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Bedeutung Die meisten heutigen Zeitgenossen kennen Hildegard von Bingen in erster Linie als Autorin der medizinisch-natur- kundlichen Schriften, aus denen man sogar eine eigene „Hildegard-Medi- zin“ abgeleitet hat, die bisweilen als ganzheitli- che Alternative zur Schulmedizin genannt wird. Bekannt ist sie dar- über hinaus vielen auch noch als Komponistin. Das Leben und Werk Hildegards von Bingen umfasst jedoch weit mehr: sie war vor allem Äbtissin, Theologin, Politikerin, Schriftstellerin. Die sich daraus für sie ergebende ganzheitliche Betrachtung der Dinge mag angesichts der Anforderungen an eine komplexer werdende Hildegard von Bingen – Die „Deutsche Prophetin“ R E T T Ä L B R E T T Ä L B B L Ä T T E R Z U M L A N D 4’2008 R H E I N L A N D - P F A L Z „Die Seherin“, Miniatur aus dem Rupertsberger Scivias- Kodex der hl. Hildegard

Z L ZUM LAND F Hildegard von Bingen – Die „Deutsche Prophetin“ · Hildegard von Bingen – Die „Deutsche Prophetin“ B B B L L L Ä Ä Ä T T T E E E R R R ZUM LAND4’2008

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Bedeutung

Die meisten heutigenZeitgenossen kennenHildegard von Bingen inerster Linie als Autorinder medizinisch-natur-kundlichen Schriften, ausdenen man sogar eineeigene „Hildegard-Medi-zin“ abgeleitet hat, diebisweilen als ganzheitli-che Alternative zurSchulmedizin genanntwird. Bekannt ist sie dar-über hinaus vielen auchnoch als Komponistin.Das Leben und WerkHildegards von Bingenumfasst jedoch weitmehr: sie war vor allemÄbtissin, Theologin,Politikerin, Schriftstellerin.Die sich daraus für sieergebende ganzheitlicheBetrachtung der Dingemag angesichts derAnforderungen an einekomplexer werdende

Hildegard von Bingen – Die „Deutsche Prophetin“

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„Die Seherin“, Miniatur ausdem Rupertsberger Scivias-Kodex der hl. Hildegard

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Welt ein Grund dafür sein, dass der Per-son Hildegard von Bingen in den letztenJahren vielfache Beachtung geschenktwurde. Den vielfältigen Begabungen undihrem umfangreichen Werk gerecht zuwerden, würde den Rahmen des vorlie-genden Blattes sprengen. Hier steht -neben einigen wenigen Angaben zu ihrerPerson - vor allem die „historisch-politi-sche“ Hildegard im Mittelpunkt, die ineiner Zeit des Umbruchs durch ihre Worteund Taten deutlich versucht hat, auf dieEntwicklungen ihrerUmgebung Einfluss zunehmen.

Allein das schriftstel-lerische Werk Hilde-gards von Bingen(1098-1179) ist inmehrfacher Hinsichtbeachtenswert: Es hateinen ungeheurenUmfang, so dassselbst seine heutigeBuchausgabe knappeinen Meter auf demBücherregal einnimmt.Es besitzt zudem einethematische Spann-breite, die von einerTrilogie theologischenInhalts über eineBriefsammlung, zahl-reiche kleinere Werkewie Lebensbeschrei-bungen von Heiligen,eine Autobiografie,Gedichte und Lie-der bis zu medizi-nisch-naturkundlichen Schriften reicht.Zuletzt deckt es einen Zeitraum von fast40 Jahren ab und ist nahezu vollständigüberliefert.

Hildegards Mahnungen

In den 60er und 70er Jahren des 12. Jahr-hunderts geschieht etwas Unerhörtes:

Hildegard von Bingen bricht aus der Engeihrer Klostermauern aus und unternimmtmehrere Predigtreisen zu bedeutendenOrten an Rhein und Mosel. Unerhört istdieser Vorgang zum einen, weil sie alsNonne eigentlich dazu verpflichtet ist, inihrem Kloster zu bleiben, zum anderen,weil es in erster Linie den männlichenPriestern erlaubt ist zu predigen. Unerhörtist aber vor allen Dingen der Inhalt vonHildegards Predigten. In Trier, Köln undMainz beschimpft sie die dortigen Erz-

bischöfe und Pries-ter. Besonders dra-stisch sind die Wor-te, die sie bei einerAnsprache in Kirch-heim (dem heutigenKirchheim-Bolan-den) wählt, wo siebildreich als Stell-vertreterin dergesamten Kirchespricht: „Körper und Blut meinesGatten Jesus Chris-tus verschachern diePriester, indem siebeides durch ihrezügellose Lebens-weise arg beschmut-zen, mit Hurereiund Ehebruch besu-deln sowie auf übel-ste Weise aus Hab-gier rauben; in allemöglichen un-schicklichen Sachenmischen sie sich ein.So wälzen sie besag-

ten Körper und Blut in einem solchenSchmutz, als würde man ein Kleinkindzu Schweinen in den Dreck setzen. (…)Fürsten und das unbesonnene Volk wer-den über euch, o Priester, herfallen, dieihr mich bis jetzt verachtet habt. Sie wer-den euch in die Flucht schlagen und eucheuren Reichtum fortnehmen, weil ihr dieZeit eures Dienstes nicht beachtet habt. Sie

„Der Versucher“, Miniatur aus dem RupertsbergerScivias-Kodex der hl. Hildegard

werden über euch sagen: ‚Lasst uns dieseEhebrecher und Räuber, die von jeglichemÜbel erfüllt sind, aus der Kirche hinaus-werfen!’“ Mit diesen Worten klagt Hildegard an,dass die Priester ihren Verpflichtungennicht mehr nachkämen, da sie sich inallzu viele weltliche Dinge verstrickt hät-ten, etwa in den Verkauf kirchlicherÄmter gegen Höchstgebot, wodurch dieSeelsorge unter dem Volk leidet. In weite-ren Texten tadelt sie, dass sich die Erz-bischöfe mittlerweile von den weltlichenFürsten kaum mehr unterscheiden, da sieHeere aufstellten und Kriege führten. Ineinem solchen Kriegwürden jedoch diegeistlichen den weltli-chen Herrschern un-terliegen, prophezeitHildegard nicht nur indem obigen Text.Nach ihrer Niederlagewürden die Fürstender Welt denGeistlichen deren un-rechtmäßig erworbe-nen Reichtümer rau-ben. Hildegard vertrittin diesen Predigtenalso eine radikaleReform der Geist-lichen, wonach diesenotfalls mit Gewaltzur Armut verpflichtetwerden soll. Letztlichsah sie damit eineReform voraus, die inder Neuzeit im Zuge der Trennung vonweltlicher und geistlicher Macht tatsäch-lich vollzogen wurde und unser heutigesLeben prägt. Wie ist Hildegard zu dieserdamals radikalen Haltung gelangt?

Hildegards Herkunft und Lehrjahre

Hildegard stammte aus einer hochadligenFamilie im Naheraum, zu deren

Verwandtschaft etwa Erzbischöfe vonKöln und Trier zählten. Bereits als Kindwurde sie einer geistlichen Erziehunganvertraut und kam bald im Gefolge ihrerLehrerin Jutta in das abseits gelegeneKloster Disibodenberg, wo sie innerhalbeines bestehenden Männerklosters eineGemeinschaft von Nonnen gründeten.Jutta wurde dort die Vorsteherin derNonnengemeinschaft. Sie trug stets einendornenbewehrten Gürtel zur Selbstgeiße-lung unter ihrem Gewand und muss mitihren strengen Ansichten über Askese dasLeben des Konvents geprägt haben. Nachihrem Tod wurde Hildegard 1136 zur

Nachfolgerin ge-wählt. Seit 1141 –erst mit 43 Jahren –begann sie aufgrundvon Visionen, die sievon ihrer Kindheitan begleitet hatten,Schriften zu verfas-sen, die 1147/48päpstliche Aner-kennung erhielten.Papst Eugen III. solldamals sogar persön-lich während einerSynode in Trier ausihrem ersten großenWerk, dem „Scivias“(„Wisse die Wege“),vorgelesen haben.Darin behandeltHildegard in dreigroßen Kapiteln vor-nehmlich theologi-

sche Fragen; eindrucksvoll ist das letzte,in dem sie einen Abriss der Geschichtebis zum Jüngsten Gericht gibt.

Hildegards Gründung eineseigenen Klosters

Einen Einschnitt bedeutete die räumlicheTrennung vom Disibodenberg, als Hilde-gard und ihre Nonnen um 1150 auf denRupertsberg bei Bingen übersiedelten.

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„Der mystische Leib“, Miniatur aus demRupertsberger Scivias-Kodex der hl. Hildegard

Die Ablösung fiel in eine Zeit, in der vie-lerorts die weiblichen Gemeinschaftenaus Doppelklöstern herausgelöst wurden.Gerade am Mittelrhein entstand überdiesim Zuge einer allgemeinen religiösenAufbruchsstimmung eine Anzahl vonneuen Frauengemeinschaften, die gerade-zu in Konkurrenz zueinander treten muss-ten. Hildegard bediente also gewisser-maßen mit ihrer Gründung einen Markt,auf dem sie mit einem spezifischenAngebot auftrat: Ihre Nonnen sollten nuradliger Herkunft sein. Als sie deswegeneinmal kritisiert wurde, antwortete sierelativ arglos in einem Brief mit einemVergleich: „Welcher Mensch sammelt seineganze Herde in einem einzigen Stall,nämlich Ochsen, Esel, Schafe, Böcke, ohnedass sie aneinander geraten?“ Später hatsie im Übrigen diese Position öffentlichnicht mehr so laut vertreten. Speziell aufAdlige schien auch Hildegards Liturgiezugeschnitten: Die Nonnen wohnten denGottesdiensten mit Ringen geschmückt,offenem Haar, einer Krone und goldbe-setzem Schleier bei – hier zeigt sich ganz

deutlich, dass sich Hildegard nachdem Tod Juttas von deren asketi-scher Lebenspraxis emanzipierthatte. Trotzdem hatte die Meisterinmit ihren Nonnen schwere

Kämpfe auszustehen, wasdie Lebensführung imKloster anbelangte.Davon legt auch ihrzweites großes Werk,der „Liber Vite Meri-

torum“ („Das Buch

KlosterruineDisibodenberg

Kloster Rupertsberg um 1600

Macht gerieten die Geistlichen jedochgeradezu zwangsläufig mit den Ansprü-chen der weltlichen Fürsten in Konflikt,die nicht zulassen wollten, dass sich dieKirchenmänner auf ihre Kosten bereicher-ten. Hildegard sah in ihrem unmittelbarenUmfeld die Auswirkungen dieserKlosterpolitik: Gerade im Mainzer Raum mussten vieleAdlige ihre Herrschaftsrechte an den Erz-bischof vollständig abtreten, die sie dannvon diesem wiederum als Lehen zurückerhielten. Bald formierte sich dadurch derWiderstand unter den alteingesessenenAdligen. Anführer dieser Bewegung warzunächst der mächtige Pfalzgraf beiRhein, Hermann von Stahleck, mit dessenFamilie Hildegard sehr verbunden war.Dieser Pfalzgraf zeigte deutliche Ambi-tionen, seine Residenz in einem zentralenOrt am Mittelrhein zu errichten, der da-mals in den Händen des Mainzer Erz-bischofs war: in Bingen. Wohl aus diesemAnsinnen heraus ist es zu erklären, dasser Hildegard reich mit Schenkungen andiesem Ort bedachte, damit diese den

Disibodenberg verlassen und ihreigenes Kloster in Bingen gründen

konnte. Insgeheim hoffte Her-mann nämlich wohl selbst als

Vogt die Oberaufsicht überHildegards Kloster ausüben

zu können. Deshalb erhobsich 1155 ein Krieg mit

dem Pfalzgrafen Her-mann und seinen Ver-bündeten auf der einenSeite sowie dem Erz-bischof Arnold auf deranderen Seite; Anlass

der Lebensverdienste“), Zeugnis ab: Inden „Streitgesprächen“ treten jeweils Tu-genden und Laster in zumeist menschli-cher Gestalt gegeneinander an; hier ha-ben sich gewiss ihre persönlichen Erfah-rungen niedergeschlagen.

Konflikte mit dem MainzerErzbischof

Bereits vor Hildegards Umzug auf denRupertsberg hatte sich ihre Haltung zuihrem Schutzherren, dem Mainzer Erz-bischof, gewandelt. Denn die MainzerOberhirten hatten sich – ähnlich wie etwadie Kölner und Trierer Erzbischöfe –dadurch hervorgetan, in ihren Bistümerneinen ähnlichen Einfluss zu erlangen, wieihn zeitgleich weltliche Fürsten anstreb-ten. Eine solche Macht ließ sich vorrangigdurch den Zugewinn und Besitz vonLändereien erreichen. Der Versuch vielerHerrscher, auf verschiedenen Wegen einjeweils zusammenhängendes Territoriumunter ihrer Befehlsgewalt zu schaffen,wird gemeinhin als „Territorialisierung“bezeichnet. Speziell für die geistlichenTerritorien spielten die Klöster eine her-ausragende Rolle dabei, die erzbischöfli-che Macht auszubauen. Über Land-Schenkungen, die beispielsweise dieAngehörigen eines Mönchs odereiner Nonne an das aufnehmendeKloster tätigten, konnte ein Bischofdie Kontrolle über immer weitereLandstriche ausüben. In dieserHinsicht hat ganz entschiedendas Kloster Disibodenberg aufseine Umwelt gewirkt, das demMainzer Erzbischof direkt unter-stellt war. Bei dem Ausbau ihrer

Abtei St. Hildegard, Eibingen

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dieses Krieges war gewiss der Streit umdie Aufsichts-Rechte über HildegardsKloster. Obwohl der Mainzer Erzbischofdiesen Konflikt nach Eingriff von KaiserBarbarossa zu seinen Gunsten entschied,konnte Hildegard letztlich die Gründungihres Klosters vollziehen, das sie schließ-lich unter den unmittelbaren Schutz desErzbischofs stellte. 1160 wurde Arnoldschließlich bei einem Aufstand ermordet,bei dem Hildegards Bruder als treibendeKraft auszumachen ist.Als Nachfolger der pfalzgräflichen Politikam Mittelrheinkann Werner II.von Bolandenbetrachtet werden.Er war bei demAusbau seiner Macht erfolgrei-cher, weil derNachfolger vonErzbischof Arnoldsein Bistum gera-dezu nachlässigverwaltete. Sokonnte er nach1165 dem Erz-bischof zahlreicheBesitzungen rau-ben. Auch Wernerpflegte zu Hilde-gard einen herzli-chen Kontakt, dieim Übrigen in die-sen Jahren ebenfallsihr Kloster um eineweitere Anlage aufder anderen Rheinseite in Eibingen erwei-terte, wo sich das heute erneut bestehen-de Kloster Sankt Hildegardis befindet.

Hildegard – Die „DeutscheProphetin“

Der Gelehrte Johannes von Salisburyrechnet Hildegard in den1160er Jahren zuden „Prophetissae Teutonicae“ („DeutscheProphetinnen“) und nennt sie heilig und

sehr berühmt. Offensichtlich war sie ihrenZeitgenossen als eine Seherin bekannt,die der nachlässigen Geistlichkeit einStrafgericht ankündigte, das in der Gestaltvon unzufriedenen mächtigen Herrschernüber sie einfallen würde.Erstaunlicherweise sollte an dem Endedes Strafgerichts ein Zustand erreicht wer-den, der dem unserer heutigen säkulari-sierten Welt nahe kommt: Die Nonnen,Mönche und Priester sollten für dieSeelsorge unter den Gläubigen nur dasNötigste erhalten, während die weltlichen

Machthaber für alleanderen Belangeihrer Untertanenzuständig sein soll-ten. Hildegarderscheint mit ihremWeitblick wahrhaftvisionär. Blickt manjedoch auf die histo-rischen Ereignisse inHildegards Gegen-wart, so stellt sichheraus, dassHildegard nichtsanderes tat, als dieAngriffe, die weltli-che Machthabergegen Erzbischöferichteten, ein wenigin die Zukunft zuverlegen. Auf dieseWeise legitimiertesie zugleich dieTaten der weltli-chen Fürsten in

ihrer Gegenwart. Zu diesen Angreifernstand Hildegard in einer innigen Bezie-hung: mit Pfalzgraf Hermann, dessenKriegszug 1155 gegen den Mainzer Erz-bischof oben beschrieben wurde, war siewohl verwandt. Dieser trug ähnliche krie-gerische Konflikte mit dem Trierer Erz-bischof aus. Auch zu Hermanns Nach-folger im Amt eines Pfalzgrafen, Konrad,einem Halbbruder Kaiser Barbarossas, hatdie Seherin sehr gute Kontakte gepflegt.

„Der Tag der großen Offenbarung“, Miniatur ausdem Rupertsberger Scivias-Kodex der hl. Hildegard

Auffälligerweise hat Hildegard in ebendie-sen Jahren Trier, Mainz und Köln besuchtund dort Predigten gehalten, in denen siedas Strafgericht ankündigte. Sie hat alsomit ihren Auftritten durchaus versucht,politisch einzugreifen. Geradezu alsErfüllung ihrer Zukunftsschau muss siedie Lage beurteilt haben, in der sich dasMainzer Erzbistum seit 1165 bis zu Hilde-gards Tod befand. Der säumige Erz-bischof Christian ließ damals zu, dasszahlreiche Besitztümer in die Hände welt-licher Fürsten übergingen. Sogleich hatdamals – sozusa-gen unmittelbarvor HildegardsAugen – Wernervon Bolanden dieMacht in Bingenan sich gerissen,indem er die dor-tige Burg ein-nahm. In dieser Zeitschrieb sie dasletzte Werk ihrertheologischenTrilogie, den„Liber DivinorumOperum“ („DasBuch der göttli-chen Werke“).Dieses nimmtinhaltlich vielfachBezug auf ihrErstlingswerk,erscheint aber inihrer Ausrichtung vielfach milder, ja gera-dezu weise. Tatsächlich scheint es weni-ger an theologisch gebildete Leser gerich-tet zu sein, sondern an weltlich lebende.

Bewertung

Bei der Einordnung von Hildegards Leis-tungen ist zu beachten, dass ihr Auftretenstets von Anfeindungen aus einer vonMännern dominierten Welt begleitet war,wovon sie selbst berichtet. Äußerst selbst-

bewusst hat sie sich gegenüber den Män-nern ihrer Umgebung durchgesetzt, wieihr Umzug vom abgeschiedenen Disibo-denberg in die Nähe der Stadt Bingenzeigt, die an den Verkehr gut angebundenwar. Von hier aus war es ihr leichter mög-lich in die Welt hinein zu wirken, indemsie etwa Gäste empfangen und ihre Briefeleichter befördern lassen konnte, um dieLeute zu beraten oder zu mahnen.Insbesondere konnte sie von Bingen ausbesser zu ihren Predigtreisen aufbrechen,die sie mit ihrem politischen Anliegen

verband. In diesemPunkt widersetzte siesich den Konventionenihrer Zeit besonders,wobei sie auf ihre über-geordnete Rolle alsJungfrau und Prophetinverwies, für die es keinGesetz gebe. Die Kraftdafür schöpfte sie ausihrem Glauben. IhreUnerschrockenheit undihr Mut, unbequemeWahrheiten ans Licht zubringen, nötigen auchdem heutigen Betrach-ter einigen Respekt ab.Dennoch ist Hildegardkeine unumstrittenePerson. Fremd erscheintdem heutigen Betrach-ter ihre Weigerung,Nonnen von nicht-adli-gen Familien aufzuneh-

men. Überhaupt wies sie dem Adel einebesondere heilsgeschichtliche Funktionzu. Ihre Umstrittenheit zeigt bereits ihrHeiligsprechungsverfahren, das mehrfachaufgenommen, aber nie zu Ende geführtwurde. Trotzdem wird sie im römischenKalender als Heilige geführt.

Wirkung

Hildegards Kloster auf dem Rupertsbergin Bingen wurde im 30-jährigen Krieg

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Der Hildegarten des Historischen Museums amStrom versucht die Pflanzenkunde der Hildegard

im historischen Kontext zu vermitteln.

Diese Veröffentlichung stellt keine Meinungsäußerungder LpB Rheinland-Pfalz dar. Für die inhaltlichenAussagen trägt der Autor die Verantwortung. H

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(1618 – 1648) und später durch den Baueiner Eisenbahntrasse zerstört, nur nochwenige Reste erinnern heute daran. Dasursprüngliche Tochterkloster in Eibingenbestand bis zur Aufhebung im Zuge derSäkularisation 1803 und wurde Anfangdes letzten Jahrhunderts neu gegründet;aus dieser Zeit stammt auch der heutigeBau der Abtei, der besucht werden kann. Interesse für Hildegards Werk erwecktenimmer wieder die Mahnungen, die amhäufigsten gelesen und vervielfältigt wur-den. Im Zeitalter des Humanismus wur-den ihre Werke wieder entdeckt, beson-ders der Sponheimer Abt Trithemius be-schäftigte sich mit ihnen. Auch im Zugeeiner Rückbesinnung auf katholische Wer-te im 19. Jahrhundert las man ihre Schrif-ten erneut verstärkt. Seitdem ist das Inter-esse von Seiten eines breiteren Publikumsnicht wieder erloschen. Dabei liegt viel-leicht in der Ganzheitlichkeit der Betrach-tung der Grund, aus dem Hildegard vonBingen auch in den letzten Jahren wiedermehr Aufmerksamkeit erfahren hat.Gerade in Zeiten einer komplexerwerdenden Welt weist bisweilen einumfassender Blick einen Weg, umProbleme anzugehen und zu lösen.Allerdings wird ihr Werk in einigenpopulären Darstellungen sehr einseitig füreine jeweilige Argumentation zitiert, seidiese nun von feministischen oder esoteri-schen Ansichten geprägt.

AutorDr. Tilo Altenburg

Bildnachweis:Benediktinerinnenabtei St. Hildegard,Rüdesheim/Eibingen und Stadt Bingen.

Literatur:Hildegards Werke sind bei Pattloch und Herderin deutschen Übersetzungen erschienen.

• Altenburg, Tilo: SozialeOrdnungsvorstellungen bei Hildegard vonBingen, Stuttgart 2007 (wissenschaftlich, mitweiterer Literatur)• Beuys, Barbara: Denn ich bin krank vorLiebe. Das Leben der Hildegard von Bingen,München/Wien 2001 (eine fundierteDarstellung für ein breiteres Publikum)• Schipperges, Heinrich: Die Welt derHildegard von Bingen - Leben, Wirken,Botschaft, Pähl 2007• Kerner, Charlotte: Alle Schönheit des Himmels – Die Lebens-geschichte der Hildegard von Bingen,Weinheim 2007

Weitere Informationen über Hildegard von Bingen:

Benediktinerinnenabtei St. Hildegard Klosterweg, 65385 Rüdesheim am Rhein Tel.: 0049/(0)6722/499-0 Fax: 0049/(0)6722/499-178www.abtei-st-hildegard.dee-mail: [email protected]

Historisches Museum am Strom - Hildegard von Bingen, Museumstraße 3, 55411 Bingen am Rhein, Tel. 06721/991531, Fax: 06721/990653 www.bingen.de/de/4/historisches_museum.html Öffnungszeiten:täglich außer Montag von 10:00 Uhr - 17:00 Uhr

Zeitgenössische Bronzestatue der Hildegard von Bingen