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7/30/2019 Zeit.de 2012 41 Richard Wagner 200 Geburtstag Literatur
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WAGNER-JAHR 2013
Ekstasen mit viel Rosenwasser
Richard Wagner wird 200 – und die Wagner-Literatur dreht sichemsig im Kreis.VON Christine Lemke-Matwey | 04. Oktober 2012 - 08:00 Uhr
© dpa
Richard Wagner (1813-1883) auf einem historischen Foto
Manchmal kommen Jubiläen zur rechten Zeit. Dann reißen sich unsere Kunstheroen alle
Eingeweide auf, dann gibt es Ungeahntes zu entdecken und zu gewinnen. Bei weniger
fest im kollektiven Gedächtnis verankerten Komponisten wie Felix Mendelssohn oder
Franz Liszt war dies zuletzt der Fall. Bei Richard Wagner hingegen, der am 22. Mai 2013
seinen 200. Geburtstag feiert, kündigt sich das Gegenteil an. Nach gut 2.200 Seiten neu
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erschienener Literatur über den Bayreuther Meister (weitere 1.000 folgen bis Ende des
Jahres) hat man Gewissheit: Keine deutsche Geistesgröße ist so gründlich auserzählt
worden, politisch, ästhetisch, in Büchern und auf der Bühne, wie der kleine Sachse mit dem
Samtbarett. Und bei keiner anderen fällt es so schwer, es zu lassen.
Entsprechend groß ist die Ratlosigkeit: Wie einerseits der robusten Eventkulturtauglichkeit
Wagners Rechnung tragen und andererseits nicht Eulen nach Bayreuth tragen? Dass es
sich beim Rheingold , wie Nike Wagner in ihrem launigen Nachwort zur Neuausgabe des
Dramentextes resümiert, um ein »ausgepichtes Meisterwerk« handelt, dürfte da ebenso
wenig erstaunen wie die Tatsache, dass sich Wagner schlecht illustrieren lässt – erst Recht
nicht auf so grob-witzlose Weise, wie Nikolaus Heidelbach sie sich in der genannten
Edition anmaßt.
Am intelligentesten zieht Martin Geck seinen Kopf hier aus der Schlinge. Der renommierteMusikwissenschaftler tritt die Flucht nach vorn an, indem er gleich in der Einleitung
seiner Biographie Wagner den Forscher in sich relativiert. Es gehe nicht darum, durch
fortdauernde Sichtung des Materials »zu immer ›sachgerechteren‹ Urteilen« zu gelangen,
sondern die Subjektivität und Vorläufigkeit derselben zu begreifen: »Ich will nicht Wagner
auf die Schliche kommen, sondern mir selbst und meiner Zeit. (...) Welche Werte und
Unwerte nehmen wir im Medium seiner Opern und musikalischen Dramen wachen
Sinnes in uns auf, welche werden uns via Musiktheater im wahrsten Sinne des Wortes
untergejubelt?«
Trefflich gefragt. Allein die Antworten, die Geck nach einem Gang durchs Werk (unddiversen Apropos von Heine bis Adorno) findet, fallen erstaunlich schmallippig aus.
Fast scheint es, als hätte er Angst vor der eigenen Courage. Statt Wagner ein »prekäres
Kunstverständnis« zu unterstellen, so das Resümee, solle man sich an der Kunst selbst
»abarbeiten« – als schlösse das eine das andere aus. Im Übrigen sei die »Ekstase der
Kommunikation« (Baudrillard), die Wagner leichterdings zum Liebling der postmodernen
Medientheorie erkläre, ohne den »Horizont des Heiligen« für ihn niemals denkbar. Das
hätte man gerne ausführlicher gewusst.
Greift man allerdings zu Barry Millingtons Magier von Bayreuth , sehnt man sich schnell
nach dem Geckschen Reflexionsniveau zurück. Der Londoner Musikkritiker nimmtreichlich den Mund voll und tappt genau in die Falle, von der Geck spricht: dass hinter
der »Wahrheit« über Richard Wagner – dank neuerer Forschungen – immer noch wahrere
Wahrheiten schlummerten. Dazu gehören: dass Richard und Cosima »biologisch« nicht
harmonierten (was das frühe Ende ihrer sexuellen Beziehung erklärt), dass Wagners
Vorliebe für »rosafarbenen Satin, Rosenwasser, Ambra-Badeöl und Duftpuder« die
musikalische Sinnlichkeit untermauere und seine antisemitische Hetzschrift Das Judentum
in der Musik vorrangig als »Akt des Exorzismus« gelesen werden müsse. Ach so.
Vollends abstrus wird’s in der Gegenwart, wenn Katharina Wagner und Eva Wagner-
Pasquier »beachtliche Fortschritte« attestiert werden. Nicht zuletzt in der opulenten,
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exklusiven Bebilderung des »Magiers« aber zahlt sich der gute Kontakt zur amtierenden
Festspielleitung wohl aus: Man blickt Wagners wenig liebevoller Mutter ebenso tief in
die Augen wie der jungen, zarten Minna Planer, den Grünen Hügel zeigt eine Zeichnung
von 1855, als sei das Festspielhaus kurz wegradiert worden, und immer wieder schießen
Fotos aktueller Wagner-Inszenierungen dazwischen. Beeindruckend auch die ganzseitige
Totenmaske, die den Komponisten friedlich, fast lächelnd zeigt.
Was Millington bei allem Wind vermissen lässt, eine nicht bloß auf Knien rutschende
Haltung seinem Gegenstand gegenüber, pflegt die Friedelind-Wagner-Biografin Eva Rieger
im Übermaß, jedenfalls was die übrigen Wagners angeht ( Die rebellische Enkelin Richard
Wagners ). Von Anfang an hat sich die Welt gegen die aufmüpfige »Mausi« verschworen,
die Mutter verhindert systematisch ihre Ausbildung, und ob Friedelind, die Toscanini-
Freundin und einzige offensive Nazigegnerin des Clans, je etwas zustande gebracht hätte,
allein oder an der Seite ihrer nach 1945 erfolgreich intrigierenden Brüder Wieland und
Wolfgang, das weiß niemand. Riegers Rechercheleistung ist bestürzend, wobei einem die
Fülle der Zitate und Details die Lektüre auch vergällt. Nur eines steht am Ende fest: Man
kann froh sein, mit all diesen geifernden Wagner-Nasen nichts zu tun zu haben. Oder wie
sagt der Dirigent Christian Thielemann ( Mein Leben mit Richard Wagner )? »Ich möchte
Richard Wagner nicht persönlich begegnen. Ich glaube, ich würde mich vor ihm fürchten.«
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