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806 KLINISCI-IE WOCHENSCH hobenen Befund ether Verminderung des Kalkgehaltes im Serum nach Insulin als Ausdruck einer durch Insulin be- wirkten Verschiebung des S~iure-Basengleichgewichtes im Sinne einer Alkalose ansehen. ]Da es aber bekannt ist, dab die Aufnahmef~higkeit der Zellen ffir Zucker mit znnehmender Alkalescenz -- innerhalb bestimmter Grenzen -- ansteigt (RONA und WILENKO), SO ist die blutzuclcersenkende WirI~ung des Insulins, welches die Gewebszellen zn vermehrter Zucker- aufnahme bef~higt, mSglicherweise auf die unter der Insulin- wirkung auftretende relative Allcalose zurfickzuifihren. ZUR FRAGE UBER DIE ATIOLOGIE DER ESSEN- TIELLEN HYPERTONIRKRANKHEIT. Vou ESKIL KYLIN, EksjS. Das Referat fiber die Hypertoniefrage, das VOLHARD auf dem Kongresse in Wien 1923 erstattete, sct~ien damals danaeh angetan, einen Wendepunkt in unseren Anschauungen be- treffs des Nieren-Hypertonieproblems zu bilden. Fiir mieh pers6nlich, der seit mehreren Jahren ffir die Anffassung ge- kiimpft hatte, der sich VOLI~ARD in seinem Wiener Referat anschlol3, enthielt das Referat sachticll nicht vim Neues. Meine schon vor dem Kongreg in Wien abgeschlossene Arbeit (Klinische und experimentelle Studien fiber die Hyper- toniekrankheiten. Stockholm 1923) , die eine Zusammen- Iassung meiner friiheren Arbeiten auf dem Hypertoniegebiet bildete, zeigt, wie nahe VOLI~ARDS und meine Auffassung einander zu diesem Zeitpunkt gekommen waren. t3ei denjenigen dagegen, welche die entgegengesetzte Auffassung verfochten hatten, dfiriie es Verwunderung er- weckt haben, dab VOLHARD von seiner frfiheren Ansicht fiber einen Nierenschaden als das Primitre Ifir die Blutdruck- steigernng Abstand nahm. In der stellenweise ziemlich hitzigen ]Diskussiort, die dem Relerate folgte, kam diese MiB- stimmung auch nur zu sehr zum Ausdruck. Man h~tte erwartet, dab diese neuen Anschauungen zu weiteren, sie widerlegenden oder best~itigenden. Forschungen anregen wiirden, t31ickt man aber nun, 2 Jahre sparer, auf das zurfick, was w~ihrend dieser Zeit gewonnen wurde, so muB man nnbedingt zugeben, dab die Resultate ziemlich sp~rlich sind. Ungemein viel ist seit dem Wiener Kongre13 in der Hyper- tonie]rage gesehrieben worden, aber ,ehr we~ig ge/orseht. Man hat indes auI anderen benachbarten Forschungsgebieten wichtige Untersuchungsresultate gewonnen, die fiir die Be- leuchtung der znm Hypertoniethema geh6rigen Fragestellun- gen yon Weft sein k6nnen. Ich will deshalb versuchen, zu ermitteln, ob und wieweit wir mit unseren derzeitigen Kennt- nissen die Frage fiber die Ursache der essentiellen Hypertonie- krankheit kl~iren k6nnen. Gewisse yon den Symptomen der Krankheit scheinen m~r, nach meiner Art, die ]Dinge zu sehen, daffir yon Weft zu sere. I. Schon seit langem war es bekannt und anerkannt, dab Arteriosklerose, Schrnmpfniere, Gicht und Zuckerkrankheit, in gewissen Familien besonders h/iufig vorkommen. Ebenso sind die Arzte, welche im letzten Jahrzehnt Gelegenheit hatten, den Zustand ihrer Patienten mit Blutdruckmessungen zu verfolgen, zur Erfahrung gelangt, da~3 die Blutdruck- steigerungskrankheit famili~trer Natur ist. Dieses Verhalten wird noch weiterhin dutch Untersuchungen yon KAM~IEREI~ und WEISS festgestellt, die statistisch konstatiert haben, dab die Hypertoniekrankheit gewisse Familien bevorzngt, 2. ]Die essentielle Hypertoniekrankheit ist eine Alters- erkrankung. Sie tritt besonders im Alter vom 4o. bis 5 o. und yore 5o. bis 6o. Jahre auf. In einzelnen FMlen finder man sie frtiher, und ab und zu kann man schon im Beginn der zwanziger Jahre auf sie stoBen. Die Blutdrucksteigerung geh6rt jedoch nicht zu den physiologischen Alterserscheinungen (C. Mi3LL:ER, Kristiania), sondern muB als ein pathologisches Ph~nomen aufgefaBt werden. Man wird gut tun, dessen eingedenk zu bleiben, dab die I(rankheit im hohen Alter seltener wird. RIFT. 4. JAHRGANG. Nr. 17 23. APRIL 1925 Ganz besonders wichtig dtirfte es aber sein, den Umstand zn beachten, dab die Krankheit bei Frauen oft w~hrend des Klimakteriums auftritt. Auch bet M~nnern finder mart nicht selten, dab der Sexualtrieb der Hypertonici, wie MuNcK frfiher nachgewiesen hat, bedeutend herabgesetzt oder voll- st~ndig aufgehoben ist. KERPOLA hat auch die Testes bet diesem Zustand klein und abnorm schlaff gefunden. Ob man aber deshalb berechtigt ist, yon einem Kiimakterium des Mannes zu sprechen, das in Analogie mit dem der Frau durch Neigung zu Hypertonie gekennzeichnet w~re, das entzieht sich vorl~ufig unserer Beurteilung. 3. Die Tagesvariationen des Blutdrucks sind bet der essen- tiellen Hypertonie abnorm groB. Des Naehts, im Schlaf, ist der Blutdruck meist normal. ~renn der Patient mit essen- tieller Hypertonie Bettruhe einh~tlt, bleibt der Blutdruck oft morgens in normalen Grenzen. ]Des Abends aber zeigt er meistens auch zu ]3ett bedeutend h6here Werte. Die Tages- variationen des Blutdrucks werden deshalb abnorm groB und k6nnen bis fiber IOO mg Hg erreichen. 4. Bei F~illen konstanter Erh6hung der Morgen- und Abend- werte des Blutdrucks kann eine Zeit der Ruhe ohne medi- kamentfse Behandlung eine Senkung des Blntdrucks bis zu normalen Werten herbeiffihren. Interkurrente fieberhafte I~rkrankungen k6nnen gleichfalls Blutdrucksenkung mit sich bringen. Nach Fm MfJLLER genfigt eine ]Diarrh6e, um eine betr~ichtliche solche Senkung herbeizuffihren. Ieh selbst habe einen Fall yore fraglichen Typus gesehen, bet dem der Blut- druck im Zusammenhang mit einer unter Narkose ausgefiihrten Appendicitisoperation zu normalen Werten hera.bging. Der Blutdruck hatte sich w~ihrend elner zweiw6chigen Be- obaehtungszeit unmittelbar vor der Operation nngei~ihr auf 2o0 mm Hg gehalten, mit ungef~ihr normalgrogen Tages- variationen (lO--15 ram). Unmittelbar naeh der Operation zeigte es sich, daI3 er auf normale Werte gesunken war und so hielt er sich durch etwa 2 Wochen, worauf er wieder langsam zu seinem frfiheren Niveau anstieg. ~hnlichen Druckabfall babe ich nach parenteraler Milchinjektion gesehen. 5- ]Die essentielle Hypertoniekrankheit zeichnet sich durch gewisse St6rungen des organisehen wie anorganischen Stoff- wechsels aus, die jedoch nicht in jedem Falle far jede Stoff- gattung deutlich nachweisbar stud. Der Kohlenhydratstoff- wectisel zeigt eine entschiedene Neigung zu herabgesetzter Toleranz. Der I~alkumsatz dfirfte einigermagen gest6rt sein. Wenigstens werden in der Mehrzahl der Fille subnormale Blutkalkwerte vorgefunden. ]Die Blutchotesterinwerte sind in der IRegel etwas erh6ht; ebenso bet ether groBen Zahl yon FMlen die HarnsXurewerte im ]3lute. 6. Das Leukocytenbild weist gewisse geringere Ver~inde- rungen auf, wie man sie bet manchen innersekretorischen St6rungen zu finden pfleg~. ]Die Zahl der mononucle~iren Zellen ist etwas vermehrt, und ab und zn besteht eine leichte Eosinophilie. 7. Die Adrenalinreaktion 2eigt eine typische Abweichung vom Normalen. Bet der essentiellen Hypertonie weist die Adrenalinblutdrncksreaktion einen vagomnen Typ auf, und zwar sowohl nach intraven6ser als nach subcutaner Appli- kation des Mittels In tier Blutdruckskurve wird also eine prirn~ire Senkung oder eine verz6gert~ Steigerung ersichtlich. KAIJFMANN und BASCI~ haben meme diesbeziigliche Angabe verifiziert. Meist fiberschreite% die sekund~ire Steigerung nicht den prim~Lren t31utdruck'swert. In vereinzelten FMlen karm man jedoch eine sekundXre Steigerung sehen, die ebenso groB, ja sogar gr6Ber ist als normal. Auch CSEPAI finder bei diesen Patienten mit essentieller Hypertonie nach intra- venOser Adrenalininjektion eine t3Iutdrucksenkung. Er findet auBerdem eine starke prim~ire und sekund&re Steige- rung, wodurch die ]~I~ltdrnckkurve drei Zacken erh~lt, zwei nach oben und eine nach unten. Ieh habe bei der essentiellen Hypertonie niemals eine solche I~urve gefunden, obzwar mein Material eine betr~ichtlicke Gr6ge erreicht hat und so- wohl Untersuchungen mit subcutaner als intraven6ser Appli- kation des Adrenalins umfaBt.

Zur Frage Über die Ätiologie der Essentiellen Hypertoniekrankheit

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806 K L I N I S C I - I E W O C H E N S C H

hobenen Befund ether Verminderung des Kalkgehaltes im Serum nach Insulin als Ausdruck einer durch Insulin be- wirkten Verschiebung des S~iure-Basengleichgewichtes im Sinne einer Alkalose ansehen. ]Da es aber bekannt ist, dab die Aufnahmef~higkeit der Zellen ffir Zucker mit znnehmender Alkalescenz -- innerhalb bestimmter Grenzen -- ansteigt (RONA und WILENKO), SO ist die blutzuclcersenkende WirI~ung des Insulins, welches die Gewebszellen zn vermehrter Zucker- aufnahme bef~higt, mSglicherweise auf die unter der Insulin- wirkung auftretende relative Allcalose zurfickzuifihren.

ZUR FRAGE UBER DIE ATIOLOGIE DER ESSEN- TIELLEN HYPERTONIRKRANKHEIT.

V o u

ESKIL KYLIN, EksjS.

Das Referat fiber die Hypertoniefrage, das VOLHARD auf dem Kongresse in Wien 1923 erstattete, sct~ien damals danaeh angetan, einen Wendepunkt in unseren Anschauungen be- treffs des Nieren-Hypertonieproblems zu bilden. Fiir mieh pers6nlich, der seit mehreren Jahren ffir die Anffassung ge- kiimpft hatte, der sich VOLI~ARD in seinem Wiener Referat anschlol3, enthielt das Referat sachticll nicht vim Neues.

Meine schon vor dem Kongreg in Wien abgeschlossene Arbeit (Klinische und experimentelle Studien fiber die Hyper- toniekrankheiten. Stockholm 1923) , die eine Zusammen- Iassung meiner friiheren Arbeiten auf dem Hypertoniegebiet bildete, zeigt, wie nahe VOLI~ARDS und meine Auffassung einander zu diesem Zeitpunkt gekommen waren.

t3ei denjenigen dagegen, welche die entgegengesetzte Auffassung verfochten hatten, dfiriie es Verwunderung er- weckt haben, dab VOLHARD von seiner frfiheren Ansicht fiber einen Nierenschaden als das Primitre Ifir die Blutdruck- steigernng Abstand nahm. In der stellenweise ziemlich hitzigen ]Diskussiort, die dem Relerate folgte, kam diese MiB- st immung auch nur zu sehr zum Ausdruck.

Man h~tte erwartet, dab diese neuen Anschauungen zu weiteren, sie widerlegenden oder best~itigenden. Forschungen anregen wiirden, t31ickt man aber nun, 2 Jahre sparer, auf das zurfick, was w~ihrend dieser Zeit gewonnen wurde, so muB man nnbedingt zugeben, dab die Resultate ziemlich sp~rlich sind. Ungemein viel ist seit dem Wiener Kongre13 in der Hyper- tonie]rage gesehrieben worden, aber ,ehr we~ig ge/orseht. Man hat indes auI anderen benachbarten Forschungsgebieten wichtige Untersuchungsresultate gewonnen, die fiir die Be- leuchtung der znm Hypertoniethema geh6rigen Fragestellun- gen yon Weft sein k6nnen. Ich will deshalb versuchen, zu ermitteln, ob und wieweit wir mit unseren derzeitigen Kennt- nissen die Frage fiber die Ursache der essentiellen Hypertonie- krankheit kl~iren k6nnen.

Gewisse yon den Symptomen der Krankheit scheinen m~r, nach meiner Art, die ]Dinge zu sehen, daffir yon Weft zu sere.

I. Schon seit langem war es bekannt und anerkannt, dab Arteriosklerose, Schrnmpfniere, Gicht und Zuckerkrankheit, in gewissen Familien besonders h/iufig vorkommen. Ebenso sind die Arzte, welche im letzten Jahrzehnt Gelegenheit hatten, den Zustand ihrer Patienten mit Blutdruckmessungen zu verfolgen, zur Erfahrung gelangt, da~3 die Blutdruck- steigerungskrankheit famili~trer Natur ist. Dieses Verhalten wird noch weiterhin dutch Untersuchungen yon KAM~IEREI~ und WEISS festgestellt, die statistisch konstatiert haben, dab die Hypertoniekrankheit gewisse Familien bevorzngt,

2. ]Die essentielle Hypertoniekrankheit ist eine Alters- erkrankung. Sie t r i t t besonders im Alter vom 4 o. bis 5 o. und yore 5 o. bis 6o. Jahre auf. In einzelnen FMlen finder man sie frtiher, und ab und zu kann man schon im Beginn der zwanziger Jahre auf sie stoBen. Die Blutdrucksteigerung geh6rt jedoch nicht zu den physiologischen Alterserscheinungen (C. Mi3LL:ER, Kristiania), sondern muB als ein pathologisches Ph~nomen aufgefaBt werden. Man wird gut tun, dessen eingedenk zu bleiben, dab die I(rankheit im hohen Alter seltener wird.

R I F T . 4. J A H R G A N G . Nr. 17 23. APRIL 1925

Ganz besonders wichtig dtirfte es aber sein, den Umstand zn beachten, dab die Krankheit bei Frauen oft w~hrend des Klimakteriums auftritt. Auch bet M~nnern finder mart nicht selten, dab der Sexualtrieb der Hypertonici, wie MuNcK frfiher nachgewiesen hat, bedeutend herabgesetzt oder voll- st~ndig aufgehoben ist. KERPOLA hat auch die Testes bet diesem Zustand klein und abnorm schlaff gefunden. Ob man aber deshalb berechtigt ist, yon einem Kiimakterium des Mannes zu sprechen, das in Analogie mit dem der Frau durch Neigung zu Hypertonie gekennzeichnet w~re, das entzieht sich vorl~ufig unserer Beurteilung.

3. Die Tagesvariationen des Blutdrucks sind bet der essen- tiellen Hypertonie abnorm groB. Des Naehts, im Schlaf, ist der Blutdruck meist normal. ~renn der Patient mit essen- tieller Hypertonie Bettruhe einh~tlt, bleibt der Blutdruck oft morgens in normalen Grenzen. ]Des Abends aber zeigt er meistens auch zu ]3ett bedeutend h6here Werte. Die Tages- variationen des Blutdrucks werden deshalb abnorm groB und k6nnen bis fiber IOO mg Hg erreichen.

4. Bei F~illen konstanter Erh6hung der Morgen- und Abend- werte des Blutdrucks kann eine Zeit der Ruhe ohne medi- kamentfse Behandlung eine Senkung des Blntdrucks bis zu normalen Werten herbeiffihren. Interkurrente fieberhafte I~rkrankungen k6nnen gleichfalls Blutdrucksenkung mit sich bringen. Nach Fm MfJLLER genfigt eine ]Diarrh6e, um eine betr~ichtliche solche Senkung herbeizuffihren. Ieh selbst habe einen Fall yore fraglichen Typus gesehen, bet dem der Blut- druck im Zusammenhang mit einer unter Narkose ausgefiihrten Appendicitisoperation zu normalen Werten hera.bging. Der Blutdruck hatte sich w~ihrend elner zweiw6chigen Be- obaehtungszeit unmittelbar vor der Operation nngei~ihr auf 2o0 mm Hg gehalten, mit ungef~ihr normalgrogen Tages- variationen (lO--15 ram). Unmittelbar naeh der Operation zeigte es sich, daI3 er auf normale Werte gesunken war und so hielt er sich durch etwa 2 Wochen, worauf er wieder langsam zu seinem frfiheren Niveau anstieg. ~hnlichen Druckabfall babe ich nach parenteraler Milchinjektion gesehen.

5- ]Die essentielle Hypertoniekrankheit zeichnet sich durch gewisse St6rungen des organisehen wie anorganischen Stoff- wechsels aus, die jedoch nicht in jedem Falle far jede Stoff- gattung deutlich nachweisbar stud. Der Kohlenhydratstoff- wectisel zeigt eine entschiedene Neigung zu herabgesetzter Toleranz. Der I~alkumsatz dfirfte einigermagen gest6rt sein. Wenigstens werden in der Mehrzahl der Fi l le subnormale Blutkalkwerte vorgefunden. ]Die Blutchotesterinwerte sind in der IRegel etwas erh6ht; ebenso bet ether groBen Zahl yon FMlen die HarnsXurewerte im ]3lute.

6. Das Leukocytenbild weist gewisse geringere Ver~inde- rungen auf, wie man sie bet manchen innersekretorischen St6rungen zu finden pfleg~. ]Die Zahl der mononucle~iren Zellen ist etwas vermehrt, und ab und zn besteht eine leichte Eosinophilie.

7. Die Adrenalinreaktion 2eigt eine typische Abweichung vom Normalen. Bet der essentiellen Hypertonie weist die Adrenalinblutdrncksreaktion einen vagomnen Typ auf, und zwar sowohl nach intraven6ser als nach subcutaner Appli- kation des Mittels In tier Blutdruckskurve wird also eine prirn~ire Senkung oder eine verz6gert~ Steigerung ersichtlich. KAIJFMANN und BASCI~ haben meme diesbeziigliche Angabe verifiziert. Meist fiberschreite% die sekund~ire Steigerung nicht den prim~Lren t31utdruck'swert. In vereinzelten FMlen karm man jedoch eine sekundXre Steigerung sehen, die ebenso groB, ja sogar gr6Ber ist als normal. Auch CSEPAI finder bei diesen Patienten mit essentieller Hypertonie nach intra- venOser Adrenalininjektion eine t3Iutdrucksenkung. Er findet auBerdem eine starke prim~ire und sekund&re Steige- rung, wodurch die ]~I~ltdrnckkurve drei Zacken erh~lt, zwei nach oben und eine nach unten. Ieh habe bei der essentiellen Hypertonie niemals eine solche I~urve gefunden, obzwar mein Material eine betr~ichtlicke Gr6ge erreicht hat und so- wohl Untersuchungen mit subcutaner als intraven6ser Appli- kation des Adrenalins umfaBt.

23. A P R I L 1925 I~LINISCHE W O C H E N S C H

Im Gegensatz zu dieseii Untersuchungsresultaten haben HETENEY und SYMEGI behauptet, dab die essentielle Hyper- tonie wie alidere F~lle yon Hypertonie eine abnorm krMtige Steigerung der Adrelialinblutdruckkurve geben*).

8. Patieii ten mit essentieller Hypertonie weisen allerhand IIervSse Beschwerden yon ungef~hr dem gleichen Typus auf, wie man sie bei Zust~nden yon vagoton neurogenem Uber- gewicht zu linden gewohnt ist, Blutwalluiigen, Schwere auf der Brust, I(opfschmerz (als Geffihl von Schwere ulid Druck auf dem Scheitet), ein gewisser Lufthunger. saures Aufstol3en und tr~ge Stuhlentleerulig, Fugschweig oder kalte, feuchte Ffil3e, Geffihl allgemeiner Unruhe usw., all dies sind Symptome, die wir bei diesen Patienten zu beobachten pflegen.

Wir l inden also eine bunte Sammlung yon Symptomen bei der essentiellen Hypertoniekraiikheit. Soll man ver- suchen, sie zusammelizufassen und auf eine gewisse krank- hafte St6rung zurfickzuffihren, so ist man vor eilie schwierige Aufgabe gestellt.

Lenken wir unsere Aufmerksamkeit zuli~tchst auf das Symptom, nach welchem wir die Krankheit benennen, die Hypertonie, so wissen wir nunmehr, dab diese Steigerung nicht konstant, sondern nu t der Ausdruck eilier Vasolabilit~t ist. Als eine organische Erkrankung des Gef~Bsystems kSnneii wit die essentielle Hypertonie deshalb nicht betrachten. Die Blutdrucksteigerung ist der Ausdruck ffir eine nerv6se Labili- t~t der Get,Be, derzufolge sich diese starker als normal zu- sammenziehen. Es scheint mir, als ob wir dadurch schon einen Fingerzeig hditten, wo wir die Kranlcheit zu suchen haben. Meiner Meinung nach mfisseli wit denjenigen Tell des Nervensystems ins Auge fassen, der mit der Blutdruckregulierulig zu tun hat. Uiiser Forsehungsgebiet wird also das vegetative Nervensystem.

Damit, dag das Forschungsgebiet dahiii verpflanzt ist, wird die Aufgabe, vor der wir stehen, noch schwerer 15slich, als sie uns zu der Zeit erschien, da wir glaubten, bei jedem Patieliteli mit Blutdrucksteigerung eine Nierenkrankheit diagnostizieren zu k6nneli. Das vegetative Nervensystem geh6rt, trotz der Fortschritte, welche die letzten Jahre auf- zuweisen hatteli, zli den am wenigsten gekannten Gebieten in der Medizin. Um jedoch den Versuch zu machen, einen Umril3 der Problemstellung zu geben, will ich mit einigeli Worten den derzeitigen Standpunkt der Forschung auf dem in Rede steheliden Gebiet bertihren.

N~tchst dem Medullarrohr liegen sowohl im Gehirn als im Rfickenmark Zellen, die dem vegetativen Nervensystem an- geh6reli. Sie z~thlen zu den onto- und phylogenetisch Xltesten Gebilden des Nervensystems. Im Gehirn schwellen diese Zellengruppen an und bilden grSgere t(omplexe, in welchen Zentren Ifir die vegetativen Funkt ionen lokalisiert sind. Von bier aus wird die Temperatur, der Blutdruck, der Blut- zucker, der osmotische Druck des Blutes reguliert usw. Durch Bahnen, die noch nicht ins einzelne gekannt sind, stehen diese Zentra mit den peripheren Nervenkomplexen in Ver- bindung, welche dem vegetativen Nervensystem angeh6ren.

Um die Verbindung zwischeii Nervenende IIIId Organzelle aufrechtzuerhalten, bedient sich der K6rper der Elektrolyteli, yon welcheli nach KRAUS und ZONDEK Ca und K Yon beson- derer Bedeutung silid. Die neurogene Reizung soll nach ihnen eine Verschiebung in der Ionenkonstellation hervorrufen, wo- dutch daiin wieder die Zellwirkung zustande kommt. Die Funktion der Organzelle bewegt sich indes in zwei verschie- dene Richtuligen und ist, weliii man so sagen will, reversibel. Die Fuliktion der Muskelzelle z. B. pendelt zwischen den beiden extremen Lagen maximaler Verkfirzung oder maxi- maler VerlXngerung. In derselben Weise dfirfte die Funkt ion anderer Zellen gleichfalls doppelphasig seiii (H. ZONDEK). Ebenso ist der Chemismus der Zellen doppelphasig und reversibel. Wir wissen dies durch die Untersuchuligen yon

*) Ihr Material yon essentieller Hypertonie besteht indes nur aus 2 Fallen. Es dtirfte auch mOglich sein, dab diese beiden FaIle in Wirtdichkeit keine essentiellen Hypertonien waren. Ihrer oft zitierten Untersuehung kanti deshalb in dieser Be- ziehung kein Weft beigemessen werden.

R I F T . 4. J A H R G A N G . Nr. 17 807

• E Y E R H O F , nach welchen das Glykogen w~hrend der contrac- tilen Phase des Muskels zu MilchsXure abgebaut und die Milchs~ure w/~hrend des Erschlaffungsstadiums wieder zu Glykogen aufgebaut wird.

In das feine Zusammenspiel zwischen Nerven- und Elektro- lytwirkung greift noch eine weitere Gruppe yon Faktoren ein, n~mlich die Hormone. Ihre Wirkung ist wie die der Organ- zellen doppelphasig, was bei Prfifung mit kleinen Dosen des Hormons zum Vorschein kommt. So hat das Adrenalin sowohl eine blutdrucksteigernde als eine blutdrucksenkende Wirkung und desgleichen sowohl eine blutzuckersteigernde als blutzuckersenkende Wirkung (KYLIN). Die Doppehvirkung kommt nieht zum Vorschein, wenn man groBe Dosen anwen- det. Dieselbe Doppelwirkung haben H. ZONDEI~ und UcKo betreffs des Insulins festgestellt. Auch ffir das Tyroxin glauben ZONDEK und REITER eine solche doppelphasige Wirkung gefunden zu haben.

Diese Doppelwirkung der Hormone steht in Abh~tngigkeit yon der Elektrolytenkonste]latioii, welche die Hormone vor- finden. So wird die steigernde Phase des Adrenalins durch Ca-Ionen, die senkende abet yon den K-Ionen verst~rkt (t~:YLIN). Die blutzuckersteigernde Phase des Insulins wird nach ZONDEt~ und UcKo durch Mg- und Ca-Ionen verst~rkt, und die Ca-Ionen wirken der normalen Reaktion des Tyroxins entgegen oder verkehren sie in ihr Gegenteil. Die YVirkung der Hormone ist also voI~ der Ionenkonstellation abh~Lngig. Ist diese ftir ein gewisses Hormon gfinstig, so korfimt es in die Lage, seine Wirkung krMtig auszufiben. Bei einer weliiger gfinStigen oder ungfinstigen Kolistellation dagegen kaiin die Hormonwirkling gehemmt, aufgehoben oder invers werden. Im letztgenalinten Falle wird die Organzelle also in einer Weise reagiereli, die der eigelitlicheli, dem Itormon zukommen- den Wirkung entgegengesetzt ist.

KRAOS hat das vegetative Nervensystem, die Elektrolyt- und Hormonwirkung unter dem gemeinsameii Namen: vege- tat$ves System zusammengefaBt. Dadurch wird in vorztiglicher Weise die Zusammengeh6rigkeit zwischen diesen 3 verschie- denen Faktoren zum Ausdruck gebracht, die so ineiliander- greifeli, dab es nnm6glieh ist, sie voneinander zu scheiden.

Eine Verschiebulig der Gleichgewichtslage in diesem komplizierten System muB eine Melige verschiedener Sym- ptome geben, ob nun die Verschiebung auf eiliem organischen Schaden i m zelitralen oder peripheren Zellenkomplex des vegetativen Nervensystems oder auf einer prim~reii St6rung in eiller der inliersekretorischeli Drfisen oder auf einer prim/~ren Verschiebung der Elektrolyten beruht.

Die erstgenannte Form der St6rung im vegetativen System seheI1 wir bei einer grogen Zahl yon F~llen der Encephalitis lethargica im Parkinsoiiismlisstadium. Wir linden bei diesen Patienten auger der typischen Rigidit~t und dem Tremor allerhand sog. neurasthenie~hliliche Symptome mit allge= meiner Nervosit~t, Uiiruhe ulid Herzklopfen usw. A b ulid zu beobachten wir augerdem diffuse Gef~13paresen, besonders an H~nden, Ffigen und Gesicht, vermehrte Speichel- und SchweiBsekretion. In einer Anzahl yon F~llen ist das Auf- treten voli Diabetes insipidus ulid Dystrophia adiposogenitalis beschriebeii worden.

Bei innersekretorisehen St6rungen, gleichviel, welche Drfise primXr gesch/~digt wurde, treteli ebelifalls allerhand neurasthenie~hnliche Symptome auf. In der Mehrzahl der F~lle sind die endokrinen StSrungen bekanntlich pluriglandii- l~rer Natur. Die Erkl~rung daffir dfirfte wenigstens teilweise darin liegen, dab diese Drtisen einander in ihrer Wirkung gegenseitig hemnmeli oder bef6rdern, was mSglicherweise gleichfalls alif dem Wege fiber die ElektrolTCcen geschieht. Eine gewisse Elektrolytenkonstellation kanli die Wirkung des einen Hormolis befSrderli, die eines andereli hemmen.

Die Hormoliwirkulig ruft indes andererseits eine Ver- sehiebung der Elektrolytelikonstellation hervor. So ver- mindert z. B. eiiie Adrenalininjektion den Blutkalkwert ( B I L L I G t l E I M E R , D R E S E L ) , vermutlich wohl dadurch, dab unter der Adrenalinwirkung Ca irgendwie in das Gewebe gesaugt wird.

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Wir wollen nun auf Grund unserer Kenntnisse fiber das vegetative Nervensystem die Symptome der essentiellen Hypertoniekrankheit analysieren, um zu versuchen, auf diesem Wege betreffs der Atiologie dieser Krankheit zur Klar- heit zu kommen.

Die Blutdruckslabilit~t bei der essentietlen Hypertonie- krankheit gab AnlaB zu der Vermutung, daI3 diese Erkrankung in derselben ~Veise wie gewisse sog. funktionelle Neurosen, die Asthmakrankheit, die Migr~nekrankheit, die Urticaria- krankheit u. a. eine St6rung im vegetativen Systeme vorstetle. Ist diese Vermutung richtig, so mfiBte man erwarten, dab sich dabei auch eine Reihe StSrungen yon anderen Abschnitten des vegetativen Nervensystems vorfinden. Wie schon trfiher erw~hnt wurde, ist dies nun gerade das, was man bei der essentiellen Hypertoniekrankheit nachgewiesen hat. Tat- s~ehlich treten St6rungen yon den verschiedensten Organen bei dieser Krankheit als Symptome auf. Sowohl der organische als der anorganische Stoffwechsel weisen mitunter mehr minder augenf~llige Abweichungen ant. Das Leukocyten- bild ist ver~ndert. Symptome seitens des Magens sind h~uiig, und die allgemein nerv6sen Beschwerden beherrschen bekannt- lich das Krankheitsbild.

Zu dem oben Vorgebrachten kommt noch, dab in der Familienanamnese dieser Gruppe yon Patienten sehr oft andere krankhaJte Zustdnde im vegetativen System, wie /unk- tionelle Neurosen, Asthma, Ulcusk~:ankheit usw., vorgefunden werden. Nianchmal, und zwar nicht eben selten, sieht man auBerdem, daft Hypertoniepatienten, abgesehen yon der all- gemeinen Neurasthenie, auch an Asthma oder Ulcus leiden. Ja in einzelnen _Fgillen kann man sogar beim selben Patienten sowoht Asthma als Ulcus und essentielle Hypertonie linden.

Ich babe trfiher die essentielle Hypertonie eben der ange- ffihrten Verh~ltnisse halber eine vegetative Neurose genannt. Diese Bezeichnung w~hlte ich gerade, um auf die Zusammen- geh6rigkeit mit den obenerw~hnten krankhatten Zust~nden hinzuweisen und um gleichzeitig Iestzustellen, dab die ~tio- logie der Krankheit nicht bekannt ist und zum mindesten nicht auf einer Erkrankung der Nieren beruht. Gegen meine erw~hnte Nomenklatur hat sich yon den verschiedensten Seiten eine heftige Opposition erhoben.

Es ist mir indes unm6glich, sachlich zu einer anderen Auffassnng zu kommen. Eine St6rung im vegetafiven System ist es, was wir mit Sicherheit nachweisen k6nnen. Welter k6nnen wit heute nicht kommen. Das Verhalten ist also ganz dasselbe wie bei gewissen funkfionellen Neurosen und bei der Asthmakrankheit. Was die Nomenklatur be- trifft, so kann ich den Namen wohl fallen lassen, wenn er als solcher Opposition erweckt. Das tatsgiehliehe Verhalten bleibt doeh bestehen, und sgimtliche Stdrungen bei der essen- tiellen Hypertoniekrankheit kdnnen ats StbYungen im vegeta- tiven System erkl(irt werden.

Will man versnchen, die Natur der StSrnng zu verstehen, so dfirfte die Adrenalinreaktion am geeignetsten sein, Auf- sehlfisse zu geben. Diese Reaktion gibt bei der .in Rede stehenden Krankheit einen Ausschlag, d e r m i t Sicherheit aut einen abnormen Zustand hinweist. Der senkende Faktor der Adrenalinblutdrucksreaktion fiberwiegt den steigernden. Dies gilt sowohl bei der intraven6sen als bei der subkutanen Injektion, sofern die gewShnliehe Dosierung verwendet Wird. Nimmt man eine gr613ere Dosierung, so erh~lt man nati ir- lich einen anderen Ausschlag.

Es hat sich, wie sehon oben hervorgehoben wurde, gezeigt, dab das Ca-Ion den steigernden Faktor des Adrenalins ver- st~Lrkt, das K-Ion dagegen den senkenden. Dureh I<RAUS und ZONDEKS Untersuehungen wissen wir ferner, dab Ca die sympathische, K die parasympathische Erregung vermittelt. Der sinkende Adrenalinkurventypus wfirde also eine K-Vagus- Reaktion sein, der steigende dagegen eine Ca-Sympathicus- reaktion. Hieraus geht hervor, daft man die essentieUe Hyper. toniekrankheit als elnen Vagotoniezustand au/[assen muff. Man wird sich auch erinnern mfissen, dab der ]31ut-Ca-Gehalt bei der fraglichen Krankheit, was in diesem Zusammenhang yon Bedeutung sein dfirfte, subnormal ist.

Es kann also Icaum wundernehmen, daft Asthma und essen- tielle Hypertonie so o/t gleichzeitig vorkommen, besonders bei ~lteren Personeu. Beide Zustiinde sind Vagotoniezust~inde. Ebensowenig dfirfte es autfallen kSnnen, dab essentielle Hyper- tonie, Asthmakrankheit, Ulcuskankheit, urticarielle Zust~nde nnd gewisse funktionelle Neurosen so oft in derselben Familien- anamnese vorkommen. Bei all diesen Zust~tnden erh~lt man die vagotone Adrenalinreaktion.

Ist die Auffassung richtig, dab die essentielle Hypertonie- krankheit eine St6rung des feinen Zusammenspiels im vege- tativen System ist, so mfiBte man auf diese Weise auch alle Symptome der Krankheit zu erkI~ren verm6gen. Zuerst gilt es da, diejenigen I~Iomente deuten zu k6nnen, welehe bisher als die urs~chlichen betrachtet wurden.

Mit dem Namen vegetatives System wurde, wie gesagt, Wirknng der Hormone, Elektrolyten und vegetativen Nerven zusammengefaBt. Das sch~digende Moment, das eine St6rung in diesem System hervorruft, kann sowohl an der einen wie an einer anderen Stelle dieses Komplexes einsetzen. Die Ur- sachen der essentieUen Hypertoniekrankheit mi~ssen deshalb mehrJacher Art sein kSnnen.

DaB erbliche Verh~ltnisse dabei yon der allergr613ten Be- deutung sein kSnnen, dtirfte schon yon vornherein Mar sein. Dieselben erblichen Faktoren spielen beim Auftreten anderer krankhafter ZustAnde im vegetativen System, wie Asthma usw., eine Rolle.

Die essentielle Hypertonie t r i t t besonders in einem ge- wissen Alter auf. Dieses Verhalten scheint r~tselhaft, erh/~l% abet vielleicht seine Erkl~rung, wenn man den Umstand be- achtet, dab es bei der Frau gerade die klimakterische Periode ist, die ffir das Auftreten der Krankheit prAdisponiert. Diese Periode bildet ja den Zeitpunkt einer umstfirzenden Jknderung im Zusammenwirken der innersekretorisehen Driisen. Da- durch entsteht eine Verschiebung im vegetativen System.

DaB innersekretorische Verschiebunger/ den Blutspiegel Ifir wichtige Elektrolyten yore Grund auf ver~ndern, geht aus den Untersuchungen yon LEICHER, t~YLIN, BILLIGHEIMER, DRBSEL n. a. betreffs des Blutkalkgehaltes hervor.

Psychische angreiiende Einflfisse versehiedener _Art be- gfinstigen das Auftreten der essentiellen Hypertoniekrankheit. KLEMPERER hat dies hervorgehoben, indem er darauf hin- wies, dab die russisehen Fltichtlinge h~ufig bedeutende Blut- drucksteigerungen zeigten. VOLHARD verfolgt denselben Ge- danken, wenn er darauf aufmerksam macht, da/3 gerade lebenskrAftige Individuen in den besten Jahren, die ihre ganze Spannkraft im Kampf ums Dasein einsetzen, es sind, die Blut- drucksteige~ung aufweisen. Jeder erfahrene Praktiker weiB auch, dab ffir diese Patienten eine Zeit der Ruhe auf dem Lande oft hinreicht, um das Symptom zu beheben.

Die neurogene Reizung vermittelt die Verschiebung der Elektrolyten, dutch die eine Zellwirkung zustande kommt. Jede psychische (oder physische) Beanspruchung wirkt rein physiologisch blutdrucksteigernd. Die dabei entstehende Vasokonstriktioin wird das organische Resnltat der Verschie- bung im Elektrolytensystem und im vegetativen System als Ganzes.

Viel umstri t ten ist die Frage, ob ]31utdrucksteigerung durch Giftwirkung veranlal~t wird. Obereinstimmung scheint darfiber zu herrschen, dab die chemische Bleivergiftung eine Blutdrucksteigerung gibt. Weniger einig ist man fiber die Wirkung des Nikotins und Alkohols. Mir scheint es jedoch nicht unwahrscheinlich, dab durch eine solehe Giftwirkung Elektrolytenverschiebungen entstehen k6nnten, infolgedessen die normale Nervenreizung den Impuls zu einer kr~ftigeren Vasokonstriktion geben kann Ms unter den gewShnlichen VerhMtnissen.

~berbliclcen wir nun die l~omente, welche als ursdchliche Falctoren ]i~r die Hypertonielcrankheit bekannt sind, so /inden wir, daft sie alle geeignet sind, Verschiebungen im vegetativen System he~worzuru]en.

Wenn wir dann dazu fibergehen, die Symptome ins Auge zu fassen, die wir bei der essentiellen Hypertoniekrankheit

23. APRIL 1925 K L I N I S C H E W O C H E N S C

zu finden pflegen, so werden wir sehen, dab diese dutch die Annahme einer St6rung im vegetativen System wohlerkl~ir- lich sind. Die labile Blutdruckkurve mit den groBen Tages- schwankungen 1ABt sich nicht auf andere Weise deuten, denn als neurogene VasolabilitAt. Dariiber braucht man wohl nicht viele Worte zu verlieren.

All die subjektiven Symptome, wie Miidigkeit, Schwindel, Ohrensausen, Schmerzen bald hier bald dort im ganzen t(Srper, Schwere auf der Brust, Herzklopfen usw., stimmen auch v611ig mit dem iiberein, was wir bei funktionellen Neurosen zu linden gewohnt sind.

Als eine dritte Gruppe yon Symptomen m6chte ich die St6rungen im Stoffwechsel aufftihren, die so h~iufig bei der in Rede stehenden Krankheit angetroffen werden, StSrungen, die sich sowohl auf den organischen als-den anorganischen Stoffwechsel beziehen. Sie sind im allgemeinen yon leichtem Grad and treten dann nut Ms eine nicht leicht naehweisbare Verschiebung im Stoffwechsel auf. Den Blutzucker findet man etwas gesteigert, bei vielen FAllen nicht bei jeder Unter- suchung, sondern nur bei einzelnen. Harns~iure- und Chole- sterinwerte verhalten sich ebenso. Die Blutkalkwerte sind gesenkt. Ahnliche St6rungen diirften wahrscheinlich bei anderen Stoffen nachgewiesen werden k6nnen. In vereinzelten Fiillen wird indes die Stoffwechsetst6rung ausgesprochener. Es entsteht Glykoslirie,. Gicht usw.

Die VerAnderung der Adrenatinreaktion, die, wie gesagt, durch die Verschiebung im Elektrolytensystem erklArt wird, ist bereits friiher hinreichend er6rtert worden.

Gilt es nun, die Wirkung der therapeutischen Magnahmen zu erklAren, welche sich bei der Behandlung der essentiellen Hypertoniekrankheit yon Wert erwiesen haben, so m6chte ich dieselben in 3 Gruppen einteilen : i. Ruhekuren, 2. sedative Medikamente, 3. MaBnahmen, die direkt geeignet sind, eine Verschiebung in der Elektrolytkonstellation zu bewirken. Im vorhinein mSge aber erwAhnt sein, dab diese drei Gruppen wahrscheinlich prinzipiell auf die gteiche Weise wirken.

Die Ruhekur war lange, praktisch genommen, die einzige Behandlung der besprochenen Krankheit. Gew6hnlich wird sie mit di~itetischen MaBregeln kombiniert, welche die Salz- und Stickstoffzufuhr vermindern. Mit dieser Kur hat man gute Resuitate erzielt. Die Blutdrucksteigerung ist in vielen FAllen verschwunden und der Zustand der Pat ient in wurde subjektiv verbessert, i3brigens scheint die Ruhekur auch ohne diAtetische Magnahmen ungefAhr gleichen Erfolg zu haben.

2. Die Verwendung gewisser Sedativa wurde besonders yon der Klinik KRAOS, Berlin, empfohlen und hat gute Re- sulfate gegeben.

3. Von Mal3regeln, die man angewendet hat, um eine ge- Anderte Elektrolytenkonstellation zu erzielen, sei einerseits die unspezitische IReiztherapie (Schwefel-, Milch- and madere parenterale Injektionen) erw~ihnt, anderseits die Ca-Be- handlung. Mit der ersteren sind unstreitig betrAchtliche Blutdrucksenkungen zu erhalten. Die frtiher empfohlene Dekapsulation der Niere wirkt nach VOLI~ARD wahrscheinlich in derselben Weise. Die Ents tehung starker Blutdruck- senkungen bei interkurrenten fieberhaften Erkrankungen diirften in gleicher Weise zu erkl~ren sein.

Die Ca-Therapie ist direkt :mstande, eine umsttirzende X~erAnderung der TonusverhAltnisse im vegetativen System hervorzurufen. Das ~bergewicht des Kalium-Vagus-Systems bei der essentiellen Hypertoniekrankheit wird dutch vermehrte Ca-Zufuhr aufgehoben. Meine eigenen Erfahrungen beziehen sich nu t auf die Ca-Atropin-Therapie, abet nach FAHR~I~- KAMP und BASCH soil Ca-Diuretinbehandlung ebenso wirksam sein. M6glich ist, dab die nach alter Erfahrung bei den frag- lichen iKrankheitszust~nden niitzliche laktovegetabilische Digit prinzipiell als eine Ca-Therapie wirkt. Milch und Vege- tabilien sind bekanntlich kalkreich.

Eine andere Beobachtung, die in analoger Weise zu er- klAren sein dtirfte, ist das yon FALTA und seinen Mitarbeitern gefundene Verhalten, dab vermehrte Kochsalzzufuhr blut- drucksteigernd, eine Verminderung der I(ochsalzzufuhr aber

Klinische Wochenschrift, 4. Jahrg.

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blutdrucksenkend wirkt. Es mag sein, dab hierbei der Gegen- satz zwischen einfach- und doppeltgeladenen Ionen yon entscheidender Bedeutung ist.

Soll ich nun schlieBlich meine pers6nliche Auffassung fiber die essentielle Hypertonie and die essentielle Hyper- toniekrankheit zusammenfassen, nach meiner Art die Dinge zu sehen, so m6chte ich dies in folgender Form tun : Die Blutdrucksteigerung ist keine Krankheit, sonder~) nur ein Symptom (unter-vielen andern) ftir eine St6rung im vege- tat iven System. Die essentielle Hypertoniekrankheit ist nicht eine abgrenzbare Krankheit, sondern umfaBt nut diejenigen F~ille der. fraglichen St6rung im vegetativen System, bei welchen die VasolabilitAt hinreichend hochgradig geworden ist, um in erster 1Reihe unsere Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Hat ein anderes Symptom der gleichen St6rung im vegetativen, System das i3bergewicht erhalten, so wurde die Krankheit nach diesem benannt und wit erhielten die Igrankheitsbezeichnungen Asthma, MigrAne usw. Die essen- tielle Hypertoniekrankheit darf deshalb nieht als eine scharf umschriebene Krankheit sui generis betrachtet, sondern muB vom selben Standpunkt auigeiaBt werden, den wit bei Asthma, Gicht, Ulcus, Urticaria usw. einzunehmen gelernt haben.

Anderseits ist die Atiologie der essentiellen Hypertonie- lcrankheit dadurch, daft man sie als eine St6rung im vegetativen System au]]aflt, nicht lclargelegL Darin hat SIEBECK vo11- st~indig recht. Wie frtiher hervorgehoben wurde, k6nnen versehiedene Stdrungen des Symptom der Vasolabilit(it mit ~Tei- gung zu Blutdrucksteigerung, das Kardinalsymptom der /rag- lichen Kranlcheit hervorru]en. Dem Resultat der Versuche I~:AHLERS, Klarheit in dieses schwere Problem zu bringen, sehe ich mit dem gr6Bten Interesse entgegen und sicher wird sich vieles yon Wert daraus ergeben. Die Bedeutung der Ionkonstellationsverschiebungen scheint er indes nicht vSllig gewiirdigt zu haben, was ich als einen Mangel in seiner Zu- sammenstellung betrachte.

DIE IDENTITAT VON NERV-IONEN- UND GIFTWIRKUNG.

Von

Pr iva tdozen t Dr. S. G. ZONDEK, Berlin. Aus der II. IVied. Universitfitsldilfik der Charit~ (Direktor: Geh.-Rat Prof. F. KRAUS), "

Den Untersuchungen JAouEs LOEBS haben wires in erster Linie zu danken, dab sich in den letzten Jahrzehnten das Interesse der medizinischen Forschung mehr als zuvor der Frage nach der Bedeutung der anorganischen Salze Itir das Leben der Zelle and ihre Funkt ion zuwandte. Die z. T. miih- samen Einzeluntersuchungen der recht zahlreichen Autoren haben im allgemeinen auch zu bedeutsamen Ergebnissen geitihrt. Die Wirkung der Salze bzw. ihrer Ionen auf die FunktionsAul3erungen der Zelle wurde in Mien Einzelheiten festgestellt; auch wurden die Beziehungen aufgedeckt, die zwisehen den verschiedenen Ionen bzw. Elektrolyten.bestehen. An einem Beispiel sei dies n~iher erlAutert. Es wurde z. B. gefunden, dab yon den Kationen Natrium, Kalium und Cal- cium die beiden ersteren auf das Herz in diastolischem Sinne, das letztere dagegen systolisch einwirke. Was den Antagonis- musde r Ionen betrifft, den LOgB bei seinen Versuchen an den Funduluseiern entdeckt hat, so wurde nachgewiesen, dab er -- wie aus den soeben erwAhnten Untersuchungen am Herzen hervorgeht -- in Ahnlicher Weise auch bei der Zellfunktion der h6her organisierten Lebewesen vorkomme. Insbesondere wurde aui den Antagonismus Kalium-Calcium hingewiesen, da er unter Mien Ionen in der reinsten Form zum Ausdruck kommt. Der Charakter der Untersuchungen war vielfach ein pharmakologischeL und zwar insofern, als der Hauptwert darauf gelegt wurde, iestzustellen, in welchem Sinne die Funk- tion der verschiedenen Zellarten bzw. der verschiedenen Or- gane dureh die Elektrolyte beeinflul3t werden kann. Das Prinzip war ungefAhr das gleiche, das uns leitet, wenn wit an die Erforsehung der Wirkung der k6rperfremden Gifte heran-

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