3
REZENSION Es ist kein Novum, dass wirtschaftliche Potenz und diplomatischer Einfluss in der Real- politik notwendigerweise einhergehen mit militärischer Stärke. Dass China aufgrund seiner geografischen Lage, des wirtschaftlichen Wachstums und des technologischen Fortschrittes auch im maritimen Bereich aufrüstet, um die gesamte Klaviatur der Außen- und Sicherheitspolitik bedienen zu können, ist also nur folgerichtig. Diese Aufrüstung gipfelte zuletzt in der medienwirksamen Vorführung der Liaoning, dem ersten konven- tionellen Flugzeugträger der PLAN (People’s Liberation Army Navy), im Herbst 2012. Während es in Asien zu einem Rüstungswettlauf auf See kommt, findet in Europa eine budget- und interessenbedingte Abkehr von Seemachtskonzepten statt. Die europäischen Marinen werden zunehmend in polizeiähnliche Einsätze entsandt, klassische Fähigkeiten zur globalen Machtprojizierung und der Kampf auf See werden zurückgefahren; kurz: „Während ein Kulturkreis die Ozeane verlässt, rückt nun ein anderer auf die Meere mit Schiffen und in die Lufträume mit Kampfflugzeugen, die vor Waffensystemen nur so strotzen, nach“ (S. 3). Toshi Yosihara und James R. Holmes greifen die Debatten um die maritimen Ambi- tionen der Volksrepublik auf. In ihrer Analyse verfallen sie dabei nicht dem Reflex, sich in der sichtbaren Dimension von Seemacht – der bloßen Aufzählung von Schiffen und militärischen Fähigkeitenzu verlieren, sondern diskutieren anhand chinesischer Denk- schulen und öffentlich zugänglicher Quellen die strategischen Möglichkeiten, die sich der Volksrepublik auf dem maritimen Sektor anbieten. Die Theorien Alfred T. Mahans zur Seemacht nutzen die Autoren dabei in allen Kapiteln stets als Prisma, aus dem heraus sich die verschiedenen Spektren im Wandel von der kontinentalen Zentrierung Chinas auf dem Weg zur Seemacht analytisch begreifen lassen. Z Außen Sicherheitspolit (2013) 6:475–477 DOI 10.1007/s12399-013-0335-2 Yoshihara, T., & Holmes, J. R. (2011). Der rote Stern über dem Pazifik – Chinas Aufstieg als Seemacht und wie antwortet die USA. Hamburg: Mittler E. S. & Sohn GmbH, 258 S., ISBN: 978-3813209297, 24,95 €. David Petrovic Online publiziert: 30.05.2013 © Springer Fachmedien Wiesbaden 2013 D. Petrovic () Universität zu Köln, Luisenstraße 129, 53129 Bonn, Deutschland E-Mail: [email protected]

Yoshihara, T., & Holmes, J. R. (2011). Der rote Stern über dem Pazifik – Chinas Aufstieg als Seemacht und wie antwortet die USA. Hamburg: Mittler E. S. & Sohn GmbH, 258 S., ISBN: 978-3813209297,

  • Upload
    david

  • View
    213

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Yoshihara, T., & Holmes, J. R. (2011). Der rote Stern über dem Pazifik – Chinas Aufstieg als Seemacht und wie antwortet die USA. Hamburg: Mittler E. S. & Sohn GmbH, 258 S., ISBN: 978-3813209297,

Rezension

Es ist kein Novum, dass wirtschaftliche Potenz und diplomatischer Einfluss in der Real-politik notwendigerweise einhergehen mit militärischer stärke. Dass China aufgrund seiner geografischen Lage, des wirtschaftlichen Wachstums und des technologischen Fortschrittes auch im maritimen Bereich aufrüstet, um die gesamte Klaviatur der Außen- und sicherheitspolitik bedienen zu können, ist also nur folgerichtig. Diese Aufrüstung gipfelte zuletzt in der medienwirksamen Vorführung der Liaoning, dem ersten konven-tionellen Flugzeugträger der PLAN (People’s Liberation Army Navy), im Herbst 2012. Während es in Asien zu einem Rüstungswettlauf auf See kommt, findet in Europa eine budget- und interessenbedingte Abkehr von seemachtskonzepten statt. Die europäischen Marinen werden zunehmend in polizeiähnliche einsätze entsandt, klassische Fähigkeiten zur globalen Machtprojizierung und der Kampf auf see werden zurückgefahren; kurz: „Während ein Kulturkreis die Ozeane verlässt, rückt nun ein anderer auf die Meere mit Schiffen und in die Lufträume mit Kampfflugzeugen, die vor Waffensystemen nur so strotzen, nach“ (S. 3).

Toshi Yosihara und James R. Holmes greifen die Debatten um die maritimen Ambi-tionen der Volksrepublik auf. In ihrer Analyse verfallen sie dabei nicht dem Reflex, sich in der sichtbaren Dimension von seemacht – der bloßen Aufzählung von schiffen und militärischen Fähigkeitenzu verlieren, sondern diskutieren anhand chinesischer Denk-schulen und öffentlich zugänglicher Quellen die strategischen Möglichkeiten, die sich der Volksrepublik auf dem maritimen sektor anbieten. Die Theorien Alfred T. Mahans zur seemacht nutzen die Autoren dabei in allen Kapiteln stets als Prisma, aus dem heraus sich die verschiedenen Spektren im Wandel von der kontinentalen Zentrierung Chinas auf dem Weg zur Seemacht analytisch begreifen lassen.

Z Außen Sicherheitspolit (2013) 6:475–477DOI 10.1007/s12399-013-0335-2

Yoshihara, T., & Holmes, J. R. (2011). Der rote Stern über dem Pazifik – Chinas Aufstieg als Seemacht und wie antwortet die USA. Hamburg: Mittler E. S. & Sohn GmbH, 258 S., ISBN: 978-3813209297, 24,95 €.

David Petrovic

Online publiziert: 30.05.2013© Springer Fachmedien Wiesbaden 2013

D. Petrovic ()Universität zu Köln, Luisenstraße 129, 53129 Bonn, Deutschlande-Mail: [email protected]

Page 2: Yoshihara, T., & Holmes, J. R. (2011). Der rote Stern über dem Pazifik – Chinas Aufstieg als Seemacht und wie antwortet die USA. Hamburg: Mittler E. S. & Sohn GmbH, 258 S., ISBN: 978-3813209297,

476 D. Petrovic

Besonders die notwendigkeit des „zugangs“ zum maritimen Raum wird einleitend umfangreich dargestellt. Im maritimen 21. Jahrhundert der globalisierten Welt ist Chinas Wirtschaft angewiesen auf den seewärtigen Import von Energieträgern und den Export in überseeische Märkte. entsprechend ist der freie zugang zur see – regional wie inter-national – von strategischem Interesse. Dabei ist Chinas Zugang zum Pazifik schon auf-grund der vorgelagerten ersten inselkette, die sich über die japanischen inseln, Taiwan, die nördlichen Philippinen, Brunei und Malaysia erstreckt, erheblich eingeschränkt. So wird aus geopolitischen und geostrategischen erwägungen die Taiwan-Frage für die chi-nesische Seemacht fast existentiell, um das strategische „Dilemma, die See, aber nicht den Ozean zu besitzen“ (S. 49) zu überwinden. Eine Inbesitznahme dieses „stationären Trägers“ böte der Volksrepublik die Voraussetzung dafür, ein Sprungbrett in den Pazifik zu haben, um die erste geografische und strategische „Fußfessel“ (S. 50) zu lösen und sich der gefühlten Umkreisung durch die UsA und deren Verbündeten zu entziehen.

Auch wenn die Volksrepublik weit davon entfernt ist, sich in einen symmetrischen maritimen Rüstungswettlauf mit den UsA zu begeben, so zeigen die Autoren, dass durch technologischen Fortschritt, verstärkte Rüstungsanstrengungen und die nutzung geografischer Verhältnisse – etwa der Verbund von Seestreitkräften mit landgestützter Feuerunterstützung, durch moderne Anti-schiffs-Raketen und dem Ausbau der U-Boot-Flotteden USA zumindest der Zugang zur „nahen See“ (S. 11), verwehrt werden kann. indem China gezielt versucht, in einer strategie des anti-access/area denial (A2/AD) mit asymmetrischen Mitteln amerikanische Trägerverbände aus der Region zu drängen und sich gleichzeitig rüstet um in diese entstehende Lücke vorzustoßen, schlägt die „Bug-welle der chinesischen Marinemodernisierung“ bereits an die „Küste“ der amerikani-schen institutionen und Forschungseinrichtungen, die die investitionsbereitschaft und den politischen Willen der Volksrepublik auf dem Weg zur maritimen (Regional-)Macht unterschätzt haben (S. 211). Die Autoren verdeutlichen, dass sich die chinesischen Inter-essen aufgrund der schifffahrtswege in Richtung südostasien verlagern, mit zielrichtung auf die Straße von Malakka und mittelbar den Indischen Ozean (S. 83, 207). So erscheint die Strategie des A2/AD als eine Transitionsphase: Nicht mehr das Zurückdrängen ame-rikanischen Einflusses scheint das Ziel, sondern eine potentielle maritime Hegemonie in Asien-Pazifik und die Kontrolle über die Seeverkehrswege. Das chinesische Engagement an den Anti-Piraterie operationen vor somalia wird etwa in neu-Delhi nicht notwendi-gerweise als das Bemühen für eine „gute Ordnung auf See“ (Geoffrey, T. (2009). Sea- power: A Guide for the 21st Century. London: Routlegde) angesehen, sondern vielmehr als „rutschiges Gefälle in Richtung einer dauerhaften Flottenpräsenz im Indischen Ozean“ (S. 163).

Die Antworten der USA auf die Herausforderung in Asien zeigen die Autoren anhand eines Vergleichs der maritimen Strategien von 1986 und 2007. Ist die Strategie von 1986 noch vom Geist des Kalten Krieges geprägt und das Dokument einer Kriegsmarine für die eigene militärische Führung und ihre Planer, so ist die Strategie von 2007 eher ein politisches, kaum konfrontatives Dokument. Die gesamte Bandbreite maritimer sicher-heitsvorsorge wird abgebildet, die Anforderungen an die streitkräfte jedoch nicht mit den notwendigen Ressourcen in Übereinkunft gebracht, wodurch die strategie letztlich schei-tert (S. 187). Das Peking nicht als Herausforderung namentlich erwähnt wird und „das Herunterspielen der Wahrscheinlichkeit eines traditionellen Konflikts auf See“ schwächt

Page 3: Yoshihara, T., & Holmes, J. R. (2011). Der rote Stern über dem Pazifik – Chinas Aufstieg als Seemacht und wie antwortet die USA. Hamburg: Mittler E. S. & Sohn GmbH, 258 S., ISBN: 978-3813209297,

477Yoshihara, T., & Holmes, J. R. (2011). Der rote Stern über dem Pazifik

einerseits die Us-Marine in ihren Rüstungsanstrengungen und verunsichert zugleich die amerikanischen Partner in Asien, da nicht klar ist, was die UsA über „die Realität eines aufsteigenden, militärischen mächtigen China denken“ (S. 196). Auch wenn kooperative Dokumente trotz aller Rhetorik diplomatische Fußangeln enthalten, so fehlt es gemäß des Roosvelt’schen Bonmots „Speak softly and carry a big stick; you will go far“ an einer stärkeren Akzentuierung des Knüppels – einerseits gegenüber Chinas maritimen Ambitionen, andererseits als Versicherung gegenüber den amerikanischen Verbündeten in der Region.

Wohin die Volksrepublik mit ihren maritimen Ambitionen auch immer steuert, das vorliegende Buch bereichert die Debatte aufgrund des chinesischen Blickwinkels und der Expertise der Autoren ungemein. Dabei leitet der Titel etwas in die Irre – denn die Autoren geben richtigerweise zu bedenken, dass sich die chinesischen interessen mehr nach südsüdwesten, nach südostasien und auf den indischen ozean ausrichten und nicht ausschließlich auf den Pazifik. Auch wenn in der deutschen Übersetzung sicherlich etwas von dem angelsächsischen schneid in den Formulierungen verlorengeht und obgleich das Buch mit seiner Vielzahl eigentlich für sich selbst stehender exzellenter Studien an einigen stellen etwas überfrachtet wirkt: lesenswert!