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Handreichung Berechnung von Kernbindungsenergien und Reaktionsenergien bei Kernumwandlungen unter Verwendung von Atommassen 09. September 2012 Thomas Ondak Otmar Schuldes

Handreichung zur Berechnung von Kernbindungsenergien und

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Handreichung Berechnung von Kernbindungsenergien und Reaktionsenergien bei Kernumwandlungen unter Verwendung von Atommassen

09. September 2012 Thomas Ondak

Otmar Schuldes

Thomas Ondak Fachmitarbeiter für Physik beim Ministerialbeauftragten

für Berufliche Oberschulen in Südbayern www.bfbn.de

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Berufliche Oberschule Augsburg Alter Postweg 86 a 86159 Augsburg

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II

Inhaltsverzeichnis

Einführung .................................................................................................................................................................... 1

1 Berechnung von Kernbindungsenergien aus Atommassen .............................................................. 2

2 Berechnung von Reaktionsenergien bei natürlichen radioaktiven Zerfällen ............................ 4

2.1 -Zerfall ........................................................................................................................................................ 5

2.2 −-Zerfall ...................................................................................................................................................... 6

2.3 +-Zerfall ...................................................................................................................................................... 8

2.4 Elektroneneinfang (EC) .......................................................................................................................... 9

3 Berechnung von Reaktionsenergien bei künstlich (durch Beschuss) angeregten Kernumwandlungen ....................................................................................................................................... 11

Quellenverzeichnis .................................................................................................................................................. 14

Abbildungsnachweis ............................................................................................................................................... 14

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1

Einführung

Nach der speziellen Relativitätstheorie sind die Gesamtenergie E eines Systems und die (dynamische) Masse des Systems äquivalente Größen. Der Masse ist die Energie E mit

E = ⋅ 2 zugeordnet, wobei der Betrag der Vakuumlichtgeschwindigkeit ist. Aufgrund dieser Masse-Energie-Äquivalenz ist jede Änderung ΔE der Gesamtenergie E des Systems mit einer

Änderung Δ der Masse des Systems verbunden und umgekehrt. Es gilt: ΔE = Δ ⋅ 2

Mithilfe der oben vorgestellten Beziehungen lassen sich die Bindungsenergien von Atomker-nen und die Reaktionsenergien bei Kernumwandlungen ermitteln. Derartige Berechnungen sind mit Kern- oder Atommassen durchführbar. Dass es sehr oft physikalisch näher liegt, Atommassen zu verwenden, soll im Folgenden begründet werden.

Atommassen lassen sich im Gegensatz zu den meisten Kernmassen experimentell sehr präzise bestimmen. Mit einem Massenspektrometer wird die Masse Ion einfach positiv geladener Ionen des betreffenden Isotops mit sehr hoher Genauigkeit bestimmt. Die Atommasse A ergibt sich dann aus der Ruhemasse eines Elektrons, der bekannten Ionisierungs-

energie EIon und dem Betrag der Vakuumlichtgeschwindigkeit: A = Ion + − EIon/ 2

Bei bekannter Masse A eines Atoms der Ordnungszahl Z lässt sich die Kernmasse K mit der

Formel K = A – Z⋅ + E / 2 berechnen, wobei Z⋅ die Summe der Ruhemassen der

Z Elektronen, die in der Atomhülle gebunden sind, und E die gesamte Bindungsenergie der

Elektronenhülle (d. h. die Energie, die erforderlich ist, um alle Z Elektronen aus der Hülle ab-zulösen) ist. Da diese Bindungsenergie bei mittelschweren und schweren Elementen aber kaum experimentell bestimmt werden kann, ist man auf theoretische Abschätzungen ange-wiesen. Einen guten Näherungswert für die Bindungsenergie E der Elektronenhülle kann man mithilfe des Thomas-Fermi-Atommodells berechnen. Nach diesem Modell gilt:

E ≈ 15,73 eV ⋅ Z7/3

Ein weiteres Argument für die Verwendung von Atommassen ist, dass (mit Ausnahme der sehr leichten Kerne) Atomkerne stets von einer Elektronenhülle umgeben sind. Bloße Atom-kerne treten nur bei sehr hohen Temperaturen (z. B. Plasma) oder in Schwerionenbeschleu-nigern auf. Somit ist es bei Energiebilanzen sinnvoll, als System das gesamte Atom, d. h. Atom-kern und Elektronenhülle, zu betrachten. Bei der Verwendung von Kernmassen wird die bei einer Reaktion auftretende Änderung der Bindungsenergie der Elektronenhülle nicht berück-

sichtigt. Dies kann zu Fehleinschätzungen führen. Beispielsweise ist der −-Zerfall von Rheni-um zu Osmium nach Rechnung mit Kernmassen nicht möglich (siehe Kapitel 2.2, Beispiel 2).

Tatsächlich zerfallen aber Atome des Nuklids 75

187Re zu 76

187Os-Atomen, da dabei eine energetisch

günstigere Konfiguration der Elektronenhülle erreicht wird.

In einigen Lehrbüchern und Tabellenwerken wird unter Vernachlässigung der Bindungsener-gie E eine sogenannte „Nuklidmasse“ N = A – Z⋅ eingeführt, die dann oft sogar als Syno-

nym für Kernmasse steht. Die Tatsache, dass sich bei einer üblichen Genauigkeit von

10−6 u bzw. 10−7 u bereits deutliche Unterschiede zwischen Kern- und „Nuklidmassen“ erge-ben, wird jedoch oft unterschlagen. Der scheinbare Vorteil der „Nuklidmassen“ ist, dass man

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damit die Energiebilanz einer Kernumwandlung oder Kernreaktion so erstellen kann, als sei keine Elektronenhülle vorhanden, und dennoch das Ergebnis exakt mit dem Wert überein-stimmt, den man unter Verwendung von Atommassen erhalten würde1. Auch dieser Hinweis wird meistens nicht gegeben. Da „Nuklidmassen“ letztlich nur bequeme Hilfsgrößen sind, die ein tiefergehendes physikalisches Verständnis erschweren, sollte – wie auch in dieser Hand-reichung – auf ihre Verwendung gänzlich verzichtet werden.

Im Folgenden wird an Beispielen erläutert, wie Bindungsenergien von Atomkernen und Reak-tionsenergien bei Kernumwandlungen unter Verwendung von Atommassen berechnet wer-den. Wie Beispiele zeigen werden, kann die Bindungsenergie der Elektronenhülle in bestimm-ten Fällen vernachlässigt werden. Im Folgenden wird stets von Ruhemassen ausgegangen. Die Atommasse wird mit A, die Kernmasse mit K, die Masse eines Protons mit , die Masse eines Neutrons mit und die Masse eines Elektrons mit bezeichnet. Alle Konstanten und

Atommassen sind der Datenbank des National Institut of Standards and Technology2 entnom-

men. Die verwendeten Kernmassen wurden mit der Formel K = A – Z⋅ + E / 2 aus diesen

Atommassen berechnet.

1 Berechnung von Kernbindungsenergien aus Atommassen

Verbinden sich zwei oder mehr Nukleonen zu einem Atomkern, so ist die Masse K des ent-

stehenden Kerns stets kleiner als die Summe der Massen seiner Z Protonen und N Neutronen. Die Differenz B = (Z⋅ + N⋅ ) − K bezeichnet man als Massendefekt des Atomkerns. Unter der Bindungsenergie EB eines Atomkerns versteht man diejenige Energie, die freigesetzt wird,

wenn Z Protonen und N Neutronen zu einem Kern fusionieren. Der Kern besteht dann aus A Nukleonen: A = Z + N

Zwischen der Kern- und der Atommasse eines Nuklids ZAX besteht der Zusammenhang:

K(ZAX) = A(Z

AX) – Z⋅ + E / 2

Damit lässt sich der Massendefekt B des Kerns und die Kernbindungsenergie EB aus Atom-massen berechnen:

B = Z⋅ + N⋅ − K(ZAX)

B = Z⋅ + (A – Z)⋅ – [ A(ZAX) – Z⋅ + E /

2]

B = Z⋅( + ) + (A – Z)⋅ − A(ZAX) − E /

2

B = Z⋅( + – 13,6 eV/ 2) + Z⋅13,6 eV/ 2 + (A – Z)⋅ − A(ZAX) − E /

2

B = [Z⋅ A(11H) + (A – Z)⋅ − A(Z

AX)] − E − Z⋅13,6 eV

2

EB = B⋅ 2 = [Z⋅ A(11H) + (A – Z)⋅ − A(Z

AX)]⋅ 2 − [E − Z⋅13,6 eV]

1 Bei Berechnungen mit Nuklidmassen wird die Masse der Hüllenelektronen nicht mehr berücksichtigt, wohl aber die Bindungsenergie der Elektronenhülle. Beachte: N = A – Z⋅ = K − E / ² 2 Siehe Quelle [7].

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Für die Kernbindungsenergie pro Nukleon gilt dann:

EB

A = [Z⋅ A(1

1H) + (A – Z)⋅ − A(ZAX)]⋅ 2

A − E − Z⋅13,6 eV

A

In Abb. 1.1 ist der Graph zum Term EB

*

A := [Z⋅ A(1

1H) + (A – Z)⋅ − A(ZAX)]⋅ 2

A und in Abb. 1.2

der Graph zum Korrekturterm E − Z⋅13,6 eV

A für A ≥ 0 dargestellt (E = 15,73 eV ⋅ Z7/3).

Abb. 1.1 Abb. 1.2

Wie man den beiden Abbildungen entnehmen kann, liegt EB

*/A für die meisten Nuklide über 5 MeV, der Korrekturterm [E – Z⋅13,6 eV]/A ist stets kleiner als 4 keV und kann somit in guter Näherung vernachlässigt werden (die relative Abweichung beträgt dann weniger als 0,08%):

EB

A ≈ [Z⋅ A(1

1H) + (A – Z)⋅ − A(ZAX)]⋅ 2

A

Berechnung des Massendefekts B eines Kerns und der Kernbindungsenergie EB aus Atommassen:

Massendefekt des Kerns: B = Z⋅ A(11H) + (A – Z)⋅ − A(Z

AX)

Kernbindungsenergie: EB = [Z⋅ A(11H) + (A – Z)⋅ − A(Z

AX)]⋅ 2

Die Berechnung des Massendefekts B des Kerns und dessen Bindungsenergie EB erfolgt mit

der Masse von 11H-Atomen, der Masse von Neutronen und der Masse des Z

AX-Atoms.

Bemerkung

Die Gesamtmasse von Z Elektronen ist sowohl in Z⋅ A(11H) als auch in A(Z

AX) enthalten und nimmt somit keinen

Einfluss auf die Ergebnisse für B und EB. Da die der Bindungsenergie der Elektronenhülle äquivalente Masse

nicht berücksichtigt wird, verbleibt eine Ungenauigkeit, die allerdings vernachlässigbar klein ist (siehe oben).

0

1

2

3

4

5

6

7

8

9

0 50 100 150 200 250 300

E B* /

A i

n M

eV

A

0

1

2

3

4

0 50 100 150 200 250 300

[ E b

- Z

13

,6 e

V]/

A i

n k

eV

A

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4

Beispiel: Massendefekt B und Bindungsenergie EB des 6 12C-Atomkerns

B = 6⋅ A(11H) + 6⋅ − A(6

12C) = 6⋅1,007 825 032 u + 6⋅1,008 664 916 u – 12,000 000 000 u = 0,098 939 688 u

EB = B⋅ 2 = 0,098 939 688 u⋅ 931,49 MeVu = 92,161 MeV

Die mittlere Bindungsenergie pro Nukleon beträgt 7,680 MeV. Bemerkung

Unter Berücksichtigung der Elektronenbindungsenergien (im Grundzustand) des Wasserstoffatoms (13,6 eV) und des Kohlenstoffatoms (E = 1,04 keV 3) ergibt sich:

B = 0,098 939 688 u – 1,04⋅10

3 eV − 6⋅13,6 eV

931,49⋅106 eV

u = 0,098 938 659 u

EB = 0,098 938 659 u ⋅ 931,49 MeV

u = 92,160 MeV

Auch in diesem Fall hat die mittlere Bindungsenergie pro Nukleon den Wert 7,680 MeV.

2 Berechnung von Reaktionsenergien bei natürlichen radioaktiven Zerfällen

Ein Mutteratom X zerfällt unter Aussendung eines Teilchens in das Tochteratom Y. Die Reaktionsgleichung hierfür lautet: X → Y + Bei einem solchen radioaktiven Zerfall tritt ein Massendefekt Δ auf:

Δ = (X) – [ (Y) + ( )]

Die diesem Massendefekt äquivalente Energie wird freigesetzt. Diese freigesetzte Energie (Reaktionsenergie) wird auch als Q-Wert des Zerfalls bezeichnet4. Es gilt:

Q = Δ ⋅ 2 = [ (X) − (Y) − ( )]⋅ 2

In den folgenden Beispielen werden die Q-Werte verschiedener radioaktiver Zerfälle aus Atommassen berechnet. Emittierte oder eingefangene Elektronen sind dadurch berücksich-tigt. Der so berechnete Q-Wert enthält die gesamte frei werdende Energie, bis die Reaktions-produkte im nuklearen und atomaren Grundzustand vorliegen.

Nur der +-Zerfall stellt eine Ausnahme dar, auf die in Kapitel 2.3 eingegangen wird.

3 Siehe Quelle [6]. 4 Der Q-Wert beinhaltet z. B. auch Anregungsenergie und Rückstoßenergie. Somit ist er nicht mit der emittierten Energie gleichzusetzen.

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2.1 -Zerfall

Den Kern eines neutralen Mutteratoms ZAX verlassen zwei Protonen und zwei Neutronen, die

zusammen ein -Teilchen, d. h. einen 24He-Kern bzw. ein 2

4He2+-Ion, bilden. Dabei wandelt sich

das Mutteratom in ein zweifach negativ geladenes Tochterion Z − 2A − 4Y 2− um.

Die Reaktionsgleichung lautet: ZAX → Z − 2

A − 4Y 2− + 24He2+

Für die Reaktionsenergie Q gilt: Q = [ A(ZAX) – (Z − 2

A − 4Y 2−) − (24He2+)]⋅ 2

Die Energien, die zur Ablösung der beiden überschüssigen Elektronen des Tochterions erfor-derlich sind, liegen im Bereich einiger Elektronenvolt und können vernachlässigt werden. Für

die Masse des Tochterions Z − 2A − 4Y 2− gilt in sehr guter Näherung:

(Z − 2A − 4

Y 2−

) = A(Z − 2A − 4

Y) + 2⋅

Rechnet man die Gesamtmasse der beiden Elektronen der Masse des 24He2+-Ions zu, erhält man

nahezu die Masse eines neutralen Helium-Atoms:

(24He2+) + 2⋅ = A(2

4He)

Die Bindungsenergie E der beiden Elektronen in der Atomhülle wird vernachlässigt, da sie bei nur 79 eV 5 liegt. Mit den obigen Näherungen kann die Reaktionsenergie Q aus Atommassen berechnet werden:

Q = [ A(ZAX) – A(Z − 2

A − 4Y) − A(24He)]⋅ 2

Im Prinzip kann in der Reaktionsgleichung auf die Kennzeichnung der Ladungszustände ver-zichtet werden, so dass der Kernprozess in den Vordergrund gestellt wird.

Berechnung der Reaktionsenergie Q beim -Zerfall aus Atommassen:

Reaktionsgleichung: ZAX → Z − 2

A − 4Y + 24He

Reaktionsenergie: Q = [ A(ZAX) – A(Z − 2

A − 4Y) − A(24He)]⋅ 2

Beispiel: -Zerfall von 88226Ra

Bei 94% aller -Zerfälle von 88226Ra-Kernen entstehen 86

222Rn-Kerne im Grundzustand. Die expe-rimentell bestimmte gesamte Zerfallsenergie (Q-Wert) beträgt (4,870 63 ± 0,000 25) MeV 6.

Reaktionsgleichung: 88226Ra → 86

222Rn + 24He

Die Reaktionsenergie wird – wie oben erläutert – aus Atommassen berechnet. Zum Vergleich wird auch das Vorgehen bei Verwendung von Kernmassen dargestellt.

5 Siehe Quelle [6]. Das Thomas-Fermi-Atommodell liefert in sehr guter Übereinstimmung E = 79,27 eV. 6 Siehe Quelle [9], S. 195 f.

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Atommassen Kernmassen

Q = [ A( 88226Ra) − A( 86

222Rn) – A(24He)]⋅ 2

= [226,025 410 u – 222,017 578 u −

− 4,002 603 u]⋅ 2

= 0,005 229 u ⋅ 931,49 MeVu

= 4,871 MeV

QK = K( 88226Ra) – K( 86

222Rn) – K(24He)]⋅ 2

= [225,977 717 u − 221,970 951 u

– 4,001 506 u]⋅ 2

= 0,005 260 u ⋅ 931,49 MeVu

= 4,900 MeV

Wie diese Gegenüberstellung zeigt, stimmt der aus Atommassen berechnete Q-Wert sehr gut mit dem experimentellen Wert überein, während der aus Kernmassen berechnete QK-Wert

deutlich darüber liegt. Der Grund hierfür ist, dass bei Verwendung der Kernmassen der Ener-giebetrag vernachlässigt wird, der erforderlich ist, die Elektronenhülle der Atome in den schwächer gebundenen Zustand zu überführen:

Q = [ A( 88226Ra) − A( 86

222Rn) – A(24He)]⋅ 2

=

K( 88226Ra) + 88⋅ –

E (88)

2 − K( 86222Rn) – 86⋅ +

E (86)

2 – K(24He) – 2⋅ +

E (2)

2 ⋅ 2

= [ K( 88226Ra) – K( 86

222Rn) – K(24He)]⋅ 2 − [E (88) – E (86) – E (2)]

= QK − [E (88) – E (86) – E (2)] ≈ QK – [E (88) – E (86)]

Nach dem Thomas-Fermi-Atommodell gilt für die Bindungsenergie der Elektronenhülle des Radiumatoms E (88) ≈ 0,542 MeV und die des Radonatoms E (86) ≈ 0,514 MeV. Es ist also ein Energiebetrag von E (88) − E (86) ≈ 28 keV erforderlich, die Elektronenhülle in den neuen Zustand zu überführen (wegen E (2) = 79 eV ≪ 28 keV wurde E (2) vernachlässigt). Die Ener-

gie 28 keV muss bei der Berechnung mit Kernmassen zusätzlich berücksichtigt werden, um das richtige Ergebnis zu erhalten: QK – 0,028 MeV = 4,900 MeV – 0,028 MeV = 4,782 MeV ≈ Q

2.2 −-Zerfall

Im Kern eines neutralen Mutteratoms ZAX zerfällt ein Neutron 0

1 in ein Proton 11 , ein

Elektron −10 (auch −-Teilchen) und ein Antineutrino 0

0 . Das Proton verbleibt im Kern, das Elektron und das Antineutrino werden emittiert. Dabei wandelt sich das Mutteratom in ein

einfach positiv geladenes Tochterion Z + 1 AY + um (der Kern gewinnt ein zusätzliches Proton, die

Elektronenhülle bleibt zunächst unverändert).

Die Reaktionsgleichung lautet: ZAX → Z + 1

AY + + −10 − + 0

0

Da das Antineutrino keine oder nur eine sehr kleine Ruhemasse besitzt, gilt für die Reaktions-energie Q:

Q = [ A(ZAX) – ( (Z + 1

AY +) + )]⋅ 2

Die Bindungsenergie des äußersten Elektrons beträgt nur einige Elektronenvolt und kann daher vernachlässigt werden. Somit ist die Summe aus der Masse des Tochterions und der

Masse des Elektrons in guter Näherung gleich der Masse eines neutralen Tochteratoms Z + 1 AY :

(Z + 1 AY +) + = A(Z + 1

AY)

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Mit dieser Näherung kann die Reaktionsenergie Q aus Atommassen berechnet werden:

Q = [ A(ZAX) – A(Z + 1

AY)]⋅ 2

Dieser Q-Wert ist die größtmögliche kinetische Energie des emittierten Elektrons.

Berechnung der Reaktionsenergie Q beim −-Zerfall aus Atommassen:

Reaktionsgleichung7: ZAX → Z + 1

AY + −10 + 0

0

Reaktionsenergie: Q = [ A(ZAX) – A(Z + 1

AY)]⋅ 2

Beispiel 1: −-Zerfall von 1532P

Bei −-Zerfällen von 15

32P-Kernen entstehen 16

32S-Kerne im Grundzustand. Experimentell be-

stimmt man für die maximale kinetische Energie der emittierten Elektronen den Wert (1,710 66 ± 0,000 21) MeV 8.

Reaktionsgleichung: 1532P → 16

32S + −10 + 0

0

Nachfolgend sind die aus Atommassen und die aus Kernmassen berechneten Reaktionsener-gien gegenübergestellt:

Atommassen Kernmassen

Q = [ A(1532P) − A(16

32S)]⋅ 2

= [31,973 907 u − 31,972 071 u]⋅ 2

= 0,001 836 u ⋅ 931,49 MeVu

= 1,710 MeV

QK = [ K(1532P) – K(16

32S) – ]⋅ 2

= [31,965 688 u − 31,963 305 u –

− 0,000 548 579 9 u]⋅ 2

= 0,001 834 |442 u ⋅ 931,49 MeVu

= 1,709 MeV

In beiden Fällen stimmt das berechnete Ergebnis sehr gut mit dem experimentellen Wert überein, allerdings ist bei der Berechnung unter Verwendung der Kernmassen die (sehr ge-ringe) Energie von ca. 1 keV, die beim Umbau der Elektronenhülle zusätzlich frei wird, nicht berücksichtigt:

Q = [ A(1532P) − A(16

32S)]⋅ 2

= [ K(1532P) + 15⋅ – E (15)/ 2 – K(16

32S) − 16⋅ + E (16)/ 2]⋅ 2

= [ K(1532P) – K(16

32S) − ]⋅ 2 + [E (16) − E (15)]

= QK + [E (16) − E (15)]

Thomas-Fermi-Atommodell: E (16) − E (15) ≈ 10 keV – 9 keV = 1 keV

7 Auf die Kennzeichnung des Ladungszustandes wird verzichtet, um den Kernprozess in den Vordergrund zu stellen. 8 Siehe Quelle [8], S. 35.

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8

Obwohl die beiden Berechnungen in Beispiel 1 auf denselben Q-Wert führen, zeigt das folgen-de Beispiel, dass die Verwendung von Kernmassen zu falschen Schlussfolgerungen führen kann, wenn sehr kleine Massenunterschiede auftreten.

Beispiel 2: −-Zerfall von 75187Re

Reaktionsgleichung: 75187Re → 76

187Os + −10 + 0

0

Atommassen Kernmassen

Q = [ A( 75187Re) − A( 76

187Os)]⋅ 2

= [186,955 753 u − 186,955 750 u]⋅ 2

= 0,000 003 u ⋅ 931,49 MeVu

= 3 keV

QK = [ K( 75187Re) − K( 76

187Os) − ]⋅ 2

= [186,915 010 u − 186,914 471 u −

− 0,000 548 579 9 u]⋅ 2 ≈ – 9 keV < 0

Nach der Rechnung mit Kernmassen ist dieser Zerfall nicht möglich. Im Mutteratom beträgt die gesamte (nach dem Thomas-Fermi-Atommodell berechnete) Bindungsenergie der Elekt-ronenhülle E (75) ≈ 0,373 MeV, im Tochteratom E (76) ≈ 0,385 MeV. Durch den Umbau der

Elektronenhülle wird eine zusätzliche Energie von rund 12 keV frei, die bei der Berechnung mit Kernmassen zu berücksichtigen ist9. Bei Verwendung von Atommassen wird diese Ände-rung der Bindungsenergie der Elektronenhülle berücksichtigt.

2.3 +-Zerfall

Im Kern eines neutralen Mutteratoms ZAX zerfällt ein Proton 1

1 in ein Neutron 01 , ein

Positron 10 ( +-Teilchen) und ein Neutrino 0

0 . Das Neutron verbleibt im Kern, das Positron und das Neutrino werden emittiert. Dabei wandelt sich das Mutteratom in ein einfach negativ

geladenes Tochterion Z − 1 AY − um (der Kern verliert ein Proton, die Elektronenhülle bleibt zu-

nächst unverändert).

Die Reaktionsgleichung lautet: ZAX → Z − 1

AY − + 10 + + 0

0

Das Neutrino besitzt keine oder nur eine vernachlässigbare kleine Ruhemasse. Das Positron ist das Antiteilchen des Elektrons und besitzt deshalb dieselbe Masse wie ein Elektron.

Somit gilt für die Reaktionsenergie Q:

Q = [ A(ZAX) – ( (Z − 1

AY −) + )]⋅ 2

Die Masse des einfach negativ geladenen Tochterions Z − 1 AY − kann in sehr guter Näherung

durch die Summe aus der Masse des Tochteratoms Z − 1 AY und der Masse eines Elektrons ersetzt

werden:

(Z − 1 AY −) = A(Z − 1

AY) +

Zusätzlich muss die Masse des emittierten Positrons berücksichtigt werden.

9 QK + 12 keV = – 9 keV + 12 keV = 3 keV = Q

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9

Insgesamt ergibt sich für die Reaktionsenergie beim +-Zerfall:

Q = [ A(ZAX) – A(Z − 1

AY) – 2⋅ ]⋅ 2

Der so berechnete Q-Wert ist die größtmögliche kinetische Energie des emittierten Positrons.

Berechnung der Reaktionsenergie Q beim +-Zerfall aus Atommassen:

Reaktionsgleichung10: ZAX → Z − 1

AY + 10 + 0

0

Reaktionsenergie: Q = [ A(ZAX) – A(Z − 1

AY) – 2⋅ ]⋅ 2

Beispiel: +-Zerfall von 713N

Bei 99,8% aller +-Zerfälle von 713N-Kernen entstehen 6

13C-Kerne im Grundzustand. Experimen-

tell bestimmt man für die maximale kinetische Energie der emittierten Positronen den Wert (1,198 45 ± 0,000 27) MeV 11.

Reaktionsgleichung: 713N → 6

13C + 10 + 0

0

Atommassen Kernmassen

Q = [ A( 713N) − A( 6

13C) – 2⋅ ]⋅ 2

= [13,005 739 u – 13,003 355 u –

− 2⋅0,000 548 579 9 u]⋅ 2

= 0,001 286 |84 u ⋅ 931,49 MeVu

= 1,199 MeV

QK = [ K( 713N) − K( 6

13C) – ]⋅ 2

= [13,001 901u − 13,000 065 u –

− 0,000 548 579 9 u]⋅ 2

= 0,001 287 |42 u ⋅ 931,49 MeVu

= 1,199 MeV

Die berechnete maximale kinetische Energie der Positronen von 1,199 MeV stimmt in beiden Fällen sehr gut mit dem experimentellen Wert überein.

Experimentell wird bestimmt, dass insgesamt eine Energie von (2,220 45 ± 0,000 27) MeV 10

frei wird. Diese ist um 1,022 MeV größer als der oben berechnete Q-Wert, da zusätzlich die Energie der Vernichtungsstrahlung12 berücksichtigt ist.

2.4 Elektroneneinfang (EC)

Eine weitere Möglichkeit für Atomkerne, einen Protonenüberschuss zu vermindern, ist der Einfang eines Elektrons aus einer der inneren Schalen durch den Atomkern (electron capture, Abk. EC).

Der Atomkern des Mutteratoms ZAX fängt (meist) aus der K-Schale der Atomhülle ein

Elektron −10 ein. Dieses Elektron und ein Proton 1

1 im Kern vereinigen sich zu einem

10 Auf die Kennzeichnung des Ladungszustandes wird verzichtet, um den Kernprozess in den Vordergrund zu stellen. 11 Siehe Quelle [8], S. 11 f. 12 Das emittierte Positron hat eine sehr geringe Reichweite. Sobald es auf ein Elektron trifft (z. B. ein Hüllenelekt-ron eines Atoms) vernichten sie sich wegen des Antiteilchencharakters des Positrons gegenseitig. Die ihrer Mas-se äquivalente Energie 2⋅ ⋅ ² = 2⋅0,511 MeV wird in Form von Gammaquanten emittiert.

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10

Neutron 01 . Bei diesem Prozess wird ein Neutrino 0

0 emittiert. Das Mutteratom ZAX wandelt

sich in das Tochteratom Z − 1 AY um, das in elektrisch neutraler Form, aber mit einer zunächst

angeregten Elektronenhülle vorliegt13.

Die Reaktionsgleichung lautet: ZAX + −1

0 → Z − 1 AY + 0

0 (+ Röntgenstrahlung)

Die Masse des (eingefangenen) Elektrons ist bereits in der Atommasse des Mutteratoms ent-halten. Für die Reaktionsenergie Q gilt:

Q = [ A(ZAX) – A(Z − 1

AY)]⋅ 2

Die Energie E des Neutrinos ist kleiner als der berechnete Q-Wert, nämlich um die Summe

aus der (vernachlässigbaren) Rückstoßenergie E , Y des Tochteratoms Z − 1 AY und der Anre-

gungsenergie EY* der Elektronenhülle14. Die Energie EY

* kann durch Röntgenstrahlung oder

auch durch Emission von Auger-Elektronen abgegeben werden kann.

Berechnung der Reaktionsenergie Q beim Elektroneneinfang aus Atommassen:

Reaktionsgleichung: ZAX + −1

0 → Z − 1 AY + 0

0

Reaktionsenergie: Q = [ A(ZAX) – A(Z − 1

AY)]⋅ 2

Beispiel: Zerfall von 2757Co durch Elektroneneinfang

Reaktionsgleichung: 2757Co + −1

0 → 2657Fe + 0

0

Für den experimentell bestimmten Q-Wert gilt: (0,836 0 ± 0,000 4) MeV 15

Atommassen Kernmassen

Q = [ A(2757Co) − A(26

57Fe)]⋅ 2

= [56,936 291u – 56,935 394u]⋅ 2

= 0,000 897 u ⋅ 931,49 MeVu

= 0,836 MeV

QK = [ K(2757Co) + – K(26

57Fe)]⋅ 2 = [56,921 516 u + 0,000 548 579 9 u −

− 56,921 165 u]⋅ 2

= 0,000 899 |579 u ⋅ 931,49 MeVu

= 0,838 MeV

13 Die durch den Einfang entstandene Leerstelle auf der inneren Schale wird von einem Elektron aus einer höhe-ren Schale aufgefüllt. Dies ist mit der Aussendung eines Quants der charakteristischen Röntgenstrahlung bzw. einem Kaskadenprozess mit mehreren Röntgenquanten verbunden. Die Auffüllung der Leerstelle kann aber auch strahlungsfrei erfolgen, indem die dabei frei werdende Energie auf Hüllenelektronen energetisch höher gelege-nen Schalen übertragen wird und diese Elektronen das Atom dann verlassen (Auger-Elektronen). 14 Energiebilanz für den Fall, dass das Mutteratom X ruht (E , X = 0):

A(X)⋅ ² = A(Y)⋅ ² + E , Y + EY * + E

E = A(X)⋅ ² − A(Y)⋅ ² − E , Y – EY *

E = Q − E ,Y – EY*

E ≈ Q – EY *

15 Siehe Quelle [8], S. 83 ff.

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11

3 Berechnung von Reaktionsenergien bei künstlich (durch Be-schuss) angeregten Kernumwandlungen

Bei einer Kernreaktion trifft ein Teilchen (Projektil) auf ein Teilchen X (Target). Die beiden Teilchen befinden sich im Grundzustand. Das Bezugssystem wird so gewählt, dass das Teil-chen X vor der Reaktion ruht (E , X = 0). Bei der Reaktion entstehen die Teilchen und Y, die sich dann voneinander entfernen. Das Teilchen befindet sich im Grundzustand, das Teilchen Y in einem angeregten Zustand. Der angeregte Zustand wird hier durch das hochgestellte

Sternchen angedeutet. Die Anregungsenergie für das Teilchen Y beträgt EY*.

Die Reaktionsgleichung lautet: X + → Y * +

Energiebilanz: (X)⋅ 2 + ( )⋅ 2 + E , = (Y)⋅ 2 + E , Y + EY* + ( )⋅ 2 + E ,

bzw. E , Y + E , + EY* – E , = (X)⋅ 2 + ( )⋅ 2 – [ (Y)⋅ 2 + ( )⋅ 2]

Die insgesamt bei der Reaktion frei werdende Energie, d. h. die Reaktionsenergie ( -Wert) ist nach Definition die Summe der nach der Reaktion vorliegenden kinetischen Energien und der Anregungsenergie von Y vermindert um die Summe der vor der Wechselwirkung vorlie-genden kinetischen Energien. Also gilt:

Q = E , Y + E , + EY* – E , = [ (X) + ( ) – (Y) − ( )]⋅ 2 = Δ ⋅

2

Bemerkung

Bei der oben stehenden Rechnung wurde das Ruhesystem des Teilchens X als Bezugssystem zugrunde gelegt. Für jedes andere Bezugssystem würde man denselben Q-Wert erhalten. Der Q-Wert ist also unabhängig von der Wahl des Bezugssystems.

Beispiel 1: Beschuss von 714N mit -Teilchen

Ein 24 -Teilchen (2

4He2+-Ion) trifft auf den Kern eines (praktisch) ruhenden 714N-Atoms. Bei der

Reaktion entsteht ein Proton 11 (1

1H+-Ion) und ein einfach positiv geladenes Sauerstoffion 817O+.

Die Reaktionsgleichung16 lautet: 714N + 2

4He2+ → 817O+ + 1

1H+

Für die Reaktionsenergie Q gilt: Q = [ A( 714N) + (2

4He2+) – ( 817O+) – (1

1H+)]⋅ 2

Mit den Näherungen17 (24He2+) = A(2

4He) – 2⋅ , ( 817O+) = A( 8

17O) − und

(11H+) = A(1

1H) − kann die Reaktionsenergie aus den Atommassen berechnet werden:

Q = [ A( 714N) + A(2

4He) – 2⋅ – ( A( 817O) − + A(1

1H) − )]⋅ 2

= [ A( 714N) + A(2

4He) – A( 817O) – A(1

1H)]⋅ 2

= [14,003 074 u + 4,002 603 u − 16,999 132 u − 1,007 825 u]⋅ 2

= − 0,001 28 u ⋅ 931,49 MeVu = −1,19 MeV (endotherme Reaktion)

16 Kernreaktionsgleichung: 7

14N + 2

4 → 8

17O + 1

1

17 Vgl. Kapitel 2.1 und 2.2

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12

In der Regel ist das Projektil (hier das 24 -Teilchen) ein vollständig ionisierter Atomkern und

das Target (hier 714N) ein neutrales Atom. Beim Target sollte stets mit seiner Atommassen ge-

rechnet werden. Das Projektil besitzt gewöhnlich eine kleinere Kernladungszahl, so dass man die Bindungsenergie seiner Elektronenhülle vernachlässigen kann und mit seiner Atom- oder Kernmasse rechnen kann. Verwendet man die Masse des -Teilchens und die Masse

des Protons, dann ergibt sich für die Reaktionsenergie:

Q = [ A( 714N) + – A( 8

17O) + – ]⋅ 2

= [14,003 074 u + 4,001 506 179 u − 16,999 132 u + 0,000 548 579 9 u − 1,007 276 467 u]⋅ 2

= − 0,001 280 u ⋅ 931,49 MeVu ≈ − 1,19 MeV (endotherme Reaktion)

Beispiel 2: Künstliche Kernspaltung von 92235U durch Beschuss mit Neutronen

Fängt der Kern eines 92235U-Atoms ein langsames18 (thermisches) Neutron ein, bildet sich ein

äußerst kurzlebiger Zwischenkern 92236U, der mit größter Wahrscheinlichkeit in zwei Spalt-

fragmente mit einem Massenverhältnis von etwa 2:3 zerfällt. Die folgende Reaktionsgleichung beschreibt einen möglichen Spaltprozess:

92235U + 0

1 → 92236U → 56

139Ba + 3694Kr + 3⋅0

1

Unter Verwendung von Atommassen ergibt sich für die unmittelbar bei diesem Spaltprozess freiwerdende die Energie QP:

QP = [ A( 92235U) + – A( 56

139Ba) – A(3694Kr) – 3⋅ ]⋅

2

= [235,043 930 u + 1,008 664 916 u – 138,908 841 u – 93,934 36 u − 3⋅1,008 664 916 u]⋅ 2

= 0,183 40 u ⋅ 931,49 MeVu ≈ 171 MeV

Die neutronenreichen Spaltprodukte 56139Ba und 36

94Kr gehen durch einen −-Zerfall bzw. nach

vier −-Zerfällen in stabile Atome über:

56139Ba → 57

139La + −10 + 0

0

3694Kr → 37

94Rb + −10 + 0

0 → 3894Sr + 2⋅−1

0 + 2⋅00 → 39

94Y + 3⋅−10 + 3⋅0

0 → 4094Zr + 4⋅−1

0 + 4⋅00

Bei diesen Zerfällen wird zusätzlich Energie frei. Die Berechnung unter Verwendung der Atommassen liefert19:

[ A( 56139Ba) – A( 57

139La)]⋅ 2 = [138,908 841 u − 138,906 353 u]⋅ 931,49 MeVu ≈ 2 MeV

[ A(3694Kr) − A(40

94Zr)]⋅ 2 = [93,934 36 u − 93,906 315 u] ⋅ 931,49 MeVu ≈ 26 MeV

Bei der Spaltung eines 92235U-Kerns wird somit insgesamt die Energie Q = 199 MeV freigesetzt20

(171 MeV + 2 MeV + 26 MeV = 199 MeV).

18 Die Energien der thermischen Neutronen liegen im Bereich einiger Elektronenvolt. 19 Die bei den − -Zerfällen entstehenden Elektronen und positiven Ionen (vgl. Kapitel 2.2) können in einem Re-aktor nach kurzer Zeit rekombinieren. Es entstehen somit neutrale Atome. 20 Direkte Berechnung der gesamten Energie Q, die infolge der Spaltung eines 92

235U-Atoms frei wird:

Q = [ + A( 92235

U) − A( 57139

La) − A(4094

Zr) – 3⋅ ]⋅ 2 = 0,213 932 u ⋅ 931,49 MeV

u ≈ 199 MeV

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13

Beispiel 3: Kernfusion von Deuterium und Tritium

Damit es zwischen zwei Atomkernen zur Fusionsreaktion kommt, müssen die ihrer gegensei-tigen Annäherung entgegenwirkenden elektrischen Abstoßungskräfte überwunden werden. Am kleinsten sind diese Abstoßungskräfte zwischen Atomkernen, die nur einfach positiv ge-

laden sind. Dies trifft bei den Kernen der Wasserstoffisotope Deuterium 12H und Tritium 1

3H zu.

Bei Fusion eines 12H-Kerns (Deuteron 1

2 ) mit einem 13H-Kern (Triton 1

3 ) entstehen ein 24He-Kern

(Alphateilchen 24 ) und ein freies Neutron 0

1 .

Die Reaktionsgleichung lautet: 12 + 1

3 → 24 + 0

1

Für den Q-Wert dieses Kernprozesses erhält man unter Verwendung der experimentell sehr genau bestimmten Kernmassen:

Q = [ K(12 ) + K(1

3 ) – K(24 ) – ]⋅

2

= [2,013 553 213 u + 3,015 500 713 u − 4,001 506 179 u − 1,008 664 916 u]⋅ 2

= 0,018 882 831 u ⋅ 931,49 MeV

u ≈ 17,6 MeV

Der Q-Wert für diese Kernfusion kann selbstverständlich auch aus Atommassen berechnet werden. Die Bindungsenergien der Elektronenhüllen sind vernachlässigbar gering.

Q = [ A(12H) − + A(1

3H) − – ( A(24He) − 2⋅ ) − ]⋅

2

= [ A(12H) + A(1

3H) − A(24He) − ]⋅

2

= [2,014 102 u + 3,016 049 u − 4,002 603 u − 1,008 664 916 u]⋅ 2

= 0,018 883 u ⋅ 931,49 MeVu ≈ 17,6 MeV

Die Berechnung der Reaktionsenergie aus Atommassen und die Berechnung der Reaktions-energie aus Kernmassen führen auf dasselbe Ergebnis. Die Verwendung von Kernmassen liegt hier näher bei der physikalischen Realität, da die Kernfusion in einem Plasma abläuft.

Stand: 9. September 2012 Thomas Ondak

Otmar Schuldes

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14

Quellenverzeichnis

Literatur [1] Dorn, Bader: Physik Gymnasium Gesamtband, Sek II, Schroedel [2] Hänsel, Neumann: Physik – Atome, Atomkerne, Elementarteilchen, Spektrum, 1995 [3] Höfling: Physik – Quanten und Atome, Band II , Teil 3, Dümmler (1974) [4] Krieger: Grundlagen der Strahlungsphysik und des Strahlenschutzes, Springer, 20124

[5] Müller, Leitner, Dilg: Physik Leistungskurs 4. Semester, Kernphysik, Ehrenwirth, 19822 [6] Riedel, Janiak: Anorganische Chemie, De Gruyter, 8. Auflage

Internet [7] National Institut of Standards and Technology: Standard Reference Database, http://physics.nist.gov/cuu/Constants/index.html (15.05.2012) http://www.nist.gov/pml/data/comp.cfm (12.05.2012) [8] Bureau International des Poids et Mesures: Table of Radionuclides Vol. 1 http://www.bipm.org/utils/common/pdf/monographieRI/Monographie_BIPM-5_Tables_Vol1.pdf (21.07.2012) [9] Bureau International des Poids et Mesures: Table of Radionuclides Vol. 2 http://www.bipm.org/utils/common/pdf/monographieRI/Monographie_BIPM-5_Tables_Vol2.pdf

(21.07.2012) [10] Energiebilanz von Kernreaktionen, Anlage zum KMS vom 17.09.1997 Nr. VI.7 - S 5503 - 8.138858,

http://www.isb.bayern.de/isb/download.aspx?DownloadFileID=944de4b05a4b200ea24195f13ed41ffa (15.05.2012)

[11] Kontaktbrief (ISB), „Nuklidmasse“ – Kernmasse – Atommasse, Anlage 2, 1994

http://www.isb.bayern.de/isb/download.aspx?DownloadFileID=714035c152bbf568d617fc1a120b6358 (15.05.2012)

Abbildungsnachweis

Abb. 1.1 Unter Verwendung von Quelle [7] vom Autor selbst erstellte Grafik. Abb. 1.2 Unter Verwendung von Quelle [7] vom Autor selbst erstellte Grafik.