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Herausgegeben von der Deutsch-Chinesischen Juristenvereinigung e.V. In Verbindung mit dem Deutsch-Chinesischen Institut für Rechtswissenschaft Zeitschrift für Chinesisches Recht Thomas Heberer, Peking erlässt die „Verwaltungsmethode zur Reinkarnation eines Lebenden Buddhas im tibetischen Buddhismus“ Knut B. Pißler, Die Revision des Zivilprozessgesetzes der Volksrepublik China im Jahr 2007 LIU Fei, Überlegungen zur Errichtung einer unabhängigen Verwaltungsgerichtsbarkeit in China Verwaltungsmethode zur Reinkarnation eines Lebenden Buddhas im tibetischen Buddhismus Zivilprozeßgesetz der Volksrepublik China Heft 1/2008 15. Jahrgang, S. 1-92

Zeitschrift für Chinesisches Recht · 2019-09-13 · I. Verabschiedung der „Verwaltungsmethode“: Hintergründe Am 13. Juli 2007 hat das Nationale Büro für Religionsangelegenheiten

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Herausgegeben von der Deutsch-Chinesischen Juristenvereinigung e.V.

In Verbindung mit dem Deutsch-Chinesischen Institutfür Rechtswissenschaft

Zeitschrift fürChinesisches Recht

Thomas Heberer, Peking erlässt die „Verwaltungsmethode zur Reinkarnation eines Lebenden Buddhas im tibetischen Buddhismus“

Knut B. Pißler, Die Revision des Zivilprozessgesetzes der Volksrepublik China im Jahr 2007

LIU Fei, Überlegungen zur Errichtung einer unabhängigen Verwaltungsgerichtsbarkeit in China

Verwaltungsmethode zur Reinkarnation eines Lebenden Buddhas im tibetischen Buddhismus

Zivilprozeßgesetz der Volksrepublik China

Heft 1/200815. Jahrgang, S. 1-92

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Inhalt, ZChinR 2008

INHALT

AUFSÄTZE

Thomas Heberer, Peking erlässt die „Verwaltungsmethode zur Reinkarnation eines Lebenden Buddhas im tibetischen Buddhismus“. Analyse vor dem allgemeinen Hintergrund der Tibet-Frage 1

Knut B. Pißler, Gegen die Symptome einer Krankheit: Die Revision des Zivilprozessgesetzes der Volksrepublik China im Jahr 2007 10

KURZE BEITRÄGE

LIU Fei, Überlegungen zur Errichtung einer unabhängigen Verwaltungsgerichtsbarkeit in China 21

DOKUMENTATIONEN

Verwaltungsmethode zur Reinkarnation eines Lebenden Buddhas im tibetischen Buddhismus(Daniel Sprick) 27

Zivilprozeßgesetz der Volksrepublik China (Frank Münzel) 31

TAGUNGSBERICHTE

Symposium zum chinesischen Zivilprozessrecht in Guiyang, Guizhou 18. und 19. September 2007 (Hinrich Julius/Susanne Pieper) 84

ADRESSEN

Kanzleien mit einer Mitgliedschaft in der Deutsch-Chinesischen Juristenvereinigung e.V. 87

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D E G R U Y T E R R E C H T

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Heberer, Verwaltungsmethode zur Reinkarnation eines Lebenden Buddhas, ZChinR 2008

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AUFSÄTZE

Peking erlässt die „Verwaltungsmethode zur Reinkarnation eines Lebenden Buddhas im tibetischen Buddhismus“Analyse vor dem allgemeinen Hintergrund der Tibet-FrageThomas Heberer1

Der1folgende Beitrag befasst sich, ausgehendvon der „Verwaltungsmethode zur Reinkarnationeines Lebenden Buddhas im tibetischen Buddhis-mus“2 in einem ersten Schritt mit den Ursprüngender Reinkarnationsprozedur und dem in der „Ver-waltungsmethode“ vorgesehenen Wiederanknüp-fen an traditionalen Verfahrenweisen. Ohne eineAnalyse der Hintergründe der sog. „Tibetfrage“wird der Sinn dieser Maßnahme jedoch nicht deut-lich und einordenbar. Daher befasst sich dieserAufsatz in einem zweiten Schritt mit den Hinter-gründen zur Bewertung des rechtlichen StatusTibets vor 1950 und mit der chinesischen Tibetpoli-tik danach und erläutert sodann die Reaktion unterTibetern (von Ethnizität zu Nationalismus).Abschließend wird eine Einschätzung der Perspek-tiven zur Lösung der Tibetfrage gegeben.

I. Verabschiedung der „Verwaltungsmethode“:Hintergründe

Am 13. Juli 2007 hat das Nationale Büro fürReligionsangelegenheiten die „Verwaltungsme-thode zur Reinkarnation eines Lebenden Buddhasim tibetischen Buddhismus“ erlassen. Sie trat am1. September 2007 in Kraft.

Die wichtigsten Klauseln der Verwaltungs-methode sehen u.a. vor:

- Die Prozedur zur Identifizierung vonReinkarnationen und das Findungsergebnisbedürfen staatlicher Genehmigung

- Einmischung oder Kontrolle von Organisa-tionen oder Personen außerhalb des chinesi-schen Staatsgebietes werden nicht toleriert

- Unautorisierte Prozeduren sind illegal

Anlass für diesen Erlass ist zum einen die Aus-einandersetzung um die Reinkarnation des Pan-chen Rinpoche (Panchen Lama) und zum anderendie Regelung der künftigen Reinkarnation desDalai Lama, der sich bekanntermaßen seit seinerFlucht im Jahre 1959 im indischen Dharamsala imExil aufhält.

Nach dem Tod des 10. Panchen Lama Anfang1989 setzte der Dalai Lama einen Findungsprozessin Gang. 1995 wurde von einer Findungskommis-sion, die vom Dalai Lama autorisiert worden war,ein Kind namens Gedhun Ghoeki Nyima in Tibetals 11. Reinkarnation des Panchen Lama identifi-ziert. Mehrere religiöse Wahrsagezeremonienbestätigten die Auswahl. Noch im gleichen Jahrerklärte die chinesische Regierung diese Wahl fürungültig und setzte eine eigene Findungskommis-sion ein, die mit Hilfe der traditionellen „GoldenenUrne“ einen eigenen Kandidaten bestimmte. Beidiesem Verfahren, das 1793 von dem chinesischenKaiser Qian Long ins Leben gerufen worden war,wird durch Ziehung eines Namens die entspre-chende Person identifiziert (dazu unten). Das KindGyaltsen Norbu wurde als Reinkarnation des Pan-chen Lama identifiziert und 1996 zur Ausbildungnach Peking gebracht. Die zuvor identifizierte, vomDalai Lama gebilligte Reinkarnation GedhunGhoeki Nyima soll mittlerweile an einem unbe-kannten Ort leben. Die heute 17 Jahre alte, von denstaatlichen Behörden legitimierte Reinkarnation,

1 Prof. Dr., Professor für Politik Ostasiens, Institut für Ostasienwissen-schaften, Universität Duisburg-Essen2 Chinesisch-deutsche Fassung in diesem Heft , S. 27.

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Heberer, Verwaltungsmethode zur Reinkarnation eines Lebenden Buddhas, ZChinR 2008

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die in Peking erzogen wird, bezeichnet sich beiihren Auftritten als „Patriot“ und lobt die KP undihre Religionspolitik.3

II. Herkunft der Reinkarnationsprozedur

Das Reinkarnationssystem (tibetisch tulku, chin.huofo oder „lebender Buddha“) ist eine Besonder-heit des tibetischen Buddhismus. Reinkarnationunterscheidet sich von der Wiedergeburt dadurch,dass jedes Lebewesen wiedergeboren werden kann.Reinkarnationen hingegen – so Martina Wernsdör-fer – können nur von Wesen vollzogen werden, die„den Kreislauf des Samsara [Bezeichnung für denimmer währenden Zyklus des Seins, den Kreislaufvon Werden und Vergehen, im Kreislauf der Wie-dergeburten, Anm. d. Verf.] überwunden und denErleuchtungszustand erreicht“ haben. Auf Grunddieses Zustands befinden sie sich „außerhalb derGesetze von Raum und Zeit“ und können sichdaher in einer Vielfalt von Körperformen reinkar-nieren.4 Es basiert ferner auf dem Konzept, dass dieSeele Buddhas niemals verschwindet, sondern stetswiedergeboren wird, um die Gläubigen zu führenund die religiöse Mission zu erfüllen. Nach diesenVorstellungen wird nicht das „Ich“ einer Personwiedergeboren, sondern ein Komplex von geistigenEnergien, deren Träger der Verstorbene gewesenist. Am besten lässt sich dies mit dem Beispiel einerFlamme beschreiben, die das Feuer für das Entzün-den einer anderen Flamme abgibt. Nicht eine mate-rielle Substanz, sondern eine Kraft, Qualität, eineEigenschaft der Natur wird weitergegeben.

Eine der ersten Reinkarnationen in Tibet sollKarma Paksi gewesen sein. Kurz vor seinem Able-ben im Jahre 1193 soll Dusum Chenpa, ein religiö-ser Führer und erster Karmapa der Karma KagyuSchule des tibetischen Buddhismus, erklärt haben,er werde als Reinkarnation in einem anderen Kör-per wiedererscheinen. Nach seinem Tod machtensich seine Schüler auf die Suche nach der Reinkar-nation, die sie einige Jahre danach identifizierten.Dieses Verfahren wurde in der Folge auch vonanderen Sekten übernommen. Letztlich standdahinter die Einsicht, dass durch das Reinkarna-tionsverfahren das jeweilige Amt kontinuierlichund stabil fortgeführt werden und eine unabhän-gige Auswahl garantiert werden sollte. Eine dyna-stische Nachfolge und Diadochenkämpfe solltendamit weitgehend ausgeschlossen werden.

Das offizielle Reinkarnationswesen bezieht sichauf eine Gruppe von weit über hundert „lebendeBuddhas“. Die in der letzten Kaiserdynastie (Qing-Dynastie, 1644-1911) für solche Fragen zuständige„Behörde für Mongolisch-Tibetische Angelegenhei-ten“ hatte zuletzt 160 hohe Lamas registriert, fürderen jeweilige Reinkarnation eine Genehmigungder Behörden oder sogar des Kaiserhofes einzuho-len war.

Die Auffindung der Reinkarnationen verstorbe-ner religiöser Würdenträger erfolgte mit Hilfe vonDivinationsritualen und -verfahren sowie einerspeziellen Findungskommission, die von einemhohen religiösen Würdenträger geleitet wurde.Dabei wurde auf spezielle Zeichen geachtet wieungewöhnliche Träume von Müttern neugeborenerKinder, spezielles Wissen und besondere Fähigkei-ten von Kindern, ohne dass sie entsprechend darinunterwiesen worden wären und spezifische körper-liche Merkmale wie große Ohrläppchen. Über dieInterpretation von Aussagen der verstorbenenLamas, Orakel, Omen, Träume oder das Verhaltenvon Kleinkindern gegenüber Gegenständen desVerstorbenen wurde und wird versucht, potenzi-elle Kandidaten zu identifizieren.

Reinkarnationen und ihre Identifizierung spiel-ten eine wichtige Rolle im Hinblick auf die Weiter-entwicklung des Kloster- und Mönchslebens sowiedie Bewahrung und Entwicklung religiöser Tradi-tionen der Tibeter, ein Grund, weshalb der Kaiser-hof bzw. die chinesische Zentralregierung von jeherdarauf Einfluss nehmen wollte.

III. Anknüpfen an traditionelle Verfahren

Da eine solche, meist langwierige Suche leichtzu manipulieren war und nicht selten zu Konfliktenführte, beschloss der erwähnte Qing-Kaiser QianLong (1711-99) wichtige Reinkarnationen (wie desDalai Lama bzw. des Panchen Lama) mit Hilfe desoben beschriebenen Losverfahrens auszuwählen.Namen und Geburtsdaten der Kandidaten der End-runde wurden auf elfenbeinerne Blättchengeschrieben, verpackt, versiegelt und in eine gol-dene Urne gegeben, um Manipulationen zu verhin-dern. Dieses Losverfahren wurde im zentralenTempel des tibetischen Buddhismus, dem Jokhang-Tempel in Lhasa, durchgeführt. Erst nach Bestäti-gung der Rechtmäßigkeit des Verfahrens durch denKaiserhof erfolgte dann die Ernennung durch einkaiserliches Edikt. Bei Ernennung eines neuenDalai bzw. Panchen Lama verlas unter der Qing-Dynastie ein Vertreter des Kaisers (Amban, offizi-elle Vertreter des Kaiserhofs in Lhasa) das Edikt,wobei der reinkarnierte Würdenträger bei der Ver-lesung niederzuknien und mehrfach einen Kotauzu vollziehen zu hatte, als Zeichen des Dankes und

3 Eine eindrucksvolle Schilderung des Drucks und der Rigidität der chi-nesischen Behörden im Hinblick auf die Neuwahl des Panchen Lamafindet sich in Helmut Forster-Latsch/Paul L. Renz, Tibet. Land, Religion,Politik, Frankfurt/M. 1999, S. 55 ff.4 Martina Wernsdörfer, Chinesischer Himmelssohn – Tibetischer Gott-könig. Die Souverän-Suzerän-Problematik im Lichte der Lama-Schutz-herr-Beziehung, in: Asiatische Studien, Vol. 52, No. 4 (1998), S. 1125 f.

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der Untertänigkeit gegenüber dem chinesischenKaiser. Vorläufer eines solchen Ernennungsverfah-rens existierten bereits in der mongolischen Yuan-und der darauf folgenden Ming-Dynastie. Es setztesich auch nach Ende der Qing-Dynastie (1911) inder Republikzeit fort, als z.B. 1940 der damaligeMinister der Kommission für Mongolisch-Tibeti-sche Angelegenheiten der Republik China die Pro-zedur zur Inthronisierung des gegenwärtigen DalaiLama leitete. Die chinesische Regierung erkannte ineinem Erlass die Rechtmäßigkeit der Reinkarnationdes 13. Dalai Lama sowie der Inthronisierung die-ser Reinkarnation als 14. Dalai Lama an. Auch dieInthronisierung des 1989 verstorbenen PanchenLama im Jahre 1949 erfolgte nach dem beschriebe-nen Verfahren.

Einerseits legitimierte der chinesische Kaiserhofdie jeweiligen Reinkarnationen, andererseits fun-gierte der jeweilige Dalai Lama zumindest wäh-rend der mongolischen Yuan- (1271-1368) und dermandschurischen Qing-Dynastie (1644-1911) alsspiritueller Berater chinesischer Kaiser, so dass par-tiell eine gewisse Reziprozität gegeben war.5

Interessant ist, dass die neuen Bestimmungen indieser Hinsicht den Vorschriften der Qing-Dynastiefolgen. Die Losziehung aus der goldenen Urne (§ 8)ist explizit niedergelegt und die Möglichkeit derBefreiung von diesem Verfahren (was bereits unterder Qing-Dynastie möglich war) ebenfalls, wobeifrüher der Kaiserhof, heute die staatlichen Behör-den dazu ihre Zustimmung geben müssen.Zugleich knüpfen die Vorschriften damit an diePolitik der Republikzeit an. Die 1936 unter derGuomindang-Regierung erlassenen „Maßnahmenfür die Reinkarnation Lebender Buddhas“ regeln inganz ähnlicher Weise die Auswahlmechanismenund Kompetenzen der staatlichen Administration.6

Die früheren Verfahrensmodalitäten ebenso wiedie neue „Verwaltungsmethode“ weisen daraufhin, dass es sich nicht nur um eine religiöse, son-dern vielmehr um eine hochpolitische Angelegen-heit handelt. Letztlich geht es um die Frage derpolitischen Autorität und Zuständigkeit über Tibetund den Einfluss der zentralen Behörden Chinas.Lassen sich die Intentionen der Qing-Zeit eher alsRegelungs- und Konfliktvermeidungsstrategien ineiner Region interpretieren, die als mit China asso-ziierte Region zu begreifen war, so versucht Pekingheute den Einfluss des Dalai Lama bei der Auffin-dung von Reinkarnationen zurückzudrängen, umeine befürchtete Sezession Tibets im Vorfeld zu

unterbinden. Das Erfordernis staatlicher Legitimie-rung des Auswahlprozesses und die Beeinflussungder Entscheidung, wer letztlich über die Inthroni-sierung entscheidet und wo und wie der künftigeWürdenträger ausgebildet wird, ist letztlich eineFrage politischen Interesses und politischer Macht,zumal die ausgewählten Reinkarnationen einenenormen Einfluss in Tibet und auf die Tibeter aus-üben können. Eine chinesische Sozialisierung, sodie Hoffnung Pekings, soll dazu beitragen, denAntagonismus zwischen Tibetern und der chinesi-schen Zentralregierung zu entschärfen. Die größereRolle staatlicher Verwaltungsebenen und offiziellerReligionsorganisationen (buddhistische Vereini-gung Chinas), deren Zustimmung auf allen Ebeneneinzuholen ist, sollen die staatliche Aufsicht ver-stärken.

Nach der religiösen Willkür seit den 1950er Jah-ren, wobei vor allem im Zuge der „demokratischenReformen“ ab Mitte der 50er Jahre religiöse Wür-denträger der Tibeter und anderer ethnischer Min-derheiten von ihren Ämtern entfernt, verfolgt undinhaftiert wurden, gibt es nun erstmals eine rechtli-che Regelung, die Verfahrensweisen festlegt.Anders als in den 50er, 60er und 70er Jahren gilt dieIdentifikation von Lebenden Buddhas nicht mehrals „konterrevolutionärer“ oder „abergläubischer“Akt, sondern wird legalisiert, auch wenn der Staatüber Genehmigungsverfahren eingreift.

Obwohl Lebende Buddhas in ihren Klösternund Gemeinden lokal eine bedeutende Rolle spie-len und damit deren Auswahl zweifellos auch poli-tisch wichtig ist, erhält dieses Dokument zentraleBedeutung im Hinblick auf die in Zukunft irgend-wann zu erwartende Reinkarnation des XV. DalaiLama, d.h. des Nachfolgers des jetzigen DalaiLama, der als religiöses und auch politisches Ober-haupt der Tibeter fungiert und dessen Amt damiteine Schlüsselfunktion sowohl für Tibet und dieTibeter und deren internationale Unterstützung alsauch für die chinesische Regierung besitzt. Dasssich hier eine Machtprobe zwischen dem DalaiLama und Peking abzeichnet, wird u.a. dadurchverdeutlicht, dass der 72 Jahre alte Dalai Lamajüngst erklärte, er werde unter Umständen nichtwiedergeboren, sondern werde seinen Nachfolgernoch zu Lebzeiten selbst bestimmen. Von daher istabsehbar, dass es nach dem Ableben des jetzigenDalai Lama zwei Nachfolger geben dürfte: einen,der vom noch lebenden Dalai Lama ernannt wurdeund in Dharamsala residiert und einen, der mitGenehmigung der chinesischen Behörden inthroni-siert wurde und in Peking sitzt. Die Folge dürfteeine Spaltung der Tibeter sein, die bereits eine Dop-pelbesetzung im Hinblick auf den Panchen Lamahinnehmen mussten.7

5 Wolfgang von Erffa, Das unbeugsame Tibet. Tradition, Religion, Politik,Zürich 1992, S. 15 ff.6 Vgl. dazu u.a. Martin Slobodnik, Alter Wein in neue Schläuche, in:China Heute, XXVI, Nr. 6 (2007), S. 226-227. Regulations of the Republicof China Concerning Rule over Tibet (1912-1949), Peking 1999, S. 66-68.

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IV. Religion und Politik im chinesischen Staat

Bei der rigiden Handhabung von Religionsfra-gen mag generell auch die traditionale Haltunggegenüber Religionen eine Rolle spielen. Religio-nen galten schon im alten China als suspekt. Zumeinen brachten die Chinesen selbst keine Erlösungs-religion hervor, zum anderen setzte der philosophi-sche Konfuzianismus Religion und Aberglaubegleich. Da aus religiösen Aktivitäten häufig paral-lele Machtstrukturen entstanden, die zur Bedro-hung für den Staat wurden, war religiöseBetätigung strengen Kontrollen unterworfen.Erwies sie sich als staatstragend und loyal, wurdesie geduldet, wenn nicht, verfolgt. Die Kommuni-sten konnten an dieser Haltung, die Religion alsetwas Fremdes, von außen Gekommenes, teilweiseStaatsbedrohendes begriff, das vor allem in Zeiteninnerer Schwäche an Einfluss gewann, anknüpfen.Die Gleichsetzung von Religion und Aberglaubesowie von Religion und staatsfeindlich durchziehtauch die Geschichte der Volksrepublik China. ImVerlauf von Modernisierungsprozessen kommt esüberdies zu einer „Verschiebung von religiöserAutorität hin zu staatlicher Autorität“.8 Der Staatversucht dann, seine Autorität mit Gewalt gegenreligiöse Bestrebungen durchzusetzen, wobei er imFalle Chinas an der traditionalen Aversion staatli-cher Politik gegenüber religiösen Bestrebungenanknüpfen kann. Betroffen sind nicht nur Reinkar-nationen tibetischer Lebender Buddhas, sondernauch die Anerkennung katholischer Bischöfe. Mitt-lerweile haben sich der Parteistaat und der Vatikaninsofern angenähert, als der letztere offizielleErnennungen durch den chinesischen Staat nach-träglich billigt.

Im Falle Tibets mag zugleich eine Rolle gespielthaben, dass Religion dort keine Staatsreligion imSinne einer auf dem Territorium Tibets ausschließ-lich existierenden oder bevorzugten Religion war,die durch den chinesischen Staat hätte einfachokkupiert und infiltriert werden können. Vielmehrlässt sie sich als Gesellschaftsreligion klassifizieren,d.h. als Kongruenz von Ritualen und Glaubenssy-stemen des tibetischen Buddhismus mit dem All-tagsleben aller buddhistischen Tibeter in religiöserund weltlicher Hinsicht.9 Ein derartiges religiösesSystem ist vom chinesischen Staat wesentlich

schwieriger zu kontrollieren als eine Staatsreligion.Überdies entwickelte sich die religiöse Identität derTibeter auf diese Weise zugleich zur ethnischen,tibetischen Identität.

V. Der rechtliche Status Tibets vor 1950

Um zu klären, weshalb China sich überhaupt inBelange Tibets einmischen konnte (und kann), istder politische und rechtliche Status Tibets aushistorischer Sicht zu erklären. Ab 1720 besaß Tibetden Status eines mit China assoziierten Gebietes.Damals wandten sich die Tibeter an den chinesi-schen Kaiser mit der Bitte um militärische Unter-stützung gegen eine Invasion der Dsungar-Mongolen. Nach deren erfolgreicher Vertreibungschloss Kaiser Kang Xi einen Vertrag mit dem DalaiLama, durch den sich Tibet der Schutzmacht Chinaunterstellte. Es erkannte die Oberhoheit Chinas an,die Regierungsgewalt jedoch lag beim Dalai Lama.Tibet befand sich damit im Zustand der Suzeräni-tät, nicht aber der Souveränität. D.h., militärischeSicherheit und Außenpolitik lagen beim Kaiserhofin Peking, der sich im Gegenzug verpflichtete, Tibetjeden erdenkbaren Schutz zu gewähren. Die innereVerwaltung hingegen lag beim Dalai Lama und sei-nem Hofstaat, wie es der traditionellen Politik desKaiserhofs entsprach. Danach wurden Siedlungsge-biete nicht-chinesischer Völker nicht direkt durchchinesische Beamte verwaltet. Vielmehr erhielten inGebieten, in denen Macht und Organisationsstruk-tur der Stammesgesellschaften noch ungebrochenwaren, einheimische Führer vom Kaiserhof erblicheTitel und Ränge innerhalb der chinesischen Beam-tenhierarchie. Die so geschaffenen „Beamten“übten ihre Befugnisse unter der Aufsicht chinesi-scher „Schutzherren“ aus. Da in diesen Regionenauch die unteren Beamten aus den Reihen der loka-len Führer stammten, spürten die so in das chinesi-sche Reich integrierten Völker oder Stämme dieOberhoheit des Kaiserhofs nicht direkt. Zu unmit-telbaren Eingriffen Pekings kam es nur, wenn des-sen Oberhoheit in Frage gestellt wurde oderStämme sich auflehnten. Nicht militärische Erobe-rung, sondern indirekte Verwaltung war für diesePolitik kennzeichnend. Dementsprechend hieltensich die Bevollmächtigten des chinesischen Kaiser-hofs in Tibet, die Ambane, während der Qing-Dynastie bei Eingriffen in innere AngelegenheitenTibets zurück, wobei es zugleich nur eine margi-nale Militärpräsenz gab. Daraus kann jedoch nichtauf eine Selbständigkeit Tibets geschlossen werden.Tibet hatte sich der Oberhoheit Pekings unterstellt,und die Ambane übten die Kontrolle über dielokale Verwaltung aus.

Das war jedoch kein statischer Zustand bis zurchinesischen Revolution von 1911. Das Vorrücken

7 Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24.11.2007.8 Dazu: Ronald Inglehart, Modernisierung und Postmodernisierung,Frankfurt, New York 1998, S. 109. Vgl. auch Dawa Norbu, Imperialismand Inner Asia 1775-1907. How British India and Imperial China Redefi-ned the Status of Tibet, in: K. Warikoo/D. Norbu, Ethnicity and Politics inCentral Asia, New Delhi 1992, S. 22-30. 9 Vgl. dazu Michael von Brück, Religion und Politik im Tibetischen Bud-dhismus, München 1999, S. 37. Zum Buddhismus im gegenwärtigenTibet: Melvyn C. Goldstein (Hg.), Buddhismus in Contemporary Tibet,Berkeley et al. 1998.

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der Briten auf dem indischen Subkontinent verän-derte die Machtverhältnisse in Asien. China wurdeselbst Opfer kolonialer Machtpolitik und erlitt eineempfindliche Schwächung, von der auch dieSchutzmacht über Tibet berührt wurde. Der Kaiser-hof bemühte sich, seine Schwäche durch ein energi-scheres Vorgehen in Nord- und Osttibet auszu-gleichen, um dort territoriale Verluste zu verhin-dern. Tibet sah sich durch die britische Unterwer-fung Indiens und das Vorrücken der Kolonialmachtan seinen Grenzen bedroht. Daher schloss es bereitsEnde des 18. Jahrhunderts sein Gebiet für Personenaus „westlichen Mächten“. Da Tibet eine „Schutz-macht“ England ablehnte, China jedoch dieseFunktion immer weniger auszuüben vermochte,bemühte sich Tibet seit der zweiten Hälfte des 19.Jhdts. um Äquidistanz, d.h. es pendelte zwischenbeiden Seiten, um keine von ihnen zum Eingreifenzu provozieren.10

Als Peking 1908/09 seine Kontrolle über Ost-tibet zu verstärken und damit das Fundament derbisherigen Beziehungen zu untergraben begann,wandte sich der Dalai Lama an Großbritannien undbat dieses um die Errichtung eines Protektorats.London lehnte dies ab, weil Tibet, wie es in einembritischen Dokument hieß, als „worthless piece of ter-ritory“11 betrachtet wurde. Die Kosten einer Inbe-sitznahme wurden als zu hoch veranschlagt; eineÜbernahme hätte zudem zu Konflikten mit Russ-land geführt. Diese beiden Mächte einigten sich beidem Ringen um die Macht in Zentralasien darauf,Tibet als Pufferzone zwischen ihren Einflusssphä-ren zu etablieren, vorzugsweise unter chinesischerOberhoheit. Nach dem Ende der kaiserlichen Herr-schaft in Peking erklärte der Dalai Lama sein Land1913 für unabhängig. China erkannte diesen Schrittnicht an und gab seinen Anspruch auf Tibet nie auf.Dies gilt für die Guomindang unter Sun Yatsen,Chiang Kaishek und dessen Nachfolger ebenso wiefür die Kommunisten. Vor dem Einmarsch der Chi-nesen 1950 hatte kein Staat Tibet als selbstständigesvölkerrechtliches Subjekt anerkannt. Verträge zwi-schen Großbritannien und China bekräftigten aufallerdings widersprüchliche Weise, dass Tibet zwarunabhängig sei, aber chinesischer Oberherrschaftunterstehe.

VI. Unterschiedliche Rechtsauffassungen

Bei Zugrundelegung der Konvention über dieRechte und Pflichten von Staaten des Völkerbundsvon 1933 waren für die Anerkennung eines Staatesbestimmte Kriterien maßgebend: eine permanenteBevölkerung, ein fest umrissenes Territorium, eine

Regierung und die Fähigkeit, Beziehungen zuanderen Staaten aufzunehmen.12 Diese Erforder-nisse waren im Falle Tibets alle erfüllt mit einereinzigen Ausnahme: Tibet war kein internationalanerkannter Staat. Die fehlende Anerkennungdurch die Staatengemeinschaft, die Zuordnung zuChina und der von Peking aufrechterhalteneAnspruch lassen den völkerrechtlichen Status desLandes vor 1950 als nicht eindeutig erscheinen.Zwar hatte Tibet sich für unabhängig erklärt, eszugleich aber versäumt, die Unabhängigkeit inter-national abzusichern. Damit fehlten 1950 drei ent-scheidende Voraussetzungen der Unabhängigkeit:1. eine frühere Beteiligung am Leben der internatio-nalen Staatengemeinschaft; 2. die Fortdauer derSchwäche Chinas; 3. eine Schutzmacht, die, nachdem Rückzug Großbritanniens aus Indien im Jahre1947, die gewaltsame Eingliederung durch Chinahätte verhindern können.13

Die tibetische Regierung hatte 1947/48 vergeb-lich Missionen in die Hauptstädte der wichtigstenwestlichen Staaten gesandt, um eine Anerkennungzu erreichen. Der Widerstand der damals noch vonder Guomindang gestellten Regierung in Pekingließ deren wichtigsten Verbündeten, die USA, dasAnsinnen zurückweisen. Auch nach ihrer Über-siedlung nach Taipeh verhinderte die nicht-kom-munistische Führung der Republik China, die nochjahrzehntelang den Sitz im UNO-Sicherheitsratinnehatte, eine Änderung der westlichen Haltung.Auch wollten sich Großbritannien (als Kolonial-macht in Hongkong) und Frankreich (als Kolonial-macht in dem an China grenzenden Indochina) aufkeinen Konflikt mit Peking einlassen, weil dieserihre kolonialen Interessen in Fernost hätte beein-trächtigen können.

Aus chinesischer Sicht erschien die gewaltsameWiedereingliederung Tibets völlig gerechtfertigt.China ging und geht von einem anderen Nations-und Staatsbegriff aus als die westlichen Länder.Danach sind alle Völker, die bis 1911 auf chinesi-schem Territorium gelebt haben, Teil des chinesi-schen Volkes. Der in China verwendete Begriff„Chinesen“ (Zhongguoren) schließt alle Bewohnerdes Landes unabhängig von ihrer Nationalität ein.Die Angehörigen der chinesischen Ethnie heißen„Han“ und gelten als eine der 56 Nationalitäten desLandes. Anders als in Westeuropa, wo im 18. und19. Jhdt. relativ einheitliche Nationen Nationalstaa-ten bildeten (Übereinstimmung von Nationalprin-zip und Nationsprinzip), wird in China dasTerritorialprinzip zum Nationsprinzip gemacht.

10 Hierzu: Darwa Norbu (Fn. 8), S. 22-30.11 Ebenda, S. 34.

12 Asbjorn Eide, In Search of Constructive Alternatives to Secession, in:Christian Tomuschat (Hg.), Modern Law of Self-Determination, Dor-drecht 1993, S. 139 f.13 Dawa Norbu (Anm. 7), S. 53.

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Heberer, Verwaltungsmethode zur Reinkarnation eines Lebenden Buddhas, ZChinR 2008

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Bereits Sun Yatsen, der Gründer der RepublikChina, schrieb nach der Unabhängigkeitserklärungder Mongolen (die später zur Gründung der Mon-golischen Volksrepublik führte), auch die Mongo-len seien und blieben Chinesen, auch wenn sie dieseine Zeitlang vergessen hätten.

Von daher stehen sich hier zwei unterschiedli-che Rechtskonzepte gegenüber. Nach den Normendes heutigen Völkerrechts war die Ausdehnung derchinesischen Macht auf Tibet eindeutig eine Okku-pation. Nach chinesischem Rechtsverständnisdagegen handelte es sich um die Wiederherstellunglegitimer Rechte, die China lediglich aufgrund zeit-weiliger Schwäche und Zerrissenheit nicht hatteausüben können. Peking hatte demnach nichtsanderes getan, als einem lange missachtetenRechtsprinzip wieder Geltung zu verschaffen. Beidem chinesischen Vorgehen dürfte auch die mili-tärstrategische Lage Tibets ein wichtiger Gesichts-punkt gewesen sein. Tibet verfügt über einenatürliche Grenze nach Süden. Diese strategischeBedeutung darf, vor allem unter den Bedingungendes Kalten Krieges, nicht gering bewertet werden.Tibet schafft zugleich eine natürliche Grenze undBarriere gegenüber dem Rivalen Indien, mit demnach wie vor Grenzstreitigkeiten bestehen. Über-dies war Tibet als große, menschenleere Region mitgroßem Rohstoffpotenzial für China interessant.

VII. Die chinesische Tibet-Politik

1951 zwang China der tibetischen Regierungein „17-Punkte-Abkommen“ auf. Darin erklärtesich Peking seinerseits bereit, nichts am politischenSystem Tibets zu ändern, Religionsfreiheit sowielokale Sitten und Bräuche zu respektieren, die Klo-stergemeinschaften und deren Einnahmen sowietibetische Sprache und Schrift zu schützen. Dasbezog sich allerdings von vornherein nur auf dietibetische Provinz U-Zang, das heutige AutonomeGebiet Tibet, nicht aber auf die beiden anderen Pro-vinzen des Berglandes, Amdo und Kham, die im18. und 19. Jhdt. chinesischen Provinzen zugeschla-gen worden waren und heute zu den ProvinzenQinghai, Gansu, Sichuan und Yunnan gehören.

Die Konflikte zwischen Chinesen und Tibeternspitzten sich zunächst in den tibetischen Siedlungs-gebieten zu, für die das Abkommen nicht galt. Dortwurden wie im übrigen China die politischen Ver-hältnisse von Grund auf verändert. Die Freiheitender Religionsausübung wurden erheblich einge-schränkt, Klöster enteignet bzw. geschlossen, derenMönche einer „Umerziehung durch körperlicheArbeit“ unterworfen. Die sich daraus ergebendenKonflikte, eine zunehmende religiöse Einengungund politische Gängelung sowie das Fehlen jederrechtlichen Gewähr für die Einhaltung des „17-

Punkte-Abkommens“ führten zum tibetischen Auf-stand von 1959, in dessen Verlauf etwa 87.000 Tibe-ter ihr Leben verloren und 100.000 weitere mit demDalai Lama nach Indien flüchteten.

In der Zeit nach 1959 wurden die traditionellenStrukturen Tibets gewaltsam beseitigt. Die tibeti-sche Elite und der Grundpfeiler der tibetischenKultur, die Klöster, wurden vernichtet. Mit der Zer-störung von 2.690 bedeutenderen Klöstern von ins-gesamt 2700 verschwanden praktisch alle Bil-dungs-, Kultur- und Religionsinstitutionen Tibets.Das lastet die Parteiführung heute der „Kulturrevo-lution“ und der „Viererbande“ an, wobei eszugleich heißt, auch die Han-Chinesen seiendamals Opfer gewesen. Zweifellos war die Gesamt-bevölkerung Chinas von der damaligen Brutalitätbetroffen allerdings mit einem gravierendenUnterschied: Für Chinesen war die Kulturrevolu-tion ein politischer Konflikt, von dem das eigeneVolk betroffen war; für die Tibeter dagegen han-delte es sich um einen nationalen Konflikt, der vonHan-Chinesen ausging und sich gegen ein anderesVolk, die Tibeter, richtete.

Als der damalige Generalsekretär der KPCh,Hu Yaobang, 1980 als erster Parteichef Tibet einenBesuch abstattete, war er erschüttert. Er fand einebettelarme Region vor, deren Führung mit falschenErfolgsmeldungen die Parteiführung in Pekingjahrzehntelang hinters Licht geführt hatte. Darauf-hin veranlasste Hu einen „Tibet-Beschluss“, derweitreichende ökonomische Freiheiten und Sonder-maßnahmen vorsah. Von nun an wurde nicht mehrwahllos alles Tibetische unterdrückt, vielmehrschlug sich die Reformpolitik in größeren wirt-schaftlichen Freiheiten sowie kultureller und reli-giöser Liberalisierung nieder.14 Aber trotz größererökonomischer Freiheiten hat sich an der politischenRigidität wenig geändert. Die Liberalisierung hatallerdings das Entstehen eines ethnischen Eigenbe-wusstseins unter den Tibetern begünstigt.

VIII. Von Ethnizität zum Nationalismus

Wenn sich der innerchinesische Nationalitäten-konflikt außer in Xinjiang/Ostturkestan heute inTibet am schärfsten äußert, so liegt das daran, dasshier ein Volk mit hohem ethnischen Eigenbewusst-sein in einem relativ geschlossenen Siedlungsgebietlebt und sich kulturell wie historisch als nicht-chi-nesische Nation versteht. Das ethnische Wir-Gefühlwurde durch die während der Kulturrevolution

14 Zur Nationalitätenpolitik im Allgemeinen vgl. Thomas Heberer, DieNationalitätenfrage in China am Vorabend des 21. Jahrhunderts. Kon-fliktursachen, ethnische Reaktionen, Lösungsansätze und Konfliktprä-vention, in: Gunter Schubert (Hg.), China: Konturen einer Übergangs-gesellschaft auf dem Weg in das 21. Jahrhundert, Hamburg 2001, S. 81-134.

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versuchte Zwangsassimilierung nicht beseitigt.Doch erst die Politik der Liberalisierung undAußenöffnung ermöglichte es, dass es sich äußernkonnte, sich dann angesichts des Ausbleibens dererhofften Veränderungen politisierte und schließ-lich in ethnischen Nationalismus umschlug.

Die bei den Tibetern über Jahrhunderte hinwegentstandene Einheit von nationaler und religiöserIdentität, die den Buddhismus nicht nur Religion,sondern auch Kultur, Zivilisation und Substanzallen Lebens sein lässt, hat seit jeher dazu geführt,dass anders als in Korea, Japan und Vietnam derchinesische Einfluss in Tibet eng begrenzt blieb. Dieseit den 1980er Jahren zu beobachtende Renais-sance des tibetischen Buddhismus ist daher alsAusdruck eines zunehmenden ethnischen Eigen-und Selbstbewusstseins zu werten. Dabei führt dieReligion nicht nur zur Rückbesinnung auf dieeigene Kultur und kulturelle Identität, sonderndient auch der Verarbeitung des sozialen Wandels.

Die enge Verflechtung von Religion und Nationzeigt sich nicht zuletzt daran, dass Mönche undNonnen führende Kräfte in der nationalen Bewe-gung sind. Das liegt zum einen in der traditionellführenden politischen Rolle der Klöster begründet.Zum anderen sind die Mönche und Nonnen auf-grund ihrer geistigen Ungebundenheit und Unbe-stechlichkeit die natürlichen Bewahrer dertibetischen Kultur. Drittens muss, wer ins Klostergehen will, zahlreiche bürokratische Hürden über-winden; er führt nicht mehr so wie früher einLeben in sozial gesicherter Umgebung und fasstdarum seinen Entschluss in Kenntnis großer bevor-stehender Ungewissheit um der tibetischen Kulturund Nation willen. Aufgrund des Zölibats könnensich die Mönche und Nonnen viertens bedingungs-loser für die tibetische Unabhängigkeit einsetzenund größere Opferbereitschaft an den Tag legen.Die Klöster bieten fünftens geistigen Freiraum, derunter anderem durch das liberale und humanitäreGedankengut der buddhistischen Lehre bedingt ist.Schließlich hat das Mönchsgelübde den Einsatz fürdie Gemeinschaft und das bedeutet Einsatz für dieUnabhängigkeit Tibets zum Inhalt. Wer diesesGelübde treu erfüllt und vielleicht sogar sein Lebendafür opfert, dem ist der Lohn, die Wiedergeburtals menschliches Wesen im nächsten Leben, gewiss.Dies wiederum erscheint wichtig für das Erreichendes geistlichen Endziels, des Nirwana. Daher ver-schmelzen für den Tibeter im Mönchsein religiöseund nationale Ziele.15

Zugleich manifestiert sich der nationale Protestin religiösen Ausdrucksformen. Alle Demonstratio-

nen in Lhasa in den letzten Jahrzehnten liefen nachdem gleichen Schema ab: Kleine Gruppen vonMönchen oder Nonnen umrundeten immer wiederden Jokhang-Tempel, das zentrale HeiligtumTibets, führten die tibetische Flagge mit sich undriefen Unabhängigkeitsparolen. Diese Umrundungdes Tempels in der Richtung, in der sich die Erdedreht, ist ein sehr wichtiges Ritual (Khorra) im tibe-tischen Buddhismus. Es gilt als Mittel zur Überwin-dung von Sünden und zur Sammlung vonVerdiensten zwecks besserer Wiedergeburt.16 DasNationale äußert sich auf diese Weise in einer reli-giös festgelegten Form. Die Aktivität der Möncheund Nonnen findet auch aus anderen als religiösenGründen Unterstützung. In den Reihen der chine-sisch sozialisierten tibetischen Funktionäre sorgenUnzufriedenheit mit der insbesondere auch im Ver-gleich zum übrigen China schlechten ökonomi-schen Lage Tibets, mit dem ständigen Zustrom vonHan-Chinesen, mit der sich ausbreitenden ökologi-schen Zerstörung, dem enormen Bildungsrück-stand im Lande und mit dem Scheincharakter dergewährten Autonomie für Aufnahmebereitschaft.

Die inneren und äußeren Bedingungen für dentibetischen Nationalismus haben sich in den 1990erJahren verändert.17 Aus der jüngeren Generation inden Klöstern und außerhalb derselben ist man zuorganisierten Formen des Widerstands übergegan-gen. Diese Generation ist unter chinesischer Herr-schaft aufgewachsen, kennt das traditionelle Tibetnicht mehr und orientiert sich nicht unbedingt anWerten wie friedlichem Widerstand. Zugleichhaben die Öffnung Chinas, die Reformpolitik unddie dadurch ermöglichte soziale Mobilität zu einemNachlassen der Regierungskontrolle über dieRegionen geführt. Der Zerfall der Parteistrukturen,vor allem in den ländlichen Regionen, lässt die tibe-tischen Funktionäre nicht mehr so sehr die Interes-sen der KPCh als vielmehr die Tibets vertreten. ImAusland hat sich die Aufmerksamkeit für Tibet ver-stärkt. Nach der Niederschlagung der städtischenProtestbewegung 1989 ist unter den chinesischenIntellektuellen das Verständnis für den tibetischenUnabhängigkeitswunsch gewachsen.18 Überdieshat die Erfahrung, dass kleine Völker sich in ande-ren Ländern erfolgreich gegen übermächtige Geg-ner zur Wehr gesetzt haben, die Verfechter dertibetischen Unabhängigkeit ermutigt.

15 Hierzu Ronald D. Schwartz, Circle of Protest. Political Ritual in theTibetan Uprising, London 1994, S. 71 und 120.

16 Ebenda, S. 26 und 218.17 Vgl. dazu auch Barry Sautman (Hg.), Contemporary Tibet, Armonk,London 2006.18 Vgl. dazu u.a. Changqing Cao (Hg.), Tibet through dissident Chineseeyes, Armonk, London 1998.

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IX. Perspektiven

Die „Verwaltungsmethode zur Reinkarnationeines Lebenden Buddhas im tibetischen Buddhis-mus“ ist ohne eine Rückbesinnung auf die Tibet-frage insgesamt nicht zu verstehen. Es handelt sichdabei weniger um einen rechtlichen als einen politi-schen Akt, der verdeutlichen soll, wer letztlich überdie Nachfolge auch des Dalai Lama entscheidet.Insofern schlägt sich der Konflikt zwischen Tibe-tern und Han-Chinesen darin nieder. Ein solcherKonflikt war nicht vorprogrammiert. Auch wenndie Tibeter 1950 nicht Teil Chinas werden wollten:Eine Autonomie, aufgrund derer eine freie innereEntwicklung möglich gewesen wäre, hätte sie miteiner chinesischen Oberhoheit durchaus versöhnenkönnen. Die chinesische Politik hat vornehmlichdurch die Radikalpolitik der Mao-Ära nicht nur dasVertrauen der Tibeter zerstört, sondern auch Kul-tur, Gesellschaft, Wirtschaft und Umwelt Tibets.Eine Volksabstimmung würde heute mit überwälti-gender Mehrheit ein Votum für die Unabhängigkeiterbringen. Die Zentralregierung reagiert auf denwachsenden Nationalismus mit Gewalt, auf dieTeile der tibetischen Jugend mit Gegengewalt ant-worten. Daher ist mit einem Anwachsen derGewalt auf beiden Seiten zu rechnen, auch wennder Dalai Lama zumindest auf die exiltibetischeGemeinde (noch) mildernd einzuwirken vermag.

Eine Lostrennung Tibets wäre allerdings nurbei einem extremen Umbruch in China und mitäußerer Unterstützung denkbar. Es wäre auchunbedingt ein Gesichtsverlust für jede chinesischeFührung. Diese müsste zudem befürchten, dassdadurch weitere Sezessionsbestrebungen ermutigtwerden würden. Die Tibet-Frage könnte nicht alsgelöst gelten, wenn China lediglich so wie ab 1912aufgrund innerer Schwäche die Kontrolle überTibet verlieren würde. Nach erneutem politischemErstarken würde Peking dann neuerlich versuchen,Tibet gewaltsam wiedereinzugliedern. Obwohlnach einem grundlegenden innenpolitischen Wan-del Chinas eine Unabhängigkeit Tibets nicht völligauszuschließen ist, erscheinen die Forderungen desDalai Lama heute eher realistisch: UmwandlungTibets in eine Friedenszone, sofortiger Stopp derchinesischen Migration nach Tibet, Respektierungder grundlegenden Menschenrechte und der demo-kratischen Freiheiten der Tibeter, Wiederherstel-lung und Schutz von Natur und Umwelt,schließlich ernsthafte Verhandlungen über denkünftigen Status Tibets. Ausgehend von der gegen-wärtig bestehenden Lage wäre gemäß den Vorstel-lungen des Dalai Lama eine Entwicklung zu einemmit China assoziierten Staat denkbar, der sich,abgesehen von der Außen- und Militärpolitik,

selbst verwalten würde, wie dies bis 1911 der Fallwar.

Die Chancen, dass dieses vom Dalai Lama for-mulierte Minimalverlangen zum Verhandlungsge-genstand mit Peking werden könnte, sindgegenwärtig gleich null. Der Verhandlungsdruckist schwach, China befindet sich in einer Positionder Stärke und hat insoweit die Unterstützung derStaatengemeinschaft, als diese einhellig Tibet alsTeil Chinas betrachtet. Die Kritik einzelner Länderbezieht sich lediglich auf die Einhaltung der Men-schenrechte. Sollte es unter veränderten Bedingun-gen zu Verhandlungen kommen, dann läge daserste Problem in der Frage, welche Grenzen Tibethat. Während sich die tibetische Exilregierung aufGroßtibet bezieht, umfasst Tibet für Peking nur dieheutige „Autonome Region". Die tibetischen Unab-hängigkeitsforderungen zielen auf einen National-staat ab, der historische, ethnische und geogra-phische Grenzen zur Deckung bringen soll. DiesesGroßtibet würde mehr als ein Fünftel des gegen-wärtigen chinesischen Territoriums umfassen. Aufdiesem Territorium, von dem über die Hälfte seit100 bis 200 Jahren nicht mehr den tibetischenBehörden untersteht, übertreffen zudem die Chine-sen mit ihren über sieben Millionen Einwohnerndie Zahl der Tibeter erheblich.

Solange die politische Lage in China relativ sta-bil bleibt, ist eine Unabhängigkeit Tibets nicht vor-stellbar. Zu groß ist die quantitative undmilitärische Überlegenheit der Chinesen. Ohne einegrundlegende Demokratisierung Chinas wird eskeine Änderung in der NationalitätenpolitikPekings geben. Wie vor allem chinesische Intellek-tuelle im Ausland glauben, könnte es, nach Instal-lierung eines demokratischeren Systems dadurcheine Chance geben, dass ein föderativer Staatgeschaffen werden würde. Eine im Rahmen einesStaatenbundes gefundene Lösung mit voller Souve-ränität für Tibet schließen auch Kreise des tibeti-schen Exils nicht aus. Eine kritischere Haltungnehmen sie jedoch gegenüber einem „Bundesstaat“ein, innerhalb dessen die Teilgebiete eine nur parti-elle Selbständigkeit hätten.

Eine föderalistische Regelung böte sich nichtnur für Tibet oder Taiwan an, sondern auch fürzahlreiche andere Regionen, in denen Nicht-HanVölker leben. Eine föderalistische Struktur würdenicht nur den ethnischen Gegebenheiten entspre-chen. Auch den räumlichen Bedingungen könnteauf diese Weise Rechnung getragen werden. DieZentralregierung tut sich auf Grund der Größe undVielfalt des Landes seit jeher schwer, flexibel undsachadäquat zu handeln. Doch wenn sich die Hal-tung der Chinesen gegenüber den Nicht-Han-Völ-kern nicht ändert, wird auch ein föderalistisches

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System die Probleme nicht lösen. Ein dauerhaftes,stabiles föderalistisches System lässt sich nur aufGrund des Konsenses zwischen allen beteiligtenVölkern schaffen. Allerdings ist es zweifelhaft, obTibeter, Uiguren und andere Völker nach denErfahrungen der letzten hundert Jahre noch an derZugehörigkeit zu einem föderalistischen Chinainteressiert wären.

Die internationale Staatengemeinschaft wirdnicht von dem Prinzip abgehen, dass Tibet Teil Chi-nas ist. Auch weiterhin werden die westlichen Län-der nur an den Menschenrechtsverletzungen inTibet Kritik üben. Dafür gibt es zahlreiche Gründe– und zwar nicht nur das Interesse am China-Han-del, wie Nichtregierungsorganisationen oft meinen.Für die Staatengemeinschaft ist der territoriale Sta-tus quo generell ein schützenswertes Prinzip. Wenndie westlichen Staaten, für die Tibet bislang ein TeilChinas war, plötzlich für die tibetische Unabhän-gigkeit votierten, wäre dies ein außenpolitischerAffront gegen China, der dort zu innenpolitischerVerhärtung führen würde. Zugleich würde sichdadurch nichts bewegen. Die Verhärtung würde imGegenteil den Spielraum der oppositionellen Kräftein China und in Tibet weiter einengen. Auch würdeder gegenwärtige Umgestaltungsprozess in China,der nicht nur ökonomische, sondern auch politischeImplikationen hat, geschwächt werden. Erst einSystemwandel in China jedoch kann neue Perspek-tiven in der Tibet-Politik eröffnen. Erst danachkommt auch das außenwirtschaftliche Interesse am„chinesischen Markt“ ins Spiel, im Vergleich zudem Tibet einen weit geringeren ökonomischen„Wert“ für die westlichen Industriestaaten besitzt.Solange sich die gegenwärtigen Rahmenbedingun-gen nicht ändern, kann der Schwerpunkt des west-lichen Engagements für Tibet nur darauf liegen,dass die Menschenrechtsfrage gestellt, ein DialogPekings mit dem Dalai Lama angeregt und imInteresse der tibetischen Bevölkerung und zur Ver-besserung der Lebensbedingungen in Tibet Ent-wicklungsmaßnahmen eingeleitet werden.

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DOKUMENTATIONEN

Verwaltungsmethode zur Reinkarnation eines Lebenden Buddhas im tibetischen Buddhismus

国家宗教事务局令 Erlass des Büros für Religiöse Angelegenheiten

第 5 号 Nr. 5

《藏传佛教活佛转世管理办

法》已于 2007 年 7 月 13 日经国家

宗教事务局局务会议通过,现予公

布,自 2007 年 9 月 1 日起施行。

Die „Verwaltungsmethode zur Reinkarnation eines LebendenBuddhas im tibetischen Buddhismus“ wurde am 13.07.2007 vom Amts-komitee des Büros für Religiöse Angelegenheiten angenommen, wirdhiermit veröffentlicht und tritt am 01.09.2007 in Kraft.

局长 叶小文 YE Xiaowen, Direktor

二○○七年七月十八日 18.07.2007

藏传佛教活佛转世管理办法 Verwaltungsmethode zur Reinkarnation eines Lebenden Buddhas im tibetischen Buddhismus

第一条 为了保障公民宗教信

仰自由,尊重藏传佛教活佛传承继

位方式,规范活佛转世事务管理,

根据 《宗教事务条例》,制定本办

法。

§ 1 Um die Religions- und Glaubensfreiheit der Bürger zu bewah-ren, die Nachfolgeregelung durch Reinkarnation im tibetischenBuddhismus zu achten und die Verwaltung der Reinkarnation einesLebenden Buddhas zu normieren, wird gemäß der „Verordnung überreligiöse Angelegenheiten“ diese Methode festgelegt.

第二条 活佛转世应当遵循维

护国家统一、维护民族团结、维护

宗教和睦与社会和谐、维护藏传佛

教正常秩序的原则。

§ 2 Die Reinkarnation eines Lebenden Buddhas muss die nationaleEinheit, die Solidarität zwischen den Völkern, die Harmonie in Religionund Gesellschaft und die Grundsätze der regulären Abläufe im tibeti-schen Buddhismus wahren.

活佛转世尊重藏传佛教宗教仪

轨和历史定制,但不得恢复已被废

除的封建特权。

Die Reinkarnation eines Lebenden Buddhas achtet das Zeremo-niell und die geschichtlichen Vorgaben des tibetischen Buddhismus,darf jedoch keine bereits überwundenen feudalen Privilegien wiederbe-leben.

活佛转世不受境外任何组织、

个人的干涉和支配。

Die Reinkarnation eines Lebenden Buddhas unterliegt nicht demEinfluss und der Kontrolle von Vereinigungen oder Personen außer-halb des [chinesischen] Gebietes.

第三条 活佛转世应当具备下

列条件:

§ 3 Die Reinkarnation eines Lebenden Buddhas muss folgendeVoraussetzungen haben:

(一)当地多数信教群众和寺

庙管理组织要求转世;

(1) Eine große Zahl von örtlichen Gläubigen und Verwaltungs-organen von Klöstern und Tempeln fordern eine Reinkarnation;

(二)转世系统真实并传承至

今;

(2) es besteht tatsächlich eine Reinkarnationslinie, die bis heutefortgeführt ist;

(三)申请活佛转世的寺庙系

拟转世活佛僧籍所在寺,并为

依法登记的藏传佛教活动场

所,且具备培养和供养转世活

佛的能力。

(3) das die Reinkarnation eines Lebenden Buddhas beantragendeKloster ist als Mönchssitz für den reinkarnierten Lebenden Bud-dha vorgesehen, ist nach dem Recht als Stätte für das Praktizierendes tibetischen Buddhismus registriert und fähig, den reinkarnier-ten Lebenden Buddha auszubilden und zu versorgen.

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第四条 申请转世活佛有下列

情形之一的,不得转世:

§ 4 Wenn bei der beantragten Reinkarnation eines Lebenden Bud-dhas einer der folgenden Umstände gegeben ist, darf die Reinkarnationnicht vollzogen werden:

(一)藏传佛教教义规定不得

转世的;

(1) Die Dogmen des tibetischen Buddhismus erlauben die Reinkar-nation nicht;

(二)设区的市级以上人民政

府明令不得转世的。

(2) eine Volksregierung oberhalb der Ebene der in Gebiete einge-teilten Städte untersagt die Reinkarnation ausdrücklich.

第五条 活佛转世应当履行申

请报批手续。

§ 5 Für die Reinkarnation eines Lebenden Buddhas müssen dieAntrags- und Genehmigungsformalitäten erfüllt werden.

申请报批程序是:由拟转世活

佛僧籍所在寺庙管理组织或者所在

地佛教协会向所在地县级人民政府

宗教事务部门提出转世申请,由县

级人民政府提出意见后,人民政府

宗教事务部门逐级上报,由省、自

治区人民政府宗教事务部门审批。

Für das Antrags- und Genehmigungsverfahren gilt folgenderAblauf: Von der Klosterverwaltung des geplanten Mönchssitzes desreinkarnierten Lebenden Buddhas oder der örtlichen BuddhistischenVereinigung wird ein Antrag auf Reinkarnation bei der Abteilung fürReligiöse Angelegenheiten der Volksregierung des jeweiligen Kreiseseingereicht; nach Stellungnahme der Volksregierung des Kreises wirdder Antrag von den Abteilungen für Religiöse Angelegenheiten derVolksregierung [an die jeweils vorgesetzte Verwaltungsebene] weitergereicht und von den Abteilungen für Religiöse Angelegenheiten derVolksregierungen auf der Ebene der Provinzen bzw. autonomenGebiete geprüft und genehmigt.

其中,在佛教界有较大影响

的,报省、自治区人民政府批 准;

有重大影响的,报国家宗教事务局

批准;有特别重大影响的,报国务

院批准。

Von diesen [Anträgen] werden diejenigen, die in buddhistischenKreisen von relativ großer Bedeutung sind, den Volksregierungen derProvinzen bzw. autonomen Gebieten, die von erheblicher Bedeutungsind, dem [Zentral-]staatlichen Büro für Religiöse Angelegenheiten unddie von besonders erheblicher Bedeutung sind, dem Staatsrat zurGenehmigung vorgelegt.

审核批准活佛转世申请,应当

征求相应的佛教协会的意见。

Bei der Beurteilung und Genehmigung eines Antrags auf Reinkar-nation eines Lebenden Buddhas muss von der jeweiligen Buddhisti-schen Vereinigung eine Stellungnahme eingeholt werden.

第六条 对活佛影响大小有争

议的,由中国佛教协会认定,报国

家宗教事务局备案。

§ 6 Wenn es über die Bedeutung des [betreffenden] Lebenden Bud-dhas Meinungsverschiedenheiten gibt, wird [dieser Punkt] von derChinesischen Buddhistischen Vereinigung entschieden und dem Bürofür Religiöse Angelegenheiten zu den Akten übermittelt.

第七条 活佛转世申请获得批

准后,根据活佛影响大小,由相应

的佛教协会成立转世指导小组;由

拟转世活佛僧籍所在寺庙管理组织

或者相应的佛教协会组建转世灵童

寻访小组,在指导小组的指导下实

施寻访事宜。

§ 7 Nachdem ein Antrag auf Reinkarnation eines Lebenden Bud-dhas genehmigt worden ist, wird entsprechend der Bedeutung des[betreffenden] Lebenden Buddhas von der jeweiligen BuddhistischenVereinigung eine Führungsgruppe für die Reinkarnation eingesetzt; dieKlosterverwaltung des geplanten Mönchssitzes des reinkarniertenLebenden Buddhas oder die jeweilige Buddhistische Vereinigung bil-den eine Findungsgruppe für die Suche nach einem [reinkarniertenLebenden Buddha in einem] jungen Körper, welche die Suche unter derAnleitung der Führungsriege vornimmt.

转世灵童由省、自治区佛教协

会或者中国佛教协会根据宗教仪轨

和历史定制认定。

Der [reinkarnierte Lebende Buddha in einem] jungen Körper wirdvon der Buddhistischen Vereinigung der Provinz oder des autonomenGebietes oder von der Chinesischen Buddhistischen Vereinigunggemäß dem religiösen Zeremoniell und den geschichtlichen Vorgabenbestimmt.

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任何团体或者个人不得擅自开

展有关活佛转世灵童的寻访及认定

活动。

Keine Körperschaft oder Person darf unautorisiert im Zusammen-hang mit der Findung und Bestimmung eines reinkarnierten LebendenBuddhas in einem jungen Körper stehende Aktivitäten vornehmen.

第八条 历史上经金瓶掣签认

定的活佛,其转世灵童认定实行金

瓶掣签。

§ 8 Wurden in der Vergangenheit Lebende Buddhas anhand desTests „Das Los aus der goldenen Vase ziehen“1 bestimmt, so wird die-ser Test bei der Bestimmung des [reinkarnierten Lebenden Buddhas ineinem] jungen Körper verwendet.

请求免予金瓶掣签的,由省、

自治区人民政府宗教事务部门报国

家宗教事务局批准,有特别重大影

响的,报国务院批准。

Wenn beantragt wird, von diesem Test zu befreien, wird [dies] vonden Abteilungen für Religiöse Angelegenheiten der Volksregierungender Provinzen bzw. autonomen Gebiete dem [zentral-]staatlichen Bürofür Religiöse Angelegenheiten und bei besonders erheblicher Bedeu-tung dem Staatsrat zur Genehmigung vorgelegt.

第九条 活佛转世灵童认定

后,报省、自治区人民政府宗教事

务部门批准。在佛教界有较大影响

的,报省、自治区人民政府批准;

有重大影响的,报国家宗教事务局

批 准;有特别重大影响的,报国

务院批准。

§ 9 Nachdem die Reinkarnation eines Lebenden Buddhas in einemjungen Körper bestimmt worden ist, wird [dies] der Abteilung für Reli-giöse Angelegenheiten der Volksregierungen der Provinz bzw. desautonomen Gebiets zur Genehmigung vorgelegt. Bei relativ großerBedeutung in buddhistischen Kreisen, wird [dies] der Volksregierungder Provinz bzw. des autonomen Gebiets; bei erheblicher Bedeutungwird [dies] dem Büro für Religiöse Angelegenheiten und bei besonderserheblicher Bedeutung dem Staatsrat zur Genehmigung vorgelegt.

经省、自治区人民政府宗教事

务部门或者省、自治区人民政府批

准的转世活佛,报国家宗教事务局

备案。

Nach der Genehmigung der Reinkarnation des Lebenden Buddhasdurch die Abteilung für Religiöse Angelegenheiten der Volksregierungder Provinz bzw. des autonomen Gebiets oder durch die Volksregie-rung der Provinz bzw. des autonomen Gebiets wird [dies] dem [zen-tral-]staatlichen Büro für Religiöse Angelegenheiten zu den Aktengemeldet.

第十条 转世活佛继位时,由

批准机关代表宣读批文,由相应的

佛教协会颁发活佛证书。

§ 10 Wenn ein reinkarnierter Lebender Buddha eingesetzt wird,verliest ein Vertreter der Genehmigungsbehörde die Genehmigungsur-kunde und die jeweilige Buddhistische Vereinigung verleiht die Leben-der-Buddha-Urkunde.

活佛证书的式样由中国佛教协

会统一制作,报国家宗教事务局备

案。

Die Form der Lebender-Buddha-Urkunde wird von der Chinesi-schen Buddhistischen Vereinigung einheitlich festgelegt und dem [Zen-tral-]staatlichen Büro für Religiöse Angelegenheiten zu den Aktengemeldet.

第十一条 违反本办法,擅自

办理活佛转世事宜的,由人民政府

宗教事务部门依照 《宗教事务条

例》的规定,对责任人和责任单位

予以行政处罚;构成犯罪的,依法

追究刑事责任。

§ 11 Wird unter Missachtung dieser Methode bei der Reinkarna-tion des Lebenden Buddhas unautorisiert vorgegangen, verhängen dieAbteilungen für Religiöse Angelegenheiten der Volksregierungengemäß der „Verordnung über religiöse Angelegenheiten“ gegen dieverantwortlichen Personen oder Einheiten eine Verwaltungssanktion;liegt eine Straftat vor, wird nach dem Recht die strafrechtliche Verant-wortung verfolgt.

第十二条 转世活佛继位后,

其僧籍所在寺庙管理组织须制定培

养计划,推荐经师人选,经所在地

佛教协会审核,逐级报省、自治区

人民政府宗教事务部门审批。

§ 12 Nach der Einsetzung des reinkarnierten Lebenden Buddhaslegt die Klosterverwaltung seines Mönchssitzes einen Ausbildungsplanfest und empfiehlt eine Auswahl an Lehrern; [beides] wird durch dieörtliche Buddhistische Vereinigung geprüft und [über die jeweils vor-gesetzte Verwaltungsebene] den Abteilungen für Religiöse Angelegen-heiten der Volksregierungen der Provinz bzw. des autonomen Gebietszur Genehmigung vorgelegt.

1 Dieser Test wurde vom Qianlong-Kaiser 1752 eingeführt und sieht vor, dass der Name des Kandidaten auf ein Plättchen geschrieben wird und diesesgemeinsam mit einem unbeschriebenen Plättchen in eine goldene Vase gelegt wird. Wird bei der dann folgenden Losziehung der Name desKandidaten gezogen, so ist der Lebende Buddha gefunden, wird das unbeschriebene Plättchen gezogen, ist die Suche fortzusetzen. Siehe auch denAufsatz von Thomas Heberer zur Verwaltungsmethode in diesem Heft, S. 1 ff.

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第十三条 涉及活佛转世事宜

的省、自治区可以依照本办法制定

实施细则,报国家宗教事务局备

案。

§ 13 Gemäß dieser Methode können die Provinzen und autonomenGebiete, die von Angelegenheiten der Reinkarnation des LebendenBuddhas betroffen sind, detaillierte Durchführungsbestimmungen fest-legen, die dem [zentral-]staatlichen Büro für Religiöse Angelegenheitenzu den Akten gemeldet werden.

第十四条 本办法自2007年 9

月 1 日起施行。

§ 14 Diese Methode tritt am 01.09.2007 in Kraft.

Übersetzung und Anmerkungen von Daniel Sprick, Nanjing.