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Zehn Merl{male guten Unterrichts Empirische Befunde und didaktische Ratschläge Wer wünschte sich das nicht: empirisch ab- gesicherteMaßstäbefür guten underfolgrei- chen Unterricht?! Der folgende Beitrag ent- wickelt solche Merkmale, gestützt auf die neuere Unterrichtsforschung.Die Merkmale werdenaber nicht nur beschriebenund in ih- ren Indikatoren (= Anzeigern) dargestellt. Vielmehr folgen daraus jeweils konkret ab- leitbare didaktisch-methodischeRatschläge. Sowird Forschungpraxisrelevant... HILBERT MEYER 1. Fragestellung ~ '" u 01 ffi .... z ::> i'5 .... ::> '" ... <i! :E '" '" :i1 z 15 N I1 Alle Welt redet von der Qualitätsent- wicklung des Unterrichts. Aber was damit gemeint ist, bleibt oft unklar. Im Mittelpunkt dieses Beitrags steht deshalb die Beschreibung von zehn Merkmalen guten Unterrichts. Sie können Ihnen helfen, die Stärken und Schwächen der eigenen Unter- richtspraxis zu durchdenken. Sie können auch ais Folie benutzt wer- den, um mit den Schüler(inne)n ins Gespräch zu kommen oder um im Kollegium ein Unterrichts-Leitbild zu erarbeiten. Drumherum finden sich einige theoretische Erläuterungen zu der Frage, wie »Merkmale guten Unterrichts« von den Wissenschaft- ler(inne)n konstruiert, empirisch überprüft und didaktisch gewichtet werden. Die Unterrichtsforschung hat in den letzten zehn Jahren deutliche Fort- schritte gemacht. Es gibt eine ganze Reihe neuerer Studien, die im Prinzip zu gleichlautenden Aussagen über guten Unterricht kommen. Insbeson- dere beziehe ich mich auf eine von Jere Brophy (2002) vorgelegte, welt- weit akzeptierte Zusammenfassung 36 PÄDAGOGIK10/03 Empirische Befunde und didaktische Ratschläge sowie auf die sogenannte SCHOLAS- TIK-Studie von Franz E. Weinert und Andreas Helmke (1997). Die Forscher können heute viel ge- nauer als früher sagen, welche Merk- malsausprägungen einen dauerhaft hohen Einfluss auf den Lernerfolg der Schüler(innen) haben und welche an- deren Merkmale den Erfolg behin- dern. Deshalb ist es erstmals möglich, eine empirisch gehaltvolle, auf die Kompetenzentwicklung der Schüler orientierte Didaktik auszuformulieren und nicht nur mit Mutmaßungen zu arbeiten. 2. Begriffsklärungen Was sind »Merkmale guten Unter- richts« bzw. »Qualitätsmerkmale(<? Im Jargon der Unterrichtsforscher handelt sich um »theoretische Kon- strukte(<. D. h., in ihnen wird eine Fülle einzelner Unterrichtsereignisse unter einem Oberbegriff zusammen- gefasst und mit Hilfe einer Wir- kungshypothese mit bestimmten Lerneffekten verknüpft, um dann im nächsten Schritt empirisch überprü- fen zu können, ob die Wirkungshy- pothese zutrifft oder nicht: ". 9 s~ y . \ \:(v.. vIA I"'O#, e "'" ~:Se Definition 1: »Merkmale des Unter- richts« sind theoretische Konstrukte zur Beschreibung von individuellen Ausprägungen des von den Wissen- schaftler(inne)n beobachteten Unter- richts. j I ~, Das klingt alles ein bissehen gespreizt - und das ist.es auch. Die Empiriker scheuen sich, eigene Werturteile über »gut« oder »schlecht« abzugeben. Sie ziehen es vor, neutral von »Merk- malsausprägungen«, »Faktoren«, »Variablen« usw. zu sprechen. Die Scheu ist methodologisch gut be- gründet. Denn aus der Feststellung dessen, was beobachtbar ist, kann grundsätzlich nicht abgeleitet wer- den, was in Zukunft sein soll. Deshalb folgt gleich eine zweite, aus der Sicht der Allgemeinen Didaktik vorgenom- mene Definition für »Gütekriterien des Unterrichts<<: Definition 2: »Gütekriterien des Unterrichts« sind empirisch abgesi- cherte und didaktisch gewichtete Normen zur Analyse und Gestaltung erfolgreichen Unterrichts. Beide, in den zwei Arbeitsdefinitio- nen angedeutete Denkbewegungen sind nötig: Die Empiriker kiären uns über gesetzmäßige (oder statistisch wahrscheinliche) Beziehungen zwi- schen Unterrichts merkmalen und Lernerfolgen auf; die Didaktiker dis- kutieren, welche der nachgewiesenen Lerneffekte wünschenswert sind und welche nicht. 3. Ein Mischmodell: zehn Merkmale guten Unterrichts In den oben genannten Einzelstudien liegen inzwischen sicherlich gut zwei- oder dreihundert verschiedene Merk- malsdefinitionen für guten Unterricht vor. Ich habe daraus ein eigenes Mi- schmodell gemacht. Diese Freiheit nehme ich mir, weil die Forscher der Einzelstudien auch nichts anderes ge- tan haben, als ihre Merkmalsdefini- tionen - bezogen auf den jeweils er- reichten Stand der Forschung - krea- tiv weiterzuentwickeln. Zehn Merkmale guten l}nterrichts (I) Die genannten Studien haben kog- nitive Lernerfolge getestet. Sie ha- ben so wichtige Faktoren wie die Methoden- und Sozialkompetenz oder die Entwicklung von Kreati- vität aus forschungspraktischen Gründen ausgeklammert. Auch das Kriterium »fachliche Korrektheit« fehit. (2) Die Mehrzahl der Studien bezieht sich auf einen herkömmlichen, eher frontal organisierten Unterricht. (3) Es gibt große Unterschiede in der Stärke bzw. Intensität, mit der die Merkmale in den verschiedenen untersuchten Schulklassen vorka- men. KlareStrukturierungdesLehr-Lernprozesses intensiveNutzungderLernzeit StimmigkeitderZiel-, Inhalts-undMethodenent- scheidungen Methodenvielfalt intelligentesOben individuellesFördern lernförderlichesUnterrichtsklima sinnstiftendeUnterrichtsgespräche regelmäßigeNutzungvonSchüler-Feedback klare Leistungserwartungen und-kontrollen , 4. . 5. 6. 7. 8. 9. 10. ~. , ;Q~.. ~ ~"'1I~ " Es hat sich in verschiedenen Studien herausgestellt, dass die ersten bei den , Merkmale unseres Katalogs »Spitzen- reiter« für die Qualitätsverbesserung des Unterrichts sind. Aber auch die anderen acht Merkmale unseres Kata- logs helfen den Schülerinnen und Schülern nachweisiich, zu guten Lernergebnissen zu kommen. Deshalb die gar nicht mehr kühne These: These 1: Wer dafür sorgt, dass die zehn Merkmale des Katalogs in sei- nem Unterricht stark ausgeprägt sind, macht guten Unterricht und verhilft dadurch seinen Schülerin- nen und Schülern zu dauerhaft ho- hen Lernerfolgen. Dabei gelten vier wichtige Einschrän- kungen: (4) Die wenigst"" der oben genannten Studien erfassen die Variable »Leh- rerpersönlichkeit«, obwohl jeder- mann und jede Frau weiß, dass sie starken Einfluss auf den Unter- richtserfolg hat. Ich behaupte: Die zehn Merkmaie zu- sa,;;"fuen bilden ein »Qualitätskraft- werk« - sie stützen sich gegenseitig durch zahlreiche Synergieeffekte. 4. Oldenburger Dekalog Im Folgenden werden die zehn Merk- male einzeln und möglichst verständ- lich beschrieben. Dabei sind die Ab- schnitte jeweils ähnlich untergliedert: . Erstens wird definiert und erläutert, wie das Gütekriterium gemeint ist. . Zweitens nennen wir Indikatoren (= Anzeiger) für Merkmalsausprägun- gen. VI .... '" u 01 ffi .... z ::> i'5 .... ::> '" ... ~ '" '" :i1 z '" ... N I1 PÄDAGOGIK 10/03 37

Zehn Merl{male guten Unterrichts - ph-freiburg.de · 0 in einer klaren Körpersprache und Raumregie des Lehrers/der Lehrerin, 0 in der guten Vorbereitung und dem rechtzeitigen Bereitstellen

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Zehn Merl{male

guten UnterrichtsEmpirische Befunde und didaktische Ratschläge

Wer wünschte sich das nicht: empirisch ab-

gesicherteMaßstäbefür gutenunderfolgrei-

chen Unterricht?! Der folgende Beitrag ent-

wickelt solche Merkmale, gestützt auf die

neuere Unterrichtsforschung.Die Merkmale

werdenaber nicht nur beschriebenund in ih-

ren Indikatoren (= Anzeigern) dargestellt.

Vielmehr folgen daraus jeweils konkret ab-

leitbare didaktisch-methodischeRatschläge.

Sowird Forschungpraxisrelevant...

HILBERT MEYER

1. Fragestellung

~'"u01ffi....z::>i'5....::>'"...<i!:E'"'":i1z15N

I1

Alle Welt redet von der Qualitätsent-

wicklung des Unterrichts. Aber was

damit gemeint ist, bleibt oft unklar.Im Mittelpunkt dieses Beitrags stehtdeshalb die Beschreibung von zehn

Merkmalen guten Unterrichts. Siekönnen Ihnen helfen, die Stärken

und Schwächen der eigenen Unter-richtspraxis zu durchdenken. Siekönnen auch ais Folie benutzt wer-

den, um mit den Schüler(inne)n insGespräch zu kommen oder um imKollegium ein Unterrichts-Leitbild zuerarbeiten. Drumherum finden sich

einige theoretische Erläuterungen zuder Frage, wie »Merkmale gutenUnterrichts« von den Wissenschaft-

ler(inne)n konstruiert, empirischüberprüft und didaktisch gewichtetwerden.

Die Unterrichtsforschung hat in denletzten zehn Jahren deutliche Fort-

schritte gemacht. Es gibt eine ganzeReihe neuerer Studien, die im Prinzip

zu gleichlautenden Aussagen überguten Unterricht kommen. Insbeson-dere beziehe ich mich auf eine von

Jere Brophy (2002) vorgelegte, welt-weit akzeptierte Zusammenfassung

36 PÄDAGOGIK10/03

Empirische Befunde unddidaktische Ratschläge

sowie auf die sogenannte SCHOLAS-TIK-Studie von Franz E. Weinert und

Andreas Helmke (1997).Die Forscher können heute viel ge-nauer als früher sagen, welche Merk-

malsausprägungen einen dauerhafthohen Einfluss auf den Lernerfolg derSchüler(innen) haben und welche an-deren Merkmale den Erfolg behin-dern. Deshalb ist es erstmals möglich,

eine empirisch gehaltvolle, auf dieKompetenzentwicklung der Schülerorientierte Didaktik auszuformulieren

und nicht nur mit Mutmaßungen zuarbeiten.

2. Begriffsklärungen

Was sind »Merkmale guten Unter-richts« bzw. »Qualitätsmerkmale(<?

Im Jargon der Unterrichtsforscherhandelt sich um »theoretische Kon-

strukte(<. D. h., in ihnen wird eine

Fülle einzelner Unterrichtsereignisseunter einem Oberbegriff zusammen-

gefasst und mit Hilfe einer Wir-kungshypothese mit bestimmtenLerneffekten verknüpft, um dann imnächsten Schritt empirisch überprü-fen zu können, ob die Wirkungshy-pothese zutrifft oder nicht:

". 9s~y. \ \:(v..vIA I"'O#,e"'" ~:Se

Definition 1: »Merkmale des Unter-richts« sind theoretische Konstrukte

zur Beschreibung von individuellen

Ausprägungen des von den Wissen-schaftler(inne)n beobachteten Unter-richts.

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Das klingt alles ein bissehen gespreizt- und das ist.es auch. Die Empirikerscheuen sich, eigene Werturteile über

»gut« oder »schlecht« abzugeben. Sieziehen es vor, neutral von »Merk-

malsausprägungen«, »Faktoren«,»Variablen« usw. zu sprechen. DieScheu ist methodologisch gut be-

gründet. Denn aus der Feststellungdessen, was beobachtbar ist, kann

grundsätzlich nicht abgeleitet wer-den, was in Zukunft sein soll. Deshalb

folgt gleich eine zweite, aus der Sichtder Allgemeinen Didaktik vorgenom-mene Definition für »Gütekriterien

des Unterrichts<<:

Definition 2: »Gütekriterien desUnterrichts« sind empirisch abgesi-cherte und didaktisch gewichteteNormen zur Analyse und Gestaltungerfolgreichen Unterrichts.

Beide, in den zwei Arbeitsdefinitio-

nen angedeutete Denkbewegungensind nötig: Die Empiriker kiären uns

über gesetzmäßige (oder statistischwahrscheinliche) Beziehungen zwi-schen Unterrichts merkmalen und

Lernerfolgen auf; die Didaktiker dis-kutieren, welche der nachgewiesenenLerneffekte wünschenswert sind undwelche nicht.

3. EinMischmodell: zehnMerkmale guten Unterrichts

In den oben genannten Einzelstudienliegen inzwischen sicherlich gut zwei-oder dreihundert verschiedene Merk-

malsdefinitionen für guten Unterrichtvor. Ich habe daraus ein eigenes Mi-schmodell gemacht. Diese Freiheitnehme ich mir, weil die Forscher derEinzelstudien auch nichts anderes ge-

tan haben, als ihre Merkmalsdefini-

tionen - bezogenauf den jeweils er-reichten Stand der Forschung - krea-tiv weiterzuentwickeln.

ZehnMerkmale guten l}nterrichts

(I) Die genannten Studien haben kog-nitive Lernerfolge getestet. Sie ha-ben so wichtige Faktoren wie dieMethoden- und Sozialkompetenzoder die Entwicklung von Kreati-vität aus forschungspraktischen

Gründen ausgeklammert. Auch dasKriterium »fachliche Korrektheit«

fehit.

(2) Die Mehrzahl der Studien beziehtsich auf einen herkömmlichen, eher

frontal organisierten Unterricht.(3) Es gibt große Unterschiede in der

Stärke bzw. Intensität, mit der dieMerkmale in den verschiedenenuntersuchten Schulklassen vorka-men.

KlareStrukturierungdesLehr-LernprozessesintensiveNutzungderLernzeitStimmigkeitderZiel-, Inhalts-undMethodenent-scheidungenMethodenvielfaltintelligentesObenindividuellesFördernlernförderlichesUnterrichtsklimasinnstiftendeUnterrichtsgesprächeregelmäßigeNutzungvonSchüler-FeedbackklareLeistungserwartungenund-kontrollen

, 4.. 5.

6.7.8.9.10.

~. ,;Q~..

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"

Es hat sich in verschiedenen Studien

herausgestellt, dass die ersten bei den ,Merkmale unseres Katalogs »Spitzen-reiter« für die Qualitätsverbesserungdes Unterrichts sind. Aber auch dieanderen acht Merkmale unseres Kata-

logs helfen den Schülerinnen undSchülern nachweisiich, zu gutenLernergebnissen zu kommen. Deshalbdie gar nicht mehr kühne These:

These 1: Wer dafür sorgt, dass diezehn Merkmale des Katalogs in sei-nem Unterricht stark ausgeprägtsind, macht guten Unterricht undverhilft dadurch seinen Schülerin-nen und Schülern zu dauerhaft ho-

hen Lernerfolgen.

Dabei gelten vier wichtige Einschrän-kungen:

(4) Die wenigst"" der oben genanntenStudien erfassen die Variable »Leh-

rerpersönlichkeit«, obwohl jeder-mann und jede Frau weiß, dass siestarken Einfluss auf den Unter-

richtserfolg hat.Ich behaupte: Die zehn Merkmaie zu-sa,;;"fuen bilden ein »Qualitätskraft-

werk« - sie stützen sich gegenseitig

durch zahlreiche Synergieeffekte.

4. Oldenburger Dekalog

Im Folgenden werden die zehn Merk-male einzeln und möglichst verständ-lich beschrieben. Dabei sind die Ab-

schnitte jeweils ähnlich untergliedert:. Erstens wird definiert und erläutert,

wie das Gütekriterium gemeint ist.. Zweitens nennen wir Indikatoren (=Anzeiger) für Merkmalsausprägun-gen.

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PÄDAGOGIK10/03 37

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0 Drittens formulieren wir didak-tisch-methodische Ratschläge.

»Wir« - das sind die namentlich ge-nannten Mitautor(inn)en aus dem Se-minar »Gütekriterien des Unter-richts« aus dem Wintersemester

2002/2003 an der earl von Ossietzky

Universität Oldenburg.

4.1 Klare Strukturierung des

Lehr-Lernprozesses (JürgenHölscher/ Jens-Henner

Görtemaker)

(I) Definition

Unterricht ist klar strukturiert,wenn ein »roter Faden« für Lehrer

und Schüler jederzeit erkennbar ist.

»Klare Strukturierung« ist das empi-risch am besten belegte aller Gütekri-terien, wobei die Bedeutung des Be-griffs in den verschiedenen Studienschwankt. Grundsätzlich bezieht essich auf alle Dimensionen unterricht-

lichen Handeins, also auf die Ziel-, dieInhalts, die Sozial-, Prozess- und

Raumstruktur des Unterrichts (vgl.

Jank/Meyer 2002, S. 62).

(2) IndikatorenEine klare Strukturierung zeigt sich:0 in derverständlichenLehrersprache;0 in der klaren Definitionder Rollen

der Beteiligten,

0 in der Klarheit der AufgabensteI-lung und in der Beobachtung, dassdie Schüler und Schülerinnen zu

jeder Zeit wissen, was ihre Aufga-bensteIlung ist,

0 in der plausiblen Untergliederungdes Unterrichtsinhalts,

0 in der deutlichen Markierung dereinzelnen Unterrichtsschritte,

0 in einer klaren Körpersprache undRaumregie des Lehrers/der Lehrerin,

0 in der guten Vorbereitung und dem

rechtzeitigen Bereitstellen von Lem-materialien.

Gut strukturierter Unterricht erleich-tert es insbesondere den lernschwä-

cheren Schüler(inne)n, ein hohesMaß an Aufmerksamkeit durchzuhal-

ten (Brophy 2002).

(3) Ratschläge0 Informierender Unterrichtseinstieg:

Der Lehrer gibt zu Beginn derStunde einen knappen Überblicküber AufgabensteIlung und Ab-laufplanung der Stunde.

0 Präzise Vorbereitung0 Verbindliche Absprache von

Ritualen und Regeln. (Je offener

38 PÄDAGOGIK10/03

der Unterricht gestaltet wird, um-so wichtiger werden die Rituale!). Verknüpfung des neuen Inhalts mitBekanntem: z. B. durch eine Wieder-

holung, durch eine Probeaufgabe,durch eine Sprechstein-Runde.

4.2 Intensive Nutzung derLernzeit (Anke Lindemann/Birgit Ripken)

(I) Definition

Die echte Lernzeit ist die vom Schü-

ler tatsächlich aufgewandte Netto-

Zeit, in der er an der gestellten Auf-gabe arbeitet.

Dieses Gütekriterium ist empirisch

ebenfalls sehr gut bestätigt.

(2) Indikato-ren0 Die Schüler

sind aktiv beider Sache.

0 Sie lassensich nicht ab-lenken.

0 Es entstehen

Arbeitsergeb-nisse, die der

AufgabensteIlung genügen.. Es gibt nur wenige Disziplinstö-

rungen.. Der Lehrer schweift nicht ab.0 Er stört die Schüler nicht beim

Lernen.

(3) Ratschläge0 Klare Zeitabsprachen: Den Schü-

ler(inne)n wird regelmäßig mitge-teilt, wie viel Zeit sie haben; sie

werden schrittweise in die Eigen-

verantwortung für die Zeitpla-nung geführt.

0 Auslagerung der sogenannten>>noninstructional activities« aus

dem Unterricht. (Forschungen ha-ben ergeben, dass insbesondere in

Klassen mit Disziplinproblemender Zeitaufwand für »Organisato-risches« haarsträubend hoch war.)

0 Reibungslosigkeitder Lehrerinter-ventionen: Der Lehrer versucht,

größere und kleinere Störungendes Unterrichts nebenher, leise

und unauffällig zu' beheben.

0 PünktlicherUnterrichtsbeginn:EineUnterrichtsstunde kostet den Staatcirca 75 Euro. Ein Studienrat mit

A 13, der täglich drei von fünfStunden mit fünf Minuten Verspä-tung beginnt, verplempert also je-den Tag 25 Euro aus der Staatskas-se.)

Hetzen ist kein vernünftiges Verfah-ren zur Zeitnutzung. Ich erinnere anBert Brechts Geschichten von HerrnKeuner: »Wir haben keine Zeit zu ver-

lieren. Deshalb müssen wir langsamarbeiten.«

4.3 Stimmigkeit der Ziel-,Inhalts- und Methodenent-

scheidungen (UweDeutschmann/ Jan Behrens)

(I) Begriffsklärung undErläuterung

Stimmigkeit der Ziel-, Inhalts- und

Methodenentscheidungen entstehtdadurch, dass die »innere Zielge-

richtetheit« (Jank/Meyer 2002, S. 58)der Ziele, Inhalte und Methoden be-achtet und ausbalanciert wird.

Zwischen den Zielen, Inhalten undMethoden bestehen Wechselwirkun-

gen. Sie finden immer und nicht nurhin und wieder statt, aber sie sindschwer durch schiere Unterrichtsbe-

obachtung zu erkennen.Wird Stimmigkeit erreicht, so habendie Lehrerin oder der Beobachter das

Gefühl, die Stunde sei »rund« und

»aus einem Guss« gewesen. Und zu-meist empfinden auch die Schüler(in-nen) eine solche Stunde als »cool«,»interessant« oder »geil«.

(2) Indikatoren:Stimmigkeit kann darin zum Aus-druck kommen,0 dass die Schüler die vom Lehrer

formulierten Lehrziele zu ihren ei-

genen Lernzielen machen;0 dass die eingesetzten Methoden zu

den Zielen passen (dabei gilt derGrundsatz »form follows func-

tion«; d.h., dass erst nach einer

Klärung der didaktischen Funk-tion eines Unterrichtsschritts ent-schieden werden kann, welche

Methode dafür geeignet ist undwelche nicht);

0 dass sich die Stunde durch ein gu-tes »Timing« auszeichnet, so dassam Schluss kein Abbruch, sondern

ein wirkliches Fertigwerden steht;0 dass durch Maßnahmen der inne-

ren Differenzierung leistungsstär-kere Schüler(innen) ebenso zum

Zuge kommen wie leistungsschwä-chere.

Wird Stimmigkeit verfehlt, so ist dieszumeist auch an der Unterrichtsat-

mosphäre zu erkennen. Der Lehrer istunzufrieden, weil die gesetzten Zielenicht erreicht wurden. Die Schüler

sind lustlos oder aggressiv, weil sie

gar nicht kapiert haben, was der Leh-rer von ihnen wollte.

(3) Ratschläge. Stimmigkeit der Einzelstundenmuss durch eine gründliche di-

daktische Analyse (im Sinne Wolf-

gang Klafi<!s)vorbereitet werden.0 Sie kann während der Stunde

durch Kurskorrekturen gesichertwerden. Dies setzt eine sensible

verlaufsbeobachtung der Lehre-rin/des Lehrers voraus.

4.4 Methodenvielfalt

Methodenvielfalt liegt dann vor,wenn der Reichtum der verfügba-

ren Inszenierungstechniken, Hand-lungs- und Verlaufsmuster desUnterrichts genutzt wird, wenn dieSozialformen variiert und verschie-dene Grundformen des Unterrichts

(=lehrgangsförmiger Unterricht,Planarbeit, Freiarbeit, Projektar-

beit) praktiziert werden.

Auch dieses vierte Kriterium ist gut

belegt:. Es gibt »harte« empirische ~elege,dass ein Mix der Sozialformen die

größten Lerneffekte sowohl imkognitiven wie im sozialen Lern-zielbereich produziert.

0 Ebenfalls gut belegt ist, dass eineKombination von lehrgangsfärmi-

gern und situiertem Lernen optima-len Erfolg verspricht. (Als situier-tes Lernen wird ein ganzheitlicher,z. B. projektförmiger Unterrichtbezeichnet, in dem die Schülerselbst konstruieren können, woran

sie ar beiten.)0 Alle empirischen Untersuchungen

zeigen, dass in Deutschland kei-nerlei Anlass besteht, vor einemZuviel an Methodenvielfalt zuwarnen. Frontalunterricht nimmt-zumindest in der Sek I und Sek II- weiterhin ca. zwei Drittel des Ge-samtunterrichts ein.

Ich warne allerdings davor, Metho-denvielfalt nach dem Gießkannen-

prinzip herstellen zu wollen. Metho-denvielfalt stellt keinen Wert an sichdar. Vielmehr muss in jedem Fall nacheiner stimmigen Kombination vonZiel-, Inhalts- und Methodenent-

scheidungen gesucht werden.

4.5 Intelligentes Oben (KarenRichter/ HansJürgenLinser)

(I) Definition:Im LexikonderPädagogikvon 1913findet sich der Satz:

»Die Übung ist die Wiederholung ei-

ner Tätigkeit zu dem Zwecke, dassman diese besser ausführen lerne!«

Üben ist somit ein Element des Ler-

nens, das vom Übungswillen getra-gen, zielstrebig die Automatisierung

und Vervollkommnung dieser Abläu-fe und ihre Kodierung und Speiche-rung im Gedächtnis anstrebt.

(2) Ratschläge:Der Erfolg des übens wird erhöht,

. wenn der Gegenstand der übungfür die Schülerinnen und Schüler

subjektive Bedeutung hat (wasallerdings nicht immer hinzube-kommen ist);

0 wenn die emotionale Grundlegungallen Lernens beachtet wird (Roth

2001, S.274);0 wenn die übungsmethoden vari-

iert werden;. wenn ähnlich strukturierte Inhal-

te nicht zeitlich parallel oder

gleich nacheinander eingeführtwerden;

0 wenn die Übungen In regelmäßi-

gen Abständen wiederholt wer-den, wobei die Abstände zunächstsehr kurz sein sollten, um dann

langsam länger zu werden (vgl.Jank/Meyer 2002, S. 184 f.).

Der herkömmliche Schulunterricht istim Blick auf das Üben von Gelerntem

über weite Strecken falsch konstru-

iert. Es muss mehr Zeit dafür vorge-halten und mehr methodische Fanta-'

sie investiert werden.

4.6 Individuelles Fördern(Judith Schrader/ ElianneZeylmans)

(I) Definition und Erläuterung

Individuelles Fördern ist dort gege-ben, wo sich der Lehrer emotionaldem Schüler zuwendet, wo er Lern-

stands diagnosen für jeden Schülererstellt und durch innere Differen-

zierung auf die individuellen Lern-bedürfnisse und Interessen der

Schüler eingeht.

Mit »individuellem Fördern« ist nicht

nur die Förderung leistungsschwa-cher Schüler gemeint, für die sonder-

pädagogischer Förderbedarf festge-stellt worden ist; vielmehr ist Förde-

rung für alle Schüler in allen Schul-formen und Niveaustufen notwendig.Durch die Förderung lernschwächererSchüler soll ein Zuwachs an Wissen

und Können sowie die Vermittlung

basaler Lernstrategien und Metho-denkompetenzen erreicht werden.Durch die Förderung leistungsstarkerSchüler sollen ihre Lernmotivation er-

halten, ihr Spezialwissen ausgebautund die Routinisierung der Metho-denkompetenzen und Lernstrategien

gefördert werden.Durch die PISA-Studie wurde festge-

stellt, dass die Gruppe leistungs-schwacher Schüler in Deutschland

besonders groß ist und dass dieseSchüler wenig bis keine Kompetenzenin der Selbstregulierung ihrer Lern-prozesse haben (Deutsches PISA-Kon-sortium 2001, S.271-299). Dieser

Gruppe fehlt insbesondere die Kennt-nis einer ausreichenden Zahl von

Lernstrategien.

(2) Ratschläge

Erstellung von Lernstandsdiagnosendurch den Lehrer: Wir empfehlen,Lernstandsdiagnosen zu erstellen, die

die jeweils erreichte Kompetenzstufe,den Lernfortschritt sowie Stärken

und Schwächen jedes Schülerswiedergeben.Hilfen beimAufbau vonLernstrategiender Schüler:

0 Wiederholungsstrategien basierenauf dem Auswendiglernen vonLernstoff. Die Einprägung kannz. B. durch lautes Wiederholen ge-fördert werden.

0 Elaborationsstrategien sollen ei-nen Lerns(Off verständlich ma-

chen, indem er selbstständigstrukturiert wird und Verbindun-

gen zu schon Gelerntem gesuchtwerden.

0 Kontrollstrategien bedeuten, dass..der Schüler jederzeit kontrolliert,

was er noch nicht verstanden hat.

Methodische Möglichkeiten:0 Arbeit mit Lernkarteien, auf denen

stichpunktartig auswendig zu Ler-nendes geschrieben steht.

0 Anlagevon Strategiekarten,auf de-nen die verschiedenen Schritte

vom Beginn bis .zur Lösung einer

Aufgabe festgehalten sind.0 »KognitivesModelling« bedeutet,

dass der Lehrer beim Lösen einer

Aufgabe laut vor den Schülerndenkt, so dass seine Gedanken-

gänge und seine Strategie transpa-rent werden.

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PÄDAGOGIK10/03 39

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4.7 LernförderlIches Unterrichts-klIma (DanielaFegebank/KathrinBreitenfeld)

(1) Definition und ErläuterungMit dem Begriff Unterrichtsklimawird die humane Qualitätdes Lehrer-Schüler-und desSchüler-Schüler-Ver-hältnisses beschrieben.

Ein lernförderliches Unterrichtsklima

ist gekennzeichnet durch:. eine gemeinsame Orientierungauf die im Unterricht zu bewälti-

genden Aufgaben (= eine positive

Arbeitshaltung),. verantwortungsvollen Umgang

mit Personen und Gegenständen,. Gerechtigkeit,. eine zufriedene und fröhliche

Grundstimmung,. Höflichkeit und Respekt.

Die Schul- und Unterrichtsklimafor-

schung ist ein eigener Forschungs-

zweig. Alle Studien bestätigen, dassein gutes Klima das kognitive und so-ziale Lernen befördert. Untersuchtwurde z. B.:

. Selbstwirksamkeitskonzepte: Nur

wenn ich davon überzeugt bin, einLernziel erreichen zu können, er-reiche ich es auch.

. Mädchen sind - insbesondere inden mathematisch-naturwissen-schaftlichen Fächern - stärker als

Jungen auf ein positives Unter-richtsklima und eine unterstüt-

zend-förderliche Lehrerhaltungangewiesen.

. Interessenbildung: Erleben Schülerden Unterricht positiv, kommt eshäufiger zur Ausbildung fach-licher und überfachlicher Interes-sen.

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40 PJ\DAGOGIK10/03

Die jüngste Gehirnforschung (Roth2001) bestätigt die psychologischenForschungsergebnisse mit Nachdruck:. Im Zeitraum einer Sekunde wird

unbewusst die Glaubwürdigkeitdes Lehrenden bewertet. Sie ist

Voraussetzung für das Lernen. Un-glaubwürdigkeit des Lehrenden

behindert die Wissensspeicherung.. In der Amygdala (einer Gehirnre-gion) findet eine emotionale Kon-

ditionierung aller neu erworbenenInformationen statt, die nie wiederverschwindet.

. Tritt ein Lernerfolg ein, werdenhirneigene Opiate ausgeschüttet,die das Behalten des neu Gelernten

unterstützen. (Deshalb auch der Ge-

hirnwissenschaftler-SIogan »Lernenist sexy.«)

(2) RatschlägeDas Klima wird im Wesentlichen von

den Schüler(inne)n hergestellt. Aberder Lehrer kann ihnen dabei helfen; z.B. dadurch, dass er nicht herumtrickst,dass er sich bemüht, authentisch und

aufrichtig zu bleiben, dass er gerechtist, aber auch einmal die Fünf geradesein lässt.Durch Maßnahmen des Classroom-Ma-

nagements (Lohmann 2002) kann dasKlima stabilisiert werden. Dazu zählenz. B.:. Arbeit mit Konfiiktlösetechniken

(z. B. Mediation),. Feedback (s. u.);

. Ausbau der Mitbestimmung;. »Zielvereinbarungen« mit einzel-

nen Schüler(inne)noder der ganzenKlasse;

. »Meta-Unterricht« (= Unterricht

über Unterricht) zur Klärung vonMissständen und zum Ausloten vonAlternativen.

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4.8 SInnst1ftende Unterrichtsge.spräche (Heddavon DMren/Bianca Dirks)

(1) Definition und ErläuterungDieses Gütekriterium habe ich erst-mals bei Jere Brophy(2002)gefunden- in der deutschen Forschung wird esbisher vernachlässigt.

Sinnstiftende Unterrichtsgespriichesind Gespräche, die für den SchUlerSinn machen, indem sie

. vorhandenes mit neuem Wissen

verknüpfen und. den Schülern erlauben, eigeneInteressen in die Bearbeitung desThemas einzubringen.

Empirische Untersuchungen zum Me-thodeneinsatz belegen. dass dasUnterrichtsgespräch in Deutschland

die mit Abstand am häufigsten einge-setzte Methode ist. Sie nimmt in derSekundarstufe I im Durchschnitt zwei

Drittel des Frontalunterrichts und da-

mit 50 Prozent der gesamten Unter-richtszeit in Anspruch. Umso wichti-

ger ist es, auf die Kultivierung des Ge-sprächs zu achten.

Sylvia Jahnke-Klein (200]) hat Jungen-und Mädchenwünsche zur Ge-

sprächsführung im Mathematikunter-richt erforscht. Die Mädchen habenein deutlich höheres Sicherheitsbe-

dürfnis als die Jungen, und sie wollen

es insbesondere im gelenkten Unter-richtsgespräch befriedigen: »Am be-sten ist es, wenn man in Mathe dem

Lehrer ein Loch in den Bauch fragenkann!«

(2) Indikatoren. Die Schüler verwickeln sich gegen-

seitig in Gespräche.Sie fassen den Lernstoff in

eigenen Worten zusam-, men.

I . Es fällt ihnen leicht,. Transferfragen zu beant-

worten.Sie stellen kritische und

weiterführende Fragen.Sie greifen selbstständig

auf vorherige Unter-richtsthemen zurück undbauen sie in das neueUnterrichtsthema ein.

--I

11

11

(3) Ratsch]äge. Geben Sie im Gespräch aus-

reichend Zeit und Raum,

um Vorerfahrungen, Ge-fühle und Einstellungenzum Thema zur Sprache

bringen zu können.. Helfen Sie Ihren Schülern, bei fal-

schen Antworten zu den richtigenzu kommen.. Eignen Sie sich ein gutes Über-blickswissen zu verwandten The-

men an und bringen Sie auch Bei-spiele dazu.. Achten Sie darauf, dass die ver-

schiedenen Gesprächsformen

(Lehrgespräch, fragend-entwi-ckelndes Gespräch, Schülerdis-

kussion, Prüfungsgespräch) mitihren je spezifischen Ausformun-gen geübt werden.

. Last, not least: Achten Sie darauf,

dass der Lehrervortrag nicht fort-während mit dem Unterrichtsge-spräch vermanscht wird.

4.9 SchOler-feedback (AndreaKlapper/Carmen Seetzen)

(1) Definition und Erläuterung»Feedback« taucht in den oben ge-nannten Studien der Unterrichtsfor-

schernochnichtauf(vgl.aberBasti-an u.a. 2003). Wörtlich übersetztheißt es »Rückfütterung«. Der Leh-rende solldavon satt werden, alsoge-nau jene Informationen erhalten, dieer bzw. sie braucht, um den Unter-richt zu verbessern. Einhin und wie-

der angesetztes Gespräch über denUnterrichtsverlauf oder eine Stuhl-kreis-Runde sind noch keine Feed-backkultur.

Schüler-Feedback ist ein methodisch

kontrolliertes Verfahren zur Quali-

tätssicherung im Unterricht durchdie regelmäßige Nutzung von Schü-lerrückmeldungen zum Lernprozess.

Feedback kann und darf keine Ein-

bahnstraße sein: Schüler und Lehrervereinbaren gemeinsam Fragestellun-

gen und Beurteilungskriterien, Regelnund Methoden, um nützliche Infor-

mationen über Lernerfolge, Lernbar-rieren und -misserfolge zu sammeln.

(2) Ratschläge und Beispiele. Geschlossene schriftliche Verfahren,

z.B.Fragebogen: Die Schüler fül-len am Ende jeder zweiten Schul-woche einen Fragebogen aus. Erkann standardisiert (Ankreuzen,Punkte verteilen) oder offen for-

'fDuliert sein. Die Ergebnisse wer-den am Montag darauf bespro-chen.

. Anonyme Kartenabfrage, z. B. mitden zwei Standardfragen: »Wassoll beibehalten werden?«, »Was

sollte geändert werden?«. Rollenverhandlung: Die Schüler-sprechen darüber, welche Verhal-tensweisen der Lehrerin/des Leh-rers sie als hilfreich und welche als

störend empfinden. Darauf folgteine Stellungnahme der Lehre-rin/des Lehrers und eine verbind-liche Vereinbarung über (beider-seitige) Verhaltenserwartungen.

Ein Blick in die Forschungswerkstatt

Wann sagen die Unterrichtsforscher, ein von ihnen konstruiertes Merk-mal erfolgreichen Unterrichts sei empirisch gut abgesichert1- Natürlicherst dann, wenn die nach bestem Wissen und Gewissen aufgestellte

Wirksamkeitshypothese durch empirische Forschung bestätigt werdenkonnte. Und wie macht man das? Ich skizziere das wissenschaftliche Vor-

gehen der Unterrichtsforscher anhand der mehrfach zitierten SCHO-LASTIK-Studie von Pranz Weinert und Andreas Helmke (1991):

I

i

.~

':1

SCHOLASTll(-Studie:

(1) Erster Schritt: Die Wissenschaftler(inAen)haben den Stand der For- {.schung zur Effektivität von Unterricht ermittelt und bestimmte Unter- I

richtsmerkmale festgelegt, von denen sIe vermuten, dass sie langfristig den IUnterricht positiv beeinflussen. Das waren im Falle der SCHOLASTIK-Stu- IdiediefolgendensechsMerkmale: ,

1. Klassenführung (= Intensität der Zeitnutzung für die Aneignung von IStoft); 2. Strukturiertheil (=Strukturierung des Ablaufs; Klarheit der Leh- I

reranweisungen, Sicherung der Schüleraufmerksamkeit usw.); 3. Unter-

statzung (= Diagnose von Lernständen, indIviduelle fachliche Beratung; :1Intervention und Kontrolle, insbesondere in der Einzel- und Gruppenar- Ibeit); 4.P6rderungsorientierung(= Vorrangder Förderung lernschwacherSchüler; Anpassung des Leistungsanspruchs an die Leistungsfahigkeit); t

5. SozialesKlima (= Lehrer als persönlicher Ansprechpartner; Akzeptanz I

und Thematisierung des affektiven Erlebens der Schüler); 6. Vielfalt der IUnterrIchtsformen(= Methodenvielfalt) "

(2) Zweiter Schritt: Die Wissenschaftler haben Langzeitstudien in Schul- .1klassen gemacht. In der SCHOLASTIK-Studie wurden z. B. 51 bayrische "

Grundschulklassen zwei Jahre lang anhand der definierten sechs Merk- '

Imale nach allen Regeln der Kunst beobachtet. Dabei wurden zu Beginnund am Schluss des Beobachtungszeitraums Leistungskontrollen in den,

Fächern Deutsch und Mathematik durchgeführt, I(3) Dritter Schritt: Die Wissenschaftler haben die sechs Klassen bestimmt,

die gemäß der Ergebnisse der Leistungskontrollen in Deutsch und Ma- 11

thematik nach zwei Jahren den größten Leistungsfortschritt zeigten. Sie :1

'

haben also die »best-practice-Klassen«ermittelt. .(4) Vierter Schritt: Die Wissenschaftler haben sich das gesamte Datenmate- 1

rial noch einmal angeschaut und herausgefiltert, welche Qualitätsmerkmale Iin densechsbest-practice-Klassenbesondersstarkausgeprägtwaren. '1

IIDas Forschungsergebnis lautete: Ja, es &ßb bestimmte Merkmale in den sechs

best-practice-Klassen,die offensichtlich als Indikatoren für erfolgreichenUnterricht gelten können. Dies waren insbesondere die belden Kriterien»Klassenführung«(= effektiveZeitnutzung)und »Strukturiertheit«, während .1

z.B.die»Methodenvielfalt«(=Variabilitätder Unterrichtsformen) und »in- Jdividuelies Fördern« (= fachliche Unterstützung) in zwei der sechs Klassennur gering entwickelt waren. jNicht alle sechs best-practice-Klassenwaren sowohl in Deutsch wie in Ma-thematik gleich gut. Es handelt sich eben immer um statistische Veraligem- Ieinerungen, die nicht schlankweg in didaktische Empfehlungen für den ein-zelnen Lehrer übersetzt werden dürfen. Deshalbkamen die Wissenschaftlerzu folgender, hoffentlich Mut machenden Einsicht (Helmke/Weinert 1997, S.130):

I!!:z:'-'..ffi....z::>15....::>'"...~'"a:...:Ez:z:...N

!IThese 3: Viele (nicht allel) Wege führen nach Roml

PJ\DAGOGIK10/0341

. Lernjournal: Die Schüler machenin regelmäßigen Abständen wäh-rend des Unterrichts einen Eintragund reflektieren ihren Lernfort-

schritt. Die Lehrerin/der Lehrer

sammelt die Journale von jenen,die dies möchten, ein, wertet sie

aus und bespricht die Konsequen-zen.

4.10 Klare Leistungserwartungenund -kontrollen (JohannaBardowicks/Nele Hoffmann)

Leistungserwartungen sind verbaleund nonverbale Mitteilungen undVereinbarungen über die Lernziele,die AufgabensteIlung, die Metho-den und das Niveau der Zielerrei-

chung des Unterrichts,

(I) Definitionen und Erläuterung

Seit langem ist empirisch belegt, dassfreundlich und klar ausformulierte

Leistungserwartungen den Lerner-folg erhöhen. Und ebenso eindeutigist belegt, dass pauschaler Leistungs-druck das Lernen behindert.

Nicht nur die verbal geäußerten Leis-tungserwartungen, auch körper-sprachliche Signale und emotionaleZuwendung wirken lernförderlich.Das ist durch das Pygmalion-Experi-ment bewiesen worden:

I!!:z:I.Jöi'"w...z::>15...::>...w

~'"'"~zi5N

11

Pygmallon-ExperlmentZwei New Yorker Wissenschaftler ha-ben in einem ethisch bedenklichen

Experiment Lehrern vorgegaukelt, siehätten genaue Intelligenztests an ih-

ren Schülern vorgenommen und be-hauptet, dass eine bestimmte Anzahleinzeln genannter Schüler(innen) im

nächsten Halbjahr überdurchschnitt-liche Leistungs- und Intelligenz-zuwächse zeigen würde.Bei neuerlichen Intelligenztests dieser

Schülergruppe zeigte sich, dass dieprognostizierten Leistungs- und In-telligenzzuwächse in statistisch rele-

vantem Umfang eingetreten waren.Die Wissenschaftler hatten aber die

den Lehrern genannten Schüler-(inne)n nach einer Zufalls-Tabelle aus-gewählt. Ihre Leistungserfolge warenalso durch die - offensichtlich weit-

gehend unbewusste - Zuwendungder Lehrer induziert.

Klare Leistungskontrollen ergänzen die

klaren Leistungserwartungen. Sie sind- trotz der desaströsen Forschungser-

gebnisse über Bewertungsfehler vonLehrern - kein Übel, sondern ein not-

42 PÄDAGOGIK10j03

wendiges und hilfreiches Instrument

zur Sicherung des Lernerfolgs:

Leistungskontrollen sind vom Lehrervorgegebene oder zwischen Lehrer

und Schüler(innen) vereinbarte Ver-fahren der formellen und informel-

len Beurteilung des individuellenund kollektiven Lernfortschritts.

Leistungskontrollen sollen ermutigen,nicht entmutigen und ein Weiterar-beiten ermöglichen. Sie müssen so an-gelegt sein, dass auch schwächere

Schüler etwas leisten und Erfolg ha-ben können. Deshalb müssen die

Kontrollrückmeldungen zügig erfol-gen und transparent sein.

(2) Ratschläge. Lernentwicklungsberichte, die den

einzelnen Schüler(inne)n Auf-schluss über ihre individuelleLernsituation, ihre Lernfortschrit-

te, aber auch -defizite geben;. Verbalbeurteilungen/ Bewertungsge-spräche, um gemeinsam mit Schü-ler(inne)n und Eltern über den ak-

tuellen Lernstand und möglichenächste Lernschritte und Lernziele

zu reden und beratschlagen;. Beobachtungsbögen/Diagnosebögen,die die Kompetenzen und Defizite

jedes einzelnen Schüler diagnosti-

zieren und seine Lernentwicklungbeobachten und dokumentieren;. Portfolios = individuelle, vomSchüler selbst hergestellte Doku-

mentationen der im Unterricht ge-leisteten Arbeit (z. B. in Form einerMappe, die kontinuierlich durch

neue Arbeiten ergänzt und vomLehrer kommentiert wird).--'-- .-..

5. Von der Unterrichts- zurLernstruktur

Der Unterricht wird veranstaitet, um

das Lernen der Schüler(innen) zuunterstützen. Aber Lernen kann mannicht sehen, riechen oder fühlen. Die

Gehirnforscher und die Kognitions-psychologen sind sich in diesem

Punkte einig: Lernen ist ein grund-

sätzlich nicht bewusstseinsfähigerinterner Vorgang. Man sieht oder

merkt nur, dass plötzlich eine Leistungerreicht wird, zu der man vorher nicht

fahig war. Die fundamentale, durch

die Ergebnisse der PISA-Studie erneutbestätigte Einsicht lautet deshalb:

These2: Lernprozess und Unter-richtsprozess sind zweierlei Ding.

Deshalb reicht es nicht aus, Merkmale

guten Unterrichts auszuformulieren,wenn die Lemergebnisse verbessertwerden sollen. So erfassen wir nur die

Oberfläche, also das, was bei einem

Unterrichtsbesuch von jedem fremdenBesucher beobachtet werden kann.

Wir müssen aber an die »Tiefenstruk-turen« des Unterrichts herankommen

- und das sind für mich die Kompeten-zen, die die Schüler(innen) aufbauen,um gut zu lernen, und die Lehrstrate-

gien der Lehrer(innen), die sie benöti-gen, um gut zu unterrichten.Im Unterrichtsprozess muss das Kunst-

stück gelingen, zwischen den Lehrab-sichten des Lehrers und den Lernab-

sichten der Schüler(innen) zu vermit-teln. Um diese Aufgabe zu visualisie-ren, habe ich mir eine weitere Grafik

ausgedacht. Sie hat drei Etagen: dieUnterrichtsebene, die - vom Schüler--- -.----.

- ' O'

selbst konstruierte - Lernerebene und

die Lehrebene. Alle drei »Etagen«mÜssen vom Lehrer erkannt und

durchdrungen worden sein, wenn derUnterricht gezielt (und nicht nur nachdem trial-and-error-Verfahren) ver-bessert werden soll (zu den Etagen

vgl. die Zeichnung auf S. 42).Die Auflistung der Aspekte der Lern-struktur auf der unteren Ebene des

Modells ist vorläufig und unvollstän-dig. Hier müssen die Didaktiker nochviel von den pädagogischen Psycho-

logen lernen:(I) Was sagt die Forschung über die

Entwicklung der Lemmotivationvon Schüler(inne)n?

(2) Welche Gütemerkmale sind geeig-net, dauerhafte Fachinteressen aus-

zubilden? (Laut Eckard KUeme dieKriterien 6 bis 9.)

(3) Was kann man tun, umSchüler(inne)n zu helfen, ihreLemstrategien auszubauen?

(4) Wie sieht ein Konzept für die ge-stufte Entwicklung von Methoden-

kompetenz aus (vgl. dazu Kiper u. a.2003)7

(5) Kann die Entwicklung von Sozial-kompetenz dadurch gefördert wer-den, dass eine befristete Perspekti-venübernahme trainiert wird?

Lehrer(innen) sollten - im Prinzip für

jede Lernaufgabe - eineLemstruktur-analyse durchführen, also genaunachschauen, welche Lernbewegun-

gen der Schüler machen muss, um dieAufgabe zu bewältigen. Das ist nötig,damit:

. die Anspruchsniveaus der gestell-ten Aufgaben an die zuvor er-mittelten Kompetenzstufen ange-passt werden können,

. die tatsächlich genutzten (und nichtnur die vom Lehrer vorgeschlage-nen) Lernstrategien der Schüler(in-nen) erfasst werden,. die Methodenvielfalt nicht nur

nach dem Gießkannenprinzip, son-dern ganz gezielt im Blick auf dasschon beherrschte methodische

Kompetenzniveau hergestellt wird.

Eigentlich wären nun noch einmalzehn Seiten erforderlich, um die

Merkmale einer guten Lernstrukturzu beschreiben (vgl. Kiper u. a. 2003).Aber dazu reicht der Platz nicht aus.

6. Wastun?

Liebe Leserin, lieber Leser: Wir soll-ten uns nichts vormachen: Sie haben

schon seit langem recht stabile sub-jektive Theoriell über guten Unter-richt verinnerlicht. Und diese Theo-

rien leiten als Ihre »Unterrichtsbil-

der« regelkreisartig Ihr Denken, Füh-len und Handeln im Unterricht. Siekönnen diese Bilder nicht wie ein dre-

ckig gewordenes Hemd abstreifen.Aber Sie können daran arbeiten, in-dem Sie sie mit den von mir skizzier-

ten Forschungsergebnissen verglei-chen und dann durch ..tastendes Ver-

suchen« (CeIestin Freinet) hier unddort und peu a peu kleine Verände-rungen in Ihrem Unterricht einfüh-ren. Zur Vorbereitung dieser tasten-den Versuche kann die abschließende

Reflexionsaufgabe dienen:

HIntergrundlIteratur

Bastian, Johannes;Combe,Amo; Lan-

ger, Roman: Feedback-Methoden. Er-probte Konzepte, evaluierte Erfah-rungen. Weinheim-Basel-Berlin 2003

Brophy, Jere E.: Gelingensbedingun-gen von Lernprozessen. Landesinsti-tut für Schule und Weiterbildung desLandes NRW, Fortbildungsmaßnah-me ..Schulprogramm und Evalua-tion«, Soest 2002

Deutsches PISA-Konsortium (Hg.):PISA 2000. Basiskompetenzen vonSchülerinnen und Schülern im inter-

Arbeitsauftrag:i.Wählen Sie aus den Im Abschnitt 2 aufgelisteten zwölf Merkmalen gu-

ten Unterrichts zwei aus, bel denen Sle,nach Ihrer persönlichen Ein-schätzung stark sind (a Stärke karten).

2.Wählen Sie zwei weitere Merkmale aus, bel denen Sie nach Ihrer per-sönlichen Einschätzung Entwicklungsbedarf haben (co Schwäche-karten).

3.Formulleren Sie anhand der Anregungen aus Abschnitt 4 eine Idee. umin der nächsten Woche an einer Ihrer ..Schwächekarten« konstruktivzu arbeiten.

4.Tue Gutes und rede davonlOberlegen Sie sich, was Sie tun können,damit elne/r Ihrer Kolleg(inn)en von Ihren zwei Stärke karten profitie-ren kann.

Literatur

Eine Langfassung dieses Beitrags istals OLDENBURGER VORDRUCK Nr.473 im Didaktischen Zentrum der

Universität Oldenburg erschienen:Norddeutsches Güte-Konsortium (Hil-

bert Meyer u. a.): Merkmale gutenUnterrichts. Oldenburg 2003 (Bestehlungen: Didaktisches Zentrum, Uni-versität, Postfach 2506,26111 Olden-

burg). Eine nochmals erweiterte Fas-

sung wird 2004 im Cornelsen ScriptorVerlag erscheinen.Eine umfassende Darstellung zumStand der Forschung und eine Dis-kussion schulpraktischer Konsequen-zen liefert der beste Fachmann auf

diesem Gebiet:

Andreas Helmke: Unterrichtsqualitäterfassen, bewerten, verbessern. Seel-

ze 2003 (mit einem erschöpfend voll-ständigen Literaturverzeichnis)Ein Standardwerk für alle Schulstufen- nicht nur für die Grundschule - ist

die sogenannte SCHOLASTIK-Studie:Weinert, Franz E./Helmke, Andreas(Hg.): Entwicklung im Grundschulal-ter. Weinheim 1997

nationalen Vergleich. Opladen 200 IJahnke-Klein, Sylvia: SinnstiftenderMathematikunterricht für Mädchen

und Jungen. Baltmannsweiler 2001Jank, Wemer; Meyer, Hilbert: Didakti-

sche Modelle, Berlin 2002 (5., über-arb. Aufl.)Kiper, Hanna; Meyer, Hilbert; Mischke,

Wolfgang; Wester,Franz:Qualitätsent-wicklung in Unterricht und Schule.Das Oldenburger Konzept. Oldenburg2003Lohmann, Gert: Mit Schülern klar-kommen. Professioneller Umgang mitUnterrichtsstörungen und Disziplin-konflikten. Berlin 2003

Iipth, Gerhard: Fühlen, Denken, Han-deln. Wie das Gehirn unser Verhalten

steuert. Frankfurt/M. 2001I!!:z:I.Jöiffi...z::>15...::>...w

~'"'"~z:z:w

I1

Dr. Hilbert Meyer, Jg. 1941, ist Pro-fessor an der Carl von Ossietzky Uni-versität OldenbUlg. Adresse: Kasta-nienallee 40, 26121 Oldenburg,E-Mail: [email protected]

PÄDAGOGIK10j03 43

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