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Zur Frage der wirtschaftlichen Staatsintervention Author(s): Heinz Haller Source: FinanzArchiv / Public Finance Analysis, New Series, Bd. 14, H. 2 (1953/54), pp. 230- 242 Published by: Mohr Siebeck GmbH & Co. KG Stable URL: http://www.jstor.org/stable/40910241 . Accessed: 13/06/2014 20:55 Your use of the JSTOR archive indicates your acceptance of the Terms & Conditions of Use, available at . http://www.jstor.org/page/info/about/policies/terms.jsp . JSTOR is a not-for-profit service that helps scholars, researchers, and students discover, use, and build upon a wide range of content in a trusted digital archive. We use information technology and tools to increase productivity and facilitate new forms of scholarship. For more information about JSTOR, please contact [email protected]. . Mohr Siebeck GmbH & Co. KG is collaborating with JSTOR to digitize, preserve and extend access to FinanzArchiv / Public Finance Analysis. http://www.jstor.org This content downloaded from 185.44.77.82 on Fri, 13 Jun 2014 20:55:56 PM All use subject to JSTOR Terms and Conditions

Zur Frage der wirtschaftlichen Staatsintervention

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Zur Frage der wirtschaftlichen StaatsinterventionAuthor(s): Heinz HallerSource: FinanzArchiv / Public Finance Analysis, New Series, Bd. 14, H. 2 (1953/54), pp. 230-242Published by: Mohr Siebeck GmbH & Co. KGStable URL: http://www.jstor.org/stable/40910241 .

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Zur Frage der wirtschaftlichen Staatsintervention *

von

Heinz Haller

Für die Wirtschaftswissenschaft mußte es von jeher eine Selbstverständ- lichkeit sein, daß das wirtschaftliche Geschehen durch Entscheidungen der Leiter der privaten Wirtschaftseinheiten - einschließlich der Gruppen von solchen - oder (im Sinne von vel) durch solche eines zentralen Gemein- schaftsorgans, sagen wir kurz : des Staates, bestimmt wird. Theoretisch lassen sich die beiden Grenztypen der ausschließlich privaten Entscheidung und der ausschließlich staatlichen Anordnung: freie Verkehrswirtschaft (oder individualistische Marktwirtschaft oder wie immer man sie bezeichnen will) und Zentralverwaltungswirtschaft (total zentral geleitete Wirtschaft) bilden und in ihrer Funktionsweise vorstellen. In Keinheit sind die beiden Typen - zumindest für große Sozialwirtschaften - noch nie in der Eealität beobach- tet worden. In dem unendlich weiten Bereich zwischen den beiden Extremen liegen irgendwo die realen Fälle. Einmal dominiert mehr oder weniger die private, einmal die staatliche Entscheidung. An irgendeiner Mittellinie wer- den sie sich etwa die Waage halten.

Weiter ist man sich darüber klar - wenigstens dort, wo man sich nicht totalitären Ideologien unterworfen hat - daß eine Wirtschaft, die sich in der Nähe des zweiten Typs befindet, die Freiheitsrechte des Individuums in unerträglicher Weise einschränkt und damit als Idealtyp im Sinne einer anzustrebenden Gestaltung ausscheidet.

Umstritten ist die Frage, wo der geeignete (richtige) Standort einer gut und gerecht funktionierenden (ein möglichst hohes Sozialprodukt bereit- stellenden und eine als gerecht empfundene Verteilung desselben auf die ein- zelnen gewährleistenden) Wirtschaft im verbleibenden Bereich bis hinüber zum liberalen Extrem liegt. Die Verfechter neo-liberaler Anschauungen sind davon überzeugt, daß dieser Standort möglichst nah dem eben genannten Extrem zu suchen sei, während die „Kompromißler" ihn mehr in der Ge- gend der Mittellinie vermuten. Bezeichnen wir jede staatliche Einflußnahme auf das wirtschaftliche Geschehen als (Staats-) Intervention, so können wir auch sagen: die Neo-Liberalen halten jede Intervention für ein Übel, die nicht zu ihnen Zählenden sind von der Notwendigkeit eines gewissen Grades von Intervention (immer in Anbetracht der genannten Ziele) durchdrungen.

* Bemerkungen zu dem gleichnamigen Buch von Fritz Marbach. A. Francke A. G. Verlag, Bern o. J. 254 S.

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Die Unhaltbarkeit des extrem liberalen Standpunkts, der von seinen Befür- wortern mit einer an Ideologiegläubigkeit grenzenden Überzeugtheit ver- fochten wird, ergibt sich sowohl aus der Erfahrung als auch aus der theoreti- schen Deduktion, wenn man beide Erkenntnisquellen unvoreingenommen zu Kate zieht. Dies braucht einen jedoch nicht zu stören, wenn man vor der Beweiskraft der Fakten und Schlüsse die Augen verschließt. Auf der anderen Seite herrscht große Unsicherheit darüber, bis zu welchem Grad von Inter- vention man gehen sollte, von wo ab die Vorteile staatlicher Einwirkung sich in ihr Gegenteil verkehren. Hier scheinen manche, die die ob -Frage der In- tervention bejahen, die Grenze in nebelhafter Ferne zu vermuten1.

Es scheint uns, daß in dieser Situation das kürzlich erschienene Buch des Berner Nationalökonomen, das „weder ein Lehrbuch noch eine ,Theorie des Interventionismus4, sondern eine zwangslose Folge von wirtschaftlichen und soziologischen Betrachtungen über den Interventionismus als Wirt- schaftssystem und über gewisse Begleiterscheinungen staatlicher Interven- tionsakte" (S. 12) sein will und mithelfen soll, „Ideologien wieder in Ideen aufzulockern, die innere Begegnung von Menschen und Klassen, die letzteren ausschleifend, zu fördern* * (S. 213), ein Buch, das u. E. den unbedingten Willen und die Fähigkeit des Verfassers, die Dinge richtig und vernünftig zu sehen, dokumentiert, einige wichtige Hinweise und Überlegungen bringt, die geeignet sind, das Problem des richtigen Standortes im oben verstandenen Sinne der Lösung etwas näher zu bringen und vielleicht wirklich die ver- härteten Fronten etwas zu lockern. Das Buch scheint uns andererseits ge- wisse wichtige Aspekte, die in diesem Zusammenhang auftauchen, nicht ge- nügend berücksichtigt zu haben2. Es sei uns daher gestattet, nachdem wir die Verdienste des Buches gewürdigt haben werden, einige in dieser Richtung liegende Betrachtungen anzufügen, die ebenso Aperçu-Charakter haben wie die gedankenreichen und geistvollen des Autors.

I. Die unserer Meinung nach wichtigsten Verdienste des Mar bach sehen

Buches, die zunächst stichwortartig formuliert und anschließend näher be- legt und betrachtet werden sollen, sind die folgenden:

Mar bach zeigt mit kaum zu überbietender Deutlichkeit die Unver- meidbarkeit der Interventionen auf (1). Er löst die Frage der Interventionen aus jedem Ideologiezusammenhang heraus, indem er deren instrumentalen Charakter klar kennzeichnet (2). Er weist eindringlich auf die Gefahren und gebotenen Grenzen der Interventionen hin (3). Er sucht Kriterien für diese Grenzen zu ermitteln (4). Er weist auf die Beschränktheit der wirtschafts-

1 Die Neo-Liberalen glauben beweisen zu können, daß eine - als Gratlinie erkannte - Grenze gar nicht einzuhalten sei und verwenden das Lawinen- oder „kleiner Finger4 '-Argument, wie man es nennen könnte, als schwerste Waffe gegen ihre Gregner, während diese mit dem Finger auf nicht zu übersehende Gebresten der Marktwirtschaft zeigen.

2 Dies kann kein Vorwurf sein, denn Mar bach betont im Vorwort (S. 5) aus- drücklich, daß sich sein Buch mit einer „Auslese von wirtschaftlichen und gesell- schaftlichen Problemen" befasse, die durch den Interventionismus aufgeworfen werden.

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wissenschaftlichen Gesichtspunkte bei der Beurteilung des Interventions- problems hin und bemüht sich, es in umfassender Sicht zu behandeln (5). Er macht deutlich, welche entscheidende Rolle der ethischen Einstellung der Beteiligten in einem ,, Interventionssystem" zukommt (6).

1. Marbach weist zunächst auf die nicht zu bestreitende Tatsache hin, daß heute praktisch in jedem „kapitalistischen" Land ein gewisses Maß von Interventionismus zu beobachten ist, selbst in den den ,,free enterprise' '- Grundsatz so betonenden USA. Er schließt daraus (S. 92), ,,daß der Staats- interventionismus bestimmten Grades tiefgründiger im Zwangsläufigen ver- wurzelt ist", als es die Neo-Liberalen wahr haben wollen. Er kommt dann auf die Hintergründe dieser Zwangsläufigkeit zu sprechen : die wechselseitige Bedingtheit von einzelnen und Gesellschaft. „Kollektivität und Individuali- tät sind die polaren und nicht wegdenkbaren konstitutiven Grundlagen un- seres Daseins, und weil dem so ist, kann es keine Lebensäußerung geben, die nicht sowohl vom Individuellen wie vom Kollektiven her bestimmt wäre. Daher ist es abwegig, das wirtschaftliche Geschehen als eine der vielen Le- bensäußerungen nur unter dem Gesichtspunkt entweder der Individualität oder der Kollektivität zu betrachten" (S.93). Mittels des Interventionismus suche das wirtschaftliche Leben innerhalb der beiden Pole Freiheit und Ge- bundenheit den funktionalen Ausgleich zwischen einzelnem und Kollektiv. ,,Die ,mittlere Lösung' ... ist uns, so mangelhaft und unschön ihr theoreti- sches Kleid sein mag, aufgezwungen durch das innere Wesen unseres gesell- schaftlichen Daseins" (S. 94).

Schließlich zeigt Marbach an einem ganz konkreten Beispiel, nämlich an dem der Kartelle, daß der Staat um Eingriffe in die Wirtschaft einfach nicht herum kommt. Gestützt auf die Ergebnisse der Schweizer Kartell- Enquête kommt er zu der Feststellung, daß der ungehemmte Wettbewerb zwangsläufig zur privaten konkurrenzausschaltenden Abmachung führe, die ihrerseits unweigerlich wegen Mißbrauchs so geschaffener privater wirtschaft- licher Machtstellungen die staatliche Intervention nach sich ziehe: ,,Ohne Kartell gäbe es keinen Kartellmißbrauch und ohne den Kartellmißbrauch ergäbe sich keine politische Willensbildung zur Schaffung von Kartellge- setzen" (S. 97 f.), die dann zu Überwachungsmaßnahmen führen. Doch selbst ohne die Entstehung privater Kartelle hätte die schrankenlose Konkurrenz bei der heutigen Kapitalintensität der Produktion und den immer wieder- kehrenden Zeiten genereller Absatzlosigkeit staatliche Eingriffe erforderlich gemacht, so betont Marbach. Er kommt dann, hieran anknüpfend, auf die für die Entwicklung des Interventionssystems entscheidenden Tatsachen der als ungerecht empfundenen Verteilung und vor allem der periodischen Krisen zu sprechen. Wie er die Bedeutung der letztgenannten einschätzt, zeigt fol- gender Satz: ,,Der Rhein wäscht nicht weg, daß das Nicht-zur- Verteilung- gelangen produzierter und die Nichtproduktion produzierbarer Güter das tieferliegende Krankheitssymptom der freien kapitalistischen Unternehmer- wirtschaft ist, als ihr Unvermögen, von sich aus einigermaßen gerecht zu verteilen" (S. 100). Wichtig erscheint uns noch folgende Feststellung (S. 106) : ,,. . . in Zeiten des Interventionsbeginns waren es immer die programmatisch auf marktwirtschaftliche Freiheit eingeschworenen Parteien, denen entschei-

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dende Macht im Staat zufiel. Diese ließen sich sicher nur peu à peu und nur durch entwicklungsbedingte und daher zwingende wirtschafts-, Staats- und sozialpolitische Motive dahin bringen, Maßnahmen zu treffen, welche dem politischen Programm des Gegners entsprechen oder ihm doch nahe liegen, dem eigenen Programm aber zuwiderlaufen" (Hervorhebungen im Original).

Mar bach sagt mit alledem kaum etwas Neues. Doch er führt die ver- schiedenen Gründe so geschlossen ins Feld, daß seine Ausführungen ihren Eindruck nicht verfehlen sollten.

2. Wenn die Unumgänglichkeit interventionistischer Maßnahmen dar- getan ist und andrerseits feststeht, daß das Extrem der fast oder ganz aus- schließlich staatlichen Wirtschaftsführung als Ziel der praktischen Wirt- schaftsgestaltung ausscheidet, so ist die Frage des ,, wie viel ?" der unvermeid- lichen Intervention noch offen. Man kann möglichst viel Intervention bis an die durch die Gefahr des Freiheitsverlusts gezogene Grenze verlangen, weil man sie grundsätzlich für gut hält, man kann sie bis auf ein „wirklich unvermeidliches" Minimum zu reduzieren wünschen, weil man sie grund- sätzlich für verwerflich hält. Man kann sich aber auch auf den Standpunkt stellen, daß Interventionen an sich oder „grundsätzlich" weder begrüßens- noch verdammenswert sind, daß sie vielmehr ein Mittel darstellen, das genau so wie die individualistische Marktwirtschaft für die Erreichung der wirt- schaftspolitischen Grundziele der Verteilungsgerechtigkeit und der Maxi- mierung des Sozialprodukts eingesetzt wird, soweit es zweckmäßig erscheint (natürlich immer nur in einem Umfang, der das als notwendig erachtete Freiheitsminimum unangetastet läßt). Sobald man diesen Standpunkt ver- läßt und die ,,Mittelhaftigkeit" der Interventionen aus dem Auge verliert, wird die Einstellung zum Interventionsproblem doktrinär1. Auch wenn man nicht dem Doktrinarismus verfallen ist, kann man offenbar die Intervention verschieden bewerten, je nachdem man ihre Eignung als Mittel beurteilt.

Mar bach legt nun eingehend dar, daß jeder Doktrinarismus oder, wie man auch sagen kann, jede ideologiehafte (Ideologie hier nicht in dem auf Marx zurückgehenden Sinne verstanden) Stellungnahme zu den Interven- tionen sinnlos ist; daß es ferner, auch wenn man die Interventionen mittel- haft betrachtet, nicht angeht, auf sie möglichst weitgehend verzichten zu wollen, da sie zur Zielerreichung in erheblichem Umfang erforderlich sind ; und daß schließlich eine zu starke Dosierung dieses Mittels die Zielerreichung verschlechtert, ganz abgesehen von der durch das Freiheitsmoment gezoge- nen Grenze. Das Problem ist, wenn man sich darüber klar geworden ist, „daß die Staatsintervention weder an sich gut noch an sich böse ist, sondern einfach ein modus operandi zur Erzielung eines modus vivendi" (S. 194), den geeigneten Mischungsgrad zwischen Privatinitiative und staatlicher Ent- scheidung, den „sozialklimatisch günstigsten Ort" (S. 190) zu finden. Es ist

1 Die Anerkennung der Interventionen als für die Zielerreichung unentbehr- liches und zweckmäßiges Mittel ist natürlich durchaus vereinbar mit der Ansicht, daß man gern auf sie verzichten würde, wenn das gleiche Ziel anderweitig, nämlich unter Aufrechterhaltung eines größeren Maßes individueller Entscheidungsfreiheit, erreichbar wäre. Wenn man dies jedoch nicht für möglich hält, ist man bereit, inner- halb eines gewissen Spielraums individuelle Entscheidungsfreiheit zugunsten der Gerechtigkeit und Produktmaximierung zu opfern. 16 Finanzarchiv N.F. 14. Heft 2

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zweifellos ein Verdienst Marbachs, dies wieder einmal ganz deutlich gemacht zu haben. An der Lebensfähigkeit der Mischung kann nicht gezweifelt wer- den: „In diesen Zeitläuften beweist es jeder Tag, daß man an Freiheit und Organisation nicht nur glauben, sondern daß man beide in ganz vernünftiger Weise zu gegenseitiger Verträglichkeit bringen kann" (8. 189).

3. Marbach sieht sehr klar die Gefahren eines zu hohen Interventions- grads. Wir zitieren hierzu folgende Stellen: ,,Von einem bestimmten Inter- ventionsgrad an wird das Sozialprodukt durch Fehlleitungen, Reibungen, Überdimensionierungen des Verwaltungs-, Beaufsichtigungs- und Kontroll- apparates, sowie durch gewollte oder ungewollte Förderung unrationeller Betriebe verringert" (S. 156 f.). Eine Steigerung der Verteilungsgerechtigkeit, die mit der Intervention verbunden sein mag, so sagt er weiter, wird von einem bestimmten Punkt ab durch die abnehmende Effizienz der Wirtschaft so stark überkompensiert, daß von da ab der Gesamtzustand laufend un- günstiger beurteilt werden muß. Ferner: „Interventionen, die sich nicht volkswirtschaftlich (zur Behebung von irgendwie entstandenen, das soziale Gefüge gefährdenden oder störenden, offensichtlichen Ungleichgewichten oder zur Vermeidung solcher Ungleichgewichte) aufdrängen, sind zu unter- lassen, weil es möglich ist, daß der Eingriff bei der subtilen Interdependenz der wirtschaftlichen Daten die Wiederherstellung des Gleichgewichtes durch Schaffung neuer Ungleichgewichte mehr hindert als fördert" (S. 184). Dies könne leicht eine immer umfassender werdende Intervention notwendig machen, bis schließlich die staatliche Totalplanung erreicht sei. An einer anderen bedeutsamen Stelle wird gesagt, daß der „Interventionist die Reak- tionen auf die von ihm veranlaßten Datenänderungen niemals in ihrer Gänze voraussehen kann und daher möglicher- ja wahrscheinlicherweise zu immer neuer Intervention . . . gezwungen wird. Daher darf ein Staat, der die west- lich-demokratische Prägung beibehalten will, die Intervention nicht über einen gewissen Grad hinaus treiben ..." (S. 89 f.). Die mit den Interventions- maßnahmen beauftragten staatlichen Funktionäre neigten immer wieder dazu, die Wirkungsmöglichkeit der „frei wirtschaftlichen" Kräfte zu unter- schätzen und sich immer neuer Eingriffe zu bedienen (S. 86). Ferner wird von der „Gefahr der Schaffung machtentspringender Ungerechtigkeiten" und der Zerstörung ideeller Werte gesprochen (S. 13). Marbach hebt also den warnenden Finger sehr eindringlich, ist aber davon überzeugt, daß die Inter- ventionen innerhalb der gebotenen Grenzen gehalten werden können, daß also die Gefahrenzone gemieden werden kann, obwohl er die Schwierigkeit dieser Aufgabe keineswegs verkennt.

4. Die Grenze, bis zu der die Interventionsmaßnahmen äußerstenfalls ohne Schaden getrieben werden können, gibt Marbach in folgender Weise an: „Der kritische Interventionsgrad ist dann erreicht, wenn die Vorteile einer sozial günstigeren Verteilung der Kaufkraft überkompensiert werden, entweder a) durch eine unzweckmäßige Kombination der Produk- tionsmittel oder b) zufolge überhäufter und daher nur schwer in ein neues Zusammenspiel zu bringender Datenänderungen oder c) durch neue Un- gleichgewichte der Kaufkraftverteilung" (S. 51). Eine „Überziehung" der- Intervention liegt, so wird an anderer Stelle (S. 229 ff.) gesagt, vor, wenn

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die Grenzbetriebe in übertriebener Weise ,, umhegt' ' werden. Bei der Aus-

einandersetzung mit Köpkes Unterscheidung zwischen „konformen" und „nichtkonformen" Interventionen schlägt Mar bach als Kriterien für die Bewertung von Interventionsmaßnahmen den „Grad der Übersichtlichkeit' ' und den „Grad der Marktstörung" vor und definiert: ,,Eine Intervention ist dann unübersichtlich und qualifiziert sich hinsichtlich der möglichen Marktstörungen als besonders virulent, wenn sie in das Marktspiel so tief eingreift, daß angenommen werden muß, die Interventionsbehörde sei nicht mehr imstande, die Auswirkung einer künstlichen Datenänderung auf die übrigen Wirtschaftsdaten zu überblicken" (S. 28 f.). Es entstehe dann leicht ein „Daten Wirrwarr" und die Intervention werde zu einer ,, gefährlichen An- gelegenheit". Er räumt ein, daß dieses Kriterium ,, recht vage bleibt".

Wo der günstigste Interventionsgrad liegt, vermag auch Mar bach nicht anzugeben: ,,. . . das ist eine Frage, deren Antwort erst im Laufe der Zeit und durch das Leben selber gegeben wird" (S. 170) und: ,,. . . niemals vermag der Einzelne, so tief sein Pflug auf der Wahrheitssuche furcht, anzugeben, wo genau dieser günstigste kombinative Ort sich befindet" (S.190).

5. Die Bedingung, die an diesem „geometrischen Ort" erfüllt sein soll, ist die „Optimierung" des Sozialprodukts, die Marbach der Maximierung gegenüberstellt. Die Optimierung ist keineswegs rein wirtschaftlich bedingt. „Optimierung bedeutet . . . möglichste Vergrößerung des Sozialprodukts (im Sinne einer modellgerechten, streng wirtschaftlichen, quantitativen Maxi- mierung) unter angemessener, korrektiver Berücksichtigung seiner außer- wirtschaftlichen (z. B. ... der politischen, sozialen, psychologischen und ethisch-religiösen) Bestimmungsgründe", so wird definiert (S. 164 f.). Im Optimum muß auch eine als gerecht empfundene Verteilung gegeben sein, sonst entstehen Spannungen und der Zustand wird unhaltbar. Der Begriff enthält also die von uns oben als generelles Ziel angegebene Kombination der Verteilungsgerechtigkeit und der Produktmaximierung. In der eben zi- tierten Definition erscheint er allerdings letzten Endes wieder als reiner Maximierungsbegriff, der das langfristige, wegen Berücksichtigung des Ge- rechtigkeitsverlangens und sonstiger Wünsche und Strebungen der Wirt- schaftsbevölkerung haltbare Maximum bezeichnet. Es werden hier also wohl außerwirtschaftliche Momente berücksichtigt, aber sozusagen nur als Vor- bedingungen der an der Produktgröße rein wirtschaftlich meßbaren Ziel- erreichung. Behandelt man alle beteiligten Momente als selbständige Kom- ponenten, so erhält man keinen so einfachen Maßstab mehr. Ein Optimum kann dann nur noch ermittelt werden durch Bewertung und graduelle Ein- stufung aller möglichen Kombinationen dieser Komponenten, von denen die Produktgröße nur eine unter mehreren ist. Wir möchten mit dieser Be- merkung die Betonung der durch die Interventionen zu berücksichtigenden außerwirtschaftlichen Momente, die Marbach hervorhebt, noch verstärken. Optimierung scheint uns nicht nur Einschlagung der richtigen Umwege zur Erreichung eines Zustandes, der „letztlich auch wirtschaftlich zweckmäßig" (S. 221) ist, sondern mehr zu sein: die günstigste Gesamtsituation unter Berücksichtigung aller außerwirtschaftlichen Ziele. 16*

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Wie bedeutsam nichtwirtschaftliche Zusammenhänge bei der Durch- führung von Interventionsmaßnahmen sind, zeigt Mar bach bei der Erör- terung des Apparats, dessen sich der Interventionismus bedient. Er stellt hier soziologische Betrachtungen an und weist auf die „Eigengesetzlichkeit" oder die eigenständige Wirkungsmacht, wie man es vielleicht bezeichnen kann, dieses Apparats hin. Das wirtschaftliche Geschehen, so stellt er fest, hängt von Funktionären ab, ,,die hauptsächlich deswegen zu Machtzentren ge- worden sind, weil sie allein die Technik dieses durch sie im Staatsauftrag künstlich zu beeinflussenden Geschehens verstehen" (63). Das bedeutet: ,, Relativ untergeordnete Instanzen kommen dadurch zu einer praktischen Bedeutung, die diejenige eines hierarchisch nebengegliederten Funktionärs außerhalb des Kreises der Interventionsvorkehren weit übersteigt" (S. 64, im Original herausgehoben). Es besteht besonders die Gefahr der Verselb- ständigung des Instruments, der ständigen Weiterwucherung der Interven- tionsmaßnahmen und deren Betreibung um ihrer selbst willen bzw. zur Be- friedigung des Betätigungsdrangs der Interventionstechniker. Eigene Ein- sichtnahme in den Betrieb der Wirtschaftsverwaltung hat Mar bach zu der Feststellung geführt, ,,daß manche Verordnungen und manche Postulate, die scheinbar dem Parlament entsprangen, ,made in office' sind" (S. 104). Ge- rade die fachlich tüchtigen Beamten seien besonders interventionsfreudig: „Je fachtüchtiger diese [die Beamtenschaft] ist, desto mehr neigt die Waage zum Übergewicht der staatlichen Einmischung über die Freiheit" (S. 105).

6. Im Zusammenhang mit der eben erwähnten Gefahr kommt nun Marbach auf die gravierende Bedeutung der ethischen Gesinnung derjeni- gen zu sprechen, die die Interventionsmaßnahmen durchführen. Das inter- ventionistische Handeln, so fordert er, sollte „nur Leuten von hoher ethi- scher Konzeption" anvertraut werden, „weil sonst die Gefahr der Willkür, damit auch der Rechtsverlotterung und der ungerechten Beeinflus- sung der Einkommensbildung (insbesondere der zwischenständischen Ein- kommensrelation) entsteht" (S. 63, Hervorhebungen im Original). Interes- senteneinflußnahme und Korruption können anders nicht vermieden werden. „Es ist wohl unbestreitbar", sagt Marbach an anderer Stelle, „daß die Lenkungswirtschaft Verantwortung und Macht in so hohem Ausmaß in die Hände Weniger legt, daß Gesinnung und Gesinnungsfundament dieser Weni- gen zu einer volkswirtschaftlichen und sozialen Potenz erster Ordnung wer- den" (S. 69). Die hier auftauchende Frage, wo dieses Fundament verankert werden oder, anders ausgedrückt, aus welchen Quellen die erforderliche Ge- sinnung gespeist werden soll, beantwortet Marbach dahingehend, daß letz- ten Endes eine religiöse Fundierung dafür nötig sei. Man mag ihm hierin zustimmen oder nicht, also eine aus Glaubens- und Gefühlstiefen entsprin- gende Ethik für ausreichend oder eine auf rationaler philosophischer Be- sinnung beruhende, mit dem Anspruch der Allgemeingültigkeit für vernünf- tige Wesen auftretende Ethik für notwendig halten - manche werden das „notwendig" und „ausreichend" lieber vertauschen -, so kann man doch nicht umhin, ihm darin recht zu geben, daß die Ethik gerade in einer inter- ventionistischen Wirtschaft eine besonders wichtige Rolle spielt und daß das heutige Niveau in diesem Bereich keineswegs demjenigen entspricht, das

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vorausgesetzt werden muß, wenn der Interventionismus in befriedigender Weise funktionieren soll.

Soviel zu den Punkten, deren Heraushebung uns ein Verdienst M ar- fo ach s zu sein scheint. Mar bach betrachtet das Problem der Intervention unvoreingenommen und nüchtern, hält sich fern von jeder unrealistischen, utopischen Konstruktion und kommt damit zu der für jeden vernünftigen Betrachter unbezweifelbaren Feststellung, daß es heute ohne Intervention nicht geht, daß aber dem Interventionismus sehr erhebliche Gefahren inne- wohnen, deren Vermeidung eine eminent schwierige Aufgabe ist. Um das Problem des richtigen Maßes dreht sich schließlich alles. - Wirklich alles ? Hängt nicht das richtige Maß auch mit den richtigen Methoden zusammen ? Mit dem Aufwerfen dieser Frage öffnen wir einen Aspekt der ganzen Pro- blematik, der uns in Marbachs Erörterungen etwas zu kurz zu kommen scheint, einen Aspekt, der schon den Interventionsbegriff tangiert. Es sei uns daher gestattet, bei den folgenden Betrachtungen, die diesen Aspekt in den Vordergrund rücken, vom Interventionsbegriff auszugehen.

II. Wir haben zu Anfang jede die Wirtschaft angehende staatliche Entschei-

dung als Intervention bezeichnet und damit diesen Begriff sehr allgemein, aber für die Zwecke der bisherigen Erörterung doch wohl genügend klar definiert. Marbachs Definition lautet: „Als Staatsinterventionen bezeich- nen wir jene Maßnahmen des Staates sowie von ihm beauftragter Verwal- tungsstellen und Organisationen, welche in das freie Spiel der Marktkräfte, diese teilweise korrigierend, eingreifen und dadurch Produktion oder Ver- teilung oder beides zusammen verändern, die aber nicht von jenem Ausmaß und jener Grundsätzlichkeit sind, wie es notwendig wäre, um an Stelle der privaten Unternehmerdisposition staatliche oder staatsbedingte, umfassende Planwirtschaft und an Stelle des Privateigentums grundsätzlich Kollektiv- eigentum zu setzen. Die bewußte, wiederholte Anwendung dieses wirtschafts- politischen Mittels nennen wir Interventionismus" (S. 37). Abgesehen von der notwendigen Ergänzung zur Berücksichtigung der ,, Hilf skörper Schäften" besteht der Unterschied zu unserer sehr allgemeinen Definition darin, daß der Fall der „Totalintervention" (verbunden mit Kollektiveigentum) aus- geschlossen wird. Über die Art der Maßnahmen ist nichts gesagt, es sind also, in Gegensatz zur Definition von Röpke, alle die Wirtschaft beein- flussenden Maßnahmen einschließlich der finanz-, geld- und sozialpolitischen (die letzteren werden allerdings in den vorausgehenden Erörterungen be- grenzt durch Ausscheidung der Sozialfürsorge und Sozialversicherung) dar- unter verstanden.

Wenn wir nun fragen, ob der so definierte Interventionsbegriff mit dem des gewöhnlichen Sprachgebrauchs übereinstimmt, so lautet die Antwort: Nein ! Die Vorstellung, die man normalerweise mit dem Wort Intervention verbindet, enthält ein Element des Sporadischen, Unsystematischen, Be- helfsmäßigen. Intervention bedeutet dann so etwas wie Herumflicken an unerwartet auftauchenden Schäden, Zustopfen eines Loches und dabei Auf-

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reißen eines anderen, Kurieren an Symptomen! Eine „interventionistische" Wirtschaft ist demnach eine Wirtschaft, in der, um einen etwas vulgären Ausdruck zu gebrauchen, ständig ,, weitergewurstelt" wird. Die Worte Inter- vention und Interventionismus sind so mit einem gewissen Odium behaftet. Nur an einer Stelle, wo die Kennzeichnung des Interventionismus durch Lauterbach erwähnt wird (S. 19), wird bei Marbach dieses Moment ge- streift. Faßt man den Begriff der Intervention so allgemein, wie wir es getan haben oder wie Marbach dies tut, so fällt darunter sowohl der eben be- schriebene Fall der behelfsmäßigen, zusammenhanglosen Eingriffe als auch der einer systematisch betriebenen staatlichen Wirtschaftsbeeinflussung. Nun unterscheiden sich aber diese beiden Fälle sehr erheblich und man sollte zwei verschiedene Bezeichnungen für sie verwenden. Wir wollen sie „unsystema- tische" und „systematische" Intervention nennen1.

Die Problematik der Intervention sieht nun sehr verschieden aus, je nachdem, ob man die „unsystematische" oder die „systematische" Inter- vention im Auge hat. Ein großer Teil der Einwände gegen den Interventio- nismus ist nur berechtigt für den ersten Fall. Den „unsystematischen" Inter- ventionismus kann man wohl auch nur schlecht als ein Wirtschaftssystem, als innerlich konsequenten Idealtypus bezeichnen. Jedem Wirtschaftstheo- retiker ist es unbehaglich bei dem Gedanken an einen solchen systemlosen, von kasuistischen, sich gegenseitig widersprechenden und aufhebenden staatlichen Entscheidungen hin- und hergeworfenen Wirtschaftsablauf. Da niemand die Systematik einer von einem staatlichen Leviathan kommandier- ten Wirtschaft wollte, überlegte man sich seit den Anfängen der Wirtschafts- wissenschaft, wie man zu einer rationellen, mit einer gewissen Systematik funktionierenden Wirtschaft kommen konnte, die nicht durch willkürliche Staatseingriffe gestört wird. Die Klassiker glaubten die Lösung gefunden zu haben, indem sie den - seinerzeit überzeugenden - Nachweis führten, daß eine auf rein privaten Entscheidungen basierende individualistische Markt- wirtschaft durch Ausgleichs- und Anpassungsbewegungen sich vollautoma- tisch selbst reguliere und dabei ein Höchstmaß von Rationalität und Tausch- gerechtigkeit erreiche. Auch das Geldwesen sollte einem Automatismus un- terworfen werden und die einzige noch verbleibende Möglichkeit für eine staatliche Beeinflussung der Wirtschaft : die finanzwirtschaftliche Betätigung des Staates, war damals so unbedeutend - abgesehen von Kriegszeiten - daß sie vernachlässigt werden konnte. Das schmähliche Versagen des weit- gehend realisierten Wirtschaftssystems dieses Musters in sehr wesentlichen Punkten, das man sich lange nicht eingestehen wollte, war eme bittere Ent- täuschung.

Die Gesellschaftsingenieure überlegten sich nun: wie muß der Apparat umgebaut werden, damit er richtig funktioniert und keine Störungen mehr auftreten. Oder anders ausgedrückt: wie können durch eine einmalige Inter- vention (etwa durch eine Neuverteilung des Eigentums, wie sie Oppen- heimer vorschwebte) die Ausgangsposition und der Rahmen geschaffen

1 Dem ursprünglichen Wortsinn des intervenire Rechnung tragend, könnte man das Wort Intervention auch ausschließlich für den ersten Fall reservieren und daneben etwa „staatliche Wirtschaftssteuerung" setzen.

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werden, die ein reibungsloses, zufriedenstellendes Funktionieren des „Auto- maten" gewährleisten. Es wurde also weiter ein sich selbst regulierender, gesellschaftlicher „Servomechanismus", wie man heute öfters sagt, ange- strebt. Man hatte nur eingesehen, daß dessen Konstruktion etwas schwieriger war, daß es auf mehr Dinge ankam, als man zunächst angenommen hatte. Diese Idee des ,,sich selbst überlassenen" Vollmechanismus der freien Markt- wirtschaft, der befriedigend funktioniert, wenn er nur richtig „konstruiert" ist, lebt heute noch fort im Neo-Liberalismus. Der Beweis des Funktionierens eines umkonstruierten Mechanismus konnte bis heute nicht geliefert werden, denn das Experiment konnte nie durchgeführt werden, weil die (laufenden) Staatsinterventionen immer mehr überhand nahmen. Es kann sogar im strengen Sinne gar nicht mehr vorgenommen werden, da heute die staatliche Finanzwirtschaft einen derartigen Umfang angenommen hat, daß durch die in ihr gefällten Entscheidungen der Wirtschaftsablauf erheblich beeinflußt wird. Das Experiment erscheint aber auch gar nicht notwendig. Man kann durch theoretische Deduktion einsehen, daß ein einmaliges Einrichten des Uhrwerks nicht so möglich ist, daß man mit einem (im wesentlichen) stö- rungsfreien Ablauf rechnen kann. Weder eine Neuverteilung des Eigentums (zur Beseitigung des generellen kapitalistischen Monopols), noch die Besei- tigung „sekundärer" Monopole, um die von Mar bach verwendete Bezeich- nung zu gebrauchen, würde eine dauernde zufriedenstellende Verteilungs- gerechtigkeit herbeiführen, und keinerlei einmalige Vorkehrung würde, wie man auf Grund der heutigen konjunkturtheoretischen Erkenntnisse einsehen kann, das Auftreten von periodisch wiederkehrenden Krisen- und Depres- sionszuständen verhindern können.

Wenn man nun nicht ein unübersichtliches Durcheinander von markt- mechanischen Abläufen und Schäden reparierenden staatlichen Fall-zu-Fall- Eingriffen, also ein schlecht beherrschbares, „ohne System" ablaufendes wirtschaftliches Geschehen in Kauf nehmen will, so scheint es nur die Mög- lichkeit zu geben, eine Lösung zu suchen, bei der man servomechanische Ab- läufe mit staatlicher Steuerung an „strategischen Punkten" zu einem sinn- vollen System verknüpft. Der Mechanismus wird dann insoweit gesteuert, als er sich nicht selbst reguliert. Und er wird „gesteuert" und nicht herum- gezerrt. Um ein Bild zu gebrauchen: der Kraftwagen wird nicht „losgelassen" und dann immer wieder aus dem Graben gezogen, wenn er hineingerast ist, sondern durch Bedienung der geeigneten Hebel mit einer vernünftigen Ge- schwindigkeit an allen Hindernissen vorbei die Straße entlang geführt. Die Idee der Herstellung eines reinen gesellschaftlichen Servomechanismus muß also aufgegeben werden und an ihre Stelle tritt die Vorstellung eines gesteuer- ten Mechanismus, der großenteils automatisch funktioniert, aber doch an einigen Punkten der Steuerung, einer ständigen, systematischen Regulierung bedarf. Wenn diese Steuerung an den richtigen Ansatzpunkten vorgenommen wird, werden sich vielleicht, von bestimmten Sonderfällen abgesehen, die vielen korrigierenden und schadenbeseitigenden Einzeleingriffe erübrigen. Die automatisch wirkenden Kräfte sind dann soweit als möglich ausgenutzt und der gesamte Ablauf wird beherrscht und weist keine Störungen auf, vor denen man mehr oder weniger hilflos steht.

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240 Heinz Haller

Eine solche Lösung zu finden, scheint uns die zentrale Aufgabe der heu- tigen Wirtschaftstheorie zu sein. Diese ist dann nicht beschränkt auf die Ana- lyse individualistisch-marktwirtschaftlicher Modelle, die der wissenschaft- liche Wirtschaftspolitiker verwendet zur „Analyse der Folgen der staatlichen Intervention", wie Mar bach (S. 73) unter Verwendung einer Stelle der „Ein- führung in die Wirtschaftspolitik" von Bresciani-Turroni sagt. In einem gewissen Sinne untersucht natürlich der Wirtschaftswissenschaftler auch jetzt die Auswirkungen staatlicher Interventionen, das bedeutet aber, daß er eine „systematische" Intervention zugrunde legt und die Wirkungsweise des Steuerungsvorgangs analysiert. Seine Aufgabe kann man am besten als Konstruktion eines neuen, funktionierenden „Wirtschaftsapparates" be- zeichnen. Auch Adam Smith hat einst einen solchen Apparat gedanklich konstruiert, der dann später weitgehend Wirklichkeit wurde und Großes ge- leistet hat, aber im Laufe der Zeit auch schwerwiegende Mängel offenbarte. Eine ähnliche Aufgabe besteht, heute.

Die Lösung dieser Aufgabe ist auch schon in vollem Gange. Die neue makroökonomische Betrachtung hat gezeigt, von welchen Gesamtgrößen es abhängt, ob die Wirtschaft im Großen einigermaßen störungsfrei abläuft oder nicht. Andrerseits wurde man sich darüber klar, daß der Staat zwei entscheidende Instrumente in der Hand hat, mit deren Hilfe er Impulse, und zwar fördernde und hemmende Impulse, in die Wirtschaft hinaussenden kann : seine Finanzwirtschaft und die Quelle der Geldversorgung, die Zentralbank. Mit diesen beiden Instrumenten, so scheint es, vermag er die Wirtschaft weitgehend so zu steuern, daß die für einen störungsfreien Verlauf wesent- lichen Gesamtgrößen und Relationen von solchen den gewünschten Stand erreichen. Die Steuerung kann selbst wieder halbautomatisch erfolgen, in- dem man von vornherein festlegt, daß bei gewissen Veränderungen der beob- achteten Größen Impulse von bestimmter Stärke gesandt werden müssen. Man kann in das System sogar völlig automatisch wirkende Regulatoren - z. B. eine Einkommenssteuer mit stärkerer Progression - einbauen, die allein allerdings nicht ausreichend sind. Diese Instrumente sind nicht nur geeignet zur Herstellung eines im wesentlichen störungsfreien Ablaufs, sondern auch zur Verbesserung der Verteilungsgerechtigkeit. Sie sind allerdings nur ver- wendungsfähig, ohne weitere Eingriffe erforderlich zu machen, wenn ihre Handhabung international koordiniert erfolgt.

Wir brauchen hier nicht auf Einzelheiten einzugehen. Zu zeigen ist nur, daß und in welcher Weise man heute bereits Lösungen sucht, die in der an- gedeuteten Richtung liegen, und daß es solche Lösungen für die Konstruk- tion eines wirtschaftlichen „Halbautomaten", wenn man so will, zu geben scheint. Zusammen mit der Steuerung ist natürlich eine ständige Kontrolle erforderlich, einmal in der Form der Beobachtung der „Indikatoren", nach deren Stand sich die Steuerungsmaßnahmen richten, zum anderen als Kon- trolle bestimmter Gefahrenquellen, z. B. monopolistischer Gebilde, die, wenn nötig, durch Einzelmaßnahmen in Schranken gehalten werden müssen. Im übrigen werden Einzeleingriffe in bestimmten Sektoren der Wirtschaft desto mehr überflüssig, je besser die Globalsteuerung funktioniert: wenn gesamt- wirtschaftlich keine Störung gegeben ist, weil es nicht an ausreichender Ge-

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Zur Frage der wirtschaftlichen Staatsintervention 241

samtnachfrage fehlt, so braucht ein einzelner, etwa durch Nachfrageverschie- bungen oder technische Veränderungen rückläufiger Wirtschaftszweig nicht (oder höchstens vorübergehend) geschützt zu werden, da eine Produktions- umstellung sehr viel leichter möglich sein wird als im Fall einer allgemeinen Bedrängnis.

Die im Zusammenhang mit den Interventionen und dem Interventio- nismus aufzuwerfenden Probleme sehen sich nun wesentlich anders an, wenn man diesen Fall der „systematischen" Intervention betrachtet. Die Gefahren der Unübersichtlichkeit und der Marktstörung dürften kaum mehr auftreten, wenn man die globale Steuerungsintervention betreibt. Doch wie steht es mit der Gefahr der Überspannung des Interventionismus, der zu starken Zurückdrängung der privaten Entscheidungsfreiheit? Riecht Globalsteue- rung nicht nach Zentralplanung ? Hierzu ist zu sagen : die Globalsteuerung ist, richtig betrieben, gerade diejenige Methode, die am meisten individuelle Freiheit ermöglicht, da sie nur indirekt wirkt durch Änderung von Daten und - abgesehen vom Geldmarkt - nicht unmittelbar in das Marktgeschehen eingreift oder gar mit Ge- und Verboten arbeitet. Es gehört gerade zur Auf- gabe der zweckmäßigen Konstruktion dieses Wirtschaftssystems, eine Lö- sung zu finden, bei der man mit einem Minimum von Steuerung auskommt. Ein leichter Hebeldruck im System der Förderungen und Hemmungen sollte schon genügen, um die Richtung in der gewünschten Weise zu verändern. Man sollte vor allem - durch richtige Konstruktion - so von dem Zustand wegkommen, wo man als Wirtschaftspolitiker ständig in tausend Ängsten lebt: an welchen nicht im voraus abzusehenden Stellen werden nun wieder ungünstige Nebenwirkungen auftreten, die einen Rattenschwanz neuer, korrigierender Eingriffe nach sich ziehen. Wenn dies gelingt, so dürfte die Gefahr der ständigen Weiterwucherung, gefördert auch durch die eigene Schwerkraft des Apparats, überwunden sein. Man kann dann durchaus und ohne Gefahr - da man weiß, daß man grundsätzlich den Apparat beherrscht - den einen oder anderen speziellen Eingriff zusätzlich vornehmen, wenn man dafür seine besonderen Gründe hat.

Die Aufgabe, eine solche, mit einem Minimum von „Hebeln" arbeitende, wirksame und sichere Globalsteuerung zu finden, ist, das muß ohne weiteres eingeräumt werden, enorm schwierig. Es darf ja nicht passieren, daß die gerufenen Geister revoltieren, daß man plötzlich die Notbremse ziehen und alles der staatlichen Entscheidung unterwerfen muß. Doch scheint uns, daß sie unbedingt gestellt ist und zu lösen versucht werden muß. Gelingt die Lösung nicht, so muß man sich eben mit der „unsystematischen" Inter- vention samt all ihren Schattenseiten abfinden. Aber erst dann sollte man dies, wenn man an der Aufgabe verzweifelt ist. Ein Skeptizismus, der so weit geht, daß er von vornherein die Vorstellung des funktionsfähigen „Halb- automaten" ins Reich der Utopien verweist und jede Bemühung, die diese Vorstellung zu realisieren versucht, für unfruchtbar hält, scheint uns unbe- dingt zu weit zu gehen. Es handelt sich nicht um ein perpetuum mobile wie beim reinen Servomechanismus. Ein Fatalismus, der es für unmöglich hält, die unübersehbaren gesellschaftlichen Kräfte in irgendeine Bahn zu zwingen, scheint uns ebenfalls eine falsche Einstellung zu sein. Wenn man sagt, eine

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242 Heinz Haller : Zur Frage der wirtschaftlichen Staatsintervention

„Gesellschaftstechnik" müsse stets scheitern, weil der Strom der lebendigen Entwicklung unberechenbar sei, und sie dürfe gar nicht versucht werden, weil man die Menschen nicht in einen ,, Apparat" zwingen dürfe, so vergißt man, daß selbst die liberalsten Ökonomen, ja gerade sie, eine solche Technik zu schaffen suchten. Die sich selbst (oder mit Hilfe der ,, invisible hand") regulierende individualistische Marktwirtschaft Adam Smith* war die erste große gesellschaftstechnische Konzeption, wenn sie auch als solche nicht gleich erkannt wurde, da der Gedanke der göttlichen Harmonie hinter ihr stand und sie gleichsam als gottgewollt-natürlicher Zustand getarnt auftrat. Diese Konzeption wäre als freiheitlichste jeder anderen vorzuziehen, wenn sie nicht bedenkliche Schwächen hätte.

Dies ist die Seite des Interventionsproblems, die wir glaubten, hervor- heben zu müssen, weil sie in dem M arb achschen Buch u. E. etwas zu kurz gekommen ist. Mar bach hat meist die Einzeleingriffe auf partiellen Sek- toren der Wirtschaft im Auge. Unsere Betrachtungen sollen in keiner Weise seine Verdienste, die wir weiter oben zu würdigen versucht haben, schmälern, vielmehr sollen sie uns wichtig erscheinende Ergänzungen der M arb achschen Überlegungen bilden.

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