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a stehen wir nun auf dem Pass, nach drei Stunden Auf- stieg, schwer at- mend, schweiss- überströmt. Die Funktionskleidung klebt am Leib; wir tragen lange Ho- sen wegen angeblicher Schlangen, die Füsse stecken in schweren Berg- schuhen. Und da steht neben uns diese albanische Familie: der Mann in Lackleder-Halbschuhen, die Frau mit Glitzerhandtäschli, das Kind in pink Sneakers. Wie sind die in die- sem Outfit bloss hier hochgekom- men? Nicht zum ersten Mal stellen wir fest: Albaner sind zäh und gelän- degängig wie Berggeissen. Dabei sind wir nicht overdressed. Unsere Wandertour in den nordalba- nischen Alpen führt durch schroffes Gelände. Wir bewegen uns in zwei Nationalparks der Prokletije, was «verwunschene Berge» bedeutet. Der Gebirgszug im Dreiländereck Al- banien–Kosovo–Montenegro wird als Teil des Fernwanderwegs «Peaks of the Balkans» begangen. Hier liegt auf knapp 2700 Meter Höhe der Gip- fel des Jezerca, des zweithöchsten Berges in Albanien. Abenteuerlustigere Leute könnten unsere mehrtägige Tour auf eigene Faust machen, vielleicht nur mit dem Zelt. Aber wir mögens bequem und setzen auf den Reiseanbieter Eurotrek. Das bedeutet: Unterkunft, Transfers, Wanderrouten, alles zu- verlässig durchorganisiert. Während wir wandern (GPS-unterstützt, aber individuell), reist das Gepäck im Au- to oder auf dem Packpferd von Gäs- tehaus zu Gästehaus. Des Albaners Religion Unsere erste Station ist Shkodra, ei- ne fast 2500 Jahre alte Stadt am Sku- tarisee nahe der Grenze zu Montene- gro. In der renovierten Fussgänger- zone mit ihrem Kopfsteinpflaster und den farbigen Häusern flanieren abends zahlreiche Einheimische. Und hier fallen die ersten Vorurteile. Eine Schweizer Mitreisende wundert sich, dass albanische Frauen nicht verschleiert sind; ja, dass sie sich im Gegenteil recht aufgebrezelt haben. Doch nicht umsonst besagt ein Bon- mot: Die Religion des Albaners ist das Albanertum. Und vielleicht noch der alte Ehrenkodex, der Kanun. Un- ter Diktator Enver Hoxha, der von 1944 bis 1985 herrschte und Albani- en abschottete, waren Religionen komplett verboten. Heute leben Muslime und Christen friedlich ne- beneinander. Der nächste Tag führt uns im Mor- gengrauen an den Koman-Stausee. Dort steigen wir auf die Fähre gen Norden um. Die Dragobia ist ein zum Boot umgebauter Bus – bevor uns Zweifel an deren Seetauglichkeit aufkommen können, sitzen wir schon drin. Und zwar nicht in der D kleinen Kabine, sondern draussen, auf Benzinkanistern und Zuckersä- cken, die entlang der Reling gesta- pelt sind. Vorräte für die kleinen Siedlungen am Ufer, die man nur per Boot oder zu Fuss erreicht. In Reise- führern ist die dreistündige Fahrt be- schrieben als Highlight jeder Albani- en-Reise. Wir pflichten bei. Ab und zu legt die Fähre im – scheinbaren – Nirgendwo an, ein Einheimischer steigt aus und erklimmt die steil auf- ragende Felswand in Sonntagsklei- dern, als wärs ein Spaziergang. Später am Tag dürfen auch wir die Wanderschuhe festzurren: Zu Fuss geht es dem Fluss Valbona entlang ins gleichnamige Tal. Es ist dem ve- hementen Widerstand einiger Ein- heimischer und Umweltaktivisten zu verdanken, dass die hier – mitten im Nationalpark – geplanten riesigen Wasserkraftwerke nie realisiert wur- den. Auch der teilweise herumlie- gende Abfall zeigt: In einem Land, das zu den ärmsten Europas gehört, hat Naturschutz nicht oberste Priori- tät. Sollte er aber. Denn die Schön- heit fast unberührter Natur, der wir auf dieser Reise begegnen werden, ist von unschätzbarem Wert. Nach knapp drei Stunden trudeln wir im Gästehaus ein und sind posi- tiv überrascht vom Komfort. Und vom Znacht: Knusprig gebratene Fo- rellen aus dem Bach nebenan, Ge- müse und Kartoffeln aus dem Gar- ten. Dazu selbstgebrannter Raki, ein Geschenk der Einheimischen am Ne- bentisch. 40 Kilo Trauben ergeben drei Liter Schnaps, drei Gläser Raki ergeben einen fröhlichen Abend. Der Kellner trinkt mit. Der nächste Tag führt uns hinauf zur Hütte der Familie Rama auf 1650 Metern über Meer. Die Grenze zu Montenegro ist so nah, dass dies hier während des Kommunismus Sperrgebiet war und die Hütte eine Militärbaracke. Dem Neffen der Hir- tenfamilie begegnen wir unterwegs; er ist gross und sehr schlank, wie viele dieser stolzen Bergbewohner. Er trägt iPod-Kopfhörer und über seiner Schulter zwei Sensen – ein wandelndes Symbol für ein Albani- en, das den Sprung ins neue Jahrtau- send noch nicht ganz vollzogen hat. Oben angekommen, essen wir den Käse unserer Gastgeber und genies- sen das Panorama. Kein Skiliftmast ist zu sehen, dafür riesige Wälder, ein frei mäandernder Fluss und zer- klüftete Berggipfel. Unweigerlich denkt man an die vielen Kosovaren, während des Krieges über jene Ber- ge nach Albanien flohen. Auch im bitteren Winter. Abends, im wunderschönen Gar- ten des nächsten Gasthauses, den- ken wir noch: Hier müsste man ein paar Tage bleiben. Und tatsächlich erwischen wir einen «Chäfer», der uns eine schlaflose Nacht auf dem WC beschert. An Weiterwandern ist nicht zu denken. Dank dem im Rei- se-Package mitgelieferten Notfall- Handy, das uns mit der einheimi- schen Reiseleitung verbindet, ist die Umbuchung kein Problem. Wir fau- lenzen also einen Tag länger im Gar- ten und sind dankbar, dass es Coca- Cola bis in den hintersten Winkel Al- baniens geschafft hat. Von flüssigen Kalorien getragen, machen wir uns am nächsten Tag auf zum Valbona-Pass, über den wir nach Theth im benachbarten Shala- Tal gelangen. Es riecht nach Harz, Pferd, Kräutern, Waldboden – und Cannabis. Spötter nennen es «den Weizen Albaniens», das Land ist eine der weltweit führenden Quellen für die Droge. Zum ersten Mal verlaufen wir uns trotz GPS gehörig. Aber ir- gendwo trifft man immer auf einen Einheimischen, der einen freundlich mit vielen Worten, die wir nicht ver- stehen, auf den richtigen Pfad zschickt. Überhaupt: Wir begegnen auf der Reise ausnahmslos höchst hilfsbereiten Menschen. Die Gast- freundschaft des Albaners ist legen- där. Sie gründet, wie die Blutrache, im berüchtigten Ehrenkodex Kanun. Beim Abstieg ins Shala-Tal sind wir froh, um die Wanderstöcke; 1100 Höhenmeter sind zu bewältigen. Für diese Reise sollte man eine gewisse Kondition mitbringen, wir wandern bis zu sieben Stunden täglich. Dafür kommen wir an malerische Orte wie das Dörfchen Theth, die mangels tauglicher Verkehrsanbindung von der Zeit so unberührt sind, dass man sich vorkommt wie in einem riesigen Freilichtmuseum. Schattenseiten des Tourismus Man muss allerdings sagen: Der Tou- rismus nimmt Fahrt auf, und das manifestiert sich in Form halb ferti- ger Gästehäuser an allen Ecken. Ganz Bünzlischweizer, wünschen wir uns eine strenge Bauordnung herbei, um die Schönheit dieses Tals zu bewahren. Man gönnt es zwar der Familie, in deren Besitz die letz- te erhaltene Kulla (ein Blutrache- turm) des Shala-Tales ist, dass sie mit Touristen Geld verdienen kann. Aber den Bretterverschlag direkt ne- ben dem Turm, der eine Art Besen- beiz beherbergt, hätte man wirklich an einem anderen Ort aufstellen können. Im Shala-Tal bleiben uns zwei Wandertage, dann bringt uns der Mini-Bus über eine höchst aben- teuerliche Pass-Strasse zurück nach Shkodra. Der albanische Beifahrer trinkt sich mit Raki Mut an und be- kreuzigt sich in jeder Kurve. Viel- leicht dankt er aber auch einfach Gott für sein wunderbares Land. Zeitreise zu den verwunschenen Bergen Im Kosovo ist der Tourismus noch kaum entwickelt. Nur wenige Kilometer östlich zeigt sich in Albanien, was in der gesamten Bergregion möglich wäre. Eine Wanderung durch ein Land, das nach seiner jahrzehntelangen Abschottung die Gäste mit grösster Offenheit willkommen heisst. VON NADJA ROHNER (TEXT UND FOTOS) Die Gastfreundschaft des Albaners ist legendär. Sie gründet, wie auch die Blutrache, im berüchtigten Ehrenkodex Kanun. Die Fussgängerzone in Shkodra verströmt mediterranes Ambiente. Hier trifft man sich abends zum gemütlichen Fla- nieren, Sehen und Gesehenwerden. Der höchste Berggipfel Nordalbaniens liegt auf knapp 2700 Metern über Meer . Gewandert wird meist auf Hirten- wegen oder Eselspfaden. 10 Jahre Kosovo INSERAT Griechenland Albanien Kosovo Mazedonien Shkodra Koman Theth MAPS4NEWS.COM/©HERE Albanien ist für Touristen sicher . Strandferien an der noch unberührten Küste sind im Kommen. Auch die Haupt- stadt Tirana ist eine Reise wert. Unsere Trekkingtour wurde durchgeführt zusammen mit Eurotrek: «Wanderferien Nord- albanische Alpen», 8 Tage/7 Nächte. Ab 799 Franken. Anreise via Flughafen Tirana, Podgorica (ab Zürich mit Zwi- schenstopp) oder Pristina (di- rekt), von dort mit dem Miet- auto oder Eurotrek- Transfer nach Shkodra. Land und Sprache 3 Millionen. Einwohner leben auf 29 000 km 2 . Die Landessprache Alba- nisch bildet einen eigenen Ab- leger der indogermanischen Sprachfamilie und ist daher schwierig zu lernen. Verwirrend ist bereits, dass «Nein!» «Joheisst. Viele Albaner können ei- nige Brocken Englisch oder gar Deutsch und Italienisch. Ein nettes «Mirëdita» zur Begrüs- sung und ein «Faleminderit» zum Dank reichen. Reiseland Albanien Die Schattenseiten des aufkommenden Tourismus: Im abgele- genen, malerischen Dörfchen Theth wurde eine Besenbeiz di- rekt neben den historisch wertvollen Blutracheturm gebaut. Eine Fahrt mit der Fähre auf dem Koman-Stausee ist unbe- quem, aber auch unvergesslich schön. Obwohl der zum Boot umgebaute Bus nicht gerade vertrauenserweckend aussieht. Schweiz am Wochenende 17. Februar 2018 W 57 reisen Benny Islami (44) ist vieles: achtfacher kosovarischer Tennismeister, Zahnarzt, Fotograf und seit 15 Jahren Wander- und Skitouren-Pionier in einem Land, dessen Bürger noch immer für jede Reise nach Europa ein Visum brauchen. Ferien im Ausland sind mit bürokratischen Hürden verbunden, und oft fehlt es den bitterar- men Menschen am Kleingeld, um den Traum vom Trip in ferne Länder über- haupt realisieren zu können. Islami bedauert die Situation genauso sehr wie die meisten seiner Landsleute. Doch statt den Kopf hängen zu lassen, entschied sich der Mann mit dem schneeweissen Lächeln, die Not zur Tu- gend zu machen. «Wenn wir nicht raus- können, dann müssen wir die Schönheit eben im Inneren suchen», sagte sich Isla- mi und suchte in seiner Heimat nach den schönsten Wanderwegen und Skipisten. Die Reise führte ihn ins südkosovarische Brecoviza, eine serbische Enklave, deren verschneite Hänge 1984 als Ausweichort für die Olympischen Winterspiele ge- dient hätten, falls der Schnee in Sarajevo ausgeblieben wäre. «2003 machte ich in der Region die ersten Skitouren und gründete die Organisation ‹Snow Njeri› (‹Schnee-Mensch›)», erzählt Islami im hippen Café Soma in Pristinas Zentrum. Hier trifft er sich regelmässig mit Touris- ten, die sich bei ihm nach den neusten Outdoor-Geheimtipps erkundigen. «Wir wollen den Kosovo in eine Ski- und Wanderdestination verwandeln.» Die Berge dazu hätte der Kosovo. Etwa das Šar Planina im Süden an der Grenze zu Mazedonien oder die Gipfel rund um den Gjeravica, den mit 2656 Metern offi- ziell höchsten Berg im Kosovo. Ausge- schilderte Wanderwege gebe es viele, nur bei den Skipisten hapere es noch, sagt Islami: «Im ganzen Land gäbe es ein Potenzial für 25 Skigebiete. Realisiert ha- ben wir bisher leider nur drei.» Tagestouren für 10 Euro Im Sommer 2004 gründete Islami die Or- ganisation «Hiking Njeri» («Wandernder Mensch»). «Vor 15 Jahren war Wandern im Kosovo ausschliesslich ein Hobby der Generation 60+, die mehr wegen des Picknicks und weniger wegen der sportli- chen Herausforderung nach draussen ging», sagt Islami. Auf seine Wandertou- ren (675, er hat sie dokumentiert) nahm er seine Kamera mit und knipste drauf- los. Zwei Fotobücher hat er bereits publi- ziert: «Pures Kosovo» und «Majestäti- sches Kosovo», beide in mehreren Aufla- gen, beide ausverkauft. «Ich wollte mit meinen Bildern die jungen Kosovaren vom Wandersport begeistern.» Das hat geklappt: Mehrmals wöchent- lich sind Islami und sein Team mit bis zu 200 Personen im Kosovo unterwegs. Kostenpunkt für einen geführten ganztä- gigen Wandertrip: 10 Euro pro Person. Mit dabei war vor Jahren auch Uta Ibra- himi, die 2017 als erste Kosovarin auf dem Everest stand. «Auf meine Wander- touren kam sie noch mit Jeans und klobi- gen Schuhen», erzählt Islami. Berggipfel statt Massengräber Das Wanderfieber habe die Kosovaren gepackt. Jetzt gelte es, die Schönheit des Landes auch internationalen Touristen näherzubringen. «Wir haben die Land- schaften, wir haben die Guides, wir ha- ben die Hotels und Wanderwege. Das Einzige, was uns fehlt, ist ein professio- nelles Marketing», bedauert der Out- door-Profi. Mit den Fotos auf seinen Blogs versucht er, den Kosovo in ein po- sitives Licht zu rücken. «1999 hatte mich die ‹Washington Post› engagiert, um die Spuren des Kriegs zu fotografieren», er- zählt Islami. «Ich habe Massengräber und zerstörte Dörfer festgehalten. So was will ich nie wieder tun. Ich will mit meinen Bildern jetzt Gutes bewirken.» Islami hofft, dass die Regierung im Ko- sovo in Zukunft auf die Karte Tourismus setzt. Nicht nur, um mehr Ausländer in das kleine Balkan-Land zu bringen, son- dern auch, um die Kosovaren unterein- ander auszusöhnen. «Der Tourismus kann uns heilen. Die Kosovo-Serben im Skigebiet Brezovica, zum Beispiel, haben extra Albanisch gelernt, weil sie gemerkt haben, dass die kosovoalbanischen Tou- risten dann eher kommen», erzählt Isla- mi. Das allein sei es Wert, dem Touris- mus eine Chance zu geben. Kosovos oberster Wandervogel Benny Islami hat als Fotograf einst Kriegsverbrechen dokumen- tiert. Jetzt will er Wanderern die Schönheit seiner Heimat zeigen VON SAMUEL SCHUMACHER (TEXT UND FOTO) Benny Islami glaubt, dem Kosovo blühe eine goldene Zukunft als Tourismus-Destination. Inspiration für die Kosovo-Ferien: www.hiking.njeri.net www.snow.njeri.net

Zeitreise zu den Theth - Eurotrekd832803e-427c-495a... · banien–Kosovo–Montenegro wird als Teil des Fernwanderwegs «Peaks of the Balkans» begangen. Hier liegt auf knapp 2700

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Page 1: Zeitreise zu den Theth - Eurotrekd832803e-427c-495a... · banien–Kosovo–Montenegro wird als Teil des Fernwanderwegs «Peaks of the Balkans» begangen. Hier liegt auf knapp 2700

INSERAT

a stehen wir nunauf dem Pass, nachdrei Stunden Auf-stieg, schwer at-mend, schweiss-überströmt. DieFunktionskleidung

klebt am Leib; wir tragen lange Ho-sen wegen angeblicher Schlangen,die Füsse stecken in schweren Berg-schuhen. Und da steht neben unsdiese albanische Familie: der Mannin Lackleder-Halbschuhen, die Fraumit Glitzerhandtäschli, das Kind inpink Sneakers. Wie sind die in die-sem Outfit bloss hier hochgekom-men? Nicht zum ersten Mal stellenwir fest: Albaner sind zäh und gelän-degängig wie Berggeissen.

Dabei sind wir nicht overdressed.Unsere Wandertour in den nordalba-nischen Alpen führt durch schroffesGelände. Wir bewegen uns in zweiNationalparks der Prokletije, was«verwunschene Berge» bedeutet.Der Gebirgszug im Dreiländereck Al-banien–Kosovo–Montenegro wird alsTeil des Fernwanderwegs «Peaks ofthe Balkans» begangen. Hier liegtauf knapp 2700 Meter Höhe der Gip-fel des Jezerca, des zweithöchstenBerges in Albanien.

Abenteuerlustigere Leute könntenunsere mehrtägige Tour auf eigeneFaust machen, vielleicht nur mitdem Zelt. Aber wir mögens bequemund setzen auf den ReiseanbieterEurotrek. Das bedeutet: Unterkunft,Transfers, Wanderrouten, alles zu-verlässig durchorganisiert. Währendwir wandern (GPS-unterstützt, aberindividuell), reist das Gepäck im Au-to oder auf dem Packpferd von Gäs-tehaus zu Gästehaus.

Des Albaners ReligionUnsere erste Station ist Shkodra, ei-ne fast 2500 Jahre alte Stadt am Sku-tarisee nahe der Grenze zu Montene-gro. In der renovierten Fussgänger-zone mit ihrem Kopfsteinpflasterund den farbigen Häusern flanierenabends zahlreiche Einheimische.Und hier fallen die ersten Vorurteile.Eine Schweizer Mitreisende wundertsich, dass albanische Frauen nichtverschleiert sind; ja, dass sie sich imGegenteil recht aufgebrezelt haben.Doch nicht umsonst besagt ein Bon-mot: Die Religion des Albaners istdas Albanertum. Und vielleicht nochder alte Ehrenkodex, der Kanun. Un-ter Diktator Enver Hoxha, der von1944 bis 1985 herrschte und Albani-en abschottete, waren Religionenkomplett verboten. Heute lebenMuslime und Christen friedlich ne-beneinander.

Der nächste Tag führt uns im Mor-gengrauen an den Koman-Stausee.Dort steigen wir auf die Fähre genNorden um. Die Dragobia ist einzum Boot umgebauter Bus – bevoruns Zweifel an deren Seetauglichkeitaufkommen können, sitzen wirschon drin. Und zwar nicht in der

Dkleinen Kabine, sondern draussen,auf Benzinkanistern und Zuckersä-cken, die entlang der Reling gesta-pelt sind. Vorräte für die kleinenSiedlungen am Ufer, die man nur perBoot oder zu Fuss erreicht. In Reise-führern ist die dreistündige Fahrt be-schrieben als Highlight jeder Albani-en-Reise. Wir pflichten bei. Ab undzu legt die Fähre im – scheinbaren –Nirgendwo an, ein Einheimischersteigt aus und erklimmt die steil auf-ragende Felswand in Sonntagsklei-dern, als wärs ein Spaziergang.

Später am Tag dürfen auch wir dieWanderschuhe festzurren: Zu Fussgeht es dem Fluss Valbona entlangins gleichnamige Tal. Es ist dem ve-hementen Widerstand einiger Ein-heimischer und Umweltaktivisten zuverdanken, dass die hier – mitten imNationalpark – geplanten riesigenWasserkraftwerke nie realisiert wur-den. Auch der teilweise herumlie-gende Abfall zeigt: In einem Land,das zu den ärmsten Europas gehört,hat Naturschutz nicht oberste Priori-tät. Sollte er aber. Denn die Schön-

heit fast unberührter Natur, der wirauf dieser Reise begegnen werden,ist von unschätzbarem Wert.

Nach knapp drei Stunden trudelnwir im Gästehaus ein und sind posi-tiv überrascht vom Komfort. Undvom Znacht: Knusprig gebratene Fo-rellen aus dem Bach nebenan, Ge-müse und Kartoffeln aus dem Gar-ten. Dazu selbstgebrannter Raki, einGeschenk der Einheimischen am Ne-bentisch. 40 Kilo Trauben ergebendrei Liter Schnaps, drei Gläser Rakiergeben einen fröhlichen Abend.Der Kellner trinkt mit.

Der nächste Tag führt uns hinaufzur Hütte der Familie Rama auf 1650Metern über Meer. Die Grenze zuMontenegro ist so nah, dass dieshier während des KommunismusSperrgebiet war und die Hütte eineMilitärbaracke. Dem Neffen der Hir-tenfamilie begegnen wir unterwegs;er ist gross und sehr schlank, wieviele dieser stolzen Bergbewohner.Er trägt iPod-Kopfhörer und überseiner Schulter zwei Sensen – einwandelndes Symbol für ein Albani-en, das den Sprung ins neue Jahrtau-send noch nicht ganz vollzogen hat.

Oben angekommen, essen wir denKäse unserer Gastgeber und genies-sen das Panorama. Kein Skiliftmastist zu sehen, dafür riesige Wälder,ein frei mäandernder Fluss und zer-klüftete Berggipfel. Unweigerlichdenkt man an die vielen Kosovaren,während des Krieges über jene Ber-ge nach Albanien flohen. Auch imbitteren Winter.

Abends, im wunderschönen Gar-ten des nächsten Gasthauses, den-ken wir noch: Hier müsste man einpaar Tage bleiben. Und tatsächlicherwischen wir einen «Chäfer», deruns eine schlaflose Nacht auf demWC beschert. An Weiterwandern istnicht zu denken. Dank dem im Rei-se-Package mitgelieferten Notfall-Handy, das uns mit der einheimi-schen Reiseleitung verbindet, ist dieUmbuchung kein Problem. Wir fau-lenzen also einen Tag länger im Gar-ten und sind dankbar, dass es Coca-Cola bis in den hintersten Winkel Al-baniens geschafft hat.

Von flüssigen Kalorien getragen,machen wir uns am nächsten Tagauf zum Valbona-Pass, über den wirnach Theth im benachbarten Shala-Tal gelangen. Es riecht nach Harz,Pferd, Kräutern, Waldboden – undCannabis. Spötter nennen es «denWeizen Albaniens», das Land ist eineder weltweit führenden Quellen fürdie Droge. Zum ersten Mal verlaufenwir uns trotz GPS gehörig. Aber ir-gendwo trifft man immer auf einenEinheimischen, der einen freundlichmit vielen Worten, die wir nicht ver-stehen, auf den richtigen Pfadzschickt. Überhaupt: Wir begegnenauf der Reise ausnahmslos höchsthilfsbereiten Menschen. Die Gast-freundschaft des Albaners ist legen-där. Sie gründet, wie die Blutrache,im berüchtigten Ehrenkodex Kanun.

Beim Abstieg ins Shala-Tal sind wirfroh, um die Wanderstöcke; 1100Höhenmeter sind zu bewältigen. Fürdiese Reise sollte man eine gewisseKondition mitbringen, wir wandernbis zu sieben Stunden täglich. Dafürkommen wir an malerische Orte wiedas Dörfchen Theth, die mangelstauglicher Verkehrsanbindung vonder Zeit so unberührt sind, dass mansich vorkommt wie in einem riesigenFreilichtmuseum.

Schattenseiten des TourismusMan muss allerdings sagen: Der Tou-rismus nimmt Fahrt auf, und dasmanifestiert sich in Form halb ferti-ger Gästehäuser an allen Ecken.Ganz Bünzlischweizer, wünschenwir uns eine strenge Bauordnungherbei, um die Schönheit dieses Talszu bewahren. Man gönnt es zwarder Familie, in deren Besitz die letz-te erhaltene Kulla (ein Blutrache-turm) des Shala-Tales ist, dass siemit Touristen Geld verdienen kann.Aber den Bretterverschlag direkt ne-ben dem Turm, der eine Art Besen-beiz beherbergt, hätte man wirklichan einem anderen Ort aufstellenkönnen. Im Shala-Tal bleiben unszwei Wandertage, dann bringt unsder Mini-Bus über eine höchst aben-teuerliche Pass-Strasse zurück nachShkodra. Der albanische Beifahrertrinkt sich mit Raki Mut an und be-kreuzigt sich in jeder Kurve. Viel-leicht dankt er aber auch einfachGott für sein wunderbares Land.

Zeitreise zu denverwunschenen BergenIm Kosovo ist der Tourismus noch kaum entwickelt. Nur wenige Kilometer östlichzeigt sich in Albanien, was in der gesamten Bergregion möglich wäre. Eine Wanderungdurch ein Land, das nach seiner jahrzehntelangen Abschottung die Gäste mit grössterOffenheit willkommen heisst.VON NADJA ROHNER (TEXT UND FOTOS)

Die Gastfreundschaft desAlbaners ist legendär.Sie gründet, wie auch dieBlutrache, im berüchtigtenEhrenkodex Kanun.

Griechenland

Albanien

Kosovo

Mazedonien

Shkodra

Koman

Theth

MAPS4NEWS.COM/©HERE

Albanien ist für Touristensicher. Strandferien an dernoch unberührten Küste sindim Kommen. Auch die Haupt-stadt Tirana ist eine Reise wert.Unsere Trekkingtour wurdedurchgeführt zusammen mitEurotrek: «Wanderferien Nord-albanische Alpen», 8 Tage/7Nächte. Ab 799 Franken.

Anreise via Flughafen Tirana,Podgorica (ab Zürich mit Zwi-schenstopp) oder Pristina (di-rekt), von dort mit dem Miet-auto oder Eurotrek-Transfernach Shkodra.

Land und Sprache 3 Millionen.Einwohner leben auf 29 000km2. Die Landessprache Alba-nisch bildet einen eigenen Ab-leger der indogermanischenSprachfamilie und ist daherschwierig zu lernen. Verwirrendist bereits, dass «Nein!» «Jo!»heisst. Viele Albaner können ei-nige Brocken Englisch oder garDeutsch und Italienisch. Einnettes «Mirëdita» zur Begrüs-sung und ein «Faleminderit»zum Dank reichen.

Reiseland Albanien

Die Fussgängerzone in Shkodra verströmt mediterranesAmbiente. Hier trifft man sich abends zum gemütlichen Fla-

nieren, Sehen und Gesehenwerden.

Die Schattenseiten des aufkommenden Tourismus: Im abgele-genen, malerischen Dörfchen Theth wurde eine Besenbeiz di-rekt neben den historisch wertvollen Blutracheturm gebaut.

Eine Fahrt mit der Fähre auf dem Koman-Stausee ist unbe-quem, aber auch unvergesslich schön. Obwohl der zum Bootumgebaute Bus nicht gerade vertrauenserweckend aussieht.

Der höchste Berggipfel Nordalbaniens liegt auf knapp2700 Metern über Meer. Gewandert wird meist auf Hirten-

wegen oder Eselspfaden.

Schweiz am Wochenende17. Februar 2018 W 5610 Jahre Kosovo reisen

Benny Islami (44) ist vieles: achtfacherkosovarischer Tennismeister, Zahnarzt,Fotograf und seit 15 Jahren Wander- undSkitouren-Pionier in einem Land, dessenBürger noch immer für jede Reise nachEuropa ein Visum brauchen. Ferien imAusland sind mit bürokratischen Hürdenverbunden, und oft fehlt es den bitterar-men Menschen am Kleingeld, um denTraum vom Trip in ferne Länder über-haupt realisieren zu können.

Islami bedauert die Situation genausosehr wie die meisten seiner Landsleute.Doch statt den Kopf hängen zu lassen,entschied sich der Mann mit demschneeweissen Lächeln, die Not zur Tu-gend zu machen. «Wenn wir nicht raus-können, dann müssen wir die Schönheiteben im Inneren suchen», sagte sich Isla-mi und suchte in seiner Heimat nach denschönsten Wanderwegen und Skipisten.Die Reise führte ihn ins südkosovarischeBrecoviza, eine serbische Enklave, derenverschneite Hänge 1984 als Ausweichortfür die Olympischen Winterspiele ge-dient hätten, falls der Schnee in Sarajevoausgeblieben wäre. «2003 machte ich inder Region die ersten Skitouren undgründete die Organisation ‹Snow Njeri›(‹Schnee-Mensch›)», erzählt Islami imhippen Café Soma in Pristinas Zentrum.Hier trifft er sich regelmässig mit Touris-ten, die sich bei ihm nach den neustenOutdoor-Geheimtipps erkundigen.

«Wir wollen den Kosovo in eine Ski-und Wanderdestination verwandeln.»Die Berge dazu hätte der Kosovo. Etwadas Šar Planina im Süden an der Grenzezu Mazedonien oder die Gipfel rund umden Gjeravica, den mit 2656 Metern offi-ziell höchsten Berg im Kosovo. Ausge-schilderte Wanderwege gebe es viele,nur bei den Skipisten hapere es noch,sagt Islami: «Im ganzen Land gäbe es einPotenzial für 25 Skigebiete. Realisiert ha-ben wir bisher leider nur drei.»

Tagestouren für 10 EuroIm Sommer 2004 gründete Islami die Or-ganisation «Hiking Njeri» («WandernderMensch»). «Vor 15 Jahren war Wandernim Kosovo ausschliesslich ein Hobby derGeneration 60+, die mehr wegen desPicknicks und weniger wegen der sportli-chen Herausforderung nach draussenging», sagt Islami. Auf seine Wandertou-ren (675, er hat sie dokumentiert) nahmer seine Kamera mit und knipste drauf-los. Zwei Fotobücher hat er bereits publi-ziert: «Pures Kosovo» und «Majestäti-sches Kosovo», beide in mehreren Aufla-gen, beide ausverkauft. «Ich wollte mitmeinen Bildern die jungen Kosovarenvom Wandersport begeistern.»

Das hat geklappt: Mehrmals wöchent-lich sind Islami und sein Team mit bis zu200 Personen im Kosovo unterwegs.Kostenpunkt für einen geführten ganztä-

gigen Wandertrip: 10 Euro pro Person.Mit dabei war vor Jahren auch Uta Ibra-himi, die 2017 als erste Kosovarin aufdem Everest stand. «Auf meine Wander-touren kam sie noch mit Jeans und klobi-gen Schuhen», erzählt Islami.

Berggipfel statt MassengräberDas Wanderfieber habe die Kosovarengepackt. Jetzt gelte es, die Schönheit desLandes auch internationalen Touristennäherzubringen. «Wir haben die Land-schaften, wir haben die Guides, wir ha-ben die Hotels und Wanderwege. DasEinzige, was uns fehlt, ist ein professio-nelles Marketing», bedauert der Out-door-Profi. Mit den Fotos auf seinenBlogs versucht er, den Kosovo in ein po-sitives Licht zu rücken. «1999 hatte michdie ‹Washington Post› engagiert, um dieSpuren des Kriegs zu fotografieren», er-zählt Islami. «Ich habe Massengräberund zerstörte Dörfer festgehalten. Sowas will ich nie wieder tun. Ich will mitmeinen Bildern jetzt Gutes bewirken.»

Islami hofft, dass die Regierung im Ko-sovo in Zukunft auf die Karte Tourismussetzt. Nicht nur, um mehr Ausländer indas kleine Balkan-Land zu bringen, son-dern auch, um die Kosovaren unterein-ander auszusöhnen. «Der Tourismuskann uns heilen. Die Kosovo-Serben imSkigebiet Brezovica, zum Beispiel, habenextra Albanisch gelernt, weil sie gemerkthaben, dass die kosovoalbanischen Tou-risten dann eher kommen», erzählt Isla-mi. Das allein sei es Wert, dem Touris-mus eine Chance zu geben.

Kosovos obersterWandervogelBenny Islami hat als Fotograf einst Kriegsverbrechen dokumen-tiert. Jetzt will er Wanderern die Schönheit seiner Heimat zeigen� �

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VON SAMUEL SCHUMACHER (TEXT UND FOTO)

Benny Islami glaubt, dem Kosovo blühe eine goldene Zukunft als Tourismus-Destination.

Inspiration für die Kosovo-Ferien:www.hiking.njeri.netwww.snow.njeri.net

INSERAT

a stehen wir nunauf dem Pass, nachdrei Stunden Auf-stieg, schwer at-mend, schweiss-überströmt. DieFunktionskleidung

klebt am Leib; wir tragen lange Ho-sen wegen angeblicher Schlangen,die Füsse stecken in schweren Berg-schuhen. Und da steht neben unsdiese albanische Familie: der Mannin Lackleder-Halbschuhen, die Fraumit Glitzerhandtäschli, das Kind inpink Sneakers. Wie sind die in die-sem Outfit bloss hier hochgekom-men? Nicht zum ersten Mal stellenwir fest: Albaner sind zäh und gelän-degängig wie Berggeissen.

Dabei sind wir nicht overdressed.Unsere Wandertour in den nordalba-nischen Alpen führt durch schroffesGelände. Wir bewegen uns in zweiNationalparks der Prokletije, was«verwunschene Berge» bedeutet.Der Gebirgszug im Dreiländereck Al-banien–Kosovo–Montenegro wird alsTeil des Fernwanderwegs «Peaks ofthe Balkans» begangen. Hier liegtauf knapp 2700 Meter Höhe der Gip-fel des Jezerca, des zweithöchstenBerges in Albanien.

Abenteuerlustigere Leute könntenunsere mehrtägige Tour auf eigeneFaust machen, vielleicht nur mitdem Zelt. Aber wir mögens bequemund setzen auf den ReiseanbieterEurotrek. Das bedeutet: Unterkunft,Transfers, Wanderrouten, alles zu-verlässig durchorganisiert. Währendwir wandern (GPS-unterstützt, aberindividuell), reist das Gepäck im Au-to oder auf dem Packpferd von Gäs-tehaus zu Gästehaus.

Des Albaners ReligionUnsere erste Station ist Shkodra, ei-ne fast 2500 Jahre alte Stadt am Sku-tarisee nahe der Grenze zu Montene-gro. In der renovierten Fussgänger-zone mit ihrem Kopfsteinpflasterund den farbigen Häusern flanierenabends zahlreiche Einheimische.Und hier fallen die ersten Vorurteile.Eine Schweizer Mitreisende wundertsich, dass albanische Frauen nichtverschleiert sind; ja, dass sie sich imGegenteil recht aufgebrezelt haben.Doch nicht umsonst besagt ein Bon-mot: Die Religion des Albaners istdas Albanertum. Und vielleicht nochder alte Ehrenkodex, der Kanun. Un-ter Diktator Enver Hoxha, der von1944 bis 1985 herrschte und Albani-en abschottete, waren Religionenkomplett verboten. Heute lebenMuslime und Christen friedlich ne-beneinander.

Der nächste Tag führt uns im Mor-gengrauen an den Koman-Stausee.Dort steigen wir auf die Fähre genNorden um. Die Dragobia ist einzum Boot umgebauter Bus – bevoruns Zweifel an deren Seetauglichkeitaufkommen können, sitzen wirschon drin. Und zwar nicht in der

Dkleinen Kabine, sondern draussen,auf Benzinkanistern und Zuckersä-cken, die entlang der Reling gesta-pelt sind. Vorräte für die kleinenSiedlungen am Ufer, die man nur perBoot oder zu Fuss erreicht. In Reise-führern ist die dreistündige Fahrt be-schrieben als Highlight jeder Albani-en-Reise. Wir pflichten bei. Ab undzu legt die Fähre im – scheinbaren –Nirgendwo an, ein Einheimischersteigt aus und erklimmt die steil auf-ragende Felswand in Sonntagsklei-dern, als wärs ein Spaziergang.

Später am Tag dürfen auch wir dieWanderschuhe festzurren: Zu Fussgeht es dem Fluss Valbona entlangins gleichnamige Tal. Es ist dem ve-hementen Widerstand einiger Ein-heimischer und Umweltaktivisten zuverdanken, dass die hier – mitten imNationalpark – geplanten riesigenWasserkraftwerke nie realisiert wur-den. Auch der teilweise herumlie-gende Abfall zeigt: In einem Land,das zu den ärmsten Europas gehört,hat Naturschutz nicht oberste Priori-tät. Sollte er aber. Denn die Schön-

heit fast unberührter Natur, der wirauf dieser Reise begegnen werden,ist von unschätzbarem Wert.

Nach knapp drei Stunden trudelnwir im Gästehaus ein und sind posi-tiv überrascht vom Komfort. Undvom Znacht: Knusprig gebratene Fo-rellen aus dem Bach nebenan, Ge-müse und Kartoffeln aus dem Gar-ten. Dazu selbstgebrannter Raki, einGeschenk der Einheimischen am Ne-bentisch. 40 Kilo Trauben ergebendrei Liter Schnaps, drei Gläser Rakiergeben einen fröhlichen Abend.Der Kellner trinkt mit.

Der nächste Tag führt uns hinaufzur Hütte der Familie Rama auf 1650Metern über Meer. Die Grenze zuMontenegro ist so nah, dass dieshier während des KommunismusSperrgebiet war und die Hütte eineMilitärbaracke. Dem Neffen der Hir-tenfamilie begegnen wir unterwegs;er ist gross und sehr schlank, wieviele dieser stolzen Bergbewohner.Er trägt iPod-Kopfhörer und überseiner Schulter zwei Sensen – einwandelndes Symbol für ein Albani-en, das den Sprung ins neue Jahrtau-send noch nicht ganz vollzogen hat.

Oben angekommen, essen wir denKäse unserer Gastgeber und genies-sen das Panorama. Kein Skiliftmastist zu sehen, dafür riesige Wälder,ein frei mäandernder Fluss und zer-klüftete Berggipfel. Unweigerlichdenkt man an die vielen Kosovaren,während des Krieges über jene Ber-ge nach Albanien flohen. Auch imbitteren Winter.

Abends, im wunderschönen Gar-ten des nächsten Gasthauses, den-ken wir noch: Hier müsste man einpaar Tage bleiben. Und tatsächlicherwischen wir einen «Chäfer», deruns eine schlaflose Nacht auf demWC beschert. An Weiterwandern istnicht zu denken. Dank dem im Rei-se-Package mitgelieferten Notfall-Handy, das uns mit der einheimi-schen Reiseleitung verbindet, ist dieUmbuchung kein Problem. Wir fau-lenzen also einen Tag länger im Gar-ten und sind dankbar, dass es Coca-Cola bis in den hintersten Winkel Al-baniens geschafft hat.

Von flüssigen Kalorien getragen,machen wir uns am nächsten Tagauf zum Valbona-Pass, über den wirnach Theth im benachbarten Shala-Tal gelangen. Es riecht nach Harz,Pferd, Kräutern, Waldboden – undCannabis. Spötter nennen es «denWeizen Albaniens», das Land ist eineder weltweit führenden Quellen fürdie Droge. Zum ersten Mal verlaufenwir uns trotz GPS gehörig. Aber ir-gendwo trifft man immer auf einenEinheimischen, der einen freundlichmit vielen Worten, die wir nicht ver-stehen, auf den richtigen Pfadzschickt. Überhaupt: Wir begegnenauf der Reise ausnahmslos höchsthilfsbereiten Menschen. Die Gast-freundschaft des Albaners ist legen-där. Sie gründet, wie die Blutrache,im berüchtigten Ehrenkodex Kanun.

Beim Abstieg ins Shala-Tal sind wirfroh, um die Wanderstöcke; 1100Höhenmeter sind zu bewältigen. Fürdiese Reise sollte man eine gewisseKondition mitbringen, wir wandernbis zu sieben Stunden täglich. Dafürkommen wir an malerische Orte wiedas Dörfchen Theth, die mangelstauglicher Verkehrsanbindung vonder Zeit so unberührt sind, dass mansich vorkommt wie in einem riesigenFreilichtmuseum.

Schattenseiten des TourismusMan muss allerdings sagen: Der Tou-rismus nimmt Fahrt auf, und dasmanifestiert sich in Form halb ferti-ger Gästehäuser an allen Ecken.Ganz Bünzlischweizer, wünschenwir uns eine strenge Bauordnungherbei, um die Schönheit dieses Talszu bewahren. Man gönnt es zwarder Familie, in deren Besitz die letz-te erhaltene Kulla (ein Blutrache-turm) des Shala-Tales ist, dass siemit Touristen Geld verdienen kann.Aber den Bretterverschlag direkt ne-ben dem Turm, der eine Art Besen-beiz beherbergt, hätte man wirklichan einem anderen Ort aufstellenkönnen. Im Shala-Tal bleiben unszwei Wandertage, dann bringt unsder Mini-Bus über eine höchst aben-teuerliche Pass-Strasse zurück nachShkodra. Der albanische Beifahrertrinkt sich mit Raki Mut an und be-kreuzigt sich in jeder Kurve. Viel-leicht dankt er aber auch einfachGott für sein wunderbares Land.

Zeitreise zu denverwunschenen BergenIm Kosovo ist der Tourismus noch kaum entwickelt. Nur wenige Kilometer östlichzeigt sich in Albanien, was in der gesamten Bergregion möglich wäre. Eine Wanderungdurch ein Land, das nach seiner jahrzehntelangen Abschottung die Gäste mit grössterOffenheit willkommen heisst.VON NADJA ROHNER (TEXT UND FOTOS)

Die Gastfreundschaft desAlbaners ist legendär.Sie gründet, wie auch dieBlutrache, im berüchtigtenEhrenkodex Kanun.

Griechenland

Albanien

Kosovo

Mazedonien

Shkodra

Koman

Theth

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Albanien ist für Touristensicher. Strandferien an dernoch unberührten Küste sindim Kommen. Auch die Haupt-stadt Tirana ist eine Reise wert.Unsere Trekkingtour wurdedurchgeführt zusammen mitEurotrek: «Wanderferien Nord-albanische Alpen», 8 Tage/7Nächte. Ab 799 Franken.

Anreise via Flughafen Tirana,Podgorica (ab Zürich mit Zwi-schenstopp) oder Pristina (di-rekt), von dort mit dem Miet-auto oder Eurotrek-Transfernach Shkodra.

Land und Sprache 3 Millionen.Einwohner leben auf 29 000km2. Die Landessprache Alba-nisch bildet einen eigenen Ab-leger der indogermanischenSprachfamilie und ist daherschwierig zu lernen. Verwirrendist bereits, dass «Nein!» «Jo!»heisst. Viele Albaner können ei-nige Brocken Englisch oder garDeutsch und Italienisch. Einnettes «Mirëdita» zur Begrüs-sung und ein «Faleminderit»zum Dank reichen.

Reiseland Albanien

Die Fussgängerzone in Shkodra verströmt mediterranesAmbiente. Hier trifft man sich abends zum gemütlichen Fla-

nieren, Sehen und Gesehenwerden.

Die Schattenseiten des aufkommenden Tourismus: Im abgele-genen, malerischen Dörfchen Theth wurde eine Besenbeiz di-rekt neben den historisch wertvollen Blutracheturm gebaut.

Eine Fahrt mit der Fähre auf dem Koman-Stausee ist unbe-quem, aber auch unvergesslich schön. Obwohl der zum Bootumgebaute Bus nicht gerade vertrauenserweckend aussieht.

Der höchste Berggipfel Nordalbaniens liegt auf knapp2700 Metern über Meer. Gewandert wird meist auf Hirten-

wegen oder Eselspfaden.

Schweiz am Wochenende17. Februar 2018 W 5710 Jahre Kosovo reisen

Benny Islami (44) ist vieles: achtfacherkosovarischer Tennismeister, Zahnarzt,Fotograf und seit 15 Jahren Wander- undSkitouren-Pionier in einem Land, dessenBürger noch immer für jede Reise nachEuropa ein Visum brauchen. Ferien imAusland sind mit bürokratischen Hürdenverbunden, und oft fehlt es den bitterar-men Menschen am Kleingeld, um denTraum vom Trip in ferne Länder über-haupt realisieren zu können.

Islami bedauert die Situation genausosehr wie die meisten seiner Landsleute.Doch statt den Kopf hängen zu lassen,entschied sich der Mann mit demschneeweissen Lächeln, die Not zur Tu-gend zu machen. «Wenn wir nicht raus-können, dann müssen wir die Schönheiteben im Inneren suchen», sagte sich Isla-mi und suchte in seiner Heimat nach denschönsten Wanderwegen und Skipisten.Die Reise führte ihn ins südkosovarischeBrecoviza, eine serbische Enklave, derenverschneite Hänge 1984 als Ausweichortfür die Olympischen Winterspiele ge-dient hätten, falls der Schnee in Sarajevoausgeblieben wäre. «2003 machte ich inder Region die ersten Skitouren undgründete die Organisation ‹Snow Njeri›(‹Schnee-Mensch›)», erzählt Islami imhippen Café Soma in Pristinas Zentrum.Hier trifft er sich regelmässig mit Touris-ten, die sich bei ihm nach den neustenOutdoor-Geheimtipps erkundigen.

«Wir wollen den Kosovo in eine Ski-und Wanderdestination verwandeln.»Die Berge dazu hätte der Kosovo. Etwadas Šar Planina im Süden an der Grenzezu Mazedonien oder die Gipfel rund umden Gjeravica, den mit 2656 Metern offi-ziell höchsten Berg im Kosovo. Ausge-schilderte Wanderwege gebe es viele,nur bei den Skipisten hapere es noch,sagt Islami: «Im ganzen Land gäbe es einPotenzial für 25 Skigebiete. Realisiert ha-ben wir bisher leider nur drei.»

Tagestouren für 10 EuroIm Sommer 2004 gründete Islami die Or-ganisation «Hiking Njeri» («WandernderMensch»). «Vor 15 Jahren war Wandernim Kosovo ausschliesslich ein Hobby derGeneration 60+, die mehr wegen desPicknicks und weniger wegen der sportli-chen Herausforderung nach draussenging», sagt Islami. Auf seine Wandertou-ren (675, er hat sie dokumentiert) nahmer seine Kamera mit und knipste drauf-los. Zwei Fotobücher hat er bereits publi-ziert: «Pures Kosovo» und «Majestäti-sches Kosovo», beide in mehreren Aufla-gen, beide ausverkauft. «Ich wollte mitmeinen Bildern die jungen Kosovarenvom Wandersport begeistern.»

Das hat geklappt: Mehrmals wöchent-lich sind Islami und sein Team mit bis zu200 Personen im Kosovo unterwegs.Kostenpunkt für einen geführten ganztä-

gigen Wandertrip: 10 Euro pro Person.Mit dabei war vor Jahren auch Uta Ibra-himi, die 2017 als erste Kosovarin aufdem Everest stand. «Auf meine Wander-touren kam sie noch mit Jeans und klobi-gen Schuhen», erzählt Islami.

Berggipfel statt MassengräberDas Wanderfieber habe die Kosovarengepackt. Jetzt gelte es, die Schönheit desLandes auch internationalen Touristennäherzubringen. «Wir haben die Land-schaften, wir haben die Guides, wir ha-ben die Hotels und Wanderwege. DasEinzige, was uns fehlt, ist ein professio-nelles Marketing», bedauert der Out-door-Profi. Mit den Fotos auf seinenBlogs versucht er, den Kosovo in ein po-sitives Licht zu rücken. «1999 hatte michdie ‹Washington Post› engagiert, um dieSpuren des Kriegs zu fotografieren», er-zählt Islami. «Ich habe Massengräberund zerstörte Dörfer festgehalten. Sowas will ich nie wieder tun. Ich will mitmeinen Bildern jetzt Gutes bewirken.»

Islami hofft, dass die Regierung im Ko-sovo in Zukunft auf die Karte Tourismussetzt. Nicht nur, um mehr Ausländer indas kleine Balkan-Land zu bringen, son-dern auch, um die Kosovaren unterein-ander auszusöhnen. «Der Tourismuskann uns heilen. Die Kosovo-Serben imSkigebiet Brezovica, zum Beispiel, habenextra Albanisch gelernt, weil sie gemerkthaben, dass die kosovoalbanischen Tou-risten dann eher kommen», erzählt Isla-mi. Das allein sei es Wert, dem Touris-mus eine Chance zu geben.

Kosovos obersterWandervogelBenny Islami hat als Fotograf einst Kriegsverbrechen dokumen-tiert. Jetzt will er Wanderern die Schönheit seiner Heimat zeigen� �

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VON SAMUEL SCHUMACHER (TEXT UND FOTO)

Benny Islami glaubt, dem Kosovo blühe eine goldene Zukunft als Tourismus-Destination.

Inspiration für die Kosovo-Ferien:www.hiking.njeri.netwww.snow.njeri.net