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(Aus dem Kaiser Wilhelm-Institut fiir Genealogie und Demographie der Deutschen Forsehungsanstalt ftir Psychiatrie in Miinehen.) Zur Aitersberiieksiehtigung bei Berechnung der Gefiihrdungsziffern. Von Bruno Schulz, Assistent des Instituts. ( Eingegangen am 19. Dezember 1941.) Vielfach will man bei erbbiologisehen Untersuehungen aus der Anzahl der offenbar an einem bestimmten Leiden Erkrankten, die man unter einer Gruppe von (teils lebenden, teils verstorbenen) Personen festgestellt hat, auf die Anzahl derjenigen Personen in dieser Gruppe schlieBen, die, wenn sie ein hSheres Lebensalter erreicht h~tten oder noch erreiehen werden, ebenfalls an diesem Leiden erkrankt w~ren bzw. erkranken wiirden. Man wird also aus der gefundenen Anzahl der offenbar Kranken nicht einfaeh ihre prozentuale H~ufigkeit, sondern, unter rechneHscher Aus- schaltung des Umstandes, dab nicht alle Personen das fiir den Ausbruch des Leidens in Frage kommende Alter durchlebt haben, die Ziffer der Erkrankungswahrseheinliehkeit bzw. die Gef~hrdungsziffer fiir das be- treffende Leiden in der untersuchten Personengruppe zu gewinnen suchen, eine Ziffer, die dann, wenn es sich um tin Leiden von unbedingter Manifestationswahrscheinlichkeit handelt, der der H~ufigkeit der An- lagetr~ger entspricht. Die erforderliche rechnerische Aussehaltung kann dabei auf ver- schiedene Weise vorgenommen werden. :Bei einem Teil der dafiir an- gegebenen Verfahren, so bei dem etwas groben ,,abgekiirzten Verfahren" Weinbergs und bei dem genaueren Str6mgrens 1 ist das Grundprinzip das, dab man die ,Bezugsziffer" verkleinert, d.h., dab man die gefundene Anzahl der Kranken nicht zu der Anzahl aller Personen der untersuchten Gruppe in Beziehung setzt, sondern zu einer niedrigeren Zahl, der sog. korrigierten Bezugsziffer, die man dadurch gewinnt, dab man jede Person nur dann als voll z~hlt, wenn sie das Gef~thrdungsalter fiir die betreffende Krankheit voll durchlebt hat, w~hrend man sie im anderen Falle nur mit einem entsprechenden Bruchteil in die Rechnung einsetzt. Bei beiden Verfahren werden die Kranken, insofern sie zu der korrigierten Bezugsziffer in Beziehung gesetzt werden, stets als voll gerechnet, also aueh dann, wenn sie das Gefi~hrdungsalter nieht v511ig durehlebt haben. Bei Bildung der korrigierten Bezugsziffer jedoch werden (falls nicht be- sondere Verh~ltnisse vorliegen, auf die im letzten Absatz dieser Dar- 1 Siehe Str6mgren: Z. Neur. 153, 784 (1935).

Zur Altersberücksichtigung bei Berechnung der Gefährdungsziffern

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Page 1: Zur Altersberücksichtigung bei Berechnung der Gefährdungsziffern

(Aus dem Kaiser Wilhelm-Institut fiir Genealogie und Demographie der Deutschen Forsehungsanstalt ftir Psychiatrie in Miinehen.)

Zur Aitersberiieksiehtigung bei Berechnung der Gefiihrdungsziffern.

Von

Bruno Schulz, Assistent des Instituts.

( Eingegangen am 19. Dezember 1941.)

Vielfach will man bei erbbiologisehen Untersuehungen aus der Anzahl der offenbar an einem bestimmten Leiden Erkrankten, die man unter einer Gruppe von (teils lebenden, teils verstorbenen) Personen festgestellt hat, auf die Anzahl derjenigen Personen in dieser Gruppe schlieBen, die, wenn sie ein hSheres Lebensalter erreicht h~tten oder noch erreiehen werden, ebenfalls an diesem Leiden erkrankt w~ren bzw. erkranken wiirden. Man wird also aus der gefundenen Anzahl der offenbar Kranken nicht einfaeh ihre prozentuale H~ufigkeit, sondern, unter rechneHscher Aus- schaltung des Umstandes, dab nicht alle Personen das fiir den Ausbruch des Leidens in Frage kommende Alter durchlebt haben, die Ziffer der Erkrankungswahrseheinliehkeit bzw. die Gef~hrdungsziffer fiir das be- treffende Leiden in der untersuchten Personengruppe zu gewinnen suchen, eine Ziffer, die dann, wenn es sich um tin Leiden von unbedingter Manifestationswahrscheinlichkeit handelt, der der H~ufigkeit der An- lagetr~ger entspricht.

Die erforderliche rechnerische Aussehaltung kann dabei auf ver- schiedene Weise vorgenommen werden. :Bei einem Teil der dafiir an- gegebenen Verfahren, so bei dem etwas groben ,,abgekiirzten Verfahren" Weinbergs und bei dem genaueren Str6mgrens 1 ist das Grundprinzip das, dab man die ,Bezugsziffer" verkleinert, d .h . , dab man die gefundene Anzahl der Kranken nicht zu der Anzahl aller Personen der untersuchten Gruppe in Beziehung setzt, sondern zu einer niedrigeren Zahl, der sog. korrigierten Bezugsziffer, die man dadurch gewinnt, dab man jede Person nur dann als voll z~hlt, wenn sie das Gef~thrdungsalter fiir die betreffende Krankheit voll durchlebt hat, w~hrend man sie im anderen Falle nur mit einem entsprechenden Bruchteil in die Rechnung einsetzt. Bei beiden Verfahren werden die Kranken, insofern sie zu der korrigierten Bezugsziffer in Beziehung gesetzt werden, stets als voll gerechnet, also aueh dann, wenn sie das Gefi~hrdungsalter nieht v511ig durehlebt haben. Bei Bildung der korrigierten Bezugsziffer jedoch werden (falls nicht be- sondere Verh~ltnisse vorliegen, auf die im letzten Absatz dieser Dar-

1 Siehe Str6mgren: Z. Neur. 153, 784 (1935).

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stellung kurz eingegangen sei) alle Personen, also auch die Kranken, nur nach MaBgabe ihres Lebensalters in Rechnung gesetzt.

Nun wurde mir gegeniiber schon mehrfach die Vermutung aus- gesprochen, auch bei Bildung der korrigierten Bezugsziffer miiBten die Kranken doch in jedem Falle voll in Rechnung gesetzt werden, da sie, auch wenn sie die Gef~hrdungszeit noch nicht durchlebt h~tten, doch voll auf das Befallenwerden oder Freibleiben yon der Krankheit beobach- tet seien. DaB ich diese Ansieht nicht ffir richtig halte, habe ich schon an frfiherer Stelle 1 zum Ausdruck gebracht. Doch haben meine damaligen Ausfiihrungen anscheinend nicht vSllig iiberzeugt. Wenigstens schrieb erst kfirzlich Ma~er ~, nachdem er zuns die (meines Erachtens also nicht stichhaltigen) Griinde angefiihrt hatte, die fiir ihn bestimmend gewesen waren, die Kranken auch bei Bildung der korrigierten Bezugs- ziffer stets roll zu rechnen, und nachdem er im AnschluB daran erwghnt hatte, dab er yon meiner soeben angefiihrten abweichenden AuBerung erst nach Fertigstellung seiner Arbeit Kenntnis erhalten habe, er mSchte yon einer endgiiltigen Stellungnahme zu dem Problem absehen. Viel- leicht lgBt sich aber doch noch iiberzeugender, als ich dies in der vorhin genannten Arbeit getan habe, darlegen, dab - - wenigstens grunds~tz- lich - - bei Bfldung der korrigierten Bezugsziffer auch die Kranken nut entsprechend ihrem Alter in Rechnung zu setzen sind, mad es erscheint mir nicht iiberfliissig, es im folgenden zu versuchen. Denn wenn die Frage auch dann, wenn sich in der zu untersuchenden Personengruppe nur verh~ltnismgBig wenig Befallene finden, nut yon geringer praktischer Bedeutung ist, steigt diese doch mit der zunehmenden (prozentualen) H~ufigkeit der Befallenen st~ndig an.

Die iibrigens keineswegs neuen, sondern z. B. auch yon Curtius ~bei der Beschreibung der yon I lse angegebenen Methode der Alterskorrektur er- wghnten l~berlegungen seien an Hand eines mSglichst einfaehen erdach- ten Beispiels geschildert. Der Ausbruch eines Leidens mSge innerhalb einer Spanne yon 4 Lebensjahrzehnten erfolgen kSnnen (etwa vom 1. bis zum 4. Jahrzehnt) und in jedem dieser Jahrzehnte mit gleicher tt~ufigkeit erfolgen. Es werde der Einfachheit halber angenommen, dal~ alle Anlagetrs (und nut solche) am Ende des 4. Jahrzehnts aueh often- bar erkrankt sin& Wird dann die H/ilfte aller Personen einer unter- suchten Gruppe, die das 4. Jahrzehnt durchlebt haben, erkrankt sein, so wird unter denjenigen Personen, die erst am Ende des 1. Lebensjahr- zehnts stehen, die Zahl der Anlagetr/~ger natiirlieh ebenfalls die HMfte aller Personen dieser Altersgruppe betragen, offenbar erkrankt wird jedoeh erst der vierte Teil der Anlagetr/~ger, also 1/s der Gesamtheit der

i Svhulz: Z. Neur. 168, 337 (1940). - - ~ Majer: Z. Neur. 172, 747 (1941). a Curtius: Multiple Sklerose und Erbanlage, S. 68--70. Leipzig 1933. (DaB das I/se-Verfahren dem yon StrSragren nicht gleichwcrtig ist, ergibt sich aus einem Vergleieh beider Verfahren ohnc wciteres.)

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Zur Altersberiicksichtigung bei Berechnung der Gef/ihrdungsziffern. 137

betreffenden Altersgruppe, sein. In der naehfolgenden Tabelle 1 sind diese VerhMtnisse fiir den Fall dargestellt, dab insgesamt 32 Personen zu untersuchen waren, von denen je 8 am Ende des 1., 2., 3. und 4. Lebens- jahrzehnts stehen.

Tabel le 1.

Beobaehtete Personen . . . . . . . . Anlagetr/iger . . . . . . . . . . . . Offenbar Erkrankte . . . . . . . . .

Lebensjahrzent

1. 2. [ 3.

S 8 I 8 4 4 I 4 1 2 i 3

4.

Tatsi~chlich werden die untersuchten Personen kaum jemals alle am Ende eines Jahrzehnts stehen, sondern sich fiber dieses verteilen. ])as ist in der Praxis natfirlich zu beriicksichtigen l, fiir die hier behandelte Frage jedoch belanglos und daher, um die Darstellung nicht unnStig zu komplizieren, auller acht gelassen. 0"berhaupt ist ja die Anwendung des Weinberg- wie des Str6mgren-Verfahrens nicht etwa aus dem Vorliegenden ersichtlich.

Bei Bildung der korrigierten Bezugsziffer z/ihlt man nun die 8 Per- sonen des 1. Jahrzehnts , als nu t 1/4 der Gefiihrdungszeit beobachtet , auch nur zu 1/4 , die des 2. Jahrzehnts zu 2/4 usw. Es liefern uns somit alle 32 untersuchten Personen eine korrigierte Bezugsziffer yon 20, und auf sie bezogen ergeben die 10 (n/imlich 1 + 2 + 3 + 4 ) offenbar Erkrank ten der Tabelle eine Gef/ihrdungsziffer yon 50%. Das Ergebnis entspricht der Voraussetzung, dab unter den 8 Personen jeder Altersklasse jeweils die H/ilfte Anlagetr/iger sind.

Wir erkennen aber aus der Tabelle gleichfalls: Unter der Voraus- setzung, dab die Gef/ihrdungszeit 4 Jahrzehnte umfall t und (let Aus- bruch des Leidens sich gleichm/illig iiber diese Spanne verteilt, darf von den 4 Anlagetriigern, die noch am Ende des 1. Jahrzehnts stehen, nur einer offenbar erkrankt sein. Will man allein unter Bet rachtung der 8 l%rsonen des 1. Lebensjahrzehnts aus der Anzahl der offenbar Er- k rankten auf die Anzahl der Anlagetr/iger schliellen, so ist also nStig, die offenbar Erkrank ten dieses Lebensalters mit 4 zu multiplizieren. Auch lassen sich nur so unter den am Ende des 1. Lebensjahrzehnts stehenden Personen, wenn mah ihre Anzahl nicht nach MaBgabe ihres Alters korri- giert, sondern sie alle als voll z/~hlt, 50% Anlagetr/iger errechnen. Nun kann man jedoch auch - - und dieser Weg wird bei Bildung der korrigierten Bezugsziffer eingeschlagen - - ans ta t t die Anzahl der offenbar Erkrank ten mit 4 zu multiplizieren, sie unveriindert lassen und s ta t t dessen die Ge- samthei t d e r n u r das 1. J ah rzehn t hindurch beobachteten Personen durch 4 dividieren.

Die Anzahl der offenbar Erkrankten des 2., 3. bzw. 4. Jahrzehnts ist dem- gem/ill mit 4/v 4/a bzw. 4/4 zu multiplizieren oder es ist statt dessen die Gesamtzahl

1 N/iheres siehe z. B. Schulz: Methodik der medizinischen Erbforschung, S. 78 letzter Absatz. Leipzig 1936.

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138 Bruno Schulz: Zur Berechnung der Gefi~hrdungsziffern.

der jeweils 8 bis zum Ende der betreffenden Jahrzehnte Beobachteten durch (lie genannten Werte zu dividieren.

Es leuchtet aber ein, daft das der Multiplikation der Anzahl der oHenbar Erkrankten entsprechende Ergebnis nur dann dutch eine start dessen vor. genommene Division der Gesamtheit der Beobachteten erreicht wird, wenn auch die Kranken innerhalb dieser Gesamtheit mit in die Division einbezogen werden.

Ich ftihlte mich zu diesen Ausfiihrungen um so eher veranlal3t, als ich es ffir mSglich halte, dab gerade meine Art der Darstellung des Weinbergschen abgekfirzten Verfahrens 1 zu der hier behandelten irrtfimlichen Auffassung fiber das Vorgehen bei der Bildung der korrigierten Bezugsziffer beitragen, ja vielleicht sogar schon beigetragen haben kSnnte. Ich schrieb dort u. a., man sage bei jenem Verfahren, dab nur die jenseits der Gef~hrdungszeit stehenden Personen uns eine volle Aus- sag(, fiber ihr Freibleiben oder Befallensein yon dem Leiden gestatteten; darum setze man auch nur sie (bei Bildung der Bezugsziffer) voll in Rechnung. Dieser Satz ist nicht eben glficklich formuliert, so daft man vielleicht zun~chst vermuten kSnnte, er bedfirfe einer Erg~nzung, dahingehend, daft das gleiche auch fiir die noch im Gef~hrdungsalter stehenden Erkrankten gelte. Doch kann, auch wenn nieht zu Beginn des betreffenden Abschnittes (S. 75) zum Ausdruek gebracht worden w~re, dab daselbst die Art der Altersberficksichtigung bei Berechnung der H~tufigkeit bestimmter Merkmalstr~ger geschildert werden solle, sein Sinn kein anderer als der sein, daf nur die jenseits der Gef~hrdungszeit stehenden Personen in ,ihrer Gesamtheit (und sie als einzige Gruppe) uns ohne weiteres eine volle, vom Altersaufbau unabh~tngige Aussage i~ber die Hiiu/igkeit der Befallenen bzw. Frei- gebliebenen unter ihnen gestatten. Die noch in der Gef~hrdungszeit stehende Gruppe gestattet eine solche Aussage noch nicht, auch wenn einzelne Mitglieder dieser Gruppe bereits erkrankt sind. (Und zwar muB, statistisch gesehen, ein noch in der Gef~hrdungszeit stehender Kranker mehr ins Gewicht fallen als ein Kranker, der die volle Gef~hrdungszeit durchlebt hat; das aber l~Bt sich am besten dadurch erreichen, dab man bei Berechnung der vom Alter unabh~ngigen Erkrankungs- hi~ufigkeit bzw. der Erkrankungswahrscheinlichkeit die Bezugsziffer bei der noch in der Gefi~hrdungszeit stehenden Gruppe bzw. bei jedem einzelnen ihrer - - frei- gebliebenen wie erkrankten - - Mitglieder entsprechend verkleinert.)

Wie bereits angedeutet , kam es hier nu r darauf an, zu zeigen, da[~ Kranke bei Bi ldung der korrigierten Bezugsziffer grunds~tzlich stets nu r entsprechend ihrem Alter in Rechnung zu setzen sind. Da~ besondere Umst~nde vorliegen kSnnen, bei denen anders zu verfahren ist, wird davon nicht berfihrt. Nu r kurz sei hier bemerkt , da[~ die erhShte Sterb- lichkeit offenbar Erk rank te r ein solcher U m s t a n d sein kann . Inwiefern sie sich berficksichtigen l ~ t , wurde in meiner oben angefi ihrten Arbei t (1940), sowie genauer in einer neueren VerSffentlichung Str6mgrens 2 be- sprochen. ~br igens sei bei dieser Gelegenheit auch auf die Ausffihrungen Kollers 3, sowie auf die yon M. P. Geppert 4 fiber die Al terskorrektur hin- gewiesen.

1 Schulz: 1. c. 1936,. 7ft. - - 2 Str6~ren: Erbarzt 8, 205 (1940). - - 3 KoUer: Methodik der menschlichen Erbforschung. In: Handbuch der Erbbiologie des Menchen, herausgeg, yon Just, Bd. II, S. 251--261. Berlin 1940. - - 4 Geppert, M~lria-Pia: Arch. mathem. Wirtsch. u. Sozialforseh. 6, 80 (1940).