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Zur Entwicklungsgeschichte der Aurelia aurita. Von A. Schneider. Mit TaL XIX. Durch die Giite des Herrn Dr. H. M e y e r, dem ich hierdurch meinen verbindlichsten Dank sage, erhielt ich im Februar vorigen Jahres aus Kiel Zostcrablatter, welche mit Scyphistoma und Stro- bilaformen der Aurelia aurita 1) reichlich besetzt waren. Ohne be- sondere Vorsichtsmassregeln lebten diese Thiere wohl 6 Wochen welter und bildeten eine grosse Zahl yon Medusen, welche mitunter herum schwammen. Die Knospung war allerdings weniger lebhaft, als im freien Meere, denn niemals entstand eine solche Reihe auf- einandersitzender Thiere, wie sie for die sogenannte Strobilaform characteristisch ist, sondern an jedem Scyphistoma gleichzeitig immer eine einzige Meduse. So bedauerlich mir dieser Umstand anfangs schien, so glaube ich doch, dass gerade diese Langsamkeit mir manchen neuen Einblick in den Knospungsprocess gestattete und ich stehe daher nicht an, meine Beobachtungen zu ver~iffentlichen, indem ich glaube, dass sich die bier gewonnenen Anschauungen leicht auf die aus vielen Segmenten gebildete Strobila t~bertragen lassen. 1) •ach Agassiz, Contributions to the nat. hist. of States Vol IV, P. 28 besitzt das Scyphistoma yon Cyanea eine hornige Scheide nicht. (&urelia.)

Zur Entwicklungsgeschichte der Aurelia aurita

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Z u r E n t w i c k l u n g s g e s c h i c h t e d e r A u r e l i a a u r i t a .

Von

A. S c h n e i d e r .

Mit TaL XIX.

Durch die Giite des Herrn Dr. H. M e y e r, dem ich hierdurch meinen verbindlichsten Dank sage, erhielt ich im Februar vorigen Jahres aus Kiel Zostcrablatter, welche mit Scyphistoma und Stro- bilaformen der Aurelia aurita 1) reichlich besetzt waren. Ohne be- sondere Vorsichtsmassregeln lebten diese Thiere wohl 6 Wochen welter und bildeten eine grosse Zahl yon Medusen, welche mitunter herum schwammen. Die Knospung war allerdings weniger lebhaft, als im freien Meere, denn niemals entstand eine solche Reihe auf- einandersitzender Thiere, wie sie for die sogenannte Strobilaform characteristisch ist, sondern an jedem Scyphistoma gleichzeitig immer eine einzige Meduse. So bedauerlich mir dieser Umstand anfangs schien, so glaube ich doch, dass gerade diese Langsamkeit mir manchen neuen Einblick in den Knospungsprocess gestattete und ich stehe daher nicht an, meine Beobachtungen zu ver~iffentlichen, indem ich glaube, dass sich die bier gewonnenen Anschauungen leicht auf die aus vielen Segmenten gebildete Strobila t~bertragen lassen.

1) •ach A g a s s i z , Contributions to the nat. hist. of States Vol IV, P. 28 besitzt das Scyphistoma yon Cyanea eine hornige Scheide nicht. (&urelia.)

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Ich will zuerst den Bau der Scyphistomaform schildern. Er besteht aus den beiden schon so vielfach beschriebenen Zellschichten der Ciilenteraten (Fig. 1--4). Die Entoderm- oder MagenzeUea sind viel grSsser als die Ectoderm- oder Epithelzellen und enthalten Kugeln eines gelben Pigmentes. Zwischen den beiden Schichten findet sich eine ger~iumige LeibeshShle. Der Magen spizt sich nach dem Fuss trichterf(irmig zu. Vom Grunde des Fusses gehen wie die Kanten einer regul[h-en vierseitigen Pyramide, 4 dicke Str~tnge nach der Mundfi~iche, wo sie sich in 4 gleich welt abstehenden Punkten im Umkreis der MundSfihung an das Ectoderm ansetzen. Es liess sich an diesen Str~tngen keine weitere Structur als eine feine paralelle Streifung erkennen. Durch diese 4 geradlinig verlaufenden Strange war das Magenrohr eingeschntirt und in 4 Tascheu getheilt. Die Falten, welche die Grenzen dieser Taschen bilden, ragen an der Mundi~ffnung als ausschliesslich yon derMagenwand zusammengesetzte Tentakeln (FiIamente) hervor. Je nachdem die Mund~iffnung sich contrahirt und erweitert, sind sie yon der Stirn der Mundfi~che mehr oder wenig bedeckt.

Am Rand der Stirnfiiiche entspringt eiue nicht fest bestimmte ZahI yon Tentakeln, die beim ausgewachsenen Scyphistoma hie weniger als 16 und nicht mehr als 32 betr~igt. Nur vier derselben haben eine feste Stelle, sie entspringen am Ende derselben Radien, an wel- chert die vicr Str~inge und die vier Magenfilamente sich ansetzen. Ihre Zusammensetzung nimmt auch unsere Aufmerksamkeit beson- ders in Anspruch. Die tibrigen Tentakeln bestehen aus einer Epithel- schicht, der Ausstiilpung des Ectoderm und der yon einer Reihe Zellen gebildeten Axe, welche aus dem Entoderm der Magenwand hervorgeht und mit ihr in Zusammenhang bleibt. Die Zusammen- setzung (Fig. 5) der vier festen oder Haupt-Tentakeln ist compli- cirter. Sie entspringen zwischen je zwei Taschen, indem die Wi~nde derselben sich nach aussen yon den Striingen au einander legen, ohne jedoeh zu communiciren. Es tritt yon jeder Tasche eine Reihe yon etwa drei Zellen an die Basis der Tentakeln, daran schliesst sich eine Zelle yon der Breite der Doppelreihe und nun wird die Axe weiter yon der gewShnlichen einfachen Zellreihe gebildet. Dies ist die Structur des Scyphistoma v o r u n d nach der Knospung der Medusen.

Sobald nun die Knospung der Meduse beginnt (Fig. 6), bildet sich nach Innen der Haupt-Tentakel eine weite Comunication zwi-

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schen den Taschen, welche dutch die vorher beschriebene Verbin- dung der Zellen bereits angedeutet war. Gleichzeitig entstehen am ttussern Rande der Mundscheibe 16 gleiche Taschen des Magens, welche an ihrem freien Rand nahezu dieselbe Breite haben, als an der Stelle, wo sie mit dem Magen zusammenhitngen. Von diesen Taschen der Meduse wachsen nun 8, welche mit den andelal alter- niren, nach aussen zu auf das mehrfache in die Lttnge. Gleiehzeitig hat sich auch in diesen 8 Radien das Ectoderm ausgebuchtet, so dass die Stirnfiiiche einen achtstrahligen Stern bildet. Weiter sprossen nun an der Mundfltiche t~ber diese 8 ltingeren Taschen die Rand- lappen und zwischen denselben die kleinen Tentakeln ftir die OceUi hervor. In diesem Stadium bemerkt man, dass d i e - wenigstens scheinbar -- regellos gestellten Tentakel des Scyphistoma sich naeh einem bestimten Gesetz geordnet haben. Schon in dem Stadium, in welchen die Taschen noch yon gleicher GrSsse sind, sieht man, dass einige Tentakel einzeln stehen, andere zu Btischeln yon zwei und drei vereinigt, immer steht sowohl ein einzelner als ein Biischel genau in der Mitte je einer Tasche. Der Sinn dieser Anordnung ist aber jetzt noch nicht vollkommen deutlich. Allein nach Entste- hung der Randlappen (Fig. 7) sieht man, class in den Zwischenritumen zwischen den Randlappen ausnahmslos immer nur ein und zwar durch seine GrtJsse hervorragender Tentakel, ein Btischel abcr nur in den Radien der Randlappen steht. Es kann in diesen Radien zwar auch nur ein Tentakel stehen, da vielleicht nicht genug Ten- takel vorhanden waren, um immer Btischel zu bilden.

iNoch sind an die Mundscheiben der Medusenknospe die vier Strange ganz in der Weise wie an dem Scyphistoma befestigt. End- lich schntirt sich die Meduse ab, die 4 Strtinge, soweit sie dem Medusenkiirper angehiiren verschwinden. Es schwindet auch in der Meduse jede Spur von den ursprtinglich vorhandenen 4 Taschen und ihrer Communication. Der Magen der Ephyra ist ja, wie be- kannt, in der Mitte der Scheibe ein ungetheilter Sack. Eine weitere Entwicklung der Ephyra fund in meinem kleinen Aquarium nicht statt.

Noch wtihrend die Meduse an dem Scyphistoma sitzt, kann man ihre Musculatur deutlich erkennen. Sie liegt (Fig. 8) als eiu breiter Ring, yon dem far jeden Randlappen ein Btindel sich ab- zweigt, der Unterseite der Scheibe auf und besteht aus feinen Fi- brillen, in welchen ich eigne Kerne nicht finden konnte, obgleieh

M. Schultze, hrchiv f, mikrosk, knatomie. Bd. 6. 2'~

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ich damit keineswegs behaupten will, dass sie fehlen. Das Nerven- system war nicht zu finden.

Ehe die Ephyra abreisst, h~ingt der Gipfel ihrer Glocke nur noch mit dem neu entstandenen Mundrand des Scyphistoma zusam- men. Beim Abreissen bleibt noch im Gipfel der Glocke ein Loch, welches sich erst nach einiger Zeit schliesst, und deshalb sich noch h~iufig an freischwimmenden Ephyren finder. Das Scyphistoma hat nach Abstossung der Knospe keine Tentakeln mehr. Ihre eignen Tentakeln sind an die Knospe getreten und dort resorbirt worden. Indess bilden sich die Tentakeln ba]d yon Neuem und alle Scyphi- stomen fanden sich, nachdem die Abstossung yon Ephyren schon litngere Zeit aufgeh6rt hat, in vollkommen normalen Zustand.

Nach diesen Untersuchungen darf man es wohl als ausge- macht betrachten, dass Scyphistoma nicht der Hydroid-, sondern der Medusoidform der Colenteraten angehiirt. Es ist diese Ansicht zwar schon mehrfach ausgesprochen, allein wie sich bei genauer Priifung ergiebt, niemals bewiesen worden. S t e e n s t r u p , der sie zuerst in seinem Werke fiber den Generationswechsel aussprach, hat offenbar nur eine festsitzende eraspedote Meduse fiir Scyphi- stoma gehalten, wie dies bereits Agass iz 1) hervorhebt, Sars2), R e i d 3) beschreiben vier Falten im Magen der Scyphistoma, welche sie irrthtimlich fiir Gef'asse halten. F r a n t z i u s ~) hielt die vier L~ingsstr~nge, welche er an dem Scyphistoma yon Cephea eat- deckte, far Gef/isse und dem Gastrovascularsystem der Quallen entsprechend. AgassizS), dem wir;sp~tter eine ausftihrliche Dar- Darstellung des Baues und tier Knospung bei Scyphistoma verdanken, erw/~hnt die Liingsstr~tnge, aber nicht die Taschen und ihre Verbin- dungsweise. Der wesentliche Character, welchen Scyphistoma mit der medusoiden Generation gemein hat, die Taschen und ihr, wenn auch nur rudiment/ir vorhandener Ringkanal ist, wie man sieht, immer tibersehen worden. Magenfalten finden sich auch bei vielen Hydroiden, aber niemals ihre Verbindung zu einem Ringkanal.

Vielleicht lassen sich aber auch die vier L~ingsstr~inge ffir die

1) 1. c. S. 26. 2) Wiegmann's Archly VII, S. 9 u. ft. 3) Annals of nat. hist. II Ser. u I, 1848, S. 25. 4) Siebold u. KSlliker Zeitschrif~ f. w.Z. Bd. IV, S. 121. 5) 1. c. S. 23 c. ft.

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Bestimmung des Scyphistoma benutzen. S e m p e r 1) hat sie bereits richtig als solide Kiirper erkannt. Er beschreibt bei der Scyphis- tomaform yon Cephea Zweige derselben, welche sich mit dreieckig verbreitertem Ende an Magen und Haut ansetzen. Bei unserm Scy- phistoma fehlen diese Zweige g~inzlich. Ueber die Natur derselben wagt er kein Urtheil und will nicht entscheiden, ob es Nerven oder Muskeln sind. Auch ich vermag reich nicht zu entscheiden. Die fibrill~re Streifung liisst sich ebenso gut auf Muskelfasern als auf Axencylinder beziehen. Die Contractionen der Scyphistomen ge- schehen iiberaus langsam, so dass man nicht erkennen kann, ob sie yon der Wirkung eines Muskels herrfihren. Jedenfalls kommen diese 4 Str~inge bei den tibrigen Hydroiden nirgends vor, w~hrend sie den Geweben der Scheidewiinde der beiden Authozoen wohl ent- sprechen kiinnten.

Merkw(irdig ist bei dem Knospungsprocess, dass der Ringkanal des Scyphistoma-und Strobflazustandes nicht in den der Aurelia aurita iibergeht, sondern wie S a r s entdeckte, S t e e n s t r u p und A g a s s i z bestStigt haben, neugebildet wird.

G i e s s e n , 21. Februar 1870.

Fig. 1. Fig. 2.

Fig. 3.

Fig. 4.

Fig. 5.

Fig. 6. Fig. 7.

Fig. 8.

Erklfirung der Abbildungen auf Tafel XIX. Scyphistoma. Ansicht yon oben. Dasselbe yon unten, zeigt die 4 Magentasehen, deren Vereinigung nach aussen yon den 4 prim~ren Tentakeln hier nicht sichtbar. Chroms~urepr~parat. ~agen entfernt. Ansieht der l~Iund~che yon unten, um die Ansatzstellen der Strange zu zeigen. Chroms~urepr~parat. L~ngsschnitt eines Scyphistoma, zeigt die histologisehe Zusammensetzung des KSrpers. Bildung eines prim~ren Tentakels. Vereinigung der W~nde zweier Magentasehen. Beginn tier Strobilabildung. 16 Magentaschen. Welter fortgesehrittene $~robilabildung. Etandlappen gebildet, zeigt die regelm~ssige Stellung der Scyphistoma-Tentakel. Einzelner Randlappen um alas fibrill~re Muskelband und seine Aeste fiir die Randlappen zu zeigen.

a. Mundrand. b. Filamente. c. Ansatz der Strange an der Mundfl~che. f. Fuss. r. Randk6rper tier Meduse.

1) T rosehe r s Arehiv f. N. Bd. XXIV. S. 209.