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Arch. klin. exp. Derm. 239, 191--199 (1970) by Springer-Verlag 1970 Zur Frage der KSbner-Ph/inomen-artigen Manifestation eines Reticulosarkoms der Haut nach R6ntgenbestrahlung G. WEBER und E. STOCK Hautklinik der Stgdtischen Krankenanstalten Nfirnberg (Vorstand: Prof. Dr. G. Weber) Eingegangen am 22. Juni 1970 KSbner Phenomenon-like Mani/estation o/a Retothel Sarcoma o/the Skin Following X-Ray Treatment Summary. X-ray treatment of a retothel sarcoma of the skin brought about complete involution of the tumors in an otherwise typical course of the disease. After an intervall of three months retothel sarcoma infiltrations corresponding in size exactly to that of the x-ray tube reappeared within the x-ray treated area of the back. They were homogeneously localized in the unchanged, i.e. formerly healthy skin as well as in the area of the previously x-ray treated and thereafter completely involuted tumors. Thus the assumption is justified that the x-ray treatment of the normal skin leads to a "locus minoris resistentiae" in which -- equivalently to a Koebner phenomenon--a fresh tumor eruption established itself. Zusammen/ass~,xng. Im sonst typischen Krankheitsverlauf einer Retieulosarko- matose der Haut fiihrte die l~Sntgenbestrahlung der I-Iauttumoren zungchst zu deren Abheilung. Nach einem Intervall yon 3 Monaten kam es in Bestrahlungs- bereichen des Riickens zum Auftreten eines in seiner Ausdehnung dem RSntgen- tubus exakt entspreehenden Reticulosarkomatose-Infiltrats, das homogen die unver~nderte, d.h. zuvor gesunde Haut, wie auch die in diesem Bereich gelegenen zuvor bestrahlten und vollsti~ndig riiekgebildeten Tumoren betraf. Hieraus ergibt sich die Armahme, dug die l~Sntgenbestrahlung der normalen Haut zu einem locus minoris resistentiae gefiihrt hat, in dem ein frischer Tumorschub sich entspreehend dem K6ber-Phgnomen etablierte. Die ersten Arbeiten fiber das i~etothelsarkom bzw. die Retieulo- sarkomatose gehen auf die Jahre um 1930 zuriiek und sind an die Namen Oberling, Roulet, Gottron, R6ssle und Ahlstr6m gebunden. Pautrier u. Woringer haben 1933 wohl als erste fiber ein primgres Retothelsarkom des Hautorgans beriehtet; es folgten weitere Mitteilungen yon Ehrlieh u. Gerber, Fraser u. Schwartz, Linser, Steppert u. Wolfram, tIerzberg u. Lepp, TWinkler, Kalkoff u.a. In diesen Ver6ffentliehungen bzw. Fall- beobaehtungen wurde Lokalisation der Tumoren, ihre histologisehe Besehaffenheit und Abgrenzbarkeit gegentiber anderen lymphatisehen

Zur Frage der Köbner-Phänomen-artigen manifestation eines Reticulosarkoms der Haut nach Röntgenbestrahlung

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Arch. klin. exp. Derm. 239, 191--199 (1970) �9 by Springer-Verlag 1970

Zur Frage der KSbner-Ph/inomen-artigen Manifestation eines Reticulosarkoms der Haut

nach R6ntgenbestrahlung

G. WEBER und E. STOCK

Hautklinik der Stgdtischen Krankenanstalten Nfirnberg (Vorstand: Prof. Dr. G. Weber)

Eingegangen am 22. Juni 1970

KSbner Phenomenon-like Mani/estation o/a Retothel Sarcoma o/the Skin Following X-Ray Treatment

Summary. X-ray treatment of a retothel sarcoma of the skin brought about complete involution of the tumors in an otherwise typical course of the disease. After an intervall of three months retothel sarcoma infiltrations corresponding in size exactly to that of the x-ray tube reappeared within the x-ray treated area of the back. They were homogeneously localized in the unchanged, i.e. formerly healthy skin as well as in the area of the previously x-ray treated and thereafter completely involuted tumors. Thus the assumption is justified that the x-ray treatment of the normal skin leads to a "locus minoris resistentiae" in which -- equivalently to a Koebner phenomenon--a fresh tumor eruption established itself.

Zusammen/ass~,xng. Im sonst typischen Krankheitsverlauf einer Retieulosarko- matose der Haut fiihrte die l~Sntgenbestrahlung der I-Iauttumoren zungchst zu deren Abheilung. Nach einem Intervall yon 3 Monaten kam es in Bestrahlungs- bereichen des Riickens zum Auftreten eines in seiner Ausdehnung dem RSntgen- tubus exakt entspreehenden Reticulosarkomatose-Infiltrats, das homogen die unver~nderte, d.h. zuvor gesunde Haut, wie auch die in diesem Bereich gelegenen zuvor bestrahlten und vollsti~ndig riiekgebildeten Tumoren betraf. Hieraus ergibt sich die Armahme, dug die l~Sntgenbestrahlung der normalen Haut zu einem locus minoris resistentiae gefiihrt hat, in dem ein frischer Tumorschub sich entspreehend dem K6ber-Phgnomen etablierte.

Die ersten Arbe i ten fiber das i~etothelsarkom bzw. die Retieulo- sarkomatose gehen auf die Jahre u m 1930 zuriiek u n d sind an die N a m e n Oberling, Roulet , Gottron, R6ssle und Ahls t r6m gebunden. Pau t r i e r u. Woringer haben 1933 wohl als erste fiber ein primgres Reto the lsarkom des Hau torgans ber iehtet ; es folgten weitere Mit te i lungen yon Ehrl ieh u. Gerber, Fraser u. Schwartz, Linser, Steppert u. Wolfram, t Ierzberg u. Lepp, TWinkler, Kalkoff u .a . I n diesen Ver6ffentl iehungen bzw. Fall- beobaehtungen wurde Lokal isat ion der Tumoren, ihre histologisehe Besehaffenheit und Abgrenzbarkei t gegentiber anderen lymphat i sehen

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Tumoren bzw. der sog. , ,Sareomatosis cutis" dargesteIit und Mittei- lungen fiber sehubweise Einzelrezidive (Steppert u. Wolfram) oder metastat isehe Verbrei~ung der Tumoren isoliert ~m H~utorg~n (K~lkoff) gemaeht.

Gegenstand der vorl iegenden Fal lbesehreibung ist ein I~etothelsar- kom, bei dem es zum Auf t re ten neuer Tumoren im Sinne eines Kbb- nersehen Phgnomens in r6ntgenbes t rahl ten , zuvor tumorfreien t I au t - arealen kam.

Fallbesehreibung In der Familienanamnes'e sind keine bezugsfahigen Erkrankungen bekannt. Eigenanamnese des 65j~hrigen Porzellandrehers: 1945 starke ,,Ischiasbe-

sehwerden", 1950 Feststellung einer Silikose. Seit etwa 1950 reehtsseitige Stimm- bandlahmung ohne bekannte Ursache. 1967 Elektroresektion der Prostata.

Spezielle Anamnese. Im November 1968 bemerkte der Patient erstmals einen zunaehst braunen, sparer bl~uliehen ,,Fleck" im Bereieh des Nackens, ohne dab die Konsistenz der I-Iaut verandert gewesen sei. Einige Woehen sparer traten weitere ,,Fleeke" am Stamm hinzu, fiber denen die Haut sieh derber anfiihlte. Vom ein- weisenden Hautarzt wurde eine Probeexeision durehgefiihrt; die histologisehe Dia- gnose ergab den Befund einer Mycosis fungoides.

Hautbe/und bei der Au/nahme am 28.5.69 (Abb. 1 und 2). Im Halsbereieh, an Brust und Rfieken sowie am linken Unterarm finden sich derbe Knoten und ,,uhr- glasartig gewblbte, flaeherhabene tumorhafte Infiltrate ~'~ (Knoth). Diese promi- nieren wenig, fiber ihnen ist die Haut teilweise gerbtet, teilweise br~unlich-blgulich verfgrbt. Ihre maximale Ausdehnung entsprieht Handtellergrbge. Im Bereieh des linken Schulterblattes ist in einem der Herde die Narbe der vorausgegangenen Probeexeision zu erkennem Das fibrige Hautorgan ist altersentsprechend.

Histologischer Be/und vom 30.5.69. Excision aus Tumoren vom [inken Unter- arm und der rechten Schulter: Milcroskopiseh zeigen beide Pr~parate einen gleich- artigen t!lefund: Die Epidermis ist unterschiedlicb breit, die l~eteleis~n sind stellen- weise verstriehen. Der Papil]arkbrper ist 5dematbs aufgeloekert. In der Cutis finden sieh zahlreiehe, vorwiegend perivaseuliir oder um die Hautanhangsgebilde angeordnete Wueherungen unterschiedlieh groBer retothelialer Zellelemente. Stellen- weise deutliehe Kernpolymorphie, vor allem in den tiefer gelegenen Kerden. Zwisehen den Retieulumzellen sind such uncharakteristisehe Histioeyten, verein- zelt Lymphoeyten oder Plasmazellen naehweisbar, darfiber hinaus sehr vereinzelt eosinophile Leukoeyten. Stellenweise bestehen Kernteilungsfiguren der Retieulum- zellen und Karyorhexis. Diagnose: Ret0thelsarkomatose der Haut.

]~ei der oto-rhino.laryngologischen Untersuehung (Prof. Dr. A. Beeker, Vorstand der HMs-Nasen-Ohren-Klinik der St~dtisehen KrankenanstMten Nfirnberg) findet sieh epipharyngoskopiseh ein sehmierig-hbekeriger Tumor im Epipharynx und Tubenwinkel links. Die histologische Ungersuehung dieses Tmnors ergab: an der Oberfl~ehe ein mehrsehiehtiger Plattenepithelfiberzug. Darunter reiehliehe Entwieklung eines kMnzelligen Gewebes. Dieses ist dureh Sehrumpfungsprozesse so hoehgradig vergndert, da6 eine siehere Beurteilung (lymphatisehes Gewebe ? kleinzellige Retothelsarkomwueherungen ?) nieht mbglieh ist. Stellenweise ergibt sieh der Eindruek yon Kernteilungsfiguren, die eher daffir spreehen, dab es sieh um Tumorwueherungen handelt. Naeh der Tiefe zu sehliegen sieh Sehleimhaut- drfisen an, stellenweise durchsetzt yon ehroniseh-entztindliehen Infiltraten. Ins- gesamt ergibt sieh die Verdaehtsdiagnose eines kleinzelligen getothelsarkoms.

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Zur Frage der KSbner-Phgnomen-artig. Manifestation eines Reticulosarkoms 193

Abb. 1 Abb. 2

Abb. 1 und 2. Primgrtumoren vor der R6ntgentherapie mit eingezeichneten Bestrahlungsfeldern

Allgemeinbe/und. Bei gutem Ern~hrungs- und Kr~ftezustand konnte an den inneren Organen ]dinisch kein pathologischer Befund erhoben werden.

Laborbe/unde. (28.5.69) BSG 9/30mm n. Westergren, R g 160/90ram Hg, Blutzucker nfichtern 77 mg-~ Bilh'ubin 0,Tmg-~ direkt negativ, Calcium 5,3 m~q/1, Kalium 4,8 m~q/1, Natrium 146 m~q/1, SGOT 12 ME, SGPT 6 ME, Hb 98~ Erythrocyten 5,30 Mill., F~rbeindex 0,92, Leukocyten 5600, Stabkernige 2~ Segmentkernige 550/0, Lymphocyten 34o/0, Eosinophile i~ Mononucle~re 8~ .

HFtmatomyelogramm (Prof. Dr. 1~. Schubert, Vorstand der II . Medizinisehen Klinik der Stgdtischen Krankenanstalten, Nfirnberg). Die vorliegenden Sternal- markausstriche zeigen mikroskopiseh sowohl in der roten, als aueh in der weil]en l~eihe keine qualitativen bzw. quantitativen ZelIver~nderungen. Beurteilung: Un- auff~illiges H~matomyelogramm.

Elektrokardiogramm. Sinusbradykardie, Bigeminie, Zeiehen der Reehtsherz- iiberlastung. Eine Linkshy-pertrophie ist nicht auszuschlieBen, Zeiehen der Td~oer- lastung des linken Vorhofes.

Rdntge~ (Medizinaldirektor Dr. A. Jakob, Vorstand des Strahleninstituts der StS~dtisehen Krankenanstalten Niirnberg). Thorax in zwei Ebenen: spezifische Ver- ~nderungen in beiden Spitzen-Oberfeldern mit streifiger Hilusverbreiterung. Beide

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Lusgenfelder zeigen eine vermehrte Zeiehnung in der Peripherie (Silikose-Tbc ?). Im fibrigen Lungen frei yon frischen infiltrativen Vergnderungen, mgfliges Lungen- emphysem. ]~eiderseits verbreitertes, breitbasig aufsitzendes FIerz. Aortensklerose nnd -elongation.

~Sntgen. l~![agen-Darm-Passage: Ergebnis: unauffglliger Befund. N~hgtdelba~is. Siehere osteolytische Destruktionen sind nieht nachweisbar.

Therapie und Verlau/. Die Tumoren des t Iautorgans wurden mit dem Dermopan, Stufe IV, 50 kV, 30 em F I t A in der Zeit veto 6.6.69-- 10.7.69 bestrahlt . Insgesamt wurden 12 Folder (Abb. 1 und 2) fraktioniert mit je 200 r bestrahl t und als Gesamt- oberflaehendosis zwisehen 1200 und 2800 r appliziert.

Der Tumor im Bereieh des Rachendaehes wurde mit dem Gammat ron bes t rahl t : bei einem F E A yon 60 emwurden auf 2 Felder mit einer Feldgr6ge yon 8 • i0 em als EinzeloberflS~ehendosis 300 r u n d als Gesamtoberfl/~ehendosis 4500 r je Feld verabfolgt, was einer Gesamtherddosis yon 6000 r entsprieht. Die bestrahlungs- bedingte t teiserkeit und R6tung des Raehenraumes maehte eine systemisehe Prednisolonbehandlung mit 25 rag/die (Gesamtdosis 850 rag) erforderlieh.

Die Kontrollen der Serumlaborwerte und des Blutbildes lichen keine Veriinde- rungen erkennen, lediglieh die BSG stieg auf 20/48 mm geringfiigig an.

]~ei Ent lassung des Pat ienten am 10.9.69 waren die tumor6sen Hautver~nde- rungen unter I-Iinterlassung geringfiigiger Restpigmentierungen zuriiekgebildet, der Tumor im Epipharynx war nieht mehr siehtbar.

AnlSA]lieh einer ambulanten Vorstellung am 22.10.69 zeigte sieh am l~iicken eine t l6 tnng mit geringgradiger Liehenifikation, ohne tas tbare Infiltration. Die ]3SG hetrug zu diesem ZeitI0unkt 51/82 ram. Die Hals-Nasen-Ohren-faehiirztliche Untersuehung ergab keinen pathologisehen Befund, auBer einer Trockenheit in Mund und Ha ls.

Die erneute stationare Aufnahme des Pat ienten erfolgte am 27.11.69, also 11l Woehen naeh der Entlassung.

Zwischenanamnese. Dem Pat ienten sei es zunS~ehst bis auf eine stg~ndige Mfidig- keit gu t gegangen. ]3ie Sieht des linken Auges sei in der letzten Zeit getr~bt, es ,,flimmere helm Sehon". 14 Tage vorher habe er erneut , ,Isehiasbesehwerden" versp/irt . In den Ietzten Woehen sei es zu einer zunehmenden Versehleehterung dutch Anft re ten neuer Tumoren am reehten Arm und an der Brust gekommen. Auff~lIig war ibm, dab in friiheren ]3estrahlungsgebieten die I-Iaut. deutlieh ,,hiirter und dicker" geworden sei und eine bl~ulieh-braune Verfiirbung angenommen h~tte.

Hals-Na.sen-Ohren-grztliche Untersuchung. I m tlereieh des gaehenraumes keine Tumorvergnderungen, jedoeh Verdaeht auf Retothelsarkom der Kieferh6hle (Rezidiv an der linken Wange und Nasenfliigel).

Die histologisehe Untersuehung einer Probeexcision veto linken Nasenfliigel- tumor : NikroskoI0iseh besteht das reiskorngrol3e Part ikel aus dichtgelagerten, moist kleinen Zellelementen mit stark entrundeten hyperehromatisehen Kernen. ])as Tun~orgewebe entsprieht dem, wie es in den frfiheren Exeisionen festgestellt wurde. Die 13eurteilung des Tumors wird jetzt dureh betr~chtliehe Sehrumpfungs- folgen ersehwert. Naeh wie ve t ergibt sich die Verdaehtsdiagnose: kleinzelliges t letothelsarkom.

HautbeJund bei Wiederau[nahme am 27.11.69 (Abb.3 und 4): Im Bereieh des Riiekens befindet sieh zwisehen beiden Sehulterbl~ttern ein 15• em groger ~ezirk, in dem die Hau t har t und verdiekt ist und ein br~iunlieh-blaues Kolorit aufweist (ehemals r6ntgenbestrahltes Gebiet). Daneben finden sieh am linken Sehul- t e rb la t t zwei ebensolehe l:ierde, die leieht erhaben und gegen die Umgebung seharf abgrenzbar sind.

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Abb. 3 Abb. 4

Abb.3. Bei Wiederaufnahme: Rezidivtumoren irn Bestrahlungsgebiet fiber der rechten Brust. 1k'euer Tumor an der rechten Stirn

Abb.g. Bei Wiederaufnahme: Tumorinfi l t rat ira Bestrahlungsgebiet des Rfickens. Aussparung rech~s par~vertebral durch Bloiabdeckung

Ent lang der Wirbels~ule yon der Mitre der Schulterbl/~tter bis etwa in die Nie- rengegend finder sich weiterhin ein bandf6rraiger Bezirk von 24 cm L/inge und ~2 cm Breite, der ebenfalls tumor6s infiltriert und toils hgmorrhagisch, toils br~un- lich verf~rbt ist. 1%echts davon ein runder, fiinfmarkstfckgroBer, frisch aufgetre- tenor, br~unlicher Tumor.

t3ber der rechten Brust bestehen drei gut ffnfmarkstt ickgroBe Tumoren der obenbeschriebenen Beschaffenheit. Desgleichen an der rechten Stirn ein unregel- m/iBig begrenzter Tumor yon etwa Mfnzgr6Be und ein ca. pfenniggroBer neben dem linken Nasenfliigel, weiterhin am rechten Underarm ein zehnpfennigstfickgrol3er brgunlicher Tumor. Die histologische Unte~'s~zchung yon zwei Excisionen aus dem rSntgenbestrahlten, zuvor turaorSsen Gebiet yore Rficken ergab mikroskopisch eine kleinzellige Retothelsarkomatose der Haut , also ein Tumorrezidiv.

Zwei Probeexcisionen aus dem r6ntgenbestrahRen Gebiet der Rfckenmi t te , in dem vor der l~Sntgenbestrahlung mit Sicherheit kein Tumor nachzuweisen war, ergaben mikroskopisch: hochgradige fibr5se Verbrei terung der Cutis, in den ober- fiKchlichen Bezirken der Cutis deutliche perivascul~re Infi l t rate aus Lymphocyten

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und Histioeyten mit deutlicher Karyorhexis. Stellenweise greifen die Infiltrate auf tiefere Sehichten der Cutis fiber. Diagnose: kleinzellige Retienlosarkomatose der Haut.

Allgemeinbe/und. Der Patient befindet sich bei der Wiederaufnahme in reduzier- tern Ern~hrungs- und sehlechtem Kr~ftezustand. In der linken Axilla und in der rechten Leistenbeuge sind je ein Lymphknoten nachweisbar. Der I~aehenraum ist gerStet, Gesehmacks- und Geruehssinn o. B. An den Thoraxorganen klinisch wiederum kein pathologischer Befund, jedoch Belastungsdyspnoe. Die Abdominalorgane sind unauff~illig, ebenso Extremit~ten und Reflexverhalten.

Laborbe/unde. BSG 66/111 minn. Westergren, RR 130/75 mmttg, Blutzueker niiehtern 85 rag-~ ]~ilirubin 0,6 rag-~ direkt negativ. Calcium 5,0 miiq/l, Kalium 4,7 mgq/1, Natrium 145 mgq/1, Harnstoff 52 rag-%, Gesamteiweil3 6,9 g-C/o, Albu- min 4,5 g-~ SGOT 12 ME, SGPT 8 ME. Hb 700/0, Erythrocyten 3,86 Mill., :Fiirbe- index 0,90, Leukocyten 3700, Stabkernige 12~ Segmentkernige 34~ Lympho- eyten 42%, Eosinophile 6%, Mononucleiire 4%, Basophile 2%. Thromboeyten 141000. TEG: stark pathologisch, Verdacht auf Thrombopenie, Fibrinogen normal. EKG: Intermittierender Kammer-Bigeminus, vorwiegend linksventrikulgre Er- regungsriickbildungsst6rungen.

Thoraxiibersichtskontrolle. Verglichen mit der Aufnahme vom 29.5.69 unver- 5.nderter Befund.

Nasennebenh6hlen und Schiidel in zwei Ebenen. Man erkennt eine fast homogene Verschattung der KeilbeinhShlen, das Planum sinuidalis bildet sich in der a.p. Aufnahme nur gul3erst undeutlich ab. Der Befund sprieht jetzt ffir einen gumorSsen Prozel3 in dieser Gegend.

Therapie und Verlau]. Wegen der Blutbildvergnderungen und des reduzierten AlIgemeinzustandes behandelten wir den Patienten zungchst mit 4 Bluttrans- fusionen und tiiglich 48 mg Urbason retard. Unter dieser Therapie versehleehterte sieh jedoeh das Blutbild weiter. Die Leukocyten sanken auf 2000, die Thrombo- eyten auf 98000 ab. Lediglich das Hb hMt sieh mit 78~ und die BSG besserte sich yon 66/111 auf 32/65 ram. Wegen dieser Befunde konnte die vorgesehene Vincristin- behandlung nicht durehgeffihrt werden.

Am 21.12.69 trat eine Bronehopneumonie beiderseits mit Temperaturen um 39~ aaf, die trotz entspreehender Behandlung am 24.12.1969 zum Exitus letalis fiihrte. Die Obdu]ction ergab als Hauptleiden: Zustand nach Bestrahlung eines Retothelsarkoms der Haut am Rfieken sowie an der rechten oberen Brustwand. Metastatiseher, nekrotischer Tumorherd im BrustbeinkTrper. Erhebliehe Arterio- sklerose der Aorta sowie der Becken- und Halsschlagadern. Erhebliche stenosierende Coronarsklerose. Fiinfmarkstfickgroge Infarktschwiele in der Hinterwand des linken Ventrikels. Sehlaffes Herz. Katarrhalische Tracheobronehitis. Konfluierende hfi.morrhagisehe Bronehopneumonie in beiden Unterlappen und im reeh~en Ober- lappen. 0dem und ehronisches substantielles Emphysem der Lunge. Alte indurierte Tuberkulose im linken Lungenoberlappen mit vernarbten Streuherden im Bereieh des rechten Lungenunterlappens. Anthrakose und Verkalkung der Lungenhilus- lymphknoten. Agranuloeytose.

Postmortale histologische Untersuchung aus der bestrahlten Brusthaut: Ver- schm~lerung der Epidermis und Fibrose des PapillarkSrpers. Bindegewebige Ver- breiterung der Cutis. In der Cutis um einzelne Gef~ge und um die Sehweigdrfisen geringe Infiltrate aus Bindegewebszellen und segmentkernigen Leukocyten. Hier kein Anhalt ffir Retothelsarkom. Lymphknoten: Anf Schnitten yon inguinalen, axillaren und mesenterialen Lymphknoten hyperSmisches, teilweise yon :Fett sub- stituiertes lymphatisehes Gewebe. Kein Anhalt fiir eine Retothelsarkomatose.

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Zur Fr~ge der K6bner-PM.nomen-ar~ig. 5{anifestation eines Retieulosarkoms 197

Knochenmark: Auf Sclmitten yon Wirbelk6rpern, Sternum und Femur 6dema- t/Jses und yon ausgedehnten Blutungen durchsetztes Fet~mark mit relativ ge- ringem Zellgehalt. Nian sieht Megakaryoeyten, zahlreiche kleine Gruppen der Ery- throl0oese und fast ausschlieillieh unreife Vorstufen der Granulopoese. Die reifen Formen fehlem Neben diesen Vergndertmgen besteht im Sternum ein gr6Berer Tumorbezirk. Es handelt sieh um eine nekrotische Retothelsarkom-Metastase sowie um aplastisehes Knochenmark, vorwiegend im Sinne einer Agranuloeytose.

Diskussion

Die seit den ersten Mitteilungen yon Pautrier u. Woringer nicht selten beobachtete l~eticulosarkomatose erhglt im vorliegenden Be- obaehtungsfa]l eine unseres Wissens bisher nieht festgestellte Variante. Bei sonst typischem Verlauf einer Retieulosarkomatose der Ilaut, ein- hergehend mit einem sarkomat6sen Tumor im Epipharynx links, kam es im vorliegenden Fall zur Provokation neuer l~etothelsarkome am Hautorgan im Bereich einer vorausgegangenen l~6ntgenbestrahlung. W/~hrend die kryl)togenen , tumorartigen l~eticnlosen als Begleiterkran- kungen hi~matopoetiseher Prozesse bekannt sind (Pliess), finder sich im Schrifttum kein IIinweis auf die sozusagen exogene Provokation der- artiger Gesehwulstformen. Bei unserem Patienten hatte die l~6ntgen- bestrahlung einzelner in Abb. 3 und 4 markierter Tumoren unter einer Gesamtdosis yon 4500 bzw. 6000 r zu einer vollkommenen Tumor- remission geffihrt. 3 Monate sparer zeigte sieh in dem Bestrahlungs- bereieh eine diffuse Infiltration, die in ihrer Begrenzung exakt dem auf- gesetzten l~Sntgentubns entspraeh. Die histologische Untersuehung aus mehreren Bereiehen dieses fiber der tl, iiekenmitte gelegenen tumor6s infiltrierten Bezirks ergab histologiseh in allen Entnahmestellen ein kleinzelliges Retothelsarkom. Mit dieser Mehrfaehentnahme konnte ausgesehlossen werden, dab nur zufallig solehe l~egionen getroffen wurden, in denen vor der ~6ntgenbestrahlnng ]%etothelsarkome der Hau t bestanden hatten. Eine weitere Sieherung dieser Befunde ermSg- liehten die vor Beginn der l~Sntgenbestrahlnng angefertigten AbbiL dungen, aus denen die exakte Erstlokalisation der Tumoren ersichtlich ist. Wie diese Abbildungen (Abb. 1 und 2) zeigen, handelte es sich prim/~r um gut umschriebene, mithin also tyi0ische knotige t~etothelsarkome der Han t in zun/~ehst insgesamt normaler Umgebung.

Die di//use Tumorin/iltration an der Ri~c~enhaut ~ann demnach zwei/els- /rei al8 Folge der RSntgenbestrahlung ange~ehen werden. Beweisend hier- ffir war aueh eine quadratisehe Aussparung normaler Hau t links para- vertebral (Abb.4) im Tumorinfiltrat. Hier war w~hrend der RSntgen- bestrahlung eine Bleiabdeekung vorgenommen worden, so dal~ es darunter nieht znr Einwirkung der l~Sntgenstrahlen kommen konnte. I m ]3rust- bereieh des Patienten fanden sieh derartige Folgeerseheinungen nieht, was m6glieherweise damit zu erkl/~ren ist, dab hier dureh die verwandten

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Abb. 5. Bei Wiederaufnahme: Tumorrezidive im Interscapularraum, der Gr6Be des �9 " zur Bestrahlung verwandten Tubus entsprechend

l~Sntgentubus bedingt lediglich die Tumoren selbst und nieht die nor- male Umgebungshaut bestrahlt worden war. I m Interseapularraum erzielte die R6ntgenbestrah]ung gleichfalls zun~chst eine totale Remission der umschriebenen Tumoren. Sp~ter (Abb.5) manifestierten sich diffuse, der Gr6Be des l~6ntgentubus entsprechende l~etothelsarkom- infiltrate mit einer gr6Beren Ausdehnung als die ursprfingliehen Tumoren. Assozfiert waren diese Erseheinungen im zeitliehen Ablauf mit dem Auf- t reten weiterer typiseher, d.h. umsehrJebener I~etothelsarkome, die sieh in bis damn unver~nderter und aueh nJcht bestrahlter I tau t , so beispielswe~se des ]inken Nasenflfigels und der Stirn, manifestierten.

Theoretiseh ]iiBt sieh dieser Vorgang der Tumorprovokat ion dureh die R6ntgenbestrahlung damit erklgren, dab es zu einer lokalen I~esistenz- minderung der Hau t kam, in der sieh das Retothelsarkom im weiteren Tumorschub etablierte. Allerdings ergibt sieh daraus die nicht zu be- antwortende Frage naeh der Einmaligkeit dieses Vorkommnisses. Wiire doeh sonst m Abetraeht der wohl generell bei diesem Krankheitsbild vorgenommenen ]~Sntgenbestrahlung eine Hiiufung derartiger Bilder zu erwarten.

Die Obduktion deckte eine isolierte Retothelsarkommetastase im Sternum auf, die zuvor kliniseh und bei der Sterna]punktion s tumm geblieben war. Aus dem Verlauf muB angenommen werden, dab es sich hierbei um einen Tumor jfingeren Manifestationsdatums handelte, so dal~ dieser ffir die prims Tumoraussaat des l~etothelsarkoms am Haut- organ ursgehlich wohl nieht verantwortlieh gemaeht werden kann, Dies

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Zur Frage der K6bner-Fh~nomen-artig. Manifestation eines Reticutosarkoms 199

be inhal te t die Annahme einer pr im~ren und mul t ip len au toch thonen

E n t s t e h u n g der t le to the lsarkome am t t a u t o r g a n unseres Pa t ien ten . Der foudroyante u n d somit typisehe Verlauf des Krankhei t sb i ldes maeh~e eine eytostat isehe Behandlung unm6glieh, die auch dutch die zunehmende Ausbi ldung einer Leukopenie und hoehgradigen Thromboeytopenie mi t final 98 000 Thromboey ten entfiel. Letzte Mlerdings ha t te keine Organ- b lu tung zur Folge, wenngleieh in allen bes t rahl ten Bereiehen Tumor- h~morrhagien naelhgewiesen werden konn~en.

Ffir die pathologiseh-anatomisehen Befunde sei Herrn Prof. Dr. G. PlieB, Vor- stand des Pathologischen Instituts der Stadt Niirnberg, herzlich gedankt.

L i t e r a t u r

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Prof. Dr. G. Weber Dr. E. Stock D-8500 Niirnberg, Flurstr. 17