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Zur Frage der Verbalaspekte im Altjapanischen Von Bruno Lewin (München) Der Aspekt ist eine grammatische Kategorie des verbalen Zeitbezuges und sdlarf von der anderen Kategorie des Zeitbezuges, dem Tempus, zu scheiden. Während die Auffassung der Tempus-Kategorie keine Schwierig- keit bietet, da sie notwendigerweise in allen Sprachen direkt oder indirekt bezeichnet ist, wird die Kategorie des Aspektes häufig verkannt oder über- sehen, nidlt zuletzt darum, weil sie in den germanischen und romanischen Spradlen gar nicht oder nur in defekten Systemen vorhanden ist. Die Dis- kussion über den noetischen Gehalt dieser Kategorie ist noch nicht abge- schlossen. In Fluß gekommen ist sie bei der linguistischen Durchdringung der slawischen Sprachen, da diese über ein voll ausgebildetes Aspektsystem verfügen. Hier knüpfen auch die meisten sprachtheoretischen Studien an t, sind aber in der Funktionsbestimmung und -abgrenzung häufig unzureichend. Um Mißverständnissen bei der folgenden Erörterung der Verbalaspekte im Japanischen vorzubeugen, sei hier in Kürze die Bedeutung dieser gram- matischen Kategorie umrissen. Dabei folge ich den Untersuchungen des Slawisten K o schmiede r, weil diese auf der Grundlage der Denkpsycho- logie den Samverhalt erkenntnistheoretisch klären und wohl den besten Ausgangspunkt für einzelsprachliche Studien bilden. 2 Alles Geschehen liegt in der Zeit. Betrachtet man mit einer Hilfsvorstel- lung die Zeit als eine Linie, so hat jedes Geschehen einen Zeitstellenwert auf dieser Linie. Auch das jeweilige Ich hat einen Punkt auf der Zeitlinie, den Gegenwartspunkt Während der Zeitstellenwert eines Gesdlehens sei- nen festen Ort auf der Zeitlinie innehat, wandert der Gegenwartspunkt eines Ich stetig aus der Vergangenheit in die Zukunft; dodl vom Ich aus betrachtet wandert der Zeitstellenwert eines Geschehens in der umgekehrten Richtung aus der Zukunft in die Vergangenheit. Wenn nun der Träger einer Aussage ein Ich und ein Geschehen zeitlich in Beziehung setzt, gleichgültig, ob er mit diesem Ich identisch ist oder nicht, so kann diese Charakterisierung grundsätzlich zweierlei Art sein. Erstens kann der Tatbestand nach dem Lageverhältnis seines Zeitstellenwertes zum Träger der Aussage fixiert Manuskriptdrude nach einem Vortrag, der auf dem XIII. Deutschen Orientalisten- tag, Harnburg 1955, gehalten wurde. Eine kritisdle Würdigung japanischer Unter- sudlungenzum verbalen Zeitbezug im Japanisdlen, die den Rahmen dieses Vortrags gesprengt hätte, behält sich der Verfasser für einen späteren Zeitpunkt vor. 1 Zur Forsdlungsgesdlichte vgl. A. M a z o n, La notion 1' des verbes chez Jes grammairiens russesi Melanges offerts a M. Emde P1cot, Pans 1913, I. -V. V. Vinogradov, Russkij jazyk, ucenie o slove, Moskau 1949, S. 477 ff. 2 E. K o schmiede r, Zeitbezug und Sprache, ein Beitrag zur Aspekt- und Tem- pusfragei Wiss. Grundfragen (Philos. Abhandl.), XI, Lpzg.-Bln. 1929. - Ders., Nauka o aspektach czasownika polskiego w zarysie, Wilna 1934. 237

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Zur Frage der Verbalaspekte im Altjapanischen

Von Bruno Lewin (München)

Der Aspekt ist eine grammatische Kategorie des verbalen Zeitbezuges und sdlarf von der anderen Kategorie des Zeitbezuges, dem Tempus, zu scheiden. Während die Auffassung der Tempus-Kategorie keine Schwierig­keit bietet, da sie notwendigerweise in allen Sprachen direkt oder indirekt bezeichnet ist, wird die Kategorie des Aspektes häufig verkannt oder über­sehen, nidlt zuletzt darum, weil sie in den germanischen und romanischen Spradlen gar nicht oder nur in defekten Systemen vorhanden ist. Die Dis­kussion über den noetischen Gehalt dieser Kategorie ist noch nicht abge­schlossen. In Fluß gekommen ist sie bei der linguistischen Durchdringung der slawischen Sprachen, da diese über ein voll ausgebildetes Aspektsystem verfügen. Hier knüpfen auch die meisten sprachtheoretischen Studien an t, sind aber in der Funktionsbestimmung und -abgrenzung häufig unzureichend. Um Mißverständnissen bei der folgenden Erörterung der Verbalaspekte im Japanischen vorzubeugen, sei hier in Kürze die Bedeutung dieser gram­matischen Kategorie umrissen. Dabei folge ich den Untersuchungen des Slawisten K o schmiede r, weil diese auf der Grundlage der Denkpsycho­logie den Samverhalt erkenntnistheoretisch klären und wohl den besten Ausgangspunkt für einzelsprachliche Studien bilden.2

Alles Geschehen liegt in der Zeit. Betrachtet man mit einer Hilfsvorstel­lung die Zeit als eine Linie, so hat jedes Geschehen einen Zeitstellenwert auf dieser Linie. Auch das jeweilige Ich hat einen Punkt auf der Zeitlinie, den Gegenwartspunkt Während der Zeitstellenwert eines Gesdlehens sei­nen festen Ort auf der Zeitlinie innehat, wandert der Gegenwartspunkt eines Ich stetig aus der Vergangenheit in die Zukunft; dodl vom Ich aus betrachtet wandert der Zeitstellenwert eines Geschehens in der umgekehrten Richtung aus der Zukunft in die Vergangenheit. Wenn nun der Träger einer Aussage ein Ich und ein Geschehen zeitlich in Beziehung setzt, gleichgültig, ob er mit diesem Ich identisch ist oder nicht, so kann diese Charakterisierung grundsätzlich zweierlei Art sein. Erstens kann der Tatbestand nach dem Lageverhältnis seines Zeitstellenwertes zum Träger der Aussage fixiert

Manuskriptdrude nach einem Vortrag, der auf dem XIII. Deutschen Orientalisten­tag, Harnburg 1955, gehalten wurde. Eine kritisdle Würdigung japanischer Unter­sudlungenzum verbalen Zeitbezug im Japanisdlen, die den Rahmen dieses Vortrags gesprengt hätte, behält sich der Verfasser für einen späteren Zeitpunkt vor.

1 Zur Forsdlungsgesdlichte vgl. A. M a z o n, La notion mo~phologiCJue ~e 1' aspe~t des verbes chez Jes grammairiens russesi Melanges offerts a M. Emde P1cot, Pans 1913, I. -V. V. Vinogradov, Russkij jazyk, ucenie o slove, Moskau 1949, S. 477 ff.

2 E. K o schmiede r, Zeitbezug und Sprache, ein Beitrag zur Aspekt- und Tem­pusfragei Wiss. Grundfragen (Philos. Abhandl.), XI, Lpzg.-Bln. 1929. - Ders., Nauka o aspektach czasownika polskiego w zarysie, Wilna 1934.

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werden als Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft. Da V~rgangenheit, Gegenwart und Zukunft als Zeitstuf~n bezeichnet werden, spritht man in diesem Falle vom Zeitstufenbezug. ~ Zweitens kann der Träger der Aus­sage den Tatbestand im Wechselverhältnis von Zeitstellenwert des Ge­schehens und Gegenwartspunkt des Ich fixieren, und zwar folgendermaßen: Entweder wird das Geschehen als dem Ich gegenwärtig dargestellt, also im Gegenwartspunkt geschehend und daher zusammen mit der Bewegung des Gegenwartspunktes aus der Vergangenheit in die Zukunft gerichtet; oder aber der Tatbestand, d. h. Ich und Geschehen, wird in seinem Zeitstellenwert als Ganzheit dargestellt und daher mit der Bewegung des Zeitstellenwertes aus der Zukunft in die Vergangenheit gerichtet. Bezeichnet man das Be­wegungsverhältnis von Zeitstellenwert und Gegenwartspunkt als Zeitrich­tung, so spricht man in diesem Falle vom Zeitrichtungsbezug. Vom zeit­lichen Standpunkt des Trägers der Aussage her können natürlich beide Mög­lichkeiten des Zeitrichtungsbezuges sowohl in der Vergangenheit als auch in der Zukunft erfaßt werden, in der Gegenwart aber nur der geschehende, also aus der Vergangenheit in die Zukunft gerichtete, nicht aber der ent­gegengerichtete Zeitbezug, da der Zeitstellenwert eines Tatbestandes eine Ganzheit bildet und als solche nicht im Gegenwartspunkt fixierbar ist. -Schließlich sei noch auf eine eigentümliche Verknüpfung von Zeitstufen­und Zeitrichtungsbezug hingewiesen, die auch für das Altjapanische in Funk­tion tritt. Ein in seinem Zeitstellenwert als vergangen und vollendet cha­rakterisierter Tatbestand wird dargestellt als nachwirkender Zustand, der im Gegenwartspunkt des Ich andauert. Da diese Verbindung von Zeitstufen­und Zeitrichtungsbezug als grammatische Kategorie Perfektum genannt wird, spricht man hier vom perfektischen Zeitbezug. Während dem Zeitstuten­bezug die grammatische Kategorie der Tempora entspricht, entspricht dem Zeitrichtungsbezug die grammatische Kategorie der Aspekte. Ublicherweise bezeichnet man den Richtungsbezug aus der Vergangenheit in die Zukunft als unvollendeten oder imperfektiven Aspekt, den Richtungsbezug aus der Zukunft in die Vergangenheit als vollendeten oder perfektiven Aspekt. An dieser Stelle sei hervorgehoben, daß der Aspekt sorgfältig zu scheiden ist von den Aktionsarten, wie sie in der Indogermanistik, ausgehend von den Arbeiten DeI b rück s und B r u g man n s 3 , behandelt werden. Die Aktions­art bezieht sich nämlich nicht auf die Zeitrichtung sondern auf die Verlaufs­art des Tatbestandes, und zwar kann diese Verlaufsart charakterisiert werden als durativ, intensiv, ingressiv, terminativ, momentan usw. 4

Was nun die grammatischen Kategorien für den Zeitbezug im Verbal­system des Japanischen anbetrifft, so ist hier das Vorhandensein der Aspekte unverkennbar. Nachgewiesen und als linguistisches Problem behandelt wor­den ist dieser Sachverhalt zuerst von russischen Kennern des Japanischen; verständlicherweise, da ihre Aufmerksamkeit beim Ubersetzen ins Russische

3 Siehe K. B r u g man n, Kurze vergleichende Grammatik der indogermanischen Sprachen, Bln.-Lpzg. 1933, S. 493-494.

4 Vgl. H. Ren i c k e, Die Theorie der Aspekte und Aktionsarten; PBB, 72, 1950, S, 150 ff. - E. Hofmann, Zu Aspekt und Aktionsart. Corolla Linguistica, 0. Harrassowitz, Wiesbaden 1955, S. 86 ff. '

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gezwungenermaßen auf mögliche Äquivalente für die muttersprachlichem Aspektbeziehungen gelenkt wurde. Die Forschungsgeschichte geht also hier: den gleichen Weg wie beim Chinesischen, wo, nach den Angaben Pnisek's" der Russe Brand t erstmals Aspekte festgestellt haben wills. Auf Aspekte; im Japanischen hat m. W. zuerst der Russe Panaev aufmerksam gemacht6" doch wird man bei ausreichendem Material die Problemstellung wohl zeit- · lieh noch weiter zurückverfolgen können. Die Frage ist dann weiter ange- · schnitten worden in den Lehrbüchern und Grammatiken der russischen Japa- · nologen P 1 e t n er und Po 1 i v an o v, S p a 1 v in, K o n r a d, C h o 1 o d o v i c ,, Feldman 7

, und hat in Einzeluntersuchungen von Matsokin und später · von Kassa t k in Behandlung gefunden8. Die Auffassungen sind nicht ein­heitlich, vermengen auch oft Aspekt und Aktionsart, doch ist in diesem kurzen Aufriß nicht der Ort für eine kritische Musterung der verschiedenen Ansichten. Arbeiten westeuropäisdler Japanologen zu dem Gegenstand sind mir nicht bekannt. San so m behandelt das diesbezüglidle Material in sei­ner historischen Grammatik des Japanismen im Kapitel über Tempussuffixe9 ,

im Ansdlluß an Yamada Yoshio 10 , ohne es der betreffenden grammatl­sdlen Kategorie zuzuordnen. Eine Untersuchung von Hartmann über "Einige Grundzüge des japanisdlen Sprachbaus" streift den Komplex auf der Grundlage von Sansom und weist in mehreren Bemerkungen auf das; Vorhandensein von Aspekten im Japanischen hin11 • Weiter geht die moderne amerikanische Forschung. Während in der Grammatik von Lehmann und. Faust nur global vom Aspektsystem des Japanischen die Rede ist12 , be­handelt Y o k o y a m a Masako, eine Schülerirr von Bernhard B 1 o c h, das, Problem im wesentlichen zutreffend, indem sie in ihrer strukturalistischen~

Studie über die Flexionselemente des Altjapanischen alle Verbformen in. die beiden Gruppen durativ und non-durativ einteilt und damit ein

5 J. P rü s ek I Quelques remarques sur Jes aspects en Chinois; Archiv Orien-· talni1 XVIII No. 1-21 19501 S. 408.

6 V. P. Panaev I Kurono Yoshibumi, Samoucitel' japonskago jazyka, St.­Petersburg 1913.

7 0. V. P 1 e t n er I E. D. Po 1 i v an o v I Grammatika japonskogo razgovornogo· jazyka, Moskau 1930. - E. G. S p a 1' v in, Japonskij razgovornyj jazykl Charbin 1933. - N. I. K o n r a d, Sintaksis japonskogo nacional'nogo literatumogo jazykal Moskau 1937. - A. A. C h o 1 o d o v i c I Sintaksis japonskogo voennogo jazy ka, Moskau 1937. - N. I. Fe1' dman 1 Kratkij grammaticeskij ocerk sovremennogo japonskogo jazyka; in: Kratkij russko-japonskij s1ovar·~ Moskau 1950.

8 N. P. M a t so k in 1

An Outline of the Morphology of the Present Tense of the Japanese Verb· Publications of the Far Eastern State University, Series VI, No . 9, V1adivostok 1929. - S. Kassa t k in, The Cathegory of Aspect in Japanese; Phi Theta Annua1 1 University of California, Vol. 21 July 1951; S. 25 ff.

9 G. Sansom An Historical Grammar of Japanese, Oxford 1928, S. 173ff.­Sansom gebraucht den Terminus ",Aspects' of the verb" als Sammelbegriff für alle gram. Verba1kategorien; s. S. 311.

10 Y a m a da Yoshio 1 Nihon-bump6-ron, Tökyö 1908. 11 P. Hartmann, Einige Grundzüge des japanischen Sprachbaus, gezeigt an de~

Ausdrücken für das Sehen, Heidelberg 1952. - Hartmann gebraucht statt ,Aspekt den Terminus ,Aktionsart' .

12 W. P. Lehm an n 1 L. Faust, A Grammar of Formal Written Japanese; Harvard-Yenching Institute Studies, Vol. X, Cambridge, Massachusetts 1951; S. 52.

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wesentliches Merkmal der Aspektrelation erfaßt13• Japanischerseits geht die bewußte Beschäftigung mit den Aspekten auf S a k um a Kanae zurück, der in seinen grammatischen Untersuchungen über das moderne Japanische diesem Gebiet nicht geringen Raum widmet14 • Soweit mir bekannt, hat er die Anregung für Problemstellung und -behandlung von dem russischen Japanologen Pol i v an o v erhalten.

Da die Frage nach den Aspekten im Japanischen von russischer Seite ge­stellt worden ist, wird man vielleicht einwenden, daß die Behauptung ihrer Existenz eine Fiktion sei, die auf der so häufigen Substitution der Struktur der Muttersprache anstelle derjenigen der zu untersuchenden Fremdsprache beruht. Tatsächlich läßt sich ja ein bestimmtes Gemeintes mit den Mitteln eines umschreibenden Bezeichneten wohl in jeder Sprache zum Ausdruck bringen. Das morphologische Inventar des Japanischen besitzt aber in seinen Entwicklungsstufen feste Zeidlen für die grammatische Kategorie der Ver­balaspekte.

Um nur das moderne Japanische der Umgangsspradle als einleitendes Beispiel zu nennen, so wird hier der unvollendete Aspekt durdl die Verbin­dung der Subordinationsform des sinntragenden Verbums mit einer Form des Hilfsverbs i r u oder o r u ausgedrückt, der vollendete Aspekt durch die Verbindung der Subordinationsform des sinntragenden Verbums mit einer Form des hier als Hilfsverb fungierenden s h im a u ,vollenden', wobei häufig die Kontraktionsformen -te + iru > -teru und -te + shimau > -chimau auftreten; z.B. tomodachi no kaite ita (kaiteta) tegami "der Brief, den der Freund schrieb (d.h. mit dessen Sdlreiben er beschäftigt war)"; und: tomodachi no kaite shimatta (kaichi­matta) tegami "der Brief, den der Freund schrieb (d.h. den er fertig­geschrieben hat)". Dabei können vom unvollendeten Aspekt alle drei Tempora gebildet werden, vom vollendeten aber, dem noetischen Gehalt entsprechend, nur Präteritum und Futur 15. Ubrigens ist auch der perfektische Zeitbezug vertreten in der Verbindung der Subordinationsform des sinn­tragenden Verbums mit einer Form des Hilfsverbs a r u (bei Sachen) und iru (bei Personen); z.B. tomodachi no kaite aru tegami "der Brief, den der Freund geschrieben hat", tsukarete iru gakusei "der Student, der ermüdet ist". Die Bildung neuer morphologischer Elemente wie - t e ru und - chimau zur Bezeichnung der Aspektrelation ist ein Indiz mehr für das Vorhandensein des Zeitrichtungsbezuges als grammatische Kategorie16•

13 ~· Yokoyama, The Inflections of Bth-Century Japanese; Language Dis­sertation No. 45, Suppl. to Language, Vol. 26, No. 3; Baltimore 1950.

14 S a k um a Kanae, Gendai-Nihongo no hyogen to goho; Köseikaku, Tökyö 1936; S. 284ff. - Ders., Nihongo-gaku; Asahi-shimbun-sha, Tökyö 1951; S. 135 ff.- Ders. , The structure of the Japanese Language; Kyushu Psychological Studies, No. 1, Fukuoka 1951, S. 69ff.

15 Sakuma Kanae gibt in einer Tempus-Aspekt-Tabelle für die Rubrik voll. ~sp. / Präs . . die Form .-te shimatta an, was hier nur als sog. Perlekturn präsen­hs ( g e n z a 1- k an r y o) aufgefaßt werden kann, also dem perfektischen Zeitbezug zuzurechnen ist. S. Gendai-Nihongo no hyogen to goho, S. 297.

16 ~m Rande sei b.e~erkt , daß das typologisch völlig andersartige Chinesisch mit der Bildung der enkhhschen Form , 1 a · aus dem Vollverb 1 i a o vollenden' bei der Bezeichnung des voll. Asp. einen ganz ähnlichen Weg gegange~ ist; vgl. Prüsek, a. a. 0. S. 409.

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Demgegenüber ist der Ausdrude der Aktionsarten im modernen Japanischen eine lexikalische Erscheinung, die keine grammatische Kategorie im Verbal­system bildet; z. B. ingressiv: f ur i-das u (das u) "zu regnen beginnen", durativ: yomi-kakeru (kakeru) "mit Lesen beschäftigt sein", termina­tiv: t ab e t e- k i t a ( k ur u) "zum Abschluß des Essens gekommen sein'' u. a. m.

Das Tempus-Aspekt-System des modernen Japanischen der Umgangs­sprache stellt sich schematisch angeordnet folgendermaßen dar:

Zeitrichtungsbezug Zeitstufen-

imperf. perfektiver aspektiv

bezug Aspekt Aspekt Perfekt neutral

Prät. - te i ta -te shimatta - te atta l ita l ( -ta) Präs. -te iru 0 -te aru I iru I merkmallos Fut. -te iyö -te shimaö -te arö I i yö I (- ö)

I

I I

I

Neutral dem Zeitrichtungsbezug gegenüber im eigentlichen Sinne ist nur das morphologisch merkmallose Präsens, hier besser Extratemporale zu nennen, da seine Hauptfunktion in der Aussage zeitstellenwertloser Sach­verhalte besteht17• Das Präteritum-Suffix - t a trägt noch immer die Neben­funktionen des Perfekts und des vollendeten Aspektes, und das Futur-Suffix - ö ist so stark modal gefärbt, daß man es mit Fug und Recht aus dem System des Zeitbezuges überhaupt ausklammern könnte18.

Im Altjapanischen - und damit meine ich das in den Denkmälern der Nara-Zeit überlieferte Sprachgut, liegen die Verhältnisse im wesentlichen ebenso wie im Neujapanischen, nur ist das morphologische Material ein anderes und reicheres.

Im Verbalsystem des Altjapanischen wird der Zeitstufenbezug, der Zeit­richtungsbezug und der perfektische Zeitbezug bezeichnet. Die grammatische Kategorie der Tempora, Aspekte sowie deren Verbindung im Perfekt sind im morphologischen Inventar des Altjapanischen verankert. Hinzu kommt noch der relative Zeitstufenbezug, bei dem ein Tatbestand im Verhältnis zum Zeitstellenwert eines anderen, nicht gegenwärtigen Tatbestandes fixiert wird, wobei im Altjapanischen dieser relative Zeitstufenbezug auf die Vor­vergangenheit beschränkt bleibt.

Die morphologischen Elemente, die zur Bezeidmung sämtlicher Verbal­kategorien dienen, sind, dem agglutinierenden Typ der Sprache entspre-

17 Bezeichnenderweise tritt es stets in Sprichwörtern auf, soweit in ihnen über­haupt verbale Satzteile enthalten sind. Sprichwörter geben ja bekanntlich keinen Tatbestand im Sinne des hic et nunc sondern als Allgemeingültigkeit wieder; z. B. as hida wo a rau to, ame g a fu ru "wenn man die hohen Holzschuhe säubert, regnet es"; saru mo ki kara ochiru "auch ein Affe fällt vom Baum" , u.a.m.

18 Das reine Futur wird im modernen Japanisch analytisch durch die Verbindung des neutralen Präsens mit einem Temporaladv. gebildet; z. B. an i g a a s h i t a k i-m a s u "der Bruder kommt morgen".

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dlend, deutlich abgrenzbare Endungsmorpheme. DurdJ. mannigfache Kompo­sition der Grundmorpheme einer Kategorie und Kombination mit solchen anderer Kategorien wird mit verhältnismäßig wenigen Elementen ein großes Feld innerhalb des Gemeinten bezeidJ.net.

An Grundmorphemen zum Ausdruck des Zeitbezuges gibt es fünf: k i , m u , t s u, n u, ( a) r i 19• Die beiden ersten sind temporal, die drei letzten aspektiv. Ich behandle sie in der Folge als Grundmorpheme und als Mor­phem-Kompositionen nach der Ordnung der Stellenwerte, die sie im System des Gemeinten innehaben. Die illustrierenden Beispiele entstammen sämtlich der altjapanisdlen Gedichtsammlung des Manyöshü, die in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts kompiliert worden ist.

Zuerst der Zeitstufenbezug. Der aspektiv neutrale Zeitstufenbezug wird für die Vergangenheit durch -ki, für die Zukunft durch -mu ausgedrückt und bleibt für die Gegenwart unbezeichnet. Das Präsens ist also ebenso wie im Neujapanischen das merkmallose Glied in der Tempuskorrelation und hat neben der Hauptfunktion der Gegenwart die Nebenfunktion der Außer­zeitlichkeit; z. B. (1) Chidori naku I (2) mi-Yoshinu-gawa no I (3) kawa-oto no I (4) yamu toki nashi ni I (5) omohoyuru kimi (915) "(5) Du bist es, nach dem ich mich sehne, (4) ohne daß es eine Zeit des Auf­hörens gäbe, (3) so wie des Flusses Rauschen, (2) des schönen Yoshino­Flusses, (1) an dem die Regenpfeifer singen.''

Ein Endungsmorphem, das einzig und allein die Funktion hat, vom Träger der Aussage her betradltet einen Tatbestand als in der Vergangenheit liegend zu charakterisieren, ist - k i, das mit den zugehörigen Formen - s e, -shi und -shika eine Suppletiv-Gruppe bildet; z. B .... (4) hisashiki toki yu I (5) omoiki ware wa (501) "(5) Ich, der ich mich gesehnt habe (4) seit langer Zeit"; oder: (1) Mukashi mishi I (2) Kisa no ogawa wo I (3) ima mireba ... (316) "(2) Den kleinen Kisa-Fluß, (1) den ich einst ge­sehen habe, (3) wenn ich ihn jetzt sehe . . . ".

Etwas schwieriger liegen die Verhältnisse bei dem Endungsmorphem - m u, dessen Hauptfunktion es ist, vom Standpunkt des Sprechers her einen Tat­bestand mit Zukunftsstellenwert zu bezeichnen. Diese Funktion läßt sich deutlich aus einer Vielzahl von Beispielen ablesen, wie etwa: (1) Okimi wa I (2) chitose ni masamu ... (243) "(1) Der Hohe Herr (2) wird tausend Jahre leben ... "; oder: (1) Kono yo ni shi I (2) tanushiku araba I (3) komu yo ni wa ... (348) "(2) Wenn ich glücklich bin (1) in dieser Welt, (3) in der Welt, die kommen wird ... " usw. Nun enthält aber ein zukünftiges Ereignis meist den Unsicherheitsfaktor, ob es tatsächlich in die Gegenwart eintritt und somit zur Wirklichkeit wird. Daraus lassen sich dann die Nebenfunktionen von -m u herleiten, nämlich Dubitativ, Op­tativ, Desiderativ. Die Feststellung von San so m, daß seine Hauptfunktion im Bezeichnen der Mutmaßung liege, wobei die Idee der Zukunft häufig

19 AlleEndungsmorpheme werden hier, der jap. Tradition folgend, in syllabischer Abgrenzung und in der sog. Schlußform gegeben.

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eingeschlossen sei 20, scheint mir zumindest für das Altjapanische eine tJm ..

kehrung des Sachverhaltes zu sein. Vor allem aber kann ich der Auffassung von Hartmann nicht beipflichten, daß nämlich "eine Bezeichnung der Zeit­stufe für die altjapanische Sprache nicht anzunehmen" sei 21. - k i und - m u sind meines Erachtens unverkennbar der grammatischen Kategorie des Tem­pus zuzuordnen. Noch ein abschließendes Beispiel hierzu: (1) Waga ino­chi mo I (2) tsune ni aranu ka I {3) mukashi mishi I (4) Kisa no ogawa wo I (5) yukite mimu tarne (332): "(1) Auch mein Leben (2) währt wohl nicht ewig. (5) Deshalb werde ich gehen und ansebauen (4) den kleinen Kisa-Fluß, (3) den ich einst gesehen habe". Hierin sind alle drei Tempora enthalten; andere Erklärungen dieser Formen verwirren nur die Struktur des altjapanischen Verbalsystems.

Nun zum Zeitrichtungsbezug. Zu seiner Bezeichnung dienen die drei Grundmorpheme - ( a) r i , - t s u und - n u . Hiervon fungiert - ( a) r i für den unvollendeten Aspekt, bezeichnet also einen Tatbestand als im Gegenwarts­punkt des Ich bzw. Es geschehend oder andauernd und gibt daher den Rich­tungsbezug Vergangenheit - Zukunft an. Die Funktion dieses Morphems steht im engsten Zusammenhang mit der Bedeutung des Vollverbs a r i, welches das Vorhandensein im weitesten Sinne zum Ausdruck bringt und dieser Bedeutung wegen geeignet ist, einem beliebigen Hauptverb als suffi­gierendes Element angeschlossen zu werden, um die gegenwärtige Existenz, die Präsenz des vom Hauptverb ausgesagten Tatbestandes zu bezeichnen. Nur einige Beispiele: (1) Shio-tsu-yama I (2) uchikoe-yukeba I (3) aga noreru I (4) uma zo tsuma-zuku ... (365) "(112) Während ich den Shiotsuyama überquere, (4) strauchelt doch das Pferd, (3) das ich reite ... ";oder: (1) Miyabi-wo to I (2) are wa kikeru wo I (3) yado kasazu I (4) are wo kaeseri I (5) ozo no miyabi-wo (126) "(1) Ein feinsinniger Mann, (2) so höre ich zwar, (3) doch ohne Herberge zu geben, (4) schickt ihr mich zurück; (5) so ein verachtenswerter feinsinniger Mann!" Piers o n, in seiner Interpretation des Manyöshu, übersetzt hier durchge­hend ins Präteritum 22 , zu Unrecht meines Er achtens, denn mit der folgenden Antwort des ,feinsinnigen Mannes' bilden die beiden Tanka ein poetisiertes Wechselgespräch; das Ereignis ist als geschehend und den beiden handeln­den Personen gegenwärtig dargestellt. Das allein ist entscheidend für die Wahl des Tempus bei der Ubersetzung, denn - ( a) r i selbst ist ja dem Zeit­stufenbezug gegenüber neutral, und so bleibt auch die Möglichkeit offen, mit dem Präteritum zu übersetzen, dies ab'er für gewöhnlich nur in dem Falle, wo Träger d~r Handlung und Träger der Aussage nicht identisch sind, da ein Ereignis, das für das Subjekt geschehend ist, für den Sprecher bereits geschehen sein kann. In solchen Fällen sind Kontext oder Umstände entschei­dend für die Tempuswahl der Ubersetzung. So ist z. B. das Präsens erforder­lich für die Wiedergabe von ... (2) ... ariso wo ... I (4) makura to

20 S ans om, a. a. 0. S. 187-188. 21 Hartmann, a.a.O. S. 23. 22 J. L. Piers o n Jr., The Manyosu, translated and annotated; Book II, Leyden

1931 i s. 59.

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lhakite I (S) nas~r-u kfm.i kamo (222) "(5) Oh öu, der Du sdiUifst, (2)" den kiesigen Sand (4) zum Kopfkissen machend ... ", denn das Gedicht ist beim Anblick eines angeschwemmten Toten entstanden; aber das Präteritum ist notwendig in einem Falle wie: (1) No chimim u to I (2) kimi ga m usu­beru ... I (4) ko-matsu ... (146) "(4) Die kleine Kiefer, (2) die der Herr gebunden hat (1) mit dem Gedanken: ,Ich werde dich später wieder­sehen''', da sich hier der Dichter angesichts der Kiefer an den Vorgang des Bindeos erinnert 23.

Um den im unvollendeten Aspekt bezeichneten Tatbestand ausgesprochen auf die Vergangenheit festzulegen, steht die Kombinationsmöglichkeit von Aspekt- und Tempussuffix offen, nämlich ( a) r i + k i > ( a) r i k i oder k i + ( a) r i > k er i. Hier ist eine für die Funktionsbestimmung dieser und ähn­licher Suffixverbindungen grundsätzliche Bemerkung einzuschalten: Bei mehrgliedrigen Verbalsuffixen fällt dem ersten Bestandteil die Haupt­bedeutung zu, dem jeweils folgenden nur die nähere Bestimmung. Die Ord­nungsrichtung der bestimmten und der bestimmenden Glieder ist also bei der Suffixbildung gerade umgekehrt wie bei der Wort- und Satzbildung. Bei der zweigliedrigen Suffixverbindung ( a) r i k i wird der betreffende Tat­bestand ebenfalls als im Geschehen begriffen betrachtet, nur wird in zusätz­licher Bestimmung dies Geschehen auf die Zeitstufe der Vergangenheit be­schränkt. Einige Beispiele: (1) Oki-tsu-nami I (2) takaku tatsu hi ni I (3) a er i k i t o . .. (3675) "(3)Daß ich entgegenfuhr (2) der Sonne, die hoch stand (1) wie die Meereswellen .. . "; oder: (1) Tönagaku I (2) tsuka­em u mono to I (3) omoerishi I (4) kimi shi masaneba I (5) koko­rodo mo nashi (45) "(4) Da der Herr, ach, nicht mehr ist, (3) von dem idl dachte, (2) ich würde ihm ein Diener sein, (1) über IangeZeiten hin, (5) istauch die Herzenskraft zunichte". Bei der umgekehrten Verbindung der Glieder, k er i, wird der Tatbestand vornehmlich auf die Zeitstufe der Vergangenheit festgelegt, sodann näher charakterisiert als in der Vergangenheit fortdau­ernd24. So in den folgenden Versen: (l)Tako no ura yu I (2) uchi-dete mireba I (3) mashiroku zo I (4) Fuji no takane ni I (5) yuki wa fu­rikeru (318) "(1) Während ich aus der Tako-Bucht (2) hinausfahre und schaue, (5) ist der Schnee gefallen (3) ganz weiß (4) auf den hohen Gipfel des Fuji"; oder: (1) Tokiwa nasu I (2) iwaya wa ima mo I (3) arike­redo I (4) sumikeru hito zo I (5) tsune nakarikeru (308) "(1) Als beständiger Fels (3) besteht zwar weiter (2) das Felsenheim auch heute, (4) doch der Mann, der es bewohnte, (5) war nicht für die Dauer". Während nun das Präteritum des unvollendeten Aspektes unbezeichnet durch - ( a) r i, bezeichnet durch - ( a) r i k i und - k er i zum Ausdruck gebracht werden kann, fehlt ein entsprechendes Futur. Die theoretisch zu erwartenden Formen ( a) r i + m u > r a m u und m u + ( a) r i > m er i - letztere erst seit der Heian-Zeit gebräuchlich- sind zweigliedrige Modalsuffixe mit der Funktion

23 Vgl. Pierson, a.a. O. S. 91, 251. u Das Suffix - k er i hat die Nebenfunktion der kategorischen Konstatierung

eines Tatbestandes und ist in diesem Falle in das modale System übergewechselt; z. B. . .. n a o s h i k a zu k er i (350) ,. .... ist doch gar nicht zu vergleichen".

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des Dubitativ präsentis. Für das Altjapanische bleibt der Stellenwert des unvollendeten Aspekts Fut. im System des Gemeinten offen.

Für den vollendeten Aspekt fungieren die beiden Grundmorpheme - t s u 2s

und - n u. Sie bezeichnen beide einen Tatbestand in der Ganzheit seines Zeitstellenwertes und stehen somit im Richtungsbezug Zukunft- Vergan­genheit. Da die Ganzheit eines Zeitstellenwertes, wie oben ausgeführt, im beweglidlen Gegenwartspunkt des Trägers der Handlung bzw. der Aussage nicht fixierbar ist, können - t s u und - n u nicht mit der Zeitstufe der Gegen­wart verknüpft werden. Während also - ( a) r i als Zeichen des unvollen­deten Aspektes dem Kontext bzw. Sachverhalt entsprechend auf Gegenwart oder Vergangenheit bezogen werden konnte, verbleibt für -tsu und -nu nur die Vergangenheit, soweit sie nicht ausdrücklich durch die Verbindung mit - m u für die Zukunft gelten sollen. Die Opposition dieser beiden En­dungsmorpheme liegt nicht im System der Verbalkategorien begründet, sondern bezieht sich auf die Relation zwischen dem Träger der Handlung und dem Träger der Aussage. So wird durch - t s u die Feststellung getroffen, daß das vollzogene Geschehen von einem Subjekt bewirkt ist oder ein Sub­jekt betrifft; die Darstellung ist damit betont auf den Träger der Handlung bezogen und tritt häufig in Funktion, wenn dieser mit dem Träger der Aus­sage identisdl ist. Demgegenüber bringt - n u ein vollzogenes Ge~chehen beschreibend als Sachverhalt zur Darstellung und ist damit betont auf den Träger der Aussage bezogen; daher wird es oft gebraucht, wenn Träger der Handlung und Träger der Aussage nicht zusammenfallen26 • Zunächst einige Beispiele für - t s u, das handlungsbezogene Suffix des vollendeten Aspekts: (1) Hayabito no I (2) Satsuma no Seto wo I (3) kumo-i nasu I (4) töku mo ware wa I (5) kyö mitsuru kamo (248) "(2) Die Meerenge von Satsuma (1) der Hayato, (3) dem Wolkenheim gleich (4) fern, habe ich (5) heute fürwahr gesehen"! ... (3) Funagi kiri (4) ki ni kiri y u k i t s u ... (391) "(3) Schiffsholz zu schlagen, (4) Holz zu schlagen bin

25 Die Annahme, daß - t s u nur eine nadldrücklieile Feststellung beinhalte, also im verbalen Bereieil die gleieile Funktion habe wie k o so und z o im nominalen und n a m o im Satzganzen, seileint mir für das Altjapaniseile nur nodl sporadiseil zuzutreffen. Diadlroniseil betraeiltet war - t s u wohl ursprünglidl ein emphatisdles Suffix, doeil ist es bereits in den Seilrittdenkmälern der Nara-Zeit dem Aspektsystem zugeordnet, und seine ursprünglieil emphatiseile Funktion ist nur in Resten naeil­weisbar, so in Verbindung mit affektbetonten Verben wie k o u, o m o u, s hin u b u ,sieil sehnen' und dem semantiseil nadldrücklidlen k an u ,außerstande sein'. Aus der modalbezogenen Funktion der naeildrücklidlen Feststellung hat sidl wahrseilein­lieh die aspektbezogene der Vollendung entwickelt. V gl. auch San so m, a. a. 0. s. 180.

26 Die hier gegebene Abgrenzung entspricht etwa den Feststellungen von Y amada Yoshio: "-tsu bringt die Bestimmtheit, daß das Subjekt des Satzes die betr. wirklichen Tatbestände ausübt, von seiten dieses Subjektes selbst in unmittel­barer Beseilreibung zum Ausdruck ... - n u bringt diese Bestimmtheit zum Aus­druck, indem es demgegenüber den Tatbestand der Handlung aus einer seitlidlen Sicht darlegt" (s. Narachö-bumpo-shi, Höbunkan, Tökyö 1954; S. 286-281). Nicht ganz zutreffend, wenn auch den wesentlieilen Unterschied berührend, ist die De­finition von M. Yokoyama, die tsu als ,active morpheme' und nu als ,stative morpheme' bezeichnet mit der Begründung: "The active and the stative morphemes regard the predicated event in two different ways. One regards it as an action and asserts the fact, the other regards it as a state and asserts the point of view" (Yokoyama, a. a. 0. S. 26).

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ich gegangen .. .. . " Den Stammfonneo v·ön - t s tf nidit gfeicfigestelTt wercfen· darf auch im Altjapanischen das sogenannte Subordinationssuffix - t e, wel­ches formal mit der Indefinitform von - t s u identisch ist, doch nur die Funk­tion der syntaktischen Unterordnung unter das folgende finite Verb hat, wobei es temporal und aspektiv diesem gleichgestellt ist; z. B. wie oben: . . . (5)y u k i t e mim u t a m e (332) " ... Deshalb werde ich gehen und an­schauen".

Das aussagebezogene Suffix des vollendeten Aspekts, - n u, figuriert z. B. in dem folgenden Tanka: (1) Okimi wa I (2) kami ni shi maseba I (3) amagumo no I (4) ihoe ga shita ni I (5) kakuri-tamainu(205) "(1) Der Hohe Herr, (2) da er doch ein Gott ist, (5) hat sich zurückgezogen (4) unter die fünfhundertfach gehäuften (3) Himmelswolken". - Zur Klarstellung der Handlungs- bzw.der Aussagebezogenheit der Endungsmorpheme - ts u und - n u sei noch ein Belegpaar angeführt, wo sich beide im gleichen Kontext be­finden:27 (1)Uchinabiku l (2) haru tachinu-rashi/(3)waga kado no / (4)yanagi no ure ni I (5)uguisu nakitsu (1819) "(2) Es scheint, der Frühling hat begonnen, (1) wenn Halm und Baum im Wind sich neigen. (4) Auf dem Wipfel der Weide (3) an meiner Pforte (5) hat eine Nachtigall ge­schlagen". Dagegen: (1) Ima yori wa I (2) aki-zukinu-rashi/(3) ashibiki no I (4) yama matsukage ni I (5) higurashi nakinu (3655) . "(1) Von jetzt an, (2) scheint es, ist der Herbst eingezogen. (4) Im Schatten der Kiefern am Berge, (3) den man schleppenden Fußes begeht, (5) war das Zirpen einer Zikade".

Ein Indiz für die oppositionelle Funktion von - t s u und - n u besteht auch darin, daß beide zusammen keine zweigliedrige Morphemverbindung bilden können. Wohl aber kann jedes für sich durch Komposition mit den Tempo­ralsuffixen - k i und - m u in das Zeitstufensystem einbezogen werden. Hier­bei ist im Gegensatz zum unvollendeten Aspekt nur die Reihenfolge Aspekt­morphem - Tempusmorphem möglich: t s u + k i > t e k i, n u + k i > n i k i. Da die Suffixe des vollendeten Aspektes audl ohne Bezeichnung der Zeitstufe dem Präteritum zuzuordnen sind, ist das Hinzutreten des Präteri­talsuffixes meist fakultativ. Obligatorisch ist es nur in dem Falle, wo ein Tatbestand im vollendeten Aspekt einen vorzeitigen Stellenwert gegenüber einem anderen einnimmt, welcher der Zeitstufe der Vergangenheit angehört, also im relativen Zeitstufenbezug steht. Letzteres trifft für das folgende Beispiel zu: ( 1) M a- k u s a k a r u I (2) a r an u n i w a ( a) red o I (3) m o m i j i -ba no I (4) suginishi kimi ga I (5) katami to zo koshi (47) "(2) Zwar ist es nur ein ödes Feld, (1) auf dem das schöne Gras geschnitten ist; (5) doch kam er, es als Erinnerung nehmend (4) an den Herrn, der dahingegangen war (3) wie Herbstlaub". Offenbar fakultativ hingegen ist es im nachstehen­den Beispiel, das eine ähnliche Verteilung der Verbalsuffixe wie oben auf­weist: (l) Kozo miteshi I (2) aki no tsukuyo wa I (3) teraseredo I (4) aimishi imo wa I (5) iya toshi sakaru (212) "(2) Der Herbstmond, (1) den ich im vorigen Jahr gesehen habe, (3) scheint zwar (weiter), (4) aber

't1 Das Belegpaar ist der Arbeit von M. Y o k o y a m a entnommen; vgl. a. a. 0. S. 27.

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meine Frau, mit der im ihn gesehen habe, (5) entfernt sich von Jahr zu Jahr".

Wenn statt - k i das zweigliedrige Morphem - k er i angefügt wird, so stets in der aus dem Zeitbezug herausgelösten Nebenfunktion der kategorischen Konstatierung 28

; z. B. (1) Koko ni shite l (2)ie ya mo izuku l (3) shira­kumo no I (4) tanabiku yama wo I (5) koete kinikeri (287) (1) Ich bin hier, (2) aber wo ist mein Haus? (5) Bin ich doch gekommen, überschreitend (4) die Berge, über die sich hinziehen (3) die weißen Wolken".

Während der unvollendete Aspekt keine Futurformen besitzt, können von beiden Suffixen für den vollendeten Aspekt Futurformen durch Verbindung mit dem Morphem -mu gebildet werden: tsu + mu > temu, n u + m u > n a m u. Diese beiden Morphemverbindungen sind die einzigen, in denen - m u seine Hauptfunktion der Zukunftsbezeichnung beibehält. Hier nur ein Beispielpaar mit der Gegenüberstellung beider Formen in Verbin­dung mit dem Verb miru 29 : (1) Hatsuse no I (2) yutsuki ga moto ni I (3) waga kakuseru tsuma I (4) akane sashi- I (5) tereru tsukuyo n i I (6) h i t o mit e m u kam o (2353) "(3) Meine Frau, die ich verborgen habe (2) am Fuße des heiligen Tsukibaumes (1) von Hatsuse, (4) in einer rötlich (5) strahlenden Mondnacht (6) ob sie jemand sehen wird?" - (1) Mizu tsutau I (2) iso no urami no I (3) iwa-tsutsuji I (4) moku-saku michi wo I (5) ma ta minamu kamo (185) "(1) An der Wasser umspülten (2) felsigen Bucht, (4) mit dem Weg voll blühender (3) Steinazaleen: (5) ob es wohl ein Wiedersehen geben wird? IJ

Nunmehr, nach der Deutung der einzelnen Temporal- und Aspektsuffixe sind wir in der Lage, die Funktion desjenigen zweigliedrigen Endungsmor­phems richtig zu verstehen, das den perfektischen Zeitbezug bezeichnet, nämlich t a r i. Beim perfektischen Zeitbezug wirken ja, wie anfangs er­wähnt, beide Zeitrichtungsbezüge mit dem Zeitstufenbezug zusammen, in­dem hier ein in seinem Zeitstellenwert als vergangen und vollendet be­zeichneter Tatbestand als Zustand dargestellt wird, der das Ergebnis dieses Tatbestandes bildet und im jeweiligen Gegenwartspunkt des Subjektes andauert. Die vollendete Vergangenheit des Tatbestandes wird durch - t s u, der sich daraus ergebende Zustand durch - ( a) r i ausgedrückt; die Komposi­tion beider Morpheme ergibt dann - t a r i. Die zu erwartende Parallelbildung mit dem aussagebezogenen Suffix des vollendeten Aspektes - n u, die - n a r i ergeben haben müßte, besteht in dieser Funktion nicht, wahrscheinlich wegen der Homophonie mit der Kopula nari. Statt dessen tritt in seltenen Fällen die dreigliedrige Verbindung - n i t a r i auf, in der das Mittelglied meines Erachtens keine Bedeutungs- sondern nur eine Form-differenzierende Funktion ausübt. Dem Unterschied von - t s u und - n u im Bereich des Ge­meinten entsprechend wird durch die Opposition t a r i I n i t a r i jeweils eine Bedeutungskomponente des perfektischen Zeitbezuges mehr betont, z. B. sakitari "ist erblüht (und steht in Blüte)", sakinitari "(ist erblüht und) steht in Blüte". Allgemein darf aber gesagt werden, daß der Kontext

28 Vgl. Anm. 24 20 Das Belegpaar ist der Arbeit von M. Y o k o y a m a entnommen; vgl. a. a. 0. S. 27.

16 Oriens Extremus 247

darüber Auskunft gibt, welCher Bedeutungskomponente man beim Ober­setzen solcher Perfektformen den Vorzug geben will30

• Hier nur zwei Bei­spiele: (1) Ama no haral(2) furisake mirebal(3) shira-mayumi/ (4) harite kaketari I (5) yo-michi wa yukamu (289) "(2) Wenn ich aus der Ferne (1) das Himmelsgefilde (2) betrachte, (4) (ist aufgehängt und) hängt gespannt (3) der weiße schöne Bogen (des Mondes); (5) id:l werde eine Nachtwanderung maChen".- 0) Ware wa moya I (2) Yasumiko etari I (3) hito mina no I (4) e-gate ni su to-u I (5) Yasumiko etari (95) "(1) Ich bin es, (2) der Yasumiko zur Frau bekommen hat (und besitzt). (5) ICh habe Yasumiko zur Frau bekommen (und besitze sie), (3) von der alle Leute (4) sagen, sie sei schwer zu bekommen".

Wie die Suffixe des vollendeten Aspektes - t s u und- n u kann auch - t a r i, das Suffix des Perfekts, durch die Temporalsuffixe - k i oder häufiger - k er i zu den drei- bzw. viergliedrigen Endungsmorphemen - t a r i k i und - t a r i k er i verlängert werden 31 . Beide bezeichnen das relative Perfekt, geben also an, daß der Zustand des Perfekts sich in einem vorzeitigen Lage­verhältnis zu ·einem Tatbestand der Vergangenheit befindet. Als Beispiel diene das folgende Tanka: (1) Kakunomini I (2) arikeru mono wo I (3) imo mo are mo I (4) chitose no gotoku I (5) tanomitarikeri (470) "(112) Das was nur so (kurz) bestand, (3) hatten meine Frau und ich (4) wie für tausend Jahre (5) sich erhofft." ,Arikeru' bezieht siCh auf die Ehezeit des Dichters, ,t an o mit a r i k er i' auf die Zeit vor dem schon zurück­liegenden Tode seiner Frau. Die Form - t a r i k er i kann aber außerdem, der modalen Nebenfunktion von - k er i entsprechend, nur die kategorische Konstatierung des perfektischen Tatbestandes bezeiChnen, z. B. wie folgt: .. (3) Natsu no nu ni I (4) waga mishi kusa wa I (5) momiji-

tarikeri (4268) ". (4) Die Halme, die ich gesehen habe, (3) auf dem sommerliChen Feld, (5) haben sich (wirklich) herbstlich verfärbt" 32.

Die Bildung eines Perfektum futuri ist hingegen nicht möglich. Die Formen, welche den Anschein erwecken, dies zu bezeichnen, - t a r a m u und - t a r u­ramu, sind in Wirklichkeit Dubitativa perfecti33.

Hiermit sind die Suffixe und Suffixverbindungen des Altjapanischen, die zur Bezeichnung des Zeitbezuges dienen, ihrer Funktion nach behandelt worden. Tabellarisch zusammengefaßt stellt sich dies System wie folgt dar:

30 Mit der japanischerseits zuweilen gegebenen Funktionsbestimmung als Per­fektum präsentis ( g e n z a i- k an r y ö) ist eine terminologische Stütze für die zwei­fache Ubersetzungsmöglichkeit gegeben. Vgl. Asano Shin, Nihon-bumpo-jiten, bungo-hen; Hakkö-shoin, Tökyö 1942; S. 87. ·

31 Die entsprechenden Bildungen mit - n i t a r i sind nicht nachweisbar. .

32 Die ~eutung dieser Form durch Yokoyama befriedigt nicht ganz: "The first durahv morpheme (cl h. t a r i) continues the action asserted of the grass turn­~ng_ red which occurred in the past. The secend durative morpheme (d. h. k eri) m_dicates that the result of this action continues up to the present." (a. a. 0. S. 58) . D1e Fortdauer des Ergebnisses bis zur Gegenwart wird aber bereits durch t a r i bezeichnet.

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Zeitstufen-Zeitrichtungsbezug

bezug imperfektiver perfektiver Perfekt Aspekt Aspekt

direkt tsu nu tari (-keri) nitari ·· ······ ·-························· ······ .... ··-······ .. .......................

Prät. (a) ri riki, keri teki niki relativ (tekeri) (nikeri) tariki (tarikeri)

....... ................. .. .......... ....

Präs. 0 tari (-keri) nitari

Fut. 0 temu namu 0

Aspektiv neutral Prät.: ki I Präs.: merkmallos I Fut.: mu

Demnach verfügt das Altjapanische über ein partielles Tempus-Aspekt­System; partiell insofern, als die noetischen Stellenwerte des Systems nur für die Zeitstufen der Vergangenheit und Gegenwart vollständig, für die der Zukunft aber unvollständig bezeichnet sind. Der grundlegende Unter­schied dieses Systems gegenüber demjenigen der slawisd1en Sprachen be­steht darin, daß die Tempus- und Aspektrelationen nidlt wie dort obligatorisch sondern nur fakultativ miteinander verknüpft sind, so daß es in den meisten Fällen dem Träger der Aussage anheimgestellt ist, einen Tatbestand tempo­ral oder aspektiv oder in beiden Bezügen zu charakterisieren, ja die Be­zeichnung des Zeitbezuges überhaupt offenzulassen, in welchem Falle dann das Gemeinte aus dem Kontext zu erschließen ist. Die Beachtung der indi­viduellen Gradation bei der Bezeid1nung des Zeitbezuges an den einzelnen Verbalformen im Satzganzen kann daher methodisch für die Interpretation des Ausgesagten von Bedeutung sein, da der Sinn der verbalen Aussage­teile der Stärke der formalen Bezeichnung entsprechend akzentuiert ist.

Absdlließend sei darauf hingewiesen, daß Maspero auch für das Chinesi­sche den fakultativen Charakter des Aspektgebrauches festgestellt hat34

,

daß sidl also diese beiden ostasiatischen Sprachen, die völlig versdliedenen strukturellen Typen angehören, in diesem syntaktischen Punkte gleichen.

33 Wie schon erwähnt tritt das Morphem -m u in der futurischen Hauptfunktion nur in den Verbindungen - t e m u und -n a m u auf. In. all~n übrigen figuriert es stets in der Nebenfunktion zur Bildung des Modus dubltatlvus der betr. Tempus­oder Aspektformen (- r a m u, - k e m u, - t e k e m u, - n i k e m u, - t a r a m u, -taruramu, -tsuramu, -nuramu).

34 "Le Chinois ne fait pas de l'aspect une obl~g~tion de la .Pensee: c·e~t u11:e nuance psychologique qui se traduit par des procedes grammatlca~x, sa?s Ja:n.als cesser d'etre soumise a la volonte du sujet parlant. La Iangue met a la d1sposlt10n de celui-ci le moyen d'exprimer a son gre dive.rs aspects, s'il ju~e qu'il rende mieu; ainsi ce qu'il veut dire; eile ne le force pas a couler sa _pensee dan~ u1_1e m~n~le . H. M a s p er o, La Langue Chinoise; publ. dans les Conterences de 1 Umverslte de Paris, 1934, p. 11. Zitiert nach J. Prüsek1 a. a. 0. S. 413.

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