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Zulässigkeit und Grenzen „gegenwartsnaher Prüfung“ durch den Bundesrechnungshof Author(s): Friedrich Klein Source: FinanzArchiv / Public Finance Analysis, New Series, Bd. 23, H. 1 (1963/64), pp. 105- 123 Published by: Mohr Siebeck GmbH & Co. KG Stable URL: http://www.jstor.org/stable/40909764 . Accessed: 20/06/2014 16:13 Your use of the JSTOR archive indicates your acceptance of the Terms & Conditions of Use, available at . http://www.jstor.org/page/info/about/policies/terms.jsp . JSTOR is a not-for-profit service that helps scholars, researchers, and students discover, use, and build upon a wide range of content in a trusted digital archive. We use information technology and tools to increase productivity and facilitate new forms of scholarship. For more information about JSTOR, please contact [email protected]. . Mohr Siebeck GmbH & Co. KG is collaborating with JSTOR to digitize, preserve and extend access to FinanzArchiv / Public Finance Analysis. http://www.jstor.org This content downloaded from 185.44.77.38 on Fri, 20 Jun 2014 16:13:49 PM All use subject to JSTOR Terms and Conditions

Zulässigkeit und Grenzen „gegenwartsnaher Prüfung“ durch den Bundesrechnungshof

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Zulässigkeit und Grenzen „gegenwartsnaher Prüfung“ durch den BundesrechnungshofAuthor(s): Friedrich KleinSource: FinanzArchiv / Public Finance Analysis, New Series, Bd. 23, H. 1 (1963/64), pp. 105-123Published by: Mohr Siebeck GmbH & Co. KGStable URL: http://www.jstor.org/stable/40909764 .

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Page 2: Zulässigkeit und Grenzen „gegenwartsnaher Prüfung“ durch den Bundesrechnungshof

Zulässigkeit und Grenzen „gegenwartsnaher Prüfung" durch den

Bundesrechnungshof von

Friedrich Klein

I

Die Frage nach der Zulässigkeit und den Grenzen der sogenannten „ge- genwartsnahen" oder „zeitnahen" Prüfung (Kontrolle) durch den Bundes- rechnungshof läßt sich nur unter Berücksichtigung derjenigen alten (über- kommenen) und neuen Rechtsgrundlagen beantworten, die für die Zuständig- keiten (Aufgaben und Befugnisse) des Bundesrechnungshofs überhaupt be- stehen (1). In diesem Zusammenhang müssen insbesondere Bedeutung und Tragweite der früheren Rechtsgrundlage für die Rechnungsprüfung durch die oberste Kontrollbehörde klargestellt werden (2).

1. Als Rechtsgrundlagen für die Zuständigkeiten ( Aufgaben und Befugnisse) des Bundesrechnungshofs kommen im wesentlichen in Betracht :

1. Art. 114 Abs. 2 Sätze 1 und 3 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949 (GG.),

2. § 87 der Reichshaushaltsordnung vom 31. Dezember 1922 (RGB1. 1923 II S. 17) (RHO.),

3. § 2 des Gesetzes über Errichtung und Aufgaben des Bundesrechnungsho- fes vom 27. November 1950 (BGB1. S. 765) - Bundesrechnungshofgesetz (BRHG.) -,

4. § 4 BRHG.

Nach Art, 114 Abs. 2 Sätze 1 und S 00. wird „die Rechnung... durch einen Rechnungshof... geprüft" und wird „die Rechnungsprüfung" durch Bundesgesetz geregelt.

§ 87 RHO., der (zusammen mit anderen Vorschriften der RHO.) in § 2 BRHG. „bis zu einer anderweitigen Regelung" für anwendbar erklärt wird, bestimmt: „Die Überwachung der gesamten Reichshaushaltsführung sowie die Prüfung der im § 88 Abs. 1 Ziffer 4 aufgeführten besonderen Rechnungen liegt dem Rechnungshöfe des Deutschen Reichs nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen ob."

§ 2 BRHQ. bestimmt: „Für den Aufbau des Bundesrechnungshofes, für die Ernennung seiner Mitglieder und Beamten und für die ihm obliegende Rechnungs-

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106 Friedrich Klein

prüfung sind bis zu einer anderweitigen Regelung die Vorschriften der Reichshaus- haltsordnung sowie die zu ihrer Änderung, Ergänzung und Durchführung erlassenen Bestimmungen in der am 8. Mai 1945 geltenden Fassung anzuwenden, soweit sie nicht dem Grundgesetz widersprechen oder soweit nicht in diesem Gesetz etwas an- deres bestimmt ist."

§ 4 BRHO. bestimmt: „(1) Der Bundesrechnungshof überwacht die gesamte Haushalts- und Wirtschaftsführung der Bundesorgane und Bundesverwaltungen. (2) Der Bundesrechnungshof ist auch zuständig, sofern Stellen außerhalb der Bundes- verwaltung

1. Teile des Bundeshaushaltsplanes ausführen oder 2. zur Erfüllung bestimmter Zwecke Bundesmittel erhalten haben oder 3. Bundesvermögen oder Bundesmittel verwalten. (3) Der Bundesrechnungs-

hof hat auch die Haushalts- und Wirtschaftsführung des Sondervermögens Bundes- bahn zu prüfen. Die Prüfung erfolgt nach Maßgabe näherer Bestimmungen, die der Bundesminister der Finanzen, der Bundesminister für Verkehr und der Präsident des Rechnungshofes gemeinsam erlassen. (4) Der Bundesrechnungshof hat ferner die Haushalts- und Wirtschaftsführung der Träger der Sozialversicherung, wenn sie Zu- schüsse aus öffentlichen Mitteln erhalten, sowie der Arbeitslosenversicherung und der Arbeitslosenfürsorge zu prüfen."

2. Nach dem Recht der Reichshaushaltsordnung beschränkte sich die Aufgabe des Rechnungshofs des Deutschen Reiches im wesentlichen darauf, an Hand der gelegten Rechnungen nachzuprüfen und festzustellen, ob die Reichshaushaltswirtschaft den Grundsätzen der Ordnungsmäßigkeit und insbesondere der Zweckmäßigkeit (Wirtschaftlichkeit, Sparsamkeit) jeweils entsprochen hatte. Zwar war schon der Rechnungshof des Deutschen Reiches um eine „gegenwartsnahe" oder „zeitnahe" Prüfung (Kontrolle) zumindest in- sofern bemüht, als er in seinen örtlichen Prüfungen an der Grenze eines abge- schlossenen Rechnungsjahres und der darüber gelegten Rechnung nicht halt- machte, sondern sich mit dem Prüfungsstoff jeweils bis in die Gegenwart hin- ein befaßte; doch war damit das eigentliche Anliegen der „gegenwartsnahen" oder „zeitnahen" Prüfung (Kontrolle) ebensowenig erfüllt wie mit gewissen anderen Verfahren, mit deren Hilfe die vielfach fehlende Gegenwartsbezogen- heit der Haushaltskontrolle für gewisse Teilgebiete der Verwaltung ausgegli- chen und eine laufende Zusammenarbeit zwischen Parlament und Rech- nungshof in Gang gehalten wird1. Eine Prüfung, bei der auch solche Ver- waltungsakte geprüft werden, die erst später zu förmlichen Rechnungen füh- ren2, die also eine Überwachung (Kontrolle) laufender Vorgänge darstellt und daher „gegenwartsnah" oder „zeitnah" genannt wird, erlaubte damals vor allem der § 87 RHO., „die Generalvorschrift der Haushaltsordnung für das Prüfungsrecht des Rechnungshofs"3, nicht. Zum Inhalt und zur Tragweite dieser Vorschrift, die ihrem ersten Anschein nach eine Generalklausel für die Tätigkeit des Rechnungshofs darstellt, finden sich im Erläuterungswerk zur

1 Vgl. unten unter II 2 a (Guido Hertel). 2 Vgl. Bernhard Bank: Die Zusammenarbeit von Jrarlament und Kecnnungsnoi, FinArch. NF./Bd. 15 (1954/55), S. 523-529, S. 525. 3 Friedrich Karl Violan: Haushaltsrecht - Haushaltspraxis. Systematische Ein- führung. Übersicht über das Haushaltsrecht des Bundes und der Länder. Grundsätze des Gemeindehaushaltsrechts. Kommentar zur Haushaltsordnung (RHO.) und zu den Finanzbestimmungen des Bonner Grundgesetzes, Berlin und Frankfurt/Main, 2. Aufl. 1959, Eri. 1 zu § 87, S. 951.

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Zulässigkeit und Grenzen „gegenwartsnaher Prüfung" 107

Reichshaushaltsordnung von Schulze-Wagner1 die folgenden Ausführungen, die wegen ihrer allgemeinen Bedeutung für die hier anzustellenden Unter- suchungen wörtlich zitiert werden :

„Die bisherigen Kontrollgesetze... haben dem Rechnungshof des Deutschen Reiches die Prüfung des gesamten Reichshaushalts übertragen. Wenn diese Fassung auch eine weitgehende Auslegung zuläßt, so ist die Prüfung doch bisher auf Grund der für die Rechnungsprüfung gegebenen besonderen Vorschriften auf die Rechnungs- prüfung und die sich aus ihr unmittelbar ergebenden Fragen beschränkt geblieben. Hieran anknüpfend weist § 87 dem Rechnungshof ausdrücklich die Überwachung der gesamten Reichshaushaltsführung zu, jedoch mit dem Zusatz ,nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen1. Diese Bestimmungen 2 beziehen sich im einzelnen wie- der auf die Rechnungsprüfung. Es besteht also nicht ein eigenes unmittelbares Kon- trollrecht des Rechnungshofs gegenüber der Verwaltung, das ihn berechtigte, in die Verwaltung prüfend und bestimmend einzugreifen 3. Das Recht des Rechnungshofs in dieser Beziehung beschränkt sich vielmehr auf die ihm in den einzelnen Para- graphen der Abschnitte IV und IV a erteilten Befugnisse."

Aus diesen Feststellungen ergibt sich eindeutig, daß die Annahme, § 87 RHO. sei eine Generalklausel für ein umfassendes Prüfungsrecht wie des Rechnungshofs des Deutschen Reiches so auch des Bundesrechnungshofs, nicht zutrifft. Die in dieser Vorschrift angesprochenen „folgenden Bestim- mungen" „schränken vielfach die Prüfungszuständigkeit des Rechnungs- hofs erheblich ein"4, und die in ihr ausgesprochene Einschränkung („nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen") - die, wie Viaion5 vermerkt, „immer ein besonderer Schmerz des Rechnungshofs war" - stellt klar, daß jedenfalls nach dem Recht der Reichshaushaltsordnung die eigentliche Aufgabe (auch) des Bundesrechnungshofs im wesentlichen 6 darauf beschränkt ist, an Hand der gelegten Rechnungen nachzuprüfen und festzustellen, ob die Bundeshaus- haltswirtschaft den Grundsätzen der Ordnungsmäßigkeit und insbesondere der Zweckmäßigkeit (Wirtschaftlichkeit, Sparsamkeit) entsprochen hat oder nicht.

1 Reichshaushaltsordnung vom 31. Dezember 1922 / 8. März 1930 / 13. Dezem- ber 1933 nebst den Wirtschaftsbestimmungen für das Reich, Berlin, 3. Aufl. 1934, Eri. 1 zu § 87, S. 733. Vgl. dazu im gleichen Sinne Bernhard Bank: Prüfungszustän- digkeit der Rechnungshöfe, „Der öffentliche Haushalt" 1955, S. 206-214, S. 208; vgl. weiterhin die unten S.109 zu Fußnote 1 wiedergegebene Bemerkung von Dahlgrün. 2 Gemeint sind die - ebenso wie die Eingangsvorschrift des § 87 - im IV. Ab- schnitt „Rechnungsprüfung" der Reichshaushaltsordnung stehenden §§ 88-109 und die den Abschnitt IV a „Prüfung von Unternehmen mit eigener Rechtspersön- lichkeit" ausfüllenden SS 110-117 RHO.

8 Damit sei „offenbar... gemeint, daß der Rechnungshof einerseits im allge- meinen nicht berechtigt sei, die laufende Verwaltung als solche zu prüfen, und daß er andererseits nicht auf Grund des § 87 RHO. allein ein Prüfungsrecht für sich in An- spruch nehmen könne" iBank. Der öffentliche Haushalt. aaO.. S. 208). 4 Bank. Der öffentliche Haushalt, aaO., S. 208. 5 AaO., Eri. 1 zu § 87, S. 951. 6 Über die - eine Kontrolle laufender Vorgänge zulassenden - Ausnahmevor- schriften in § 19 Abs. 2 und § 100 Abs. 3 RHO. vgl. Schulze-Wagner, aaO., Eri. 8 zu § 19, S.374/75, und Eri. 3 zu § 100, S. 779/80, sowie Viaion, aaO., Eri. 11 zu § 19, S. 467/68, und Eri. 6 zu § 100, S. 995; ferner auch unten unter II la zu Fußnote 2 auf S. 108 und IV 3a zu Fußnote 2 auf S. 118.

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108 Friedrich Klein

II

Es stellt sich die Frage, ob an der überkommenen Rechtslage, wie sie vor- stehend unter I 2 aufgezeigt wurde, vor allem durch das Bundesrechnungshof- gesetz etwas geändert worden ist. Im Fachschrifttum ist auf Grund gewisser Vorschriften dieses Gesetzes eine nach wie vor unausgetragene Meinungsver- schiedenheit darüber entstanden, ob die Zuständigkeit des Bundesrechnungshofs durch § 4 Abs. 1 BRHG. über die nachträgliche Prüfung hinaus gegenüber der überkommenen Rechtslage erweitert worden ist. Insoweit stehen sich zwei dia- metral entgegengesetzte Auffassungen gegenüber.

1. Nach der einen Meinung - vertreten durch den Bundesminister des Innern sowie durch Hans Georg Dahlgrün, Franz Klein und Theodor Maunz - enthält der § 4 BRHG. nur den alten, eingeschränkten Auftrag an den Bun- desrechnungshof (Rechnungsprüfung allein nach Maßgabe der einschränken- den Bestimmung der § 87 ff. RHO.).

a) Der Bundesminister des Innern hat sich mehrfach im Sinne der enge- ren Zuständigkeit des Bundesrechnungshofs geäußert. So erklärte er unter dem 11. Juli I9601:

„Auch § 4 BRH-Gesetz, der dem Bundesrechnungshof die Überwachung der gesamten Haushalts- und Wirtschaftsführung der Bundesorgane und Bundesver- waltungen zuweist, kann nur für abgeschlossene Verwaltungsvorgänge gelten. Art. 114 Abs. 2 des Grundgesetzes sieht nur eine Rechnungsprüfung, d.h. begrifflich eine Prüfung abgeschlossener Vorgänge vor. Durch Kontrolle laufender Vorgänge würde die Entschließungsfreiheit der Regierung und Verwaltung beeinträchtigt und damit in die Kompetenz und Verantwortung der Exekutive eingegriffen. Dies wäre nach dem Rechtsgedanken des Grundgesetzes unzulässig, so daß sich eine Erstreckung des Überwachungsrechts des § 4 BRH-Gesetz auf laufende Vorgänge verfassungsrecht- lich verbieten würde"

und unter dem 29. September I9602:

„Der Präsident des Bundesrechnungshofs kann sich hinsichtlich seiner »Über- wachungs-These* auch nicht auf § 4 des BRH-Gesetzes stützen, wonach der Bundes- rechnungshof ,die gesamte Haushalts- und Wirtschaftsführung der Bundesorgane und Bundesverwaltungen überwacht'. Denn dieses »Überwachen* ist nicht in dem Sinne gemeint, daß es zu einer Mitwirkung bei laufenden Verwaltungsangelegenheiten und gesetzgeberischen Vorhaben ermächtigte. Die Aufgaben des BRH, wie die aller Rech- nungshöfe, umfassen eine Kontrolltätigkeit. Dies bedeutet nach der auch im Schrift- tum allgemein vertretenen Ansicht die Nachprüfung abgeschlossener, nicht aber eine Kontrolle laufender Vorgänge. Die gesetzlich festgelegten Ausnahmen - § 19 Abs. 2, § 100 RHO - bestätigen diesen Grundsatz. Das Mitwirkungsrecht des BRH bei der Aufstellung des Haushaltsplans nach § 19 Abs. 2 RHO ist überdies beschränkt; der BMF »übersendet ihm hierfür geeignet erscheinende Unterlagen dem Präsidenten des BRH. Dieser kann auf Grund der bei der (nachträglichen !) Rechnungsprüfung ge- machten Wahrnehmungen4, nicht etwa auf Grund allgemeiner Zweckmäßigkeits- erwägungen, »hierzu Stellung nehmen'. Wieweit der Stellungnahme des BRH zu fol- gen sei, entscheidet der BMF oder die Bundesregierung. Genauso ist es Sache des zu- ständigen Ressortministers oder der Bundesregierung, wieweit den Bedenken Rech- nung zu tragen ist, die der BRH nach § 100 Abs. 3 RHO geltend machen darf ."

1 Wiedergegeben nach Friedrich Karl Viaion: Streitfragen der öffentlichen Fi- nanzkontrolle, FinArch. NF, Bd. 22 (1962), S. 1-34, S. 13, Fußnote 1 Abs. 2.

1 Wiedergegeben nach Viaion, aaO., Abs. 1.

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b) Hans Georg Dahlgrün1 geht davon aus, daß an der Spitze der Auf- gaben und Befugnisse, welche die Reichshaushaltsordnung dem (Bundes-) Rechnungshof zuteile, diejenige stehe, „die gesamte Haushaltsführung zu überwachen". Da § 87 RHO. dazu aber auf die „folgenden Bestimmungen" verweise und dort nur von „Rechnungsprüfung" die Rede sei, dürfe das „Über- wachen" nicht im Sinne einer laufenden Aufsicht aufgefaßt werden. An diese Erwägung schließt er den von ihm nur global begründeten Satz an: „Durch das neue Bundesrechnungshofgesetz dürfte an dieser Rechtslage nichts geän- dert sein, da es auf die Haushaltsordnung Bezug nimmt." Dieser Satz ist bei genauer Betrachtung deswegen anfechtbar und nicht überzeugend, weil die Vorschriften der Reichshaushaltsordnung zwar in § 2 BRHG. „für die ihm [sc. dem Bundesrechnungshof] obliegende Rechnungsprüfung", nicht aber in § 4 Abs. 1 BRHG. für die dem Bundesrechnungshof obliegende Überwa- chung der „gesamten Haushalts- und Wirtschaftsführung der Bundesorgane und Bundes Verwaltungen" für anwendbar erklärt werden2.

Weiterhin stützt Dahlgrün* seine die engere Zuständigkeit des Bundes- rechnungshofs ausdrückende Meinung auf die folgenden allgemeinen Erwä- gungen:

„Das Verfahren unserer deutschen staatlichen Rechnungsprüfung ist durch zwei Besonderheiten gekennzeichnet: Erstens4 ist unsere deutsche Rechnungshof - prüfung eine nachträgliche Kontrolle... Geprüft wird die gelegte Rechnung... Die einzelnen örtlichen Prüfungen des Rechnungshof s machen zwar an den Grenzen eines abgeschlossenen Rechnungsjahrs und der darüber gelegten Rechnung nicht halt, son- dern befassen sich mit dem Stoff bis in die jeweilige Gegenwart hinein. Man bemüht sich um eine gegenwartsnahe Prüfung. Trotz dieser Bemühungen bleibt die Arbeit des Rechnungshofs ein nachträgliches Feststellen und Beanstanden, ein Urteilen post festum. Das ist zweifellos ein Mangel. Die Schnellebigkeit und die Vergeßlich- keit unserer Zeit vermindern den Wert der für eine vergangene Periode getroffenen Feststellungen. Heute ist das Wirtschaften auch beim Staat mehr als früher eine Sache der Gegenwart. Wir hören deshalb immer häufiger und lauter den Ruf nach gegenwartsnaher Prüfung. Von anderer Seite wird auch bei grundsätzlicher Aufrecht- erhaltung der nachträglichen Prüfung fertiger und abgeschlossener Rechnungen eine wenigstens nebenher laufende Kontrolle der einzelnen Auszahlungsakte durch Beamte des Rechnungshofs als dringend wünschenswert bezeichnet."

Dahlgrün5 erwägt weiterhin : Die Vorteile der gegenwartsnahen Verwal- tungskontrolle6 lägen auf der Hand. Wenn sich trotzdem die Fachleute un- seres staatlichen öffentlichen Finanzwesens zu ihrer Einführung nicht be- kennten, müßten sie dafür gewichtige Gründe haben, und diese seien in der Tat vorhanden. Finanzielle Vorgänge von Bedeutung könnten auf ihre Ge-

1 Die staatliche Finanzkontrolle, in: „Staats- und verwaltungswissenschaft- liche Beiträge", herausgegeben von der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, Stuttgart 1957, S. 227-239, S. 232. 2 Vgl. oben unter I 1.

» AaO., S. 233T. 4 Die zweite Besonderheit der deutschen Rechnungsprüfung bestehe darin, daß

diese „nur Prüfung, d. h. nur Feststellung kritischer oder positiver Art, verbunden mit Hinweisen und Mahnungen. . . niemals zugleich Anordnung" sei (aaO., S. 234). * AaO., S. 233/34. • Mit guten Gründen schlägt Herbert Peucker : Grundfragen neuzeitlicher Finanz- kontrolle, Gottingen 1952, S. 19/20 vor, diesen Begriff am besten nicht zu verwenden.

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setzmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit hin erst dann einwandfrei beurteilt werden, wenn sie abgeschlossen seien und wenn darüber hinaus ein gewisser zeitlicher Abstand gewonnen sei. Ein Gesamtbild über den Stand und die Entwicklung staatlicher Finanzen könne erst entrollt werden und eine kriti- sche Stellungnahme dazu sei erst möglich, wenn eine ganze Periode, etwa ein Haushaltsjahr, abgelaufen und in seinen Auswirkungen überstanden sei. Alle während einer solchen Zeitspanne getroffenen Feststellungen und gefor- derten Urteile seien unvollständig und hätten nur vorläufigen Wert. Wolle man endgültig zu dem finanziellen Geschehen eines Haushaltsabschnitts Stellung nehmen, so könne das mit der erforderlichen Gründlichkeit nur nachträglich mit einem gewissen zeitlichen Abstand von den Geschehnissen selbst erfolgen.

Gegen ein Nebeneinander von nachträglicher Rechnungsprüfung und laufender Zahlungskontrolle spreche folgendes: Unsere staatliche Rech- nungskontrolle greife bei aller Schärfe und Genauigkeit der Prüfung nie in die Verwaltung selbst ein. Auch der einzelne Vorgang sei als solcher vollzogen, ehe er kritisiert werde. Ein Eingreifen der Rechnungsprüfung in laufende Verwal- tungs- und Zahlungsgeschäfte ohne gleichzeitige Mitverantwortlichkeit für den Ablauf der Verwaltung wäre nicht folgerichtig. Einen Zahlungsvorgang vor seiner Erledigung kritisieren, ihn aufhalten und ihn durch Ablehnung der Mitzeichnung unmöglich machen, sei nur dann sinnvoll, wenn dieser kritische Einfluß von einer Stelle ausgeübt werde, die auch für den geordneten Ablauf der Verwaltung die Verantwortung mittrage. Die Verantwortung könne aber dem Vollzugsorgan, d.h. dem Verwaltungschef, nicht abgenommen werden.

c) Franz Klein1 begründet seine „erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken" gegenüber der - weitergehenden - Gegenmeinung wie folgt2:

1. Der § 4 BRHG. sei im Zusammenhang mit Art. 114 GG. zu sehen und auszulegen. Unter „Überwachung der gesamten Haushalts- und Wirtschafts- führung" könne dann nur die nachträgliche Rechnungsprüfung verstanden werden.

2. (a) § 87 RHO., auf den § 2 BRHG. sich beziehe, und § 4 Abs. 1 BRHG. sprächen von „Überwachung" bzw. „überwacht". Wie sich aus den Abs. 2 bis 4 des § 4 ergebe, sollten in Abs. 1 in erster Linie die Adressaten der Kon- trolle, nämlich die Bundesorgane und Bundesverwaltungen, genannt werden. Der Gesetzgeber habe es offenbar als notwendig angesehen, in Abs. 1 die Hauptadressaten der Überwachung zu erwähnen, da in den Abs. 2 bis 4 alle anderen Adressaten der Überwachung außer den Bundesorganen und Bun- desverwaltungen behandelt würden. Dies werde durch die Ausführung in Abs. 5 der Begründung zur Regierungsvorlage bestätigt.

(b) Ein Mitwirkungsrecht des Bundesrechnungshofs oder seines Präsiden- ten in laufenden Verwaltungsangelegenheiten der Ressorts sei nicht vorgese- hen. Nach Art. 65 Satz 2 GG. leite jeder Bundesminister innerhalb der vom Bundeskanzler bestimmten Richtlinien der Politik seinen Geschäftsbereich selbständig und unter eigener Verantwortung. Der Bundesminister könne

1 Grundgesetz und Haushaltskontrolle, DÖV. 1961, S. 805-811, S. 808/809. z Kleins unsystematisch auigetunrte Argumente werden nier zwar înnaiuicn vollständig und unverändert, aus Gründen systematischer Ordnung aber in anderer Reihenfolge wiedergegeben.

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aber diese Verantwortung nur tragen, wenn er selbst entscheidungsbefugt sei und nicht durch eine vorgängige und planende Überwachung des Rechnungs- hofs in seiner Entscheidungsfreiheit beeinträchtigt werde. Eine vorgängige Kontrolle des Rechnungshofs würde dem in Art. 65 GG. niedergelegten Grund- satz der Selbständigkeit und Eigenverantwortlichkeit des Ressortchefs wi- dersprechen.

Die planende vorgängige Kontrolle könnte u.U. auch die Verantwort- lichkeit der Regierung gegenüber dem Parlament und dessen Einfluß auf die Regierung, wie sie das Grundgesetz regele, erheblich beeinträchtigen.

3. Diese Auslegung werde allein dem Willen des Gesetzgebers gerecht, wie sich aus der Begründung zum Bundesrechnungshofgesetz ergebe. Nach der Regierungsvorlage sollte mit dieser Vorschrift nur der in § 87 RHO. ent- haltene allgemeine Auftrag zur Überwachung der gesamten Haushalts- und Wirtschaftsführung in einer der Entwicklung und den tatsächlichen Verhält- nissen entsprechenden Fassung wiederholt werden. Der Übernahme dieses Grundsatzes komme, wie in der Begründung ausgeführt werde, vornehm- lich klarstellende Bedeutung zu.

Die Ausführungen des damaligen Bundesministers der Finanzen, Staats- rat Fritz Schäffer, zur ersten Beratung des Gesetzes über die Errichtung und Aufgaben des Bundesrechnungshofs in der 74. Sitzung des Deutschen Bun- destages vom 20. Juli 19501 machten deutlich, daß dem Bundesrechnungs- hof mit diesem Gesetz keine über die Rechnungsprüfung hinausgehenden Aufgaben, mit Ausnahme der Gutachtertätigkeit nach § 8 BRHG., übertra- gen werden sollten.

Ergebe sich schon hiernach, daß aus der Gesetzessystematik, der Wort- fassung und der Entstehungsgeschichte nichts für die Auffassung spreche, der Bundesrechnungshof solle sich in die laufende Verwaltung durch vorgängige Kontrolle einschalten, so werde dies durch den letzten Satz des ersten Absat- zes in der Begründung zur Regierungsvorlage noch ausdrücklich vermerkt, wo es heiße: „Der vorliegende Gesetzentwurf, der sich in Ausführung des Ar- tikel 114 des Grundgesetzes auf die Rechnungsprüfung beschränkt, beruht auf dem bisherigen Haushaltsrecht."

4. Der Bundesrechnungshof würde, wenn er sich in die laufende Verwal- tung, soweit sie Wirtschafts- und Finanzfragen betrifft, einschalten könnte, seine Stellung als unbeteiligter Dritter verlieren und insoweit seine früheren Empfehlungen oder Meinungsäußerungen später im Rahmen der Rech- nungsprüfung nicht auf ihre Richtigkeit überprüfen.

d) Theodor Maunz2 führt zu dem hier in Rede stehenden Problem aus: „Die Rechnungsprüfung ist stets nachgängige Kontrolle. Eine vorgängige oder mitlaufende Prüfung und Anweisung nach §§ 102, 103 RHO. würde den Grund- satz der parlamentarischen Demokratie verletzen, weil dadurch die parlamen- tarisch verantwortliche Regierung in ihrer Entscheidungsbefugnis einge- schränkt würde", und „§ 4 BRHG. hat diese auf die nachträgliche Prüfung

1 Richtig: 79. Sitzung vom 26. Juli 1950! Dieselbe unrichtige Angabe findet sich übrigens auch bei Maunz-Dürig (vgl. den Nachweis unten S. 112, Fußnote 1). * In Theodor Maunz - Günter Düng: Kommentar zum Bonner Grundgesetz, München 1959 ff., RN. 13, Abs. 2, und RN. 14, Abs. 1 zu Art. 114.

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beschränkte Zuständigkeit des Bundesrechnungshofs nicht erweitert,, son- dern nur die Adressaten der Prüfung zusammenfassend genannt. Nach dem im Haushaltsrecht geltenden Sprachgebrauch wird unter Überwachung der ge- samten Haushalts- und Wirtschaftsführung die umfassende nachträgliche Kontrolle verstanden. Auch die amtliche Begründung zu § 4 BKHG. weist darauf hin, daß mit dieser Vorschrift der in § 87 RHO. enthaltene allgemeine Auftrag zur umfassenden nachträglichen Kontrolle wiederholt werden sollte."

2. Demgegenüber vertreten vor allem Guido Hertel und Friedrich Karl Viaion die Auffassung, die Vorschrift des § 4 Abs. 1 BEH6. habe die Prü- fungsermächtigung des Bundesrechnungshofs gegenüber § 87 RHO. erwei- tert, indem sich die Tätigkeit der obersten Prüfungsbehörde nicht mehr auf die nachträgliche Prüfung gelegter Rechnungen beschränke, sondern die Überwachung der gesamten Haushalts- und Wirtschaftsführung der Bundes- organe und Bundesverwaltungen auch außerhalb der Rechnungsprüfung umfasse.

a) Der ehemalige Präsident des Bundesrechnungshofs Dr. Guido Hertél führte insoweit in seinem Vortrag über „Die Aufgabe der Finanzkontrolle in der parlamentarischen Demokratie" in der Universität Frankfurt/Main am 20. Januar 1961 x aus:

„Da nicht zu leugnen ist, daß die Prüfungsfeststellungen um so mehr an Bedeu- tung verlieren, je alter der Prüfungsstoff ist, war schon der Rechnungshof des Deut- schen Reiches dazu übergegangen, gegenwartsnah zu prüfen, d.h. in geeigneten Fällen auch solche Verwaltungsakte zu prüfen, die erst später zu förmlichen Rech- nungen führten. Seine Nachfolgeeinrichtungen aus der ersten Nachkriegszeit sind ihm gefolgt. § 4 BRHG. hat, wie die amtliche Begründung zum Entwurf des BRHG. bestätigt, aus dieser langjährigen Entwicklung die Konsequenzen gezogen, indem er schlechthin die Überwachung der Haushalts- und Wirtschaftsführung als Aufgabe des Bundesrechnungshofes bezeichnete. Das Gesetz hat damit anerkannt, daß die Überwachung unabhängig von dem Abschluß des Rechnungswerkes der Verwal- tung beginnt. § 87 RHO., der diese Bindung noch enthielt, ist insoweit geändert.

In die Überwachung ist also das gesamte Verwaltungsgeschehen, soweit es unter dem Blickwinkel der Haushalts- und Wirtschaftsführung relevant ist, einbe- zogen mit der selbstverständlichen Einschränkung, daß die politischen Entschei- dungen von Legislative und Exekutive für die Finanzkontrolle vorgegeben sind. Die laufende Kontrolle wird in erheblichem Umfange geübt. Den Anstoß gibt meist die Exekutive selbst, indem sie den Bundesrechnungshof bei der Erörterung geplanter Maßnahmen zu Rate zieht. Die hierbei vom Bundesrechnungshof gefaßten Beschlüsse sind so lange gültig, wie der Sachverhalt unverändert bleibt."

b) Friedrich Karl Viaion hat sich an mehreren Stellen2 im Sinne der erweiternden Auslegung des § 4 Abs. 1 BRHG. geäußert; er ist mit den fol- genden Stellungnahmen als der zur Zeit schärfste Verfechter dieser Auffas- sung anzusehen :

1 FAZ. Nr. 21 vom 25.Januar 1961, S.U. - Maum in Maunz-Dürig, GG., Fuß- note 5 auf S. 8 zu Art. 114 nennt Herteh Begründung aus der folgenden Erwägung heraus „nicht überzeugend": „Auf der einen Seite sieht Hertel in § 4 BRHG. einen umfassenden, nicht auf die nachträgliche Prüfung beschränkten Auftrag an den Rechnungshof, betont aber gleichzeitig auch den Auftrag an den Präsidenten zur »präsidialen Kontrolle* auf Grund des Kabinettsbeschlusses v. 8. 1. 1952 (Bundes- anzeiger 1952, Nr. 128, S.l) und stützt diesen Auftrag daneben auch auf die 2. No- velle zur RHO. vom 13. Dezember 1933."

1 AaO., S. 230 (Eri. 6 Abs. 2 zu Art 114 GG.); S. 950 (Nr. 3 der Vorbemerkun- gen zum IV. Abschnitt der RHO.) ; S. 951 (Eri. 1 zu § 87 ; vgl. dazu Bank, Der öffent-

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„Der Bundesrechnungshof überwacht auf Grund einer, die früheren Rech- nungsprüfungsaufträge nicht unwesentlich hinter sich lassenden neuen Grundfor- mel die gesamte Haushalts- und Wirtschaftsführung der Bundesorgane und Bundesver- waltungen und greift mit Recht darüber auch noch stark hinaus (§§ 4ff. Bundesrech- nungshof gesetz)" ;

„die neue Rechtsgrundlage der deutschen Rechnungsprüfung ... § 4 des Gesetzes . . . eine umfassende Befugnis, die er [sc. der Rechnungshof] früher nicht besaß" ;

„Man wird unbedingt das damit geschaffene umfassende Prüfungsrecht als un- mittelbar geltendes Bundesrecht ansehen, andererseits aber den Standpunkt vertreten müssen, daß gewisse und auch grundlegende Einzelheiten der Überwachung noch gesetzlich geordnet werden müssen" ;

„An der verfassungs- und organisationsrechtlichen Stellung des Rechnungs- hofs hat sich durch das Bundesrechnungshofgesetz gegenüber dem früheren Rechts- zustand nichts geändert, insbesondere nicht gegenüber demjenigen in der Weimarer Republik. Die tatsächliche Stellung des Rechnungshofs ist gegenüber den Jahren vor 1945 beträchtlich gestiegen; sein Aufgabenbereich hat sich durch § 4 des Bundesrech- nungshof gesetzes nicht unwesentlich erweitert . . . Während er früher seine Tätigkeit nur im Rahmen der sogenannten Rechnungsprüfung (also der Überprüfung der Haushaltsgebarung für bestimmte Zeitabstände und insoweit ,gelegte* Rechnungen) ausübte, ist dem Rechnungshof nunmehr das umfassende Kontrollrecht über die Haushalts- und Finanzgebarung der gesamten Bundesverwaltung auch unabhängig von der Rechnungsprüfung in diesem Sinne zugebilligt."

„Die dem Rechnungshof übertragene sogenannte administrative Kontrolle1 ist durch die ... Bestimmung des § 4 BRHG. erweitert. Die Überwachung der Haushalts- und Wirtschaftsführung der Bundesorgane und Bundesverwaltungen braucht nicht mehr im Zusammenhang mit der Rechnungsprüfung vorgenommen zu werden. Inzwi- schen hat sich der Bundesrechnungshof auch in der zeitlichen Berichterstattung von der früheren Handhabung gelöst und ... eine gegenwartsnahe Prüfung und Infor- mation herzustellen versucht";

„Geht sachlich weiter als § 87 RHO."

Ill

Zu der vorstehend unter II aufgezeigten Meinungsverschiedenheit ist unter dem Blickpunkt der darin angesprochenen grammatischen, systemati- schen und historischen Interpretation des § 4 Abs. 1 BRHG. im einzelnen zu bemerken:

1. Der auf das „Prüfen" der „Rechnung" (die Rechnungsprüfung) ab- stellende Wortlaut des Art. 114 Abs. 2 Satz 1 GG., auf den sich vor allem der Bundesminister des Innern2 und Franz Klein3 zur Rechtfertigung ihrer ein- engenden Auslegung des § 4 Abs. 1 BRHG. berufen, vermag diese Auslegung der Vorschrift, die von der „Überwachung" der „gesamten Haushalts- und Wirtschaftsführung [der Bundesorgane und Bundesverwaltungen]" spricht, nicht überzeugend zu stützen; Art. 114 Abs. 2 Satz 1 GG. läßt nämlich sowohl eine einengende als auch eine erweiternde Deutung zu, da in dieser Bestim- mung nichts über Art und Grenzen der Rechnungsprüfung, also auch nichts über das „Wann" der Prüfung gesagt wird. Zunächst macht es schon der -

liehe Haushalt, aaO., S. 208: „Damit hat Viaion die Problematik dieser allgemeinen Zuständigkeitsregelung im Bundesrechnungshofgesetz klar herausgestellt"); S. 1077 (Eri. 2 zu § 118); S. 1077/78 (Eri. 4 zu § 118); S. 1172 (Fußnote 5 zu § 4 Abs. 1 BRHG.); FinArch., aaO., S. 13-17. 1 Vgl. dazu oben S. 109 zu Fußnote 6.

* Vgl. oben unter II 1 a. 8 Vgl. oben unter II lc Nr. 1.

8 Finanzarchiv N. F. 23 Heft 1

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Page 11: Zulässigkeit und Grenzen „gegenwartsnaher Prüfung“ durch den Bundesrechnungshof

114 Friedrich Klein

insbesondere von Franz Klein kurzerhand übergangene - unterschiedliche Wortlaut der beiden Vorschriften deutlich, daß beide auch in der Sache etwas Verschiedenartiges meinen: „Rechnung sjyrüfung" ist nicht einfach gleich „Überwachung der gesamten Haushalts- und Wirtschaftsführung"! Jene ist nur ein Teilbereich dieser, da zwar jede Rechnungsprüfung zugleich eine Überwachung der Haushalts- und Wirtschaftsführung darstellt, diese Über- wachung sich aber nicht in der Rechnungsprüfung erschöpft, sondern auch in anderer Art und Weise erfolgen kann und erfolgt. Daher darf nicht einfach von der Rechnungsprüfung als einer nur nachträglichen Kontrolle schon ab- geschlossener Vorgänge geschlossen werden, auch die Überwachung der ge- samten Haushalts- und Wirtschaftsführung sei eine ebenso geartete, nämlich ebenfalls nur nachträgliche Kontrolle. Sodann hindert der Umstand, daß Art. 114 Abs. 2 Satz 1 GG. dem Bundesrechnungshof als spezifische Aufgabe die „Prüfung" der im Sinne des Art. 114 Abs. 1 GG. gelegten „Rechnung" zu- weist, den „einfachen" (Bundes-)Gesetzgeber nicht daran, der obersten Rech- nungsprüfungsbehörde noch weitere, zusätzliche Aufgaben und Befugnisse zu übertragen. Mangels jeglicher erkennbarer Einschränkung der Vorschrift ist die Feststellung, daß der Bundesrechnungshof nach Art. 114 Abs. 2 Satz 1 GG. einen Rechnungsprüfungsauftrag hat, kein Argument gegen die An- nahme, daß der „einfache" (Bundes-)Gesetzgeber dem Bundesrechnungshof eine über die Rechnungsprüfung hinausgreifende Zuständigkeit übertragen durfte. Weder seinem Wortlaut noch seinem Sinne nach steht das Grundge- setz der einfach-gesetzlichen Erweiterung der Zuständigkeiten (Aufgaben und Befugnisse) des Bundesrechnungshofs entgegen.

2. Unter dem Gesichtspunkt der Gesetzessystematik weist Franz Klein zur Rechtfertigung seiner einengenden Auslegung des § 4 Abs. 1 BRHG. auf das Verhältnis des Abs. 1 einmal zu den Abs. 2 bis 4 des § 4 BRHG., zum andern auf Art. 65 Satz 2 GG. hin.

a) Nach der Meinung von Klein, der insoweit nur eines der Argumente von Maunz1 in etwas ausführlicherer Darstellung wiederholt, sollten - wie sich aus den Abs. 2 bis 4 ergebe - in Abs. 1 des § 4 BRHG. „in erster Linie der Adressat der Kontrolle, nämlich die Bundesorgane und Bundesverwaltungen, genannt werden". Die Richtigkeit dieser Meinung darf schon deshalb be- zweifelt werden, weil im § 4 Abs. 1 BRHG. „die gesamte (!) Haushalts- und Wirtschaftsführung" (der Bundesorgane und Bundes Verwaltungen), in Abs. 3 und 4 dagegen nur „die Haushalts- und Wirtschaftsführung" (des Sonder- vermögens Bundesbahn bzw. der Träger der Sozialversicherung) angespro- chen wird, weil in Abs. 1 von „überwachen", in Abs. 3 und 4 hingegen von „prüfen" die Rede ist und weil der Abs. 2 infolge seines gegenüber den Abs. 1, 3 und 4 ganz anderen Wortlauts für den hier vorgenommenen Vergleich überhaupt nicht paßt. Unerfindlich ist, wieso Klein seine Meinung „durch die Ausführung in Abs. 5 der Begründung zur Regierungsvorlage bestätigt" meint ansehen zu können, da sich an dieser von ihm als Beleg angegebenen Stelle nichts Einschlägiges findet. Auch im übrigen ergibt sich aus der amtlichen Begründung zum Bundesrechnungshofgesetz nichts für dieKleinache Meinung.

1 Vgl. oben unter II Id.

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Zulässigkeit und Grenzen „gegenwartsnaher Prüfung" 115

b) Kleins Berufung auf Art. 65 Satz 2 GG. schlägt deshalb nicht durch, weil „eine vorgängige und planende Überwachung des Rechnungshofs" bzw. „eine planende vorgängige Kontrolle" schlechthin zwar in der Tat die Ent- scheidungsfreiheit des betreffenden Bundesministers beeinträchtigen könnte, eine so weit gehende Zuständigkeit des Bundesrechnungshofs aber zumin- dest nicht von allen und jedenfalls nicht von den repräsentativen Verfechtern der Gegenmeinung befürwortet wird1.

3. Auch die Entstehungsgeschichte des § 4 Abs. 1 BRHG., auf die sich alle Vertreter der einengenden Wertung dieser Vorschrift berufen, spricht nicht, jedenfalls nicht eindeutig, für deren einengende Auslegung.

Die Begründung der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes über Errichtung und Aufgaben des Bundesrechnungshofes2 enthält an zwei Stellen Bemerkungen, die hier einschlägig sind. Im zweiten Absatz des Allgemeinen Teils der amtlichen Begründung heißt es :

„Der vorliegende Gesetzentwurf, der sich in Ausführung des Artikel 114 des Grundgesetzes auf die Rechnungsprüfung beschränkt, beruht auf dem bisherigen Haushaltsrecht",

und im Besonderen Teil der amtlichen Begründung wird „Zu § 4 Absätze 1 und 2" festgestellt:

„Die Vorschriften wiederholen den in § 87 der Reichshaushaltsordnung ent- haltenen Generalauftrag zur Überwachung der gesamten Haushalts- und Wirt- schaftsführung in einer der Entwicklung und den tatsächlichen Verhältnissen entspre- chenden Fassung. Der Aufnahme dieses Grundsatzes in den Entwurf kommt also vornehmlich klarstellende Bedeutung zu."

Mit Recht nennt Friedrich Karl Viaion3 die Bemerkung der amtlichen Begründung, der Gesetzentwurf beruhe auf dem bisherigen Haushaltsrecht - eine Feststellung, die inhaltlich auch in der Rede des ehemaligen Bundesmini- sters der Finanzen Fritz Schaffet in der 79. Sitzung des (I.) Bundestages vom 26. Juli 1950 aus Anlaß der Einbringung des Entwurfs des Bundesrechnungs- hofgesetzes4 wiederkehrte - „sicher keinen umstürzenden Beitrag" ; mit jener ganz allgemein gehaltenen Wendung ist jedenfalls zu der hier interessierenden Frage nach Bedeutung und Tragweite des § 4 Abs. 1 BRHG. nichts Entschei- dendes ausgesagt. Gewichtiger ist es dagegen, daß ausweislich der amtlichen Begründung in § 4 Abs. 1 BRHG. der Generalauftrag des § 87 RHO. „in einer der Entwicklung und den tatsächlichen Verhältnissen entsprechenden Fassung" wiederholt wird. Mit dieser Formulierung spricht die Bundesregie-

1 Vgl. unten unter IV 2 b. * Deutscher Bundestag 1. Wahlpenode 1949, Drucksache JNr. 1141, S. 8 und 11

(Hervorhebungen nur hier). 8 FinArch, aaO., S. 14. 4 StenProt. S. 2865 C/D: „Für den Aufbau des Bundesrechnungshofes, für die Festlegung seiner Aufgaben und deren Durchführung sollen nach dem Gesetzentwurf grundsätzlich die in vieljähriger Praxis erprobten und bewährten einschlägigen Be- stimmungen der Reichshaushaltsordnung weiterhin Anwendung finden, durch die die Finanzkontrolle einer unabhängigen obersten Reichsbehörde, dem Rechnungs- hof, anvertraut wird. Die Bestimmungen der Reichshaushaltsordnung mußten aber in gewissen Einzelheiten den Notwendigkeiten der Gegenwart angepaßt werden."

8*

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116 Friedrich Klein

rung unmißverständlich die höchst bedeutsame Tatsache an, daß sich die Aufgaben und Befugnisse auch der Rechnungsprüfungsbehörden im Laufe der Zeit (weiter-)entwickeln und wandeln. Dazu führt Viaion1 als „unver- dächtigen Zeugen" Kurt Heinig an, der insoweit einmal ausgeführt hat:

„Die Aufgaben der Kechnungsprüfungsbehörden haben sich insbesondere seit dem zweiten Weltkrieg wesentlich gewandelt. Die gewohnten Formen kameralisti- scher und formaljuristischer Prüfung sind verlassen worden. Die Arbeit ist nicht mehr vorwiegend nachherige Prüfung anhand der abgeschlossenen Rechnung, obwohl der traditionelle Jahres- Abschlußbericht nicht zu entbehren ist, sondern sie ist zuneh- mend in das laufende Budget hineingewachsen. Zugleich hat sie sich innerlich gewan- delt; der Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit, Sparsamkeit und Effektivität, also der Rationalität des Budgets wird zunehmend Gewicht beigelegt."

Dazu kann weiterhin auf die kritische Auseinandersetzung von Bernhard Bank mit mehreren Thesen von Franz Klein hingewiesen werden, insbeson- dere auf die folgende Bemerkung Banks2 :

„Der etwas krampfhaft wirkende Versuch Kleins..., aus der Wortfas- sung und Entstehungsgeschichte der »Rechnungsprüfung* sei zu folgern, daß die Überwachung der Haushalts- und Wirtschaftsführung des Staates nichts anderes besage, als die traditionelle nachgängige Finanzkontrolle des 19. Jahrhunderts, ist wenig überzeugend. Nicht nur Menschen und Institutionen wandeln und entwickeln sich, sondern auch staatsrechtliche Befugnisse und Zuständigkeiten, z. B. der Umfang der Rechnungsprüfung*. Hier führt nur die historisch-genetische Methode zu rich- tigen Ergebnissen."

IV

Steht das Grundgesetz, insbesondere in seinem hier unmittelbar ein- schlägigen Art. 114 Abs. 2 Satz 1 - wie oben unter III 1 dargetan -, einer Er- weiterung der Zuständigkeiten (Aufgaben und Befugnisse) des Bundesrech- nungshofs durch „einfaches" Bundesgesetz grundsätzlich nicht entgegen und sprechen - wie oben unter III 2 und 3 nachgewiesen - jedenfalls weder die Ge- setzessystematik des § 4 BRHG. bzw. sonstige rechtssystematische Gründe noch die Entstehungsgeschichte des § 4 Abs. 1 BRHG. für dessen einengende Auslegung, so ist der Weg zur Untersuchung der Frage frei, inwieweit der § 4 Abs. 1 BRHG. die Zuständigkeiten des Bundesrechnungshofs gegenüber dem § 87 RHO. erweitert hat.

1. Man könnte versucht sein, die vorstehend aufgeworfene Frage auf Grund der folgenden, mehr methodologischen Erwägung zu lösen: Es ließe sich denken, daß die verfassungstheoretische Grundauffassung der Einrich- tung Bundesrechnungshof, insbesondere seine Stellung im Staat bzw. im System der Gewalten, Art und Umfang seines Prüfungsverfahrens bedingten und rechtfertigten. Danach käme es also nur darauf an, die Frage nach der Stellung des Bundesrechnungshofs im Staat, insbesondere im Gewaltensy- stem, zu beantworten, um auch schon die Antwort auf die hier interessierende Frage zu erhalten. Bei genauerer Überlegung ist aber diese Frage so nicht lös- bar. Mag es nämlich auch in einem gewissen Ausmaß und für gewisse Fälle

1 FinArch, aaO., S. 14. 2 AaO., S. 528, Anm. 10.

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ZvlÖ8sigkeit und Grenzen „gegenwartsnaher Prüfung" 117

zutreffen, daß die Stellung der Rechnungshöfe im Staat bzw. im System der Gewalten für Art und Umfang ihres Prüfungsverfahrens und insbesondere für ihre Zusammenarbeit mit Legislative und Exekutive bestimmend ist1, so kann dies doch nicht für die hier anzustellende grundsätzliche Prüfung gel- ten, ob und inwieweit sich die Zuständigkeiten des Bundesrechnungshofs gegenüber denjenigen des Rechnungshofs des Deutschen Reiches erweitert haben. Die mit dieser Prüfung zu findende Lösung ist mit ausschließlich oder auch nur überwiegend methodologischen Erwägungen nicht erzielbar; sie verlangt vielmehr sachliche Überlegungen. Gerade umgekehrt könnte das hier zu gewinnende Ergebnis entscheidend für die Beantwortung der Frage sein, welche Stellung der Bundesrechnungshof im Staat und im Gewaltensy- stem einnimmt.

2. Den Kernpunkt der oben unter II aufgezeigten Meinungsverschieden- heit über Bedeutung und Tragweite des § 4 Abs. 1 BRHG. sowie über das An- liegen derjenigen, die diese Vorschrift im Sinne einer Erweiterung der Auf- gaben und Befugnisse des Bundesrechnungshofs verstehen und auslegen, bildet das Problem der sogenannten „gegenwartsnahen" oder „zeitnahen" Prü- fung (Kontrolle). Zwar sind die Rechnungshöfe schon insofern um eine solche Prüfung bemüht, als sie in ihren einzelnen örtlichen Prüfungen an der Grenze eines abgeschlossenen Rechnungsjahres und der darüber gelegten Rechnung nicht halt machen, sondern sich mit dem Prüfungsstoff bis in die jeweilige Gegenwart hinein befassen2. Doch ist damit das eigentliche Anliegen der „gegenwartsnahen" Prüfung noch nicht erfüllt.

Da die Prüfungsfeststellungen der Rechnungshöfe mehr und mehr an Bedeutung verlieren, je älter der von ihnen geprüfte Stoff ist, und um so mehr an Bedeutung gewinnen, je jünger der Prüfungsstoff ist, war schon der Rech- nungshof des Deutschen Reiches dazu übergegangen, „gegenwartsnah zu prüfen, d.h. in geeigneten Fällen auch solche Verwaltungsakte zu prüfen, die erst später zu förmlichen Rechnungen führten"8. Diese Entwicklungslinie wurde von den Nachfolgeeinrichtungen des Rechnungshofs des Deutschen Reiches in der ersten Nachkriegszeit fortgesetzt4. Der einleuchtende und vernünftige Sinn der gegenwartsnahen Prüfung ist der, daß „die Rech- nungsprüfung ... nicht hinter den Ereignissen allzusehr hinterherhinken" soll5. Es soll damit verhindert werden, daß die oftmals in zeitraubender Prü- fungstätigkeit gewonnenen Ergebnisse und die damit verbundenen Anregun- gen und Vorschläge des Bundesrechnungshofs ihre Aktualität und Effektivi- tät verlieren. Das Interesse von Verwaltung, Parlament und Öffentlichkeit wird um so geringer, auf je zeitlich weiter zurückliegende Vorfalle sich die Be-

1 Vgl. Bank, FinArch., aaO. ; unter ausdrücklichem Hinweis auf diese Spe- zialuntersuchung Bernhard Bank: Die Stellung und Aufgabe der Rechnungshöfe im neuen deutschen Staatswesen, ZgesStW., Bd. 111 (1954/55), S. 512-518, S, 516: „Es würde hier zu weit führen, im einzelnen aufzuzeigen, wie sehr Umfang und Art des Prüfungsverfahrens durch die verfassungstheoretische Grundauffassung der In- stitution bedingt werden."

2 Vgl. oben unter I 2 Abs. 1 und II 1 b (Hans Oeorq Dahlqrün). 8 Vgl. oben unter II 2 a. 4 Dahlgrün, aaO., S. 233. 6 Viaion, FinArch. aaO., S. 12.

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118 Friedrich Klein

merkungen des Bundesrechnungshofs beziehen. Die Schnellebigkeit und die Vergeßlichkeit, die für unsere Zeit kennzeichnend sind, mindern den Wert von Feststellungen, die für einen längst vergangenen Zeitraum getroffen wor- den sind. Unter diesem Blickpunkt erscheint es sachlich gerechtfertigt, den § 4 BRHG. hinsichtlich der Zuständigkeiten des Bundesrechnungshofs ge- genüber dem § 87 RHO. erweiternd auszulegen.

3. Die Frage nach Bedeutung und Tragweite des § 4 Abs. 1 BRHG. spitzt sich dahin zu, in welchem Ausmaß diese Vorschrift die Aufgaben und Befugnisse des Bundesrechnungshofs erweitert hat und wo die Grenzen von des- sen Kontrolltätigkeit insbesondere bei der sogenannten „gegenwartsnahen" oder „zeitnahen" Prüfung liegen. Dazu lassen sich sowohl in negativer als auch in positiver Hinsicht einige nähere Feststellungen treffen.

a) In negativer Hinsicht ist zunächst soviel sicher, daß das Wort „über- wachen" in § 4 Abs. 1 BRHG. - ebenso wie im § 87 RHO. - nicht schlechthin eine „vorgängige und planende Überwachung des Rechnungshofs", eine „vorgängige Kontrolle", eine „planende vorgängige Kontrolle" desselben bedeutet. „Überwachung der gesamten Haushalts- und Wirtschaftsführung heißt nicht: Jede Prüfung zu jeder Zeit an jedem Ort in jedem Stadium eines Finanz Vorgangs !" *• Die Tätigkeit des Bundesrechnungshofs darf - vorbehalt- lich des unten unter b in Nr. 3 genannten Falles der bloßen entsprechenden Mitwirkung - keine richtungweisende, planende, lenkende, gestaltende2, leitende, initiierende, „politische"3 sein, da andernfalls die Grenzen politi- scher Verantwortung im demokratischen System in wenig heilvoller Weise verwischt würden und letztlich die unabhängige Stellung des Bundesrech- nungshofs in Frage gestellt war«. Dem Bundesrechnungshof ist es „versagt . . ., mit Anweisungen und Verfügungen in das laufende Verwaltungsgeschehen in der Richtung der Zukunftsgestaltung einzugreifen. In dieser Hinsicht kann er seine Prüfungserfahrungen nur in der Form von Ratschlägen und Empfeh- lungen an die Verwaltung herantragen, die ihrerseits aber die alleinige Verant- wortung und Entscheidung behält. Das gilt auch für die Mitwirkung des Rechnungshofs bei der Haushaltsplanung, die bereits die Reichshaushalts- ordnung von 1922 vorgesehen hat (§ 19 Abs. 2 RHO)"4.

1 Viaion, FinArch., aaO., S. 14. * Vgl. Bank, FinArch., aaO., S. 529: „immer wird es dabei bleiben, daß die

Finanzkontrollbehörden bei uns zwar kritisieren und tadeln, vor allem auch Vor- schläge zur Verbesserung für die Zukunft machen, aber - mit vielleicht geringen Aus- nahmen, wie sie die Bestimmungen der §§ 104, 105 RHO. über die Einziehung ge- wisser Fehlbeträge darstellen - niemals selbst irgendwie gestaltend in das Staats- gefüge eingreifen und , vollziehen* können".

8 Daß bei der Tätigkeit der obersten Prüfungsbehörden für politische Ent- scheidungen kein Raum sein darf, wird allgemein anerkannt. Nicht unrichtig aber Artur Moser: Teuere und billige Staatsverwaltung, DÖV. 1953, S. 13-18, S. 18: „Politische Aufgaben sind nicht Aufgaben des Rechnungshofs. Aber eine von Poli- tik absolut chemisch reine Staatstätigkeit gibt es nicht und auch ein Rechnungshof kann nicht vom politischen Erdenstaub unberührt nur in den seeligen Gefilden der Rechnungslegung schweben".

* Bank, DÖV., S. 530. - Zu § 19 Abs. 2 RHO. vgl. oben S. 107 Fußnote 6 und unter II 1 a zu Fußnote 2 auf S. 108.

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Zulässigkeit und Grenzen „gegenwartsnaher Prüfung" 119

Insofern kann Franz Klein zugestimmt werden, wenn er ausführt1: „Der Bundesminister kann . . . diese Verantwortung [sc. die ihm durch Art. 65 Satz 2 GG. auferlegt wird] nur tragen, wenn er selbst entscheidungsbefugt ist und nicht durch eine vorgängige und planende Überwachung des Rech- nungshofs in seiner Entscheidungsfreiheit beeinträchtigt wird", und „Der Bundesrechnungshof würde, wenn er sich in die laufende Verwaltung, soweit sie Wirtschafts- und Finanzfragen betrifft, einschalten könnte, seine Stellung als unbeteiligter Dritter verlieren und würde insoweit seine früheren Empfeh- lungen oder Meinungsäußerungen später im Rahmen der Rechnungsprüfung selbst auf ihre Richtigkeit überprüfen."

b) In positiver Hinsicht ist die Frage nach dem Ausmaß der Erweiterung von Zuständigkeiten des Bundesrechnungshofs durch § 4 Abs. 1 BRHG. er- heblich schwieriger zu beantworten. Insoweit läßt sich aber immerhin fest- stellen :

1. Der Bundesrechnungshof darf nur abgeschlossene Vorgänge (Einnah- men und Ausgaben) prüfen2. Er ist bei seiner Prüfung zwar nicht an abge- schlossene Rechnungen gebunden, doch müssen die Rechnungsunterlagen fertiggestellt und die Vorgänge abgeschlossen sein3. Demgemäß heißt Finanz- kontrolle4 durch die oberste Prüfungsbehörde: „Überwachung der Finanz- gebarung durch die Prüfung abgeschlossener Vorgänge anhand bestehender rechnungsgeeigneter Unterlagen .

* * 6

1 Vgl. oben unter II 1 c Nrn. 2 b und 4. - Nicht billigenswert sind dagegen die oben unter II la (an erster Stelle), c Nr. 2b und d wiedergegebenen Bemerkungen des Bundesministers des Innern: „Durch Kontrolle laufender Vorgänge würde die Entschließungsfreiheit der Regierung und Verwaltung beeinträchtigt und damit in die Kompetenz und Verantwortung der Exekutive eingegriffen", von Franz Klein: „Eine vorgängige Kontrolle des Rechnungshofs würde dem in Art. 65 GG. nieder- gelegten Grundsatz der Selbständigkeit und Eigenverantwortlichkeit des Ressort- chefs widersprechen. - Die planende vorgängige Kontrolle könnte u. U. auch die Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber dem Parlament und dessen Einfluß auf die Regierung, wie sie das Grundgesetz regelt, erheblich beeinträchtigen", und von Theodor Maunz: „Eine vorgängige oder mitlaufende Prüfung... würde den Grund- satz der parlamentarischen Demokratie verletzen, weil dadurch die parlamentarisch verantwortliche Regierung in ihrer Entscheidungsbefugnis eingeschränkt würde." Diesen sachlich miteinander übereinstimmenden und in dieselbe Richtung gehenden Äußerungen ist entgegenzuhalten, daß bei der Rechnungsprüfung die Verantwor- tung der Regierung und der Verwaltung unberührt bleibt, ja sogar hervorgehoben wird.

2 Vgl. Viaion, FinArch., aaO., S. 14: „Die Rechnungshöfe, die die Einhaltung bestimmter Grundsätze zu überwachen haben, können dies hur anhand abgeschlos- sener Vorgänge tun; die Einflußnahme auf den politischen oder sachlichen Entschluß zur Einnahme oder Ausgabe ist ihnen versagt. Diese Ansicht, daß die Rechnungshöfe nur abgeschlossene (Einnahmen oder) Ausgaben prüfen dürfen, wird auch dadurch erhärtet, daß die Kontrollbehörden für den Vorbereich im allgemeinen auf die feier- lichere Form des Gutachtens verwiesen sind."

» Vgl. Viaion, FinArch., aaO., S. 15. 4 Vgl. die Begriffsbestimmung von Peucker, aaO., S. 21 : „Funktion der ober- sten Prüfungsbehörde, umfassend die Rechnungsprüfung, Wirtschaftlichkeitsprü- fung, Organisationsprüfung, Gutachtertätigkeit usw., Erarbeitung des Entlastungs- materials für die Legislative." 6 So Vtalon9 FinArch., aaO., S. 15 (im Original durch Kursivdruck hervorge- hoben).

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120 Friedrich Klein

2. Das Problem der „gegenwartsnahen" oder „zeitnahen" Prüfung (Kon- trolle) gewinnt besondere Bedeutung im Hinblick auf die nunmehr gegebene Möglichkeit, ein vollkameralistisches Prüfungsverfahren mit Erfolgsausweis in der staaäichen HaushaUsbuchführung unter Verwendung von elektronischen Daten verarbeitenden Maschinenanlagen (elektronischen Großreohengeräten, Elektronenrechnern) praktisch durchzuführen1. Neuartige bürotechnische Hilfsmittel, insbesondere der Einsatz von datenverarbeitenden Großrechen- anlagen erlauben es dem Staat, seine Haushaltswirtschaft in einer technisch wesentlich vollkommeneren Form als in früheren Zeiten abzuwickeln. Bei dem Einsatz solcher Datenverarbeitungsmaschinen tauchen neue Fragen auf, so insbesondere auch das Problem der Prüfung programmierter haushalts- mäßiger Verwaltungstätigkeit. „Die Prüfung einer solchen programmierten haushaltsmäßigen Verwaltungstätigkeit wird sich . . . durch den Rechnungshof anders vollziehen müssen als bisher. Sie hat bei der Überprüfung der Program- mierung der Aufgabenstellung einzusetzen und sich auf die Richtigkeit der Eingabewerte sowie die Feststellung des unbeeinflußten Arbeitsgangs der Großrechenanlage zu erstrecken. Diese Forderungen führen zu einer zeitnahen Überprüfung, die möglichst vor der Weitergabe der Eingabewerte an die Daten verarbeitende Anlage vorgenommen werden sollte."2

Für die „gegenwartsnahe" oder „zeitnahe" Prüfung (Kontrolle) solcher Art wird auch der Ausdruck „Visa" -Prüfung („Visa" -Kontrolle) verwendet, eine Begriösbezeichnung, die im Ausland weitgehend bekannt ist und die auf deutschem Boden schon früher etwa in Bayern und Preußen für bestimmte Prüfungsvorgänge bekannt war. So mußten in Bayern die Auszahlungsan- ordnungen über Reisekosten, Umzugskosten, Trennungsentschädigungen und Beschäftigungsvergütungen schon vor der Auszahlung der Prüfungsstelle vor- gelegt werden, und in Preußen hatte der Regierungs- und Kassenrat, der gleichzeitig Leiter des Rechnungsamtes war, alle Kassenanweisungen mitzu- zeichnen, konnte aber diese Funktion einem Rechnungsrevisor des Rech- nungsamtes übertragen3. Unter Visaprüfung wird „eine Prüfung aller Zah- lungsanordnungen an die Kassen auf ihre Richtigkeit vor ihrer Ausführung, also vor der Zahlung", verstanden4. „Wir nennen eine solche laufende Mit- kontrolle der Zahlungsvorgänge in der Form der Gegenzeichnung auf den Kassenanweisungen durch einen Prüfungsbeamten Visakontrolle. Die Ein- richtung der Visakontrolle ist unserem staatlichen Rechnungsprüfungswesen unbekannt, bei den deutschen Gemeinden wird sie aber vielfach geübt."6

1 Vgl. dazu inbesondere, Werner Maaß: Rechnungslegung und Rechnungsprü- fung bei Großrechenanlagen, „BTA" („Bürotechnik und Automation") 1961, S. 27 bis 29; Werner Maaß: Buchführung, Haushalts- und Vermögensrechnung in alter und neuer Sicht, „Der öffentliche Haushalt", 1962, S. 199-212. * Maaß, ,Der öffentliche Haushalt4, aaO., S. 212. 8 Vgl. Peueker, aaO., S. 135/36, mit kritischer Würdigung dieser Verfahren. - Vgl. auch Kurt Heinig: Haushaltskontrolle, „Handbuch der Finanz Wissenschaft", Tübingen, 2. Aufl., Erster Band, 1952, S. 670-393, S. 676: „die inteme Ur-Form aller Kontrolle, die Gegenzeichnung, die vorgängige Prüfung (Visakontrolle) der Ausgaben". 4 H. Hertig: Entwicklung und Grundfragen der Haushaltskontrolle, ,DVB1. 1951, S. 393-397, S. 395. « DaMgrün, aaO., S. 233, mit Kritik auf S. 244.

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Zvlas8Ìgkeit und Grenzen „gegenwartsnaher Prüfung" 121

Mit der im vorigen Absatz wiedergegebenen Auffassung von Werner Maaß stimmt diejenige von Bernhard Bank1 überein, der unter Berufung auf die Äußerung von Maaß meint: „Eine mitlaufende, somit vorgängige Finanzkontrolle (sog. Visa-Prüfung) ist dagegen heute wegen des mechani- sierten Verfahrens auf manchen Prüfungsgebieten, z.B. dem Gebiet der Steuern, der Besoldungs- und Versorgungssachen u.a. unerläßlich, soll dort nicht jede Finanzkontrolle zum Schaden des Staates und des einzelnen Staats- bürgers entfallen2. Hier muß die Kontrolle bereits bei der sog. Programmie- rung für die Maschinen einsetzen und vor der Eingabe der einzelnen Anwei- sung an die Maschine vorgenommen werden."

3. Über die vorstehend unter Nr. 2 aufgezeigte Problematik hinausgrei- fend stellt sich die Frage, ob nicht auch in anderen Fällen als denjenigen, in denen Maschinenanlagen (Elektronenrechner, Datenverarbeitungsmaschi- nen, Lochkartenautomaten) den Übergang von der nachgängigen Kontrolle zur sogenannten Visa-Prüfung und damit mitlaufenden und vorgängigen Kontrolle erzwingen, die mitlaufende und damit vorgängige Finanzkontrolle durch den Bundesrechnungshof notwendig und gerechtfertigt ist. Diese Frage wird insbesondere von Bernhard Bank3 in der folgenden Bemerkung bejaht: „Aber auch abgesehen von dem Zwang der Maschine zum Übergang von der ,stets nachgängigen4 zur nunmehr ,mitlaufenden* Kontrolle erfordert die Fi- nanzkontrolltätigkeit bei der modernen Verwaltung im Interesse der kontrol- lierten Dienststellen nicht eben selten eine Einschaltung des Rechnungshofs schon bei der Planung des Verwaltungsgeschehens. Da aber der Verwaltung stets die alleinige Entscheidung verbleibt, wird die parlamentarisch verant- wortliche Regierung in ihrer Entscheidungsbefugnis und Verantwortung da- durch nicht eingeschränkt."

Die damit berührte Problematik gipfelt in der Frage, ob eine vorgängige Beratung der Verwaltung durch den Bundesrechnungshof 'bei der Erörterung ge- planter Maßnahmen oder bei der Leistung von Ausgaben4 zulässig ist. Diese Frage kann mit der folgenden Maßgabe bejaht werden : Wünscht und erbittet der verantwortliche Ressortminister die Mitwirkung der obersten Finanz- kontrollbehörde bei der Planung, so steht dieser Mitwirkung dann nichts im Wege, wenn der Bundesrechnungshof seine sachliche Unbefangenheit und Unabhängigkeit durch die Beratung nicht als gefährdet oder eingebüßt an- sieht6. Dies folgt einerseits daraus, daß es dem verantwortlichen Ressortmini- ster kraft seiner Zuständigkeit, innerhalb der Richtlinien der Politik des Bundeskanzlers seinen Geschäftsbereich selbständig und eigenverantwort- lich zu leiten (vgl. Art. 65 Satz 2 GG.), anheimgegeben ist, nach seinem Er- messen selbst die oberste Finanzkontrollbehörde - die ihm seine Verantwor-

1 DÖV., aaO., S. 530. 2 Es entfällt dann allerdings nicht „jede Finanzkontrolle", sondern „nur" die sog. Visa-Kontrolle; die nachherige Rechnungsprüfung bleibt bestehen. * DOV., S. 530. 4 Zu eng wird das Problem von Viaion, Fin. Arch., aaO., S. 15 eingestellt: „eine im Einzelfall gewünschte beratende Mitwirkung vor der Ausgabe* *. 5 Sachlich im wesentlichen ebenso Violon, FinArch. aaO., S. 15/16.

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122 Friedrich Klein

tung nicht abnehmen kann1 - in seine Planungen einzuschalten2, andererseits daraus, daß es dem Bundesrechnungshof überlassen bleiben muß, ob er Be- denken gegen ein solches Eingeschaltet- Werden hat oder nicht3.

Allerdings stellt sich hier das von Franz Klein* erwähnte Problem der mangelnden oder doch zumindest beeinträchtigten Unabhängigkeit des Bundesrechnungshofs bei der späteren Kontrolle. Dazu ist zunächst darauf hinzuweisen, daß sich die Beratungsgegenstände und die Entscheidungsgegen- stände nur selten decken6. Im übrigen ist dazu mit Viaion* zu bemerken : Der „Vorteil einer ausgewogenen gemeinschaftlichen Beratung wirkt stärker als der Nachteil etwaiger mangelnder Unabhängigkeit bei der späteren Kon- trolle".

4. Die vorstehenden Ausführungen haben eindeutig gezeigt, daß die Auf- fassungen derjenigen, die den § 4 Abs. 1 BRHG. einengend auslegen, insbe- sondere also die Meinungen von Franz Klein und Theodor Maunz, den Pro- blemen der neuzeitlichen Rechnungsprüfung und Finanzkontrolle nicht gerecht werden7. Tatsächlich ist auch, wie insbesondere Kurt Heinig8 aus- geführt hat, neben der nachherigen Kontrolle auch die mitschreitende Kon- trolle und die vorgängige Prüfung, insbesondere in Gestalt der Visa-Kontrolle, auf einigen oder allen Stufen des Budgetvollzuges heute in vielen europä- ischen Staaten, vor allem aber auch in den Vereinigten Staaten von Nord- amerika, selbstverständlich. In den Abschnitten VII 5 (S. 45) und VIII 4 (S. 48) des Reiseberichts, den die Studienkommission des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages unter dem 12. Oktober 1 955 9 vorgelegt hat, wird ausgeführt, daß in den USA die Rechnungsprüfungsorgane Gegenwartskon- trolle ausüben und daß ganz grundsätzlich der Blick in die Zukunft statt in die Vergangenheit vorherrscht. Auch im kommunalen Rechnungsprüfungs-

1 Vgl. Hertel, aaO. : „Der Bundesrechnungshof kann der Verwaltung die Ver- antwortung gar nicht abnehmen. Er kann es aus Rechtsgründen nicht; die oberste Finanzkontrollbehörde ist kein Staatswirtschaftsgericht, sie ist auch kein Super- ni inisterium. Der Bundesrechnungshof kann es auch aus tatsächlichen Gründen nicht: sein Personalbestand ist gering, der Prüfungsstoff ungeheuer. Die Beamten des Bundesrechnungshofes bilden gleichsam nur einen »Spähtrupp* im finanzwirt- schaftlichen Dickicht. Finanzpolitische Entscheidungen zu treffen, gehört nicht zu ihrem Auftrag. Der Bundesrechnungshof kann die Exekutive ihrer verfassungsmäßi- gen Verantwortung nicht entheben."

2 Demgegenüber Klein, aaO., S. 811 : „Die vorgängige Prüfung und Mitplanung beeinträchtigt die eigenverantwortliche Leitung der Ressorts durch die Bundesmini- ster, wie sie Art. 65 Satz 2 GG. garantiert, und ist daher verfassungswidrig." 8 Vgl. Viaion, FinArch., aaO., S. 16: „Wenn die Rechnungshöfe keine Beden- ken gegen ihre Einschaltung haben, sollten wir deshalb auch keine haben." - Nach Viaion (ebenda, Fußnote 4) wurden auch in den Empfehlungen des Organisations- ausschusses der Ministerpräsidentenkonferenz 1949 keine Bedenken erhoben.

4 Vgl. oben unter II 1 c unter Nr. 4. 5 So mit Recht Viaion, ,FinArch.' aaO., S. 16. • FinArch., aaO., S. 16. 7 Im Ergebnis ebenso Bank, DOV, S. 530. 8 AaO. 9 Bericht der Abg. Dr. Schoettle, Dr. Blank (Oberhausen), Dr. Vogel über die

Ergebnisse der gemeinsam mit Dr. Vialon und Dr. Oreuner durchgeführten Reise in die USA zum Studium der amerikanischen Budget- Verhältnisse.

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Page 20: Zulässigkeit und Grenzen „gegenwartsnaher Prüfung“ durch den Bundesrechnungshof

Zulässigkeit und Grenzen „gegenwartsnaher Prüfung" 123

wesen ist die Visakontrolle stark verbreitet1. Der II. Internationale Kongreß der Höheren Kontrollinstitutionen für öffentliche Finanzen vom 24. bis 29. September 1956 in Brüssel hat in seinen Entschließungen eine „Präven- tivkontrolle" als „unerläßlich" bezeichnet, „um eine korrekte Durchführung des Haushalts zu gewährleisten".

1 Vgl. oben zu Fußnote 5 auf S. 120.

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