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Zur XI. Aus DER POSENER AN~TALT F[TR UNFALLVERLETZTE. Frage der Beobaehtung Unfallverletzter zwecks Ausstellung des 6utachtens. Von Dr. Marcus, leitendem Arzt. Die Zahl der Verletzten, die zum Zwecke der Nachuntersuchung einer klinischen Beoba('htung unterzogen werden miissen, wird von Jahr zu Jahr grSsser, das heisst nichts anderes, als dass die Untei'suchungsfitlle jahraus jahrein an Zahl zunehmen, bei denen sich ein Urteil auf Grund einer ein- maligen Untersuchung nicht abgeben 15tsst, die zwecks vollkommener Klar- stellung ihres Zustandes meistens ~uf den Rat der die Nachuntersuchung ausfiihrenden :{~rzte einer l~ingeren oder kiirzeren klinischen Beobachtung unter- zogen werden miissen. Und d~bei handelt es sich bei diesen Beobachtungs- fi~llen zu einem nicht geringen Tell um einf~che Verletzungen, die normaler weise zu entsprechend einfitchen Folgeerscheinungen fiihren mtissten und daher einer Beob~chtung nicht bediirften. Es sind das Erfahrungen, die in den letzten Jahren wohl durchweg und besonders wohl in den AnstMten zur Behandlung yon Unfallverletzten gemacht worden sind, und es diirfte nicht uninteressant sein, ~uf diese sicherlich doch eine grosse Bedeutung beanspruchenden Erscheinungen etwas nS~her einzugei,en. Ich habe, um einmal das Anschwellen der Beobachtungsf~lle zahlenm~ssig nachzuweisen, unser ganzes Beobachtungsmaterial aus den 10 Jahren 1901--1910 zusammengestellt und zwar so, dass aus ihm auch der Anteil der einzelnen bei den Verletzungen in Frage kommenden Versicheru:ngstr~iger an den BeobachtungsfS~llen zu ersehen ist. Ich babe dann weiter bei den Berufs- genossenschaften -- ge, werblichen sowohl als landwirtschaftlichen -- das Ver- h~ltnis zwischen Behandlungs- und Beobachtungsf~illen da.rgestellt, und ich babe endlich das Beobachtungsmaterial aus den 5 Jahre:n 1906--1910 im einzelnen genau durchgesehen und dasselbe nach den folgenden Gesichtspunkten geordnet: Art der Verletzung, Zeitpunkt der Beobachtung, Dauer derselben und Resultat derselben. Ich will durch dieses Zahlenmaterial nichts beweisen, dazu ist es zu gering. Aber zunS~chst erscheint es mir durchaus geeignet, die oben

Zur Frage der Beobachtung Unfallverletzter zwecks Ausstellung des Gutachtens

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Page 1: Zur Frage der Beobachtung Unfallverletzter zwecks Ausstellung des Gutachtens

Zur

XI.

Aus DER POSENER AN~TALT F[TR UNFALLVERLETZTE.

Frage der Beobaehtung Unfallverletzter zwecks Ausstellung des 6utachtens.

Von

Dr. Marcus, leitendem Arzt.

Die Zahl der Verletzten, die zum Zwecke der Nachuntersuchung einer klinischen Beoba('htung unterzogen werden miissen, wird von Jahr zu Jahr grSsser, das heisst nichts anderes, als dass die Untei'suchungsfitlle jahraus jahrein an Zahl zunehmen, bei denen sich ein Urteil auf Grund einer ein- maligen Untersuchung nicht abgeben 15tsst, die zwecks vollkommener Klar- stellung ihres Zustandes meistens ~uf den Rat der die Nachuntersuchung ausfiihrenden :{~rzte einer l~ingeren oder kiirzeren klinischen Beobachtung unter- zogen werden miissen. Und d~bei handelt es sich bei diesen Beobachtungs- fi~llen zu einem nicht geringen Tell um einf~che Verletzungen, die normaler weise zu entsprechend einfitchen Folgeerscheinungen fiihren mtissten und daher einer Beob~chtung nicht bediirften.

Es sind das Erfahrungen, die in den letzten Jahren wohl durchweg und besonders wohl in den AnstMten zur Behandlung yon Unfallverletzten gemacht worden sind, und es diirfte nicht uninteressant sein, ~uf diese sicherlich doch eine grosse Bedeutung beanspruchenden Erscheinungen etwas nS~her einzugei,en.

Ich habe, um einmal das Anschwellen der Beobachtungsf~lle zahlenm~ssig nachzuweisen, unser ganzes Beobachtungsmaterial aus den 10 Jahren 1901--1910 zusammengestellt und zwar so, dass aus ihm auch der Anteil der einzelnen bei den Verletzungen in Frage kommenden Versicheru:ngstr~iger an den BeobachtungsfS~llen zu ersehen ist. Ich babe dann weiter bei den Berufs- genossenschaften - - ge, werblichen sowohl als landwirtschaftlichen - - das Ver- h~ltnis zwischen Behandlungs- und Beobachtungsf~illen da.rgestellt, und ich babe endlich das Beobachtungsmaterial aus den 5 Jahre:n 1906--1910 im einzelnen genau durchgesehen und dasselbe nach den folgenden Gesichtspunkten geordnet: Art der Verletzung, Zeitpunkt der Beobachtung, Dauer derselben und Resultat derselben.

Ich will durch dieses Zahlenmaterial nichts beweisen, dazu ist es zu gering. Aber zunS~chst erscheint es mir durchaus geeignet, die oben

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Zur Frage der Beobachtung Unfallverletzter zweeks Ausstellung des Gutaehtens. 89

erw~ihnten, wohl allgemein gemachten Erfahrungen zu besti~tigen, n~mlieh die eine, dass die Zahl der Beobachtungsf~tlle immer grSsser wird, und die andere, dass unser Beobaehtungsmaterial sich zu einem nieht geringen Tell aus ein- fachen, normalerweise einer Beobaehtung nieht bediirfenden Verletzungen zusammensetzt. Sodann glaube ieh, dass einzelne, in der Statistik immer wiederkehrende, auffallende Erseheinungen fiir die Frage naeh den Ursaehen der oben erw~hntenErfahrungen zu verwerten sind, und endlieh bin ieh der Uberzeugung, dass die Ergebnisse der Statistik manehen Hinweis auf die MSgliehkeit einer Erreiehung besserer Zust~nde geben kSnnen.

Die Gesamtzahl der Beobaehtungsf~lle w~hrend der 10 Jahre betrug 512, die Gesamtzahl der Behandlungsf~lle 3682. Diese Gesamtzahl der Beobaeh- tungsfSlle verteilt sieh auf die einzelnen Jahre und die in Frage kommenden Versicherungstr~ger folgendermassen:

Landw. Berufsgen. Gewerbl. Berufsgen. Krankenkassen 1901 ll 18 1902 11 25 1903 5 7 -- 1904 - 56 -- 1905 4 22 1906 -- 49 -- 1907 -- 42 1908 7 58 1 1909 14 74 -- 1910 13 93 2

Die Krankenkassen haben mit BeobachtungsfSJlen nur ausnahmsweise zu reehnen. Das ist erkl~rlich; denn die Institution der Beobachtung ist eine Folgeerscheinung der aus der Verletzung resultierenden Invalidit~tt, oder vielleicht riehtiger gesagt, des llentenanspruehes; und Krankenkassen zahlen keine P~enten.

Die landwirtsehaftliehe Berufsgenossensehaft hat zwar, absolut genommen, mehr BeobachtungsfS~lle, doeh spielen sie praktiseh aueh keine Ilolle, da ihre Zahl im Verhgltnis zu den Behandlungsfiillen immerhin nur sehr gering ist, wie wit gleich unten sehen werdenl).

Dagegen ist die Zahl der BeobaehtungsfS~lle bei den gewerbliehen Berufs- genossensehaften eine recht grosse und zwar sowohl absolut, als aueh im Verh~ltnis zu den Behandlungsf~tllen. Sie sind es aueh, die in der Hauptsache yon der Steige- rung der Beobaehtungsf.~tlle betroffen werden. I)as Anwaehsen ist nun keineswegs gleiehmSssig, wie aus den vorhergehenden Zahlen zu ersehen ist. So sind z. B. 1903 viel weniger Beobaehtungen gewesen als 1902 und 1901, und 1904 wieder mehr als in den folgenden drei Jahren. Immerhin ist aber in den letzten fiinf Jahren ein stS~ndiges und ziemlieh rasehes Anwachsen der Beob- aehtungen zu verzeichnen, und ich habe gerade aus diesem Grunde das Material aus diesen letzten fiinf Jahren einer genauen Durehsieht unterzogen.

~) Diese Verhaltnisso sind ausftihrlieher besproehen in dem siatistisehen Jahrbuch der Posener Heilanstalt fiir Unfallverletzte, welches die 10 Jahre yon 1901--1910 umfasst, ersehienen bei Preuss & Jiinger in Breslau.

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90 .Marcus,

Ich gebe nun die Zahlen, die das Verh~iltnis zwischen Beobachtungs-und Behandlungsffi.llen bei den gewerblichen und der ]andwirtschaftlichen Berufs- genossenschaft zeigen:

I . Gewerbl iche Berufsgenossensehaf ten .

GesalnV Behandlungs- ~ Beobachtungs- ~o aufnahme f~lle f~tle

1901 126 lOS 85,7 18 14,3 1902 123 98 79,7 25 20,3 1903 158 151 85,6 7 4,4 1904 224 168 75,3 56 24,7 1905 207 185 39~4 22 10,6 1906 235 186 79,2 49 20,8 t907 367 225 $8,6 42 11,4 1908 299 241 $0,7 58 19,3 1909 360 286 79,5 74 20,5 1910 36~ 271 74,5 93 25,5

I I . l .andwir tsehaf t l iche Berut 'sffenossensehaft .

Gesamt- Behandlungs- ~ Beobachtungs- ~ aufnahme f~lle f~lle

1901 168 157 93,6 ll 6,4 1902 229 213 95,2 11 4,8 1903 202 197 97,6 5 2,4 1 9 0 4 . . . . . . . . . . 1905 115 111 96,6 4 3,4 1 9 0 6 . . . . . 1 9 0 7 . . . . . . . 1908 112 105 93,8 7 6,2 1909 117 103 88,1 14 11,9 1910 1~2 119 90,2 13 9,8

Diese Zus~mmenstellung zeigt zun~chst, dass die Beob~chtungen bei der landwirtschaftlichen Berufsgenossensehaft sowohl im Verh~ltnis zu den Be- handlungsf~illen, als besonders im Verh~ltnis zu den Beobachtungsf~illen bei den gewerbliehen Berufsgenossenschaften gar keine Rolie s]?ielen. Icb werde reich d~her yon nun ab bei ahem, was ich fiber Beobachtungen zu sagen babe, ganz auf die gewerblichen Berufsgenossenschaften beschr~nken. Bei diesen hat sieb die Zahl der Beobachtungen in fast erschreckender Weise vermehrt. In den letzten drei Jahren haben die Beobachtungen fast ein Viertel der Gesamtaufnahmen ausgemacht. Die BehandlungsfSlle sind lange nicht in dem Masse gewachsen wie die Beobachtungsfglle.

Dass also die Zahl der BeobachtungsfElte sieh st~indig und in fast un- heimlicher Weise vermehrt, kann keinem Zweifel unterliegen und die erste sich uns aufdrSngende Frage diirfte nun wohl die sein, worauf dieses An- wachsen der Beobachtungsfs zuriickzufiihren ist.

Bevor wit abet auf eine Be~ntwortung dieser Frage eingehen, d[irfte es zweckmi~ssig sein, dass wir uns zunS~chst tiberhaupt einmM iiber Beobachtungs-

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fKlle klar werden, d. h. dariiber, in welchen F~llen eine Beobachtung ange- bracht und notwendig ist.

In punkto Beobachtung ist man im Laufe der Zeit offenbar recht weit- herzig geworden.

Die Schiedsgerichte und das Reichsversieherungsamt ordnen fast in jedem Fall, wo sic noch ein Gutachten wfinschen, eine Beobachtung an. Die Be- rufsgenossenschaften handeln vielfaeh ganz ebenso. Von den Verletzten will ich gar nicht sprechen; denn diese sind bekanntlich mit der Forderung einer Beobachtung sehr schnell bei der Hand. In sehr vielen dieser F~lle eriibrigt sich natiMich eine Beobachtung vollkommen. Es handelt sieh da ffir (tie Auftraggeber oft um niehts welter, als um die Einholung eines neuen (;ut- achtens. Das kommt zuweilen auch sehon bei dem Ersuehen dieser Auftrag- geber darin zum Ausdruck, dass sie eine Beobachtung anheimstellen.

Diese F~lle sind nattirlich, streng genommen, gar keine Beobachtungs- f~lle; denn die Verletzten halten sich nicht zum Zwecke der Beobachtung im Krankenhaus 2--3 Tage auf, sondern nur zum Zweeke der Begutachtung, und wenn zu diesem Zwecke selbst eine mehrmalige Untersuehung notwendig ist, sei es, dass die Untersuehung sich techniseh nicht auf einmal durchfiihren 1//sst, sei es, dass die Anstalts~rzte nicht in der Lage sind, so viel Zeit hintereinander auf einen Fall zu verwenden, wie die Untersuchung vielleicht notwendig macht, so ist das doch immer noch keine Beobachtung. Diese F~lle mfissten also yon Rechts wegen aus der Zahl der Beobaehtungsf~tlle herausgenommen werden. Sie vergrSssern die Zahl ausserordentlich und sind doch eben gar keine Beobaehtungsfglle.

Ebensowenig sind alle F~lle, die der behandelnde Arzt zu einer Be- obachtung vorschl~gt, wirkliche Beobachtungsf~lle. Oft genug denkt aueh der Arzt bei diesem Vorschlag nur an ein zweites Gutachten, an ein Ober- gutaehten. Abet auch in solehen F~llen fiberweist die Berufsgenossenschaft die Verletzten dann ganz gewShnlich einer Anstalt zur Beobachtung.

Die Praxis tier einzelnen Anstalten bei solchen Beobachtungen kann nun eine recht ~'erschiedene sein. Es wird hgmfig genug vorkommen, dass ein solcher Fall in der Anstalt untersucht, und wenn eine Beobachtung sich als tiberfliissig erweist, sofort wieder entlassen wird. Ebenso wird es vor- kommen, dass solche Fg.lle einige Tage lang in der Anstalt behalten werden, obwohl die Anstalts~,rzte bei der Auf'n~hme sich fiber ihn vollkommen im klaren befinden. Es ist auch noch sehr die Frage, ob dieses letztere Vor- gehen, wie die Dinge augenblicklich liegen, nieht das fiir alle Teile Praktischere ist, denn dass die Spruchinstanzen in F~llen, wo schon yon der Berufsge- nossenschaft eine Beobachtung beabsiehtigt war, eine solehe dann sicher an- ordnen, ist zweifellos eine alte Erfahrung, Trotzdem sind aueh solche Fglle keinesfalls als Beobaehtungsf~lle anzusehen. Abet auch sie vermehren un- streitig die Z~hl der in der Statistik erseheinenden F~tlle.

Im Gegensatz zu diesen F//llen, die streng genommen, einer Beobaehtung nieht bedfirfen, und bei denen man fiber die Zweekm/issigkeit einer Be- obachtung zum mindesten geteilter Ansieht sein kann, gibt es zwei Kategorien

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92 Marcus,

yon Verletzungen, bei denen eine Beobachtung wirklich notwendig ist. Das sind einmal die sogenannten ,,Nervenf~lle", d. h. die F~lle, die Erscheinungen yon seiten des Zentratnervensystems darbieten, und so&~nn die FS]le, bei denen es sich um sehwere, komplizierte Verletzungen gehandelt hat, die naturgemS~ss in der Regel zu entspreehend schweren Folgeerseheinungen fiihren und mit Riicksicht auf ihre Kompliziertheit eine Beobaehtung notwendig maehen.

Sieht man nun aber das Beobachtungsmaterial auf diese eben gegebene Klassifizierung hin an, so macht man die Bemerkung, dass unter den Be- obaehtungsf~tllen eine ganze Anzahl Verletzte sieh finden, die in keine dieser beiden Klassen hineinpa~sen. Es sind das solehe Verletzte, bei denen es sieh um einfache Verletzungen gehandelt hat und bei denen man entspreehend einfaehe Folgeerseheinungen h~tte erwarten dtirfen. (~anz im Gegensatz hier- zu stehen abet bei diesen Verletzten die Klagen und Ang~ben gewShnlieh in argem Missverh~ltnis zu der geringffigigen Verletzung und dem geringfiigigen Befunde. Die Zahl dieser F~ille ist nicht klein, wie wir gleich sehen werden.

Wtirde nun das Anwaehsen der BeobaehtungsfSlle nur auf ein Plus yon Nervenf~llen und komplizierten Verletzungen zuriiekzufiihren sein, so liesse sieh gegen dieses Anwaehsen, so bedauerlieh das Faktum an sieh immer w~re. vom iirztliehen Standpunkte aus nicht gar allznviel einwenden, denn bei diesen beiden Klassen yon Verletzungen war die Beobachtung wohl yon jeher iiblich und aueh nStig.

Leider haben uns unsere Erfahrungen, wie ieh sehon eingangs bemerkte, etwas anderes gelehrt, und die Statistik bestS~tigt lediglieh diese Erfahrungen. Ieh babe die Beobaehtungsf~l]e in der folgenden Zahlenreihe in drei l<lassen eingeteilt: Erstens in Nervenf~tlle, zweitens in komplizierte Verletzungen und drittens in leichte Verletzungen. Ieh bemerke zur Erl~uterung dieser Klassi- fikation, dass ieh unter ,,Nervenf~llen" Verletzungen des SchSdels und der Wirbelsi~ule mit Beteiligung des Zentralnervensystems verstehe, dann aber aueh Verletzungen, die eine Erkrankung der Psyche zur Folge gehabt haben, unter ,,komplizierten Verletzungen" FAIle, bei denen es sich mn mehrfache schwere Verletzungen an den ExtremitS~ten und am l~umpf gehandelt hat und unter ,einfaehen Fiillen" solehe, bei denen leiehte Verletzungen vorge- legen haben, die auch zun~iehst nur zu entspreehend geringen Verletzungs- folgen gefiihrt haben.

Nervenf~llo Komplizierte Vol'letzung Einfache Verletzung 190l 5 8 5 1902 9 8 8 1903 5 2 -- 1904 26 17 13 1905 17 3 2 1906 23 7 18 1907 25 5 13 1908 33 7 18 1909 42 12 19 1910 43 30 21

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Zur Frage der Beobachtung Unfallverletzter zwecks Ausstellung des Guimchtens. 93

Aus dieser Z~lsammenstellung ergibt sich mit roller Deutlichkeit, dass die Zunahme der Beobachtungsf~lle keineswegs nur durch das Anwachsen der Nervenf~lle und komplizierten Verletzungen hervorgerufen wird, sondern zu einem grossen Teile durch d~s Mehrwerden ~on F~llen, die, streng ge- nommen, einer Beobachtung nicht bedfirfen. Denn diese leichten Verletzungen gehSren weder in die Kl~sse der schweren Verletzungen, noch in die der Nervenfi[lle. Aber, und alas muss bier ausdriicklich hervorgehoben werden, sie. gehSren auch keineswegs zu den F~tllen, die ich vorher aufge~iihrt babe, bei denen weniger eine Beobachtung gefordert wird, als vielmehr ein Ober- gutachten. Selbstverst~ndlich sind einige solcher F~lle d~runter, aber nur so wenige, dass ich sie nicht besonders aufzufiihren brauche. In unserer Anst~lt ist, besonders in den letzten Jahren, stets die Praxis beobachtet worden, eine Beobachtung nut dann vorzunehmen, wenn sie auch wirklich notwendig ist, nicht aber jedesmM, wenn sie gefordert wird.

D~mit w~re nun die erste Fr~ge beantwortet und zwar so, dass d~s Anw~chse.n der Beobachtungsf~lle zu einem Tell auf ein W~chsen yon F~llen zur[ickzuffihren ist, bei denen Beob~chtung notwendig ist, zu einem anderen und leider grSsseren Tell aber auf ein Wachsen von solchen Verletzungen, die, streng genommen, einer Beobachtung nicht bediirfen.

Es dr~,ngt sich nun selbstverst[~ndlich die weitere Frage auf, weshalb denn immer mehr m~d mehr bei relativ einf~chen u die frfiher durch eine einmalige Untersuchung erledigt werden konnten, eine Beobachtung notwendig wird.

In der Art der Verletzungen ist die Beobachtung nicht begriindet, denn die Verletzung ist eine leichte gewesen. In der Art der Begutachtung auch nicht, denn es kann keinem Zweifel unterliegen~ dass die Gutachten und im besonderen die ersten Gutachten, auf die es am meisten ankommL im L u f e der Jahre nicht schlechter~ sondern besser geworden sind. Auch in der Person des Verletzten ist (lie Notwendigkeit der Beobachtung nicht begrfindet. Es soil nicht bestritten werden, dass die sogenannte ,Rentensucht" immer grSsser wird und dass sie die Verletzten immer mehr und mehr dazu ver- leitet, den n~chuntersuchenden ~'~rzten Klagen vorzubringen und Angaben zu machen, die im schroffsten Widerspruch zu der urspr[inglichen Verletzung und zu den objektiv n~chweisbaren Verletzungsfolgen stehen. Diese drei Faktoren sind also nicht schuldig an der Zunahme der Beobachtungsf~lle, oder, ich will reich lieber etwas vorsichtiger ausdr[icken, nicht ~ l l e i n schuldig. Wir werden mithin nach anderen Grfinden suchen mfissen. Und in der Tat ist auch meines Er~chtens ein anderer Umst~nd anzuschuldigen. Man kann unschwer, ~wenn man sich die Beobachtungen ~uf das tlesultat hin ansieht, die Bemerkung machen, dass d~s Resultat desto ungfinstiger ist, je sp~ter die Beobachtung unternommen wird. Auch das ist eine Tatsache, die ~dlen erfahrenen Gutachtern l~ngst bekannt ist und die durch die Zahlen der St~ttistik, die ich weiterhin noch geben werde, lediglich best~tigt wird. Und man kann welter die Bemerkung machen, dass ein grosser Teil dieser, aus einfachen Verletzungen resultierenden Beob~chtungsf~lle zu-

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9'~ M a r c u s ,

nachst glatt durch eine einmalige Untersuchung erledigt worden ist, sp~iterhin aber einer Beobaehtung bedurfte.

Wie kommt das? Sind diese F~lle anfSmglieh klar gewesen und spSter erst unklar geworden, oder waren sie yon vornherein nieht geniigend gekl~trt? Ich glaube naeh meinen Erfahrungen das letztere annehmen zu miissen. Ich glaube, dass all diese F~tlle yon Anfang an nieht geniigend aufgeklg~rt worden sind, dass in all diesen F~tllen eine Beobachtung nieht nStig gewesen ware, wenn sie reehtzeitig vollkommen gekl~rt worden w/iren. Hierbei ist meines Eraehtens das Oewieht sowoht auf das ,,reehtzeitig", als auf die ,,vollkommene K15rung" des Falles zu legen.

Ieh muss das mit einigen Worten begrtinden. Obgleieh es heute sehon gang und gebe ist, dass eine grosse Anzahl yon Berufsgenossensehaften mit der (Jbernahme der Fiirsorge nieht~ wartet, his die 13. Woehe abgelaufen ist. sondern schon mSgliehst friihzeitig eingreift, so gilt das doch in der Regel nur yon sehweren Verletzungen, bei denen die frahzeitige (Jbernahme des Heilverfahrens n~itig ist, nieht abet yon leiehten und leiehtesten Verletzungen. Bei diesen wird meistenteils noch das alte Verfahren geiibt, dass die Berufs- genossensehaft erst nach Ablauf der 13 Woehen, wenn der Verletzte Renten- anspriiche stetlt, sieh um ihn kiimmert. Nun hat es sich um eine leiehte Verletzung gehandelt, eine Verletzung, deren Behandlung nach 4, 6 oder 8 Wochen abgeschlossen war. Der Verletzte h~tte naeh Abschluss der Be- handhmg seine friihere Arbeit ohne weiteres wieder aufnehmen kSnnen. Es geschieht das auch gewiss in vielen F~tllen, und diese Falle, in denen es ge- sehieht, verlaufen dann auch sehr glatt. Abet oft wird die Arbeit nieht aufgenommen, und es ist nieht etwa immer bSser Wille des Verletzten daran sehnld. Er kann seine Arbeit nicht wieder aufnehmen, weil er seine friihere St elle besetzt findel~, oder weil er eine neue passende nieht gleieh wieder erhS~lt, oder weil die Verletzungsfolgen, ohne dass sie ihn wirtschaftlieh sclfiidigen, doeh noeh mit Sehmerzen und lYnbequemliehkeiten verbunden sind, zu deren (;berwindung er die ntitige Energie nieht besitzt, oder endlieh, weil er fiirehtet, jeglieher Rentenanspriiehe verlustig zu gehen, sobald er eine regelmassige Arbeit aufnimmt und so viel verdient wie friiher. Kurz, es gibt eine Menge Griinde, die schuld an dem Niehtwiederaufnehmen der Arbeit sein k(innen. Naeh der Entlassung aus der Behandlung ist der Verletzte nun auf diese Weise 4, 6 aueh 8 Woehen vollkommen hilflos. Hilflos aueh dann, wenn ihn die Krankenka.sse noch eine Zeitlang unterstiitzt, d:,traufhin, dass der behandelnde Art ihn mit zwei- oder vierwSchiger Sehonung aus der Be- handlung entlassen hat. Er tut wghrend dieser Zeit gar niehts. Die Ver- letzungsfolgen bessern sieh nieht, wie das unter regelmS~ssiger T~tigkeit der Fall sein wiirde, im Gegenteil, sie versehlimmern sieh. Aus einer geringen Abmagerung wird eine grosse, aus einer leiehten Gelenkversteifung wird eine sehwere. Er hat w~thrend dieser unfreiwilligen Musse Zeit, auf seinen KOrper zu aehten, u n d e r findet alle mSgliehen Seh~den, die or friiher gar nieht gesehen hat und die ihn friiher in seiner Erwerbsti~tigkeit aueh gar nieht gehindert haben. Da er sie frtiher nicht gesehen hat, liegt es fiir ihn natiir-

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lich jetzt nur zu nahe, sie gleichfalls auf das Konto des Unfalles zu setzen. Endlieh steigt in der arbeitsfreien Zeit das Bedtirfnis nach Unterstiitzung ganz bedrohlich an, da die Not immer grOsser wird. Sind nun die 13 Woehen voriiber, so wird er zu dem erstbehandelnden Arzt zitiert. Dieser untersueht ihn und stellt im Gutaehten die Unfallfolgen fest. Abet wie haben diese sich inzwisehen entwickelt? Was hat sich nicht Mles im Ansehluss an die einfaehe Verletzung eingestellt? Es ist Mar, dass bei dieser Sachlage der behandelnde Arzt oft genug, trotz des besten Willens und K~nnens, nieht imstande sein wird, eine geniigende Kl~rung des FMles herbeizufiihren. Wird nun da, w o e s nieht gelingt, eine geniigende Kl~trung des Falles herbeizufiihren, in diesem Punkte des Verf:threns jetzt eine Beob~chtung angeordnet, so wird es dieser zweifellos gelingen, die notwendige Aufkl~trung zu schaffen. Wo es aber nieht gesehieht, wo eine Beobachtung nieht a.ngestellt wird, da ist der Gang der Dinge oft genug der folgende: Der behandelnde Arzt gibt sein Gutachten ab und schi~tzt, entsprechend dem Befunde, die Erwerbsbeschr~nkung ein. Nac.h einem Jahre oder friiher wird eine Nnchuntersuehung vorgenommen. Schon bei dieser machen sich die Ubelst~tnde der nicht geniigenden I(l~trung bemerkbar. Bei der ersten Rentenfestsetzung hat sich der Verletzte beruhigt. Er ist zufrieden, dass er iiberhaupt eine Rente bekommen hnt. Auf die H/Jhe derselben legt er gewiihulich bei der ersten l',entenfestsetzung kein Oewicht. Anders bei der Naehuntersuehung. Hier str~tubt er sieh gegen jede Kiirzung der Rente mit Hitnden und Fiissen. Mit seinen Angxben kann der naeh- untersuehende Arzt den Befund ganz und gar nicht in Einklang bringen. Es bleibt sehliesslich niehts weiter iibrig, als Beobaehtung zu empfehlen. Kommt das nicht sehon bei der ersten Nachuntersuehung, so kommt es bei der zweiten, dritten oder vierten. Und je spitter sie kommt, desto weniger erfolgverspreehend ist sic.

Ich m/Jehte nochmals ausdriieklich betonen, dass die Schnld an der waehsenden tt~tufigkeit der Beobaehtungen bei einfaehen Verletzungen nieht etwa der l~bertreibung des Verletzten und ebensowenig dem Gutaehten des erstbehandelnden Arztes beizumessen ist, sondern meines Eraehtens einzig und allein dem Umstande, dass h~tufig ganz einfaehe F~ille sehon bei der ersten Begutaehtung nieht mehr geniigend aufgeklitrt werden kSnnen. Ieh kann das hier nicht so ausftihrlieh bespreehen, als das notwendig w~re. Ieh komme darauf aueh noeh sp~tter zuriiek, bei den Vorschliigen, die ieh zur Hebung dieses libels vorzubringen habe. Aber die Tatsache ist nieht aus der Welt zu sehaffen, dass das Gros unseres Beobachtungsmaterial aus F~illen besteht, bei denen eine Beobaehtung nieht notwendig gewesen w~ire, wenn sie nur reehtzeitig geniigend aufgekl/irt worden w~iren.

Wir h~ben ~Iso bis jetzt gesehen, d~ss die Zahl der Beobaehtungen st~ndig im Waehsen begriffen ist und dass diese bedauerliehe Erseheimmg nieht nut auf ein Anwaehsen yon Nervenfiillen und komplizierten Verletzungen zuriiekzufiihren ist, sondern besonders auf ein Anwaehsen yon einfaehen Verletzungen, die einer Beobaehtung yon lleehts wegen gar nieht bediirfen. Wir haben dann weiter dis Grtinde erSrtert, die m~glieherweise da, ran sehuld

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96 Marcus,

sein kSnnen, dass immer mehr und mehr einfache Verletzcmgen nicht durch einmalige Untersuehung zu erledigen sind, sondern einer Beobaehtung bediirfen. Wir miissten nun eigentlich untersuehen, aus weleher Veranlassung die Zahl der Beobaehtungen aueh bei Nervenf~ilen und komplizierten Verletzungen st~ndig zunimmt. Das eriibrigt sieh aber; denn die Zunahme bei diesen beiden Kategorien yon Fg~llen ist nicht sehr bedeutend und entsprieht wohl sehliesslieh nut tier Zunahme dieser Verletzungen iiberhaupt.

Dagegen h~itten wir jetzt zu erSrtern, wie man wohl am besten bei allen drei Beobaehtungskategorien dem 0~bermass an Beobaehtungen begegnen kSnnte.

Man sollte annehmen, dass bei der dritten Kategorie yon Beobaehtungs- fg.llen, also bei den einfaehen Verletzungen, bei denen eine Beobaehtung eigentlieh nieht notwendig sein sollte und die der Beobaehtung nar bediirfen, well sic yon Anfang an nieht geniigend gekl~rt worden sind, das Ziel erreicht wird, sobald nun eine solche Beobaehtung einmal vorgenommen wird. I)as ist nun ganz und gar nicht zu erwarten. Ich habe vorhin sehon gesagt, dass das Resultat der Beobaehtung desto zweifelhafter wird, je spi~ter naeh der Verletzung eine solehe Beobaehtung unternommen wird. I)aher kommt es, dass aueh bei diesen leiehten Verletzungsfg.llen mit einer einmaligen Beobaehtung die Saehe nieht abgesehlossen ist, sondern dass aueh diese F~tlle, genau so wie die Beobaehtungsf~tlle der ersten und zweiten l(ategorie, sehliess- lich bei einer jeden Nachuntersuehung einer Beobaehtung bediirfen. Aueh das ist eine Erscheinung, die durch die Zahlen der Statistik bestStigt wird, die wir :irzte abet sehon 15mgst kennen. Es ist nicht ganz leieht, in einer Statistik die Art, des Resultates bei Beobaehtungsf~illen zum Ausdruek zu bringen. Ieh habe mir, um wenigstens ann~ihernd ein Bild des Resultates zu geben, die BeobaehtungsfMle so zusammengestellt, dass ich den Invalidit~ts- grad vor und naeh der Beobaehtung notiert babe.

Die Durehsehnittszahlen fiir die einzelnen Jahre sind die folgenden:

D u r c h s c h n i t ~ l i e h e r I n v a l i d i t ~ t t s g r a d

Zahl der Beob- vor der nach der Res , l l t a~ achtungsf~ille Beobachtung Beobachtung

1901 18 42,3 % 17,2 % 25,1% 1902 25 45,6 . 29,8 . 15,8 1903 7 35,1 . 31,8 . 3,3 . 1904 56 39,0 ~ 25,0 . 14,0 . 1905 22 51,8 . 30,9 . 20,9 . 1906 49 42,3 ,, 26,3 . 16,0 . 1907 42 56,6 . 40,4 ~ 16,2 . 1908 58 57,0 . 34,0 . 23,0 . 1909 74 51,2 . 28,8 . 22,4 1910 93 46,4 . 2~,9 . 17,5 .

Diese Zahlen kSnnen ja wi, klich kein genaues Bild geben, schon deshalb nieht, well alle drei Kategorien yon Beobachtungsf/~llen in ihnen zusammen- genommen sind. Es steht aber fest, dass das ilesultat noeh ein viel un- giinstigeres werden wiirde, wenn die Trennung durehgel'iilhrt ist, so wie ich

Page 10: Zur Frage der Beobachtung Unfallverletzter zwecks Ausstellung des Gutachtens

Zur Frage der Beobachtung Unfallverletztor zwecks Ausstellung des Gutachtens. 97

das fiir die fiinf Jahre 1906--1910 welter unten getan habe. Aber auch so geben die Zahlen schon einen allgemeinen 0berblick. Man ersieht aus den- selben, dass das Resultat der Beobaciltungen doeh ein verh~ltnismi~ssig geringes ist. Der Unterschied im Invalidit~tsgrad vor und nach der Beobachtung bewegt sich zwischen 10 und 20%. Es heisst das doch nichts anderes, als dass es auch durch die Beobachtung nicht gelungen ist, den Fall vollst~indig zu klis Dieser geringe Erfolg der Beobaehtungen erscheint um so frag- licher, wenn man die Durchschnittszahlen der Beobachtungsdauer hinzunimmt. Es ist keineswegs belanglos, ob eine Nachuntersuchung dutch eine einf'ache Untersuchung zu erledigen ist, oder ob jedesmal eine Beobachtung notwendig ist. Die Kosten sind doch im ]etzteren Falle erheblich grSsser als im ersten, und schon der Umstand, dass die Durchschnittsdauer der Beobachtung eine relativ grosse ist, beweist, dass die Beobachtung ihren Zweck nicht erreicht. Diese durchschnittliche Beobachtungsdauer hat sich bei uns in den 10 Jahren folgendermassen gestellt:

1901 1902 1903 1904 1905 1906 1 9 0 7 1908 1909 1910 6,5 Tg. 8,2 Tg. 9,5 Tg. 5,8 Tg. 3,5 Tg. 4,9 Tg. 6,1 Tg. 5,3 Tg. 5,5 Tg. 7,7 Tg.

Selbstverst~ndlich wird die Dauer der Beobachtung wesentlich beeinflusst durch die schweren Fi~,lle, bei denen oft eine 8--14 t~gige Beobachtung not- wendig ist, und es l~sst sich wohl auch nichts dagegen einwenden, dass bei schweren Nervenfiillen l~nger dauernde Beobachtungen notwendig sind. Ich erinnere nur daran, dass man bei Verletzten oft woehenlang warren muss, ob die yon ihnen behaupteten Kris sich einstellen. Ebensowenig ist dagegen etwas einzuwenden, dass bei schweren koml)lizierten Verletzungen die Beobaehtung eine Woche und mehr Zeit in Anspruch nimmt. Wenn nun auch die oben gegebenen allgemeinen Zahlen dutch diese beiden Kategorien yon Beobaehtungsfiil|en ungfinstig beeinfiusst werden, so steht doeh fest, dass auch die dritte Klasse yon Beobachtungsf~llen ganz unverh~tltnism~[ssig viel Anforderungen an Zeit und Kosten stellt, ohne dass das gewiinschte Resultat dabei stets erreicht wird.

Diese allgemeinen Zahlen erfahren abet eine noch st~rkere Beleuehtung dutch die folgenden Zahlen, die das Beobachtungsmaterial aus den fiinf Jahren 1906--1910 betrifft.

Das Material dieser fiinf Jahre habe ich genauer gesichtet. Ich habe zun~chst die drei verschiedenen Kategorien yon Beobachtungsf~llen einzeln ausgezogen und dann fiir jede Kategorie die Durchschnittszahlen in bezug auf einige Einzelheiten festgestellt, n~mlich in bezug auf den Beg, inn der Be- obachtung, d. h. auf den seit dem Unfall verfiossenen Zeitraum, zweitens die Dauer der Beobachtung, drittens den Invalidit~tsgrad vor der Beobachtung, viertens n a c h der Beobachtung und endlich das Resultat. Letzteres habe ich mit positiv und negativ bezeichnet, .ie nachdem die Beobachtung einen Erfolg gehabt hat oder nicht. Besonders aufgezeichnet habe ich dann noch die Fiille, in denen die Leute ganz ohne Rente entlassen werden konnten. Ich habe dann der besseren [)bersicht halber die Beobachtungen, die im

Arch. f. Orthop., Mechanoth u Unf.-Chir X. 7

Page 11: Zur Frage der Beobachtung Unfallverletzter zwecks Ausstellung des Gutachtens

98 Marcus,

Laufe des ersten Jahres naeh dem Unfall vorgenommen sind, als Frfih- beobachtungen bezeichnet, die anderen, naeh dem ersten Jahre vorgenommenen als Spiitbeobaehtungen. Von den Friihbeobaehtungen babe ieh dann noeh diejenigen besonders aufgeffihrt, die uns sehon innerhalb der ersten 13 Woehen zur Beobachtung zugefiihrt sind, und babe sie rechtzeitige Beobachtungen genannt. Es sind deren leider nur sehr wenige und es kSnnen ihrer ja auch nieht allzu viele sein, da ja far diese reehtzeitigen Beobaehtungen nut ein- faehe F~ille in Frage kommen kSnnen, wenigstens in der ]/egel. Bei den komplizierten Verletzungen und Nervenf~llen wird die Behandlung meistens sehon fiber die 13. Woehe hinausdauern. Zu den Spiitbeobachtungen bemerke ieh, dass sieh unter ihnen naturgemi~ss eine ganze Anzahl yon F:~illen finden, die sehon wiederholt beobaehtet worden sind, abet kaum Bin einziger, bei dem die Beobaehtung friihzeitig, d. h. im Laufe des ersten Jahres naeh der ' Verletzung, oder gar reehtzeitig, innerhalb der ersten 13 Woehen, vorgenommen worden ist. Ieh kann hier natiirlieh nieht so ausfiihrlieh werden, dass ieh jedes Krankenjournal einzeln auffiihre. Ieh muss mieh damit begnfigen, die Zahlen zusammenzufassen.

Ieh beginne also mit den Nervenfiillen, bringe dann die komplizierten Verletzungen und zum Sehluss die einfaehen Verletzungen.

I. Nervenfiflle.

1906

1907

1908

1909

1910

Spat-BooK Friih-Boob. Rechtz. Book

Sp~tt-Boob. Frtih-Beob. Rechtz. Beob.

Spiii-Beob. Frah-Beob. Rechtz. Beob.

Spiit-Beob. Friih-Beob. Rechtz. Beob.

Sp~,t-Beob. Frtih-Beob. Rechtz. Beob.

A n -

zahl lnvalidit~tsgrad

Dauer

17 89 5 29 1 7

20 107 5 18

21 64 9 72 3 11

38 155 4 27

35 178 , 8 49 ,

v o r d o r B o - llachd. Be- obachtung obaehtung

685 % 130 ,

945 65

920 410 4O

1500 150

1460 , 130 ,

positiv negativ

3 14 5 1

5 15 5 - -

1 20 9 3

5 23 3 1

7 28 8

'1'~. 715 ~ , 265 , , 50 ,

1010 450

930 9O0 250

1830 250

1595 , 555 ,

R e s u l t a t ohno Ren~e

2

2 1

2

1

1

2

4

Diese Z~hlen zeigen recht deutlich den Nutzen der reehtzeitigen Be- obachtung und Friihbeobachtung. Die erstere kommt naturgem~tss bei Nerven- fiillen nur selten in Frage, da bei denselben, wie schon bemerkt, die Behand- lung gew5hnlich bis fiber die 13. Woche hinaus dauert. Um aber die $tatistik noeh etwas iibersiehtlicher zu machen, gebe ieh jetzt gen~u dieselben Zahlen noch einmal, geordnet nach dem Zeitpunkt der Beob~chtung.

Page 12: Zur Frage der Beobachtung Unfallverletzter zwecks Ausstellung des Gutachtens

Zur Frage der Beobachtung Unfallverletzter zwecks Ausstellung des Gutachtens. 99

I . N e r v e n f K l l e .

A. S p ~ t b e o b a c h t u n g e n .

Invalidit/itsgrad R e s u 1 t a t Anzahl Dauer

vor der nach der positiv negativ ohneRente Beobachtung Beobachtun~

1906 1907 1908 1909 1910

17 20 21 38 35

89 Tg. 107 , 64 ,,

155 178 ,

715 ~ 1010 , 930 .

1830 . 1595 .

685 ~ 945 ,

920 ,

1500 .

1460 ,

3 5 1

15 7

14 15 20 23 28

2

1906 1907 1908 1909 1910

B. F r f i h b e o b a c h t u n g e n .

29 Tg. 265 ~ 130 % 18 . 450 ,, 65 . 72 . 9 0 0 . 410 .

27 , 250 , 150 , 49 . 555 . 130 .

1

1906 1907 1908 1909 1910

1

3

C. R e c h t z e i t i g e B e o b a c h t u n g e n .

7 Tg. 50 % - - ] 1 - -

11 , 250 , 40 ~ 3

1

1

A d d i e r e n wir n u n die Zah len d iese r f i in f J a h r e z u s a m m e n , so e rgeben

sich fiir den g a n z e n Z e i t r a u m die fo lgenden Zah l en :

R e s u l t a t Anzabl

negetiv II ohn.Rente

Sp~tt-Beob. [ 131 Frtih-Beob. ] 31 gechtz. Beob, ] 4

I Invalidii~ttsgrad Dauer vor tier I I nacb der

Beobachtung ]] Beobaehtung positiv

593 Tg. 6080 ~ 5510 ~ 31 195 , 2420 , 885 , 30

18 , 300 . 40 . 4

I 0 0 il 2

1 i 11 - - 2

U n d in l ) u r c h s c h n i t t s z a h l e n ausged r i i ck t e rg ib t das fiir den e inze lnen

Vail b e r e c h n e t bei den

] Invalidit~itsgrad Dauer vor der nach der

Beobachtung Beobaehtung

I I Spi~t-Beob I 4,5 Tg. ] 46,4 0 o Friih-Beob. I 6,2 , ] 78,2 , Rechtz. Beob. 4,5 , 75,0 ,

42,0 % 28,5 . 10,0 .

Das R e s u l t a t der B e o b a c h t u n g e n s tel l t sich in P r o z e n t z a h l e n ausgedr i i ck t

fiir den ganzen Z e i t r a u m der f i inf J a h r e f o l g e n d e r m a s s e n :

7*

Page 13: Zur Frage der Beobachtung Unfallverletzter zwecks Ausstellung des Gutachtens

100 M a r c u s ,

positiv

Spiit Beob. Fr~ih-Beob. Rechtz. Beob.

23,6 % 96,7 ,

100,0

R e s u l t a t -

negativ )] ohne Rente

74,9 ~ 1,5 ~ 3,3 ~ 35,4

- - 50,0

Sieht man nun die vorhergehenden Zahlen auf Einzelheiten an, so darf man zun~ahst einmal, wie ich schon vorher erw~hnt habe, auf die Dauer der Beobaahtung keinen grossen Wert legen. Es hat auch sahliesslich nichts zu bedeuten, dass die Friihbeobaahtungen bei den Nervenf~llen zwei Tage mehr erforderten als die Sp/itbeobachtungen. Absolut genommen ist ja die Zahl yon 6,2 Tagen immer noah gering. Die Dauer der Beobaehtung ist ja yon so viel Zuf~llen abh~ngig und es tut gar nichts zur Sache, ob die Beobaah- tung einen Tag mehr erfordert oder weniger, vorausgesetzt, dass ein positives Resultat erreicht wird. Es ist auch nicht auffallend, dass die Dauer der Sp~tbeobachtungen bei den Nervenfs durchschnittlich nur eine verh~ltnis- m~ssig so kurze ist. Wir verfolgen bei diesen Sp~tbeobachtungen stets des Prinzip, die Beobachtungsdauer mSgliahst kurz zu nehmen, wenn sich aus dell Akten ergibt, dass sahon eine ganze Reihe friiherer Beobaahtungen er- gebnislos verlaufen ist.

Wichtiger sahon ist des Zahlenverh~ltnis der Beobaaht~mgsf~lle. Dass nur so wenig rechtzeitige Beobaahtungen vorkommen, ist nicht wunderbar. Es h:,Lngt, wie ich sehon gesagt habe, dieser Umstand damit zusammen, dass die Behandlung bei den Nervenf~llen wohl reaht h~ufig iiber die 13. Woche hinaus dauert. Bei den Friihbeobachtungst~tlen ist vielleicht ein leichtes Ansteigen bemerkbar. Absolut genommen werden ja leider immer noah recht wenig Nervenf~lle einer genilgend fr[ihen Beobachtung unterzogen. Immerhin geschiebt es doch schon, und ich glaube bemerkt zu haben, dass es bei einigen, allerdings wenigen Genossensahaften, prinzipiell so gemacht wird. Die Zahl tier Sp~tbeobachtungen bei den Nervenf~llen ist recht gross und zwar sowohl absolut, als aueh im Verh~tltnis zu den Friihbeobachtungen und rechtzeitigen Beobachtungen.

Im allgemeinen mSehte iah aber auf des zahlenm~ssige Verh~ltnis kein besonderes Gewicht legen. Um nach der Riehtung bin irgendwelahe Schliisse zu ziehen, dazu ist des Material doch zu gering. Als feststehend kann man eben m~r die Tatsaehe hinnehmen, dass die Anzahl der Sp~ttbeobachtungsf~lle eine recht grosse und, wie iah meine, vie�91 zu grosse ist.

Von wesentlicher Bedeutung dagegen ist des Resultat der Beobachtungen bei den Nervenf~tllen. Es kann natiirlich nieht yon einem Zufall die Rede sein, wenn bei einem Material von 166 Beobachtungsf~llen herauskommt, dass yon den Sp~ttbeobachtungen 74,90/0 ein negatives Resllltat ergeben haben und nur 23,6 ein positives, yon den Friihbeobachtungen dagegen nur 3,3 ein negatives und 96,7 ein positives und dass yon den rechtzeitigen nur positive Resultate zu verzeiehnen sind. Es ist sicherlieh zum mindesten recht auf-

Page 14: Zur Frage der Beobachtung Unfallverletzter zwecks Ausstellung des Gutachtens

Zur F rage der B e o b a e h t u n g Unfa l lve r le tz te r zwecks A u s s t e l l u n g des Gu tach tens . 101

fallend, dass bei den Friihbeobaehtungen 35,4~ aller FS.lle ohne Erwerbs- beschrgnkung entlassen werden konnten. Man ](ann wohl nicht gut den Einwand erheben, dass diese F/ille auch ohne die friihzeifige Beobaehtung sich so glatt erledigt hSotten. Naeh all unseren Erfahrungen ist anzunehmen, dass sic vielmehr, wenn die Beobachtung nieht zeitig genug vorgenommen worden wSxe, sich zu Sp~tbeobaehtungen entwiekelt h~s mit dem Resultate, wie wi res gesehen haben.

Die wirtsehaftliehe Seite der in den Zahlen zmn Ausdruck kommenden Tatsaehen will ich nut streifen. Ieh mOchte glauben, dass der Verletzte mit dem durehsehnittliehen InvaliditS.tsgrad yon 28,5~ bei Friihbeobachtungen und 10~ bei reehtzeitigen Beob~chtungen eine regehn~issige Arbeit wieder aufnehmen wird, wS~hrend mir das yon den Verletzten mit einem durchschnitt- lichen InvaliditS~tsgrad yon 42,0~ -- bei SpEtbeobaet~tungen - - doch noch keineswegs so sicher erseheint.

Ieh komme jetzt zu der zweiten Kategorie yon Beobachtungsfgllen, zu den komplizierten Verletzungen und gebe das Zahlenmaterial genau in der- selben Weise wieder, wie ich das bei den Nervenf/~llen getan habe.

II. Komplizierte Verletzung'en.

A n - Invali , it~itsgrad z a h ] D a l l e l v o r t i e r B e - ' n a c h d. B e -

o b a , - h t u n g o b a c h t u n ~ I o h n e i~en t e

1906

1907

1908

1909

1910

Sp~tt-Beob. 6 Frtih-Beob. 1 Rechtz. Beob.

Sp~t-Boob. 3 Friih- Beob. 2 Rechtz. Beob.

Spiit-Beob. 5 Friih-Beob. 2 Rechtz. Beob.

Spiit-Beob. Frtih-Beob. Rechtz. Beob.

Sp~t-Beob, Frtih-Beob. R, echtz. Beob.

27 Tg.

9 ,

19 ,, 11 ,

11 ,

5

45 , 15 ,

116 36 ,

145 ~ i! 125 ~

100 ,, 50

R e s u l t a

posi t iv nega t iv

2

1

160 140

215 110

375 , 130

965 , 420 ,

160 70 2

200 1 50 2

305 , 4 80 ,, 3

820 , 9 170 , 7

4

3

4

5

14

m

L

2 3

Nach dem Zeitpunkt der Beobachtung geordnet, ergeben sieh folgende Zahien:

II. Komplizierte Verletzungen.

A. S p ~ t b e o b a c h t u n g e n .

h n z a h l Dauer v o r de r ] nach der I! ]i~ Renie B e o b a c h t u n g il B e o b a c h t u n g positiv !i n ega t i v

9o7 3 1 9 , 1 o. li 6o. - 3

Page 15: Zur Frage der Beobachtung Unfallverletzter zwecks Ausstellung des Gutachtens

102 M areu s,

1908 1909 1910

Anzahl

5 9

23

Daner

19 Tg. 45 ,

116 .

Invaliditiitsgrad v o r d e r n a c h d e r

B e o b a c h t u n g B o o b a c h t u t ) g

215 ~ 200 ~ 375 , 305 , 965 ~ 820 ,

positiv R e s u l t a t

negativ ohno Rente

4 5

14 2

1906 1907 1908 1909 1910

B. F r f i h b e o b a c h t u n g e n .

9 Tg. 100 o/o 50 ~ 11 , 1 4 0 , 7 0 ,

5 , 110 ,, 50 , 15 , 130 , 80 . 36 , 420 , 170 ,

1 - - ] - -

2 i _ 2 3 7 3

C . R e c h t z e i t i g e B e o b a c h t u n g e n .

Keine F/file vorhanden.

Dieselben Zahlen fiir den gesamten Zei t raum der fiinf J ah re zusammen- add ie r t ergeben folgendes:

Anzahl

Spat-Boob. I 46 Frfih-Beob. [ 15 Rechtz. Beob.[ - -

Dauer [ Invaliditiitsgrad ] R o s u 1 t a t

I v o r d e r i n a c h d e r �9 �9 - t~eobachtung I Beobaehtung I posltlV i negatlv l ohneRente

216 Tg. [ 1860% 1610o,.'o ] 16 30 I 2 76 , 900 , 420 , 15 3 -

,I

Ftir den einzelnen Fall berechnet , bekommen wit die folgenden Durch- schni t tszahlen:

Sp~t-Beob. Frfih-Boob. RechLz. Boob.

Dauer

4,7 Tg. i 5,0 ,

Invalidit~ttsgrad v o r d e r n a c h d e r

B e o b a c h t u n g B e o b a c h t n n g

40,3 o o 35,0 ~ 60,0, 28,0,

Das Resul ta t der Beobachtung ergibt in Prozentzahlen ausgedr t ickt fiir

die ganzen fiinf Jahre das Folgende:

l ~ e s u l t a positiv negativ ohne Rente

I Spgt-Beob. [ 34,7 % Friih-Beob. I 100,0 Rech~z. Beob.

65.3 ~ 4,3 % 20,0 ,

Kompliz ier te F~lle kommen bed eutend weniger zur Beob~chtung als Nervenf~lle. Sie bilden die der Zahl nach k]einste K]asse yon Beobachtungs- f~lIen. Es kaml das wel ter nicht auffallen, da sie in der Regel Kranken -

Page 16: Zur Frage der Beobachtung Unfallverletzter zwecks Ausstellung des Gutachtens

Zur Frage der Beobachtung Unfallverletzter zwecks Auss~ellung des Gutachtens. 103

hausbehandlung geniessen und w~hrend einer solchen station~ren Kranken- hausbehandlung eine Beobachtung im allgemeinen immer sehon stattfindet. Im einzelnen ist yon ihnen so ziem|ich dasselbe zu sagen, was wir bereits von den Nervenf~llen gesagt haben, d. h. a m zahlreichsten sind die Sp~t- beobaehtungen vertreten, Friihbeobaehtungen kommen verhitltnism~tssig selten vor, werden aber unverkennbar doch yon dahr zu Jahr zahlreieher. Reeht- zeitige Beobachtungen kommen bei den komplizierten Beobaehtung naturgemSss iiberhaupt nieht in Frage, da bei ihn~n die Behandlungsdauer fast stets tiber 13 Wochen hinausgeht.

Die Dauer der Beobaehtung spielt hier wie bei den Nervenf~Lllen keine wesentliehe Rolle. Sie h~lt sieh sowohl bei den Si)~Lt-als aueh Friihbeobaeh- tungen in dem Zeitraum yon 4- -5 Tagen; man wird das als angemessen betraehten kSnnen. Das Ilesultat ist als Bin durchaus gutes anzusehen bei den Friihbeobaehtungsfiillen, da bei ihnen Misserfolge iiberhaupt nieht zu verzeichnen sind, sondern nur positive Erfolge. I)ass die Zahl der ganz ohne Erwerbsbeschr~nkung zur Entlassung gekommenen prozentual viel geringer ist als bei den Nervenfi~llen, ist ja wohl selbstverst~ndlieh, da es sieh doeh um sehwere Verletzungen handelt, die eben erwerbsbeschri/nkende Folgen hinterlassen miissen. Dass im Jahre 1910 yon den FriihbeobachtungsfS~llen 3 ohne Erwerbsbesehr~nkung entlassen werden konnten, hat seinen Grund, wie ieh aus den Krankengesehiehten angeben kann, nur darin, dass diese Fiille durch alle mSgliehen Leiden kompliziert waren, die mit der Unfallverletzung niehts zu tun hatten und dass somit, nachdem dieses Verh~tltnis dureh die Beobachtung mit Sieherheit festgestellt werden konnte, erwerbsbesehr~tnkende Unfallfolgen iiberhaupt nieht mehr iibrigblieben. Bei den Sp~itbeobaehtungen ist auch in dieser Kategorie der Beobachtungsfiille ein durehaus sehleehtes Resultat erreieht werden. Es ist das aueh nieht wunderbar, denn die Ver- h~ltnisse liegen bei den komplizierten l?511en beziiglieh der SpS, tbeobaehtungen nieht weniger ungiinstig als bei den Nervenfitllen.

Wir kommen numnehr zu der dritten Kategorie yon Beobachtungsf~llen, den einfachen Verletzungen. Das Zahlenmaterial geben wir genau in derselben Reihenfolge wieder, wie bei den anderen Klassen yon Beobachtungsfitllen.

I II . Einfaehe Verletzungen.

An- D a u e r lnvaliditiitsgrad 1% e s a 1 t a t zahl vor der Be- nach d. Be- positiv negativ ohne Rente

obachtung obaehtung

1906

1907

1908

Spat.Beob. Frtih-Beob. Rechtz. Beob.

Spiit-Beob. Frfih-Beob. 6 Rechtz. Beob. --

Sp~t-Beob. 14 FrOh-Beob. 2 Rechtz. Beob. 2

11 21Tg. 6 22 , 1 5 .

7 40 , 24

56 , 8 ,

15

245 185 100

345 155

395 80

130

i 8 0 ~ 50,, 20,,

305 ,, .~o,

285 .

I 3o1

5 6 1

2 4

7 2 2

3 3

2

3

2

Page 17: Zur Frage der Beobachtung Unfallverletzter zwecks Ausstellung des Gutachtens

104 M a r c u s ,

A n -

z a h l

1909

1910

Sp i i t -Beob . 11

F r i i h - B e o b 8

R e c h t z . Beob . - -

Spi~t-Beob. 10

F r i i h Beob . 10

R e c h t z . Beob . 1

I n v a l i d i t ~ t t s g r a d g e s u I t a D a u e r vor der Be : nach d. Be-

obachLung obachtung positiv negativ ohne Rente

45 Tg . 4 0 0 o o 350 ~ 4 7 - -

33 , 290 , 80 , 8 - - 3

47 . 205 , 170 . 2 8 1

50 , 4 3 0 ~ 55 ~ 10 - - 6

3 . 30 . - - 1 - - 1

Dieselben Zahlen, nach dem Zeitpunkt der Beobachtung geordnet, ergeben folgendes Bild :

A. S p K t b e o b a c h t u n g e n .

A n z a h l

1906 11

1907 7

1908 14

1909 11

1910 10

D a u e r

21 T g .

4 0

56 ,

45 .

47 ,

vor der nach der Beobachtung Beobachtung

245 ~ 180 ~

345 . 305 ,

395 , 285 ,

400 , 350 ,

205 , 170 ,

I n v a l i d i t a t s g r a d R e s u 1 t a t

p o s i t i v nega t , iv o h n e R e n ~ e

5 6 3

2 5 - -

7 7 3

4 7 - -

2 8 1

1906

1907

1908

1909

1910

6 6

2

8

10

B. F r f i h b e o b a c h t u n g e n .

22 T g . 1 8 5 ~ 50 %

24 . 155 . 30 .

8 , 80 ~ 30 .

33 . 290 , 80 .

50 . 4 3 0 . 55 .

6

6

2

8

10

3

2

3

6

C. R e c h t z e i ~ i g e B e o b a c h t u n g e n .

19o6111 g 11ooo/ol 2oojo I 1i i 1907 . . . . . . . ---

1908 2 15 , 130 , 2 2

1909

1910 1 3 , 30 , 1 1

Fiir die fiinf Jahre zusammengenommen, ergeben die Zahlen folgendes:

p o s i t i v

S p ~ t - B e o b .

F r i i h - B e o b .

R e e h t z Beob .

I nva l i d i t~ i~sg rad A n z a h l D a u e r vor der nach der

Beobachtung Beobachtung

53 209 T g . 1590 % 1290 %

32 137 , 1140 ~ 245 ,

4 23 . 260 . 20 ,

'20

32

4

R e s u l t a t

n e g a t i v o h n e R e n t e

33 7

- - 14

3

Page 18: Zur Frage der Beobachtung Unfallverletzter zwecks Ausstellung des Gutachtens

Zur Frage der Beobachtung Unfallverletzter zwecks Ausstel lung des Gutachtens. 105

Die Durchschnittszahlen fiir den einzelnen Fall ergeben folgendes

Dauer

I Sp/it-Beob. ] 3,9 Tg. Friih-Beob. ! 4,2 , Rechtz. Beob. 5,7

lnvalidit~itsgrad vor der llach der

Beobachtung Beobaehtung

30,0 ~ I 24,3 ~ 35,6 , 7,6 , 45,0 , 5,0 ,

In Prozentzahlen fiir (tie ganzen flint' Jahre berechnet, kommt beziiglich des Resultates der Beobachtung folgendes heraus:

Spat.Beob. Friih-Beob. Rechtz. Beob

R e s u l t a

positiv li negativ

37,7 ~ ! 62,3 ~ 1 0 0 , 0 , - - 100,0 , I - -

ohne Rente

13,2 ~ 43,7 , 75,0 ,

Diese einfachen F~lle stehen der Zahl nach zwischen den Nervenfi~llen und den komplizierten Verletzungen, Der Wichtigkeit nach mfissten sie abet an erster Stelle stehen, denn gerade bei diesen F~llen diirfte yon Rechts wegen ein Beobachtung nie nStig werden.

Was die Einzelheiten der Statistik bei den Beobachtungen der leichten Verletzungen anbetrifft, so kann ich tiber die Beobachtungsdauer kurz hin- weggehen. Es gilt yon dieser ganz dasselbe, was ich hieriiber bei den anderen beiden Klassen yon BeobachtungsStllen gesagt babe, d. h. es kommt auf die Dauer der Beobachtung gar nicht an. Es braueht auch keineswegs aufzu- fallen, dass bei den Frfihbeobachtungen und den rechtzeitigen Beobachtungen die Beobachtungsdauer 4 und 5 Tage in Anspruch genommen hat. u doch oft schon mit der Einholung einer notwendigen Auskunft einige Tage.

Wie bei den Nervenf~tllen und den schweren Verletzungen ist die Zahl der Sp~tbeobachtungsf~lle, absolut und relativ genommen, hoch. Erfreulicher- weise ist abet auch die Zahl der Friihbeobachtungen und der rechtzeitigen Beobachtungen relativ gr5sser als in den anderen beiden Klassen, erfreulich besonders deshalb, well es gerade die einfaehen Verletzungen sind, bei denen eine Beobachtung unter allen Umsti~nden verhiitet werden muss und well durch deren Ausmerzung die Zahl der Beobachtungsfi~lle sicherlieh erheblich zu verringern sein wird.

Das Resultat der Beobachtung ist beziiglich der Sp~ttbeobachtung natur- gemfiss gfinstiger als in den ersten beiden Klassen, denn wenn es sieh aueh hier um versehleppte und unklare FKlle handelt, so haben wir doch bei diesen in Anbetraeht der urspriingliehen einfachen Verletzung immerhin auch mit einfaeheren Verh~ltnissen zu reehnen als in den ersten beiden Klassen yon Beobaehtungsf~llen. Aus diesem Grunde erkl~rt sieh die relativ hohe Anzahl der FKIIe, die bei den Sp~tbeobaehtungen ohne Rente entlassen werden konnten. Als vorziiglich muss das Resultat bei den Friihbeobaehtungen und

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106 Marcus,

rechtzeitigen Beobschtungen bezeichnet werden; den yon 32 Frtihbeobsch- tungen konnten 14 ganz ohne Erwerbsbeschrgmkung entlassen werden und der durehschnittliche invaliditiitsgrsd betrug nur 7,6%; yon 4 rechtzeitigen Beobsehtungen konnten 3 ohne Erwerbsbeschrgnkung entlassen werder~, wahrend der durchschnittliehe Invalidit/itsgrad 5 % betrug.

Betraehten wir nun slle eben aufgeffihrten Zahlen mit Riicksicht suf die einzelnen Feststellungen, so ergibt sieh gsnz klar, dsss dss Resultat der Be- obschtungen und der Invaliditiitsgrsd am gtinstigsten bei den rechtzeitigen Beobsehtungen liegen, etwas weniger giinstig bei den Friihbeobaehtungen und ungfinstig bei den Spgtbeobschtungen. Dss slles ist .is so beksnnt und such so erklgrlieh, dab es wirklich nicht erst einer Ststistik bedurft hittte,, um es zu beweisen. Ich wollte aber such gar keinen Beweis fiir die Richtig- keit dieser Tstsschen geben, lch wollte mir dureh die Zshlen nut das be- statigen lsssen, was ieh im Lsufe der ,lshre erfahren babe und was jeder sndere besch~tftigtere Gutschter gensu so erfahren hsben wird, ngmlieh vor allen Dingen diese eine Tatsache, dab die Beobsehtung um so mehr ihren Zweck erfiillt, je friiher sie durehgefiihrt wird, und um so weniger, je spiiter das der Fall ist. Die Beobachtung ist yon sehr grosser Tragweite, nieht nur fiir die einfschen Fglle, sondern auch fiir die komplizierten Fglle und fiir die Nervenfalle. Aueh yon den schweren und sehwersten Fallen gilt unbedingt der Satz, dass die Beobschtung nicht friihzeitig genug sngestellt werden ksnn.

In tier ganzen Ststistik und in .tier daran gekniipften Auseinander- setzung liegt abet aueh unstreitig der Hinweis auf Mittel, die geeignet wS~ren, die stetig zunehmende Zahl yon Beobachtungen zu verringern und dsmit einem LTbelstande abzuhelfen; denn zu einem {Jbelstande hat sieh im Lsufe der Zeit dss Beobsehtungswesen unbedingt ausgebildet.

Es soll ohne weiteres zugegeben werden, dab eine gewisse Verminderung der Beobschtungsfglle sehon allein dsdureh eintreten kann, class man nicht mehr so weitherzig wie bisher bei der Bestimmung der Notwendigkeit einer Beobaehtung ist. Ich meine, class dort, wo tatsgchlieh nut Bin Obergutachten gewiinseht wird, das such gesagt werden und eine Beobachtung far nicht erst in Frage kommen soil. Sehon hierdurch allein wird sieb eine gsnze Menge yon Beobachtungen verhtiten lsssen, lgnge nicht alle, wie das ja sus unserem Anstsltsmaterial zu ersehen ist; denn wir verfolgen seit Jahren schon die Praxis, Beobschtungen nut dort vorzunehmen, wo w i r e s wirklieh ffir nStig halten.

Nun haben wir aber noch ein weiteres Mittel an der Hand, um dem Wschsen der Beobaehtungen entgegenzugehen. Wir kSnnen Spatbeobsehtungen und damit das sehlechte Resultat der Beobachtungen iiberhaupt vermeiden, wenn wit, soweit es irgend mSglich ist, die fi'iihzeitige, oder besser noeh, die rechtzeitige Beobsehtung anwenden. Be i tier grossen Mehrzshl yon Nerven- fg, llen und schweren Verletzungen wird ja eine Beobschtung innerhalb der ersten 13 Wochen - - was ich mit reehtzeitig bezeichnet hsbe - - nieht in Frsge kommen, weil bei diesen Fallen die Behsndlungszeit durchweg fiber die 13. Woehe hinaus dauert. Man wird aber dsrauf bestehen miissen, dass

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Zur Frage der Boobachtung Unfallverletzter zwecks Ausstellung des Gutachtens. 107

diese F5lle unmittelbar nach Abschluss der Behandlung einer Beobachtung unterzogen werden.

Dagegen wird bei den einfachen Verletzungen durehweg eine reehtzeitige Beobaehtung angewandt werden kSnnen. Die Frage ist nur die, ob wir bei allen einfaehen Verletzungen eine solehe reehtzeitige Beobachtung anwenden sollen. Nun, in allen Fiillen, dass wird nicht gut mSglich sein, obgleich die hierdureh entstehenden Mehrkosten vielleieht noeh gar nieht so sebr viel grSl~er sein wiirden, als die Kosten far die vielen Sp~ttbeobachtungen und die zuviel gezahlten I{enten, die sich dutch solehe rechtzeitigen Beobaehtungen doeh glatt ersparen lassen wiirden.

Es kann abet auch keine Rede davon sein, dal3 eine solche Beobaehtung bei a.llen einfachen Verletzungen notwendig ist und durehgefiihrt werden mug. Prinzit)iell muss sie meiner Meinung nach, wie ieh schon sagte, angewandt werden bei Nervenf~illen und bei sehweren Verletzungen und in diesen Fiillen aueh dann, wenn der behandelnde Arzt sie nieht fiir notwendig h~lt. Da- gegen braueht sie bei leiehtsren und leiehtesten F~tllen dann nieht unter- nommen zu werden, wenn diese FSlle sofort naeh Abschlug der Behandlung untersueht und begutaehtet werden. Es kommt also auf das hinaus, was ieh anfangs schon gesagt~ habe. Die Frage der Notwendigkeit einer Beob- aehtung ist - - wenigstens bei leiehten Verletzungen - - einzig und allein da- yon abh~ngig zu machen, dass der Fall reehtzeitig und vollstSmdig geklgrt wird. Das ,~reehtzeitig" spielt eine grol3e Rolle und ist allein, oder fast allein, Saehe der Berufungsgenossenschaft. Diese muss sieh auch um ihre leichteren Verletzungen schon vor Ablauf der 13. Woche kiimmern. Sie muss unter allen Umstgmden dafiir sorgen, dass sofort mit Absehluss der Behandhmg das Gutachten ausgestellt wird, auf die Gefahr hin, (lass auf diese Weise Gut- aehten eingeholt werden, die gar nicht nStig sind, well der Verletzte schon innerhalb der ersten 13 Wochen seine Arbei'c wieder aufnimmt und Anspriiche gar nieht stellt. Die hierfiir in Frage kommenden Mehraufwendungen werden sieh dadurch bezahlt machen, dass aus solchen einfachen F~llen nicht nach 13 Woehen mit, einem Male schwere komt)lizierte werden kgnnen.

Noeh wiehtiger ist naturgem~tss das Moment der vollkommenen Kliirung des Falles. Hierbei ist die Berufsgenossenschaft nieht allein beteiligt, sondern auch der Arzt, und zwar der erstbehandelnde Arzt, der alas erste Gntaehten ausstellt. Die Berufsgenossensehaft hat ihre Ptticht getan, wenn sie den Un- fall in allen seinen Einzelheiten so welt als mSglieh aufkl~irt und dem Arzt alle Unterlagen zustellt. Saehe des Arztes wird es sein, auf Grund dieser Unterlagen, auf Grund seiner Untersuehungen und vor allen Dingen naeh den Beobaehtungen, die er wShrend der Behandlung gemacht hat, sein Gutachten auszustellen. Ist der behandelnde Arzt nut reehtzeitig in die Lage gesetzt, das Gutaehten abzugeben, so werden ihm Nr gewShnlieh keine Schwierig- keiten dabei erwachsen. Unter alien Umst~inden muss der Gutaehter aber darauf aehten, ob die Klagen des Verletzten dem Befunde entsprechen oder nicht. Entsprechen sie dem Befunde nicht, sind sehon yon Anfang an Klagen da, die dutch den Befund nieht gentigend erkl~rt werden, so muss er zusehen,

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108 Marcus,

ob er imstande ist, den Widerspruch durch eine gen~ue Untersuchung allein zu 15sen, und ist das nicht m~glich, so muss er eine Beobachtung oder zum mindesten eine weitere Untersuchung dutch einen Spezialarzt empfehlen. Auf alle F~lle w~tre es meines Erachtens angebracht, der Rubrik im Gu~achten, ob der Befund mit den K]agen des Verletzten im Einklang steht, vollste Aufmerksamkeit zuzuwenden.

Aber auch die Berufsgenossenschaften miissen dieser Rubrik eine er- hSh~e Aufmerksamkeit schenken. Es darf fiir sie nicht geniigen, das Gut- achten nur darauf hin anzusehen, wie hoch der Invalidit~tsgrad is~, ob eine Behandlung oder Beobachtung noch empfohlen wird uncl wann eine Nach- untersuchung vorzunehmen ist. Sie muss selber priifen, ob die Klagen des Verletzten, die im Gutachten ja ausfiihrlieh angegeben sind, mit dem -- nun nicht etwa Befunde, das ist allein Saehe des Arztes - - Inva.lidit~tsgrad iiber- einstimmen. Entdeeken sie hierin ein Missverhgltnis, so haben sie die Pflieht flit eine weitere AufklSrung zu sorgen, entweder dadureh, dass sie sieh noeh- reals an den behandelnden Arzt wenden, oder an den Vertrauensarzt, oder an irgendeinen anderen Arzt.

Sehon heu~e befolgen einzelne Berufsgenossensehaften die folgende Praxis: Sie beordern alle ihre Verletzten, ganz gleiehgiiltig, um was fiir eine Ver- letzung es sich handelt, zu ihrem Vertrauensarzt, und zwar bekommen die Verletzten die Anweisung, sieh sofort naeh Entlassung aus der Behandlung dem Vertrauensarzt vorzustellen. Dieser seinerseits hat inzwisehen sehon alte m6glichen Unterlagen erhalten, und zwar vor allen I)ingen, was das Wiehtigste ist, aueh das Gutaehten des erstbehandelnden Arztes. Der Ver- trauensarzt hat nun die Aufgabe, den Verletzten noehmals zu untersuehen und im iibrigen all das anzuordnen, was er etwa noeh fiir n~Jtig hglt. Ich kann aus meiner langj~thrigen T~tigkeit als Vertrauensarzt heraussagen, dass es sieh dabei nieht etwa um ein Obergutachten handelt, oder um eine Korrektur des yore erstbehandelnden Arzte ausgestellten Gutaehtens, sondern dal3 in den meisten Fi~llen niehts weiter als eine Best~tigung des Gutaehtens in Frage kommk Abet gerade die Minderheit von F~tllen, bei denen der Ver- trauensarzt vielleieht noch eine spezialistisehe Untersuehung, oder eine Be- obachtung far notwendig hS.lt, das sind gerade die F~lle, aus denen, wenn es niehg zu einer rechtzeitigen oder friihzeitigen Beobaehtung kommt, sieh die Sp~ttbeobaehtungen entwiekeln, die das Kontingent der Beobaehtungen so unbereehtigerweise vermehren.

Gewiss hat die Berufsgenossensehaft, die so vorgeht, zunS~ehst einmal mehr Kosten aufzuwenden. Nun, es kann keinem Zweifel unterliegen, dass sich diese Mehrkosten reiehlieh bezahlt maehen dadureh~ dass kein ungekl~rter Fall zu einer definitiven Abseh~tzung kommt. Gewiss erfordert eine solehe Praxis ein grosses Plus an Arbeit. Dieses Plus an Arbeit wird reiehlieh weft gemaeht dureh die Genugtuung, fiir die Verletzten riehtig gesorgt zu haben, und das riehtige Sorgen besteht nieht etwa im Gew~hren yon mSglichst vielen und mSglichst hohen Renten, sondern darin, dass dem u sein Reeht wird, nieht weniger und nieht mehr. Und endlieh hat die Berufsgenossen-

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schaft bei diesem Vorgehen aueh mit dem Odium zu rechnen, dass sie sich immer nur an den Vertrauensarzt wendet. Das ist abet ganz gewiss grund- falseh. Ich habe schon vorhin gesagt, worin die TSttigkeit des Vertrauens- arztes besteht. Es handelt sieh keineswegs um eine korrigierende, sondern nut um eine ergiinzende T~tigkeit. Es wiire den Berufsgenossenschaften vielleieht lieber, wenn sie sich Mehrkosten sparen kSnnten. Abet aus dieser Notwendigkeit kann man doch wohl nieht eine Sehuld ableiten. Und genau so wenig, wie es heute einem Kollegen einfallen wird, einer Privatversieherung daraus einen Vorwurf zu maehen, dass sie sieh in jedem Falle an den Ver- trauensarzt wendet, genau so wenig darf der Berufsgenossensehaft daraus ein Vorwurf gemacht werden.

Ein anderes Verfahren, das his jetzt wahrscheinlieh noeh yon mehr Berufsgenossensehaften geiibt wird, ist das, dass sie die Akten mit dem Gut- aehten des behandelnden Arztes ihrem Vertrauensarzt vorlegen. I)ieses Ver- fahren erseheint mir allerdings wenig zweckmS~ssig. Es 15~sst sieh nun einmal auf Grund des Akteninhaltes kein sieheres Gutachten abgeben, selbst dann nieht, wenn man den Verletzten vorher sehon einmal untersueht hat. Und auch dann nieht, wenn man die Gutaehten des betreffenden behandelnden Arztes genau kennt. Ich babe wenigstens sehon wiederholt die Erfahrung gemaeht, dass bei solehem Vorgehen in F~tllen, wo der Vertrauensarzt eine Beobaehtung oder Behandhmg far notwendig hielt, eine solehe nieht notwendig war und umgekehrt.

Immerhin ist das letz~erw~hnte Verfahren, dessen grosse Sehattenseiten ieh nieht welter ausfiihren will, noch besser als das dritte, bei dem eben gar niehts geschieht, bei dem die Berufsgenossensehaft ruhig abwartet, ob der Verletzte Rentenanspriiehe stellt, und dann, wenn das der Fall ist, das Gut- aehten des behandelnden Arztes einholt und endlich sieh ganz genau nach diesem Gutaehten riehtet.

Die erste Art des Vorgehens, die ieh besehrieben habe, ist entschieden die zweekm~issigste. Es wgre nur zu wiinsehen, dass sie mSgliehst bald yon allen Berufsgenossensehaffen adoptiert wiirde.

Die Zweckm:~tssigkeit des Vorgehens dieser Berufsgenossensehaften kommt aueh darin zum Ausdruek, dass sie ihre Beobachtungen in Anstalten fiir Unfallverletzte ausfiihren lassen. Ieh sage ausdrtieklieh in ,~Anstalten fiir Unfallverletzte", nieht dureh-X~rzte an solchen Anstalten, denn dass jeder auf dem Gebiete der Unfallbehandlung und Unfalluntersuchung erfahrenere Arzt eine Beobaehtung saehgemi~ss durchfiihren kann, ist selbstverst~tndlieh. Dagegen ist es keineswegs gleichgiiltig, ob die Beobaehtung in einer mit heilgymnastisehen Apparaten wohl ausgertisteten Anstalt ausgefiihrt wird, oder in einer Anstalt, wo solehe Apparate gar nieht vorhanden sind oder nur die bekannten Uni- versalapparate. Es erleiehtert die Beobaehtung ganz wesentlieh, wenn man einen Verletzten, der iiber alle mSglichen Besehwerden k]agt, 2--3 Stunden an den in Frage kommenden Apparaten iiben liisst und ihn dabei beobaehtet. Ieh will ganz davon absehen, dass Verletzte, die naturgem~ss mit den Appa- raten nicht so vertraut sind, oft genug Ubungen an Apparaten ausSihren,

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die sofort erkennen lassen, dass ihre Klagen ganz unberechtigt sind. Ich will nur darauf hinweisen, dass selbst ein etwas gewiegter Simulant doch bei dem immerwi~hrenden Uben an Apparaten sich einmal vergisst und Obungen aus- ffihrt, die, nach seinen Klagen zu urteilen, g~/r nicht miiglich sein diirften. Und endlich noch ein sehr wichtiges Moment, das ffir sich allein schon ge- nfigte, um der Beobaehtung gerade in solchen Anst.dten das Wort zu reden. Der Verletzte weiss oft gar nicht, wieviel er noch leisten kann, und merkt das zu seiner 0berraschung selber erst bei den (~rl)ungen t~n den Apparaten. Mit einer ordentliehen Versorgung aller dieser leichten Ver]etzungen, wie ich es eben auseinandergesetzt habe, wird man sicherlich eine grosse Anzahl yon Beobachtungen verhfiten und demgem~iss dem Anwachsen der Beobachtungs- fS~lle Einhalt tun kSnnen.

Aber auch damit ist es noch nicht genug, hueh bei den NervenfSllen und den schweren Verletzungen muss es gelingen, die Zahl der notwendigen Beobachtungen einztlschr~nken. [cb babe schon des 5fteren gesagt, dass zu diesem Zwecke bei diesen F~tllen prinzil)iell die Friihbeobachtung ~vird ein- geleitet werden miissen. Bei diesen beiden Kategorien yon Verletzungsf~llen wird m~tn meines Erachtens gut tun, unter allen UmstSnden, sot)ald das erste Heilverfahren abgesehlossen ist, eine Beobachtung einzuleiten. Die Beobach- tung bei diesen F~llen soll nicht etwa den Zweck haben., den Be[und zu priifen, denn dieser wird, da solche Verletzte in der Regel in grossen Kranken- h~usern behandelt werden, einwandfrei sein. Wohl abet h:flte ich auch bei diesen Verletzten eine Beobachtung durchaus fiir notwendig mit Riicksieht auf den Invalidit~tsgrad.

Die Bestimmung des InvaliditS~tsgrades ist keineswegs eine leicht zu nehmende Sache und noch weniger etwas Bedeutungsloses: sondern im Gegen- teil recht schwerwiegend. Gewiss kommt es fiir die Berufsgenossenschaft gar nicht darauf an, ob sie ein halbes oder Bin Jahr lang eine hShere Rente zahlen muss, wohl aber ist das fiir die Verletzten yon recht bedeutender Tragweite. Bei diesen ist es ausserordentlich wichtig, die verbliebene Er- werbsfiihigkeit richtig einzusch:s denn sie sind nut zu leicl{t geneigt, hohe, rein aus Mitleid diktierte oder mit Riicksicht aul' die Frische der Ver- letzung gewSohrte Renten als Zeichen einer entsprechenden BeschrSnkung der Erwerbsf~thigkeit anzusehen. Ist der Grad der Erwerbsbeschr~nkung aber gleich das erste Mal zu hoch gegriffen, so hoch, (lass det' Verletzte miiglicher- weise nicht zu arbeiten braucht, so besteht st~ndig die Gefahr, dass er aueh spS, terhin, wenn zu einer solchen Sehonungsrente wirklich keine Veranlassung mehr vorliegt, nicht arbeiten zu dfirfen glaubt, um sich seine Rente gewisser- massen zu verdienen.

Das w~ren im wesentliehen die Momente, die sich bei der Siehtung und gergleichung des in unserer Anstalt beobachteten Verletztenmaterials mir ergeben haben. Es w/ire zu wfinschen, dass auch andere Anstalten, besonders solche, die fiber ein grtisseres Material verffigen, die entspreehenden Zahlen und ihre Erfahrungen veriJffeutlichten. Man kiinnte dann um so eher hoffen, den Ubelstand der vielen Beol)achtungen zu beseitigen.

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Zusammenfassend gebe ich jetzt noch die Leits~tze wieder, die in der ganzen Arbeit zum Ausdruck kommen.

Die Zahl der Beobachtung nimmt yon Jahr zu Jahr in einem Grade zu, der in gar keinem Verhaltnis reeler zu den im Jahr friseh eintretenden Verletzungen steht.

An dieser ungesunden Zumd~me yon Beobachtungen ist nicht nur das Wachsen der Nervenfitlle und der schweren Verletzungen schuld, bei denen man, wenigstens vielfaeh, mit der Notwendigkeit einer Beobachtung rechnen muss, sondern vor allen I)ingen die Zunahme der einfachen Verletzungen, die yon Rechts wegen einer Beobachtung iiberhaupt nicht bedfirfen.

Die Beobachtungen, wie sie heute durchgefiihrt werden, erfiillen ihren Zweck viel zu selten, well sie zu spgt unternommen werden.

Soll eine Beobachtung einen Erfolg haben, so muss sie unbedingt friih- zeitig eintreten, d. h. unmittelbar nach Abschluss der Behandlung.

Einer solchen Frfihbeobachtung miissen prinzipiell Nervenf~ille und schwere Verletzungen unterzogen werden, w~thrend bei leichten Verletzungen eine solche Beobachtung nur ausnahmsweise nStig sein wird, vorausgesetzt, dass sie schon bei der ersten Begutachtung geniigend gekl~rt werden.

Hauptgewicht ist jedenfalls bei allen Fgllen auf die vollstandige und rechtzeitige Aufkl~trung zu legen.