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Beitr. Klin. Tuberk. 137, 30--106 (1968) Die Tuberkulose des Kindes ];olloquium im Forsehungsinstitut Borstel 20./21. 0ktober 1966 Zur Epidemiologie der Tuberkulose bei Kindern und Jugendlichen G. NEu~ * St~dt. Gesundheitsamt Stuttgart (Leiter: Ob. Med. Direktor Dr. H. HU~,~OL) Abt. Tuberkulosefiirsorge (Leiter: IVied. I)irektor Dr. G. NEu~A~) 1. Begriffsbestimmungen Die Altersgrenze wird mit dem vollendeten 20. Lebensjahr gezogen. Da fiir Zahlenangaben in erster Linie amtliche Zahlen verwendet werden, kann nicht die biologische Einteilung in S~uglings-, Kleinkindesalter usw. zugrundegelegt werden, vielmehr mul3 yon den in der BevSlkerungsst.atistik fibtichen Altersktassen: 0 bis unter 1 Jahr, 1 bis unter 5 Jahre, 5 bis unter 10 Jahre usw. ausgegangen werden. Die erst~ Epidemiologie finder sieh bei HIPrOKRATES (die 7 Biicher fiber die Epidemien). Untersueht werden die Beziehungen der Krankheiten zur Umwelt und ihre therapoutisehe BeeinfluBbarkeit ohne Besehr/inkung auf kontagi6se Er. krankungen. Gegenw~rtig versteht die Mehrzahl der Autoren unter Epidemiologie das, was fiber Verbreitung, Ents~ehungsbedingungen und natiirlichen Ablauf einer Er- krankung in einer Population bekannt ist (Definitionen s. PAYNE und TE~IS). Man spricht yon der epidemiologischen Trias: Saat, Boden, Umgebung (Du~). Die Epidemiologie darf sich nicht in deskriptiven Methoden ersch5pfen, sondern muB sich zunehmend experimenteller Verfahren bedienen (T]~I~RIs). Gemeinsam ist allen Auffassungen der were Rahmen, der sowohl fiir infektiSse als nicht- infektiSse Erkrankungen anzuwenden ist. Im Gegensatz dazu steht die Definition yon HOLM: Die Epidemiologie der Tuberkulose is~ ,,die Studie und die Kenntnis (der) natiirliehen Vorg~nge, welche die Tuberkuloseinfektion in einer BevSlkerung ibrtpflanzen". Gegenw~irtig existiert nur eine verbindliche Definition der Tuberkulose, fest- gelegt im 8. Berieht der Expertenkommission der Weltgesundheitsorganisation [64]. Als ,,Fall yon Tuberkulose" gilt nur der bakteriologisch best~tigte Proze$, vor allen Dingen bei Erregernaehweis im eitffaehen Ausstrich des Sputums. Diese Begriffsbestimmung ist rein epidemiologisch ausgeriehtet und zwar im Sinne der Auffassung von HOLM. In der Praxis fiihr~ diese abstrakte Auffassung zu eigenartigen Konsequenzen: die kliniseh hSchst bedeutsame Miliartuberkulose gilt, solange der Erregernaehweis nicht gelingt, als epidemiologiseh uninteressant * Med. Direktor Dr. G. NEvada, 7000 Stuttgart 1, Schickhardtstra6e 35.

Zur Epidemiologie der Tuberkulose bei Kindern und Jugendlichen

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Beitr. Klin. Tuberk. 137, 30--106 (1968)

Die Tuberkulose des Kindes ];olloquium im Forsehungsinstitut Borstel

20./21. 0ktober 1966

Zur Epidemiologie der Tuberkulose bei Kindern und Jugendlichen G. N E u ~ *

St~dt. Gesundheitsamt Stuttgart (Leiter: Ob. Med. Direktor Dr. H. HU~,~OL) Abt. Tuberkulosefiirsorge (Leiter: IVied. I)irektor Dr. G. NEu~A~)

1. Begriffsbestimmungen Die Altersgrenze wird mit dem vollendeten 20. Lebensjahr gezogen. Da fiir

Zahlenangaben in erster Linie amtliche Zahlen verwendet werden, kann nicht die biologische Einteilung in S~uglings-, Kleinkindesalter usw. zugrundegelegt werden, vielmehr mul3 yon den in der BevSlkerungsst.atistik fibtichen Altersktassen: 0 bis unter 1 Jahr, 1 bis unter 5 Jahre, 5 bis unter 10 Jahre usw. ausgegangen werden.

Die erst~ Epidemiologie finder sieh bei HIPrOKRATES (die 7 Biicher fiber die Epidemien). Untersueht werden die Beziehungen der Krankheiten zur Umwelt und ihre therapoutisehe BeeinfluBbarkeit ohne Besehr/inkung auf kontagi6se Er. krankungen.

Gegenw~rtig versteht die Mehrzahl der Autoren unter Epidemiologie das, was fiber Verbreitung, Ents~ehungsbedingungen und natiirlichen Ablauf einer Er- krankung in einer Population bekannt ist (Definitionen s. PAYNE und TE~IS). Man spricht yon der epidemiologischen Trias: Saat, Boden, Umgebung ( D u ~ ) . Die Epidemiologie darf sich nicht in deskriptiven Methoden ersch5pfen, sondern muB sich zunehmend experimenteller Verfahren bedienen (T]~I~RIs). Gemeinsam ist allen Auffassungen der were Rahmen, der sowohl fiir infektiSse als nicht- infektiSse Erkrankungen anzuwenden ist. Im Gegensatz dazu steht die Definition yon HOLM: Die Epidemiologie der Tuberkulose is~ ,,die Studie und die Kenntnis (der) natiirliehen Vorg~nge, welche die Tuberkuloseinfektion in einer BevSlkerung ibrtpflanzen".

Gegenw~irtig existiert nur eine verbindliche Definition der Tuberkulose, fest- gelegt im 8. Berieht der Expertenkommission der Weltgesundheitsorganisation [64]. Als ,,Fall yon Tuberkulose" gilt nur der bakteriologisch best~tigte Proze$, vor allen Dingen bei Erregernaehweis im eitffaehen Ausstrich des Sputums. Diese Begriffsbestimmung ist rein epidemiologisch ausgeriehtet und zwar im Sinne der Auffassung von HOLM. In der Praxis fiihr~ diese abstrakte Auffassung zu eigenartigen Konsequenzen: die kliniseh hSchst bedeutsame Miliartuberkulose gilt, solange der Erregernaehweis nicht gelingt, als epidemiologiseh uninteressant

* Med. Direktor Dr. G. NEvada , 7000 Stuttgart 1, Schickhardtstra6e 35.

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und nieht als ,,Fall yon Tuberkulose". Das Problem der Kindertuberkulose 16st sich bei dieser Definition, insbesondere bei Beschri~nkung auf Fi~lle mit positivem Direktausstrieh des Sputums, in ein Nichts auf. Ohne Zweffel schlieBt die WHO- Definition die klinisch bedeutsamsten Formen yon Lungentuberkulose ein und kalm, was sehr vorteilhaft ist, prinzipiell in allen Li~ndern der Welt verwendet werden. Insoweit besteht Einigkeit, ebenso wohl darfiber, dab aueh augerhalb dieser Definition echte ,,F~lle yon Tuberkulose" existieren und nieht nur ,,Ver- daehtsfi~lle (suspects)". Auf die mangelude Eignung der Definition fiir das Kindes- alter ist an anderer Stelle (N]~UMANN [44e]) und yon anderer Seite (ITuRBE) hin- gewiesen worden. Gegen die starke Betonung des Direktpriiparat*s miissen Be- denken bakteriologischer Art vorgebracht werden: ,,die Zeiten, we (zur Diagnose einer TuberkuIose) der Naehweis s~urefester St~behen im Ausstrich aus tuber- kuloseverd~ehtigem Material genfigte, sind vorbei" (Zg~KER, ebenso ALBV.RTSON jr., L ~ K ) .

In tier Bundesrepublik gibt es weder eine epidemiologisehe noch eine klinisehe Definition der Tuberkulose. Die offiziSsen Richtlinien des Deutschen Zentral- komitees zur Bek~mpfung der Tuberkulose vermeiden die Grundsatzerkliirung, legen nur fest, was unter ansteckungsfi~hig, aktiv, inaktiv usw. zu verst.hen ist. Dabei sollte neben der epidemiologisehen aueh eine brauchbare klinisehe Definition der Tuberkulose zur Verfiigung stehen. In der Internationalen Union gegen die Tuberkulose befaBt sich eine Sonderkommission ausschlieBlieh mit diesem Definitionsproblem, ohne dab diese Bemiihungen bisher zum Erfolg geffihrt h£tt*n.

Diese Sehwierigkeit*n grunds~itzlicher Art mfissen bei der ErSrt*rung aller Teilprobleme bedacht werden. Zwangslhufig sind alle Aussagen quantitativer Art in ihrem Wert a priori begrenzt durch das Fehlen einer klaren qualitativen Ab- grenzung; das Problem der exakten Anwendbarkeit einer Definition bleibt zu- niichst auBer Betracht.

Die iiblichen epidemiologisehen Indizes: Mortalit~t, Morbiditiit (Inzidenz und Prgvalenz) und Durchseuchung kSnnen entweder durch Voll- oder Teilerhebungen gewonnen werden. Beides ist mit Vor- und 5/achteilen verbunden. Bei den Voll- erhebungeu gehen die untersehiedliehen Auffassungen vieler Beurteiler als Fehler unbekannten AusmaBes ein, aul]erdem kSnnen sich entgegengesetzt verlaufende Tendenzen in Teilgebieten aufheben und der Erkennung entgehen. Bei Teil- erhebungen karm wohl eine gr613ere Genauigkeit erreieht werden, dafiir bedarf es besonderer Untersuehungen, um zu kl/£ren, in wetchem Umfang eine Veral]ge- meinerung zul/~ssig ist. Den Vollerhebungen Iiegen meist offizielle Zahlen zugrunde, die weitgehend nur das Minimum repr~sentieren; die wahre Hiiufigkeit kann nur geseh/~tzt werden. Weiter £st zu bedenken, dab in der Bundesrepublik die Statisti- ken der Gesundheits/imter im Gegensatz zu den Angaben fiber Gebur~ und Ted als Stichtag den Eingang der Meldung und nieht den Eintrit t des Ereignisses zu- grundelegen. Jahressehwankungen sind daher nut mit Vorbehalt zu bewerten, ausschlaggebend ist nur der langfristige Trend. Bei Betraehtung yon Zeitreihen muB immer geprfift werden, ob die Voraussetzungen, z.B. gesetzliehe Bestimmun- gen, Definitionen, unver/indert geblieben sind. Setbst wenn dies der Fall ist, kann unmerkHch durch verbesserte Diagnostik, J~nderung in der Auffassung der einzel- nen ~rzte fiber die Bedeutung bestimmter Krankheitsstadien u. a. eine solche Ver-

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32 G. NEUMANN:

sehiebung imlerhalb der scheinbar unver/~ndert gebliebenen Krankheitsgruppe eintreten, dab ein eehter Vergleieh kaum m6glich ist.

2. Mortalifiit

Der zitierte Berieht des WHO-Expertenkomitees z/thlt die Mortalit4t nieht mehr unter den epidemiologisehen Indizes auf. Solange die Mortaliti~t nicht gleich Null ist, sollte sie aueh beriieksichtigt werden. Anders als im hSheren Lebensalter bereitet bei Kindern und Jugendlichen die Feststellung der eigentliehen Todes- ursache meist keine ernsten Sehwierigkeiten, da Kombinationskrankheitcn sclten sind; die Todesursachenstatistik ist in diesem Alter recht vcrl/~Blich.

In der Bundesrepublik lag 1964 in allen berfieksichtigten Altersklassen die relative Mortalit/it unter 1,0/1000O0, und dies in einem Land ohne systematische BCG-Impfung. In Bade~.Wiirttemberg ereigneten sieh 1965 in 7 der 10 in Frage kommenden Altersklassen fiberhanpt keine Sterbef/~lle. Noch vorteflhafter, trotz ungfinstigerer Ausgangslage, ist die Situation in der DDI~: beim m~nnlichen Ge- schlecht ist 1963 und 1964 auch in der Klasse der 15-- 19j/~hrigen nicht ein einziger Sterbefall wegen Tuberkulose eingetreten. In Frankreich entsprechen ab 5. Lebens- ]ahr die Verh/fltnisse denen der Bundesrepublik; vorher sind sic schlechter. Gegenfiber Sehottland und der weiSen USA-BevSlkerung sclmeidet die Bundes- republik nicht gut ab, w/~hrend die Zahlen yon Spanien und Jugoslawien etwa denen der Bundesrepublik yon 1952 entspreehen. Naeh einer neuen Zusammen- stellung der WHO [13] meldeten 1964 Australien, Belgien (1963), England mit Wales und Nor@land, Isreal, Norwegen, Sehweden und die Schweiz fiberhaupt keinen Sterbefall an Tuberkulose bis zum vollendeten 14. Lebensjahr, maximal 5 in diesem einen Jahr Diinemark, die DDR, Finnland, Holland, Island, Kanada, Neuseeland, 0sterreieh, Schottland. Dabei bleibt natfirlich die Frage often, in welehem Umfang Niehterkennen und Nichtbekanntwerden der F/ille ffir dieses Resultat verantwortlich sind.

Im Deutschen Reich forderten bereits 1933, als yon den 1--5j/~hrigen Knaben fiber 1800 an Tuberkulose starben, Unf/~lle bei den Knaben bis zum 15. Lebensjahr mehr Todesopfer als die Tuberkulose. In Baden-Wfirttemberg starben 1965 drei Knaben und ein M/idehen an Tuberkulose, dagegen 537 und 185 durch Unfall.

3. Morbi~tiit

Morbidit/~tsstatistiken k6nnen nach Lage der Dinge hie die Zuverl/issigkeit von Mortalit/~tsstatistiken errelchen; dabei sind auch letztere, sofern sie nicht auf den Ergcbnissen von Sektionen beruhen, alles andere als fehlerfrei. Alle An- gaben zur Morbidit/~t sind gewissermai~en als Parameter ffir die wahre Morbidit/~t anzusehen. -- Untersehieden wird der Bestand, in der Bundesrepublik fiblicher- weise als Punktpr/~valenz auf den31.12, angegeben, und die Neuerkrankungsrate, die Inzidenz. Seitdem FREUDENBERG [16 a] auf den wesentlieh h6heren Variations- koeffizienten der Neuzug/~nge im Vergleich zum Bestand hingewiesen hat, wird letzterer in Deutschland allgemein bevorzugt. Dies ist formal-statistisch unan- fechtbar, wh'd jedoch den tats/~chlichen Gegebenheiten nieht gerecht: Ein Neu- zugang ist im Prinzip eindeutig definierbar; im konkreten Fall gilt das Bekannt- werden der Erkrankung bei der Tuberkuloseffirsorgestelle des zust/~ndigen Ge- sundheitsamtes als Eintritt des Ereignisses. Dieser Stichtag ist nie mit dem Zeit-

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punkt der Infektion identiseh, liegt fast immer mehr oder weniger sp/iter als der klinische Beginn und entspricht gfinstigstenfalls ann/~hernd dem Tag der Diagnose- stsllung. Die Zuordnung zu einer bestimmten Diagnosegruppe kann im Einzelfall erhebliche Schwisrigksiten bereiten und ist nieht fehlerfrei 15sbar, trotzdem sind die unvermeidbaren Fehler bei sachgem~t]em Vorgehen nur gering. Ein ganz anderss Bild bistet sich beim Bestand. Das Ends der aktiven Phase entzieht sich jeder objsktiven Feststellung. Selbst f/Jr das am besten abgrenzbare Ph/inomen, die Ansteekungsf/~higkeit, entscheidet weniger das wirklishe Krankheitsgeschehen als die Intensit/~t der bakteriologisehen Diagnostik, also ein Sekund/irph/~nomen, fiir die Art der statistischen Zuordnung. Die weitgehende l~bereinstimmung der Bestandszahlen ist nicht dureh gleiche Verh£1tnisse bedingt, sondern dadurch, dab die statistische Umschreibung weir hinter der 1/~ngst erfolgten klinischen Anderung nachhinkt; Konvention und Zeitfaktor sind aussehlaggebend, besonders bei den extrapulmonalen Tuberkulosen. Auf weitere Fehlerquellen beim Bestand - - Ubererfassung durch zuviel Interesse (Lebensmittelzulagen), Untererfassung durch echte Schwierigkeiten (Alterstuberkulose) -- hat FREUDEm~Ega [16b] hin- gewiesen. Zugangszahlen reflektieren weit besser die Dynamik des wirktiehen Gsschehsns. Trotzdem wird auf die Wiedergabe von Bestandszahlen nicht ver- zichtet, wsil sis f~r L~ngsschnittbeobachtungsn doeh einen gewissen Aussage- wsrt besitzen.

In der Bundesrepublik ist der Bestand seit 1955 eindeutig riickl/iufig. Wegen des weshselnden Gebietsstandes sind die Relativzahlen aufsehlul]reieher als die absoluten Zahlen. In den Altersgruppen yon 0 bis zu 15 Jahren betr&gt die ,,Halb- wertszeit" (IV[EIJER) 5--8 Jahre. Wenn man nur die ansteckungsf/~hige Lungen- tuberkulose betraehtet, so kann mit einer gewissen Berechtigung von einer be- sonderen Gef~hrdung der Altersklassen von 15 bis unter 20 gesprochen werden, ist doch hier der Bestand 4-- 8mal h6her als zuvor. Die Gesamtmorbidit/~t erseheint jedoch in einem weniger bedenklichen Lieht. Bis 1962 lag das Maximum in der Irdasse von 5 bib unter 10 Jahren, erst seitdem jenseits des 14. Lebensjahres. Der Riiekgang der Bestandszahlen ist bei den 15--19j/~hrigen weniger ausgepr/~gt als in den anderen Altersklassen. In Baden-Wiirttemberg liegen die Werte in der Regel unter dem Bundesdurehsehnitt, in Stuttgart z.T. h6her als ffir das ganze Land. Bis zum 15. Lebensjahr ist in der DDR der Bestand allenfalls halb so hoeh wie in der Bundesrspublik. Dabei war 1955 mit Ausnahme der Altersklasse yon 0 bis unter 1 Jahr der Bestand in tier Bundesrepublik um 10--40% niedriger. Altersm/iBig gegliederte Angaben fiber die Neuzug(inge stehcn erst seit wenigen Jahren fiir das Bundesgebiet, seit dem Ausscheren yon Bayern und Hessen, schon wieder nieht mehr zur VerffigungL Als Beispiel fiir eine lange Zeitreihe wird daher auf die Zahlen von Nordrhein-West]alen zuriickgegriffen. Aueh hier bewegt sich die Halbwertszeit zwisehen 5 und 7 Jahren. Obwohl es sich um das gr6IJte Bundes- land handelt, sind die absoluten Zahlcn in der Gruppe Ia/b so klein, dal] recht beachtliehe Jahressehwankungen entstehen. Es empfiehlt sieh daher nicht einzelns Jahre, sondern Durchschnittswerte aus mehreren Jahren miteinander zu vergleichen. Die Zahlen von Nordrhein-Westfalen sind, mit Ausnahme der an- steckungsf~higen Lungentuberkulosen, niedriger als die yon Baden-Wiirttemberg.

1 Anmerkung bei der Korrektur: fiir Bayern erfreulieherweise wieder ab 1966.

3 Bei[r. Klin. Tuberk., Bd. 137

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34 G. NEUMA~ :

Wie beim Bestand bietet Stuttgart ein weniger giinstiges Bild als das ganze Land. Die extrapulmonale Tuberkulose macht keine Ausnahme. Nach diesen Zahlen mfigte in Stut tgar t die bis 1963 vorhandene riickl~ufige Tendenz in das Gegenteil umgeschlagen sein, ein bei der heutigen Epidemielage ganz ungew6hnliches Ver- halten. Das Ergebnis der beiden ersten Quartale 1966 spricht, zumindest his zum 15. Lebensjahr, gegen eine Fortsetzung des Aufw~rtstrends. In der 2)DR gibt es nur noeh etwa ein Viertel soviel Zugtinge an aktiver Tuberkulose wie in Baden- Wiirttemberg. Ein internationaler Vergleich faltt fttr die Bundesrepublik h6chst nachteilig aus. Die Zahlen ahneln denen yon Jugoslawien, sind betrachtlieh hSher als bei den Farbigen in den USA. Nun weist Jugoslawien bei anni~hernd gleiehen Zugangszalflen eine h6here Mortalit/~t als die Bundesrepublik auf. Dies kann darauf beruhen, dab dort entweder die Erfassung wesentlich unvollst~ndiger ist als in der Bundesrepublik, oder in der Bundesrepublik Zust£nde als Tuberkulose- erkrankung registriert werden, die andernorts nicht diese Bewertung erfahren. -- Nur Frankreieh und Jugoslawien kennen wie die Bundesrepublik einen besonders hohen Gipfel bei den 5--9j~hrigen. -- Ffir Baden-Wiirttemberg wurde die Relation Neuzug~inge:Bestand in den Jahren 1962--1965 fiberpr/ift. Bei der Lungen- tuberkulose ist der Bestand starker abgesunken als die Rate der Neuzugange. Das kann beruhen 1. auf einem vermehrten Wegzug (in den fragliehen AlterskIassen nur yon untergeordneter Bedeutung) oder 2, verst~rktem Zugang leichter oder gar fraglicher Falle, die sehnelleres Umsehreiben zur Gruppe der Inaktiven ge- stat ten (vermehrte MortalitKt scheidet, als Ursache aus). -- Beachtung verdient die Mitteilung yon BJA~TVEIT U. WAALER: Die extrem niedrigen Werte ffir die weil3e BevSlkerung in zwei amerikanischen Staaten und in Schweden bedeuten, dab fiir dicse Altersklassen die erste Stufe der Eradikation, die ~]berwindungs- phase (surveillance level, NEUMA~ [44a]) erreieht ist, in der Altersklasse yon 0 bis unter 5 sogar die zweite Stuff, die Kontrollphase (control level). Der giick- gang ist besonders ausgeprggt in den Altersklassen, die unmittelbar auf die BCG- Impfung folgen. Andererseits ist bei der weii~en BevSlkerung der USA ohne BCG-Impfung die Situation kaum schlechter als in Skandinavien.

4. Durchseuchung Als Index ffir die Tuberkulosesituation in einem Land empfiehlt die WHO-

Sachverstandigenkommission [61] den Grad der Tuberkulosedurehseuchung bei Sehulanfangern. Unz/~hlige Tuberkulinproben werden, vor allen Dingen bei Sehulkindern, Jahr ffir Jahr vorgenommen. Allein die WHO kann fiber die stattliche Anzahl yon 418 Mill. Testungen in der ganzen Welt bis zum 1.7. 1964 be~iehten [65]. Vergleiche zwischen den Ergebnissen sind jedoch nur mit grol3en Einsehr~nkungen zul/~ssig. So wurden yon 16 verschiedenen Autoren vier ver- schiedene Verfahren angewendet (Salbenprobe, Tine-Test, HEAF-Test , Mantoux), mit wenigstens 6 verschiedenen Tuberkulinen, in 5 versehiedene~ Starken (yon 1 TE bis 50 TE) und 5 verschiedenen Grenzwerten fiir die Unterscheidung zwischen ,,positiv" und, ,negat iv". Da bei hat die WHO einen, ,Standardtest" empfohlen [63], der sieh anseheinend nur sehwer durchsetzen kann. Holland weist mit Abstand die niedrigste Durchseuchungsquote auf. Die Werte yon HOEFER [21b, e, d] lassen nach Methodik und Altersverteflung elnen Vergteich zu; die Rate der Tuberkulin- positiven is$ 5-- 10mat so hoch wie in Holland, andererseits betrachtlich niedriger als

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in Polen oder Frankreieh. Die niedrigen Morbidit/ttszifl'crn dieser Liinder sprechcn dafiir, dab in der Bundesrepublik andere, leiehtere Zust/tnde als ,,Tuberkulose" re- gistriert werden als dort. Fiir Baden-Wiirttemberg liegen Ergebnisse der Pilaster- probe aus den Jahren 1961--1964 vor. Im Gegensatz zur Morbidit/tt, die ansteigt, nimmt die Durchseuchungsquote ab. Die j~hrliche Konversionsratc ist yon 80/00 auf ~ 2O/0o in den ersten 3 Schuljahren zurfiekgegangen. Fiir die Jahre 1953 bis 1959 wurde demgegeniiber in einem bestimmten Stuttgarter Kollektiv noch eine Konversionsrate in rd. 20O/oo pro Jahr erreehnet (NEUMA~N [44b]).

In einer friiher verSffentlichten Zusammenstellung fiber Konversionsraten (NEUMA~N [44b]) ergaben sieh bis 1959 Raten von 1,7--970/00 in verscbicdenen Liindern. In Diinemark wurden 1960/61 im Schulalter nur noch 0,90/00 pro Jahr infiziert (GROTH-PETERSEN), allerdings unter der Voraussetzung eines mehrfaeh positiven Ausfalls der Intracutanprobe, ein Kriterium, das in der Bundesrepublik nicht einmal fiir iibersehbare Teilkollektive zur Verfiigung steht. Fiir die 12j/thri- gen Hollitnder betrug 1962 die Wahrscheinlichkeit eines Umschlags der Tuber- kulinreaktion 0,4O/oo (c~) bzw. 0,60/00 (9), fiir 18jii, llrige 3,6 bzw. 4,4O/0o (M~-iJ~m). Nach JEURISSE~ hat sieh f~r die 6j/thrigen Belgier das Infcktionsrisiko pro Jahr von 270/oo (1939--1945) auf 9O/oo (1953--1959) verringert;. Auch in Stuttgart geh~, wiederum im Widerspruch zu den Morbidit~tszahlen, die Durchseuchung durchaus zuriick. Natfirlieh ist die Beweiskraft yon Massenuntersuchungen mittels Pilaster- probe nur gering, aber im L/ingsschnitt doch nieht wertlos, wahrscheinlieh weniger fehlerhaft als Intracutanproben mit mehr als l0 TE.

An einem zahlenm/iBig begrenzten, gut iiberwachten und regelm/iI3ig mit Pflasterprobe untersuchten Kollektiv konnte gezeigt werden, dab in dcr Praxis die percutane Tuberkulinprobe weitgehend ausreicht, um aktive Prozesse zu er- fassen (NEu~IA~ [44 b]). In einer weiteren, bisher nicht verSffentlichten Versuehs- reihe mit dem WHO-Standardtest ergab sich eine befriedigende ~bereinstimmung zwisehen den Resultaten des Standardtests und der Percutanprobe; das Problem liegt in den falseh positiv beurteilten Percutanproben, was bei Vergleichen zu beachten ist 2, Im tibrigen ist zu bedenken, dab alle internationalen Empfehlungen und Richtwerte fiber Durchseuchungsziffern, z.B. der beriihmte Grenzwert von 1 °/o Tuberkulinpositiven bei 14j/ihrigen als Ausdruck einer fiberwundencn Tuber- kulosegefi~hrdung, yon Resultaten ausgehen, die mit dem WHO-Standardtest gewonnen werden.

5. Station~ire Behandhmg

Aus VerSffentliehungen der deutschen Rentenversicherung [50] ist ersichtlich, wieviel Tuberkuloseheilverfahren 1955--1963 bei Kindern station/tr durchgefiihrt wurden. In der Rentenversicherung der Arbeiter und der knappschaftliehen Rentenversicherung wird seit 1960 die kindliche PrimSrtuberkulose nicht mehr unter den Lungentuberkulosen sondern den ,,sonstigen Tuberkulosen" registriert. Insgesamt hat sich die Zahl der abgeschlossenen Heilverfahren um 58 ~/o verringert. Dabei wurden die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen in dcr Berichtszeit erleichtert. Bei den Iteilverfahren der Rentenversicherung handelt es sich nur um einen in seiner H6he nicht bekannten Teil der gesamten stationiiren Ma[~- nahmen, aul~erdem sind Erfassungsraum ffir die amtliche Tuberkulosestatistik

2 Inzwischen verSffentlicht in Prax. Pneumol. 21~ 389--403 (1967).

3*

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36 G. NEUM.~NN:

und die Heilverfahrensstatistik nicht identisch. Die Zahl der station~ren Behand- lungen entspricht 70--104% des Bestandes der 0--14jahrigen mit aktiver Tuber- kulose aller Organe bzw. 101--131% der Neuzug/inge in diesen Altersklassen. Demnach miiBte es sich bei den Neuzug/~ngen vor~iegend um schwere F/~lle handeln, was im Widersprueh zu den anderen Tatsaehen steht, oder es wird, was zutreffen dfirfte, im Kindesalter die Indikation zur station/~ren Behandlung sehr welt gestellt.

6. Neuzug~inge in Stuttgart 1964 und 1965

Die Grotraumbetrachtung solI dureh eine eingehende Analyse in einem iiber- sehbaren Gebiet erg/~nzt werden. Dabei diirfen nieht die amtlichen Zahlen zu- gIaandegelegt werden, besteht doch zwischen diesen und den echten Neuerkran- kungen eine betr/~ehtliche Diskrepanz (NEuMAz~N [44C]). Dureh eine entspreehende Korrektur verringert sieh in den beriicksichtigten Altersklassen im Jahre 1964 die Zahl von 106 Neuzugangen um 13 (12,3%), 1965 yon 153 um 25 (16,3%). Die 2 bzw. 6 darunter befindlichen Fehldiagnosen beruhen meist darauf, dab auf Grund einer als positiv beurteflten Percutanprobe ein aktiver ProzeB ange- nommen wurde, die sp/£tere intracutane Durehtestung jedoch negativ ausfiel. Die Zahlen yon 1965 enthalten aue:h 12 sog. ]~berg£nge aus den statistischen Gruppen I I e (Exponierte), I I d (ungekl~rte Diagnosen) und I I I (nichttuberkul6se Erkrankungen), bei denen de facto Erst- bzw. Ncuerkrankungen vorliegen. Bis zum 15. Lebensjahr w/~re nach der WHO-Definition nieht ein einziger ,,Fall yon Tuber- kulose" zu verzeichnen gewesen, und dies beigut 100 000 Angeh6rigen dieser Alters- stufe. Die Zahl der Ausl/~nder ist yon 5 (5,7 %) im Jahre 1964 auf 15 (10,4%) 1965 an- gestiegen. 1964 waren 10 (17,8%) yon 56 1 e-Fallen reine Tuberkulinkonversionen ohne naehweisbare Lungenver/~nderungen, 1965 15 (15,6%) yon 96. 1964 wurden 52 F/~lle (59,1%), 1965 84 (58,3%) durch aktive Diagnostik: Tuberkulinkataster, Reihenuntersuchung, Umgebungsuntersuchung, entdcckt. Die Umgebungs- untersuehung allein war aussehlaggebend in 24 (27,3%) bzw. 54 (38,9%) F~llen; ihre Bedeutung ist also wesentlich gr6Ber, als yon NA~,AI~- et al. kiirztich angegeben. Symptome f~hrten 25real (28,4%) bzw. 37real (25,7%) zur Diagnose. Dieser Pro- zentsatz entsprieht den Verh~ltnissen in Jugoslawien 1962 und 1963, w/~hrend in Genf 1963/64 15%, in Frankreieh in den gleiehen Jahren nur 9% infolge von Besehwerden diagnostiziert wurden (LoTTo). In den USA getang dagegen noeh 1955 die Diagnose nur in gut 50% im beschwerdefreien Stadium (SCHNEIDER U. DRUMMOND). Bis zum 15. Lebensjahr war die Tuberkulinprobe 23mal (35,9%) bzw. 64real (44,4%) entseheidend fgr die Diagnose.

~Vie bei der groBen Bedeutung der Umgebungsuntersuchung zu erwarten, ist die Quote der aufgekl/irten Infektionsquellen reIativ hoch : im Alter yon 0 bis unter 5 Jahren 1964 50%, 1965 66%, von 5 bis unter 10 Jahren 30 bzw. 83%, yon 10 bis unter 15 Jahren 36 bzw. 50% und yon 15 bis unter 20 gahren immer noeh 21 bzw. 39%. Diese Zahlen stellen nur Mindestwerte dar, liegen in vergleiehbarer HShe mit neueren Angaben :Quote der aufgekl/£rten Infektionsquellen bei COURT~ 45,8 % (1955--1962), GXDEKE U. GI~EIFE~HAGEZ¢ 53,0% (1953) bzw. 61,5% (1959/60), im Durchschnitt 56,9%, HOTTERER 55--83% (1954/55), 57,4--81,0% (1962/63), je nach Altcrsklasse versehieden. In beiden Jahren stammten je 8 Falle (9 und 5,6%) aus der Gruppe der Disponierten.

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Die diagnostizierende bzw. meldende Stelle -- beides f/~llt oft nieht zusammen, wurde abet 1964 nieht getrennt registriert -- war 1964 8mal (9%), 1965 6mal (4,2 %) ein Kinderarzt, 10mal (11%) bzw. 17mal (11,8 %) eine Kinderklinik, 23mal (26%) bzw. 39mal (27,1%) ein niedergelassener Lungenfacharzt, 35mal (40%) bzw. 49mal (34,0%), also am haufigsten, das Gesundheitsamt, 12real (14%) bzw. 23mal (16,0~/o) eine sonsgige Stelle. Auffallend hoch ist der Anteil der Lungenfach- iirzte aueh bei der Erfassung yon Patienten im eigentliehen Kindesalter. In einem gewissen Umfang beruht das darauf, dab besonders bei schweren, fortgesehrit- tenen, dutch Symptome festgestellten Tuberkulosen die ganze Familie ge- schlossen den Lungenfaeharzt, zumindest zur Erstkontrolle, aufsueht. Vielfaeh wird aueh die Aufforderung zur Naehuntersuehung nieht abgewartet, wenn im Rahmen eines Katasters die Tuberkulinprobe positiv ausf/~llt. Obwohl aueh hier der 0ffentliehe Gesundheitsdienst Anlal] zur Diagnose gab, werden dieso F/ille doch als,,vom Lungenfaeharzt (oder einer anderen Stelle) iiberwiesen" gezShlt.

1964 wurden nur 3 yon 18 neuerkrankten Kindern unter 5 Jahren zu Haus be- handelt, 1965 bereits 9 yon 35 (79 < 0,50). In allen Fallen yon ansgeekungsf/~higer Lungentuberkulose edblgte station/ire Behandlung. Umgekehrt kann gesagt werden, da6 zumindest im fr~ihen Kindesalter der Erregernachweis ausschlieB- lieh unter station/~ren Bedingungen gelingt. Bis zum vollendeten 14. Lebensjahr wurden 1964 13 Kinder ambulant beim Lungenfaeharzt, 3 beim P/~diater be- handelt, 1965 19 bzw. 7; tier prozentuale Anteil der ambulant behandelten F/~lle ist in beiden gahren gleich geblieben (ca. 18%).

7. Die prospektive Bedeutung der Kindertuberkulose

Abgesehen yon dem unmittelbaren Risiko, ausgedrfickt durch die Letalit/tt und, weniger objektiv, die Dauer der station/~ren Behandlung, h/ingt die Be- deutung der Kindertuberkulose davon ab, wieviel Erkrankungen im sp/tteren Leben bei diesen Kindern nachfolgen. Nach Literaturangaben (s. NEUraANN [44 b]) schwankt dieses Risiko zwisehen dem Minimalwerg yon 5% Erkrankungen w/~hrend des ganzen Lebens [2] und dem Maximum yon 44% Sterbef/tllen inner. halb yon 10 Jahren naeh Erkrankungsbeginn (PERETrI). Mit solch ung/instigen Erwartungswerten braueht nicht mehr gereehnet zu werden. -- Sehr wertvoll und aufsehluBreieh fiir die Beantwortung der Frage naeh der kiinftigen Er- krankungswahrscheinlichkeit im sp/~teren Leben sind die Untersuehungen yon MYERS und seinem Arbeitskreis in den USA. Je nach dem Alter, in dem die Infektion erfolgte, erreehnen sich Risiken yon 4--26% ftir den weiteren Be- obaehtungszeiSraum, der, worauf :BARTMANN hingewiesen hat, nieht das ganze Leben umfa/]t; fiber Sp/itmanifestationen ist praktisch nichts bekannt. Ob es wirklieh notwendig ist, diese Risikowerte zu erh6hen, mu6 bezweifelt werden. MYERS und seine Mitarbeiter beobachteten, yon wenigen Fallen mit Kollaps- therapie oder Chemotherapie der Sp/~trezidive abgesehen, nur therapeutiseh unbe- einfluBte Prozesse. Dureh eine zweekm/~13ige Behandlung k6nnen mit Sieherheit die Frfihrezidive, vermutlich aber aueh Spiitrtiekf/ille, erheblieh reduziert werden. Wenn man dies beriicksicbtigt, so sind die genannten Werte eher als obere denn als untere Grenze des k/inftigen Erkrankungsrisikos anzusetzen.

Andere Langzeitbeobachtungen, die beiden ersten ohne EinfluB der Chemo- therapie, ergeben folgendes:

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38 G. N~u.~A~:

Von 749Kindern, die 1937--1939 in einem d~inischen Kindersanatorium behandelt wurden, starben 11 im Sanatorium, 14 w/~hrend der 13--23ji~hrigen Nachbeobachtung an Tuberkulose, 19 aus anderen Ursachen. Von 17 Patienten war keine weitere Information zu erhalten, 20 sind sp~ter ausgewandert, 620 (84,0%) blieben beschwerdefrei (ERLING).

1935 wurden in der norwegischen Stadt Bergen 1367 Kinder geboren; bis 1962 starben 112; aus der Beobachtung gingea 6 verloren, naehweislich infiziert wurden 165. Davon erkrankten 56 an einer Prim~irtuberkulose (4 an einer Miliar- tuherkulose, 4 spKter an einer postprimiiren ~berkulose) , 2 an einer Meningitis und 7 an einer postprim~ren Tuberkulose, insgesamt also 65 (39,40/0). Der recht hohe Prozentsatz (EILERTSE~) beruht vor allen Dingen darauf, dab 21 (12,7~) in- nerhalb der ersten 2 Lebensiahre infiziert wurden, yon denen 19 (90o/0) erkrankten.

In einer eigenen Beobachtung yon Tuberkuloseinfizierten ereignete sich auf 267 Beobachtungsjahre nicht eine einzige manif~ste Erkrankung, obwohl es sich um die Pubert~tsjahre handelte (NEuMAN~ [44b]). Naeh den Regeln der Statistik liegt die wahrc ~Vahrscheinlichkeit zwisehen 0 und maximal 1,8 Fiillen/100 Pcr- sonenjahre. Wenn man den wahrseheinlichen Weft gleiehbleibend mit 0,1--0,5 ansetzt, so ergeben sich unter 100 Fallen innerhalb von 20 Jahren 2--10 Er- krankungen.

8. Bespreehung

Eine Erkra1~kung an aktiver Tuberkulose kann beruhen auf:

1. direkter Weiterentwicklung naeh erfolgter Infektion, 2. erster Manifestation nach lange zurfickliegender Infektion, 3. Rfickfall nach (spontan oder dutch Behandlung) eingetretener Inaktiviti~t.

0TT [46a] hat erstmals ffir die Schweiz, jedoeh ecsb ab 15. Lebensjahr, eine entsprechende Bilanz aufgestellt. Von GRZYBOWSKI U. ALLEN stammt eine Be- rechnung fiir Kanada, vom Verfasser eine fiir Stut tgart 1964 (NEUMA~N [44C]). Bemerkenswert ist die weitgehcnde ~bereinstimmung. Je jfinger der Patient, umso seltener kommen die MSghchkeiten zwei oder drei in Frage. Die Zahl der TrKger yon rSntgenologisch erfaBbaren intrapulmonalen oder pleuralen Ver- i~nderungen ist nur gering: in einem Kollektiv yon 46645 m~nnlichen und 54928 weiblichen Untersuchten ab 12. Lebensjahr fanden sich bis zum 20. Lebcnsjahr nur 3,1 bzw. 2,4% derartige ,,Befundtr~ger", ab 65. Lebensjahr dagegen 22,0 bzw. 15,3% (STEINBRI~CK).

Fiir die Altersklassen der 15--19j'~hrigen wurden Informationen fiber den friiheren Tuberkulinstatus ehlgeholt, freilich nur auf der Basis der Percutanprobe. 1964 lagen fiir 6, 1965 fiir 7 Erkrankte keine derartigen Auskiinfte vor. ~Tur in 4 (9~/o) yon 44 Fi~lIen war eine l~nger zuriiekliegende Infektion bekarmt. Be t ~Vert dieser Aussage wird dadurch eingesehr~nkt, dai~ in 18 (41~o) Fiillen seit der ]etzten negativen Tuberkulinpriifung mindestens 5 Jahre vergangen waren, der Zeitpunkt der Infektion hier also mit einem hohen Unsicherheitsfaktor behaftet ist. - - Beim Bestand liegt der Anteil der Altf~lle wesentlieh hSher, geht aber yon 1963 auf 1964 stark zuriick. Noch 1963 hat te bei gut einem Viertel der Jugend- lichen mit verwertbaren Angaben die aktive Tuberkulose sehon vor dem 15. Lebens- ]ahr begonnen. -- 1964 und 1965 ~ r d e n insgesamt 8 ~berg~nge aus der sta- tistischen Gruppe I I a in die Gruppen I a - - d erfal~t, und zwar 7mat in der Alters-

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Zur Epidemiologie der Tuberkulose bei Kindcra und Jugcndlichen 39

klasse yon 5 bis unter 10, lmal in der yon 10 bis unter 15, bzw. 6real zur aktiv geschlossenen Lungentuberkulose, je einmal zur Lungentubcrkuloso mit Er. regern~chweis und zur aktiven Tuberkulose der periphcren Lymphknotcn. Fiinf- real erfolgte der ,,Ubergang" innerhalb des erstcn Jahres dcr Notifizicrung, d.h., die erste Beurteilung war nicht zutreffend bzw. wurdc vom n/tchstuntersuchcndcn Arzt, of~ ohne Bekann~werden neuerTatsachen, abge~indert. Echte Riickftille nach behandelter Tuberkulose, wie beim Erwachsenen nicht selten, wurden nicht be- obachtet. Es erscheint bemerkenswert, dab innerhalb yon 2 Jahrcn nicht ein einzi- ges Rezidiv in der a.ls besonders gef~hrdeten Altersklasse yon 15 bis unter 20 auftrat.

Eine weitere, sehr verbreitete Vorstellung kann bei exakter Nachpriifung nicht best.~itigt werden: das als besonders hoch bewertete Tuberkuloserisiko bei Eintritt in das Berufsleben. 1964 erkrankten yon den 10182 Stut.tgarter Schiilcrn l0 (~ 1,0O/oo), yon den 26955 Berufst/itigen dagegen nur 14 (0,5°/00). 1965 erkrank- ten 14 (1,3o/0o) yon 10042 Schfilern und 22 (0,8OJoo) yon 26 872 Berufstiitigen. Forde- rungen nach einer Sonderbetreuung beru/stgtiffer Jugcndlichcr sind dcmnach epidemiologisch nicht begriindet.

T~AUGER hat kiirzticb zwei Kurven einander gegeniibergestellt: in der ersten (Abb. 1) wird, wie iiblich, die Zahl der Neuzug~inge auf die Zahl der Gesamt- bev61kerung bezogen. Es resultiert die bekannte Kurvcnform mit absolutem H6hepunk$ ira Erwaehsenenalter. Leg~ man dagegen, wie in Abb. 2, die Zahl der Tuberkulinpositiven jeder Altersgruppe als Bezugsgr6Be zugrunde, so folgt praktisch eine Umkehrung der Kurve: jetzt finder sich der Gipfel im jiingstcn Kindesalter, in dem nur wenige infiziert sind, w~,hrend yon der grofSen Zahl Infizier- ter des Erwachsenenalters nur relativ wenige erkranken, die Kurve hier also flach verl~uft. Zu der Darstellung von TICAUOEI¢ kann man nur gclangcn, wcnn die frischen Konversionen bei den Tuberkulinpositiven mitgez/ihlt werden. Indirekt best~tigen diese Kurven die Auffassung yon VoGT, wonach das Tuberkuloserisiko als solches gleichgeblieben ist; der Rfickgang der Tuberkulose ist lcdiglich durch das Absinken der Infektionsgelegenheit bedingt.

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Abb. 1 Abb. 2

Abb. 1. Rate der Neuzug~tnge an ~ktiver Tuberkulose, USA 1962 (n~ch TRAUO~:tt)

Abb. 2. R~te der Ncuzug£nge an aktivcr Tuberkulose bezogen auf Tuberkulinpositivc (gc- sch//tzt) USA 196x (nach TRAUOER)

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40 G. N~uMA~:

Die H/~ufigkeit der Kindertuberkulose steht in direkten, engen Beziehungen zur H/~ufigkeit der Infektionsgelegenheit, die ihrerseits wieder von der Zahl dcr vorhandenen Infektionsquellen abh~ingen. In Symbolen 1/igt sich das, einem Beispiel von WAALER folgend, so ausdriieken:

P = / ( K ) ; K--['(A).

Dabei ist P die Zahl der Prim/irtuberkulosen, K die der Konvertoren und A die der Ansteckungsquellen, bei / und [' handelt es sich um alterSabh/~ngige Konstanten.

Wenn, wie erw~hnt, in Baden-Wtirttemberg und Stuttgart die Zahl der Erkrankungsf~lle ansteigt, die der Infizierten aber zurfickgeht, so bieten sich folgende Erkl/irungsm6glichkeiten :

1. Die Erfassung der Infizierten hat sich vcrschlechtert, z. B. wegen Riickgangs des Moro-Anteils. Diese Deutung ist unwahrseheinlich. 1964 reagierten 4 von 129 Schfilern der Geburtsjahrg~nge 1948/49 auf die Percutanprobe negativ, einige Monate sp/~ter positiv auf 1 TE RT 23 (= WHO-Standard-Test). In keinem Fall war ein krankhafter RSntgenbefund zu erheben, niemals lag eine frische Exposition vor. Eine echte Konversion erscheint trotz des zeitlichen Abstandes unwahrschein- lich; das Ph/inomen wird am besten als Auffrischph/inomen erkl/~rt. 1965 wurden 157 Kinder der Geburtsjahrg/inge 1950--1952 im unmittelbaren Anschlu6 an die Percutanprobe intracutan nachgetestet. Hier gab es keine falsch negativen Pereutanproben, ebensowenig bei 159 Kindern der Geburtsjahrg/~nge 1952/53 (1964) und 264 der Jahrg/~nge 1955/56 (1964). Diese Resultate sprechen nicht daffir, dab die Erfassung der Tuberkutoseinfizierten mittels Percutanprobe unvoll- st/~ndig geworden ist.

2. Entsprechend der abnehmenden Durchseuchung handett es sich zunehmend um Folgen einer frischen Infektion mit einer hSheren Manifestationswahrsehein- lichkeit. Dafiir spricht, dab im Gegensatz zu Heilst£ttenaufnahmen (MITTEN- DORFER) in Stut tgart aueh die Zahl der extrapulmonalen Tuberkulosen angestiegen ist.

3. Mit grofler Wahrseheinliehkeit ist, zumindest bei der Lungentuberkulose, die Grenze zwisehen ,,krank" und ,,infiziert" mehr oder weniger ins Wanken geraten. So konnten SC~SEIDER U. DRUMMOND bei 50--67°//o aller yon ihnen unter- suchten Kinder im Magensptilwasser Tuberkulosebakterien naehweisen, STE~ER u. CosIo in 36,1%. In Stut tgart gelang dagegen die bakteriologische Best/~tigung der Tuberkulose 1964 nur in 5 (7 ~o) yon 70 F/~llen, 1965 in 5 (5 o/0) von 99. Innerhalb der Heilst/~tten ist eine Versehiebung zu leichteren F/~llen eingetreten: obwohl in Wangen/Allg/~u (62) 1964 127 Kinder mehr als 1944 entlassen wurden, sank die Zahl der F/ille mit oftener Lungentuberkulose yon 91 (13,3%) auf 76 (9,4%) ab, und dies trotz ErhShung des Durehsehnittsalters. In der Heilst/ttte Aprath stieg der Anteil der Prim/~rtuberkulosen und Rezidive von 50,0% im Jahre 1953 auf 62,0% 1963, dementspreehend nahm die Quote der mittelschweren und schweren F~lle von 25,0 auf 14,5 ~o ab bei gleichzeitiger kr~ftiger Reduzierung der Belegungs- zahl (HOTTER).

Welches Bild die kindliche Tuberkulose heute bietet, soll an Hand einer Reihe von RSntgenaufnahmen demonstriert werden. Sie stammen von 2--12jahrigen Kindern, die nach Diagnose im Gesundheitsamt Stut tgart 1964/65 als ,,Zug~inge" registriert warden. Aus den vorhandenen F/illen wurde eine Auswahl dahingehend

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Zur Epidemiologie der Tuberkulose bei Kindern und Jugendlichen 41

getroffen, dab yon jedem Formenkreis wenigstens ein Beispiel gegeben werden kann. Der schwerste Prozel~ (Abb. 3) betraf das Klteste der bier beriicksichtigten Kinder. In den beiden n/ichsten Fi~llen (Abb. 4 und 5) lag ein kleines Infiltrat in der rechten Spitze bzw. an der Basis des reehten Unterlappens vor. Der Erfi)lg war bei ambulanter wie station/irer Behandlung gleich gut. Die n/ichsten 4 F/ille (Abb. 6--9) stelten m/iBig ausgedehnt,e Hiluslymphknotenprozesse mit nut gering-

Abb. 3. Jutta W., geb. 29. 7.52. Film vom 14. 9, 64, Heilstiittendiagnose: Rcchtsseitigc Bronchiallymphknotentbc mit infiltrativen VerKnderungen im Bereich der Unterlappenspitze.

479 Tage Heilverfahren

L Abb. 4. Alexander R., geb. 1.7.57. Film vom 9. 3. 64. Heilsti~ttendiagnose: Doppelscitigc, vorwiegend rechtsseitige Bronchiallymphknotentbc mit infiltrativen Ver~nderungen im Bereich

des rechten Unterlappens. 132 Tage Heilverfahren

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42 G. NEUMANN:

fiigiger bis zweifelhafter Parenchymbeteiligung dar. Bemerkenswert ist die groi~e, vom Befund hier nicht erklgrbare Schwankungsbreite der Dauer der stationi~ren Behandlung (161--395 Tage). Diese Differenz ist noch auffallender bei den rest- lichen 3 F~lten (Abb. 10---12) mit blande verlaufenden Minimalprozessen. Die F~lle der Abb. 7, 9 und 12 wurden in der gleichen Anstalt wesentlich l~nger stationer behandelt als Kinder in anderen H~usern mit vergleichbarem Befund. Die Darter der station~ren Unterbringung ist kein brauchbares Kriterium fiir die Schwere der Tuberkulose im Kindesalter.

Abb. 5. Peter G., geb. 13. ll. 55. Film vom 16. 9. 63. Diagnose: Spitzentuberkulose rechts. Ambulant behandelt

Abb. 6. Christine H., geb. 26. 9. 56. Film vom 25. 10. 65. Heilst~ttendiagnose: Bronchial- lymphknotentbc und kleines Infiltrat im rechten Unterfeld. 161 Tage Heilverfahren

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Zur Epidemiologie der Tuberkulose bei Kindern und Jugendlichen 43

Alles in allem k6nnen keine vernfinftigen Zweifel daran bestehen, (la[l heute in der Bundesrepublik Zust/inde als ,,aktive Tuberkulosc" bcurteilt werden, die friiher bei uns und andernorts jetzt nicht diesc Bewertung erfahren. Aus ganz anderen Ursachen findet sich wieder eine ~ber-Diagnostik wie zu Zeitcn dcr Lebensmittelkarten. NITSCI~I hat kiirzlich auf diese ]0bcr-Diagnostik aufmerksam gemacht.

Eine verbindliche, auch im Kindcsaltcr brauchbare klinische Definition dcr Tuberkulose k6nnte die entstandenen Schwierigkcitcn weitgehend bescitigcn. Eine

Abb. 7. Andreas R., geb. 9. 8. 61, Film vom 15. 6. 64. Heilstiittendiagnose: Bciderseitige Bronehiallymphknotentbc vorwiegend links. 303 Tage Heilverfahrcn

Abb. 8. Ralf W., geb. 27. 1.6l. Als Neugeborener BCG-geimpft. Film vom 13. 7. 64. Heib st/~ttendiagnose: Rechtsseitige Bronchiallymphknotentbc. 241 Tage Hcilverfahrcn

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44 G. NEU~IANN :

L6sung des Problems ist kaum in Aussicht, stehen sich doch nach HERTZBERG vier nicht miteinander zu vereinbarende AuffMsungen gegen/iber:

1. Jeder Infizierte ist krank, 2. als Erkrankung gelten, auch bei Fehlen klinischer Symptome, alle r6nt-

genologisch erfaBbaren intrathorakalen Ver~nderungen einschliel31ich Erythema nodosum,

3. wie 2., jedoch ohne Erythema nodosum, 4. als Erkrankung zghten nur die ba.kteriologisch best/£tigten F~tle.

Abb, 9. Giinter D.. geb. 1.10. 55. Film vom 22.2.65. HeilstEttendiagnose: Tumorige Bron- chiallymphknotentbc, epihilEre Oberlappeninfiltrierung links. 395 Tage Heilverfahren

Abb. 10. Rainer O.. get). 29. 8. 58. Film vom 28. 6. 65. HeilstEttendiagnose: Tumorige Bron- chial- und Paratracheallymphknotentbc rechts. 296 Tage Heilverfahren

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Zur Epidemiologie der Tuberkulose bei Kindern und Jugendliehen 45

Angesichts des ungel6sten Definitionsproblems kann die Auswertung des amt- lichen Zahlenmaterials nicht roll befriedigen. Ohnc einer Beschr/~nkung auf Formen, die der WHO-Definition eines ,,Falles yon Tuberkulose" entsprechen, das Wort zu reden, mug die Forderung wiederholt werden, die bakteriologische Best/itigung der Erkrankung energisch und zielbewuiJt anzustreben. Wenn dies

Abb. ll. Brigitte W.. geb. 19.3.55. Film vom 25. 10. 65. Heilst~ttendiagnose: Wenig aus- gedehnte, beiderseitige Bronchiallymphknotentbc. 107 Tage Heilverfifllren

Abb. 12. Dieter P., geb. 6. 11.55. Film vom 8. 3. 65. Heilst/i, ttendiagnose: Subhil:4re Mittel- feldinfiltrierung. 36STage Heilverfahren

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46 G. N~U~ANN:

erfolglos bleibt, so ist der wiederholte positive Ausfall der Tuberkul inproben und die Best/it igung yon r6ntgenologisch erfal3baren Vcr/inderungen durch Kontrol lcn als Mindestvoraussetzung ffir eine Aufnahme in die Ffirsorgestatist ik zu fordern. Eine probatorische odor prophylakt ische Therapie kann im Bedarfsfall unabh/ingig v o n d e r formalen statist ischen Bearbei tung eingeleitet werden. Allein die Beach- tung dieser Minimalforderungen - - nur bis zum vollendeten 3. Lebensjahr reicht die positive Tuberkul inprobe f~r sich allein als Beweis fiir das Vorliegen eines akt iven Prozesses aus -- wiirde den internat ionalen Vergleich sehr erleichtern. I n Gebieten mit viel BCG-Impfungen fehlt die Versuchung, auf Grund einer posit iven Tuberkul inprobe einen R6ntgenbefund fiberzubewerten ; bereits dadurch ist eine vorteilhaftere Posit ion gegeben.

Es gibt, wie gezeigt werden konnte, aueh bei der Kindertuberkulose keine einheitliche epidemiologisehe Si tuat ion: L~ndcr nfit einem so geringen Befall, der bereits fortg6schri t tenen Stadien der Eradika t ion entspricht, stehen solehen gegen- fiber, in denen die Kinder tuberkulose immer noch in nennenswertem Umfang vor- handen ist. Dies muB unter den heutigen Gegebenheiten als Ausdruck einer insuffi- zienten Tuberkulosebeki~mpfung angesehen werden. Offensichtlieh gelingt es in solchen Regionen weder, die Tuberkulosekranken rechtzeitig zu erfassen, noch wird die Ansteekungsfahigkeit in genfigendem Umfang beseitigt. So waren in Stut tgar t , t rotz praktiseh lfickenloser Einweisung aller Neuzugange in station/ire Behandlung, 1964 115 (33,8%) aller wirklieh ansteckungsfiihigen Kranken li£nger als 2, 64 (18,8%) 1/inger als 5 und 22 (6,5%) 1/inger als 10 Jahre ununterbroehen ansteckungsf/ihig, ffir 1965 lauten diese Zahlen 115 (31,6%), 55 (15,1%) und 27 (7,4%).

In der Bundesrepublik ha t die TuberkulosebekSmpfung in ihrer bisherigen Form wohl einen betrhchtliehen Rfickgang der Kindertuberkulose begfinstigt, aber nicht zum v611igen Versehwinden der Krankhe i t bei Kindern und Jugend- lichen fiihren kSnnen.

Aus Platzgriinden muBte leider auf die Wiedergabe des roichen statistischen Zahlen- materials (26 grol~e Tabcllen) verzichtet werden.

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Nicht im Textteil aufgefiihrte Literaturstellen sind in den nieht abgedruekten Tabellen verwendet.

BCG-Impfung und epidemiologischer Stand der Tuberkulose bei Kindern und Jugendlichen in Norwegen

SIMON FROSTAD Oslo Sanitetsforenings Sanatorium

Wie in allen westeurop/tischen LKndern beobachtet man auch in Norwegen besonders bei Kindern und Jugendliehen einen starken Rfiekgang der Tuberkulose- Morbidit/it und -Mortalit/tt. Es sollen hier abcr nicht all die Faktoren, die auf diese gfinstige Seuchenlage EinfluI3 haben, erw/~hnt werden, sondern ieh will nur einige wiehtige Daten des BCG-Impfprogrammes Norwegens vorlegen und besprechen.

Bei einer BevSlkerung yon nut etwas fiber 3 Millionen stellen 1,5 Millionen Impfungen eine recht hohe BCG-Impffrequenz dar, was nahezu einer Beteiligung der HKlfte der GesamtbevSlkerung entsprieht. Die Zahl der Impfungen nahm yon 1945--1952 besti£ndig zu; danach blieb sie ziemlich konstant (diese Angaben s tammen aus dem Staatlichen BCG-Laboratorium in Bergen, dem einzigen Hersteller yon BCG.Vaccinen in Norwegen). Der Sehwerpunkt der Impfmai3- nahmen hat auf der AltersgTuppe 15--19 Jahre gelegen, die einen Anstieg an Impfungen yon 25- -27% im Jahre 1951 auf 84% im Jahre 1959 zu verzeichnen hatte. Es sei in diesem Zusammenhang noch darauf hingewiesen, daI3 in Norwegen seit 1947 fiir alle gahrg/£nge zwischen 14--40 Impfpfl icht mi t RSntgenauf- nahme besteht.

Die 3 skandinavischen L/hider DAnema:rk, Schweden und Norwegen beginnen ihr Massenschutz-Impfprogramm bei verschiedenen Altersgruppen mit fast gleich groller Impfquote :

Sehweden: Neugeborene (Sauglinge) Da, nemark: SchuIanf~nger (ca. 7 3ahre) Norwegen: Schutabggnger (ca. 14 Jahre).

Man kann jetzt natgrlieh nieht ohne weiteres das absolute Niveau der Tbc- Morbidit~t und ihrer Veranderungen vergleiehen, wie es die offiziellen Statistiken tun, da auch noch andereseuchenhygienisehe Faktoren eine Rolle spielen; viel-