheidung zwischen den Sanktionsarten gemacht habe.

Beat Zirlick fügt noch hinzu, dass die WEKO bisher keine Sanktionen gegen natürliche Personen verhängt habe.

Simon Brun

Auf die letzte Aussage von Beat Zirlick fragt Simon Brun diesen, ob die WEKO gerne auch noch weitergehende Kompetenzen gegenüber natürlichen Personen hätte.

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Beat Zirlick

Beat Zirlick entgegnet, dass de lege lata die WEKO die Kompetenz hätte, im Wiederholungsfall ge-gen natürliche Personen vorzugehen. Darin liege auch der Unterschied zwischen der Verhängung von Bussen gegen die Unternehmen und solcher gegen natürliche Personen. Dem Unternehmen wird direkt bei der ersten Zuwiderhandlung eine Busse verhängt, während natürliche Personen erst im Wiederholungsfall gebüsst werden. Einen solchen Fall hätte die WEKO jedoch noch nie erlebt.

Eine andere Frage sei, ob man direkte Sanktionen gegenüber natürlichen Personen einführen soll. Diese Frage ist schon vor Jahren ausführlich diskutiert worden. Die Idee war, dass man auch Mana-ger, die am Kartell beteiligt sind, direkt bestrafen soll. Das Strafmass war zwar nicht so klar definiert, aber es war die Rede von Vergehen, Verbrechen, also Freiheitsstrafe von drei oder fünf Jahren. Die WEKO und der Bundesrat haben sich gegen diese Strafe ausgesprochen, da sie diese Sanktionen als überschiessend angesehen haben. Eines der Hauptprobleme sei darin gelegen, dass eines der wichtigsten Aufklärungsinstrumente bei der WEKO die Kronzeugenregelung, also die Bonusregelung, für Unternehmen gelte. Die Kronzeugenregelung besagt, dass durch die Mitwirkung der vorbelaste-ten Unternehmen zur Aufklärung von Kartellgesetzverstossen, eine Strafmilderung für die Parteien vorgesehen werden kann. Nun stellt sich die Frage, ob die natürlichen Personen, sollte es zu einer Einführung von Strafsanktionen kommen, auch dieser Kronzeugenregelung unterstehen würden. Beat Zirlick kann sich die Antwort der Strafrechtler schon erdenken: Sie hätten - berechtigte - gröss-te Bedenken. Da niemand einen überzeugenden Vorschlag hatte, wie man dieses Problem lösen könnte, war die Auffassung vertreten worden, dass auf die Strafsanktion von natürlichen Personen verzichtet wurde.

Friedrich Frank

Friedrich Frank erwidert auf die Antwort von Beat Zirlick, dass die Kronzeugenregelung der Haupt-grund sei, warum die WEKO sich so massiv gegen die Einordnung als echtes Strafrecht wehre. Denn die Bonusregelung existiert im Strafrecht nicht, doch die WEKO sei auf diese Kronzeugenre-gelung angewiesen für ihre Sachverhaltsaufklärung.

Beat Zirlick

Beat Zirlick stimmt Friedrich Frank teilweise zu, was das «sich wehren» anbelangt. Doch grundsätz-lich ist es der Gesetzgeber, der das Kartellgesetz geschrieben und die Strafen als Verwaltungssank-tionen definiert hat. Sowohl die europäischen Gerichte, als auch das Bundesverwaltungsgericht und das Bundesgericht führen aus, dass es sich um Verwaltungsverfahren handle und dass die strafpro-zessualen Garantien angemessen, aber nicht absolut zu berücksichtigen seien.

Simon Brun

Simon Brun bittet Herrn Zirlick den Grundsatz «nemo tenetur», der in den WEKO-Verfahren in redu-zierter Form angewendet wird, zu erklären. Anschliessend möchte er von Herrn Kuhn wissen, wie dieser Grundsatz denn bei der FINMA gehandhabt werde.

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Beat Zirlick

Grundsätzlich unterscheidet die WEKO zwischen schriftlichen und mündlichen Auskunfts- und Editionsverfügungen. Bei der mündlichen Einvernahme wird «nemo tenetur» absolut gewährt. Etwas anders ist es bei den schriftlichen Fragebogen. Die WEKO bemüht sich tatbestandsbezo-gene Fragen zu stellen. Man hat das Recht, die Antwort zu verweigern, jedoch folgt darauf eine Auskunftsverfügung. Diese verpflichtet den Betroffenen, bestimmte Auskünfte zu erteilen, welche ebenfalls möglichst tatbestandsbezogen sind. Der Betroffene kann diese Verfügung, unter der Beru-fung auf «nemo tenetur», anfechten. Sollten weder eine Anfechtung noch eine Antwort vom Betrof-fenen folgen, würde eine Sanktion zur Diskussion stehen, welche durch eine Sanktionsverfügung eingeleitet werden würde. Beat Zirlick versichert jedoch, dass das Ganze lediglich ein Scheinge-fecht sei. Denn, in der Praxis gäbe es praktisch nie Auskunftsverfügungen, weil die Unternehmen in der Regel direkt antworten würden.

Christoph Kuhn

Christoph Kuhn teilt mit, dass der Grundsatz «nemo tenetur» im Verwaltungsverfahren vor der FINMA keine Anwendung findet. Es wird auf das Aussageverweigerungsrecht hingewiesen. Die Aussagen würden praktisch nie verweigert werden, weil die Fragen der FINMA nicht selbstbelas-tend seien, sondern Sachverhaltselemente betreffen.

Simon Brun

Wieder an Christoph Kuhn gewendet, fragt Simon Brun, ob eine Möglichkeit bestehe, sicherzustel-len, dass die Akten und Informationen aus dem FINMA-Verfahren keinen Eingang ins Strafverfahren finden.

Christoph Kuhn

Da die FINMA von Gesetzes wegen dazu verpflichtet ist Rechts- und Amtshilfe zu leisten, hat sie lediglich die Möglichkeit, den Konflikt zu entschärfen, in dem sie dem parallellaufenden Strafverfah-ren den Vortritt bei den Einvernahmen gewährt. Somit erhält die FINMA die Akten von der Bundes-anwaltschaft und nicht umgekehrt. Dies sei jedoch nicht immer möglich, da die Geschwindigkeiten der beiden Verfahren völlig unterschiedlich seien.

Friedrich Frank

Friedrich Frank ist da anderer Meinung. Er vertritt die Ansicht, dass die Massnahmen der FINMA niederschwellig sein müssen und keinen Strafcharakter haben sollen. Sollte der Wunsch bestehen, weiterhin ein Berufsverbotsverfahren durchzuführen, sollte dies durch die Strafabteilung unter Wür-digung strafrechtlicher Grundsätze geführt werden.

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Teil 4: Abschluss und Keynote-Speech

Wie die Tradition dies gebietet, ergreift Prof. Dr. Patrick L. Krauskopf zum Abschluss das Wort. Er hält in seiner erfrischenden Abschlussrede fest, dass an diesem – bereits XXIX. – Atelier de la Con-currence, drei spannende und informative Referate gehalten wurden sowie eine anregende Panel-diskussion auf hohem Niveau stattgefunden hat.

Bei einem gemütlichen und unterhaltsamen Gala-Dinner im Haus zur Geduld, findet der Abend Ausklang. Das Dinner wird von einem sehr dynamischen wie auch inspirierenden Keynote-Spe-ech von Prof. Dr. Marcel A. Niggli, Professor für Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminologie an der Universität Freiburg, und seinem Mitarbeiter Louis Frédéric Muskens, Lektor für Strafrecht an der Universität Freiburg, begleitet. In ihrem aufschlussreichen Vortrag demonstrieren die Redner, weshalb die Beachtung der strafrechtlichen Verfahrensgarantien kein Hindernis für die FINMA- und WEKO-Verfahren darstellen. Sie zeigen auf, dass gewisse Sanktionen, wie zum Beispiel das Be-rufsverbot, unmissverständlich als strafrechtlich zu qualifizieren seien. Ausserdem vertreten sie die Ansicht, dass so etwas wie Quasistrafrecht nicht existiert, und regen die FINMA und die WEKO dazu an, sich nicht vor dem Strafrecht zu fürchten. Zum Schluss ist es wiederum Patrick Krauskopf, welcher die Tagung bereits eröffnet hatte, der die Gäste mit besten Wünschen verabschiedet.