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Zentrale Störungen der Motorik und ihre Restitution nach dem Prädilektionstyp von Wernicke-Mann

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Page 1: Zentrale Störungen der Motorik und ihre Restitution nach dem Prädilektionstyp von Wernicke-Mann

Deutsche Zeitschrift f. Nervenheilkunde, Bd. 175, S. 217--232 (1956)

Aus dem Max-Planck-Institut ftir 1LIirnforschung Abteilung fdr Allgemeine Neurologie (Leiter: Prof. Dr. K. J. ZtiLCE), KSln-Lindenthal, Lindenburg

Zentrale Stiirungen der Motorik und ihre Restitution nach dem Pr~idilektionstyp yon WERNICKE'MANN ~

V o n

K. J. ZI~LCH

Mit 4 Textabbildungen

WERNICKE machte 1889 darauf aufmerksam, dab bei der Restitution der Muskelfunktion nach L~hmungen zentraler Art eine eigenartige Dissoziation festzustellen sei, z .B. sei die Plantarfunktion des FuBes recht gut erhalten, die Dorsalflexion aber fast aufgehoben, oder es war die Schulterhebung durch den Trapezius stark gel~hmt, wiihrend die Funktion des M. sternokleidomastoideus ungesch~digt geblieben war. Auch wies er auf das eigenartige Ph~nomen hin, daft offensichtlich bei einem Muskel nur einzelne Funktionen gesch~digt sein k5nnten; welm z. B. der ganze Arm gehoben wfirde, t r i te der obere Teil des sonst in den Einzelfunktionen so stark gel~hmten Trapezius als Schulterheber gut in Ti~tigkeit. 1895 untersuchte dann LUDWIG MA~N dieses Prinzip der ,,Pr~dflektionsl~hmung" ftir die Muskulatur des Armes genau und gab auch eine Erkl~rung fiir dieses Ph~nomen. Er nahm an, dab es zu einer stereotyp angeordneten dissoziierten Sch~digung der zentralen Bahnen k~me, so dab etwa am Arm die Bahnen ffir den Biceps prak~isch unge- sch~digt, die fiir den Triceps dagegen hochgradig betroffen seien. Nach dem gleiehen Verteilungstyp stellte sich aber auch - - wie er erkannte - - die Spastik ein, die gerade wieder in den gut funktionierenden Muskeln am st~rksten ausgebildet war. Zur Erkli~rung nahm er hier an, dab mit den fSrdernden Fasern fiir den Biceps etwa gleichzeitig die Spastik hemmende Fasern fiir den Triceps verliefen und umgekehrt. Auf die Tat- sache, dab ein Muskel in einer bestimmten Bewegungsfunktion ausfiel, w~hrend er bei einer anderen gut funktionierte, ging M ~ N bei diesem Deutungsversuch nicht eia. Sie lieB sich auch nach dieser These nicht erklaren. Dagegen hatte schon WERNICKE das Fehlen etwa einer Lah- mung im Stirnastgebiet des Facialis bei der Hemiplegie richtig auf die bilaterale zentrale Vertretung dieser Muskeln bezogen.

* Referat, erstattet auf dem KongreB der Gesellsehaft Deutscher Neurologen und Psychiater am 19. 9. 1955 in Hamburg.

Dtseh . Z. N'ervenhei lk . , Bd . 175 15

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W~hrend der folgenden Jahrzehnte haben sich verschiedene Verfasser mit der Untersuchung dieses eigenartigen Pr~dilektionstypus in der Resti tution geli~hmter Muskeln befa6t. ANTO~ (1906) machte auf den wichtigen Unterschied zwischea einer Wiederherstellung der Funktion der, , Sonderbewegungen" und einer Wiederherstellung der Motorik vom Typus der ,,Gemeinschaftsbewegungen" aufmerksam, diese letzte Form t ra t gewisserma6en als Ersatz auf. LAZARV S (1901) und AVERBAC~ (1911 ) versuchten, die verschiedene Verteilung der Li~hmung aus der Gr6l~e der Muskelmasse zu erkli~ren: die st~rksten Muskeln sollten sich auch am besten wieder erholen (z. B. der Biceps). AUER~AC~ und sparer GIERLICI~ (1920) bevorzugten darfiber hinaus eine phylogenetische Erkli~rung und verglichen den Typ der restituierten Bewegung mit der zweiten Phase des Fluchtsprunges der Tiere. Am deutlichsten hat diese phylogenetische Deutung nach I-IAZEBROEK (1909) 0TFRID FOERSTER in einer Arbeit von 1913 vertreten, in der er die Restitutionsmuster der synergischen oder ,,holokinetischen" (TowER) Massenbewegungen mit dem Bewegungs- typus der Affen bzw. den Gebrauchsbewegungen primitiver Menschen- st~mme (beim Klettern) verglich. FOERSTER verdanken wir auch die genaue Beschreibung der Bewegungsmuster an Arm und Bein bei der Restitution, die er Massenbewegungen bzw. Synergien benannte. Er hatte erkannt, dal3 diese Bewegungsabli~ufe entweder zur Verkiirzung der Extremita ten (durch Beugung aller Gelenke) ffihren konnten oder zur Verli~ngerung (durch Streckung). Er sprach also yon Beuge- und Strecksyaergien und konnte auch feststellen, dai~ diese sich bei den ver- schiedenen Schi~digungstypen in verschiedenem Ma6e und verschiedener Giite wieder herstellten. Ihm gab die Untersuchung der Hirnverletzten des 1. Weltkrieges ein besonders reiches Beobachtungsgut, um die hier auftretenden Resti tutionstypen den von ihm frfiher studierten Bewegungs- mustern bei der kiadlichen spastischen Hemiplegie und nach der Massen- blutung bzw. Erweichung des i~lteren Menschen gegenfiberzustellen. In den Einzelheiten komlte er sich dabei auf frfihere Beobachtungen der franzSsischen Schule, insbesondere die klassische Doktorthese CLAVEYS (1896) stiitzem I m folgenden werde ich unter Berficksichtigung aller dieser Arbeiten den Vorgang der Bewegungsrestitution nach der Pyra- midenbahnzerstSrung beschreiben.

In der Phase der Schlaffen L~hmung kommen nach bestimmten Zeit- absti~nden und in einer best immten Reihenfolge yon proximal nach distal die Bewegungen zurfick, wobei der Rfickgang der Parese zeitlich iibrigens etwa mit dem Auftreten der Spastik fibereinstimmt. Zuerst pflegt beim Menschen nach etwa 4 Wochen oder sp~ter die Beugung des Beines wieder- zukehren - - beim Affen sogar schon nach 24 Std - - , dann die Kniebeu- gung und schlieBlich eine geringe Dorsalflexion des Fu6es. Dan~ kommen nach etwa 6 Wochen (s. z. B. v. VALKENBURG) in der gleichen proximal-

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distalen Reihenfolge die Armbewegungen zuriick. Die Bewegungen bleiben von Anfang an synergisch gekoppelt, d. h. dab etwa eine Finger- beugung mit FaustsehluB nur m6glich ist bei gleichzeitiger Ellenbogen- beugung in Pronation und Abduktion des Oberarmes. Isolierte Bewegun- gen besonders der distalen Extremit~tenmuskeln stellen sich dagegen bei Zerst6rung der Pyramidenbahn nieht wieder her.

Die Synergien treten im Anfang der Restitutionsphase gew6hnlieh als unwillkiirliche Mitbewegungen (HzTzIO, 1904) beim Niesen, Husten, G~hnen, R~keln und Erschrecken auf, oft zum Erstaunen der Patienten, da sie die Bewegungen in dieser Phase gewShnlich noch nieht willkfirlich erzeugen kSnnen. Die n~chste Phase bringt das Auftreten der Mit- bewegungen bei Kraftanwendungen der gesunden Muskulatur ,,irgendwo im KSrper", wie das SzMo~s nach dem 1. Weltkrieg gezeigt hat, etwa durch H~ndedruck der Gegenseite, oder gar nur durch KieferschluB oder kraftvollen LidschluB.

Dabei liegt die Ausl6sungsschwelle fiir Arm und Bein zuni~chst bei der Beuge- synorgie niedriger als bei der Strecksynergie - - auch wenn beide ausgebildet sind - - und fiir die Beugesynergie des Armes unter der des Beines (ZtiLelL 1941).

Hierin liegt ein gewisser Widerspruch, da gewShnlich am Arm die Beugesynergie, am Bein die Strecksynergie das kr~ftiger ausgebildete Bewegungsmuster is~.

Wiehtig ist bei diesen Synergien, da[3 es sich um fest gekoppelte Bewegungen, d. h. um eine Bewegungskette handelt, aus der Einzelglieder nicht vollstreckbar sind, ohne dab dabei der Gesamtakt abl~uft.

Als Li~hmungstypen sehen wir neben der Hemiplegie besonders bei corticaler Seh~digung den Ausfall einzelner Extremit~ten (Monoplegie) oder sogar yon Muskelgruppen: fokale L~hmungen, wobei der Typus der cortiealen Handl~hmung am besten studiert ist. Aueh bei dieser kommt es zu einer Resti tution naeh dem Synergietyp (ZffLCH, 1951), wobei sich an der Hand nur die M5glichkeit zur synergischen 0ffnung und Schlie- [tung ausbildet, wi~hrend etwa die Bewegungen im Ellbogen bereits voll isoliert ablaufen. Mit den quanti ta t iv nur partiellen Li~hmungen, die gleich als spastische Parese beginnen bzw. dieses Stadium nicht iiber- sehreiten, kann ich mieh in diesem Zusammenhang nicht befassen. Auf die bilateralen Bewegungen z .B . des Gesiehtes und Rumpfes, die ja erfahrungsgem~I3 bei der einseitigen Pyramidenbahnl~sion nur wenig gesch~digt werden, gehe ich erst sparer ein.

Das Ergebnis der Bewegungsanalyse beim Pyramidenbahngesch~digten nach der Resti tution ist also: ein Ausfall der hochgezfichteten isolierten Willkfirbewegung, die relativ geringe Schi~digung aller bilateralen Primi- tivbewegungen, das Erhaltenbleiben bzw. sogar die ~bert re ibung der affektiven Mimik und ,,als Ersatz" ffir den Ausfall sehliel31ich die Frei- gabe der Synergiebewegungen. Auf alas eben beschriebene Phi~nomen der identisehen Mitbewegungen komme ich sparer noch ausfiihrlich zu sprechen.

15"

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Ich darf jetzt, um diesen Teil abzuschlieBen, noch die Verteilung der Synergien bei den verschiedenen ScMidigungstypen kurz beschreiben. Man kann im groBen 3 Typen unterscheiden: naeh vasculi~ren Erwei- chungen, nach akutem Carotisausfall, bei tiefgreifenden Rindenmark- zerstSrungen nach Kriegsverletzung und bei der Massenblutung der Xlteren restituiert nur eine ganz geringe Beugesynergie des Armes, in der nur eine geringe Fingerbeugung erhalten ist, sowie eine Beuge- und Streck- synergie des Beines, die meist noch zum typischen Hemiplegikergang ausreieht. Bei den meisten F~llen der cerebralen infantilen Hemiplegie finden wir den 2. Haupt typus einer Restitution: Beuge- und Streck- synergie yon Arm und Bein, wenn nicht hochgradige Zerst6rungen in der Tiefe oder eine besonders starke spastisehe Kont rak tur vorhanden sind. Bei umschriebenen corticalen Sch~tdigungen schlieBlich sehen wir als dritten Haupt typus z. B. den einer fokalen L~hmung der Hand.

In der Qualitiit der Restitution ffihren anscheinend die Geburts- l~hmungen mit zu den gfinstigsten Ergebnissen, denn hier ist gelegentlich die Koppelung der Synergien nicht ganz so straff. Es besteht offensicht- lich ein Unterschied in dem MaB der Restitution, je nachdem, ob die Ersatzbewegungen bereits wiihrend des Reifungsprozesses der isolierten Motorik (d. h. des Hirns) zur Funktion aufgerufen werden oder erst im sp~teren Lebensalter. Es wi~re zu untersuchen, bis zu welehem Alter die Beuge- und Strecksynergien sich in ihrer h6chsten Qualit~t auch am Arm noch ausbilden kSnnen. Ich habe die h5chste Vollendung der Synergie- muster noch nach der Hemisphi~rektomie bei einem 5j~hrigen Kind und bei einer traumatischen eorticalen Schi~digung eines 30j~hrigen Mannes beobachtet, beide mit vorher relativ oder v611ig intakter Pyramiden- bahn.

Der zweite Teil unserer Untersuchung setzt sieh zum Ziel, den ffir die wiederhergestellte motorische Leistung nach Pyramidenbahnschaden ver- antwortlichen Hirnteil zu bestimmen, wobei ich auf eigene Erfahrungen mit Kriegshirnverletzten, Erfahrungen mit hemisphi~rektomierten Patien- ten und auf die Ergebnisse der Tierexperimente in der Literatur zurfick- greife. Vorher mSehte ich aber einen kurzen Uberblick fiber den Aufbau der normalen Motorik geben, auch wenn sie in den vorigen Referaten schon ausffihrlieh abgehandelt wurde. Die Willkfirmotorik gilt heute als Funktion der Pyramidenbahn. Mit dem Begriff Pyramidenbahn beginnen aber auch die Definitionsschwierigkeiten, da wir wissen, dab die durch die Pyramiden verlaufenden Bahnen nur zum geringsten Teil aus der Area gigantopyramidalis, zum gr6Bten Teil aber aus den benachbarten Rindenfeldern, den sogenannten Adversivfeldern FOERSTE~S stammen. Diese letzten werden von FOE~STER U. FULTON auch als , ,extrapyramidale motorische Rindenfelder" bezeichnet. Man sollte diesen Ausdruck der , ,extrapyramidalen" Projektionsbahnen aber vermeiden, denn sie stellen

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ja den Hauptteil der eigentlichen Pyramidenbahn, zudem ergibt sich eine VerwechslungsmSglichkeit mit dem ,,klassischen" extrapyramidal- motorischen S3~stem (im Sinne yon SPATZ), zu dem allerdings die Adver- sivfelder ja auch einen erheblichen ZufluB liefern. Ffir meine heutige Untersuchung wfirde ich vorschlagen, eine Willkfirbahn 1. Ordnung aus den Beetzschen Zellen, yon einer Willkfirbahn 2. Ordnung aus den Adversivfeldern zu unter- scheiden, die zusammen die Pyramidenbahn bilden. A1- lerdings wfirden bereits die Ergebnisse yon NAT~A~ U. SMITE (1955) mit dieser klaren Unterteilung nicht recht vereinbar sein.

Bei der Entstehung der isolierten Willkfirbewegung - - etwa dcr Zeigefinger- beugung - - spielt nun die Hauptrolle sicher der Im- puls aus der Area 4 zur Vor- derhornzelle und zwar direkt oder fiber Schaltneurone. Sicher wird dieser Impuls gleichzeitig noeh einmal mit dem motorischen Gesamt

Cerebellum

~ ,~,ramlh'ez~akn

~-bb. 1

aus KSrperhaltung und -lage, aus Tonus und Antagonistenfunktion integriert und koordiniert, in die sich dieser Bewegungsimpuls ein- steuert. Wahrscheinlich wird bei diesem Prozel~ der Stammganglien- apparat die Hauptrolle spielen, wie es etwa das bekannte Schema yon PAPEZ u. B u c r (s. FULTON, 1952, Abb. 129) anzeigt. Wir erleichtern uns vielleicht das Verst~ndnis dieses Schemas, wean wir diese Rficksteuerun- gun als eine Reihe yon Ringverbindungen im Sinne der Kybernetiker fiber das extrapyramidal-motorische System und den Thalamus zur Rinde auffassen (s. Abb. 1), die als Regler dienen wiirden.

Neben diese Willkfirbahn 1. und 2. Ordnung tritt nun wahrscheinlich ein zweites System, das die Impulse yon extrapyramidal-motorischen Apparaten auch im Riickenmark ,,parapyramidal" ableitet. Wir kennen aber diese Bahnen nur in groben Zfigen, es handelt sich wahrscheinlich um eine mehrgliedrige Bahn - - in unserer Nomenklatur um die Willkfir- bahn 3. Ordnung - - , deren oraler Anteil die zentrale Haubenbahn sein kSnnte, w~hrend weiter caudal die Gebiete der Vorder- und Vorder- seitenstr~nge als ableitende Bahnen in Frage k~men. Dafiir sprechen neurochirurgische Erfahrungen bei der Beseitigung extrapyramidaler

Dtsch. Z. 2~ervenheilk., Bd. 175 15~

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Hyperkinesen. Man k a n n sich diese beiden Willkfirsysteme noch klarer gegenfiberstellen, wenn man dar~n denkt , dab die P y r a m i d e n b a h n zu- niichst ventral , sparer nach der Kreuzung vorwiegend dorsolateral ge- legen ist, w~hrend umgekehr t die zentrale H a u b e n b a h n Zun~chst dorsal, nach ihrer vermut l ichen Kreuzung die ablei tenden Schal tbahnen aber vorwiegend vent ra l und ver~tromedial zu liegea kommen.

Auf die ,,Fremdkontrolle" der bereits ablaufenden Bewegung fiber den pro- prioceptiven sensiblen Apparat der spinalen Reflexe, der spinocercbell~ren und der Hinterstrangs- und Hinterwurzelsysteme (mit afferenten Impulsen yon Muskeln und Gelenken) gehe ich hier nicht weiter ein. Ich wfirde meinen, dab die oben skizzier-

Abb. 2. Frontalscheibe durch das verlfingerte ~Vf~rk eines P~tienten mit groBem Porus ira Gebiet der A. eerebri media. Die eine Pyramide fehlt vSllig, die gegenseit|ge wirkt

,,hypcrtrophisch"

ten Rticksteuerungen im wesentlichen als gegler dazu dienen, den Impuls ffir die isolierten Bewegungen in die groi~en Muskelverb~inde fiir Bewegung und Hal- tung einzuordnen, w~hrend die sensible Fremdkontrolle den glatten Ablauf der Bewegung und die feinere Koordination yon Agonisten und Antagonisten garantiert.

Das Einspringen einer archaischen Motorik bei der Restitution. Welche yon diesen Bahnen kommen n u n ffir die oben besprochene Res t i tu t ion der Ersa tzmotor ik (vom Typus der Synergien) in Frage ? Die Kapselb lu tung, die ausgedehnte und tiefe Hirnverle tzung, die groBe Erweichung im Mediagebiet und schlieBlich die Hemisph~rektomie ffihrell zur v511igen Ausschal tung der Pyramidenbahn , die anschlieBend total en tmark t bzw. bei frfihkindlichem Schaden atrophier t ist. (Es gibt auch nach experi- mentel ler Pyramidendurchschne idung noch typische Massen- [Synergie-]

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Bewegungen!) Sucht man nach einer Bahn ffir die - - ja der Willkfir unterstehende - - Ersatzmotorik der Synergien, so steht also bei unseren Patienten die Pyramidenbahn nicht mehr zur Verfiigung (Abb. 2). Auch das Striopallidum mit seinen ableitenden Bahnen kann bei unseren Patienten keine Rolle spielen, wie es KR¥~AUW (1950) vermutet. Dieses war in den Hemisph/iren unserer Hemisphi~rektomie Patienten ebenfalls nicht mehr vorhanden (Abb. 3). Es k~men daffir ent- weder die oben erw~hnte para- pyramidale Willkiirbahn 3. Ord- Rung, oder die ipsilaterale Pyra- midenbahn in Frage. Bevor ieh diese beiden MSglichkeiten niiher untersuche, mul~ ich kurz auf den Aufbau und die Reifung der willkfirliehen Motorik beim Men- schen naeh der Geburt eingehen.

Die Entwiclclung der W illki~r- motoriIc: Der S~ugling wird mit einer unwillkfirlicben, ungeord- neten ,,Strampelmotorik" ge- boren, die man im Vergleich mit entspreehenden pathologischen Befunden Ms ,,choreoathetotisch- ballistiseh" charakterisieren kann. Um diese Zeit sind nur Kerne und Bahnen des extrapyramidalen Systems markreif und damit, so- weir wir heute wissen, funktions- Abb. 3. Fronta l sche ibe durch d ie resez ie r te tiichtig. Es gibt zu dieser Zeit Hirnha l f t e einer 27 j~hr. Pa t . (s. ZVLCH,

1954, Fall 1.). Der Porus geht bis an die inarkreife corticale motorisehe Vent r ikc lwand , keinc Reste der S t a m m -

Bahnen nur bis ins Mittelhh'n ganglieu

(FLEcHSIG). Kurze Zeit nach der Geburt treten darum als erstes in der Tat die Augenmuskelkerne des Mittelhirns in die Willkfirsp~re ein: das Kind beginnt in der 2.--3. Woche zu blicken (s. ZffLCH, 1950). Dann tri t t die Mo- torik yore Kopf nach abw~rts nach einem bestimmten Muster in den Will- kfirbereich ein und zwar als N/ichstes in der 3. Woche die Halsmuskeln: das Kind hebt den Kopf. Von der 4. 42. Woche werden dann in einer streng oral-caudalen Reihenfolge die fibrigen motorischen Segmente der Willkiir- motorik unterstellt, wie ich in meinem Bonner Referat 1950 genau dar- gestellt habe. Das entspricht auch den yon LANGWORTttY entwickelten Vorstellungen, daI~ die kiirzesten Neurone als erste markreif werden.

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Dieser funktionellen ,,Reifung" entspricht, soweit ich bisher an eigenen Serienpr~paraten feststellen konnte, aueh das Fortschreiten der Myelini- sation der Pyramidenbahn im Rfickenmark. Damit w~re die morpho- logische Erkl~rung fiir das zeitliehe Nacheinander im Einspringen der 3 Funktionskreise Sehen, Greifen, Gehen, d. h. Gesicht, Hand und Fui] gegeben, das bisher im wesentliehen psychologisch erklgrt wurde [v. MO- •AKOW u. MOURGUE (1930), A. GESELL (1952)]. Ffir die unwillkiirliche Neugeborenenmotorik steht ein morphologisches Substrat markreif zur Verffigung, das die caudalen extrapyramidal-motorischen Kerne mSg- licherweise einschliel]lich Pallidum und Corpus Luys umfa6t. Im beson- deren Falle kann die gleiche Motorik aber auch, wie GAMPERS Mittelhirn- wesen zeigte, yon einem morphologischen Substrat geleistet werden, das erst vom Nucleus ruber nach caudalw~rts vorhanden war (Zt~LCH, 1954) ; bereits die Substantia •igra fehlte. GAMPE~ weist darauf hin, da!~ sich das Wesen in seiner Motorik mit den typischen Synergien kaum yon einem normalen Sgugling unterschied: Wir kSnnen diese Beobachtung des Au/baues der Sguglingsmotorik so deuten, da6 offensichtlich eine Reihe yon subcorticalen motorischen unwill]ciirlichen Mechanismen sparer durch die Markreifung und die Funktionsfibernahme der Pyramidenbahn gehemmt und zugedeckt werden. Xhnlich hat sich das auch !V[ETTLER vorgestellt (1947).

AuGer diesen Beobachtungen am Menschen stehen nuu auch un- gez~thlte experimentelle Tierbeobachtungen yon SHERRINGTON bis zu FULTON und seinen Schfilern zur Verffigung. Ich weise besonders auf die Befunde KENNARDS am Schimpansen und Makaken-Baby hin. Mir seheint aber ein Gesichtspunkt gerade von dem FULToN-Kreis zu wenig berfick- sichtigt zu sein: Der neugeborene Mensch verffigt fiber keinerlei willkfir- liche Bewegung. Der neugeborene Affe hat entsprechend den verschiede- nen Aufzuehtsituationen bereits eine willkfirliche Motorik, wenn auch nur in Form yon Synergiebewegungen ffir Greifen, Anklammern, Klettern, Springen. Die isolierteu Bewegungen erh~lt auch er erst offensichtlich durch die sp~tere Reifung der Pyramidenbahn. Nun stellt sich bei der doppelseitigen motorisehen Dekortizierung des Schimpansenbabys heraus, da6 seine willkfirliche Primitiwnotorik gar nicht merkbar leidet (KEN- ~ARD, 1938, 1939). Sic ist verstgndlicherweise (wie die unwillkfirliche Sguglingsmotorik) yon der Integrit~t des Cortex gar nicht abh~ngig. Eine vollisolierte Willkfirmotorik wird aber dieses deeortizierte Schimpansen- baby niemals mehr entwickeln kSnnen, wobei es allerdings besonderer Testsituationen bedarf, um dies nachzuweis~n. Ich erinu~re ar~ den seinerzeit yon DENNY-BRowN gezeigten Film, bei dem der dekortizierte Affe (beidseitige Entfernung der Area gigantocellularis) bei dea fiblichen K~figsituationen kaum Abweichungen yore normalen Verhalten bot. Erst bei der Ffitterung wurden die Ausf~lle klar : er nahm die Speisen mit dem

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Munde yon der Erde auf, eine doch offensichtlich schwere StSrung seines ~ffisehen Verhaltens. Die willkiirlichen Synergiebewegungen, wie sie der neugeborene Affe hat, werden offensichtlich beim Menseh normalerweise niemals der Willkiirsph~re unterstellt. Vielleicht entsprechen ihnen die unwillki~rlich als Strampelbewegungen ablaufenden Muster. Erst naeh ZerstSrung der Pyramidenbahn werden sie ,,befreit" und liefern m.M. naeh die Bewegungsmuster fiir die Ersatzmotorik der Syner- gien. Die menschlichen Bewe- gungsmuster selbst stehen, wie schon HASEBROECK (1909), FOERSTER (1912) und GIEaLICH (1924) gezeigt haben, in einer gewissen Parallele zu den syner- gischen Bewegungsmustern der Allen. Mir selbst war allerdings der Vergleich mit den Bewe- gungen beim Kraulschwimmen viel einleuchtender, wobei es sieh ja offensichtlieh bei diesem um einen ganz archaischen Bewe- gungstypus handelt. Ich glaube daher aueh, dab der Vergleich von TEMPL]~ FAY (1954) besser trifft, der die Synergiebewe- gungen mit den Laufbewegungen der Reptilien verglichen hat. Und wer einmal die Armbewe- gungen des Krokodfls gesehen hat, der sieht sofort die ParaUele

Abb. 4. Hands t e l l~ug einer Patiexltin m i t kon- in den Bewegungen des kindli- geni ta le r Poreucephal ie (Pa t ien t in zu Abb. 3)

chen Hemiplegikers mit der Uberstreekung und Uberspreitzung der Finger, Handbeugung und Ulnarabduktion im Handgelenk (Abb. 4). Auch diese Analogie der Gliedstellung wiirde auf einen tiefliegenden archaischen motorischen Apparat als Funktionstr~ger fiir diese Ersatzbewegungen hinweisen, der bei den ZerstSrungen der Pyramidenbahn nicht gelitten hat. Zusammen- gefaBt l~Bt sich also argumentieren, da[~ nach Ausfall der Pyramidenbahn mit den Willkiirsystemen 1. und 2. Ordnung w~hrend der Restitution ein extrapyramidal-motoriseher Apparat tiefer Kerne, vorwiegend vom Mittelhirn abw~rts, als Ersatz einspringt. DaB dieser mesencephale Apparat beim Tier auf Reizung mit synergischen Bewegungen antwortet,

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haben I~GRAHAM-RANSON (1932/1934) gezeigt. Diese Mittelhirnteile lie- fern also als Notfallmotorik die Massenbewegungen des Pr~dilektions- types von WERNICKE-MAN:N, d.h. die Synergien von FOERSTER. Die Vorstellung des Ersatzes der Pyramidenbahn durch tiefe Kerne ist schon alt und wurde von A~TON (1906) und MU~CK (1909), ROTHMA~N (1914) und FRInDL~iNDER (1919) erwogen. Auch GR~BAUM U. SttERRINGTON und paradoxerweise auch K E N n e D selbst, die sonst vielmehr an eine Reorganisation der Rinde dachte, haben diese M6glichkeit vertreten. FOERSTER hatte an einen ,,Ersatz" der Pyramidenbahn gedacht, wenn er diesen auch vorwiegend in den Adversivfeldenl vermutete, yon denen er glaubte, daI~ ,,ein jedes vor, hinter und unterhalb der Zentralwindung eine bestimmte spezifische, mehr oder weniger bedeutende Quote zur Leistung des Gesamtverbandes, d .h . zu einem Zustandekommen der willkiirlichen Bewegungen" beitrfige. Beim Zusammenbruch der Arbeits- gemeinschaft sollten sich nach Ausfall des Haupttr~gers der Pyramiden- bahn die einzelnen Nebenfelder wieder erholen und mit ihrem Stabkranz die Ersatzleistung fibernehmen.

Unser Beispiel der Erhaltung der bestehenden Motorik nach Hemi- sph~rektomie beim Jugendlichen und Erwachsenen widerlegt allerdings die Ansicht FOERSTERS, dal~ die kontralateralen Adversivfelder der Rinde an dem Ersatz der Willkfirbewegungen beteiligt w~ren. (Dagegen spricht nicht, dal~ man durch Reizung der Adversivfelder etwa auch synergische Bewegungen erzeugen kann.)

Ich sah eine hochgezfichtete Ersatzmotorik nicht nut bei morphologisch vSllig fehlender Ausbildung der Pyramidenbahn, d. h. bei hemisph~rekto- mierten Patienten, bei denen die corticale Motorik bereits w~hrend des Geburtsaktes zerst6rt war. Ich sah die Restitution gleich gut elltstehen bei einem 5j~thrigen Kind mit nur partiell gesch~digter und anatomisch gut angelegter Pyramidenbahn, bei dem w~hrend der Hemisph~rektomie iibrigens auch der intakte Linsen- und Schweifkern und der Thalamus entfernt wurde (Zt~LCH, 1954). Und wir sahen sie schliel31ich bei einem 30j~hrigen P~tienten mit Hemisph~rektomie wegen eines Oligodendro- glioms, bei dem seit 3.'-/1 Jahr eine spastische Hemiplegie in Restitution vom Typus WERNICKE-MANN bestand. Die bei ihm vor der Operation ausgebildeten Synergiebewegungen wareu in gleicher St~,rke bereits bei dem Erwachen au8 der Nar]cose vorhandeu und jetzt sogar eine Streck- synergie des Armes!

Wenn man nun beim Kinde mit Geburtsschaden noch - - mit v. MO- NAKOW (1895), D~J]~RIN]~ (1901), ANTON (1906) und nach einer Dis- kussionsbemerkung HASSLERS - - eine zahlenm~l~ige vikariierende Hyper- trophie der ipsilateralen Pyramidenbahn w~hrend der Entwicklung erw~gen kSnnte - - das Ausz~h]en der Axone hat aber nur eine st~rkere Myelinis~tion ergeben (VERHAART 1950) --~ SO f~llt bei den Hemisph~r-

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ektomien (beim Fall des 5j~hrigen Kindes, wie auch des 30j~hrigen Patienten) eine solehe MSglichkeit einfach aus.

Wir stehen also erneut vor der Beantwortung der Frage, ob iiberhaupt dieser archaische motorische Apparat fiir die Ersatzfunktionen verant- wortlich ist, und - - noch schwieriger zu beantworten - - wer oder was gegebenenfalls diesen Apparat in den Willkfirkreis der menschliehen Bewegung einschaltet ? Wir sahen doch oben beim Hirnverletzten, dal~ die ersten Synergiebewegungen rein re]lexartig beim G~hnen, Niesen urLd Husten eingeschaltet werden und erst ]angsam - - durch einen mir heute noeh immer unverst~ndlichen Prozel~ und nach einer Phase, wo sie durch jeden Kraftaufwand eingeklinkt werden - - schliel~lich der Willkiir- motorik unterstellt werden.

Auf die - - eigentlich parallel stehende - - Frage der Entstehung der Spastik bei Grol~hirnl~sionen kann ich leider nicht eingehen, obwohl beide, wie wir oben ge- sehen haben, in enger zeitlicher und quantitativer Paralelle stehen. Ich habe frtiher (ZiiLCg, 1950) die Vermuttmg gei~ul~ert, dab es sich dabei um eine sozusagen zeit- lich ausgewalzte synergische Dauerkontraktion handelt - - i~hnlich wie ANTO~ (1906) --, und nicht etwa um eine Enthemmung spinaler Reflexbogen.

Die ipsilaterale Funktion der Pyramidenbahn. Wenn ieh also bisher die Auffassung vertreten habe, daI~ die Restitution der Pyramidenbahm sch~digung vSllig neue, bisher bei der willkiirlichen Bewegung iiberhaupt nicht verwandte archaische Apparate zu neuer Funktion aufruft, so mul~ ich jetzt gerechterweise die zweite MSglichkeit, die des Ersatzes durch das Einspringen der ipsilateralen Rinde wenigstens diskutieren, die lange Zeit yon FO~RSTER (1909), sp~ter energiseh yon FVLTO~ und seinem Arbeitskreis (Buoy u. FULTOn, 1933) und jetzt aueh ausfiihrlich yon FAB~SCH-GLEES-McMILLAN (1955) gestiitzt wird. Morphologisch hat KENNARD bei ihren Excisionen einen ipsilateralen Anteil der Pyramiden- bahn nach Aussehneidung der Areae 4 und 6 zeigen kSnnen und GLEES sogar den Anteil mit etwa 15~o berechnet. Aueh FOERSTER U. PENFIELD haben sich auf Grund ihrer rein physiologischen Experimente fiir gewisse bilaterale Effekte der Pyramidenbahn ausgesprochen, WOOLSEY hat nach seinem Schem~ aber eine ipsilaterale l~indenvertretung nur fiir das Ge- sieht beobachtet. Bei seinen sehr minutiSsen Ur~tersuehungen fand er dariiber hinaus keine ipsil~teralen Effekte, auch nicht in der neu ent- deekten Suplementi~rregion.

Am Menscher~ hat allerdings BATES (1953) nach Hemisphiirektomie dureh ein operativ gesetztes Fenster in der Falx die Fui~regionen der Rinde gereizt und neben den contralateralen auch ipsil~terale Ful~- bewegungen nachweisen k6nnen. Arbeitet man allerdings seine Ergeb- nisse genau durch, so lassen sich seine ipsilateralen Effekte auch als Synergiebewegungen deuten; sie traten auSerdem mit einer zeitlichen VerzSgerung auf.

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Ich habe gegen die These des ipsilateralen Ersatzes, die durch die Affenexperimente FULTONS gestiitzt wurde, immer die Bedenken gehabt, dab die Affen nicht ausreichend, oder zumindest nicht nach den gleichen Gesichtspunkten wie wir sie beim Menschen anwenden, neurologisch untersucht worden sind; ich schlie[te mich darin den Bedenken an, wie sie yon WALSHE und sp~ter besonders von DENNY-BRow~ angemeldet wurden, der ja selbst ein hervorragender Affenexperimentator ist.

Es ist au[~erdem darauf hinzuweisen, dab zwei Punkte zur Verschat- tung der experimentellen Situation beitragen. Das Affenbaby wird mit einer synergischen Willkfirmotorik geboren, die erst spgter yon der Pyra- midenbahn zu hSherer isolierter Funktion verbessert wird. Der aeu- geborene Mensch erreicht aber will]ci~rliche Bewegungen iiberhaupt erst durch Reifung der Pyramidenbahn. Daher kehrt der Affe vielleicht nach Ausfall der Pyramidenbahn viel leichter zu seinen archaisehea Be- wegungsmustern zuriick, als der Mensch, der diese niemals willkiirlich beherrschte. Zudem fgllt der Ausfall isolierter Bewegungen beim Affen ffir sein K~figverhalten viel weniger ins Gewicht, als beim Menschen mit seiner hochgezfichteten willkfirlichen Motorik der isolierten Bewegungen. Ich weise nur auf die 32 mSglichen isolierten Fingerbewegungen in der Sekunde beim Pianisten hin, um das HSchstmaB der Isolierung yon Bewegungen in der menschlichen Motorik herauszustellen.

Jetzt deute ich auf ein letztes Beispiel, das schon nach dem ersten Weltkriege diskutiert wurde (HOLMES U. SARGENT, 1932): auf die so- genannte Mantelkantenverletzung des Hirns beidseits des Sinus sagittalis, einen im Kriege nicht so seltener Verletzungstyp. Wenn die ipsilaterale Pyramidenbahn mit ihrem Anteil aus der Area 4 wirklich den entschei- denden Anteil bei der Entstehung der Synergiebewegungen liefern wfirde, so mfil3te bei doppelseitig Verletzten die Synergie der FuBbewegungen entweder hochgradig verschlechtert sein oder vSllig fehlen. Das ist nun auf Grund zahlreicher Beobachtungen, die ich im Kriege gemacht habe - - und im Gegensatz zu kursorischen Angaben yon RITCHIE I~USSELL, die CAIRNS zitiert - - , sicher nicht der Fall. Auch dieses Beispiel spricht also gegen die These der ipsilateralen Restitution der Synergien, ebenso wie die ausreichende Synergiemotorik der jugendlichen und ~,lteren Affen mit doppelseitiger Dekortikation der motorischen l=tegionen (KENNARD, 1938).

Das soll nun nicht heiBen, dab ich jeden ipsilateralen Anteil der Pyramidenbahn leugnen wiirde. Nicht nur sind die ipsilateralen Bahnen morphologisch als gesichert anzusehen, sondern das Phi~nomen der identischen Mitbewegungen - - das ich 1942 eingehend beschrieben habe und das wir bei unseren hemisphgrektomierten Patienten in klas- sischer Form immer wieder beobachten - - sprieht daftir, dab bei Ein- satz der gesunden Hirnhglfte ein identischer Bewegungsimpuls auch in

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die ipsilaterale gelghmte Extremit~t eindringt. Aber diese identische Mitbewegung l~uft verst~ndlicherweise auf beiden Seiten gleichzeitig ab. (Wir haben das elektromyographisch auch gesichert.) Bei der Resti tut ion der Synergiebewegungen aber miil~te es sich um einen ganz verschiedenen Vorgang handeln: die Einschaltung einer ipsilateralen Bewegung bei gehemrater kontralateraler Bewegung. DaB die Pyramidenbahn der ge- sunden Hirnh~lfte zu dieser Leistung f~hig sein sollte, ist ganz unwahr- scheinlich, da ja gerade die gleichzeitigen und zwangsl~iu]ig gekoppelten Mitbewegungen der anderen Seite zeigen, dab eine derartige Trennung unmSglich ist.

Aul~er den Mitbewegungen haben wir aber auch noch Beispiele fiir eine physiologisvhe bilaterale Motorik an best immten KSrperteflen, z. B. die Augenbewegungen als Beweis ffir die tats~chlich bilaterale Wirkung der Pyramidenbahn. Die Normalperson kann die Bewegungem beider Augen gar nicht trennen. Deshalb gibt es auch keine Einschr~nkung der Augen- bewegungen nach der Hemisph~rektomie, ja, wir sahen sogar nach der Hemisph~rektomie das Verschwinden einer Schielstellung auf der ge- l~hmten Seite, wo sich anscheinend der schw~ehere korrekte ipsilaterale Bewegungsimpuls gegenfiber dem (paretischem) kontralateralen vor der Operation nicht voll durchsetzen konnte, wodurch die Sehielstellung entstand. Eine weitere bilaterale Leistung ist der Blinzelschlu{~ der Augenlider. Aber aueh hier ist neben dem bilateral wirkenden Anteil noch ein wesentlich st~rkerer kontralateraler Impuls gew~hrleistet: normalerweise kann man jedes Auge einzeln sehliel~en. Bei tier Hemiplegie f~llt diese M6glichkeit auf der gel~hmten Seite aus, die bilaterale Inner- vation der Augenlider aber bleibt welter ungest6rt bestehen. Eine Mittel- stellung zwischen diesen beiden Extremen der Bewegungen von Augen (starre bilaterale Koppe]ung) und Augenlidern (Nebeneinander yon bilateralen und unilateralen Bewegungen) nehmen die Muskeln von Stirn und Ohren ein, w o e s nur hierzu besonders begabten Personen gelingt, die doppelseitige Bewegung zur einseitigen Aktion aufzuspalten.

Ich mSchte meine Ausfiihrungen mit einem letzten Punkt beenden: wenn wirklieh ein tiefliegender arehaischer motorischer Appara t die Synergiebewegungen leistet, wer schaltet ihn dann in den Willkiirbereieh ein, bildet also im Sinne JACKSONS die oberste Sehieht ? I-Iier m6chte ich nun a]s KompromiB15sung erw~gen, ob nicht vielleicht doeh die ipsilate- rale Hemisphere, wenn auch nicht mit einer durchgehenden ipsilateralen Bahn, so doch dureh Einklinken des tiefen motorischen Apparates den Einsatz iibernimmt. Hier stehe ich im Gegensatz zu PENFIELD, der die Rinde von einem centrencephalen Apparat der Tiefe einschalten l~Bt (1954). Meine These s t immt aueh mit den Reizexperimenten yon BATES (1953) iiberein.

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Denn irgend eine Afferenz muI~ ja doeh als Beginn in den Bewegungskreis ein- gesehaltet sein. Eine derartige Aufladung der motorisehen ~elder wird auch die normale Funktion der Adversivfelder sein (s. auch SEMM~S u. CEOW, 1955). Kiirz- lich haben ja LASSEXs Untersuchungen (1955) gezeigt, in welchem Ma~e fiber- haupt die Motorik yon der sensiblen Afferenz abhgngig ist.

Unser Problem ist keineswegs gel6st, aber die Begriffe der Korapen- sation oder den noch flieI~enderen Ausdruck der Plastizitdt im Nerven- system sollten wir vorl~ufig in unseren Diskussionen vermeiden. Sie sollten seinerzeit eine Reihe hochinteressanter Ph~nomene im Tierexperi- men t und in der menschlichen Pathologie erkl~ren, die aber im einzelnen noch einmal wiederholt und nachunte rsuch t werden mfii~ten, da gerade PAUL WEISS zu ganz ~nderen Deu tungen gekommen ist.

Ich schlieBe diese Unte rsuchung zusammenfassend mit der These, dab mir die Wirkung der di rekten ipsilateralen corticospinalen Bahn bei der Res t i tu t ion nach dem Typ von WERNICKE-MANN noch nicht bewiesen erscheint und dai3 ich viehnehr diese Synergiebewegungen auf einen archaischen Appara t des Meseacephalon beziehen m6chte.

Meine Diskussion der Res t i tu t ion der Pyramideabahnli~sion beim Menschen war entsprechend der Themat ik des Kongresses vorwiegend theoretisch. Abet auch ffir unser praktisches i~rztliches Hande ln ist an dieseil Un te r suchungen etwas wichtig: die Beachtung der synergischen Koppelung der Ersatzmotorik. l~ur wer diese Synergien und ihren zwangs- l~iufigen Ab | au f wirklich kennt , k a n n bei der Rehabilitation des motorisch Gel~hmten, insbesondere auch des ,,spastischen Kindes" , die r ichtigen Wege gehen, wie wit das im letzten Kriege bereits bei der Nachbehandlung der Hi rnver le tz ten gelernt haben und wie es auch TEMPLE FAY in seinen le tz ten Arbei ten nachdrficklich gefordert hat. FOERSTERS Kapi te l fiber die , , l~bungstherapie" (1936) basierte auf derar t igen theoretischen Uber- legungen. Der Erfolg seiner Ausffihrungea war ein e m i n e n t prakt ischer und wirkte sich aus auf einem Gebiet, das wit heute in der, , Rehabilitation" systemat isch zu betre ibea gelernt haben.

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Professor Dr. K. J. ZfJLCH, K61n-Lindenthal, Lindenburg, Max-Planck-Insti tut ftir Hirnforschung, Abteilung fiir Allgemeine Neurologie