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Nr. 32 Mai - August 2004/II ISSN 0378-5106 Zur Geschichte der beruflichen Bildung in Europa Von der Divergenz zur Konvergenz Zur Geschichte der beruflichen Bildung in Europa Von der Divergenz zur Konvergenz

Zur Geschichte der beruflichen Bildung in Europa · Konvergenz -wieder aufgenommen wird. Denn obwohl die berufliche Bildung in ei-ner recht fernen Vergangenheit überall in Europa

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Page 1: Zur Geschichte der beruflichen Bildung in Europa · Konvergenz -wieder aufgenommen wird. Denn obwohl die berufliche Bildung in ei-ner recht fernen Vergangenheit überall in Europa

Nr. 32 Mai - August 2004/II ISSN 0378-5106

Europe 123, GR-570 01 Thessaloniki (Pylea)Postanschrift: PO Box 22427, GR-551 02 ThessalonikiTel. (30) 2310 490 111 Fax (30) 2310 490 099E-Mail: [email protected] Homepage: www.cedefop.eu.intInteraktive Website: www.trainingvillage.gr

Europäische Zeitschrift Berufsbildung

Nr. 32 Mai - August 2004/II

Von der Divergenz zur Konvergenz Zur Geschichte der Berufsbildung in Europa

Forschungsbeiträge

Die europäischen Berufsausbildungs„systeme“ - Überlegungen zum theoretischen Rahmen der Darstellung ihrer historischen Entwicklung Wolf-Dietrich Greinert

Zwischen Schule und Betrieb. Aspekte der historischen Entwicklung beruflicher Bildung in den Niederlanden und in Deutschland ausvergleichender Sicht Dietmar Frommberger und Holger Reinisch

Berufsbildungsmodelle, Berufsbildungsparadigmen oderBerufsbildungskulturen Anja Heikkinen

Die gemeinsame Politik der Berufsausbildung in der EWGvon 1961 bis 1972 Francesco Petrini

Die Gewerkschaften und die Neubelebungder europäischen Sozialpolitik Maria Eleonora Guasconi

Die Rolle der beruflichen Bildung in der europäischen Sozialpolitik und das Cedefop Antonio Varsori

Der Platz der beruflichen Bildung in der Vorstellung eines europäischen Sozialraums von François Mitterrand (1981-1984) Georges Saunier

Bibliografische Rubrik, die vom Dokumentationsdienst des Cedefop mit Unterstützung der Mitglieder des europäischenFachwissens- und Referenznetzwerkes (ReferNet) erstellt wurdeAnne Waniart

Zur Geschichte der beruflichen Bildung in Europa Von der Divergenz zur Konvergenz

Zur Geschichte der beruflichen Bildung in Europa Von der Divergenz zur Konvergenz

Preis in Luxemburg (ohne MwSt.)Einzelnummer EUR 10Jahresabonnement EUR 20

Amt für VeröffentlichungenPublications.eu.int

TI-AA-04-032-DE-C

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CedefopEuropäisches Zentrum

für die Förderungder Berufsbildung

Europe 123GR-570 01 THESSALONIKI

(Pylea)

Postanschrift:PO Box 22427

GR-551 02 THESSALONIKI

Tel. (30) 23 10 49 01 11Fax (30) 23 10 49 01 17

E-Mail:[email protected]

Homepage:www.cedefop.eu.intInteraktive Website:

www.trainingvillage.gr

Das Cedefop unterstützt die Europäi-sche Kommission dabei, durch den In-formationsaustausch und Erfahrungs-vergleich zu Themen von gemeinsa-mem Interesse für die Mitgliedstaa-ten die Berufsbildung und die ständi-ge Weiterbildung auf Gemeinschafts-ebene zu fördern und weiterzuent-wickeln.

Es stellt Verbindungen zwischen derBerufsbildungsforschung, -politik und-praxis her. Es verhilft den politischenEntscheidungsträgern und praktischTätigen auf allen Ebenen der EU zueinem besseren Verständnis der Ent-wicklungen im Bereich der Berufsbil-dung, um ihnen Schlussfolgerungenfür künftige Tätigkeiten zu erleichtern.Es bemüht sich ferner darum, Wis-senschaftler und Forscher zur Ermitt-lung von Entwicklungstendenzen undZukunftsfragen anzuregen.

Grundlage für die Herausgabe der Eu-ropäischen Zeitschrift „Berufsbildung“bildet Artikel 3 der Gründungsverord-nung des Cedefop vom 10. Februar 1975.

Dennoch ist die Zeitschrift unabhän-gig. Sie verfügt über einen redaktio-nellen Beirat, der die Artikel unter Wah-rung der Anonymität von Autoren undBerichterstattern beurteilt. Dieser Bei-rat steht unter dem Vorsitz eines an-erkannten Wissenschaftlers und setztsich zusammen aus Forschern sowiezwei Experten des Cedefop, einem Ex-perten der Europäischen Stiftung fürBerufsbildung und einem Vertreter desVerwaltungsrates des Cedefop. Das re-daktionelle Sekretariat der Europäi-schen Zeitschrift „Berufsbildung“ wirdebenfalls von renommierten Wissen-schaftlern wahrgenommen.

Die Zeitschrift steht auf der Liste dervom ICO (Interuniversitair Centrumvoor Onderwijsonderzoek, Niederlan-de) anerkannten wissenschaftlichenFachrevuen und auf dem Index der IBSS(International Bibliography of the So-cial Sciences).

BERUFSBILDUNG NR. 32 EUROPÄISCHE ZEITSCHRIFT

Haben Sie Interesse daran, einen Beitrag zu verfassen?Dann lesen Sie bitte Seite 112.

Verantwortlich: Johan van Rens, Direktor Stavros Stavrou, stellvertretender Direktor

Übersetzung: Corinna Frey

Layout: Zühlke Scholz & Partner GmbH, Berlin

Umschlag: Panos Haramoglou, M. Diamantidi S.A.,Thessaloniki

Technische Produktion mit DTP: M. Diamantidi S.A., Thessaloniki

Redaktionsschluss: Juli 2004

Nachdruck - ausgenommen zu kommerziellenZwecken - mit Quellenangabe gestattet

Katalognummer: TI-AA-04-032-DE-C

Printed in Belgium, 2004

Diese Zeitschrift erscheint dreimal jährlich aufDeutsch, Englisch, Französisch, Spanisch und Por-tugiesisch.

Die portugiesische Sprachversion ist direkt zu be-ziehen von:DEEP/CIDCentre de Informaçaõ e Documentação Ministério do Trabalho e da Solidariedade Praça de Londres 22° P 1049056 Lisboa Tél. (35121) 843 10 36 Fax (35121) 840 61 71 E-Mail: [email protected]

Zum Bezug der anderen Sprachenversionen siehe dritte Umschlagseite.

Die von den Autoren geäußerten Ansichten decken sich nicht notwendigerweisemit der Position des Cedefop. In der Europäischen Zeitschrift für Berufsbildunghaben die Autoren das Wort, um ihre Analysen und unterschiedlichen, teilweisesogar kontroversen Standpunkte darzulegen. Auf diese Weise will die Zeitschrifteinen Beitrag zur kritischen Diskussion leisten, die für die Zukunft der beruflichenBildung auf europäischer Ebene unerlässlich ist.

Redaktioneller Beirat:Vorsitzender:

Martin Mulder Universität Wageningen, Niederlande

Mitglieder:

Steve Bainbridge Cedefop, Griechenland

Juan José Castillo Universität Complutense Madrid, Spanien

Jean-Raymond Masson Europäische Stiftung für Berufsbildung, Torino, Italien

Teresa Oliveira Universität Lissabon, Portugal

Hilary Steedman London School of Economics and Political Science,

Centre for Economic Performance, Vereinigtes Königreich

Ivan Svetlik Universität Ljubljana, Slowenien

Manfred Tessaring Cedefop, Griechenland

Éric Verdier Centre National de la Recherche Scientifique,

LEST/CNRS, Aix en Provence, Frankreich

Redaktionssekretariat:Erika Ekström Ministerium für Industrie, Beschäftigung und Kommunikation,

Stockholm, Schweden

Ana Luísa Oliveira de Pires Forschungsgruppe Bildung und Entwicklung - FCT, Universität

Nova Lissabon, Portugal

Chefredakteur:Éric Fries Guggenheim Cedefop, Griechenland

Sekretärin der Zeitschrift:Titane Delaey Cedefop, Griechenland

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Im Januar 2000 entwickelte das EuropäischeZentrum für die Förderung der Berufsbil-dung (Cedefop) die Idee, ein Forschungs-projekt zur Geschichte der beruflichen Bil-dung in Europa durchzuführen. Vornehmli-ches Ziel des Projekts ist es, ein besseresVerständnis der heutigen Struktur der ver-schiedenen Berufsbildungssysteme in Eu-ropa zu fördern, indem man die historischeEntwicklung auf nationaler und internatio-naler Ebene sowie den wechselseitigen Ein-fluss aufzeigt, den die berufliche Bildungund die europäische Integration aufeinan-der ausüben. Das Projekt geht von demGrundsatz aus, dass eine fundierte Kennt-nis der historischen Entwicklung unerlässli-che Voraussetzung für ein umfassendes Ver-ständnis und für die Deutung aktueller Vor-gänge und Ereignisse ist (1).

Im Rahmen dieses Projekts und unter Schirm-herrschaft des Cedefop fand am 11. und 12.Oktober 2002 in Florenz die erste interna-tionale Konferenz zur Geschichte der be-ruflichen Bildung in Europa aus verglei-chender Sicht statt, die von der UniversitätFlorenz und dem Europäischen Hochschu-linstitut veranstaltet wurde.

Im Verlauf dieser beiden Tage wurdennicht weniger als 18 Beiträge vorgestellt.Der erste Tag war der Entwicklung derBerufsbildungssysteme in einem oder meh-reren europäischen Ländern gewidmet.Am zweiten Tag wurde die Rolle der be-ruflichen Bildung in der Sozialpolitik derEuropäischen Gemeinschaft und späterder Europäischen Union beleuchtet. DieKonferenzbeiträge werden in zwei Bän-den mit dem Titel „Towards a history ofvocational education and training (VET)in Europe in a comparative perspective“veröffentlicht, wobei der erste Band vonGeorg Hanf vom Bundesinstitut für Be-rufsbildung (BIBB) und Wolf-Dietrich Grei-nert von der Technischen Universität Ber-lin und der zweite von Professor Antonio

Varsori von der Universität Padua her-ausgegeben wird.

Angesichts der Fülle des vorgelegten Mate-rials und der Bedeutung der Ziele, die so-wohl mit dem Projekt „Geschichte“ als auchmit der Konferenz in Florenz angestrebtwurden, sah sich das Cedefop veranlasst,zwei zusätzliche Initiativen zur Verbesse-rung des Wirkungsgrads und zur Förderungder Verbreitung der Ergebnisse der Konfe-renz zu ergreifen: zum einen eine Wander-ausstellung und zum anderen eine Sonder-ausgabe der Europäischen Zeitschrift Be-rufsbildung.

Die Idee einer Wanderausstellung zur Ge-schichte der beruflichen Bildung in Europawurde von dem Cedefop-Experten NorbertWollschläger entwickelt, der ihre Umsetzungund Erstpräsentation in der Cedefop-Galeriein Thessaloniki leitete. Die Ausstellung selbstwurde von der Museums- und Ausstel-lungsberaterin Helga Reuter-Kumpmann kon-zipiert und gemeinsam mit der DeutschenArbeitsschutzausstellung (2) (DASA) der Bun-desanstalt für Arbeitschutz und Arbeitsme-dizin, organisiert. Die Erstpräsentation derAusstellung in Thessaloniki wurde von über2000 Personen besucht. Die Ausstellungs-broschüre findet sich ab Seite 6 in dieserAusgabe der Europäischen Zeitschrift abge-druckt.

Was die Europäische Zeitschrift betrifft, soentsprang die Idee zu einer Sonderausgabeder einhelligen Überzeugung der Mitgliederdes redaktionellen Beirats, dass die Zukunftder beruflichen Bildung in Europa nur dannerfolgreich gestaltet werden kann, wenn ei-ne fundierte Kenntnis ihrer Historie vor-handen ist. Die Zukunft schöpft aus der Ver-gangenheit. Es ist zudem eines der Ziele derEuropäischen Zeitschrift, die Berufsbil-dungsforschung in Europa zu fördern, docherhält die Redaktion nur sehr wenige Arti-kel über die Geschichte der beruflichen Bil-

Zur Geschichte der beruflichen Bildungin Europa Von der Divergenz zur Konvergenz

Norbert WollschlägerBerufsbildungsexperteVerantwortlicher derAusstellungsgalerie desCedefop

Éric Fries GuggenheimChefredakteur derEuropäischenZeitschriftBerufsbildung

(1) Siehe Website des Projekts:http://history.cedefop.eu.int/

(2) Siehe Website der DASA:http://www.baua.de/dasa/index.htm

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dung zugesandt. Unsere Hoffnung ist, mitdieser Sonderausgabe neue Beiträge zur Ge-schichte der beruflichen Bildung in Euro-pa anzuregen, und hier vor allem - weil dieseines der Auswahlkriterien der Zeitschriftdarstellt - Arbeiten, die ihr Thema aus ver-gleichender Perspektive behandeln.

Die Problemstellung dieser Sonderausgabeorientiert sich weitgehend an jener, die vonder Konferenz in Florenz herausgearbeitetwurde und die im Untertitel der Wander-ausstellung zur Geschichte der beruflichenBildung in Europa - von der Divergenz zurKonvergenz - wieder aufgenommen wird.

Denn obwohl die berufliche Bildung in ei-ner recht fernen Vergangenheit überall inEuropa in Form der von den Zünften gere-gelten Lehre vermittelt wurde, so haben sichdie nationalen Berufsbildungssysteme imZuge der industriellen Revolution und derAbschaffung der Zünfte entsprechend denjeweiligen gesellschaftlichen Eigenheiten je-der Nation sehr weit auseinander entwickelt.Man könnte daher, ohne allzu viel Wider-spruch zu ernten, behaupten, dass jede Na-tion ihr eigenes Berufsbildungssystem hat,aber natürlich wäre eine solche Schlussfol-gerung wenig aufschlussreich und noch weitweniger operationell. Allerdings lässt sichdas Spektrum der verschiedenen Berufs-bildungssysteme mittels einer historischenAnalyse doch lesbarer strukturieren. Genaudies unternimmt Professor Wolf-Dietrich Grei-nert in seinem Beitrag mit dem Titel Die Eu-ropäischen Berufsausbildungs„systeme“ -Überlegungen zum theoretischen Rahmender Darstellung ihrer historischen Entwick-lung und erstellt auf diese Weise ein Modell,das eine ungefähre Unterteilung der ver-schiedenen europäischen Systeme in nurdrei Gruppen ermöglicht. Dieses Modell bie-tet mit seinen vereinfachenden Hypothesengewiss Angriffsfläche für Kritik, ist aber den-noch sehr suggestiv und anregend.

Es scheint also möglich und sinnvoll, einewissenschaftliche Klassifikation der ver-schiedenen Berufsbildungsmodelle vorzu-nehmen. Weitaus schwieriger ist hingegenzu erklären, warum zwei Länder, die sowohlvon ihrem historischen Profil als auch ih-rer wirtschaftlichen und sozialen Entwick-lung her starke Parallelen aufweisen, letzt-lich Berufsbildungssysteme entwickelt ha-ben, die unbestreitbar zwei völlig unter-schiedlichen Kategorien angehören. Ebendiese Fragestellung wird von Holger Rei-nisch und Dietmar Frommberger in ihremBeitrag mit dem Titel Zwischen Schule und

Betrieb - Aspekte der historischen Entwick-lung beruflicher Bildung in den Nieder-landen und in Deutschland aus verglei-chender Sicht erörtert. Der Artikel gleichtübrigens eher einem Forschungsprogramm,als dass er eine Antwort auf die gestellte Fra-ge liefert, wobei die Autoren auf Letzteresauch keinen Anspruch erheben. Wir hoffensehr, dass dieser Beitrag Nachahmer findenwird und dass künftig Artikel für die Zeit-schrift eingereicht werden, die sich - auchauf andere gesellschaftliche Umfelder be-zogen - um Erklärungen bemühen.

Ansätze hierzu liefert uns bereits Anja Heik-kinen in ihrem Beitrag Berufsbildungsmo-delle, Berufsbildungsparadigmen oder Be-rufsbildungskulturen. Anhand des Beispielsder Entwicklung der beruflichen Weiterbil-dung in Nordeuropa und in Deutschland zeigtsie sehr deutlich auf, dass die Entstehung undder Wandel der nationalen Systeme das Re-sultat konkurrierender „kultureller Vorstel-lungen“ von beruflicher Bildung sein kön-nen, die von den individuellen und kollekti-ven Akteuren vertreten werden, wobei so-wohl subnationale als auch nationale und su-pranationale Zielsetzungen eine Rolle spie-len können. Der von Anja Heikkinen ent-wickelte kulturelle Ansatz versteht Bildungals mit-konstitutiv sowohl für die Kultur alsauch für die Projekte und Programme auf in-dividueller, kollektiver und gesellschaftlicherEbene. Und eigentlich geht ihr Artikel weitüber eine bloße vergleichende Analyse derEntwicklung der Weiterbildung in Nordeu-ropa hinaus. Was sie verdeutlichen möchte,ist die Rolle der Historiker und die prakti-schen Konsequenzen ihrer Arbeit. Indem siebestimmte Größen, bestimmte Phänomene,bestimmte im Bereich der Berufsbildung ent-scheidende Veränderungen und/oder Konti-nuitäten erkennen und sichtbar machen, sindHistoriker und Forscher in der Regel in letz-ter Instanz dazu berufen, Arbeit und Bildungauf subnationaler, nationaler und suprana-tionaler Ebene gemeinsam zu definieren.

Angesichts dieser Vielfalt der Berufsbil-dungssysteme in Europa wird mit der eu-ropäischen Integration das Bemühen umKonvergenz zunehmen. Die verschiedeneneuropäischen Organe und Einrichtungen ha-ben mehr Kompetenzen erhalten, insbeson-dere durch die Einheitliche Europäische Ak-te, den Vertrag von Maastricht, die Schaffungder Europäischen Union und die Einführungdes Euro. Aber, so Francesco Petrini in sei-nem Beitrag Die gemeinsame Politik der Be-rufsausbildung in der EWG von 1961 bis1972, wenn Artikel 128 des Vertrags von Rom

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auch klarstmöglich den Willen zur Entwick-lung einer gemeinsamen Politik im Bereichder beruflichen Bildung formuliert, so wur-de diese doch niemals verwirklicht. Dies laginsbesondere am Widerstand Deutschlandsund Frankreichs, die bereits über gut struk-turierte Berufsbildungssysteme verfügten undwenig geneigt waren, die Kosten für die Neu-qualifizierung von Arbeitskräften in Südita-lien zu übernehmen. Dieser Fehlschlag er-klärte sich auch durch den Kampf zwischenden Zentralisierungsbestrebungen im Zugeder europäischen Einigung und der Ge-genreaktion der Regierungen, die versuch-ten, die Ambitionen der Kommission einzu-schränken und ihre Souveränität zu wahren.Es bedurfte, so Petrini, einer Veränderungdes sozio-politischen Klimas und des Beginnsder Krise Mitte der siebziger Jahre, damit dieStaaten gezwungenermaßen neue Formender Zusammenarbeit ins Auge fassten, undvor diesem Hintergrund entwickelte sich derGedanke, ein Europäisches Zentrum für dieFörderung der Berufsbildung zu schaffen.

Wie Eleonora Guasconi in ihrem Beitrag DieGewerkschaften und die Neubelebung dereuropäischen Sozialpolitik belegt, wolltendie europäischen Gewerkschaften durch dieGründung dieser Einrichtung sicherstellen,dass die berufliche Bildung tatsächlich denArbeitnehmern zum Nutzen gereichte undihnen ermöglichte, die Umwälzungen dersechziger und die Krise der siebziger Jahrezu bewältigen. In der ausdrücklichen Ab-sicht, sich in der Europäischen Gemeinschaftmehr Gehör zu verschaffen und eine ge-meinsame europäische Sozialpolitik imBereich der Beschäftigung und Berufsbil-dung zu entwickeln, drängten die europäi-schen Gewerkschaften auf die Gründungdes Cedefop, die schließlich 1975 erfolgte.

Die Gründung des Cedefop, so zeigt Pro-fessor Antonio Varsori in seinem Beitrag DieRolle der beruflichen Bildung in der eu-ropäischen Sozialpolitik und das Cedefop,war ein Fortschritt im Hinblick auf mehr Kon-vergenz im Bereich der beruflichen Bildungin Europa, schuf die Voraussetzungen für dienotwendige Förderung der Berufsbildungs-forschung sowie die Entwicklung des Mei-nungs- und Erfahrungsaustauschs auf die-sem Gebiet zwischen den Mitgliedstaaten derEuropäischen Gemeinschaft und stellte eineArt „Versuchsballon“ dar, der zur Grün-dung einer ganzen Reihe von Agenturen mitspeziellen Aufgabenbereichen führen sollte.

Gleichwohl vollzieht sich die Entwicklungzu mehr Konvergenz zwischen den Berufs-

bildungssystemen in Europa nur langsamund gestaltet sich schwierig, solange die Na-tionalstaaten an ihren nationalen Vorrech-ten und am Subsidiaritätsprinzip im Bil-dungsbereich festhalten. Wie Georges Sau-nier in seinem Artikel Der Platz der berufli-chen Bildung in der Vorstellung eines eu-ropäischen Sozialraums von François Mit-terrand (1981-1984) aufzeigt, besteht dieintegrative Fähigkeit Europas im Bereich derBerufsbildung ebenso wie in anderen Be-reichen vor allem darin, dass es auf aktu-elle ökonomische und soziale Gegebenhei-ten zu reagieren versteht. „Die scheinbar un-weigerlich problematische ’Vielfalt‘ Europasordnet sich (...) der ’Notwendigkeit‘ unter- allerdings ohne gänzlich zu verschwinden.Wie in anderen Bereichen auch, zeigt sichbei der Berufsbildung die integrative StärkeEuropas, die vor allen Dingen in der Defi-nition gemeinsamer Ziele liegt. Die Kon-vergenz und insbesondere die Konvergenzder Bildungssysteme ist nur eine logischeKonsequenz dieser Stärke“.

Und tatsächlich scheint sich seit Mitte derachtziger Jahre die Entwicklung zur Kon-vergenz der beruflichen Bildung in Europabeschleunigt zu haben. Die gemeinsamenInteressen der Union werden ausgelotet, mit-tel- und langfristige Ziele zur Wahrung die-ser Interessen werden festgelegt, und aufdieser Grundlage vollzieht sich, indirekt und„freiwillig“, die Integration. Auf dem Lis-sabonner Gipfel befassten sich die Staats-und Regierungschefs zum ersten Mal mit bil-dungspolitischen Fragen. 2001 leiteten danndie Generaldirektoren für Berufsbildung dereuropäischen Staaten in Brügge eine Initia-tive ein, die 2002 in Kopenhagen durch dieErklärung von 31 Bildungsministern bestätigtwurde. Mit dieser verpflichteten sich die eu-ropäischen Staaten zu einer Intensivierungder Zusammenarbeit im Bereich der Be-rufsbildung - was kaum verhüllten Bestre-bungen zur Förderung der Konvergenz mit-tels Zielen wie Transparenz, Qualität derAusbildung, gegenseitige Anerkennung vonKompetenzen und Qualifikationen, Förde-rung der Mobilität und des Zugangs zum le-benslangen Lernen gleichkommt. Alles The-men, die regelmäßig in den Ausgaben un-serer Zeitschrift behandelt werden.

Sämtliche in dieser Ausgabe enthaltenen Ar-tikel unterstreichen die Notwendigkeit hi-storischer Betrachtung, und zwar nicht nuraufgrund ihrer Bedeutung für die Gestaltungder Zukunft, sondern auch für eine besserePositionierung in der Gegenwart.

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InhaltVon der Divergenz zur Konvergenz .............................................................................Zur Geschichte der Berufsbildung in Europa

Forschungsbeiträge

Die europäischen Berufsausbildungs„systeme“ - Überlegungen zum theoretischen Rahmen der Darstellung ihrer historischen Entwicklung ..................Wolf-Dietrich GreinertAuf der Grundlage einer diachronischen Analyse, die die Industrielle Revolution zumAusgangspunkt nimmt, werden drei Grundtypen von Berufsausbildungssystemen er-mittelt: das liberal-marktwirtschaftliche Modell in England, das etatistisch-bürokrati-sche Modell in Frankreich und das dual-korporatistische Modell in Deutschland.

Zwischen Schule und Betrieb. Aspekte der historischen Entwicklung beruflicher Bildung in den Niederlanden und in Deutschland ausvergleichender Sicht ......................................................................................................Dietmar Frommberger und Holger ReinischWir wissen nur wenig darüber, woran es liegt, dass sich die berufliche Bildung selbst inLändern, die ein sehr ähnliches wirtschaftliches und gesellschaftliches Entwicklungs-profil aufweisen, unterschiedlich entwickelt hat. Es liegen nur wenige Studien vor, diesich mit dieser Frage befassen. Der hier vorgestellte Beitrag soll helfen, diese Forschungslückezu schließen.

Berufsbildungsmodelle, Berufsbildungsparadigmen oderBerufsbildungskulturen ..................................................................................................Anja HeikkinenDieser Beitrag will die Rolle von Bildungsforschern und Bildungsgeschichte als konstitu-ierende Faktoren des politischen und des praxisbezogenen Diskurses über Berufsbildunganhand der Diskussion über die „Fortbildung" in Finnland, den übrigen skandinavischenLändern und Deutschland hinterfragen.

Die gemeinsame Politik der Berufsausbildung in der EWGvon 1961 bis 1972 ..............................................................................................................Francesco PetriniArtikel 128 des Rom-Vertrags enthält zur Entwicklung einer gemeinsamen Politik auf demGebiet der Berufsausbildung eine Aussage, die klarer nicht sein könnte. Diese gemeinsa-me Politik wurde bisher jedoch nicht umgesetzt. Dieser Artikel soll dafür Erklärungsansätzebieten.

Die Gewerkschaften und die Neubelebungder europäischen Sozialpolitik .....................................................................................Maria Eleonora GuasconiDieser Artikel beleuchtet verschiedene Initiativen der europäischen Gewerkschaften An-fang der 1970er Jahre zur Förderung einer europäischen Sozialpolitik in den BereichenBeschäftigung und Berufsbildung.

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Die Rolle der beruflichen Bildung in der europäischen Sozialpolitik und das Cedefop .......................................................................................Antonio VarsoriDer Artikel beschreibt größtenteils anhand von Archivquellen die Ursprünge des Cedefopund die Entwicklung seiner Tätigkeit bis zum Umzug nach Thessaloniki Mitte der1990er Jahre

Der Platz der beruflichen Bildung in der Vorstellung eines europäischen Sozialraums von François Mitterrand (1981-1984) .........................Georges SaunierDas Konzept eines europäischen Sozialraums, das François Mitterand seinen Partnern inder Gemeinschaft 1981 vorstellt, wird sich unter dem Druck der Ereignisse verändern. AmEnde dieser Entwicklung ist die berufliche Bildung einer der Schwerpunkte des französi-schen Projekts für Europa.

Lektüre zum Thema

Literaturhinweise ...........................................................................................................Diese Rubrik wurde von Anne Waniart, Bibliothekarin beim Cedefop, mit Unterstützung der Mitglieder des europäischen Fachwissens- und Referenznetzwerkes (ReferNet) zusammengestellt.

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Die Ausstellungstexte stützen sich auf dieBeiträge zur Tagung „The History of Vo-cational Education and Training in Eu-rope in a Comparative Perspective“, diedas Cedefop im Oktober 2002 in Florenzveranstaltete.

Warum eine Ausstellung zur Geschichteder beruflichen Bildung in Europa?

Um zu ermessen, wohin wir gehen, müssenwir erfahren, woher wir kommen.

„Der Europäische Rat hat auf seiner Tagungvom März 2000 in Lissabon die wichtige Rol-le der Bildung als integraler Bestandteil derWirtschafts- und Sozialpolitik, als Instrumentzur Stärkung der weltweiten Wettbewerbs-fähigkeit Europas und als Garantie für dieGewährleistung des Zusammenhalts unse-rer Gesellschaft und der uneingeschränktenEntfaltung ihrer Bürger anerkannt. Der Eu-ropäische Rat hat für die Europäische Uni-on das strategische Ziel festgelegt, zumdynamischsten wissensbasierten Wirt-schaftsraum der Welt zu werden. Die Ent-wicklung einer qualitativ hochwertigenberuflichen Bildung ist ein wesentlicher undintegraler Bestandteil dieser Strategie, ins-besondere im Hinblick auf die Förderungder sozialen Eingliederung, der Kohäsion,der Mobilität sowie der Beschäftigungs- undder Wettbewerbsfähigkeit.“

„Die Erweiterung der Europäischen Uni-on fügt der Arbeit auf dem Gebiet der all-

gemeinen und beruflichen Bildung eineneue Dimension sowie Herausforderun-gen, Möglichkeiten und Anforderungenhinzu.“ Kopenhagener Erklärung, November 2002

„Mit jedem Schritt, den wir vorwärts machen,mit jedem Problem, das wir lösen, entdeckenwir nicht nur neue und ungelöste Probleme,sondern wir entdecken auch, dass dort, wowir auf festem und sicherem Boden zu ste-hen glaubten, in Wahrheit alles unsicher undim Schwanken begriffen ist.“Karl R. Popper (1902 - 1994), Schulabbre-cher, Tischlergeselle und Wissenschaftsphi-losoph

Was zeigt diese Ausstellung?

Einige Überraschungen: ❑ dass die berufliche Bildung im Mittelal-ter in den meisten europäischen Ländern diegleiche war;❑ warum im 18. und 19. Jahrhundert in un-terschiedlichen Ländern ganz neue und un-terschiedliche Formen der beruflichen Bil-dung entstanden;❑ welche Gemeinsamkeiten in Europa inden letzten 50 Jahren geschaffen wurden.

Sie zeigt aber auch, dass die Geschichte derBerufsbildung immer auch unsere eigeneGeschichte ist, und dass unsere Sicht nichtübereinstimmen muss mit der Sicht der His-toriker und Historikerinnen, die sie schrei-ben.

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Von der Divergenz zur KonvergenzZur Geschichte der Berufsbildung in Europa

Ausstellungsidee und Projektleitung: Norbert WollschlägerKonzept, Texte und Design: Helga Reuter-Kumpmann

„Wenn unsere Jugendrichtig erzogen istund richtig erzogenwird,werden alle unsereAngelegenheiteneinen glücklichenVerlauf nehmen,wenn aber nicht -nun, das bleibt besserungesagt.“

Platon

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Gemeinsame Ursprünge

In fast allen europäischen Ländern und überJahrhunderte hinweg glichen sich - seit derEinführung der Zünfte - sowohl die hand-werklichen Berufe als auch die beruflicheBildung.

Die Zünfte waren Vereinigungen, in denensich seit dem 12. Jahrhundert Angehörigeeines Gewerbes oder eines Handwerks inden Städten zusammenschlossen. Sie gabensich eine eigene Satzung, eine Zunftordnung,die für alle verbindlich war. Die Zunftord-nung legte die Verfahren der Herstellung,und „verbraucherfreundliche“ Preise fest. Sieunterwarf die Waren einer strengen Güte-kontrolle. Die Zunftordnung sorgte für einstandesgemäßes Einkommen der Meister,für die Versorgung wirtschaftlich schwacherZunftmitglieder, für hinterbliebene Witwenund Waisen. Die Zunftordnung bestimmtedie Aufnahmebedingungen und die Ausbil-dung von Lehrlingen und Gesellen. Die Zünf-te spielten in den meisten Städten eine wich-tige politische und wirtschaftliche Rolle. Dochgab es auch Konflikte um ihren Einflussim Stadtgeschehen, z.B. wenn die Zünfteverhinderten, dass Nichtmitglieder sich nie-derließen und ein Handwerk ausübten.

Im 18. und zu Beginn des 19. Jahrhundertsverlor das Zunftwesen in Europa fast end-gültig seine Bedeutung.

Für die Wirtschaftslehre des Liberalismus,die das „freie Spiel der Kräfte“ forderte, wardas traditionelle Zunftwesen ein Hindernisfür den Wettbewerb, ein Hemmnis für dieGewerbefreiheit.

Berufsbildung in den Zünften

In den Zünften herrschte überall in Europaeine strenge Rangordnung: Lehrling, Gesel-le, Meister. Der Meistertitel war der einzigverbriefte Qualifikationsnachweis. Die „Lehr-briefe“ bestätigten die Erfüllung des erstenAbschnitts der Lehrzeit. Frauen, die Frau desMeisters oder die Mägde, spielten nur alsHilfskräfte eine Rolle.

Erst nach einigen Wochen Probezeit wur-den die Lehrlinge vor Vertretern der Zunftaufgenommen. Meist zahlte die Familie demMeister, der für Unterbringung und Verpfle-gung sorgte, ein Lehrgeld. Die Lehre dau-erte je nach Beruf 2 bis 4 Jahre, bei sehr spe-zialisierten Gewerben auch länger. Die Lehr-zeit endete mit einer fachlichen Prüfung, mitdem „Freisprechen“ des Lehrlings, für dasdie jeweiligen Handwerkssparten unter-schiedliche Bräuche hatten, und mit seinerAufnahme in den Kreis der Gesellen. Dieberufliche Qualifikation der Gesellen warauch in anderen Ländern anerkannt. Meistungebunden durch Familie, begaben sie sichoft auf Wanderschaft, nicht zuletzt, um beiMeistern anderer Länder ihre Fähigkeitenund ihr Wissen zu erweitern: eine frühe Formberuflicher Mobilität in Europa. Wenn dieGesellen hinreichend Erfahrungen gesam-melt hatten, bewarben sie sich bei einer Zunftum die Zulassung als Meister.

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Dieser Holzschnitt aus einem niederländischenBlockbuch (1470) zeigt Künstler und Handwer-ker mit ihren Arbeitsgeräten: Farbenreiber, Ma-ler, Goldschmied, Bildhauer, Orgelbauer, Uhr-macher, Schreiber.

Diese schöne Tafel zur Seidenfärberei aus der En-zyklopädie von Diderot und d'Alembert zeigt ein-drucksvoll verschiedene Arbeitsschritte dieses Hand-werks. Was nicht zu sehen ist: Die große Belastungdurch den Kontakt mit giftigen Stoffen, eines vonvielen Beispielen dafür, dass das „goldene Hand-werk“ für die Beschäftigten auch schwarze Seitenhatte.

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Eine Ausnahme

Russland unterscheidet sich von den meis-ten anderen europäischen Ländern dadurch,dass dort im Mittelalter keine handwerkli-chen Vereinigungen entstanden, die denZünften vergleichbar wären.

Als Peter I. 1689 mit 17 Jahren die Herrschaftübernahm, träumte er von einem mächtigenReich mit starker Wirtschaft und gewalti-ger Kriegsflotte. 1697 reiste eine Gesandt-schaft durch Europa auf der Suche nach Ver-bündeten gegen die Türkei, aber auch nachwissenschaftlichen, technischen und hand-werklichen Fachkräften, die im damals bäu-erlichen Land fehlten. Seit 1698 trieb der Zar

den Bergbau, die Metallindustrie und denFlottenbau voran, um die Landesgrenzen zusichern und zu erweitern. Ein ganzes Aus-bildungssystem wurde aufgebaut: Navigati-ons-, Artillerie-, Ingenieur- und Medizin-schulen, aber auch Schulen zur Ausbildungvon Facharbeitern und Grundschulen. Weildie Bevölkerung keineswegs daran interes-siert war, ihre Kinder ausbilden zu lassen,erzwang Peter I. die berufliche Ausbildungdurch strenge Gesetze.

Die Festlegung „von oben“ und die damitverbundenen ordnungspolitischen Ziele blie-ben über Jahrhunderte ein besonderes Kenn-zeichen der Berufsbildung.

Im Jahr 1868 begründete der Direktor derKaiserlichen Moskauer Technischen Schule,Viktor Karlowitsch Della-Vos, die sogenannte„sequenzielle Methode“:

❑ Die Lehrlinge lernten zuerst, einfacheAufgaben auszuführen und zu beherrschen.❑ Dann wurden die Aufgaben - über ge-nau festgelegte Schritte hinweg - von Malzu Mal schwieriger. ❑ Nachdem dieses Lernmodell 1873 aufder Weltausstellung in Wien präsentiert wur-de, verbreitete es sich in vielen europäischenAusbildungsstätten.

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Die Lehrlinge lebten und arbeiteten in der Fami-lie des Meisters. Sie schliefen in irgendeiner Eckeund halfen von früh bis spät abends in der Werk-statt, wo sie viele schwere Arbeiten und Diensteübernehmen mussten. Im Laufe der Jahre erlernten sie durch Zuschau-en, Anweisungen und Selbermachen ebenfalls diegrundlegenden Fertigkeiten des Berufs - immerunter der strengen Aufsicht der Gesellen und desMeisters. Neben der fachlichen Geschicklichkeitzählten Fleiß und unbedingter Gehorsam und dieUnterordnung unter die Regeln der Zunft zu denTugenden, die sehr oft nicht ohne körperliche Stra-fen vermittelt wurden. Seidenfärberei, Enzyklopädie von Diderot undd'Alembert

Im mittelalterlichen Druckgewerbe war es Brauch,die Lehrlinge am Ende ihrer Lehrzeit einer grau-samen „Postulatsfeier“ zu unterziehen. Indem sieschwere Misshandlungen ertrugen, mussten siebeweisen, dass sie bereit waren, ihre Gesundheitfür die Arbeit zu opfern. Zugleich aber hattensie mit der bestandenen Prüfung als Geselle dasAnrecht auf die Fürsorge des Meisters erworben,auf das Leben in seiner Familie und auf Versor-gung bei Krankheit.

Peter I. schloss sich inkognito seiner Gesandtschaftan, die durch Europa reiste. Viele der Gesand-ten erlernten unterwegs verschiedene Berufe. Pe-ter I. selbst bildete sich in der Schiffsbaukunst theo-retisch-mathematisch und als Zimmermann ineiner niederländischen Werft.

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Divergenzen

Die Unterschiede der Berufsausbildung inEuropa haben mehrere Ursachen, so z. B:

❑ die Beseitigung des Zunftwesens als Fol-ge von politischen Umbrüchen, ❑ das unterschiedliche Tempo der Indus-trialisierung in den einzelnen Ländern,❑ der Einfluss politischer, philosophischer,kultureller und religiöser Strömungen.

Bis zur ersten Hälfte des 20. Jahrhundertshatten sich in Europa drei Grundmuster be-ruflicher Qualifizierung von Jugendlichenherausgebildet.

Die Tabelle spiegelt nicht die ganze heuti-ge Realität. Die Berufsbildungssysteme sindzu vielfältig, zu rasch die ständigen Verän-derungen. Aber vieles, was sich bis damalsin den verschiedenen Ländern entwickel-te, besteht noch oder wirkt heute noch nach.

In England begann im 18. Jahrhundert das,was wir heute die „Industrialisierung“ nen-nen. Dort wurden die Dampfmaschine,die ersten mechanischen Spinnmaschinenund Webstühle erfunden. Überall entstan-den Textilfabriken. Unzählige Menschen zo-gen vom Land in die Städte, um dort Arbeitzu finden. Das führte zu tief greifenden Verän-derungen in der Gesellschaft: Man sprichtvon der „Industriellen Revolution“.

Die Berufsordnung der Zünfte wurde ab-geschafft - und damit auch die festen Lehr-zeiten. Ungelernte, billige Arbeitskräfte be-dienten die Maschinen in den Fabriken.

Über lange Zeit hinweg benötigte die schnellwachsende Industrie kaum qualifizierte

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Auch heute noch gibt es überall in Europa Hun-derte von Lehrgängen, die sich auf die „Sequen-zielle Methode“ stützen. Modelle von Holzverbin-dungen (Clair, 19. Jh.)

Drei „klassische“ Grundmuster der Berufsausbildung Table 1

Liberales Markt-Grundmuster Staatlich reguliertes Grundmuster Dual-korporatives Grundmuster

Ursprung England Ursprung Frankreich Ursprung Deutschland

Wer bestimmt, wie die berufliche Aus-bildung organisiert ist?

Wo findet die Ausbildung statt?

Wer legt die Inhalte der Ausbildung fest?

Wer bezahlt die Berufsausbildung?

Welche Abschlüsse gibt es am Ende derAusbildung, und welche Möglichkeiteneröffnen diese?

Das wird „auf dem Markt“ ausgehandeltzwischen Vertretungen der Arbeitneh-mer, der Arbeitgeber und denen, dieberufliche Ausbildung betreiben.

Es gibt viele Möglichkeiten: in Schulen,in Firmen, in Schule und Firma, durchelektronisches Lernen usw.

Der Markt oder auch die einzelnenUnternehmen - je nachdem, was geradegebraucht wird.Es gibt keine festgelegten Inhalte.

Im Allgemeinen zahlen die, die ausge-bildet werden wollen, selbst für ihreAusbildung. Manche Unternehmenfinanzieren auch bestimmte Kurse, diesie selbst anbieten.

Es gibt keine Überwachung der Ausbil-dung und keine allgemein anerkanntenAbschlussprüfungen.

Der Staat

In besonderen staatlichen, gewerblich-technischen und kaufmännischen Fach-schulen.

Der Staat (gemeinsam mit den Sozial-partnern). Er strebt dabei nicht in ersterLinie die direkte Anwendung in denUnternehmen an, sondern setzt auf all-gemeinere, auch theoretische Qualifizie-rung.

Der Staat erhebt von den Betrieben eineAbgabe und finanziert die Ausbildung,aber jedes Jahr nur für eine bestimmteAnzahl von Bewerbern.

Es gibt staatliche Zertifikate, die dieBesten auch dazu berechtigen, weiter-führende Schulen zu besuchen.

Staatlich regulierte, nach Berufsständengegliederte Kammern

In den Betrieben und in den Berufs-schulen im festgelegten Wechsel („dua-les“ Modell)

Unternehmer, Gewerkschaften und Staatentscheiden gemeinsam.

Die Unternehmen finanzieren die Aus-bildung im Betrieb und können dassteuerlich absetzen. Sie zahlen den Aus-zubildenden ein vertraglich festgelegtesEntgelt. Die Berufsschulen sind staatlichfinanziert.

Die Abschlüsse sind allgemein alsZugangsberechtigung in den „Beruf“anerkannt. Sie ermöglichen auch, wei-terführende Schulen zu besuchen.

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Arbeitskräfte. Deshalb wurden die Jugend-lichen auch nicht ausgebildet. Zwei Denk-weisen, der „Liberalismus“ und der „Puri-tanismus“, bestimmten damals die Lebens-und Arbeitswelt. Sie wirken auch heute nochnach auf die berufliche Bildung im „libera-len Marktmodell“:

Vertretungen der Arbeitnehmer, der Arbeit-geber und derer, die berufliche Ausbildungbetreiben, handeln „auf dem Markt“ aus,welche Ausbildung gebraucht wird.

Der „Liberalismus“, die Freiheit von staat-licher Einmischung - auch von staatlichemSchutz -, macht jeden einzelnen Menschenfür sein eigenes Schicksal verantwortlich.Das „freie Spiel der Kräfte“ soll dem Woh-le der Nation und der Unternehmen die-nen. Der „Puritanismus“, eine strenge pro-

testantische Sittenlehre, fordert aufop-fernden Fleiß. Wohlstand gilt als Ergebnisdes Fleißes.

Seit 1901 besteht bis zum vollendeten 15.Lebensjahr Teilzeitschulpflicht. Der Unter-richt vermittelte vor allem die „sittlichen“Grundlagen für die Arbeit. Seitdem gibt esviele Formen der beruflichen Bildung ne-beneinander: in Schulen, in Firmen, in bei-den zugleich, durch elektronisches Lernenund auch staatliche Bemühungen, „Moder-ne Lehrlingsausbildung“ einzuführen.

Frankreich nahm im 18. Jahrhundert dieführende Rolle in den Naturwissenschaf-ten ein. Mit seinen Großen Schulen wie der„École Polytechnique“ galt es in Europa alsVorbild für technische Erziehung. Den Höhe-punkt seiner Industrialisierung hingegen er-reichte Frankreich erst gegen Ende des 19.Jahrhunderts. Handwerkslehre und Zunft-wesen waren im Zuge der Französischen Re-volution 1791 abgeschafft worden, und dasProblem der Ausbildung von qualifiziertenArbeitskräften blieb lange Zeit ungelöst.

Unter dem Einfluss der Aufklärung, die aufHumanität und Wissenschaft setzte, wurdeerstmals die Bedeutung einer planmäßigen(schulischen) Erziehung erkannt, für die Ein-zelnen und für die Gesellschaft.

Aus Schulen, einst für Militärwaisen ge-schaffen, wurden die „Écoles des Arts etMétiers“, statt der Schmiede und Sattler fürsMilitär wurden nun Gießer, Dreher und Tisch-ler für die Staatsfabriken geschult. Ansons-ten glich die berufliche Ausbildung der inanderen Ländern: Abendkurse, städtischeoder industrielle Schulen, aber längst nichtfür alle Jugendlichen.

1871, als die Republik errichtet war, trat einWandel ein:

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Nicht nur in England gehörte Kinderarbeit- sogarbis zum Anfang des 20. Jahrhunderts - zum trau-rigen Fabrikalltag. Kinder waren die billigsten Ar-beitskräfte und wurden vor allem für Tätigkei-ten unter und zwischen den eng gestellten Ma-schinen eingesetzt.

Seit 1901 besteht bis zum vollendeten 15. Lebens-jahr Teilzeitschulpflicht. Der Unterricht vermittel-te vor allem die „sittlichen“ Grundlagen für dieArbeit. Seitdem gibt es viele Formen der berufli-chen Bildung nebeneinander: in Schulen, in Fir-men, in beiden zugleich, durch elektronisches Ler-nen und auch staatliche Bemühungen, „moder-ne Lehrlingsausbildung“ einzuführen.

In den „Écoles des Arts et Métiers“, um 1900 wa-ren es sechs, fand der praktische Unterricht in Lehr-werkstätten, der theoretische in den Klassenzim-mern statt.

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❑ Durch die allgemeine Schulpflicht soll-ten die Kinder - statt wie bisher im katho-lischen Geist - im republikanischen erzo-gen werden. ❑ Die 13-Jährigen sollten am Ende derPflichtschulzeit „von der Straße geholt“, anArbeit gewöhnt werden. ❑ Vor allem für die modernen BereicheMechanik und Elektrik sollten qualifizierteArbeitskräfte herangebildet werden, um diewirtschaftliche und militärische Macht desLandes auszubauen.

Zwei Typen von öffentlichen Schulen wur-den eingeführt zur Ausbildung hochqualifi-zierter Facharbeiter und zur Ausbildung vonArbeitern und Angestellten. Bis heute steu-ert der französische Staat die berufliche Aus-bildung.

In Deutschland begann die Mechanisie-rung in der Textilherstellung erst gegen Mit-te des 19. Jahrhunderts. Dann allerdings ent-wickelten sich die Textilindustrie, die Eisen-und Stahlindustrien sowie der Bergbau mitgroßer Geschwindigkeit. Ende des 19. Jahr-hunderts gewannen Elektro-, Chemie- undAutoindustrie an Bedeutung.

Als um 1811 die Verbreitung der Gewerbe-freiheit begann und die Zünfte aufgelöstwurden, war das in Deutschland nicht vonDauer. Die traditionelle handwerkliche Aus-bildung wurde 1897 gesetzlich wieder ein-geführt.

Mindestens zwei Gründe spielten dabei ei-ne Rolle:

❑ Im scharfen internationalen Wettbewerbwuchs der Bedarf an qualifizierten Arbeits-kräften für Industrie und Verwaltung ständig.❑ Weil die Arbeiterbewegung immer stär-ker wurde, sollte der Nachwuchs in das kon-

servative Regierungslager eingebunden wer-den, und die traditionelle Lebens- und Ar-beitswelt des Handwerks galt als gute Vor-aussetzung für die soziale und politische In-tegration der Lehrlinge.

Im Laufe des 19. Jahrhunderts besuchtenLehrlinge abends oder sonntags oft eine„Fortbildungsschule“, in denen der Grund-schulstoff wiederholt und theoretische Kennt-nisse zum Beruf vermittelt wurden.

Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Fort-bildungsschule zur „Berufsschule“, die ne-ben der fachlichen Ausbildung auch staats-bürgerliche Erziehung vermittelt. Eine ver-gleichbare Entwicklung gab es in Österreich,dessen Berufsbildungssystem dem deutschensehr ähnelt.

Bis heute gehört beides zu einer Lehre: dasLernen im Betrieb und in der Berufsschule.Daher spricht man vom „Dualen Ausbil-dungssystem“.

Die Niederlande fingen nach 1860 allmählichan, eine Industrie aufzubauen. Dazu gehör-ten Eisengießereien, Maschinenfabriken,

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Um die Gesundheit der Lehrlinge zu fördern undum ihre Bindung untereinander und an das Un-ternehmen zu stärken, führten viele Firmen sport-liche Programme ein. („Fitness“ bei der FirmaAEG, 1927)

Die „modernen“ Industriebranchen übernahmendie Form des klassischen handwerklichen Lehrver-hältnisses, schlossen Lehrverträge mit den Jugend-lichen ab und bildeten sie zu „Facharbeitern“ aus.Große Firmen richteten eigene Lehrwerkstätten wiediese ein (Abteilung Fräserei der Firma Borsig). Foto: Deutsches Technikmuseum Berlin

Heute besucht 1 Million junger Leute beruflicheund technische Oberschulen, genauso viele sindes in den Gymnasien. Etwa 300 000 werden alsLehrlinge in Unternehmen ausgebildet.

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Schiffswerften, aber auch viele Bereiche derNahrungsmittelproduktion.

Unter dem Einfluss der „Besetzung“ durchFrankreich wurden 1806 die Zünfte endgültigzerschlagen. Zunächst kamen die benötig-ten Fachkräfte aus dem Ausland oder wur-den in einigen Schulen herangebildet.

Als die aufblühende Industrie nach 1860jedoch viele qualifizierte Arbeitskräfte brauch-te, wurden überall berufliche Vollzeitschu-len gegründet, handwerkliche und gewerb-lich-technische.

Nach und nach übernahm der Staat die Finan-zierung dieser - zunächst oft privaten - „am-bachtscholen“, der Gewerbeschulen, die bisweit ins 20. Jahrhundert hinein erfolgreichwaren.

Ein weiterer Schultyp, die „Burgeravond-scholen“, sollte ursprünglich abends nachder Arbeit die Allgemeinbildung der Grund-schule ergänzen. Doch sehr bald orien-tierten sich diese Schulen an fachlichen undberuflichen Anforderungen.

In Handwerk und Kleingewerbe spielte dasLehrlingswesen eine gewisse Rolle. Die „dua-le“ Ausbildung in Betrieb und Schule ver-breitete sich zwar nach dem Zweiten Welt-krieg, bekam aber bis heute nicht die Be-

deutung, die „vollzeitschulische“ Ausbildungimmer noch hat.

Finnland, das über Jahrhunderte von Schwe-den, dann von Russland beherrscht wurde,legte das Hauptgewicht seiner Industriali-sierung auf die Herstellung und Weiter-verarbeitung von land- und forstwirtschaft-lichen Produkten und der dazu notwendi-gen Maschinen und Werkzeuge.

1809 wurde Finnland zu einem autonomenGroßfürstentum im russischen Zarenreich.Die Gesellschaft begann, sich neu zu orga-nisieren, grundlegende Formen für Politik,Wirtschaft und Ausbildung aufzubauen.Zunächst galt das Interesse der Ausbildungder Landbevölkerung, die für effizienteresArbeiten in der Landwirtschaft ausgebildetwerden sollte: durch wandernde Berater undspezialisierte Schulen. Über lange Zeit lagdie Verantwortung für den industriellen Auf-bau und die berufliche Bildung in einer Hand:eine der ersten nationalen Behörden zur För-derung der Produktion richtete um 1840 auchdie ersten Handwerks- und Gewerbeschu-len ein.

Auch unter dem einmütigen Wunsch, sichdem russischen Einfluss zu entziehen, gabes seit 1890 erneute große Anstrengungenzum Ausbau von Industrie und von Schu-

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Der Unterricht in der „ambachtschool“ bot eine ech-te Alternative zur beruflichen Lehre und zielte - inPraxis und Theorie - ausschließlich auf die Qualifi-zierung für den Beruf.

Interessant ist, dass über lange Zeit das finnischeWort für Beschäftigung, „elatuskeino“, so viel be-deutete wie Lebendigkeit. Das drückt aus, dass al-le Tätigkeiten als notwendig für ein unabhängi-ges Leben angesehen wurden.

Interessant ist, dass der kaufmännische Unterrichtin den Handelsschulen nicht zur beruflichen, son-dern - typisch für einen Handelsstaat - zur Allge-meinbildung gerechnet wurde.

Obgleich es politische Bestrebungen gab, die be-rufliche Ausbildung als Lehre im Betrieb zu ge-stalten, ist die Anzahl der Lehrlinge gering. Diemeisten erlernen ihren Beruf heute durch schuli-sche Ausbildung.

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len. So entstanden staatliche Vollzeitberufs-schulen für Mädchen und Jungen; sie soll-ten neben fachlichem Wissen auch staats-bürgerliche Kenntnisse vermitteln.

Einheit in der Vielfalt

Ist die Schweiz ein Vorbild für Europa? Die-ses Bundesland, dessen Menschen vier Kul-turkreisen angehören - dem deutschen undfranzösischen, dem italienischen und rätoro-manischen - , lässt vier offizielle Landes-sprachen gelten. Diese Vielfalt hat sich auchauf die berufliche Bildung übertragen.

Zünfte im Mittelalter, Uhren- und Textilin-dustrie schon im 18., Maschinenindustrie imfrühen 19. Jahrhundert und viele andere Wirt-schaftszweige seitdem: Die Wirtschaft blühtschon lange in der Schweiz.

Und die berufliche Bildung? Erst spät be-gann der Staat, sich einzuschalten. 1884 leg-te ein Bundesbeschluss die Subventionie-rung beruflicher Bildungsanstalten fest.

Wie unterscheidet sich die berufliche Bil-dung heute von der in anderen europäischenLändern?

Obgleich die Gesetzgebung zur beruflichenBildung für den ganzen Staat verbindlich ist,räumt sie den einzelnen Kantonen Spiel-räume ein.

Wie in allen anderen Ländern sind die Tra-ditionen der beruflichen Ausbildung auch inden Kantonen tief verwurzelt und widerset-zen sich umwälzenden Veränderungen.

Doch gute Ideen, Versuche und Verbesse-rungen in den Kantonen werden oft zubehutsamen Reformen im ganzen Land.

So schließen Tradition und Erneuerung inder beruflichen Bildung sich nicht mehr aus.Ein Beispiel für Europa.

„Angemessene“ Fähigkeiten

Eingangsprüfungen finden heute fast über-all statt. Ob vor der Aufnahme in eine Schu-le, eine Berufsausbildung oder eine Firma -Für viele Tätigkeiten gibt es ein Verfahren,das die Eignung der Bewerber und Bewer-berinnen prüfen und messen soll.

Wer misst was und warum? Eine interes-sante Frage!

Die ersten Messverfahren zur beruflichenEignung entwickelten deutsche Psycholo-gen im Ersten Weltkrieg. Mit ihrer Hilfe soll-te herausgefunden werden, welche Anwär-

Nach 1884 entstanden öffentliche Lehrwerkstät-ten, bzw. Vollzeitschulen wie in Frankreich. Aberauch die Ausbildung an zwei Lernorten, im Be-trieb und in der Berufsschule wurde eingerichtet- ein „duales System“, ähnlich wie in Deutschlandund Österreich.

Den Lernorten, Betrieb und Berufsschule, im dua-len System ist ein dritter hinzugefügt worden: Die-ser „dritte Lernort“ soll Verbindungen herstellenzwischen dem Lernen am Arbeitsplatz und demin der Schule. So sollen z.B. Einführungskurse er-möglichen, Verschiedenes auszuprobieren, Fehlerzu machen und daraus zu lernen, Schwieriges inRuhe einzuüben.

Optometer zur Prüfung von Sehschärfe und Au-genmaß.Sehr bald ließ auch die Industrie Verfahren erar-beiten, um angehende Lehrlinge nach Eigenschaftenauszusuchen, die dem Unternehmen wichtig wa-ren: geistige Fähigkeiten, Reaktionsvermögen, Ge-schicklichkeit, Kraft, Sehschärfe, Augenmaß undvieles mehr.

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ter unter Kriegsbedingungen fähig waren,Kraftwagen zu fahren.

Diese Auslese diente eindeutig der Kaiser-lichen Armee. Aber half sie den Ausgewähltenoder den Zurückgewiesenen?

Nach dem Krieg nutzten die sozialdemo-kratische Regierung und die Gewerkschaf-ten die sogenannten Psychotechniken auchin anderen Bereichen: Jugendliche solltennach ihren Fähigkeiten und nicht nach ih-rer Herkunft einen Beruf erlernen können.Zudem sollten solche Eignungstests, z. B.bei der Eisenbahn, Gefahren für die Allge-meinheit vermindern.

Andere Länder, besonders Frankreich, über-nahmen viele dieser Psychotechniken undentwickelten neue. Die internationale Ver-einigung für Psychotechniken wurde ge-gründet.

Heute dienen Eignungstests immer mehrdem Ziel, die Stärken eines Menschen her-auszufinden und ihn in seiner Entwick-

lung zu fördern - gleichermaßen zum Woh-le der getesteten Person wie zum Wohle desUnternehmens.

Konvergenzen

Europa und die berufliche Bildung -ein Thema seit über 50 Jahren Obgleich in diesem Vertrag noch nichts vonberuflicher Bildung stand, wurde damals einGrundstein für spätere gemeinschaftlicheAktivitäten auch auf diesem Gebiet gelegt.

1953 wurden im ersten Bericht des Regie-rungsorgans der EGKS, der „Hohen Behör-de“, wirtschaftliche Gründe für ein gemein-sames Handeln genannt, aber auch soziale;z.B. sollte berufliche Bildung den Arbeits-schutz in den Bergwerken verbessern, in de-nen jährlich Hunderte von Bergleuten ver-unglückten.

Noch 1953 begann man, folgendes Programmumzusetzen: eine Dokumentation aufzubau-en; die für die berufliche Bildung Verant-wortlichen der Mitgliedstaaten regelmäßig zumInformationsaustausch zusammenzuführen;eine „Ständige Kommission zur beruflichen Bil-dung“ einzurichten. Eine wichtige Maßnahmewar die Finanzierung der beruflichen Ausbil-dung von arbeitslosen Bergleuten.

In den Verträgen von Rom wird die Not-wendigkeit der beruflichen Bildung klarerformuliert als im EGKS-Vertrag: Sie wird z.B.als Mittel genannt, um „eine harmonischesoziale Lage mit einer Politik der Vollbe-schäftigung“ zu erreichen. Auch für die freieMobilität der Arbeitskräfte und den Austauschjunger Arbeiter innerhalb der EWG galtgemeinsames Handeln im Bereich der be-ruflichen Bildung als Voraussetzung.

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Die Art der Anforderungen an berufliche Fähig-keiten hat sich geändert: Immer mehr spielen Krea-tivität, Eigenverantwortlichkeit, aber auch dieFähigkeit, sich gut und schnell auf andere ein-zustellen, eine Rolle.Foto: Uwe Völkner

1951 unterzeichneten Vertreter von sechs eu-ropäischen Staaten in Paris den Vertrag, mit demdie Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl,EGKS, gegründet wurde. Von links nach rechts: die Außenminister von Bel-gien, Paul van Zeeland; Luxemburg, Joseph Blech;Italien, Carlo Sforza; Frankreich, Robert Schu-mann; Deutschland, Bundeskanzler Konrad Aden-auer; und den Niederlanden, Dirk Uipko Stikker.Foto: Audiovisuelle Bibliothek der EuropäischenKommission

1957 unterzeichneten die Vertreter der sechs eu-ropäischen Staaten in Rom die Verträge, mit de-nen die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, dieEWG, und Euratom gegründet wurden. Foto: Audiovisuelle Bibliothek der EuropäischenKommission

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Europa und die berufliche Bildung

Gemeinsame Interessen?

Am 12 Mai 1960 beschloss der Ministerrat,die Umsetzung des Programms zur berufli-chen Bildung von 1957 zu beschleunigen.Der Mangel an qualifizierten Arbeitskräf-ten sollte behoben, die hohe Arbeitslosig-keit in einigen Regionen, z.B. in Süditalien,gemildert und die Lebensbedingungen derArbeiter sollten verbessert werden.

Nach Beratungen mit Fachleuten in den Län-dern, mit Vertretungen der Gewerkschaftenund der Arbeitgeber legte die Kommissionein ehrgeiziges Zehn-Punkte-Programm fürgemeinsame Maßnahmen vor. Doch vor al-lem Frankreich und Deutschland widersetztensich dem Plan, Zuständigkeiten im Bereichder beruflichen Bildung an die Gemeinschaftzu übertragen.

Während in den 1960er Jahren politische Wi-

derstände überwogen, setzte 1969 nach demGipfel von Den Haag eine Wende ein: ZurLösung sozialer Fragen sollten auch die So-zialpartner mehr eingebunden und die be-rufliche Bildung sollte gefördert werden.

Die wirtschaftliche Krise nach dem YomKippur-Krieg 1973 verstärkte diese Richtung.

1975 erließ der Ministerrat eine Verordnung,mit der ein europäisches Forschungs- undDokumentationszentrum auf dem Gebiet derBerufsbildung, das CEDEFOP, gegründetwurde.

Das Europäische Zentrum für die För-derung der BerufsbildungDie Idee einer gemeinsamen Berufsbil-dungspolitik in Europa hat sich nur sehrlangsam entwickelt. Sie stieß immer wiederauf heftigen Widerstand der Mitgliedstaaten.Man fürchtete, dass bewährte Ausbildungs-formen verdrängt werden könnten.

Seit 1970 trat ein Wandel ein. Vor allemRegierungen und Gewerkschaften nahmensich der Probleme der Aus- und Weiterbil-dung an. Berufsbildung sollte durch For-schung verbessert werden. In vielen Län-dern entstanden jetzt entsprechende Ein-richtungen.

Auf die Forderungen des Wirtschafts- undSozialausschusses der EG hin beschloss derMinisterrat am 10. Februar 1975 die Errich-tung des Europäischen Zentrums für die För-derung der Berufsbildung - kurz Cedefop- mit Sitz in Berlin (West).

Dem Cedefop wurden insbesondere folgendeAufgaben übertragen:

❑ Entwicklungen, Forschungsarbeiten undStrukturen der Berufsbildung zu dokumen-tieren;

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Der Vertrag, den die sechs Mitgliedstaaten 1965unterzeichneten und der 1967 in Kraft trat, be-gründete die Europäische Gemeinschaft, die EG.Sie fasste die Exekutive der Europäischen Ge-meinschaft für Kohle und Stahl, EGKS, der Eu-ropäischen Wirtschaftsgemeinschaft, EWG, undvon Euratom zusammen. Foto: Audiovisuelle Bi-bliothek der Europäischen Kommission

Die Studentenunruhen der späten sechziger Jah-re hatten deutlich gemacht, in welcher Krise sichdie Bildungssysteme fast aller Länder damals be-fanden.

1972 unterzeichneten Dänemark, das VereinigteKönigreich und Irland die Beitrittserklärung zurEG. (Hier der irische Außenminister Patrick Hil-lary und der Premierminister John Lynch).Griechenland trat der EG 1981 bei, Portugal undSpanien 1986. Finnland, Österreich und Schwe-den folgten 1995. Foto: Audiovisuelle Bibliothek der EuropäischenKommission

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❑ Informationen zu verbreiten;❑ Initiativen zu fördern, die eine konzer-tierte Lösung der Probleme der Berufsbil-dung erleichtern;❑ Treffpunkt der beteiligten Parteien zusein.

Berufsbildungspolitik ist immer auch Ord-nungspolitik. Es geht um Lernen, Qualifi-kationen und Wissen, um wirtschaftliche Lei-stungsfähigkeit, aber auch um gesellschaft-liche Strukturen.

Entscheidend für die Arbeit des Zentrumsist daher seine viertelparitätische Struktur.Der Verwaltungsrat des Cedefop setzt sichzusammen aus Vertretern und Vertreterin-nen der Regierungen, der Arbeitgeber- undder Arbeitnehmerorganisationen aller EU-Mitgliedstaaten sowie der EU-Kommission.

Der Europäische Arbeitgeber- und Indus-trieverband (UNICE) und der EuropäischeGewerkschaftsbund (EGB) entsenden Be-obachter, ebenso die anderen Staaten desEuropäischen Wirtschaftsraumes.

Das Zentrum trägt durch seine technischeund wissenschaftliche Arbeit entscheidenddazu bei, die Berufsbildung in Europa wei-ter zu entwickeln: Von Unterschieden zurGemeinsamkeit.

Europa und die berufliche Bildung Gemeinsame Wege

Seit Mitte der 1980er Jahre wurde die Zu-sammenarbeit in der Berufsbildung immerenger.

Neben einzelnen „Aktionsprogrammen“ wur-den Schritt für Schritt Grundlagen für ge-meinsames politisches Handeln entwickelt.

Beim Europäischen Rat in Lissabon im Jahr2000 befassten sich zum ersten Mal Staats-

und Regierungschefs mit Fragen der Bil-dungspolitik.

„Aktionsprogramme“1986 wurden europäische Aktionsprogram-me eingeführt. Ein Beispiel dafür ist das ge-meinschaftliche Aktionsprogramm „Leonar-do da Vinci“, das zum Innovationslabor imBereich des lebenslangen Lernens wurde.Seit 1995 werden im Rahmen dieses Pro-gramms Projekte gefördert, bei denen Aus-bildungseinrichtungen, Unternehmen, Han-delskammern etc. länderübergreifend zu-sammenarbeiten, um Mobilität und Innova-tion zu fördern und um Menschen bei derVerbesserung ihrer fachlichen Qualifikationlebenslang zu unterstützen.

Die Europäische Stiftung für Berufsbil-dung nahm 1995 ihre Arbeit auf. Die Stif-tung ist eine Agentur der EU und im Dienstvon mehr als 40 Nicht-EU-Staaten tätig, zudenen auch die Beitrittsländer zählen. Auf-gabe der Stiftung ist es, die Reformierungund Modernisierung der Berufsbildungssy-steme in diesen Ländern zu fördern und zuunterstützen. Die Stiftung arbeitet eng mitdem Cedefop zusammen.

Der Europäische Rat von Lissabon März2000In Lissabon wurde das strategische Ziel de-finiert, die Europäische Union bis 2010 zumwettbewerbsfähigsten und dynamischstenwissensbasierten Wirtschaftsraum der Weltzu machen.

Stockholm 2001Der Europäische Rat legte u.a. drei Ziele fest:„Höhere Qualität und verbesserte Wirksam-keit der Systeme der allgemeinen und be-ruflichen Bildung in der Europäischen Uni-

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Berlin als Sitz des Zentrums sollte die Zugehörig-keit des Westteils der Stadt zur EG dokumentieren.Nach dem Fall der Mauer und der Wiederverei-nigung Deutschlands wurde 1993 beschlossen,das Cedefop nach Thessaloniki zu verlegen.

Der Europäische Rat von Lissabon betonte: „DieEntwicklung einer qualitativ hochwertigen be-ruflichen Bildung ist ein wesentlicher und inte-graler Bestandteil dieser Strategie, insbesondere imHinblick auf die Förderung der sozialen Einglie-derung, der Kohäsion, der Mobilität sowie der Be-schäftigungs- und der Wettbewerbsfähigkeit.“ Foto: Audiovisuelle Bibliothek der EuropäischenKommission

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on, leichterer Zugang zu den Systemender allgemeinen und beruflichen Bildungfür alle und Öffnung der Systeme der all-gemeinen und beruflichen Bildung gegenüberder Welt.“

WeichenstellungenDer „Brügge-Kopenhagen-Prozess“ zeigt,dass es gelingen kann, gemeinsame Zielefür ein ausgefülltes und harmonisches Le-ben, sowohl persönlich als auch beruflich,in Europa zu entwickeln und zu verfolgen.

Er wurde benannt nach der „Brügge-Initia-tive“ der Generaldirektoren für Berufsbil-dung (Oktober 2001), die dazu führte, dassdie Bildungsminister von 31 europäischenStaaten (EU-Mitgliedstaaten, Kandidaten-ländern und Länder des Europäischen Wirt-schaftsraumes) im November 2002 die „Ko-penhagener Erklärung über verstärkte eu-ropäische Zusammenarbeit bei der berufli-chen Bildung“ annahmen.

Auch die Sozialpartner nahmen an der Kon-ferenz in Brüssel teil. Dies unterstreicht ihrEngagement und ihre unverzichtbare Rollebeim Ausbau der europäischen Zusam-menarbeit auf dem Gebiet der beruflichenBildung.

„Wirtschaftliche und soziale Entwicklungenin Europa während des vergangenen Jahr-zehnts haben zunehmend den Bedarf an ei-ner europäischen Dimension der allgemei-nen und beruflichen Bildung unterstrichen.Außerdem führt der Übergang zu einem wis-sensbasierten Wirtschaftsraum, der fähig ist,ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum mitmehr und besseren Arbeitsplätzen und größe-

rem, sozialem Zusammenhalt zu erzielen,zu neuen Herausforderungen bei der Ent-wicklung von Humanressourcen.“ Zitiert aus:„Die Kopenhagener Erklärung“

Der Brügge-Kopenhagen-Prozess zielt dar-auf ab, „die freiwillige Zusammenarbeit inder beruflichen Bildung zu verstärken, umgegenseitiges Vertrauen, Transparenz, undAnerkennung von Kompetenzen und Qua-lifikationen zu fördern und dadurch eineGrundlage für zunehmende Mobilität zuschaffen und den Zugang zu lebensbeglei-tendem Lernen zu ermöglichen.“ Zitiert aus:„Die Kopenhagener Erklärung“

Mitgliedstaaten, EWR-Länder, Sozialpartnerund Kommission haben mit der praktischenZusammenarbeit begonnen, die sich auf ei-nige konkrete Ergebnisse konzentriert:

❑ ein einheitlicher Rahmen für die Trans-parenz von Kompetenzen und Qualifika-tionen;❑ ein Kreditpunkteanrechnungs- und -über-tragungssystem für die berufliche Bildung; ❑ gemeinsame Kriterien und Grundsätzefür die Qualität in der beruflichen Bildung;❑ gemeinsame Grundsätze für die Vali-dierung von nicht formalem und informel-lem Lernen;❑ lebenslange Orientierung.

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Seit dem 1. Januar 2000 können die im Auslanderworbenen beruflichen Kompetenzen in einempersönlichen Dokument, dem „Europass Berufs-bildung“, vermerkt werden. Im März 2002 emp-fahl die Kommission auf Ersuchen des Europäi-schen Rats von Lissabon, ein gemeinsames Musterfür Lebensläufe einzuführen. Das neue „europäischeLebenslaufmuster“ unterscheidet sich von den meis-ten anderen Lebenslaufmustern dadurch, dass erdie Bedeutung von nicht formalem und infor-mellem Lernen herausstellt. Foto: Audiovisuelle Bi-bliothek der Europäischen Kommission

Die Zukunft der beruflichen Bildung in Europaist eng verknüpft mit dem Ziel, die Qualität derArbeit zu verbessern, die Beschäftigungsfähigkeitder Menschen, ihre Qualifikation, ihre Leistungs-fähigkeit und ihre Gesundheit zu stärken.

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„Der Übergang von der Schule in die Ar-beitswelt ist in Deutschland und Großbri-tannien ganz unterschiedlich geregelt. In Eu-ropa ist der Kontrast zwischen diesen bei-den Ländern wahrscheinlich am stärkstenausgeprägt, obwohl aus britischer Sicht allekontinentaleuropäischen Länder südlich vonSkandinavien mit verwässerten Versionenoder Varianten des deutschen Systems zu ar-beiten scheinen. Von unserem Standpunktaus hat Deutschland die ausgeprägteste Ver-sion dessen, was wir als typisch kontinenta-les Modell betrachten“. Diese Äußerung desLiverpooler Soziologen Ken Roberts (vgl.Roberts 2000, S. 65f.) trifft zwar nicht denobjektiven Sachverhalt, in ihrer Zuspitzungverdeutlicht sie jedoch unseres Erachtens dieselbst für einen Experten bestehende Schwie-rigkeit, die europäische Berufsbildungs-landschaft in einen überschaubaren Zusam-menhang zu bringen. Wenn dies indes schonim Hinblick auf die immerhin aktuell erfas-sbare Vielfalt der bestehenden Ausbildungs-Systeme gilt, wie viel schwerer muss es dannfallen, die hochkomplexe historische Ent-wicklung dieser Qualifikationssysteme aufeinen intersubjektiv nachprüfbaren gemein-samen Nenner zu bringen, ein Vorhaben, dasdas Europäische Zentrum für die Förderungder Berufsbildung (Cedefop) in seinem Pro-jekt „History of Vocational Education andTraining in Europe in a Comparative Per-spective“ in Aussicht genommen hat (vgl.http:// history.cedefop.eu.int). In welcherWeise könnte man sich der Lösung des Pro-blems nähern?

I.

Das Europäische an Europa, so der Histo-riker Hermann Heimpel, sei darin zu sehen,dass die Geschichte Europas die Geschich-te von Nationen ist. Dieses Verständnis derNationen als Bauelemente der europäischenGeschichte schließt allerdings die Erkennt-nis ein, dass die Nationen sich in ihren sta-dienhaften Entwicklungsprozessen nicht nuraus sich selbst konstituierten, sondern auchaus ihrer „Beziehungshaftigkeit“ im pro-duktiven Zu- und Gegeneinander (vgl. Zer-nack 1994, S. 17). Als beziehungsstiftendzwischen Nationen kommen zahlreiche Fak-toren infrage, so z. B. Grenznachbarschaftoder der Austausch von Waren; als wirklichentscheidend dürften indes spezifische in-ternationale bzw. universalgeschichtlicheTrends wirken. Unter der Perspektive derGenese von Qualifizierungssystemen für diegroße Masse der Erwerbstätigen ist hier oh-ne Frage die Industrielle Revolution bzw.allgemein die Industrialisierung der eu-ropäischen Nationen einzuordnen. Im Zu-ge dieses weltverändernden Prozesses, dernicht nur grundlegende Veränderungen inWirtschaft und Technik, sondern auch inder Struktur der Gesellschaft, in den so-zialen Beziehungen, im Lebensstil, im po-litischen System, in den Siedlungsformenbis hin zum Landschaftsbild bewirkt hat, istauch das System der „Reproduktion des Ar-beitsvermögens“ in allen europäischen Län-dern einer tief greifenden Umgestaltung aus-gesetzt worden.

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Wolf-DietrichGreinertProfessor für

Berufspädagogik ander Technischen

Universität Berlin

Die europäischen Be-rufsausbildungs„syste-me“ - Überlegungenzum theoretischenRahmen der Darstel-lung ihrer historischenEntwicklung

Nur wenige Langzeitstudien un-tersuchen die Entwicklung derBerufsausbildung unter Berück-sichtigung der größeren gesell-schaftlichen Rahmenbedingun-gen. Folglich liegen kaum Er-kenntnisse darüber vor, warumdie Berufsausbildung auch in Län-dern, die eine ähnliche wirt-schaftliche und soziale Entwick-lung erlebten, jeweils ganz un-terschiedlich gestaltet ist. In sei-nen Überlegungen zu einem mög-lichen Theorierahmen für dieAnalyse der historischen Ent-wicklung der europäischen Be-rufsausbildungssysteme entwickeltWolf-Dietrich Greinert einen dreiSchritte umfassenden Ansatz, umdie gemeinsamen Prinzipien derverschiedenen Systeme zu er-fassen. Die Berufsausbildung isterstens eingebettet in die natio-nalen Arbeitskulturen, die im Ar-beitsrecht ihren Ausdruck fin-den. Die Arbeitskulturen bildenzweitens die Grundlage für dieeinzelnen Berufsausbildungssys-teme. Arbeitskulturen und Be-rufsausbildungssysteme wieder-um erzeugen den ideellen Hin-tergrund, der drittens eine be-stimmte didaktische Ausrichtunglegitimiert. Auf der Grundlage ei-ner diachronischen Analyse, diedie Industrielle Revolution zumAusgangspunkt nimmt, werdendrei Grundtypen von Berufsaus-bildungssystemen ermittelt: dasliberal-marktwirtschaftliche Mo-dell in England, das etatistisch-bürokratische Modell in Frank-reich und das dual-korporati-stische Modell in Deutschland.

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Paradoxerweise hat jedoch der Industriali-sierungsprozess in Europa kein einheitlichesBerufsausbildungsmodell hervorgebracht,ganz im Gegenteil: Er hat die in den eu-ropäischen Staaten in etwa gleichartige undüber die Jahrhunderte hinweg bewährtehandwerklich-ständische Berufsausbildungmehr oder weniger radikal aufgelöst und ei-ne Vielzahl von prima vista nicht ohne wei-teres vergleichbaren „modernen“ Ausbil-dungssystemen entstehen lassen. Angesichtsihrer Verschiedenheit empfiehlt es sich in-des, mit dem Begriff „Ausbildungs- bzw. Be-rufsbildungssystem“ vorsichtig umzugehen.Walter Georg hat zu Recht darauf hinge-wiesen, dass im Rahmen der wissenschaft-lichen Systemtheorie von einem „System be-ruflicher Bildung“ nur dann gesprochen wer-den kann, „wenn es sich im Zuge der ge-sellschaftlichen Ausdifferenzierung funkti-onsspezifischer Teilsysteme als selektiverKommunikationszusammenhang verselbst-ständigt und dauerhaft etabliert hat. Dazugehört ein besonderes Maß an selbstrefe-renzieller Geschlossenheit und Abgrenzunggegenüber der innergesellschaftlichen Um-welt“ (Georg 1997, S. 159).

Derartige eigenständige Systeme beruflicherBildung mit dem Merkmal der Selbstbezüg-lichkeit ihrer internen Strukturen und Ver-arbeitungsmechanismen, so Georg, existie-ren unter der Bezeichnung „duales System“ausschließlich im deutschsprachigen Kul-turraum. Sowohl die schulisch basierten Aus-bildungsvarianten anderer Länder wie dieFormen betrieblicher Anlernung und Wei-terbildung sind auf die Logik differieren-der gesellschaftlicher Teilsysteme bezo-gen: im Falle der schulischen Berufsausbil-dung auf die meritokratische Logik des all-gemeinen Bildungssystems, im Falle der be-trieblichen Ausbildung auf die Logik be-trieblicher Produktions- und Arbeitsorgani-sation. Sein Fazit: „Der deutsche Sonderwegder Ausdifferenzierung eines von Schule undBetrieb unabhängigen, selbstreferenziellenBerufsbildungssystems lässt deshalb jedenVersuch des Vergleichs mit anderen ’Syste-men‘ als ethnozentrisches Missverständniserscheinen, weil das Objekt des Vergleichssich in aller Regel nicht finden lässt“ (Georg1997, S. 159).

Das Erklärungsmuster für nationalspezifi-sche Differenzen bei der Erwerbsqualifi-zierung der breiten Masse der Arbeitskräf-te bedarf laut Georg einer Öffnung hin aufdie Konstellationen der jeweiligen kultu-

rellen und funktionalstrukturellen Zusam-menhänge einer Gesellschaft, kurz: auf Kul-tur und Struktur hin. Werte, Normen, Ein-stellungen, Überzeugungen und Ideale ei-ner Gesellschaft beeinflussen die Ausprä-gung von Ausbildungssystemen, Arbeits-organisation und Arbeitsbeziehungen eben-so wie die mehr oder weniger stabilenWechselbeziehungen nationalspezifischerErwerbsqualifizierung mit anderen ge-sellschaftlichen Subsystemen wie dem all-gemeinen Bildungssystem oder den zahl-reichen Regelungsmustern des Beschäfti-gungssystems.

Bei Berücksichtigung der vorgestellten Ein-wände gelangt man zu einer Vergrößerungbzw. Verfeinerung des Maßstabes des in-ternationalen Berufsbildungsvergleichs inder Weise, dass zum einen genau zwischen„Berufsbildungs-Systemen“ und „Berufsbil-dungs-Modellen“ zu unterscheiden ist. DerSystembegriff sollte nur da verwendet wer-den, wo es sich wirklich um ein unabhän-giges, selbstreferenzielles Berufsausbil-dungsmodell handelt. Zum anderen bedarfes einer dem beruflichen Bildungswesenübergeordneten Kategorie, unter deren Per-spektive sich operationalisierbare Struk-turmuster und Wechselbeziehungen zwi-schen den für die Berufsbildung wichtigengesellschaftlichen Subsystemen definierenließen. Wir schlagen dafür den Begriff „Ar-beitskultur“ vor.

II.

Mit dem Begriff „Arbeitskultur“ verbindensich indes eine ganze Reihe von methodi-schen Problemen. Wie lassen sich die in-ternen Zusammenhänge dieser nationalenTeilkulturen angemessen aufschlüsseln? Wel-che Orientierungsprinzipien und Rege-lungsmuster müssen als entscheidend an-gesehen werden? Wie entgeht man schlich-ten idiosynkratischen Deutungs- bzw. Vor-urteilsmustern?

Auf der Suche nach einer begründbaren Ein-grenzungsmöglichkeit dieses hochkomple-xen Gegenstandes sind wir auf eine Studievon B. Bercusson, U. Mückenberger und A.Supiot gestoßen, in der versucht wird, einenmethodischen Zugang zum Vergleich ar-beitsrechtlicher Kulturen zu gewinnen (vgl.Mückenberger 1998). Für Großbritannien,Frankreich und Deutschland wurde anhand

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ausgewählter Felder ein doppelter Prüfschrittunternommen: zum einen, um herauszufin-den, welche handlungs- und entschei-dungsleitenden Bilder sich Juristen in dendrei Ländern von abhängiger Arbeit machen(„Arbeitskultur“ im Rechtsalltag), zum an-deren welche Bilder und Erfahrungen diesozialen Gegenspieler in diesen Ländern von„Recht“ im Allgemeinen und vom „Arbeits-recht“ im Besonderen erlangen („Rechts-kultur“ im Arbeitsalltag).

Als Ergebnis der Studie (Bercusson et al.1992) werden drei paradigmatische Kontextebeschrieben, in die das Arbeitsrecht der dreiLänder eingebettet ist und aus denen daspraktizierte Recht seinen Sinn- und Gestal-tungsgehalt gewinnt (vgl. Mückenberger1998, S. 37f.).

❑ „In Großbritannien wird die Produkti-onsbeziehung als nicht mehr als ein Markt-prozess betrachtet, bei dem sozial gestal-tende Akteure eben die Marktteilnehmersind: Arbeitnehmer und Arbeitgeber und dieKollektivertragsparteien. Entsprechend istdas Bild von Recht eher negativ definiert:durch Abwesenheit, ,absentionism‘, Nicht-Intervention in den Marktprozess. ‚Rule oflaw, not of men‘ gibt dafür ein treffendesRechtsparadigma ab.“

❑ „In Frankreich wird schon die Produkti-onsbeziehung selbst als politisch gestalteteverstanden. Gestaltende Akteure sind derStaat und seine Vollzieher, die inspecteursde travail. Ausdruck findet diese Hervorhe-bung des Politischen in der Anerkennungder ordre public social - einer Gestaltungs-regel, der zufolge der Staat (nicht wie in Eng-land der Markt oder wie in Deutschland dasWechselspiel von Privatautonomie und Rich-terwache) die zentralen Parameter im Ar-beitsleben setzt. Diese republikanische Les-art hat als paradigmatischen Hintergrund diemajesté de la loi als größte Errungenschaftder Grande Révolution.“

❑ „In Deutschland wird die Produktions-beziehung demgegenüber eher als Ge-meinschaft wahrgenommen, die wechsel-seitige Verantwortung und Rücksicht auf dasGanze beinhaltet. Die Regeln dieser sozia-len Gemeinschaft werden wie in Englandselten direkt politisch, sondern eher durchdie sozialen Gegenspieler selbst bestimmt,ergänzt und teilweise korrigiert, aber - ak-tiver gestaltend als in England - durch ei-nen behutsamen fallweisen Anpassungs-

prozess, der in einer Interaktion von Rich-tern und Rechtsgelehrten besteht. Die Para-digmata vom ‚bürgerlichen Rechtsstaat', Pri-vatautonomie und Wächteramt des Richterstaugen hier zur Charakterisierung.“

Auf dem Gebiet der industriellen Bezie-hungen und des Arbeitsrechts lässt sich fürdie drei Staaten also jeweils ein Primat desÖkonomischen (England), des Politischen(Frankreich) und des Sozialen (Deutschland)feststellen. Damit verbunden ist nach Mei-nung der Autoren der beschriebenen Studieauch ein unterschiedlicher Primat von „Si-cherheit“ und „Freiheit“. Soziale Sicherheitwurde in Deutschland früher und vollstän-diger verwirklicht als in Frankreich und Eng-land, allerdings mit Verlust von Freiheit. InFrankreich hat gegenüber der sozialen Si-cherheit der Schutz der politischen Artiku-lation, der Aktion, der Organisierung undder Organisation, ja der Militanz größeresGewicht. Auch in Großbritannien hat Frei-heit Priorität vor Sicherheit, allerdings an-ders als in Frankreich, nämlich im Sinne vonMarktverkehr und collective bargaining. InFrankreich, so die Folgerung in der Studie,ist die Freiheit politisch verortet: Freiheit im(und durch den) Staat, nicht - wie in Eng-land - Freiheit vom Staat (vgl. Mückenber-ger 1998, S. 38).

Nun wird nach diesen Ausführungen schondeutlich, dass auch „Arbeitskultur“ wie Kul-tur im Allgemeinen eher eine „vage Idee ei-nes konsistenten Zusammenhangs“ (Georg1997, S. 161) vermittelt. Die methodischenZugriffsmöglichkeiten auf die nationalspe-zifischen Differenzen sind mit dem vorge-stellten Beispiel sicherlich nicht erschöpft,man kann aus ihm indes schon eine Er-kenntnis ableiten, die kulturalistisch orien-tierte Untersuchungen als allgemeine Ten-denz bestätigen, nämlich die erstaunlicheDauerhaftigkeit von kulturimmanenten Wert-haltungen und Regelwerken sowie natio-nalspezifischer Mentalitäten (vgl. z. B. Hof-stede 1993). Hieraus resultiert bekanntlichdie Schwerfälligkeit der Transformationsozialer Systeme.

Auf unseren Gegenstand der zu identifi-zierenden europäischen Berufsbildungsmo-delle übertragen würde dies bedeuten, dassdiese zwar immer auch eine spezifische Ant-wort auf wechselnde technische, sozio-öko-nomische und politische Problemlagen mar-kieren, dass ihr struktureller Veränderungs-prozess indes einer beträchtlichen traditi-

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onsvermittelten Beharrungstendenz unter-liegt. Tradition und Moderne bilden hierbeiweniger einen Gegensatz, „sie sind vielmehrinsofern identisch, als es sich immer um ei-ne spezifische, also traditionsgebundene Mo-derne handelt“.

III.

Nun wäre es natürlich ohne Weiteres mög-lich, bei der Beschreibung der historischenEntwicklung der Berufsausbildung in Euro-pa die einzelnen Länder isoliert zu betrach-ten und sich nur auf die Sichtung und mög-lichst vollständige Erfassung der entspre-chenden Quellen und deren immanente In-terpretation im Sinne einer ereignisge-schichtlichen Darstellung zu beschränken.Der wissenschaftliche, aber auch der prakti-sche Ertrag eines derartig verkürzten Vorge-hens wäre indes als gering zu veranschla-gen. Es kommt uns - wie schon gesagt - aufdie Explikation des spezifisch Europäischenin dieser Untersuchung an, und das heißt aufdie Aufschlüsselung eines bislang nicht odernur unvollkommen bekannten Diskurses undmöglichen Handlungszusammenhanges dereuropäischen Nationen im Hinblick auf dieNeugestaltung ihrer Berufsausbildung unterdem Einfluss bzw. den Zwängen der durchdie Industrialisierung hervorgerufenen Verän-derungen. Welche spezifischen Prinzipien,Organisationsformen und Lernkonzepte ha-ben sich in diesem Diskurs als richtungs-weisend herausgeschält und sind in natio-nalspezifischen Ausprägungen institutionellverankert worden?

Die berufspädagogisch-historische Forschunghat bislang drei „klassische“, d.h. vorbild-hafte Ausbildungsmodelle identifizieren kön-nen, die sich in Europa als Antwort auf dieErosion des handwerklich-ständischen Be-rufsbildungsmodells im Zuge der ersten Pha-se der Industriellen Revolution herausge-bildet haben (vgl. Greinert 1999):

Es sind dies das liberal-marktwirtschaftlicheModell in England, das etatistisch-bürokra-tische Modell in Frankreich und das dual-korporatistische Modell in Deutschland.

Zwischen den sich im industriekapitalistischbeeinflussten gesellschaftlichen Entwick-lungsprozess herausbildenden funktionalenSubsystemen Arbeit, Kapital und Bildung stelltdas liberale - zuerst in England realisierte -

Modell eine Marktbeziehung her: Die mög-lichst von allen traditionellen Zwängen frei-zusetzenden Akteure in den Bereichen Ar-beit und Kapital unterhalten gleichfalls „freie“Marktbeziehungen zum neuen Subsystem Bil-dung. Dabei gelingt es der Arbeitskraft auf-grund ihrer strukturellen Benachteiligungnicht, sich mithilfe des Subsystems Bildungals „qualifizierter“ Produktionsfaktor im Marktzu platzieren. Dies hat zur Folge, dass sie alsbloßes Arbeitsvermögen verkauft werdenmuss, mit zum Teil verhängnisvollen sozia-len Folgen (z.B. Kinderarbeit).

Das entsprechende „Marktmodell“ der Be-rufsqualifizierung zeigt folgende charakteri-stische Züge:

(1) Die quantitative Relation zwischen Aus-bildungsbedarf und Ausbildungsangebotwird über den Markt geregelt. Auf einem imPrinzip „freien“ - d.h. im Wesentlichen vomStaat nicht geregelten - Ausbildungsmarkttreffen unterschiedliche Anbieter von be-ruflichen Qualifizierungsmaßnahmen undNachfrager solcher Angebote auf freiwilli-ger Basis zusammen.

(2) Die Art der beruflichen Qualifikationen(qualitativer Aspekt) richtet sich letztlich nachden mutmaßlichen Verwendungssituationenauf dem Arbeitsmarkt bzw. ganz konkret inden Betrieben und Verwaltungen. Der zwi-schenbetriebliche Transfer der erworbe-nen Berufsqualifikationen ist (marktabhän-gig) variabel, in der Regel aber gering.

(3) Die Ausbildungspraxis ist nicht beson-ders normiert. Sowohl rein schulische For-men, betriebliche Anlernung, alternieren-de Ausbildung in Schule und Betrieb sowieorganisatorisch wie technologisch elaborierteQualifikationsformen lassen sich vermark-ten (z.B. Fernlehrgänge oder aktuell E-Lear-ning). Allgemein akzeptierte Prüfungen undZertifikate finden sich nur selten.

(4) Die Kosten für die Ausbildung werdenindividuell aufgebracht, in der Regel vonden Ausbildungsnachfragern, nicht seltenaber auch von den Betrieben, wenn sie selbstals Anbieter auftreten. In diesem Falle un-terliegt die - meist auf berufliche Teilquali-fikationen beschränkte - Ausbildung demPrinzip der Kostenminimierung.

(5) In Ländern mit Marktmodellen der Be-rufsqualifizierung wird begrifflich und insti-tutionell scharf zwischen allgemeiner be-

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ruflicher Erziehung (vocational education)und spezieller Berufsausbildung (vocationaltraining) unterschieden. Erstere erfolgt stetsin öffentlichen Schulen, letztere gestaltet sichals freie Übereinkunft der Marktteilnehmer.

Das etatistisch-bürokratische - in Frankreichzuerst konsequent realisierte - Modell stelltmithilfe des neuen Subsystems Bildung einepolitische - machtgestaltete - Beziehung zwi-schen den Bereichen Kapital und Arbeit her:Die strukturell benachteiligte Arbeitskraftwird - aus übergreifenden sozialpolitischenGründen - mithilfe eines von Staat regulier-ten und finanzierten Bildungssektors (derauch die berufliche Ausbildung einschließt !)„qualifiziert“ und tritt (im gleichfalls staatlichreguliertem Rahmen) dem Subsystem Kapi-tal gegenüber. Bei diesem Modell besteht dieGefahr, dass die Institutionen der Berufs-ausbildung zu stark von der Logik des all-gemeinen Bildungssystems bestimmt wer-den und zu einem untergeordneten Teilbe-reich degenerieren.

Das entsprechende „Schulmodell“ der Be-rufsqualifizierung zeigt folgende charakteris-tische Züge:

(1) Die quantitativen Relationen zwischenAusbildungsbedarf und konkret realisierterBerufsausbildung sind über staatliche In-stanzen bzw. die Bürokratie vermittelt. Daeine derartige Bedarfsplanung nicht allzusehr ins Detail gehen darf, funktioniert sieam effektivsten, wenn sie auf der Basis ei-nes begrenzten Kontingentes von Grund-berufen beruht.

(2) Die Art der beruflichen Qualifikationen(qualitativer Aspekt) ist weniger an den un-mittelbaren Verwendungssituationen in denBetrieben orientiert. Abstraktion, Verbali-sierung und Theoretisierung bilden in derRegel die zentralen curricularen Prinzipienberuflicher Schulen. Bei einfachen, durchpragmatische Handlungsmuster geprägte Be-rufe, können diese Prinzipien nicht in wün-schenswerter Weise umgesetzt werden.

(3) Schulische Ausbildungsmodelle sind inder Regel charakterisiert durch eine starkeTypendifferenzierung der einzelnen Bil-dungsgänge. Der Zugang zu den nach Qua-lifikationsanspruch und Abschlusszertifikatstreng abgestuften Schultypen erfolgt meistüber die unterschiedlichen Abschlüsse all-gemeiner Schulen oder über besondere Zu-gangsprüfungen.

(4) Die schulische Berufsausbildung wirdaus öffentlichen Haushalten finanziert. De-ren prinzipielle Begrenztheit erlaubt in derRegel keinen flächendeckenden Ausbauvon beruflichen Schulen für die Gesamt-heit eines Altersjahrganges. Auch unter die-ser Perspektive verkörpern schulische Be-rufsbildungsmodelle daher meist Elitesys-teme, die vor allem auf die Vermittlung ge-hobener Berufsqualifikationen spezialisiertsind.

(5) Schulische Berufsbildungsmodelle un-terliegen fast zwangsläufig dem sog. „Roll-treppeneffekt“, d. h., ihre Bildungsgängehaben die Tendenz , sich zumindest mit-telfristig auf der qualifikatorischen Stufen-leiter stetig nach oben zu bewegen. Es müs-sen folglich auf der untersten Qualifizie-rungsebene immer wieder neue Ausbil-dungsgänge bzw. -institutionen „nachge-schoben“ werden. Die berufliche Breiten-ausbildung befindet sich daher fast per-manent in der Krise.

Das dual-korporatistische - ausschließlichim deutschen Kulturraum realisierte - Mo-dell stellt über ein neues selbstständigesSubsystem „Berufsbildung“ eine vermit-telnde Beziehung zwischen den BereichenArbeit, Kapital und Staat her. Durch dieEinschaltung gesetzlich wiederbelebter tra-ditionell „intermediärer“ Institutionen (demöffentlich-rechtlichen Kammersystem), dieim staatlichen Auftrag die Qualifizierungder Arbeitskraft verwalten und kontrollie-ren, gelingt es zumindest tendenziell Staats-wie Marktversagen in einem wichtigen öf-fentlichen Konfliktfeld zu begrenzen. Dieoffensichtliche organisatorische wie recht-liche Abkoppelung des Systems „Berufs-bildung“ insbesondere vom System der„höheren Bildung“ (Gymnasium, Univer-sität) schafft jedoch erhebliche Folgepro-bleme.

Das entsprechende „duale System“ der Be-rufsausbildung zeigt folgende charakteristi-sche Züge:

(1) Duale Berufsausbildungssysteme bildenein vom allgemeinen Bildungswesen weitgehend isolierten Qualifikationssektor miteigenständiger Organisationsstruktur und ei-nem eigenen Ausbildungsrecht. Grund dafürist ihr zum Großteil privater Charakter. Ihrdoppeltes Regelungsmuster Markt und Büro-kratie bedarf komplizierter Abstimmungs-verfahren.

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(2) Der Betrieb ist der bestimmende Lern-ort in diesem „kooperativen“ System. Die Ju-gendlichen schließen mit dem Betrieb einenprivaten Ausbildungsvertrag als Arbeitneh-mer in der besonderen Rolle eines Auszu-bildenden. Im parallel zu besuchenden Lern-ort Berufsschule sind sie rechtlich Schülerund unterliegen den Bestimmungen des all-gemeinen Bildungswesens.

(3) Die Berufsbilder und Ausbildungsord-nungen werden in einem geregelten Ver-fahren von Arbeitgebern, Gewerkschaftensowie staatlichen Instanzen einvernehmlichfestgelegt und durch staatlichen Rechtsaktlegitimiert.

(4) Die Kosten für die Ausbildung werdenin der Regel einzelbetrieblich aufgebrachtund können als Betriebskosten steuerlichgeltend gemacht werden. Die Auszubilden-den erhalten vom Betrieb eine sog. „Aus-bildungsvergütung“, die tariflich ausgehan-delt wird. Die Kosten für die Berufsschuleträgt die öffentliche Hand.

(5) Duale Berufsausbildungssysteme habeneinen traditionellen, handwerklichen Hin-tergrund. Drei Traditionsbestände haben sichbis heute erhalten: das Prinzip der Beruf-lichkeit der Ausbildung, das Prinzip derSelbstverwaltung, was zumindest für denzentralen betrieblichen Ausbildungsteil gilt,und das Prinzip des Lernens am Arbeitsplatz.

Diese drei Berufsbildungsmodelle markie-ren u. E. die neuen Prototypen, die sich ausdem Suchprozess der europäischen Natio-nen nach den Möglichkeiten der Neu- bzw.Umgestaltung ihrer beruflichen Breiten-ausbildung unter dem Einfluss der Indu-strialisierung herausgebildet haben (vgl. Grei-nert 1999). Nach unserer Einschätzung gibtes kein weiteres Modell der europäischenOrientierung in diesem Prozess: Bei allenübrigen Berufsausbildungsmodellen in Eu-ropa, die in den verschiedenen Staaten imLaufe des 19. und 20. Jahrhunderts entstan-den sind, handelt es sich u. E. um Variantenund/oder Kombinationen dieser drei Proto-typen bzw. Grundmuster.

IV.

Die europäische Dimension konzeptionel-ler Reflexion bei der Herausbildung dieserspezifischen Grundformen der Berufsaus-

bildung im Industriezeitalter erschließt sich,wenn man versucht, die in Abschnitt II. undIII. skizzierten Erkenntnisse auf ihren ideel-len Hintergrund zu befragen. Man ist fastgeneigt, sich dabei an dem für das abend-ländische Denken charakteristischen dia-lektischen Dreischritt zu orientieren; dennes lassen sich fast mühelos drei miteinan-der in spezifischer Beziehung stehende Ge-dankenkreise bei unserem Suchprozessidentifizieren: „Tradition“ (bzw. das Beruf-sprinzip) - „Rationalismus“ (bzw. das Wis-senschaftsprinzip) - „Liberalismus“ (bzw.das Marktprinzip).

Den ideellen Hintergrund der drei Berufs-bildungsmodelle bilden also drei zentraleLegitimationsprinzipien europäischen Den-kens, die sich nicht nur auf die Regulati-onsebene der Berufsbildungsmodelle be-ziehen, sondern gleichfalls die Operations-ebene strukturieren, d.h. die eigentliche be-rufspädagogische Handlungsebene der spe-zifischen Lernformen. Damit nähern wir unsden drei Idealtypen von „Qualifizierungs-stilen“ an, die Thomas Deißinger entworfenhat (vgl. Deißinger 1998), allerdings erge-ben sich einige nicht unerhebliche Diffe-renzen.

Unsere Typologie der Legitimationsmustereuropäischer Berufsausbildungsmodelle de-finieren wir wie folgt:

(1) Berufsorientierung: In moderner - nach-aufklärerischer - Fassung stützt sich diesesLegitimationsmuster vorzugsweise auf dieTradition, d. h. einerseits auf eine in Euro-pa seit dem Mittelalter real bestehende Be-rufsordnung, andererseits auf den Beruf alsbewährte Kategorie der Differenzierung vonOrganisationsformen des Arbeitsvermögens.Berufe werden unter dieser Perspektive ver-standen als spezifische Kombinationen derElemente Arbeit, Qualifikation und Erwerb.Ihre zu vermittelnden Handlungsmuster sindbestimmt durch Überlieferung und sozialeÜbereinkunft.

Die Kernelemente sind in den einzelnen Be-rufen zu je typischen Tauschmustern ge-bündelt. Als standardisiertes gesellschaftli-ches Tauschmuster bildet der Beruf einer-seits das zentrale Vermittlungsglied sozialerBeziehungen, die durch ihren „Rollencha-rakter“ bestimmt sind. Andererseits sind Be-rufe die primäre Quelle des Selbstgefühls,d.h. des Bildes, das Individuen von sich selbsthaben und mittels dem sie sich ihrer Um-

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welt präsentieren. Daran hat sich in den eu-ropäischen Ländern grundsätzlich bis heu-te nichts geändert.

Mittels der Kategorie „Beruf“ entwickelt einQualifizierungsmodell die Fähigkeit, öko-nomische, soziale und pädagogische Gege-benheiten bzw. Probleme in eine systemei-gene Logik zu übersetzen und produktiv zubearbeiten. Dieses von der modernen Sy-stemtheorie als „Selbstreferenz“ bezeichne-te Vermögen kann zur Ausprägung einesselbstständigen Ausbildungssystems führen.

(2) Wissenschaftsorientierung: Dieses Legi-timationsmuster stützt sich auf die Überzeu-gung, dass das organisierende didaktischePrinzip für die Berufsqualifizierung vonder Rationalität der Wissenschaften zu be-anspruchen sei. Nicht mehr durch die nachträg-liche Applikation wissenschaftlicher Er-kenntnisse an die traditionsgebundenen Er-fahrungsregeln der einzelnen Gewerbe undBerufe soll die praktische Verfügbarkeit überdie materielle Welt hergestellt werden, son-dern durch die Unterwerfung jeglicher Pra-xis unter das wissenschaftliche Kalkül undExperiment.

Die Idee der Berufsqualifizierung durch Wis-senschaft ist ein unmittelbares Produkt derAufklärung und verkörpert somit die ei-gentliche Dimension der Moderne, nämlichden Anspruch der - vor allem technischen- Weltbeherrschung durch Wissenschaft, ins-besondere durch Mathematik und exakteNaturwissenschaften. Ausgehend von der1795 erfolgten Gründung einer École po-lytechnique in Paris als zentraler Institutionder technischen Grundausbildung für Inge-nieure entfaltete das didaktische Prinzip derBerufsausbildung durch wissenschaftlicheFachbildung als normsetzende Kategorie füralle Ebenen der beruflichen Qualifizierungseine Wirkung.

Strikt wissenschaftsorientierte Berufsbil-dungsmodelle entwickeln ihre größte Wirk-samkeit bei so genannten „höheren“, theo-rieorientierten, d. h. vor allem akademischenBerufen. Die notwendige Integration von in-tellektueller Qualifizierung und der Aneig-nung der entsprechenden beruflichen Hand-lungsmuster ist indes bis heute ein Problemgeblieben.

(3) Marktorientierung: Dieses Legitimati-onsmuster stützt sich auf die Lehren bzw.Prinzipien des Wirtschaftsliberalismus und

der klassischen Nationalökonomie. Derenzentrales Postulat ist in der Grundannahmezu sehen, dass die Menschen in der Lagesind, ihr gesellschaftliches Zusammenleben- und vor allem ihr Erwerbsleben - aufgrundeigener vernunftorientierter Einsicht in effi-zienter Weise zu organisieren.

Neben dem Prinzip konsequent dezentralerWirtschaftsordnung, Privateigentum, freiemWettbewerb, freier Berufs- und Arbeits-platzwahl, dem Leistungsprinzip etc. beharrtder Wirtschaftsliberalismus vor allem auf derAblehnung jeden Staatseingriffes in die au-tonomen Individuen überantwortete Öko-nomie und fordert die Beschränkung staat-licher Politik auf die Befriedigung wenigerkollektiver Grundbedürfnisse. Diese Forde-rung schließt insbesondere die Vermeidungvon Zwangsverhältnissen ein (gesetzlich fest-gelegten „Pflichten“). Die strikte Beachtungder Eigenverantwortung des Individuums istindes nicht nur als ein Element der Frei-heit zu interpretieren, sie erfüllt nach libe-raler Ansicht auch vorzüglich die Funktioneines sozialen Anpassungsmechanismus.

In marktorientierten Qualifizierungssyste-men werden ausschließlich marktgängigeQualifikationen vermittelt, d. h. in der Re-gel betriebsspezifisch-funktionale Kenntnis-se, Fertigkeiten und Einstellungen, die sichkonkret auf spezielle Arbeitsplätze bezie-hen. Es besteht für Jugendliche nach Ableis-tung der allgemeinen Schulpflicht keine Ver-pflichtung, sich einer besonderen Erwerb-squalifizierung zu unterziehen. Die Einglie-derung in das System gesellschaftlicher Ar-beit wird in erster Linie dem Druck des Mark-tes überlassen.

Bei den drei skizzierten Legitimationsmu-stern moderner beruflicher Ausbildungsge-staltung in Europa handelt es sich um zen-trale Ideen, die seit der Aufklärung als neueOrdnungsprinzipien menschlichen Zusam-menlebens und moderner Weltdeutung gel-ten können. Allerdings mögen im Falle derTraditionsorientierung massive Zweifel be-stehen - u. E. ganz zu Unrecht. Im berühm-testen Erziehungsroman der Neuzeit, in Jean-Jaques Rousseaus „Emile“ (1762), wird natür-lich auch das Problem religiöser Orientie-rung behandelt. Angesichts der auf-klärungsphilosophischen Relativierung allerKonfessionen gab es eigentlich für Rousseaukeinen rationalen Grund mehr für eine Wahl:Alle Offenbarungsreligionen mussten alsgleich gute Option erscheinen. Doch Rous-

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seau empfiehlt überraschenderweise seinemeducandus, am „Glauben der Väter“ fest-zuhalten und legitimiert dies mit der Tradi-tion, eine Position, die, kritisch betrachtet,über die Aufklärung hinausweist. Der Be-rufspädagoge Herwig Blankertz kommen-tiert dies folgendermaßen: „Tradition ist dasArsenal der Werte, die wir uns nicht deshalbaneignen, weil Vernunft uns dazu nötigt,sondern weil wir kraft der Überlieferung vor-ausgegangener Generationen daran glauben(...) Rousseaus Pädagogik verzichtete auf ei-ne Überanstrengung der Vernunft, fügte viel-mehr dem rationalen System seiner natür-lichen Erziehung als letzte Auskunft fürdie Legitimation menschlicher Normorien-tierung die Kraft der Tradition hinzu“ (Blan-kertz 1982, S. 78f.).

Berufs-, Wissenschafts- und Marktorientie-rung - so unsere These - sind als didakti-sche Orientierungsmuster in allen europäi-schen Berufsausbildungsmodellen auszu-machen, auch in denen, wo ein spezifischesStruktur- bzw. Regelungsmuster den Primatzu beanspruchen scheint. Im deutschen Sys-tem gelten neben dem Berufsprinzip auf deroperationalen Ebene gleichfalls die Markto-rientierung (z. B. bei der „beruflichen“ Wei-terbildung) und die Wissenschaftsorientie-rung (praktisch in allen beruflichen Schu-len). Das französische Ausbildungsmodellkennt neben der Wissenschaftsorientierunggleichfalls die Berufs- und die Marktorien-tierung, und selbst das offensichtlich so mark-torientierte englische Ausbildungsmodell ori-entiert sich auch an „occupations“ und inden Institutionen der „further education“ ander Systematik beruflicher Fachwissenschaften.

Versucht man das Profil der europäischenOption in der Konfrontation mit einem Al-ternativmodell der Erwerbsqualifizierung zuschärfen, so bietet sich das Qualifizierungs-muster in Japan, insbesondere das der ja-panischen Großindustrie an. Hier findet mandas „ganz andere“, und als entscheidendesDifferenzierungsmerkmal muss bezeich-nenderweise das Fehlen jeglicher Berufso-rientierung festgestellt werden. Im Unter-schied zu den europäischen Staaten gibtes in Japan keine „Berufskultur“; weder dasBeschäftigungssystem noch das Bildungs-system sind nach berufsfachlichen Musternstrukturiert. „Der Akzent von Qualifizie-rungsprozessen liegt in Japan viel wenigerals bei uns auf dem fachlichen Inhalt undviel mehr auf dem sozialen Kontext der Tätig-keit: Nicht, dass jemand sein ‚Fach‘ beherrscht,

wird gesellschaftlich bescheinigt, sondernseine Bereitschaft und Fähigkeit, sich in denkonkreten Arbeitszusammenhang - das heißt,in das Unternehmen, dem er angehört - pro-duktiv einzuordnen“ (Deutschmann 1989,S. 420). Berufskultur wird in Japan ersetztdurch „Unternehmenskultur“ (corporate iden-tity). „Überbetriebliche Standardisierung vonArbeit und Ausbildung wird ersetzt durchden einzelbetrieblichen Zuschnitt der Or-ganisations- und Qualifikationsstrukturen,die berufliche Identität wird ersetzt durchdie bedingungslose Loyalität zum Unter-nehmen“ (Georg 1993, S. 195).

V.

Fassen wir zusammen: Aus den bisher dar-gelegten Überlegungen ergeben sich dreiStrukturmuster europäischer Ausbildungs-modelle, die unter drei kategorialen Per-spektiven jeweils charakteristische Merkmaleaufweisen, die zu einer höheren typologi-schen Einheit zusammengedacht werdenkönnen:

(1) Typ A folgt unter arbeitskultureller Per-spektive dem Primat der Ökonomie. Unterdem Gesichtspunkt der Regulierung des Qua-lifikationsmodells ist die Marktorientierungvorherrschend. Auf der operationalen, dereigentlichen Lernebene, dominieren als lei-tendes didaktisches Prinzip die funktiona-len Bedürfnisse des Betriebes bzw. konkreterArbeitsplätze.

(2) Typ B folgt unter arbeitskultureller Per-spektive dem Primat des Politischen. Unterdem Gesichtspunkt der Regulierung des Qua-lifikationsmodells ist die bürokratische Steue-rung (auf gesetzlicher Grundlage) vorherr-schend. Auf der operationalen, der eigent-lichen Lernebene, steht als leitendes didak-tisches Prinzip das Wissenschaftsprinzip imVordergrund.

(3) Typ C folgt unter arbeitskultureller Per-spektive dem Primat des Sozialen. Unter demGesichtspunkt der Regulierung des Qualifi-kationsmodells dominiert eine „duale“ Steue-rung, d. h. eine Kombination von Markt undBürokratie. Auf der operationalen, der ei-gentlichen Lernebene, gilt als vorherrschendedidaktische Orientierung das Berufsprinzip.

Diese drei Typen erwerbsqualifikatorischerOrientierung für die breite Masse der Arbei-

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tenden bilden sozusagen die Bauelementefür die Berufsbildungsmodelle in den ver-schiedenen europäischen Ländern seit derIndustriellen Revolution; wie gesagt, Ori-entierungsmuster von großer Beharrung-stendenz. Ein allgemeines konsequentesAbrücken von dieser Tradition ist in Europanicht auszumachen. Als Beleg lassen sich diein den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhun-derts modernisierten bzw. reformierten Be-rufsausbildungsmodelle in England und Frank-reich anführen. In beiden Fällen lässt sichfeststellen, dass ihre zentralen Reforminitia-tiven - National Vocational Qualificationsund Alternance - sich strikt an der Traditi-onslinie ihrer im 19. Jahrhundert entwickel-ten Qualifizierungsmuster orientierten (vgl.Greinert 1999). Dabei scheuten die verant-wortlichen Politiker sowohl in England wieFrankreich keine Anstrengung, sich mit Al-ternativen auseinander zu setzen; doch letzt-endlich hatten sie „keine Wahl“. Die in derersten Industriellen Revolution angelegteneuropäischen Struktur- und Steuerungsmu-ster entfalten also eine bemerkenswerte Lang-zeitwirkung: Trotz sich wandelnder techni-scher und sozio-ökonomischer Einflüsse,selbst gegen verbreitete explizit politischeVersuche, das überlieferte Modell durch ver-meintlich attraktivere und effektivere Alter-nativen zu ersetzen, behalten die typischenVerlaufsmuster und organisatorischen Ord-

nungskategorien der aufgezeigten klassischeneuropäischen Modelle in ihren Ausgangs-ländern immer wieder die Oberhand.

Vermutlich wird diese Erfahrung sich auchim Falle des „dualen Systems“ der Berufs-ausbildung im deutschen Kulturraum be-stätigen, obwohl sich bislang kein schlüs-siges, allgemein akzeptiertes Konzept zurTransformation dieses Qualifikationssystemsabzeichnet. Dies erklärt sich indes nicht dar-aus, dass zu diesem notwendigen Schritt kei-ne überzeugenden Ideen und Vorschlägevorgelegt worden wären. Das deutsche Di-lemma ist schlicht darin begründet, dass diePolitik - die beiden letzten deutschen Bun-desregierungen bieten hier ein hervorra-gendes Beispiel - sich weigert, ihre seit Ver-abschiedung des Berufsbildungsgesetzes(1969) definierte Rolle im arbeitsteiligen „ko-operativen“ Berufsbildungssystem wahrzu-nehmen, nämlich die Rahmenbedingungender beruflichen Qualifizierung den sich ste-tig wandelnden technischen und sozio-öko-nomischen Verhältnissen anzupassen. Auchim Falle der beruflichen Bildung hat Deutsch-land - wie ein hoch geschätzter Politikerschon vor Jahren für die „deutschen Ver-hältnisse“ im Allgemeinen anmerkte - keinkonzeptionelles, sondern ein Umsetzungs-problem.

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SchlagwörterHistorical research,comparative analysis, culturalidentity, educationaldevelopment, institutionalframework, socio-economic conditions

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(1) Das hier formulierte Desideratumbildet den Hintergrund der Cede-fop-Initiative zur Förderung des In-formationsaustausches zwischen Wis-senschaftlern, welche die Geschichteder einzelstaatlichen Berufsbil-dungssysteme untersuchen. Im Rah-men dieser Initiative fand am 11.und 12. Oktober 2002 in Florenz dieerste internationale Konferenz zurGeschichte der Berufsbildung in Eu-

Forschungsfragen

Trotz vieler Ähnlichkeiten und Überschnei-dungen, die es zwischen den Mitgliedstaa-ten der Europäischen Union in gesell-schaftlicher, wirtschaftlicher und kulturellerHinsicht gibt, sind die Berufsbildungssys-te-me der einzelnen Länder recht unterschiedlichaufgebaut. Die bestehenden Unterschiedesind für das politische Ziel, die Lebens-, Ar-beits- und Bildungszusammenhänge in Eu-ropa einheitlicher zu gestalten, von nach-haltiger Bedeutung. Tendenziell schränkensie die Integrationsmöglichkeiten ein, kön-nen aber für einschlägige politische Maß-nahmen auch spezielle Möglichkeiten eröff-nen. Aus diesen Gründen erscheint es drin-gend notwendig, die Faktoren zu bestim-men, mit denen sich Unterschiede zwischenden einzelstaatlichen Bildungssystemen er-klären lassen. Die Antworten wären nichtnur für Forschungszwecke nützlich, sondernkönnten auch helfen, zweckmäßige politi-sche Strategien zu entwickeln.

Wir wissen nur wenig darüber, woran esliegt, dass sich die berufliche Bildung selbstin Ländern, die ein sehr ähnliches wirt-schaftliches und gesellschaftliches Entwick-lungsprofil aufweisen, recht unterschiedlichentwickelt hat. Es liegen nämlich gegen-wärtig nur wenige Studien vor, die sichmit der historischen Entwicklung einzel-staatlicher Berufsbildungssysteme befassen.Noch weit weniger Studien untersuchen dieEntwicklung in zwei oder mehr Ländern aushistorischer oder vergleichender Sicht (1).Der vorliegende Beitrag soll helfen, diese

Forschungslücke zu schließen. Dargestelltund diskutiert werden die Ausgangspunk-te und Entwicklungslinien der Berufsbil-dungssysteme in den Niederlanden und inDeutschland. Trotz beträchtlicher nationa-ler, wirtschaftlicher, gesellschaftlicher undkultureller Ähnlichkeit der beiden Länderweisen die jeweiligen Berufsbildungs- undQualifikationssysteme sehr unterschiedlicheStrukturen auf.

Der vorliegende Artikel stellt zunächst diegegenwärtigen Berufsbildungsstrukturen inbeiden Ländern im Überblick dar. Da sichdie deutlichen Unterschiede offensichtlichnicht auf unterschiedliche wirtschaftlicheGegebenheiten zurückführen lassen, son-dern aus der unterschiedlichen Entwicklungder Berufsbildungssysteme resultieren, sol-len hier vor allem die wichtigsten Stationenin der Entwicklung der beruflichen Bildungins Auge gefasst werden. Gemeinsamer Aus-gangspunkt für die Analyse der Entwicklung,die sich über die Jahre hinweg vollzogenhat, ist die handwerkliche Berufsausbildungin Europa in ihrer ursprünglichsten Form.

Anschließend wird die Genese der Berufs-bildungssysteme in beiden Ländern aus ver-gleichender Sicht untersucht. Um zu ei-nem umfassenderen Verständnis der heutedominierenden Formen beruflicher Bildung(schulisch versus betrieblich/überbetrieb-lich) zu gelangen, wird auf die ArgumenteBezug genommen, auf die man sich bei derUntersuchung der beruflichen Bildung inEuropa typischerweise stützt, beispielswei-se die Rolle intermediärer Instanzen sowie

HolgerReinisch Leiter des Lehrstuhls fürWirtschaftspädagogikder Friedrich-Schiller-Universität Jena

Wir wissen nur wenig darüber,woran es liegt, dass sich die be-rufliche Bildung selbst in Ländern,die ein sehr ähnliches wirt-schaftliches und gesellschaftli-ches Entwicklungsprofil aufwei-sen, recht unterschiedlich ent-wickelt hat. Es liegen gegenwär-tig nur wenige Studien vor, diesich mit der historischen Ent-wicklung nationaler Berufsbil-dungssysteme in einer verglei-chenden Perspektive befassen.Dieser Beitrag soll helfen, dieseForschungslücke zu schließen.Dargestellt und diskutiert werdendie Ausgangspunkte und Ent-wicklungslinien der Berufsbil-dungssysteme in den Niederlan-den und in Deutschland, welchesehr disparate Systemstrukturenberuflicher Bildung aufweisen.Um das Verständnis dieses Phä-nomens zu fördern, werden diezentralen Stadien der Entwick-lung der Berufsbildung in den Nie-derlanden und Deutschland her-ausgearbeitet. Der Vergleich zwi-schen den Niederlanden undDeutschland zeigt, dass die jeweilsdominierenden Formen der Be-rufsbildung (schulisch versus be-trieblich/überbetrieblich) auf zu-sätzliche national spezifische, kul-turelle Faktoren und Denkweisenüber pädagogische und sozialeFragen zurückzuführen sind.

Zwischen Schule und BetriebAspekte der historischenEntwicklung beruflicherBildung in den Niederlandenund in Deutschland ausvergleichender Sicht

DietmarFrommberger Hochschulassistent amLehrstuhl fürWirtschaftspädagogikder Friedrich-Schiller-Universität Jena

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die spezifische Ausprägung und den zeitli-chen Verlauf der industriellen und der ge-samtwirtschaftlichen Entwicklung. Der Ver-gleich zwischen den Niederlanden undDeutschland zeigt jedoch, dass ein Verständnisder Unterschiede nur dann möglich ist, wennman auch die jeweils landesspezifische Denk-weise und Wahrnehmung von Problembe-reichen - wie z. B. soziale Fragen, den Trendzur Überschulung und die Frage der be-ruflichen Identität - berücksichtigt.

Gegenwärtige Strukturen der be-ruflichen Bildung in den Nieder-landen und in Deutschland

In den Niederlanden ist der Erwerb berufli-cher Bildung heute auf zwei unterschiedli-chen Wegen möglich. Entweder absolviertder Lernende einen vollzeitschulischen be-ruflichen Bildungsgang, der auch Betrieb-spraktika beinhaltet, oder er entscheidet sichfür einen Ausbildungsweg, der schulischenTeilzeitunterricht und betriebliche Lehr-lingsausbildung kombiniert. Trotz unter-schiedlicher Lernorte und Lernformen liegtbeiden Ausbildungswegen dasselbe Curri-culum zu Grunde (vgl. Frommberger, 1999;2004).

Berufliche Bildung wird herkömmlicherweiseprimär in weiterführenden Schulen und nichtim Betrieb vermittelt. Die meisten Schülerentscheiden sich nach Abschluss der Pf-lichtschule für einen schulischen Ausbil-dungsgang und nicht für eine betrieblicheAusbildung. Dies gilt selbst für Lernende,die einen höheren Abschluss anstreben, da-bei aber nicht die allgemeine Hochschul-reife, sondern eine Berufsausbildung ins Au-ge fassen. In Deutschland ist das Gegen-teil der Fall.

Wird über die berufliche Bildung in Deutsch-land geschrieben, so geschieht dies in derRegel unter Bezugnahme auf das so genannte„duale System“. Es ist jedoch darauf hinzu-weisen, dass die Bezeichnung „duales Sy-stem“ den tatsächlichen Gegebenheiten derberuflichen Bildung in Deutschland eigent-lich nicht angemessen ist. Die Qualifizierungals „dual“ verweist auf die Parallelität vonSchulunterricht und arbeitsplatznaher Aus-bildung in Betrieben und öffentlichen Ein-richtungen und Fachschulen, suggeriert aberzugleich eine Gleichwertigkeit der beidenSphären des Systems, die es so nicht gibt.Die betriebliche bzw. arbeitsplatzgebunde-ne Ausbildungskomponente hat weit größe-

res Gewicht als der schulische Teil der Be-rufsausbildung.

Für die jungen Menschen in Deutschlandist das duale System noch immer der wich-tigste Weg von der Schule ins Erwerbsle-ben. 1999 zählte man in Deutschland 3,3Millionen Schüler bzw. Auszubildendeim Alter von 16 bis 20 Jahren. Rund 29 %besuchten das Gymnasium oder nahmenam Vollzeitunterricht einer Berufsoberschuleteil, um die Hochschul- oder die Fach-hochschulreife zu erwerben. Mehr als 50% entschieden sich für eine Berufsausbil-dung im dualen System, um in einem an-erkannten Ausbildungsberuf einen beruf-squalifizierenden Abschluss zu erwerben.Daneben führt in Deutschland jedoch nochein dritter Weg von der Schule ins Er-werbsleben, der in anderen Ländern größ-tenteils unbekannt ist: Rund 21 % der Schülerbzw. Auszubildenden besuchten eine be-rufliche Vollzeitschule (vgl. Gebbeken undReinisch, 2001, S. 287; Reinisch, 2001, S.155). Häufig entscheiden sich die Ler-nenden für diese Option, weil in bestimmtenRegionen Deutschlands - und zu manchenZeiten - im Rahmen des dualen Systemszu wenig Ausbildungsplätze bereit stehen;in der Zeit, in der sie auf einen Ausbil-dungsplatz im dualen System warten, be-suchen sie eine berufliche Vollzeitschule.Ein kleiner Teil der Schüler schließlich ent-scheidet sich für eine Vollzeitausbildungan einer Berufsfachschule, die beispiels-weise auf Berufe im Gesundheitswesen(Kranken-, Altenpflege usw.), im erziehe-rischen Bereich (z. B. Kindergärtnerin) bzw.technische Assistentenberufe (wie medizi-nisch-technischer oder chemisch-techni-scher Assistent) vorbereitet. Im Rahmendes dualen Systems wurden für diese Be-rufe nie Ausbildungsgänge geschaffen, ei-ne Tatsache, die unserer Auffassung nachauf den Geschlechterfaktor zurückzuführenist: Berufe dieser Art sind typische Frau-enberufe (vgl. Feller, 1997). Ein weitererentscheidender und für Personen in an-deren Ländern erstaunlicher Punkt ist dieTatsache, dass fast 20% derjenigen, die dieHochschulreife erworben haben, sich nichtfür den akademischen Weg ins Erwerbsle-ben, sondern für eine duale Berufsausbil-dung entscheiden. Die meisten jungen Men-schen in Deutschland, aber auch die Be-triebe betrachten die Lehre, d. h. die ar-beitsplatznahe Ausbildung im Rahmen desdualen Systems, als attraktivsten Weg vonder Schule ins Erwerbsleben.

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ropa aus vergleichender Sicht statt,die von der Universität Florenz, demEuropäischen Hochschulinstitut unddem Europäischen Zentrum für dieFörderung der Berufsbildung (Ce-defop) veranstaltet wurde. Der vor-liegende Beitrag liefert eine Kurz-fassung des auf dieser Konferenzvorgestellten Dokuments.

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Entwicklung der beruflichen Bil-dung in den Niederlanden und inDeutschland

Niederlande

Um zu verstehen, warum die schulische Be-rufsausbildung in den Niederlanden die do-minierende Form der beruflichen Bildungdarstellt, müssen wir den Blick zurück in dieVergangenheit lenken. Zwischen 1789 - nachAbschaffung der Zünfte - und 1860 warensystematisch angelegte berufliche Bil-dungsangebote kaum vorhanden; erst lang-sam entstanden die Industrieschulen für Ar-me (Industriescholen, werkscholen) und dieAbendzeichenschulen (Avondtekenscholen)(vgl. Goudswaard, 1981, S. 91, S. 104). DieKapazitäten zur Qualifizierung junger Men-schen reichten bei weitem nicht aus, umdem wachsenden Bedarf von Industrie undHandel Rechnung zu tragen. Die traditio-nelle Lehrlingsausbildung gab es zwar noch,allerdings nur in einigen wenigen Regionender Niederlande, beispielsweise in Drentheund in West-Friesland (vgl. Bruinwold Rie-del, 1907; Santema und Maandag, 1991).

Angesichts des Mangels an qualifizierten Ar-beitskräften öffneten ab 1860 immer mehrberufliche Vollzeitschulen ihre Pforten. Die-se so genannten ambachtscholen waren be-rufsfachliche Tagesschulen, die in einemdreijährigen berufsqualifizierenden Vollzeit-bildungsgang auf bestimmte handwerklicheBerufe im Bereich der Holz- und Metallver-arbeitung vorbereiteten. Gegründet wurdendiese berufsfachlichen Handwerksschulenals Ergebnis privater Initiativen auf lokalerEbene, beispielsweise auf Initiative der Ver-einigung zur Förderung von Industrie undHandwerk (Vereniging ter Bevordering vanFabrieks- en Handwerksnijverheid) oder derGesellschaft des öffentlichen und allge-meinen Nutzens (Maatschappij tot Nut van't Algemeen). Die Zahl der Schulen nahmnur langsam zu, aber 1890 gab es in denNiederlanden bereits 18 berufsfachliche Hand-werksschulen, die ab diesem Datum auchstaatliche Zuschüsse erhielten. So etablier-ten sich diese beruflichen Schulen als Be-standteil des nationalen Bildungsangebots.

Es gab aber auch eine Debatte um die Fra-ge, ob die Qualifizierung via Lehrlingsaus-bildung oder via Vollzeitschule den besse-ren Weg darstellt. Manche Organisationen,beispielsweise der Allgemeine Niederländi-sche Arbeitnehmerverband (Algemeen Ne-

derlands Werklieden Verbond), sprachen sichdafür aus, das System der Lehrlingsausbil-dung einzuführen. Andere hingegen gabendem Vollzeitschulwesen den Vorzug. Wolthuis(2001, S. 119) merkt zu dieser Diskussionan: „Die Handwerksschulen waren insofernim Vorteil, als sie Erfolge in der Praxis vor-weisen konnten... Direktoren und Lehrkräf-te der bestehenden Schulen beteiligten sichaktiv an der ... Diskussion. Das Lehrlings-ausbildungssystem fand seine Fürsprecherteils im Kreise der Großindustrie und teilsin den Reihen der Arbeiterorganisationen.Dies zeigt, dass allgemein die Auffassungherrschte, die Lehrlingsausbildung bereiteauf Tätigkeiten in der Großindustrie vor, dieHandwerksschulen hingegen vor allem aufeine Berufstätigkeit im gewerblichen Bereichund im Handwerk.“ Nach 1895 konnte dieLehrlingsausbildung in den Niederlandennicht länger als echte Alternative zu denHandwerksschulen betrachtet werden, son-dern sie stellte in manchen Bereichen undmöglicherweise auch in manchen Großun-ternehmen eine ergänzende Option dar. Die-ses Verhältnis zwischen vollzeitschulischerAusbildung und - betrieblicher - Lehr-lingsausbildung sollte für die berufliche Bil-dung in den Niederlanden im 19. Jahrhun-dert und noch viel stärker im 20. Jahrhun-dert bestimmend sein. In den Augen dermeisten Holländer war klar, dass die schu-lische und nicht die betriebliche Ausbildungden besten Weg zur Qualifizierung jungerMenschen darstellt.

Nach dem Ersten Weltkrieg begann der Staat,sich in die berufliche Bildung einzumischen.1919 wurde ein neues Gesetz erlassen, dasdie schulische Berufsbildung und die Lehr-lingsausbildung gleichermaßen regelte. Beidiesem so genannten Nijverheidsonderwijs-wet handelte es sich um ein Gesetz zurRegelung der Berufsbildung im gewerblich-technischen Bereich. Das neue Schlagwortwar „berufliche Fachbildung“ (vgl. Gelder,1919). Das neue Gesetz über die beruflicheFachbildung traf eine Unterscheidung zwi-schen elementarem und mittlerem berufli-chem Fachunterricht. Der elementare Fach-unterricht sollte auf die einfache manuelleTätigkeit als Arbeiter vorbereiten, der mitt-lere Fachunterricht auf die aufsichtsführen-de Tätigkeit als Vorarbeiter oder Aufseher.Das neue Gesetz wurde verabschiedet, weilsich immer mehr junge Menschen für eineBerufsausbildung entschieden und die Zahlder Lernenden und der Schulen rapide zu-nahm. Auch der staatliche Zuschuss wurde

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immer weiter aufgestockt. Ziel des Staateswar eine umfassendere Kontrolle sowie ei-ne kohärentere Gestaltung des niederen undmittleren berufsfachlichen Vollzeitunterrichts.Dementsprechend nahm er von diesem Zeit-punkt an systematisch Einfluss auf die be-rufliche Bildung.

Die kaufmännische Ausbildung erfolgte fastausschließlich in Schulen - in mittleren undhöheren Handelsschulen -, die dem allge-meinbildenden Schul- bzw. Hochschulwe-sen zugerechnet wurden und die das neueGesetz aus dem Jahr 1919 folglich nichterfasste (vgl. Hoksbergen, 1975). Auch dielandwirtschaftliche Ausbildung, für die wei-terhin das Landwirtschaftsministerium zu-ständig war, fiel nicht unter das neue Ge-setz.

Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte eine ra-sante Industrialisierung ein, mit der auch derFachkräftebedarf wuchs. Die Zahl der Schu-len wie auch der Lernenden stieg nochmalsrapide an. Von 1949 bis 1974 wurde die Dau-er der Schulpflicht von zunächst sieben aufzehn Jahre verlängert. Immer mehr Jugend-liche entschieden sich für eine zweite Aus-bildungsphase im Sekundarbereich und auchfür eine mittlere oder höhere Berufsausbil-dung.

1963 wurde ein umfassendes neues Gesetzfür den Unterricht des Sekundarbereichs ver-abschiedet, das 1968 umgesetzt wurde. Die-ses als Mammutwet (Mammutgesetz) be-kannt gewordene Gesetzeswerk schuf eineneinheitlichen Rechtsrahmen für alle allge-meinbildenden und berufsbildenden Schu-len des Sekundarbereichs I und II, ein Un-terfangen, das in Deutschland undenkbargewesen wäre. Trotz des drängenden Fach-kräftebedarfs wurde berufliche Bildung größ-tenteils in Schulen vermittelt. Das Gesetzvon 1963 unterschied zwischen beruflicherBildung, allgemeinbildendem Sekundarun-terricht und studienvorbereitendem Se-kundarunterricht. Die Schüler, die eine Be-rufsausbildung anstrebten, konnten sich fürgrundbildende, mittlere oder höhere beruf-liche Bildungsgänge entscheiden. Absol-venten der beruflichen Grundbildung (La-ger Beroepsonderwijs, LBO), die im Se-kundarbereich I vermittelt wurde, konnteneine technische, hauswirtschaftliche oder in-dustrielle Ausbildung ebenso erwerben wieeine landwirtschaftliche oder Gartenbau-ausbildung (für die noch immer das Land-wirtschaftsministerium zuständig war); außer-

dem umfasste das Angebot auch kaufmän-nische, betriebswirtschaftliche und verwal-tungsbezogene Bildungsgänge. Die ehema-ligen berufsfachlichen Handwerksschulengingen im niederen technischen Schulwe-sen (Lagere Technische School, LTS) auf, dererweiterte elementare berufliche Fachun-terricht wurde zum berufsbildenden Un-terricht der Oberstufe (Middelbaar Beroep-sonderwijs, MBO) und der frühere mittlereberufsfachliche Unterricht ging in der höhe-ren beruflichen Bildung (Hoger Beroepson-derwijs, HBO) auf. Man kann sagen, dassdas Ziel in einer Neupositionierung der be-ruflichen Bildung bestand, zum einen durchAnnäherung an Formen der allgemeinen Bil-dung, zum anderen aber auch durch Aus-differenzierung und Ausweitung der Bil-dungsgänge (vgl. Frommberger, 1999, S.162).

Die Lehrlingsausbildung blieb von dem neu-en Gesetz für den Unterricht des Sekundar-bereichs unberührt, wurde aber durch eineigenes Gesetz geregelt, das 1966 gemein-sam mit dem Gesetz über die schulische Be-rufsbildung in Kraft trat. Das Gesetz mach-te die Handwerksschulen zum verbindlichenBestandteil des Systems. Die Niederlandeverfügten nun über ein Berufsbildungssy-stem, an dem der Staat systematisch betei-ligt war und das sowohl schulische als auchbetriebliche Ausbildungswege bot. Dochnach wie vor entschieden sich die meistenLernenden für eine schulische Ausbildung.

Seit Anfang der siebziger und insbesonderein den achtziger Jahren bestimmten zweiThemen die öffentliche Diskussion zu Fra-gen der Berufsbildung. Zum einen gerietendie Orientierung am allgemeinbildendenSchulwesen und deren Auswirkungen zu-nehmend in die Kritik. Die schulische Formder Berufsausbildung, so das Argument derKritiker, bereite die Auszubildenden nur un-zureichend auf die Anforderungen der Ar-beitswelt vor. Das zweite Thema war die Ju-gendarbeitslosigkeit. In den Achtziger Jah-ren nahm die Arbeitslosigkeit rapide zu undimmer mehr junge Menschen beschlossen,den Schulbesuch auszudehnen. Verschie-dene offizielle Ausschüsse plädierten für ei-ne Verbesserung der Beziehung zwischenallgemeiner und beruflicher Bildung unddem Arbeitsmarkt. Die Ausschüsse emp-fahlen die Implementierung eines dualenSystems (das Schlagwort lautete Dualisie-rung, vgl. Commissie Dualisering 1993) durchAufwertung der Lehrlingsausbildung oderdurch Einführung einer umfassenderen prak-

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tischen Ausbildungskomponente in die mitt-leren und höheren beruflichen Bildungs-gänge. 1996 führte das neue Berufsbil-dungsgesetz als Ergebnis der Arbeit dieserAusschüsse tatsächlich eine neue Form vonDualismus ein. Es gibt nun zwei beruflicheBildungszüge, die (zumindest formal) gleich-wertig sind: Die schulische Berufsausbildungund die arbeitsplatzgebundene bzw. be-triebliche Berufsausbildung.

Deutschland

Um zu erklären, oder besser, zu verstehen,warum die betriebliche Berufsausbildung inDeutschland die dominierende Form beruf-licher Bildung darstellt, müssen wir uns derGeschichte des dualen Systems zuwenden.Es wurde in den letzten zwei Jahrzehntendes 19. Jahrhunderts und den ersten zweiJahrzehnten des 20. Jahrhunderts imple-mentiert (vgl. Greinert, 1995), die Traditi-on der Lehrlingsausbildung ist jedoch weitälter. Die handwerklichen und kaufmänni-schen Zünfte bzw. Innungen führten dieseForm der Berufsausbildung bereits im 14.und 15. Jahrhundert in den meisten LändernEuropas ein, verloren dann aber zu Be-ginn des 19. Jahrhunderts ganz erheblich anwirtschaftlicher und gesellschaftlicher Be-deutung (für England und Wales vgl. Deis-singer, 1992; für Frankreich vgl. Schriewer,1986, sowie Oerter und Hörner, 1995; fürdie Niederlande vgl. Frommberger, 1999).In Deutschland existieren die Innungen bzw.korporative Vereinigungen noch heute. Imganzen 19. Jahrhundert legten diese korpo-rativen Vereinigungen die Ausbildungsord-nungen für die Lehrlingsausbildung alleinfest, ohne andere Interessengruppen zu be-teiligen, und selbst heute noch haben siemaßgeblichen Einfluss auf die berufliche Bil-dung in Deutschland.

Die Behörden der deutschen Länder -Preußen, Bayern, Sachsen usw. - beteilig-ten sich bis in die 1870er Jahre in keinerForm an der beruflichen Ausbildung vonHandwerkern, Büroangestellten und Arbei-tern. Ihr finanzieller Beitrag und ihr gesetz-geberisches Engagement konzentrierten sichauf die Einrichtungen des Pflichtschul- unddes Hochschulwesens. Universitäten undFachhochschulen für Architektur, Maschi-nenbau und später dann für Handel und Be-triebswirtschaft wurden zumeist gegründet,um den Bedarf des größer werdenden Ver-waltungsapparates decken zu können. Durchprivate Initiativen wurden technische und

kaufmännische Vollzeitschulen gegründet,die der Qualifizierung von niederen undmittleren Führungskräften für Handel, In-dustrie und Bankgewerbe dienten. Auf pri-vate Initiative hin entstand zudem eine Rei-he von Teilzeitschulen für Lehrlinge und Ge-sellen, die vorrangig dazu dienen sollten,junge Erwerbstätige während der Woche zuunterrichten, zumeist sonntags oder abendsnach der Arbeit. Unterrichtsfächer waren Le-sen und Schreiben, Rechnen und technischesZeichnen, insbesondere für junge Hand-werker, sowie Buchhaltung für junge Büro-angestellte. Diese so genannten Fortbil-dungsschulen oder Sonntagsschulen warendirekte Vorläufer der heutigen Berufsschu-len, Teilzeitschulen, an denen Auszubildendein einer betrieblichen Lehre den schulischenTeil ihrer Ausbildung absolvieren.

Das duale System der Berufsausbildung kom-biniert Teilzeitunterricht in der Berufsschu-le mit einer Lehrlingsausbildung in einemUnternehmen oder einem öffentlichen Be-trieb. Die Behörden führten Ende des 19.Jahrhunderts die Fortbildungsschulen als Er-gänzung zur Lehrlingsausbildung jedochnicht etwa deshalb per Gesetz ein, um dieberufliche Qualifikation der Lehrlinge zu ver-tiefen. Die Arbeiterbewegung verzeichnetewährend der Industrialisierung Deutschlandsin der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundertsrasante Zuwächse, und viele junge Arbeiterund Lehrlinge wurden Mitglied einer Ge-werkschaft und der sozialistischen Partei.Die führenden Vertreter der Ober- und derMittelschicht suchten nach einer Möglich-keit zur Einflussnahme auf Denkweisen undpolitische Überzeugungen der jungen Ar-beiter und stießen dabei auf eine Lücke, diesich zwischen dem Ende der Pflichtschuleund dem Beginn des Wehrdienstes im Bil-dungsgefüge auftat. Der erste Versuch, die-se Lücke zu schließen, war die Einführungder Fortbildungsschulen und später dannder Berufsschulen als verbindlicher Teil desBildungsangebots für junge Arbeitskräfte bei-derlei Geschlechts. Der zweite Versuch be-stand in einer Modifizierung des Curricu-lums. Im Zentrum des Unterrichts standenberufliche bzw. berufsfachliche Wissensge-biete im Verein mit Staatsbürgerkunde, undauch heute noch ist Staatsbürgerkunde einBestandteil des Curriculums der Berufsschule.

In den ersten zwei Jahrzehnten des 20. Jahr-hunderts veränderte dann ein weiterer wich-tiger Umbruch das Gefüge des dualen Sy-stems: Die Lehrlingsausbildung wurde auch

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in der Industrie eingeführt. Die deutschenArbeitgeberverbände der Metall-, der Elek-tro- und der chemischen Industrie sowie an-derer Industriezweige schufen einen neuar-tigen Typus der qualifizierten Arbeitskraft,den so genannten Facharbeiter. Sie über-nahmen die traditionelle Form der hand-werklichen Lehrlingsausbildung, modifi-zierten aber Lehrmethoden und Lernformen.Sie führten eine systematischer und didak-tischer angelegte Komponente beruflicherBildung ein, die jenseits des Arbeitsplatzesin einer separaten so genannten Lehrwerk-statt vermittelt wurde.

Danach blieben die Strukturen des dualenSystems im Wesentlichen unverändert, bisim Jahr 1968 das Berufsbildungsgesetz inKraft trat. Dieses Gesetz regelt die Rechteund Pflichten von Lehrlingen und Arbeit-gebern und ist heute noch gültig. Es berechtigtArbeitgeberverbände und Arbeitnehmeror-ganisationen, gemeinsam mit den Behördenbetriebliche Ausbildungspläne aufzustel-len; heute geschieht dies in fast 400 staatlichanerkannten Ausbildungsberufen. Diese Aus-bildungspläne sind verbindliches Elementdes Ausbildungsvertrages zwischen Lehrlingund Ausbildungsbetrieb und für beide Ver-tragspartner bindend. Darüber hinaus habenArbeitgeberverbände und Gewerkschaftengroßen Einfluss auf die Entwicklung der Lehr-pläne für die Berufsschulen, die Teil des dua-len Systems sind. Diese Lehrpläne werdennicht von der Bundesregierung, sondern vonden Behörden der einzelnen Bundesländerper Rechtsakt in Kraft gesetzt.

Das System der dualen beruflichen Erstaus-bildung in Deutschland zeichnet sich nichtallein durch die Dualität von praktischer Aus-bildung am Arbeitsplatz und theoretischerAusbildung in der Berufsschule aus, sondernauch durch zahlreiche andere „Dualismen“.Dennoch akzeptieren Unternehmen, jungeMenschen, Regierungen, Politiker und Ge-werkschaften die arbeitsplatznahe Ausbil-dung als die dominante Form beruflicherErstausbildung in Deutschland.

Einige Annahmen zur Erhellungder recht unterschiedlichen Ent-wicklung der beruflichen Bildungin Deutschland und in den Nie-derlanden

Nachdem nun die wichtigsten Merkmale derhistorischen Entwicklung im Berufsbil-

dungsbereich in Deutschland und in denNiederlanden beschrieben wurden, lassensich Faktoren herausarbeiten, die ein bes-seres Verständnis der Unterschiede ermög-lichen.

Zusammenfassend lässt sichsagen:

❑ In den Niederlanden wurde beruflicheBildung zuallererst in der Schule vermittelt,und zwar als theoretisch und allgemein an-gelegte Vorbereitung auf das Erwerbsleben,aber ebenso auf den Übergang ins Hoch-schulwesen. Aus dem Blickwinkel dieses tra-ditionellen niederländischen Ansatzes her-aus erschien das Arbeiten und Lernen imBetrieb - also die arbeitsplatznahe Ausbil-dung - als wenig „funktional“. Funktionalwar allein die schulische Berufsausbildung.

❑ In Deutschland wurde berufliche Bil-dung vorrangig im Rahmen des dualen Sy-stems vermittelt. Die meisten Schüler, diesich zur Fachkraft qualifizieren wollten, ent-schieden sich für diese Form der Berufs-ausbildung, für die „scharfe Luft des Betrie-bes“, die einer Berufsausbildung weit wegvon den realen Anforderungen vorgezogenwurde.

Unserer Ansicht nach gilt es, die folgen-den zentralen Fragen zu beantworten:

(a) Weshalb waren in Deutschland so vie-le Betriebe - nicht nur Handwerksbetriebe,sondern auch größere Industrieunterneh-men - bereit, die Berufsbildung in einemderartigen Umfang zu fördern und zu fi-nanzieren? Weshalb waren in Deutschlandso viele Betriebe bereit, die Lernenden an-hand standardisierter Curricula auszubilden,welche die Vermittlung nicht nur betriebs-spezifischer, sondern in hohem Maß auchallgemeiner und berufsbezogener Kompe-tenzen vorsahen? Und weshalb war dies inden Niederlanden nicht der Fall?

(b) Aus welchen Gründen erwies sich dieschulbasierte Form der beruflichen Bildungfür die Unternehmen in den Niederlandenals „funktional“? Und warum war dem inDeutschland nicht so?

Zur ersten Frage erscheinen die folgendenAnnahmen gerechtfertigt:

(a) In Deutschland wurden die Zünfte nichtso gründlich abgeschafft wie in den Nie-

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derlanden. Die Niederlande waren franzö-sisch besetzt, und die Franzosen sorgten fürdie radikale Beseitigung alles „Zünftigen“.Daher gab es in Deutschland vergleichsweisestarke intermediäre Kräfte, die für „eine ef-fektive Vermittlung zwischen Bürger undStaat“ (Schriewer, 1986) sorgen konnten unddie Einführung einer durchstrukturierten Be-rufsausbildung in so vielen Unternehmenmöglich machten;

(b) im 20. Jahrhundert führten in Deutsch-land auch die Unternehmen der Großin-dustrie diese Form der Berufsausbildung ein.Es erwies sich als „funktional“, den Auszu-bildenden breit angelegte und standardisierteQualifikationen zu vermitteln. Fachkräfteund Unternehmen konnten erfolgreich mit-einander kommunizieren, da beiden Sei-ten klar war, was sie voneinander erwar-ten konnten. In den Niederlanden hat sichein derart formalisierter Prozess der Curri-culumentwicklung für die betriebliche Aus-bildung nie herausgebildet;

(c) und nicht zuletzt war dieses Konzeptdes „Berufs“ von einer bestimmten pädago-gischen Auffassung geprägt: Nach deutscherVorstellung war es für die Jugendlichen vor-teilhaft, in einen Betrieb zu gehen und dortdas „wirkliche Leben“ kennen zu lernen. Inden Niederlanden hingegen war man derAuffassung, es sei besser, wenn die Ju-gendlichen so lange wie möglich die Schu-le besuchten.

Zur zweiten Frage erscheinen die folgendenAnnahmen gerechtfertigt:

(a) In den Niederlanden erfolgte eine staat-liche Intervention zur Finanzierung und Re-gulierung der beruflichen Bildung zwar spät,aber dafür auf breiter Front. Die Wirtschaftbenötigte qualifizierte Arbeitskräfte, und sowurden rasch mehr Schulen errichtet. DieUnternehmen gewöhnten sich schnell an die

Intervention des Staates, weil die Arbeitge-ber keine Mittel für die berufliche Bildungaufwenden mussten;

(b) für die Arbeitgeber erwies es sich zu-nehmend als „funktional“, junge Arbeitskräfteeinzustellen, die in handwerklichen Voll-zeitschulen eine Berufsausbildung erwor-ben hatten;

(c) es lag eine andere „Berufsbildungsphi-losophie“ zugrunde: Man vertrat die Auf-fassung, es sei für die jungen Menschen nütz-licher, möglichst lange die Schule zu besu-chen, anstatt zu früh ins Erwerbsleben ein-zutreten.

Abschließend sollen hier noch einmal dreiAspekte hervorgehoben werden.

1. Anhand welcher Faktoren man die Un-terschiede zwischen den einzelstaatlichenBerufsbildungssystemen erklären kann,lässt sich nur feststellen, wenn man sichmit der Geschichte der beruflichen Bildungauseinandersetzt.

2. Für die Analyse der Geschichte einesbzw. mehrerer einzelstaatlicher Berufsbil-dungssysteme ist es unerlässlich, nicht nurdie wirtschaftliche, gesellschaftliche undtechnische Entwicklung, sondern auch kul-turelle Faktoren zu berücksichtigen, ins-besondere landestypische Denkweisen oderEinstellungen zu Bildung, Arbeit und Aus-bildung.

3. Die Geschichte der beruflichen Bildungmuss intensiver erforscht werden, weil Be-darf nach weiteren Studien besteht, dienicht nur die historische Entwicklung ei-nes bestimmten einzelstaatlichen Berufs-bildungssystems untersuchen, sondern dieEntwicklung in zwei oder mehr Ländernaus vergleichender Sicht erörtern.

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Schlagwörter Nursing training, research into nursing, training, innovative change, time, qualifying school

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Ermächtigen, legitimieren, mar-ginalisieren: Geschichte als Be-rufsbildungspolitik

Dieser Beitrag will die Rolle von Bil-dungsforschern und Bildungsgeschichte alskonstituierende Faktoren des politischenund des praxisbezogenen Diskurses überBerufsbildung hinterfragen. Die Globali-sierung der Wirtschaft und die Formen derNutzung menschlicher Arbeitskraft stelleneine Herausforderung an die Muster undVerfahrensweisen der Entwicklung berufli-cher Kompetenzen und Identitäten dar, dieim Zuge des Aufbaus nationaler politischer,industrieller und beruflicher Ordnungssys-teme entstanden sind. Die Politiken zur Be-wältigung dieser Herausforderungen - zurVerbesserung von Wettbewerbsfähigkeit,Mobilität, Übertragbarkeit und Flexibilität- nehmen in der Regel „Länder“ zum Be-zugspunkt. Gemeinsame Kriterien, ein-heitliche Rahmenstrukturen und Prinzipi-en für die Entwicklung der Berufsbildungund von bewährten Verfahrensweisen ih-rer Umsetzung werden länderübergreifendgesucht (Weißbuch, 1995; EU, 2002). WennLänder verglichen werden, dann werdendie Muster und Verfahrensweisen der Be-rufsbildung als Systeme gedeutet. Werdenhohe Qualität und bewährte Verfahrens-weisen ermittelt, dann werden sie dem Be-rufsbildungssystem eines Landes zuge-schrieben. Die Verbreitung bewährter Ver-fahrensweisen und die Übernahme von ein-heitlichen Rahmenstrukturen wirft jedochdie Frage auf, warum Länder sich vonein-ander unterscheiden und was zur Verbes-serung der Systeme getan werden kann. Andiesem Punkt kommt der Diskurs über „Mo-delle“ ins Spiel. Die Verknüpfung von Bil-

dung und Geschichte mit politischen undkulturellen Programmen ist auf transnatio-naler Ebene weniger transparent als auf na-tionaler Ebene. Durch das Erkennen unddie Sichtbarmachung bestimmter Erschei-nungsformen, Veränderungen und Konti-nuitäten in der Berufsbildung wirken For-scher an der Definition von Berufsbildungmit. Solange die Möglichkeiten kulturver-gleichender, kooperativer historischer Be-rufsbildungsforschung nur marginal genutztwerden, besteht die Versuchung universa-lisierender Deutungen von Berufstätigkeitund Berufsbildung, auch wenn diese aufder Grundlage bestimmter ausgewählterkultureller Rahmenbedingungen entwickeltwurden.

Die meisten Untersuchungen über den Wan-del der Berufsbildung in Europa sind sy-stemfokussiert, auch wenn sie aus sekto-renspezifischer Perspektive (meist dem tech-nischen Bereich) erstellt sind. (1) Die Be-rufsbildung wird selten als in sich komple-xes Gebiet betrachtet, das sich aus ver-schiedenen Sektoren zusammensetzt, diewiederum in umfassendere Bildungs-, Poli-tik- und Sozialprogramme eingebunden sind.Eine in der transnationalen Diskussion undPolitikgestaltung weit verbreitete Typolo-gie der Berufsbildungssysteme geht auf Wolf-Dietrich Greinert (1990) zurück: Bei seinerCharakterisierung des deutschen Berufsbil-dungssystems unterschied er zwischen ei-nem marktwirtschaftlichen oder liberalisti-schen Modell (Japan, Vereinigtes Königreich,USA), einem bürokratischen oder Schulm-odell (Frankreich, Italien, Skandinavien) undeinem dualen Modell (Österreich, Deutsch-land, Schweiz). Später benannte Greinert(1999) diese Typen dann um und bezeich-

Anja HeikkinenProfessorin imFachbereichBildungswesen,Universität Jyväskylä,Finnland

(1) In Finnland beispielsweise hatder Begriff der Berufsbildung einviel breiteres Bedeutungsspektrumerlangt - er schließt alle Wirt-schaftszweige und die meisten be-ruflichen Qualifikationsniveaus ein- als in vielen anderen Ländern. DerBegriff der Berufsschule oder schu-lischen Berufsbildung findet sichheute in allen Berufsfeldern, obwohldie Terminologie sich zunehmendam vorherrschenden englischenSprachgebrauch orientiert. SieheHeikkinen, 1995; Heikkinen et al.,1999; Heikkinen et al., 2000; Heik-kinen et al., 2002.

Berufsbildungsmodelle,Berufsbildungsparadig-men oder Berufsbil-dungskulturen

Indem Forscher die Relevanz be-stimmter Entitäten, Erschei-nungsformen, Veränderungenund Kontinuitäten für die be-rufliche Bildung sichtbar machen,nehmen sie gemeinsam eine De-finition von Arbeit und Bildungauf subnationaler, nationaler undsupranationaler Ebene vor. Wel-che Narrativa und Abbildungenwerden künftig in den transna-tionalen Diskursen über Berufs-bildung Gültigkeit haben? Un-tersuchungen über den Wandelder Berufsbildung in Europa spre-chen von Systemen, auch wennsie aus sektorenspezifischen Per-spektiven erstellt sind. Berufs-bildung wird selten als ein in sichkomplexes Gebiet und als Ergebnisumfassenderer Bildungs-, Poli-tik- und Sozialprogramme be-trachtet. Dieser Artikel will dieNotwendigkeit kulturverglei-chender Forschung zur Entste-hung der Bedeutungen und Funk-tionen von Berufsbildung auf-zeigen. Eine entscheidende Rol-le könnte hierbei Untersuchun-gen zu historischen Phasen zu-kommen, in denen die Berufs-bildung mit anderen Bildungs-formen konfrontiert wurde. Mit-tels einer Diskussion der Fort-bildung in Finnland, den übri-gen skandinavischen Ländernund Deutschland wird eine Ein-bettung der Berufsbildungsmo-delle in historische Zusammen-hänge und ihre Kontextualisie-rung vorgeschlagen.

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nete sie als „klassische“ Berufsbildungsmo-delle. Ihm zufolge begannen sich diese Mo-delle nach der zweiten industriellen Revo-lution zu vermischen, wobei jedoch die klas-sischen Modelle im Kern erhalten gebliebenseien. Weniger bekannt ist die entscheidendverbesserte Version dieser Typologie vonThomas Deissinger (1995), der im Gegensatzzu den Output-Faktoren der BerufsbildungInput-Faktoren einführte, die er als „Qualifi-zierungsstile“ mit folgenden strukturell-funk-tionalen Dimensionen bezeichnete:

(a) den ordnungspolitisch-organisatorischenRahmen des Qualifizierungsprozesses;

(b) die didaktisch-curriculare Ausrichtungdes Qualifizierungsprozesses;

(c) die Verortung des Qualifizierungspro-zesses im Sozialisationszusammenhang.

Als Beispiel charakterisiert Deissinger den„Qualifizierungsstil“ in Deutschland:

(a) das Zusammenwirken von Staat undWirtschaft im Sinne einer konkurrierendenRegelungsbefugnis;

(b) die Orientierung der Ziele und Inhaltedes Ausbildungsprozesses an komplexenQualifikationsprofilen („Berufsprinzip“);

(c) die pädagogische Relevanz des Soziali-sationsraums „Berufsausbildung“ als „Mittel-raum“ zwischen allgemeiner Schulbildungund Erwerbstätigkeit und damit der Rückgriffauf eine vom Schul- wie auch vom Beschäf-tigungswesen separierte Ausbildungswelt.

Die außergewöhnlich starke Position derdeutschen Berufsbildung und Berufsbil-dungsforschung lieferte Forschern und po-litischen Entscheidungsträgern auf natio-naler und transnationaler Ebene gute Argu-mente, solche Typologien zu übernehmen(z.B. Koulutus ja tutkimus vuosina..., 2000;Stenström et al. 2000, Copenhagen process,first report of the Technical Working GroupQuality in VET 2003). Die Modellbildung istvon grundlegender Bedeutung für die Kon-struktion von Theorien, die das Verständnisund die Gestaltung der Welt ermöglichen.Ihr Wert als Theorie wird jedoch stark ge-mindert, wenn ihnen primär die Funktionder Anwendbarkeit auf die vorherrschendenWeltdefinitionen zukommt (2). So argumen-tiert beispielsweise Greinert (3), dass sich ne-ben den drei klassischen Modellen in Eu-

ropa keine anderen Modelle entwickelt hät-ten und dass die Systeme in allen anderenLändern lediglich nationale Versionen die-ser Modelle darstellten. Neben einer De-kontextualisierung hat der Modellansatz inder komparativen Forschung eine ahistori-sche Anwendung von Geschichte zur Fol-ge: Bestimmte Augenblicke werden als nichthinterfragbare Ursprünge der Modelle aus-gewählt. Das Ziel des vorliegenden Beitragsist, die Notwendigkeit eines historisch ein-gebetteten und kontextualisierenden Ansat-zes - das heißt, die Hinterfragung der Ent-stehung und des Wandels der pädagogischenBedeutungen und Funktionen der Berufs-bildung - in der kulturvergleichenden Dis-kussion zu belegen. Ein Weg hierzu ist dieUntersuchung historischer Phasen, in denendie Berufsbildung mit anderen Bildungsfor-men konfrontiert wurde.

Das spezielle Thema dieses Artikels ist derWandel der Fortbildung in dem grob ab-gesteckten Zeitraum zwischen den siebzi-ger Jahren des 19. und den dreißiger Jah-ren des 20. Jahrhunderts in den skandina-vischen Ländern und Deutschland. Währendder gesamten Geschichte der Bildungspo-litik haben Debatten über die Art, Dauerund Universalität der Primarbildung undüber die Probleme der Wiedereingliede-rung von Menschen ins Erwerbsleben unddas Bildungssystem Anlass zu Diskussio-nen über die spezifischen Eigenarten ver-schiedener Bildungsformen gegeben. EinGrund für die Fokussierung auf die Fort-bildung ist deren Bedeutung in der Ge-schichte der Berufsbildung und der hi-storischen Berufsbildungsforschung inDeutschland. Ein anderer Grund ist die dra-stische Ausweitung von Fördermaßnahmenfür Problemgruppen im regulären Bil-dungssystem und in der europäischen Wirt-schaft. Die Entwicklung spezieller Korrek-tivmaßnahmen für lernschwache Schüler,benachteiligte Gruppen, ältere Arbeit-nehmer, Frauen und ethnische Minderhei-ten führte zur Vernachlässigung einer kri-tischen Analyse der Bildungs-, Beschäfti-gungs-, Sozial- und Jugendpolitik für diebreite Bevölkerungsmehrheit (Evans et al.,2004). In der nationalen Umsetzung vonFördermaßnahmen spiegeln sich jedochdie Kontroversen wider, die in der histori-schen Entwicklung der Bildungslandschaftinsgesamt wurzeln. Welche Instrumentebietet die Bildungsgeschichte für einePolitikgestaltung mithilfe der Deutung desPhänomens „Fortbildung“ an?

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(2) In seinen Analysen zur Kultur desVirtualismus vertritt Daniel Millerden Standpunkt, dass Abstraktionenund Realitätsmodelle heute nichtmehr dazu dienen, die Realität zuverstehen und zu gestalten. Es exi-stiere ganz im Gegenteil ein Marktfür Abstraktionen, die die Phänomene,die darzustellen sie vorgäben, er-setzten anstatt sie abzubilden. For-schung und Forscher übernähmenzunehmend eine beratende Rollebei der Legitimierung technokrati-scher Regierungsstrukturen (mana-gerial governance), die die Machthätten, die Realität entsprechendden Abstraktionen umzuformen, mit-hilfe derer die Politiker sie deutenmöchten (Miller 2002).

(3) Siehe den in dieser Ausgabe ver-öffentlichten Artikel, der eine über-arbeitete Fassung seines Beitrags zurKonferenz über die Geschichte derBerufsbildung aus vergleichenderSicht (2004) darstellt, die 2002 inFlorenz stattfand..

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In diesem Zusammenhang verweisen Be-griffe wie continuation education (Coffey,1992; McCulloch, 1989), jatko-opetus (Heik-kinen, 1995; Jauhiainen, 2002), Fortbildung(Greinert, 1990), fortsättningsskola und fort-settelse/framhaldsutdanning (Michelsen, 1998)auf institutionelle Lösungen und pädagogi-sche Definitionen für allgemeine und beruf-liche Bildungsmaßnahmen, die mit der Über-gangsphase (in der Regel von der Erstaus-bildung/Pflichtschule) im Zuge der Einglie-derung ins Erwerbsleben und die Gesellschaftzu tun haben. Auch wenn die Bildungssy-steme heute als altersgebundene Ströme vonLernenden oder Lernwege betrachtet wer-den, wäre es anachronistisch, das Ziel derFortbildung, nämlich die Partizipation am so-zialen, politischen und beruflichen Leben,auf heutige Definitionen von (beruflichen)Bildungsaltern oder -phasen zu begrenzen.

Fortbildung in Finnland

In der finnischen Forschung zur Fortbildungstand bisher der Umbau des zweigleisigenSystems aus Volksschule und Gymnasiumin ein einheitliches Gesamtschulsystem imZentrum des Interesses. Würde man diesesSystem gemeinsam mit der Berufsbildunguntersuchen, so würde dies neue Einblickein die komplexen Funktionsmechanismenvon Bildung im Allgemeinen gewähren.Während die volksnahen, demokratischenElemente der finnischen Berufsbildung sonstweit gehend unbeachtet bleiben, liegt derSchwerpunkt dieses Beitrags auf dem Ver-hältnis zwischen Volksbildung und Be-rufsbildung, obwohl beide zunehmend inKonkurrenz zur akademischen Bildung tre-ten und mit dieser Kompromisse einge-hen mussten.

Die Entwicklung der finnischen Berufsbil-dung begann nach den Kriegen zwischenFrankreich, Russland und Schweden-Finn-land, als Finnland 1809 autonomes Großfür-stentum innerhalb des Russischen Reicheswurde. Die Gesellschaft erlebte einen jahr-zehntelangen Umgestaltungsprozess undentwickelte Grundstrukturen eines Wirt-schafts-, Bildungs- und Verwaltungssystems.Die ersten Vorhaben in diesem großen Landmit wenigen Fabriken und Schulen und ei-ner überwiegend selbstversorgenden, armenländlichen Bevölkerung hatten ganzheitli-chen Charakter (Heikkinen, 1995, 1999, 2000).Über lange Zeit hinweg waren immer die-selben Netzwerke für alle Initiativen zur Ent-wicklung von Wirtschaft und Bildungswe-

sen verantwortlich. Der Schwerpunkt der inEntstehung begriffenen Berufsbildung lagauf der Förderung effizienterer und ratio-nellerer Produktionsmethoden in der Land-wirtschaft und einer gesunden Lebenswei-se sowie der Heranbildung ökonomisch fort-schrittlich denkender Beamter und Führungs-persönlichkeiten für das Land. Es war be-zeichnend für die Verbindung zwischen Staatund Wirtschaft, dass die ersten Schulen fürHandwerk und Industrie (Gesetz von 1842über die Ausbildung von Handwerkern undManufakturarbeitern für das Land und dasGesetz von 1847 über technische „Real-schulen“) von der Manufakturbehörde ein-gerichtet wurden, einer der ersten nationa-len Behörden mit der ausdrücklichen Auf-gabe, die berufliche Bildung zu fördern. DasGesetz ging auf Initiativen aus dem Hand-werk zurück und erteilte den Schulen einenklaren beruflichen Bildungsauftrag.

Die Organisation der Volksbildung blieb bisin die sechziger Jahre des 19. JahrhundertsAufgabe der lutherischen Kirche, der Haus-halte und Gemeinden. Die Unterschiede zwi-schen ländlichen Gemeinden und Städtenwaren groß, bis ab 1860 mit der allmähli-chen Liberalisierung von Gewerbe und In-dustrie begonnen wurde. Die ersten nicht-kirchlichen Volksschulinspektoren wurden1861 ernannt, und die unabhängige Schul-verwaltungsbehörde (Bildung) wurde 1869eingerichtet. Der nationale Erlass über dieVolksschulen von 1866 resultierte aus einemumfassenderen Programm der Fennoma-nen(4) zur Volksbildung, das vorwiegendökonomische und praktische Zielsetzungenhatte und sich insbesondere an die Land-bevölkerung wandte.

Die Diskussion über das Verhältnis zwischenberuflicher Bildung, Volksbildung und Fort-bildung setzte in der Zeit nach 1880 ein. Trotzdes stark politisierten Charakters der volks-nahen, demokratischen finnischen Bildungs-und Aufklärungsbewegung - die auch mitdem Sprachenstreit zwischen Schwedischund Finnisch in Zusammenhang stand - warsie pragmatischer geprägt und berufsorien-tierter als in anderen skandinavischen Län-dern. Die Fennomanen-Bewegung motivierteeinige größere Städte dazu, in systemati-scherem Umfang Unterricht in allgemein bil-denden Fächern, Hauswirtschaft und hand-werklichen Tätigkeiten anzubieten. Das Ge-setz zur Gewerbeliberalisierung von 1879verpflichtete die Arbeitgeber, Beschäftigteunter 15 Jahren für den Abendschulbesuch

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(4) Im 19. Jahrhundert setzte einenationalistische Bewegung, die zurEntwicklung der finnischen Spracheund Literatur beitrug, durch, dassdas Finnische offiziell dem Schwe-dischen, der Sprache der herr-schenden Minderheit, gleichgestelltwurde. Fennomanen-Bewegung. En-cyclopædia Britannica. Abgerufenam 24. April 2004, über: EncyclopædiaBritannica Premium Service.:http://www.britannica.com/eb/article?eu=794> (Anm. des Bearbei-ters).

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freizustellen. Je nach Region konnten diesentweder Fortbildungsunterricht in der Volks-schule oder der Schule für Handwerk undIndustrie sein. Bildung sollte zwei verschie-denen Zielen dienen (Teollisuushallituksen,1888): Erstens sollte sie allen Kindern eineallgemeine Bildung und staatsbürgerliche Er-ziehung angedeihen lassen, die auch die Vor-aussetzung für die berufliche Bildung war.Dies war die Absicht, die hinter dem Erlassüber den Fortbildungsunterricht stand. Zwei-tens bezog sich das Gewerbegesetz auf dieschulische Berufsbildung, die berufsbezo-genes Wissen vermitteln und das Lernen amArbeitsplatz unterstützen sollte. Einige Be-amte und Handwerksverbände schlugen vor,den obligatorischen Besuch von Handwerks-und Industrieschulen für Personen bis 21 Jah-re einzuführen, konnten sich mit diesem Vor-haben jedoch nicht durchsetzen. Die weni-gen vorhandenen Handwerksverbände ver-fügten nur über geringen und die Industrie-arbeiter über gar keinen Einfluss auf dieIndustrialisierungsbestrebungen, deren Schwer-punkt längere Zeit auf der Ausbildung vonfinnischen Ingenieuren und später von Vor-und Facharbeitern durch vollzeitliche Be-rufsbildung lag.

Während die entstehenden Berufsbildungs-einrichtungen im späten 19. Jahrhundert zu-nehmend die Förderung verschiedener Wirt-schaftssektoren (Landwirtschaft, Industrie,auch Wohlfahrtsstaat) verbanden, begannensich die Berufsbildungsparadigmen ent-sprechend auszudifferenzieren. Alle Seitenwaren in den expandierenden nationalenRegierungsbehörden vertreten. Einer derHauptbefürworter des Fortbildungsunter-richts in den Jahren zwischen 1890 und 1930war Mikael Soininen (Johnsson), Leiter desLehrerseminars, Inspektor und Vorsitzenderder Schulverwaltungsbehörde(5). Sein Haupt-anliegen bestand darin, die Bildung des ge-samten Volkes zu fördern, wobei er alle Ar-ten von Bildung berücksichtigt wissen woll-te. In einem Beitrag, den er nach der Ein-führung des allgemeinen Wahlrechts 1905verfasste, skizziert er sein Bildungsprogramm:

„Beim Eintritt ins Erwachsenenalter mussjeder junge Mann und jede junge Frau überdas Schicksal des Landes mitbestimmen ...Wodurch erlangt er/sie sein/ihr Verständnisvom Aufbau und den Bedürfnissen der Ge-sellschaft, um als Gesetzgeber und Regie-rungsverantwortlicher seine Aufgaben er-füllen zu können? ... Die Sozialwissenschaften,die in diesen Zeiten so wichtig für unser

Land sind, müssen im Anschluss an die Volks-schule unterrichtet werden. Aus diesemGrund benötigen wir nach den ersten Schul-jahren Fortbildungsunterricht. ... Techni-sches Zeichnen und anderer Vorberei-tungsunterricht für verschiedene Industrie-zweige ist in allen Ländern für junge Men-schen in den Städten fast allgemein üblich;die Landbevölkerung braucht Unterweisungin den Grundlagen einträglicher, zeitgemäßerLandwirtschaft; die künftigen Bauersfrau-en sollten hauswirtschaftlich geschult wer-den; jeder sollte über die Grundlagen derallgemeinen Gesundheitspflege Bescheid wis-sen, einschließlich vieler spezieller Bereiche,die für die materiellen und sittlichen Le-bensverhältnisse des Volkes von grundle-gender Bedeutung sind.

Diese Art von Fortbildungsunterricht ist beiuns nicht mehr unbekannt ... In reiferem Al-ter benötigen sie jedoch Bildungswerkstät-ten, in denen die Gesinnung und die Fähig-keiten, die Voraussetzung für staatsbürger-liche Verantwortung sind, sich frei und gründ-lich entwickeln können. Wir haben dieseWerkstätten bereits: die Volkshochschulen ...In diesen Werkstätten sollten die Frauen undMänner herangebildet werden, die als Ord-nungskräfte, welche dem einfachen Volk amnächsten stehen, dieses bei seinen wirt-schaftlichen Unternehmungen, im Gemein-de- und im nationalstaatlichen Leben sowiein seinen materiellen und geistigen Bestre-bungen anleiten. Sie müssen den gebildetenStand begründen, der unabhängig ist vonder Bürokratie und der in allen Notlagen alserster Helfer und Hüter des Volkes bereit steht.“(Johnsson, 1906).

In den Jahren zwischen 1880 und 1920 wur-den die Entwicklung der finnischen Wirt-schaft und Industrie und der Ausbau des Bil-dungswesens parallel zueinander vorange-trieben. Der von breiten Schichten getrageneWiderstand gegen die Russifizierung fandseinen Ausdruck in den gemeinsamenBemühungen zur Förderung der nationa-len Wirtschaftszweige und der Bildung.Neben neuen Branchenverbänden und Behör-den wurden in allen Industriezweigen eineVielzahl von Schulen und Instituten gegründetund Berater eingesetzt. Eine Zeit lang zogendie Befürworter einer Berufsbildung als ei-genständiger Bildungsform, die vor allem ausdem Ministerium für Handel und Industriekamen, und die Förderer der Volksschuleund der Fortbildungsschule aus dem Bil-dungsministerium bei der Planung der na-

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(5) Mikael Johnsson/Soininen gehör-te zu den progressiven Jungen Fen-nomanen und trat aktiv für die fin-nische Kooperativenbewegung undfür die Entwicklung der Volksschu-le zu einer „Schule für das Leben“ein.

(6) Allerdings behielten die Vorbe-reitungsschulen in den Städten unddie ersten Klassen des Gymnasiums,die „Mittelschule“, ihren Status alsErsatz bis in die 1950er bzw. 1970erJahre.

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tionalen Reformen der an die Pflichtschuleanschließenden Bildungswege an einemStrang. Jalmari Kekkonen, Inspektor für Be-rufsbildung in Handwerk und Industrie (1908-1983), wirkte hier als Pionier und schlug vor,dass die Fortbildungsschule als Vorbereitungauf die Lehrlingsausbildungsschulen und dieim Verschwinden begriffenen Abend-/Teil-zeitschulen dienen und die bisherigen Be-sucher der Schulen für Handwerk und In-dustrie aufnehmen sollten, die ab 1899 inden Städten durch die vollzeitlichen Berufs-schulen für Jungen und Mädchen ersetzt wor-den waren. Die unzureichenden Lehrlings-ausbildungsschulen sollten in richtige Be-rufsschulen umgewandelt werden und nichtnur als Ersatz für die Fortbildungsschulenfungieren. Der Auftrag der Berufsschulen be-stand in der Förderung der Berufsentwick-lung; es sollte sich um praktische und aut-hentische Arbeitsplätze handeln, wobei je-doch der pädagogische Anspruch im Vor-dergrund stehen sollte (Teollisuushallituk-sen, 1923; Heikkinen, 1995).

Nach der Russischen Revolution, der Schaf-fung eines unabhängigen Nationalstaatesund dem Bürgerkrieg kam es jedoch zu Span-nungen zwischen den verschiedenen Re-formprojekten in Finnland. Die von einembreiten Konsens getragenen Reformpläneder Jahrhundertwende wurden in den zwan-ziger Jahren in einem völlig neuen politi-schen und sozialen Umfeld umgesetzt. DieGegensätze zwischen Stadt und Land, zwi-schen Lebensformen und Wirtschaftszwei-gen traten zu Tage, die Volksbewegungenspalteten sich in die kommunistische, diesozialdemokratische und die Bauernparteiauf und die Auseinandersetzungen zwischenArbeitnehmern und Arbeitgebern dehntensich auf die nationale Ebene aus. Auch wur-de das Gesetz über die generelle Pflicht zumBesuch der Volksschule bis 1921 verlän-gert(6). Das Gesetz sah nach Absolvierungder Schulpflicht einen zweijährigen Besuchder (Volks-)Fortbildungsschule bindend vor,wenn der/die betreffende Jugendliche da-nach keine andere Schule besuchte. Die Fra-ge lautete nun, ob Berufsschulen als „an-dere“ Schulen betrachtet werden sollten.Nachdem die Volksschule eingeführt warund die politischen und Wirtschaftsver-bände sich neben den demokratischen Volks-bewegungen etabliert hatten, wurde die Tren-nung zwischen staatsbürgerlicher Bildung,akademischer Bildung und beruflicher Bil-dung institutionalisiert. Die Befürworter derGesamt-Fortbildungsschule, die sich selbst

als Anhänger des Fennomanen-Projekts ei-ner universellen Staatsbürgerschaft verstan-den, priesen sie als eine allgemein bilden-de, praktische Schule für die Mehrheit einerAltersgruppe (Gymnasialschüler ausge-nommen) und als Weg der Erziehung zumStaatsbürger. Viele Vertreter der finnischenLandwirte hielten die Fortbildungsschuleauch für eine Alternative für die beruflicheErstausbildung in den ländlichen Gemein-den, weil es sich als schwierig erwies, voll-zeitliche Berufsschulen für die Bauernschaftanzubieten. Die Gegner indes, die der Be-rufsbildung für Handwerk und Industrie denVorzug gaben, traten für die Abgrenzung derBerufsbildung gegen die staatsbürgerlicheErziehung und die akademische Bildung einund betonten die Bedeutung ihrer Anbin-dung an die Industrie. In den städtischenGemeinden wurden die Berufsschulen bisin die vierziger Jahre als Ersatz für die Fort-bildungsschulen favorisiert.

Zwischen den zwanziger und den vierzigerJahren wurden vonseiten des Bildungsmi-nisteriums, der Schulverwaltungsbehördeund der Lehrerseminare wiederholt Initia-tiven zur Entwicklung der Fortbildungsschulezu einer praktisch orientierten, allgemeinberufsbildenden Schule ergriffen, die diefrüheren Einrichtungen für einfache Be-rufsausbildungen ersetzen sollte (Salo, 1944).Diese Vorhaben standen in Zusammenhangmit einer umfassenderen, politisch moti-vierten Säuberung und Disziplinierung derVerwaltung, die einen Machtzuwachs für diebäuerlichen und die Volksparteien und de-ren Interessenverbände erbrachten. Ihre Ver-treter bekleideten zu jener Zeit Positionenim Bildungs- und Landwirtschaftsministeri-um und unterhielten enge Kontakte zur Volks-bildungsbewegung (Heikkinen et al., 1999).Die Befürworter der beruflichen Bildung fürFrauen in den Bereichen Handwerk, Indu-strie, Landwirtschaft, Viehzucht und Haus-wirtschaft protestierten vehement gegen Vor-schläge, lediglich die Ausbildung in Frau-enberufen in die Fortbildungsschulen zu in-tegrieren, die dem Bildungsministerium un-terstanden. Der leidenschaftlichste Verfech-ter der Fortbildungsschule in den Jahren1926-64, der Volksschulinspektor Alfred Sal-mela, betrachtete diese als Bestandteil einerumfassenden, patriotischen Volksbildung.Der Auftrag der Fortbildungsschule sollte inerster Linie die staatsbürgerliche Erziehung,zweitens die berufliche Orientierung unddrittens die Bereitstellung praxisbezogener,berufsorientierter Bildung sein. Salmela ak-

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(7) Die Besuchsquote belegt die Funk-tion dieser Bildungsform: Ebensowie Berufsschulen und Volkshoch-schulen nahmen die Fortbildungs-schulen auch Erwachsene auf, be-vor die Pflichtschule jede Altersko-horte in ihrer Gesamtheit erfasste.

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zeptierte nur das Gymnasium als Alternati-ve für intellektuell besonders begabte Kin-der (Kailanpää, 1962). Sein Programm schi-en zunächst erfolgreich: Die Absolvierungder Fortbildungsschule wurde 1943 bindendeVoraussetzung für die Aufnahme in andereSchulen, und im Zuge der Reform von 1958wurde die Fortbildungsschule in „Schule fürStaatsbürgerschaft“ (kansalaiskoulu, Kailan-pää, 1962) umbenannt. Die Jahre zwischen1930 und 1945 waren die Blütezeit der Fort-bildungsschule, und hier insbesondere inden ländlichen Regionen, wo die Besuchs-quote 140 % einer Altersgruppe betragenkonnte(7). Dieser Sieg war jedoch nicht vonDauer (Jauhiainen, 2002): Die Popularitätvon Gymnasium und Mittelschule nahmsprunghaft zu, die Berufsschulen wurdenausgebaut und fanden im Zuge der Mo-dernisierung der Berufsbildung landesweitAnerkennung. Die Reformen zur Schaffungvon Gesamtschulen und eines Systems derschulischen Berufsbildung, die Bestandteildes Wohlfahrtsstaatsprojekts Welfare Finlandwaren, standen kurz vor der Umsetzung.

Fortbildung und Berufsbildungs-modelle

Das deutsche Erbe

In Deutschland fokussierte sich die histori-sche Forschung zur Fortbildung auf dieBeziehungen zwischen Sozialpartnern undStaat und zwischen den Lernorten in der be-ruflichen Bildung; wenig Beachtung fand dieFunktion der Fortbildung im Kontext der wei-teren Bildungslandschaft (Stratmann, 1990;Greinert, 2002; Greinert, 2004). Dagegen kon-zentrierte sich die Politik- und Forschungs-diskussion in den skandinavischen Län-dern beinahe ausschließlich auf die Bezie-hungen zwischen Gymnasium/Mittelschuleund Volksschule sowie auf die Vereinheitli-chung der Pflichtschule durch ihre Akade-misierung (z.B. Rinne, 1984; Jauhiainen, 2002;Jarning, 2002). Um das Potenzial von Re-flexionen zur Fortbildung für die kulturver-gleichende Forschung zu verdeutlichen, wer-den in diesem Abschnitt Entwicklungen inDeutschland und anderen skandinavischenLändern erörtert. Dieser Versuch ist gewissmit systematischen Fehlern behaftet, da inDeutschland ein beträchtliches Korpus an Li-teratur zu diesem Thema vorliegt, währendskandinavische Forscher nur marginales In-teresse an diesem Aspekt zeigten.

Die deutschen Auseinandersetzungen umdie Fortbildung im späten 19. und frühen20. Jahrhundert endeten mit der Umwand-lung der „Fortbildungsschule“ in die Be-rufsschule; in den skandinavischen Ländernhingegen führten die entsprechenden Initia-tiven und Diskussionen nirgends zu einersolchen Lösung. In Deutschland spielten dieBestrebungen, die männlichen Jugendlichenin den Städten zu kontrollieren und zu dis-ziplinieren, eine entscheidende Rolle. DieLehrlingsausbildung, die in der Verantwor-tung von Handwerk und Industrie lag, stell-te in der Phase der raschen Industrialisie-rung, Urbanisierung und der Migrationsbe-wegungen im späten 19. Jahrhundert immernoch die vorherrschende Form der Berufs-bildung dar. Allerdings war bereits in vielenRegionen der Besuch der allgemein bilden-den - oft konfessionellen - Fortbildungs-schule für Jugendliche bindend vorgeschrieben.Infolge der Auflösung der familienbezoge-nen Erziehungs- und Ausbildungsstrukturengeriet die Integration von Beruf und staats-bürgerlicher Rolle bei Kleinunternehmernund Arbeitern in Gefahr (z.B. Greinert, 1990;Stratmann, 1990; Wahle, 1994). Außerdembedrohte die Industrialisierung die herr-schende soziale, ökonomische und politi-sche Ordnung: Die großen, exportorien-tierten Industrien untergruben die Stellungdes Handwerks; von den Industriearbeiternging die Gefahr von Sozialismus und Revo-lution aus. Interessanterweise wurde die Ein-richtung von Berufsschulen nicht etwa vonHandwerk und Industrie betrieben, sondernvon einem Bündnis aus Primarschullehrernund Politikern (Deutscher Verein für dasFortbildungswesen, gegründet 1892-96). Spä-ter erhielten diese Schulen auch die Unter-stützung von Erziehungswissenschaftlernund wurden von den Industriellen und all-mählich auch vom Handwerkssektor ak-zeptiert.

In auffälligem Gegensatz zu anderen Kul-turen unternahmen in Deutschland Erzie-hungswissenschaftler wie Georg Kerschen-steiner und Eduard Spranger ernsthafteBemühungen zur Entwicklung einer echtenpädagogischen Alternative zur Berufsbil-dung, die auch gesellschaftliche Belangeberücksichtigen sollte (Kerschensteiner, 1901;Spranger, 1922). Durch ihren berufsbezo-genen Charakter wurde die Fortbildungs-schule zu einer politisch, rechtlich und pädago-gisch legitimen Fortbildungsalternative. Derentscheidende Faktor für die Etablierung derBerufsschulen war, dass sie in Verbindung

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mit der Lehre zum festen Bestandteil derPflichtschulausbildung im Anschluss andie Primarschule wurden. Der Preis hierfürwar jedoch, dass die Berufsbildungspraxisvon der Industrie - oder den Verbän-den/Kammern - bestimmt wurde und dassdie Berufsschulen einen auf die Berufe unddie Industrie bezogenen unterstützenden,allgemein bildenden Charakter erhielten.Gleichzeitig führten die religiösen und bür-gerlichen Konzeptionen von „Frauenberu-fen“, die die Hausfrauenrolle zur staatsbür-gerlichen Aufgabe erhoben, zur Entstehungeines Systems von vollzeitlichen berufsbil-denden Schulen für Frauen, die sich vondem durch die Lehre geprägten System fürMänner unterschieden (Mayer 1998). DieFortbildungsschule hat als Vorläuferin derBerufsschule einen weit reichenden Einflussauf deren Image in der deutschen Berufs-bildung ausgeübt. Als Schule für die „Staats-bürgerschaft“ war sie nur in zweiter Linieberufsrelevant, hatte überwiegend allgemeinbildenden Charakter und diente eher der Er-gänzung der akademischen Bildungswegeals dass sie ein spezifischer Bestandteil derInstitutionen zur Entwicklung von berufli-cher Identität und Qualifikationen war.

Importierte Rahmenstrukturen undskandinavische Entwicklungen

Die fehlenden Reflexionen zu den Bezie-hungen zwischen Fortbildung und Berufs-bildung führen skandinavische Forscher inVersuchung, bereits vorhandene, in Deutsch-land entwickelte komparative Rahmen-strukturen zu übernehmen. (siehe Greinert,2002; Luhmann, 2002). Gemäß diesen wirddie Berufsbildung in der Regel zunächst ausder Perspektive von Regulierung, Systemenund Institutionen betrachtet. Gesetzgebung,Finanzierung und Institutionalisierung durchInteressengruppen werden als Kriterienfür die Identifizierung und Differenzierungvon Berufsbildungssystemen herangezogen.Zweitens werden Handwerk und verarbei-tende Industrie aufgrund ihrer zentralen po-litischen und ökonomischen Rolle bei derEntstehung des deutschen Nationalstaats undder deutschen Volkswirtschaft zum Standardfür Berufsarbeit erhoben. Drittens werdendie beruflichen Arbeitsformen ausschließ-lich als männliche Berufe im verarbeitendenGewerbe definiert. Viertens konzentrierensich die Analysen der Interessengruppen imBereich der Berufsbildung auf die Rolle desMittelstands, auf Arbeiter/Angestellte undUnternehmen/Arbeitgeber, die als Sozial-

partner über ihre Interessen in der Berufs-bildung verhandeln. Fünftens wird die Rol-le des Staates reduziert auf die eines eigen-ständigen, bürokratischen Akteurs in einerzwischen drei Parteien ausgetragenen Aus-einandersetzung um Regulierungskompe-tenzen und finanzielle Verpflichtungen (Mad-sen, 1988; Larsson, 1995; Sakslind, 1998;Heikkinen, 1995). Das erste Kriterium er-klärt, warum skandinavische Forscher dazuneigen, universalisierende Modelle zu ko-pieren, wobei der Fokus auf Systemen undInstitutionen ihr ausschließliches Interessean Volksschule, Gymnasium und Universitätverstärkt hat, die alle kirchlicher oder staat-licher Verwaltung unterstanden und auf na-tionaler Ebene diskutiert wurden(8). Jedochkönnte die Entwicklung der skandinavischenBerufsbildung, wenn man sie im Zusam-menhang mit der Fortbildung sieht, die Uni-versalität der übernommenen Modelle in-frage stellen.

So werden die Entwicklung der skandina-vischen Berufsbildung und die Beziehun-gen zwischen Interessengruppen und Staatnur verständlich, wenn man sie im Zusam-menhang mit dem Wandel des kulturellenKontexts betrachtet. Schulen und Staat wa-ren keineswegs losgelöst von den kultu-rellen, politischen und ökonomischen Be-wegungen mit ihren verschiedenen Zielset-zungen für den künftigen Nationalstaat. Dieskandinavischen Lösungen für die Fortbil-dung waren im 19. Jahrhundert alle von derdemokratischen Volksbildungsbewegung be-einflusst, die nach folkelighed („Volksnähe“,„Volksverbundenheit“) strebte (Slumstrup etal., 1983; Gudmunsson, 1995; Jarning 2002).Es wurde argumentiert, dass die Volksbil-dungsbewegung vor allem in Norwegen dieEntwicklung von Fachinstituten, die Tech-nik, Theorie und Praxis integriert und dernationalen Industrie gedient hätten, verhin-dert habe, weil die politisch einflussreich-sten demokratischen Volksbewegungen sichvor allem auf die landwirtschaftliche Aus-bildung konzentriert hätten (Korsnes, 1997;Michelsen, 1991, 1998). Doch entwickeltensich Handel, Handwerk und verarbeitendesGewerbe in Norwegen ebenfalls weit ge-hend unabhängig von der Landwirtschaft(Sakslind, 1998; Gudmunsson, 1995). Währendim technischen Sektor Teilzeitschulen fürLehrlinge (lærlingskoler [Lehrlingsschulen]),tekniske aftenskoler [technische Abendschulen])von den örtlichen Handwerks- und Indus-trieverbänden betrieben wurden, verfolgtenStaat, Kirche und demokratische Volksbe-

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(8) Und stehen als Teil ihrer per-sönlichen Geschichte auch ihrer Le-bensweise und ihrem Selbstbildnäher.

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wegung gemeinsam das Ziel der Unab-hängigkeit von Dänemark (1814) und Schwe-den (1905). Die Volksbildung und die ge-sellschaftliche Partizipation, die durch Volks-schulen und Volkshochschulen gefördertwurden, gewannen eine zentrale Bedeutung.Das Gymnasium behielt zwar seine über-geordnete Stellung, doch erlangte die Fort-bildung allmählich eine vorbereitende undergänzende Funktion im Hinblick auf dieakademische Bildung (Jarning, 2002). LautMichelsen (1998) initiierten in Norwegenweibliche Lehrer im Zuge der bürgerlich-feministischen Bewegung die Gründung spe-zieller beruflicher Fortbildungsschulen. DieFrauen hatten sich ohne die männlichen Leh-rer organisiert, die überwiegend aus demlandwirtschaftlichen Bereich stammten. Zwi-schen 1910 und 1940 versuchten die Lehre-rinnen eine praktisch ausgerichtete Pflicht-schule für Jugendliche (ungdomsskole) ein-zuführen, die an die Volksschule anschließenund sich an den pädagogischen Konzeptenvon Kerschensteiners Arbeitsschule orien-tieren sollte. Als Teil der Emanzipationsbe-wegung, die Frauen an das Berufsleben her-anführen wollte, fand die Initiative bei Hand-werk und Industrie jedoch kaum Beachtungund erhielt keine Unterstützung von staatli-cher Seite. Sie war kein echter Vorläufer derinstitutionalisierten Berufsbildung (yrkesko-ler, [Berufsschulen]), denn das Handwerkverteidigte sein Lehrlingsausbildungssystemund die Arbeiterbewegung setzte sich vorallem für die Entwicklung der Gesamtschu-le ein. Die berufliche Erstausbildung bliebaufgespalten und wurde einerseits in weitverstreuten, lokalen Teilzeitschulen, die un-ter lockerer Aufsicht der Wirtschaftsverbän-de standen, und andererseits in staatlich kon-trollierten Schulen vermittelt. Bildungspro-gramme zur Förderung der politischen undgesellschaftlichen Partizipation genossenweiterhin Vorrang und führten in den sieb-ziger Jahren auch im Sekundarbereich II zurEinrichtung von Gesamtschulen.

In Dänemark erfolgten die Liberalisierungvon Handel und Gewerbe und die Indu-strialisierung Mitte des 19. Jahrhunderts vorallem „von der Basis her“ unter Beteiligungder Bauernschaft und der Handwerker inden Kleinstädten. Die Expansion der Agro-industrie, die Kooperativen-Bewegung unddie regionale Selbstverwaltung gingen Handin Hand mit der Industrialisierung. Die de-mokratische Volksbewegung und die Volks-bildung förderten die Kontinuität kollekti-ver und kooperativer Sozial- und Produkti-

onstätigkeiten. Handwerk und Techniker-verbände übernahmen eine führende Rol-le in der Berufsbildung und bei der Grün-dung der ersten technischen Schulen (teg-neskoler [Schulen für technisches Zeichnen]-> tekniske skoler [technische Schulen] (Laeg-ring, 1985; Moeller, 1991). Die Entwicklungeines neuen Typs von kleinen stationsbyer(Kleinstädte mit Bahnstation) entlang derBahnstrecken seit den siebziger Jahren des19. Jahrhunderts führte die ländlichen Hand-werker und Gewerbetreibenden an dieZunfttradition der købstæder (Kleinstädtemit Handwerks- und Marktrecht) heran undspielte bis in die Zeit nach 1940 eine ent-scheidende Rolle bei der Gründung von Be-rufsschulen für Lehrlinge (Hentilä et al., 2002;Kryger Larsen, 2001). Die berufliche Erst-ausbildung wurde zum Bestandteil eines um-fassenderen Konzepts einer (auf Gemein-deebene angesiedelten) Volksbildung, diepolitische, wirtschaftliche und pädagogischeZiele miteinander verband. Die gleichenNetzwerke initiierten die Gründung von Be-rufsschulen und später von sog. WorkCamps)/Jugendschulen und Produktions-schulen) als verschiedene Formen der Volks-bildung (Laegring, 1985; Mayer, 1999; Slum-strup, 1983). Die Technikerverbände, die dieBerufe repräsentierten, waren für die Schu-linspektion, die Lehrerausbildung und dieVerteilung staatlicher Zuschüsse für die tech-nische Bildung zuständig. Der 1916 ge-schaffene nationale Rat für Berufsbildung(Tilsynet med den tekniske Undervisning forHåndværkere og industridrivende) setztesich jeweils zur Hälfte aus Vertretern der Ar-beitswelt und staatlicher Stellen zusammen.Allerdings sind die berufsspezifischen Schu-len bis heute ein Teil des von den Sozial-partnern kontrollierten Lehrlingsausbil-dungssystems geblieben. Im Gegensatzdazu bedeutete die Einrichtung von Ju-gendschulen (ungdomsskoler) in den dreißi-ger Jahren einen Wandel der Berufsbil-dungskonzepte: Diese Schulen wurden nichtvom Handwerk oder lokalen Akteuren, son-dern von politischen Entscheidungsträgernauf nationaler Ebene initiiert. Ihre Zielgruppewaren die 14- bis 18-Jährigen und ihr Zweckdie Bekämpfung von sozialen Problemenund Erwerbslosigkeit. Die beschäftigungs-politische Funktion der Schule zeigte sichdarin, dass sich technische Schulen und WorkCamps zu freiwilligen Alternativen für Ju-gendliche entwickelten, die die Pflichtschuleabsolviert hatten. Es wurde nun Aufgabe derstädtischen Behörden, Schulen für Jungenund Mädchen einzurichten, in denen sie auf

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die Arbeit in den gängigsten Berufsfeldernvorbereitet wurden.

Seit dem 19. Jahrhundert war die Berufs-bildung in Finnland Bestandteil konkurrie-render Vorhaben zur Entwicklung von Wirt-schaft, Berufen und Verwaltung, die po-tenziell auf nationaler Ebene eingeführt undein System konstituieren konnten (Heikki-nen, 1995, 2000; Heikkinen et al., 1999).Die schulisch eingebettete Berufsbildungwar gerade wegen ihres Potenzials zur För-derung der Wirtschaft und zur Verberufli-chung der Arbeit so bedeutsam. Trotz ver-änderlicher Machtverhältnisse und Einfluss-möglichkeiten wurden die Vorhaben durchdie Verwaltung vorangetrieben: Die Minis-terien, Ressorts und Behörden wurden zuSchaltstellen für ihre Koordinierung undihren Ausbau. Die Förderung und Steue-rung der Berufsbildung blieb bis in die sieb-ziger Jahre des 20. Jahrhunderts Bestand-teil der Wirtschaftsförderungspolitik der fürdie einzelnen Branchen zuständigen Mi-nisterien. Der Staat war an verschiedenenProgrammen zur Förderung der Wirt-schaftszweige und Politiken beteiligt. Sotrieben die Hauptkontrahenten in der Fra-ge der Fortbildung - die Anhänger der Fen-nomanen-Bewegung, die ein landwirt-schaftlich ausgerichtetes Finnland vertra-ten, und die Industrialisierungsbefürworter- ihre politischen und wirtschaftlichen Pro-jekte durch die Behörde für Bildung unddas Ministerium bzw. die Behörde für Ge-werbe und Industrie voran.

Sowohl in Schweden als auch in Finnlandhatte das Handwerk im Vergleich zur Ex-portindustrie - Metall- und Holzverarbeitung- und zur Landwirtschaft nur marginale Be-deutung. Die demokratischen Volksbewe-gungen wurden zum Sammelbecken für Klein-bauern, Landarbeiter, Grundbesitzlose undIndustriearbeiter und entwickelten einen emi-nent politischen Charakter (Kettunen, 1998;Hellspong et al., 1995). Die skandinavischeSozialdemokratie und der Gesamtschulge-danke gewannen mit Beginn des 20. Jahr-hunderts großen Einfluss. Das Konzept derfolklighet könnte sogar, in seinen späterensozialdemokratischen Ausprägungen, vomVermächtnis der einstigen militärischen Groß-macht Schweden, ihrer gut entwickelten Ex-portwirtschaft und ihrer breiten adligen Guts-besitzerschicht beeinflusst worden sein. Dieschwedischen Lösungen lassen erkennen,dass der Staat ein Selbstbild entwickelte, dem-zufolge er über eine besonders deutliche und

fortschrittliche Wahrnehmung des Bildungs-bedarfs der Menschen verfügte. „Eigentlichwar die Sozialdemokratie nicht an der Schu-le als solche interessiert, sondern nur dar-an, wie sie als Instrument zur Reform derGesellschaft funktionierte“ (Lindgren, 1997,S. 2). Jedoch wird von manchen Forschernauch auf die Bedeutung der allgemeinen Bil-dung hingewiesen, die „von unten“, von derLandbevölkerung (insbesondere von denwohlhabenden Landwirten) aus pragmati-schen und Zweckmäßigkeitserwägungen her-aus initiiert wurde und keine „von oben“ ver-ordnete Massenbeschulung der Bürger einesdemokratischen Nationalstaats darstellte (Lind-mark, 1996; siehe Boli, 1989). In jedem Fal-le wurde die berufliche Bildung mit anderenFormen der Bildung zusammengefasst. Abend-schulen für Lehrlinge/Auszubildende (Sön-dagsskolar [Sonntagsschulen] -> Lärlingssko-lar [Lehrlingsschulen]) wurden nicht etwa inTrägerschaft von Handwerk und Industrie,sondern von den Gemeindeverwaltungen be-trieben und vom Staat unterstützt und be-aufsichtigt (Larsson, 1995; Englund, 1986).Das Zentralamt für Schulwesen (skolöver-styrelse) wurde 1904 für die Gymnasien ein-gerichtet, umfasste seit 1918 jedoch aucheine Berufsbildungsabteilung, die für Ge-werbe, Handwerk, Industrie und Hauswirt-schaft zuständig war. Die berufliche Erstaus-bildung wurde zunehmend weiterentwickeltdurch Werkstattschulen, die Teil des staatlichunterstützten, vollzeitlichen Gemeindeschul-systems waren (praktiska ungdomskolar [prak-tische Jugendschulen] -> verkstadskolsystem[Werkstattschulwesen]). Diese Initiativen ver-folgten insofern sozialpolitische Zielsetzun-gen, als sie Erwerbslosigkeit und Arbeitsmi-gration bekämpfen sollten, doch wurden sieauch von der in Modernisierung begriffenenIndustrie unterstützt, die eine technische Aus-bildung und spezielle Fachkompetenzen demErfahrungslernen vorzogen, das in den Abend-schulen üblich war. Noch weitere Bereicheder beruflichen Bildung wurden den Werk-stattschulen angegliedert, doch nachdem dieAbteilung 1943 in das Zentralamt für das Be-rufsschulwesen (yrkesskolöverstyrelse) um-gewandelt worden war, wurden die Werk-stattschulen nach und nach in den berufli-chen Zweig der Gesamtschulen eingeglie-dert.

Ein zweites Problem liegt darin, dass dieskandinavischen Entsprechungen für dendeutschen Begriff Beruf ein breiteres Be-deutungsspektrum aufweisen als dieser. ImFinnischen wurde bis ins späte 19. Jahr-

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hundert der Begriff elatuskeino („Mittel fürden Lebensunterhalt“) verwendet, dann elin-keinoammatti („Beruf als Mittel zum Le-bensunterhalt“) und schließlich nur nochammatti. Bis ins 20. Jahrhundert wurden mit„Beruf“ alle Arten von Tätigkeiten bezeich-net, die für ein selbstständiges Leben im Ge-samtumfeld eines landwirtschaftlichen Haus-halts erforderlich waren. Auf individuellerEbene konnte elatuskeino ein Handwerk,ein Amt oder eine Dienstleistung sein. Auchin späteren Konzepten von Lohnarbeit undder Stellung des einzelnen Arbeitnehmersblieb der kollektive Bedeutungsaspekt von„Beruf“ erhalten. So konnte zum BeispielLohnarbeit in einer Fabrik als „Familienbe-ruf“ verstanden werden, wobei andere Fa-milienmitglieder, vor allem Frauen und Kin-der, die tatsächlich in einem Arbeitsverhält-nis stehende Person ersetzen oder unter-stützen konnten. Wenn ein landwirtschaftli-cher Haushalt ein Kollektivunternehmen war,dann konnten insbesondere die Frauen Auf-gaben und Rollen wechseln (Heikkinen,1995, 2001; Peltonen, 1992; Apo, 1995). ImSchwedischen und Norwegischen wurde derganzheitliche Begriff näring - Tätigkeit zurSicherung des Lebensunterhalts/der Ernährungin einem ländlichen Haushalt - nach undnach durch yrke - „Beruf“ - ersetzt, wor-unter man eine spezialisierte, individuelleArbeit verstand (Hellspong et al., 1995). Auchdie Dänen verwenden in der beruflichen Bil-dung immer noch das alte Wort erhverv für„Beruf“. Offenbar wurde in den skandina-vischen Ländern zu Beginn des 20. Jahr-hunderts das Konzept der kollektiven In-dustriearbeit mit dem Ideal des selbststän-digen Landwirts, der Herr der eigenen Ar-beit war, verknüpft und damit beide demkapitalistischen Arbeitgeber gegenüberge-stellt (Kettunen, 1995). Trotz der zuneh-menden Bedeutung der Berufsarbeit sinddie skandinavischen Begriffe keine Eins-zu-Eins-Entsprechungen des deutschen BegriffsBeruf (9).

In Dänemark, Norwegen und Deutsch-land hatten religiöse Vorstellungen stärke-ren Einfluss auf die Definition von Frauen-berufen und Frauenbildung als in Finnlandund Schweden. Das Bürgertum verfügtein Schweden über eine breitere Basis undes bestand ein größeres Interesse an einerseparaten Gymnasialbildung für Mädchen,mithilfe derer diese in angemessener Wei-se auf das Familienleben vorbereitet wer-den sollten. Folglich orientierte sich zu-mindest in Norwegen und Schweden die

hauswirtschaftliche Bildung stärker an derallgemeinen Bildung und am Ziel der weib-lichen Staatsbürgerschaft als andere Berei-che der beruflichen Bildung, worin sie Ähn-lichkeiten mit dem deutschen Konzept des„Frauenberufs“ aufwies (Michelsen, 1998;Mjelde, 2001; Mayer, 1998). In Finnland wur-den Haushalt und Heimarbeit trotz bürger-licher Initiativen als Teile der beruflichenGanzheitlichkeit ländlicher Arbeit und spä-ter als eigenständige Berufe betrachtet. Heim-arbeit wurde nicht als Frauenarbeit etiket-tiert, sondern spielte eine potenzielle Mitt-lerrolle zwischen dem Subprojekt des Hand-werks und den Projekten von Industriali-sierungs- und Landwirtschaftbefürwortern.Einen wichtigen Beitrag zu den finnischenKonzepten von Arbeit und Berufen steu-erten Pflege- und Sozialarbeit bei. Durch sieverschmolz das gängige Konzept von Ver-sorgung und Fürsorge im Produktions- undVerbrauchskreislauf landwirtschaftlicherHaushalte mit dem männlichen Konzeptqualifizierter Berufsarbeit und der bürgerli-chen Idealisierung ausschließlich weiblicherBerufseignungen. Die Prinzipien und prak-tischen Ausformungen weiblich dominier-ter Berufe und Berufsausbildungen ent-wickelten sich parallel zu den männlich do-minierten. Daher muss für Finnland das Be-schulungsmuster in der beruflichen Bildungvon Frauen nicht unbedingt ein Indikatorfür ihre überwiegend der staatsbürgerlichenEntwicklung dienende Funktion sein, wiees hier ansonsten in der Berufsbildungder Fall war, sondern es sollte die hier vor-liegende Verberuflichung von Arbeit unddie Differenzierung der Bildungswege zurKenntnis genommen werden (Henriksson,1998; Heikkinen, 2001).

Zudem neigen skandinavische Forscher zuder Auffassung, dass die Entwicklung der(technischen) Berufsbildung behindert wur-de, weil die „Mittelschicht“ zu Kompromis-sen mit den demokratischen Volksbewe-gungen gezwungen war (Heikkinen, 1996;Korsnes, 1997; Kettunen et al., 1995; Ket-tunen, 1998; Michelsen, 1998). Jedoch hängtdie Erklärungskraft des Konzepts Mittelstand- ein Mittler zwischen den höher gestelltenund den unteren gesellschaftlichen Grup-pen - von seiner historischen Kontextuali-sierung ab. In Deutschland musste im 19.Jahrhundert die zentrale politische Rolle derkleinen Handwerker und Gewerbetreiben-den als Gegengewicht zu den Industriear-beitern und Gewerkschaften aufgrund derwachsenden Bedeutung der großen, lan-

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(9) Ein versteckter Faktor, der dasKonzept der Berufsarbeit beeinflusst,sind Arbeitsimmigranten oder Gast-arbeiter. S. Narotzky (1997) vergleichtdie Auswirkungen billiger Migran-tenarbeit auf die Arbeitsteilung inDeutschland und Frankreich mit de-nen von Sklaverei und Billigar-beitskräften in Spanien, Portugal undGroßbritannien. Gastarbeit spieltebis in die siebziger Jahre in Deutsch-land und Schweden eine beträcht-liche Rolle und ermöglichte den Fort-bestand einer zweigeteilten Quali-fikationsstruktur, die die Arbeiter-aristokratie begünstigte und die un-gelernte Arbeit von Immigranten ig-norierte. Die ganzheitlichen Kon-zepte von Berufsarbeit und Berufs-bildung könnten auf eine Homoge-nität der Bevölkerung in ihrem Sta-tus als Erwerbstätige und Bürgerzurückzuführen sein.

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desweit operierenden Exportunternehmenentsprechend angepasst werden. Dies ge-schah durch die drittelparitätische Verwal-tung der Berufsbildung und durch die vonVerbänden getragenen Berufsbildungsmo-delle. In Dänemark mit seinen kleinen Städ-ten, seiner starken Kooperativenbewegungund der dominierenden Stellung von Land-wirtschaft und heimischen handwerklichenFertigungsbetrieben entwickelte sich einstarker Mittelstand, der die Traditionen undInteressen von Landwirtschaft und Hand-werk vertrat (Moeller, 1991; Hentilä et al.,2002; Kryger Larsen, 2001). In anderen skan-dinavischen Ländern konnten sich Klein-betriebe und Ladenbesitzer niemals zu ei-ner quantitativ oder qualitativ entscheiden-den gesellschaftlichen Gruppe entwickelnoder einen Mittelstand im deutschen Sin-ne bilden. In Finnland wurde die Zusam-menarbeit zwischen der Holz und Metallverarbeitenden Großindustrie und dem po-litisch wichtigen Mittelstand kleiner land-wirtschaftlicher Betriebe durch den Staat ge-fördert. In Norwegen spielten die lokale Po-litik und Verwaltung eine entscheidendeRolle bei den Verhandlungen über die Ent-wicklung der im ganzen Land verstreutenWirtschaftszweige Schifffahrt, Handel, Fi-scherei und Holzverarbeitung. In Schwedenwaren sowohl Binnen- als auch Export-märkte für die nationale Wirtschaft von Be-deutung. Großbauern, Großindustrie undder traditionsgebundene (Militär)adel er-leichterten den Aufbau eines starken, vomKonsens getragenen Staates, der die Ideo-logie eines gemeinsamen „Volksheims“ ver-trat, in dem alle Bürger der Mittelschicht an-gehörten. Landwirte, Industriearbeiter, Dienst-leistungsangestellte und Beamte bildeten

die typisch skandinavischen Mittelschichts-nationen, die kaum Interesse für die Be-lange von Handwerk und Kleinunterneh-mern zeigten. Die Programme zur Moder-nisierung von Wirtschaft und Bildungswe-sen mussten diese Gruppen anerkennenund respektieren und ihre Bedürfnisse undZiele berücksichtigen: eine breit angelegteSchulbildung und universelle Staatsbürger-schaft wurden zum vorrangigen Anliegenvon Bildungsreformen.

An der Wende zum 20. Jahrhundert began-nen sich die skandinavische Sozialdemo-kratie und die Arbeiterbewegung an denTraditionen der freien Bauernschaft zu ori-entieren. Folglich konnte sich das Sozial-partnerkonzept nur in Dänemark durchset-zen; in Norwegen, Finnland und Schwedenwurden keine Sozialpartnerschaftsmodelleentwickelt, sondern auf nationalstaatlicherEbene legalistische Verhandlungsmuster zurRegulierung von Arbeitsbedingungen undBerufsbildung etabliert. So standen bei-spielsweise in Finnland hinter den Forde-rungen der Arbeiterbewegung nach mehrEinfluss und Gerechtigkeit in den Arbeit-geber-Arbeitnehmer-Beziehungen vor allemdie Landarbeiter, Kleinpächter und Grund-besitzlosen. Durch die Politisierung der Ar-beitgeber-Arbeitnehmer-Beziehungen nachder Loslösung von Russland und dem Bür-gerkrieg (1917-18) wurde die auf nationa-ler Ebene angesiedelte, legalistische, kor-poratistische Regulierung der Arbeitsbe-dingungen üblich. Die repräsentativen, kon-sensorientierten Verhandlungen zwischenArbeitgebern und Arbeitnehmern auf loka-ler und nationaler Ebene wurden zuneh-mend von staatlicher Seite moderiert.

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Kontroversen über Fortbildung und Berufsbildung in Deutschland und den skandinavischen Ländern - HIER Tabelle 1.Deutschland Norwegen Schweden Dänemark Finnland1870-1920 1910-40 1920-40 1880-1940 1880-1930

Entwicklung der Doppel-funktion der Berufsbildung:*Facharbeitertechnik undStaatsbürgerlichkeit

Berufliche Arbeitsformen:Beruf als übergreifendespädagogisches Prinzip

Von der Fortbildungsschulezur Berufsschule: Berufsbil-dung als Bestandteil des Bil-dungswesens

Separation der *Berufsbildung von der all-gemeinen Bildung *der Lehre von der Berufs-schule

Politische Kontrolle derArbeit/Arbeitsteilung: dienationale Tarifperspektivebeherrscht die Berufsbil-dung Abrücken von der berufli-chen Fortbildungsschule;Marginalisierung der Berufs-bildung als Bildungsform

Einführung eines staatlichkontrollierten Bildungssys-tems mit soziopolitischerFunktion unter Einbezie-hung der Berufsschulen

Technologische und politi-sche Grundlegung derBerufe in der Berufsbildung

Staatsbürgerliche Erziehungist vorrangiges Ziel der Fort-bildungsschule; Marginalisie-rung der Berufsbildung alsBildungsform

Einführung der Sozialpart-nerschaft: Gesellen/Arbeiter+ Meister/ Arbeitgeber inder Berufsbildung + denKooperativen

Kommunitaristische Formder Berufsarbeit in derBerufsbildung

Entwicklung zur Jugend-schule; die Berufsbildungwird zunehmend zurArbeitsmarktkategorie

Einführung eines separatenBerufsbildungssystems zurFörderung der nationalenWirtschaftszweige; Netz-werke zwischen Verwaltung,Wirtschaft, Schulen undZivilgesellschaft Kombination von Unions-bürgerschaft und beruflicherStaatsbürgerschaft in Arbeitund Berufsbildung

Verteidigung der Berufs-schulen gegen die beruflichorientierte Fortbildungs-schule; Berufsbildung alseigene Bildungsform

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Fortbildung und der eigenständigeCharakter der Berufsbildung

In Schweden wurde die als Gesamtschulekonzipierte Primarschulbildung fungierte inden sechziger Jahren zum Sprungbrett fürdie Integration der Berufsbildung in ein ein-heitliches Sekundarbildungssystem, das auchVerwaltung und Lehrerausbildung umfasste(SOU 28/1962). Folglich gewann der be-rufsbildende Zweig des Sekundarbereichs IIeinen berufsvorbereitenden Charakter. Nor-wegen und bis zu einem gewissen Grad auchDänemark übernahmen den Gedanken ei-nes als Gesamtschule angelegten Sekund-arbereichs, auch wenn intern weiterhin ei-ne Aufteilung der verschiedenen Bildungs-wege fortbestand. In Finnland wurde dasKonzept nur auf den Sekundarbereich I an-gewendet, die Initiativen zur Einführung derJugendschule in den siebziger Jahren schei-terten und der eigenständige Charakter derBerufsbildung als Bildungsform blieb trotzihrer schulischen Organisationsstruktur er-halten. Tabelle 1 versucht einige der Merk-male der weiteren Bildungslandschaft, desentstehenden Konzepts der Berufsbildungund der institutionellen Lösungen aufzu-führen, die für jenen Zeitraum gelten, in demder eigenständige Charakter der Berufsbil-dung im Verhältnis zur Fortbildung in Deutsch-land und in den skandinavischen Länderndiskutiert wurde.

In Dänemark und Deutschland sind Wirt-schafts-, Technologie- und Berufsbildungs-politik nach wie vor eng miteinander ver-zahnt. In anderen skandinavischen Ländernhaben sich die Aushandlungssysteme undNetzwerke der Akteure in den verschiede-nen Politikbereichen bis in die jüngste Ver-gangenheit immer stärker voneinander se-pariert (siehe Korsnes, 1997; Larsson, 1995;Heikkinen et al., 1999). Obwohl alle skan-dinavischen Bildungsprogramme stark vonvolksnahem, demokratischem Gedankengutgeprägt waren, stieß die Integration der be-ruflichen Bildung in die an die Pflichtschu-le anschließende Gesamtschule in Finnlandauf heftigsten Widerstand. Die Fortbildungin Deutschland entwickelte sich zwar zu denbeiden separaten Systemen der dualen Be-rufsbildung und der akademischen Bildung,doch gewann die staatsbürgerliche Funkti-on des Berufs in Deutschland und Finnlandgleichermaßen an Bedeutung. In Dänemarkund Finnland wurde die berufliche Bildungzu einer echten Alternative zur akademi-schen Bildung: In Dänemark wurde dies er-

reicht durch die Integration von Lehrlings-ausbildung und Schule, die in erster Linieder Verantwortung der Wirtschaft untersteht,und in Finnland dadurch, dass die Schulender Aufsicht des Staates sowie der Netzwerkevon Vertretern aus Wirtschaft, Berufsver-bänden, Beamten, Schulen und Lehrern un-terliegen

Die alten Diskussionen über die Fortbildunghaben erneut an Aktualität gewonnen. DasBemühen, die EU und ihre Mitgliedstaatenzum wettbewerbsfähigsten Wissens- und Spit-zenqualifikationsraum der Welt zu machen,beschleunigt die Akademisierung der Bil-dung und die Polarisierung der Lernendenin Gewinner und Verlierer des Schulsystems.Die Förderung von aktiver Staatsbürgerschaft,Beschäftigungsfähigkeit und sozialem Zu-sammenhalt führte zu erheblichen Anstren-gungen sowohl auf EU-Ebene als auch inden Mitgliedstaaten. Die Bekämpfung derAusgrenzung aus Bildungswesen und Ge-sellschaft und die Herausforderung der In-tegration von Jugendlichen in die Berufsbil-dung erfordern neue Lösungen in der staats-bürgerlichen Erziehung und in der Berufs-bildung (Evans et al., 2004).

Politische Implikationen

Universalisierende Berufsbildungsmodellesind attraktiv, weil sie einfache Antwortenauf komplexe Fragen bieten. Sie sind Aus-druck eines mythischen Denkens, dessenMenschen bedürfen, wenn sie versuchen,kollektive Identitäten zu entwickeln, wie esbei der europäischen Einigung der Fall ist.Wenn sie jedoch zur Politikgestaltung be-nutzt werden, sind Modelle auch Realitätenmit realen Auswirkungen (Korsnes, ohneDatumsangabe; Gudmunssen, 1995; KrygerLarsen, 2001). Die konstitutive Rolle von Bil-dungsforschern und -historikern hat sich ineiner historischen Phase entwickelt, in derKultur, Gesellschaft und Nationalstaat zu-nehmend zu synonymen und einander über-schneidenden Kategorien wurden (Wagner,2001). Ihre Deutungen und Narrativa wer-den jedoch immer häufiger in vielfältigentransnationalen Berufsbildungsprojekten be-nutzt. Welche Geschichten und Abbildun-gen der Welt werden in den transnationalenDiskursen Geltung haben und welche Kon-sequenzen werden sich daraus ergeben? Wokönnten die Alternativen zur Entwicklungvon universalisierenden Berufsbildungsmo-dellen für die transnationale Forschung undPolitikdiskussion liegen?

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(10) Greinert und Deissinger bei-spielsweise verteidigen den Model-lansatz unter Verweis auf die Not-wendigkeit gemeinsamer Theorienin der komparativen Forschung undauf Webers Idealtypen. Olav Kor-snes hat aufgezeigt, dass der We-bersche Idealtypus ein gedanklichesBild ist, welches keine historischeRealität und schon gar nicht die rea-le Wirklichkeit abbildet, und wel-ches sich sogar noch weniger alsForm eignet, in die sich die Realitätqua exemplum „hineinklassifizieren“lässt. (Korsnes, 2001).

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Psychologische und didaktische Ansätze wa-ren für Erziehungswissenschaftler und Bil-dungsforscher schon immer attraktiv, weil siedekontextualisierte und universalistische Deu-tungsschemata ermöglichen. Der psycholo-gische Ansatz zur Beschreibung verschiede-ner Bildungsformen, der von den psycholo-gischen Unterschieden zwischen den Ler-nenden und zwischen Lernformen ausgeht,hat nach wie vor Gültigkeit. Ob es nun Fähig-keiten, Einstellungen, Neigungen oder Moti-vationen sind, die Form und Art der Bildungsollte auf die individuellen Merkmale des Ler-nenden abgestimmt werden. Eine andere in-teressante Alternative sind soziologische undsystem-funktionalistische Ansätze, die unter-schiedliche Bildungsformen und ihre institu-tionalisierten Strukturen unter Berücksichti-gung von gesellschaftlichen und ökonomi-schen Hierarchien und Statuspositionen un-tersuchen. Sie eröffnen die Möglichkeit, dieFunktionsmechanismen von Bildungswegenund -instituten in verschiedenen gesell-schaftlichen und ökonomischen Systemen zuvergleichen, die idealtypisch als Regime oderMaterialisierung von gesellschaftlichen Re-geln und in der Praxis als Reduktionen zunationalstaatlichen Gesellschaften aufgefasstwerden (siehe Korsnes, 2001) (10).

Welche anderen Alternativen als die Ent-wicklung von Metanarrativa über Berufs-bildungsmodelle könnte die kulturverglei-chende Bildungsforschung für die psycho-logische, ökonomische und soziologischeUniversalisierung bieten? Vielleicht könntesie mit einer gemeinsamen Dekonstruktionvon Bildungsmythen auf nationaler und sub-nationaler Ebene beginnen: Die Diskussio-nen über die Fortbildung können als Ver-handlungen und Auseinandersetzungen überdie Definitionen von Bildung aufgefasst wer-den: ob es nur eine oder viele Bildungs-formen gibt. Im skandinavischen Kontextwar eine Grundform der Bildung, die im 19.Jahrhundert entstand, die Volks- oder staats-bürgerliche Bildung. Sie fand ihre konkre-te Ausprägung in der Erst(aus)bildung inder Volksschule (-> Gesamtschule) undals Volksbildung in den Erwachsenenbil-dungseinrichtungen. Der pädagogischeGrundgedanke der Volksbildung war dieFörderung der Partizipation am Leben inder Familie (Haushalte), in der Gemeindeund im Nationalstaat. Gemäß dem ganz-heitlichen Konzept des „Lebensunterhalts“umfasst die Partizipation auch Arbeit undBerufe. Eine weitere Bildungsform war dieakademische Bildung in Gymnasien und

Universitäten. Ihr pädagogisches Leitprin-zip war die Förderung der Partizipationan und der Produktion von Wissenskorpo-ra, die in fachbereichsspezifische Struktu-ren und Verfahrensweisen untergliedert sind.Sie beinhaltet die Transzendierung und Über-windung der Grenzen bestimmter Lebens-formen, zu denen auch das Berufslebengehört. Die akademische Bildung hat auchdie Konzepte von Staatsbürgerschaft undBeruf integriert, „zum Besten“ der Menschen.Sie hat sich fokussiert auf die Partizipationan der Arbeitswelt in einer beruflich struk-turierten Gesellschaft, eine Partizipation, diesichergestellt wird durch spezialisierte Kom-petenzen, technischen Sachverstand undBranchenzugehörigkeiten, welche die be-ruflichen Identitäten der Menschen konsti-tuieren. Eine allgemeine historische Ten-denz, die in den skandinavischen und deut-schen Entwicklungen erkennbar wird (Heik-kinen, 1995; Englund, 1986; Greinert, 2003),ist das Eindringen der akademischen Bil-dung in alle anderen Bildungsformen. Je-doch könnte der Zwang zur ökonomischenRelevanz und zur Ausrichtung auf die sichglobalisierenden Märkte diese zweckge-bundene Version akademischer Bildung mitverzerrten Versionen von Berufsbildung undVolksbildung ausstatten.

Die heute von uns ermittelten Berufsbil-dungssysteme stehen vermutlich für hege-moniale, siegreiche kulturelle Programme,die insbesondere seit dem Zweiten Welt-krieg gemeinsam zur Konstruktion von Na-tionalstaaten, Volkswirtschaften und Indus-trien geführt haben. Daher könnte die Fest-legung von Forschern und politischen Ent-scheidungsträgern auf bestimmte Modelle,die aus speziellen, ausgewählten Kontextenübernommen wurden, neue hegemonialeBerufsbildungsprogramme fördern, die zukonstituierenden Elementen transnationalerPolitiken, Ökonomien und Industrien wer-den könnten. Eine nicht-konformistische Al-ternative bestünde darin, den Wandel dernationalen Systeme zu dekonstruieren, in-dem man sie als Ergebnisse des Wettbewerbszwischen kulturellen Berufsbildungspro-grammen identifiziert, welche von indivi-duellen, kollektiven und meta-kollektivenAkteuren umgesetzt werden, die genau de-finierte subnationale, nationale und supra-nationale Zielsetzungen verfolgen. Die Aus-differenzierung von Bildungsformen hängtmit der Komplexität solcher kulturellen Pro-jekte zusammen. Die Reflexionen zur Ge-schichte der Fortbildung in den skandina-

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vischen Ländern und Deutschland belegendie Notwendigkeit eines stärker historischeingebetteten und kontextualisierten Ansat-

zes, der unterschiedliche Bildungsformenunter Bezugnahme auf die weitere Bildungs-und Politiklandschaft verständlich macht.

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Bibliografie

Schlagwörter Cross-cultural research,historical periods,contextualisation, models of VET, continuing education,Germany and Nordiccountries

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Die gemeinsame Politik der Berufsausbildungin der EWG von 1961bis 1972

FrancescoPetrini

Postdoktorand an derAbteilung für

Internationale Studiender Universität Padua

(1) Zu den Zitaten aus dem Vertragsiehe Historisches Archiv der Eu-ropäischen Gemeinschaften, im Fol-genden bezeichnet als ASCE, BAC173/1995, 2824, EWG-Komission,Allgemeine Grundsätze für die Durch-führung einer gemeinsamen Politikder Berufsausbildung, 26.9.1961.

(2) Insbesondere nennt die Kom-mission als indirekte RechtsquellenArtikel 49, 50, 57 und 131 des Ver-trags von Rom sowie Artikel 3 desDurchführungsabkommens über dieAssoziierung der überseeischen Län-der und Hoheitsgebiete mit der Ge-meinschaft und die Bestimmungendes Protokolls betreffend Italien. Sie-he ASCE, BAC 173/1995, 2822, EWG-Kommission, Allgemeine Grundsät-ze für die Durchführung einer ge-meinsamen Politik der Berufsaus-bildung - Entwurf, 8.2.1961.

(3) Zum Standpunkt Italiens zur eu-ropäischen Integration siehe Varso-ri, 1999.

In Artikel 128 des Vertrags vonRom wird sehr klar der Willenzur Entwicklung einer gemein-samen Politik der Berufsausbil-dung geäußert. Diese gemeinsa-me Politik wurde jedoch nichtverwirklicht. Wesentliche Grün-de dafür liegen im WiderstandDeutschlands und Frankreichs,die bereits über gut entwickelteBerufsbildungssysteme verfüg-ten. Eine wichtige Rolle spielteaber auch die Auseinanderset-zung zwischen den zentralisti-schen Kräften im europäischenAufbauprozess (man denke nuran die Versuche der Kommissi-on, sich bei der Finanzierung ge-meinsamer Politiken zu profi-lieren) und der Opposition sei-tens einiger Regierungen, die dieAmbitionen der Kommissionbremsen und die eigene Souver-änität verteidigen wollten. Aufdem Gebiet der Berufsausbildungführte dies dazu, dass die ge-meinsame Politik aufgegebenwurde. Frankreich und Deutsch-land zeigten u. a. wenig Bereit-schaft, die Kosten für die Um-schulung süditalienischer Ar-beitskräfte mit zu tragen.

Einleitung

Artikel 128 des im März 1957 in Rom un-terzeichneten EWG-Vertrags besagt, dass derRat auf Vorschlag der Kommission und nachAnhörung des Wirtschafts- und Sozialaus-schusses (WSA) „in Bezug auf die Berufs-ausbildung allgemeine Grundsätze zur Durch-führung einer gemeinsamen Politik auf[stellt],die zu einer harmonischen Entwicklung so-wohl der einzelnen Volkswirtschaften alsauch des Gemeinsamen Marktes beitragenkann“. In Artikel 118 werden die beruflicheAusbildung und Fortbildung als eines derGebiete genannt, auf denen die Kommissi-on „die Aufgabe hat, eine enge Zusam-menarbeit zwischen den Mitgliedstaaten zufördern“. Artikel 41 geht speziell auf die Be-rufsausbildung in der Landwirtschaft ein undfordert „eine wirksame Koordinierung derBestrebungen auf dem Gebiet der Berufs-ausbildung [...]; hierbei können Vorhabenoder Einrichtungen gemeinsam finanziertwerden“ (1). In den folgenden Artikeln wer-den verschiedene Maßnahmen (insbeson-dere auf dem Gebiet der Freizügigkeit derArbeitnehmer, des Austauschs junger Ar-beitskräfte usw.) genannt, die, obwohl hiereine gemeinsame Politik nicht ausdrücklicherwähnt wird, als indirekte Rechtsgrundla-

gen für die Zuständigkeit der Gemeinschaftim Bereich der Berufsbildung gesehen wer-den könnten (2).

Somit lässt sich sagen, dass der EWG-Ver-trag eine solide Rechtsgrundlage für eineInitiative der Kommission zur Ausarbeitungeiner gemeinsamen Politik der Berufsaus-bildung für die Arbeitnehmer der Mitglied-staaten bot. Entsprechende Maßnahmen wa-ren die praktische Antwort auf die zahlrei-chen Forderungen der Staaten mit den dring-lichsten wirtschaftlichen und sozialen Pro-blemen. Besonders Italien hoffte, in der Ge-meinschaft ein Instrument zur Lösung derStrukturprobleme zu finden, die zumindesteinen Teil seiner Gesellschaft belasteten. Anerster Stelle stand das Problem der damalsendemisch erscheinenden Arbeitslosigkeitin den wirtschaftlich schwächeren Regionendes Landes (3). Angesichts dessen erschieneine gemeinsame Politik der Berufsausbil-dung als sehr nützliches Werkzeug zur be-ruflichen Eingliederung und Anpassung ei-nes erheblichen Anteils der Arbeitslosen, vorallem da das Berufsbildungssystem in Itali-en weniger entwickelt war als in manchenanderen Mitgliedstaaten. Die wirtschaftlichenund sozialen Interessen eines Mitgliedstaats- der zwar nicht unbedingt politisch, aber

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in geografischer, demografischer und wirt-schaftlicher Hinsicht einer der drei „Haupt-staaten“ war - sowie das Anliegen der neugeschaffenen Kommission, sich als treiben-de Kraft der Integration, zumindest auf denGebieten, auf denen ihr im Vertrag beson-dere Aufgaben zugewiesen wurden, zu eta-blieren, wiesen in eine gemeinsame Rich-tung, nämlich die Ausarbeitung einer ge-meinsamen Politik der Berufsausbildung.Das Kommissionsmitglied, das sich in den1960er Jahren am intensivsten mit Berufs-bildungsfragen beschäftigte, Lionello LeviSandri aus Italien, erklärte, dies seien wich-tige Vorschriften im allgemeinen Kontext derSozialpolitik der Europäischen Gemeinschaft,da der Vertrag nur an dieser Stelle, in Arti-kel 128, Bestimmungen zu einer gemein-samen Politik der Berufsausbildung ent-halte. Das ermögliche es der Gemeinschaft,alles daran zu setzen, eine echte, angemes-sene gemeinsame Politik zu entwickeln, diesich von ihrer Politik in den anderen Berei-chen, die in gewisser Weise schwächer er-scheine, absetze (4).

Würden also die gemeinsamen InteressenItaliens und der EWG-Kommission erfolg-reich eine „interventionistische“ Strategiehervorbringen, mit anderen Worten, eineStrategie, in der die Institutionen und Mecha-nismen der Gemeinschaft eine entscheidendeRolle in der beruflichen Bildung spielen? DieAntwort lautet, zumindest für die Jahre, umdie es hier geht, „nein“. Versuchen wir zuverstehen, wie es dazu kam.

Die zehn Grundsätze von 1963

Am 12. Mai 1960 beschloss der Rat auf Vor-schlag der Kommission, die Umsetzung desVertrags von Rom zu beschleunigen (5). DieBerufsbildung wurde als einer der Bereicheausgewählt, in denen früher als zur Um-setzung des Vertrags geplant Schritte unter-nommen werden sollten. Nach Anhörungder zuständigen einzelstaatlichen Behördenund Vertreter der Gewerkschaften und Ar-beitgeber gelang es der Kommission, im Zeit-raum zwischen Februar und September 1961mit Unterstützung der Vertreter Italiens inden Gemeinschaftsorganen (6), den Inhaltder in Artikel 128 geforderten allgemeinenGrundsätze zur Berufsausbildung auszuar-beiten und ihre Zahl auf zehn festzulegen(7). Diese Grundsätze sollten die Grundlagefür eine gemeinsame politische Linie für die

sechs Staaten bilden. Wir wollen hier nichtjeden dieser Grundsätze im Einzelnen erör-tern, sondern uns mit den wichtigeren Aspek-ten befassen, um die Aktionsleitlinien derKommission näher zu beleuchten und danndie Reaktionen auf die Maßnahmen im Ge-meinschaftsumfeld untersuchen.

Das allgemeine Ziel, das durch eine ge-meinsame Sozialpolitik erreicht werden soll-te, bestand nach Auffassung der Kommis-sion nicht einfach in höherer Produktivitätund einer verstärkten wirtschaftlichen Inte-gration tout court, sondern vor allem in dermoralischen und materiellen Förderung derArbeitnehmer, damit diese auf positive Wei-se am Prozess der Integration und seinenInstitutionen teilhaben könnten. Die Ent-wicklung der Berufsbildung in den Mit-gliedstaaten durch eine Interventionspoli-tik der Behörden wurde somit zunehmendals entscheidend für die Verwirklichung derIntegration gemäß den Sozialzielen des Ver-trags gesehen (8). In einer Situation, in derein chronischer Mangel an qualifizierten Ar-beitskräften und technischen Fachkräftenbei gleichzeitig hohen Arbeitslosenquotenin bestimmten Gebieten der Gemeinschaftherrschte, war die Bedeutung der Berufs-ausbildung für eine Verbesserung der Le-bensbedingungen der Arbeitnehmer über-deutlich: Sie stellte „ein Bindeglied zwischendemografischer und technologischer Ent-wicklung“ (9) dar. Natürlich konnte versuchtwerden, das Problem des Mangels an qua-lifizierten Arbeitskräften durch Regierungs-vereinbarungen oder Interventionen desneu gegründeten Europäischen Sozialfondsanzugehen, doch Levi Sandri war der Auf-fassung, dass die Wirtschafts- und vor allemdie Sozialpolitik der Gemeinschaft ehereine Politik der Berufsausbildung verlang-ten, die nach den Intentionen des Vertragseine gemeinsame Politik sein müsse (10).

In diesem Zusammenhang seien die allge-meinen Grundsätze nicht abstrakt, nicht theo-retisch aufgestellt worden, sondern als Vor-gaben, deren Anwendung in den Staaten ef-fektiv gewährleistet werden müsse (11).

Die Kommission äußerte sich sehr klar zudiesem Thema: Die Planung einer Politikder Berufsausbildung, deren Grundsätze fürdie Mitgliedstaaten nicht bindend seien, lie-fe in der Praxis darauf hinaus, gar keine Be-rufsbildungspolitik auszuarbeiten. Der Be-griff „allgemeine Grundsätze“ beinhalte ein-deutig Verhaltensregeln und das Konzept,

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(4) ASCE, BAC 7/1986, 1618. Redevon Herrn Levi Sandri vor dem Wirt-schafts- und Sozialausschuss, 1.3.1962.

(5) Siehe Gerbet, 1994; S. 214. Sie-he auch ASCE, CM2/1960, 46. An-sprache von Herrn Petrilli auf der37. Ratstagung, 27.9.1960.

(6) Siehe ASCE, BAC 173/1995, 2822,Auszug aus dem Protokoll, Proble-me der Beschleunigung, 14.7.1961,in dem es heißt, der italienische Ver-treter bestätige, dass seine Regierungdaran interessiert sei, frühzeitig ei-nen Vorschlag der Kommission zurAufstellung allgemeiner Grundsätzefür die Durchführung einer ge-meinsamen Politik der Berufsaus-bildung vorzulegen.

(7) Allgemeine Grundsätze für dieDurchführung einer gemeinsamenPolitik der Berufsbildung, 26.9.1961,op. cit.

(8) Allgemeine Grundsätze für dieDurchführung einer gemeinsamenPolitik der Berufsausbildung - Ent-wurf, 8.2.1961, op. cit., insbesonde-re S. 7-8, zu den wirtschaftlichen undsozialen Grundlagen für die Maß-nahmen der Kommission. Interessantist, dass in dem Dokument betontwird, dass die Verbesserung der Ar-beitsbedingungen nicht allein denKräften des freien Marktes überlas-sen werden könne, die nach öko-nomischer Theorie und Erfahrungdie wirtschaftlichen und sozialen Un-gleichgewichte in der Gemeinschaftnoch verstärken würden. Aber aucheine „autoritäre“ Beschäftigungspo-litik wäre nicht akzeptabel gewesen.Alles in allem wurde eine gemein-same Politik der Berufsausbildungals sinnvollstes Mittel zur Schaffungeiner sozialen Situation im Vorfeldeiner Beschäftigungspolitik gesehen,die den allgemeinen Zielen des Ver-trags entsprach.

(9) Idem.

(10) Rede von Herrn Levi Sandri vordem Wirtschafts- und Sozialausschuss,1.3.1962, op. cit.

(11) Idem.

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dass konkrete Ergebnisse zu erreichen sei-en. Es müsse daher ein Dokument verab-schiedet werden, das für die Mitgliedstaatenim Sinne der allgemeinen Verpflichtunggemäß Artikel 5 verbindlich sei und si-cherstelle, dass die Mitgliedstaaten auf demGebiet der Berufsbildung ihre Haltung undMaßnahmen an den festgelegten allgemei-nen Grundsätzen ausrichteten (12).

Bei verschiedenen Gelegenheiten bemühtesich die Kommission, die verpflichtende Na-tur der Grundsätze gemäß Artikel 128 her-vorzuheben, offenbar um jede Möglichkeitauszuschließen, dass die Regierungen sienach ihren nationalen Regelungen anwen-deten und jeder Staat dabei seine eigenenPrioritäten setzte, wodurch das gesamte Kon-zept einer gemeinsamen Politik sinnlosgeworden wäre.

In Bezug auf die langfristige Perspektive be-kundete Levi Sandri volle Übereinstimmungmit der Haltung der deutschen Vertreterinim EGB, Maria Weber, dass in der Über-gangsphase der Errichtung des gemeinsa-men Marktes ein unumkehrbarer Prozess ge-startet werden müsse, um ein einheitlichesNiveau der Berufsbildung in den Mitglied-staaten zu erreichen (13). Diese schrittweiseHarmonisierung der Ausbildungssysteme er-fordere die Ausarbeitung von Maßnahmenauf der Basis gemeinsamer Programme undInitiativen. Folglich müsse die Kommissionim Hinblick auf die gemeinsame Politik ech-te Pionierarbeit leisten anstatt nur die Initia-tiven der Mitgliedstaaten zu koordinieren.Levi Sandri erklärte, man könne bestimmteVorschläge, die diese Befugnisse der Kom-mission einschränkten, nicht akzeptieren.Solche Vorschläge könnten die Durchführungder gemeinsamen Politik per se kompro-mittieren (14).

Diese „aktive“ Auffassung von der Rolle derKommission wurde im vierten Grundsatz ver-ankert, der besagt, dass die Kommission, umdie Verwirklichung der gemeinsamen Politikzu gewährleisten, dem Rat konkrete Vor-schläge unterbreitet, sonstige geeignete Initia-tiven beschließt, eine Dringlichkeitsordnungfestlegt, die Durchführung der Maßnahmenverfolgt, ihre Koordinierung arrangiert unddie Ergebnisse überprüft. (15).

Insbesondere könnte die Gemeinschaftse-xekutive gemeinsame Studien- und For-schungsprogramme und ganz allgemein Maß-nahmen zur praktischen Umsetzung der ge-

meinsamen Politik ausarbeiten, deren Aus-führung den Mitgliedstaaten auf Anregungder Kommission (in der französischen Fas-sung sous son impulsion) übertragen wür-den. Deren zeitlicher und räumlicher Um-fang war nahezu unbegrenzt, da sowohlkurz- als auch langfristige Projekte sowohlauf nationaler als auch auf Gemein-schaftsebene diskutiert wurden (16). In dem-selben Grundsatz wurde die Einsetzungeines beratenden Ausschusses für Berufs-bildung vorgesehen, in dem die zuständi-gen einzelstaatlichen Behörden, die Ge-werkschaften und die Arbeitgeberverbändemit einer gleichen Zahl von Vertretern re-präsentiert sind, und der die Kommissionbei der Erfüllung ihrer einschlägigen Auf-gaben unterstützt.

Interessant ist übrigens, dass in der erstenFassung der Grundsätze vom Februar 1961(die endgültige Fassung wurde im Septem-ber verabschiedet) der vierte Grundsatz auchdie Einrichtung eines europäischen Infor-mations-, Dokumentations- und For-schungszentrums beinhaltete, das den Auf-trag haben sollte, Dokumentation und In-formation zur Berufsbildung zu verbreitenund nach Anweisung der Kommission tech-nische Fragen im Zusammenhang mit derUmsetzung einer gemeinsamen Politik zuprüfen (17). Diese Formulierung tauchte inden folgenden Fassungen nicht mehr auf,in denen der Kommission selbst alle Funk-tionen übertragen wurden, die eigentlichdas Europäische Zentrum für Berufsbildungübernehmen sollte.

Die Kommission hatte allem Anschein nachhoch gesteckte Ambitionen, die selbst in denintegrationistischeren Kreisen einigermaßenüberrascht zur Kenntnis genommen wurden.

Im Europäischen Parlament (dessen Stel-lungnahme vom Rat auf Drängen der Kom-mission (18) eingeholt wurde, obwohl diesnach Artikel 128 nicht erforderlich war)brachten einige Parlamentsmitglieder dieFrage der Achtung bestimmter nationalerMerkmale im Bildungswesen zur Spracheund argumentierten, die EWG könne nichtweiter gehen als innerhalb der festgeleg-ten Strukturen in den Mitgliedstaaten zuläs-sig (19). Levi Sandri, der bei der Debatte an-wesend war, versicherte der Versammlung,die Kommission habe nicht die Absicht, sichin Probleme einzumischen, die zum Zu-ständigkeitsbereich der Mitgliedstaatengehörten.

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(12) Allgemeine Grundsätze für dieDurchführung einer gemeinsamenPolitik der Berufsausbildung, 26.9.1961,op. cit.

(13) Rede von Herrn Levi Sandri vordem Wirtschafts- und Sozialausschuss,1.3.1962, op. cit.

(14) Idem.

(15) Allgemeine Grundsätze für dieDurchführung einer gemeinsamenPolitik der Berufsausbildung,26.9.1961, op. cit.

(16) Idem.

(17) Allgemeine Grundsätze für dieDurchführung einer gemeinsamenPolitik der Berufsausbildung - Ent-wurf, 8.2.1961, op. cit.

(18) Siehe ASCE, CM2/1961 57. Pro-tokoll der 53. Tagung des EWG-Rats,Brüssel. 23. - 25.10.1961. Die zehnGrundsätze wurden dem Rat am 3.Oktober 1961 offiziell zur Kenntnisgebracht. Siehe ASCE, BAC 26/1969,140. Schreiben von Herrn Hallsteinan den Präsidenten des EWG-Rats,3.10.1961. Zu beachten ist, dass HerrHallstein in diesem Schreiben denRat aufforderte, die Grundsätze be-reits auf der Tagung vom 23. Okto-ber zu erörtern. Das zeigt, dass dieKommission der Frage vorrangigeBedeutung beimaß, aber der Wi-derstand, auf den die geplantenGrundsätze bei den Regierungen derMitgliedstaaten stoßen könnten, mög-licherweise unterschätzt wurde. Aufseiner Oktobertagung beschäftigteder Rat sich nicht näher mit denGrundsätzen, sprach sich aber ein-stimmig dafür aus, die Parlamenta-rische Versammlung und den WSAzu konsultieren.

(19) ASCE, BAC 7/1986, 1618. In-formations-/Konsultationspapier zumVorschlag der Kommission, 4.4.1962,das eine Zusammenassung der Dis-kussion in der Versammlung enthält.Die Sitzung der ParlamentarischenVersammlung fand am 30. März statt.

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Der WSA (dessen Stellungnahme eingeholtwurde, obwohl sie, wie die des Parlaments,nicht erforderlich war) meldete Zweifelan, da er das Risikos sah, dass der im vier-ten Grundsatz vorgesehene beratende Aus-schuss in irgendeiner Weise durch eine all-zu parteiische Kommission ins Abseits ge-drängt werden könnte. Auch in dieser Fra-ge meldete sich Levi Sandri zu Wort und ver-sicherte, die Kommission habe die Absicht,bei ihrem Vorgehen engen Kontakt zu denbeteiligten Gremien zu halten (20).

Trotz der Zweifel, die bezüglich bestimmterAspekte des Vorschlags angemeldet wurden,lässt sich sagen, dass die beiden Institutio-nen das imposante Vorhaben der Kommis-sion im Großen und Ganzen unterstützten.Beide gaben befürwortende Stellungnahmenab, obwohl, besonders von der Versamm-lung, viele Änderungen an dem von derKommission vorgelegten Text vorgeschla-gen wurden (21). Dennoch wird in dem vomSozialausschuss des Parlaments vorgelegtenBericht zum Kernpunkt, dem Initiativrechtder Kommission, die zentrale Bedeutung derRolle der EWG-Exekutive als Ausgangspunktvon Initiativen und Anreizen für die Durch-führung der gemeinsamen Politik hervor-gehoben. Es sei unabdingbar, der EWG-Kom-mission Befugnisse zu verleihen, die es ihrmöglich machten, Initiativen im gemeinsa-men Interesse zu ergreifen (22).

Mit anderen Worten, das Europäische Par-lament befürwortete voll und ganz, dass ei-ne führende Rolle der Kommission im Be-reich der gemeinsamen Berufsbildungspo-litik auch ihr Initiativrecht beinhalten sollte.

Die Regierungen reagierten naturgemäß ganzanders. Fast ein Jahr nach der Stellungnah-me des Europäischen Parlaments - eine Ver-zögerung, die in Gemeinschaftskreisen mitVerwunderung aufgenommen wurde (23) -prüfte der Rat schließlich auf seiner Tagungvom 21. Februar 1963 den Entwurf derGrundsätze (24). Bei dieser Gelegenheit wa-ren die Arbeitsminister damit betraut, ihreRegierungen zu vertreten. Vertreter der Kom-mission waren ihr Präsident Walter Hallsteinund Levi Sandri. Im Mittelpunkt der Dis-kussion stand die Formulierung des viertenGrundsatzes. Es gab zwei gegensätzlicheAuffassungen. Die eine Seite meinte, dassKompetenzen der Gemeinschaftsinstitutio-nen für die Formulierung und Anwendungvon Berufsbildungspolitiken ausgeschlossenwerden müssten, die andere sprach sich für

solche Kompetenzen aus. Der französi-sche Minister Grandval und besonders derdeutsche Minister Blank traten als Sprecherder erstgenannten Auffassung auf. Der fran-zösische Minister erklärte, die Kommissionhabe anscheinend die Absicht, über ihreFunktion, nämlich Leitlinien für die Politi-ken der Mitgliedstaaten vorzugeben, hin-auszugehen und direkt in den Volkswirt-schaften tätig zu werden. Blank vertrat dieAuffassung, die Kommission sollte sich da-mit begnügen, den Mitgliedstaaten ihre Auf-fassungen und Meinungen mitzuteilen. Essei dann an den Mitgliedstaaten, im Be-wusstsein der Sachlage zu handeln. Würdedies nicht akzeptiert, so könne Deutschlandeinem Text nicht zustimmen, mit dem dieKommission ermächtigt werde, dem Rat Vor-schläge zu unterbreiten, die der Rat nachden Bestimmungen des Vertrags nur ein-stimmig ablehnen dürfe. Um dies auszu-schließen, schlug die deutsche Regierungvor, die Kommission solle den Mitgliedstaatenlediglich einschlägige Vorschläge unterbrei-ten dürfen. So könne jeder Staat weiterhinfrei entscheiden, ob er den Leitlinien derKommission folgen wolle. Der deutsche Mi-nister erklärte, in Fragen der Berufsbil-dung seien die Mitgliedstaaten zuständig undjeder Text, der dies nicht anerkenne, geheüber den Vertrag hinaus (25).

Neben der Frage der Kompetenzen lehntendie französische und die deutsche Delega-tion auch die Formulierung des zehntenGrundsatzes ab, der eine gemeinsame Finan-zierung für bestimmte Arten von Maßnah-men zur Erreichung der Ziele der Berufs-bildungspolitik vorsah. Nach Auffassung derbeiden Minister sollte diese Bestimmung aus-geschlossen werden. Es sollte im Ermes-sen der einzelnen Länder liegen, die Art derFinanzierung zu bestimmen.

Das Vorhaben der Kommission fand imRat aber auch Befürworter. Die stärkste Un-terstützung für die Argumentation der Kom-missionsmitglieder kam aus Italien. Ange-sichts der bereits geschilderten Erwägungensind die Gründe dafür leicht nachzuvollzie-hen: Italien war das Land, das das stärksteInteresse an der Ausarbeitung einer echtengemeinsamen Politik der Berufsausbildunghatte, vor allem im Hinblick darauf, dass die-se zur Harmonisierung der einzelstaatlichenAusbildungsnormen für Arbeitnehmer führenkönnte, einer Voraussetzung für die Freizü-gigkeit der Arbeitskräfte im GemeinsamenMarkt - und die war eines der wichtigsten

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(20) Zur Diskussion im WSA siehe:ASCE, BAC 7/1986, 1618. Compte-rendu des délibérations XXe sessi-on [Protokoll der Verhandlungen aufder 20. Sitzung], 1.3.1962. Die Er-klärungen Levi Sandris sind enthal-ten in: Rede von Herrn Levi Sandrivor dem Wirtschafts- und Sozial-ausschuss, 1.3.1962, op. cit.

(21) Siehe den von der Versammlungvorgeschlagenen geänderten Textder Grundsätze in ASCE, BAC 7/1986,1618. Vom EWG-Rat geforderte Kon-sultation der Europäischen Parla-mentarischen Versammlung, 2.4.1962.

(22) ASCE, BAC 26/1969, 142, APE,Bericht des Sozialausschusses,21.3.1962. Siehe auch die Berichteüber die Verhandlungen der Kom-mission in ASCE, BAC 173/1995,2829. Trotzdem zeigte sich die Ver-sammlung weiterhin eher zurück-haltend bezüglich des Initiativrechtsder Kommission. Es ist bezeichnend,dass in der vom Parlament vorge-schlagenen Formulierung des vier-ten Grundsatzes in Bezug auf dasVorgehen der Kommission gegenü-ber den Mitgliedstaaten hinsichtlichder von ihr ausgearbeiteten Vorha-ben der Ausdruck sous son impul-sion [auf ihre Initiative] durch sur sademande [auf ihr Ersuchen] ersetztwurde.

(23) Siehe die schriftliche Anfragedes niederländischen sozialistischenAbgeordneten und Vorsitzenden desSozialausschusses der EuropäischenVersammlung Nederhorst vom 29.Oktober 1962 zu den Gründen fürdie Verzögerung und die Antwortder Kommission am 29. Dezember1962 in ASCE, BAC 1/1970, 638.

(24) ASCEM CN2/1963, 0009. Proto-koll der 96. Sitzung des EWG-Ratsin Brüssel am 21.1.1963, 26.4.1963.

(25) Idem.

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Ziele Italiens im europäischen Integrations-prozess (26). Daraufhin schlug der italieni-sche Minister Bertinelli angesichts der fran-zösisch-deutschen Widerstände eine Kom-promissformel vor, die lautete, dass die Kom-mission in erster Linie dem Rat und je nachSituation auch den Mitgliedstaaten Vorschlägeunterbreiten kann.

Nach längeren Verhandlungen, die darin gip-felten, dass der Begriff „Vorschläge“ durchden Terminus „Maßnahmen“ ersetzt wurde,der nach Ansicht der französischen Delega-tion weniger verbindlich und von geringe-rer rechtlicher Tragweite war, stimmte derRat über einen Text ab, der den Kompro-missvorschlag der Italiener enthielt. Vier De-legationen stimmten dafür und zwei - diefranzösische und deutsche - dagegen. Inder Frage der Finanzierung der gemeinsa-men Politik wurde - wieder gegen die Stim-men der französischen und deutschen De-legation - der niederländische Vorschlag an-genommen, der besagte, dass die Politik derBerufsausbildung Gegenstand einer ge-meinsamen Finanzierung werden könne,was aber bedeutete, dass die eigentliche Ent-scheidung über die Art der Finanzierung aufspäter verschoben wurde.

Das Aktionsprogramm von 1965

Nach dieser schweren Geburt wurde dieendgültige Fassung der Grundsätze vom Ratmit Beschluss vom 2. April 1963 verabschiedet.In einem zweiten Beschluss vom 18. De-zember 1963 verabschiedete der Rat die Sat-zung des Beratenden Ausschusses für dieBerufsausbildung (27). Der Ausschuss bestandaus 36 Mitgliedern, und zwar zwei Regie-rungsvertretern, zwei Arbeitnehmervertre-tern und zwei Arbeitgebervertretern je Mit-gliedstaat. Den Vorsitz führte ein Vertreterder Kommission. Levi Sandri, inzwischen Vi-zepräsident der Kommission, übernahm die-ses Amt für die ersten Jahre. Die Rede vonLevi Sandri selbst anlässlich der ersten Sit-zung des Ausschusses am 29. Juni 1964 ver-mittelt ein umfassendes Bild von den Be-rufbildungsprogrammen der Kommissionnach der Verabschiedung der allgemeinenGrundsätze (28).

Der Vizepräsident der Kommission vertratdarin die Auffassung, die gemeinsame Poli-tik der Berufsausbildung müsse das Ergeb-nis einer konzertierten Aktion von Mit-gliedstaaten und Gemeinschaftsinstitutionenauf der Grundlage der allgemeinen Grundsät-

ze sein. Als erster Schritt gelte es, Leitlini-en für das Handeln der Gemeinschaft fest-zulegen, anhand der Grundsätze eine Dring-lichkeitsordnung vorzunehmen und zu er-mitteln, wo der dringendste Bedarf bestehe.In diesem Bewusstsein, so Levi Sandri, wol-le die Kommission als Katalysator für denWillen der Mitgliedstaaten wirken (29). Ins-besondere würde die Kommission gemäßdem fünften Grundsatz die Aufgabe haben,ein dauerhaftes Netzwerk für den Informa-tionsaustausch zwischen den Mitgliedstaa-ten und zwischen ihnen und der Kommis-sion aufzubauen, um einen fruchtbarenErfahrungsaustausch mit den verschiedenenBerufsausbildungsprogrammen auf natio-naler Ebene zu fördern. Vor allem aber soll-te nach Auffassung des italienischen Kom-missionsmitglieds das Ziel der Gemein-schaftsmaßnahmen die Entwicklung der Be-rufsausbildungssysteme und ihre Anpassungan den wirtschaftlichen Wandel und tech-nischen Fortschritt sein. Levi Sandri hoballe bis dahin unternommenen Anstren-gungen der Kommission ausdrücklich her-vor (30), sah aber die Zeit für ein struktu-rierteres Vorgehen zur praktischen Umset-zung der zehn Grundsätze gekommen. NachAuffassung der Kommission bestand, da dieGrundsätze allgemein und oft theoretischerNatur waren, die Notwendigkeit, die Zieleder gemeinsamen Politik der Berufsausbil-dung und die Verfahren zur Erreichung derZiele des WSA zu spezifizieren und zu ge-wichten, und zwar durch Aufstellung allge-meiner Leitlinien für die vorgesehenen Maß-nahmen und durch Konzipierung eines ent-sprechenden Rahmens (31).

Mit Blick auf dieses Ziel beschäftigte sichdie Kommission im Verlauf des Jahres 1964mit der Ausarbeitung eines Aktionsprogrammsfür eine gemeinsamen Politik der Berufs-ausbildung. (Dieses bestand aus zwei Tei-len, von denen einer sich speziell mit derLandwirtschaft, der andere mit anderen Sek-toren befasste). Als Endziel der gemein-schaftlichen Maßnahmen war im Aktions-programm die Schaffung eines Systemsdefiniert, das allen Jugendlichen und bei Be-darf auch Erwachsenen in der Gemeinschaftangemessene Ausbildungsmöglichkeiten bie-ten sollte (32). Das Programm war, wie in denallgemeinen Überlegungen ausdrücklich er-klärt wird, als Zwischenstadium zwischenden zehn Grundsätzen und den konkretenVorschlägen gedacht, die die Kommissiondem Rat oder den Mitgliedstaaten unter-breiten würde. Es wurden eine Reihe kurz-

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(26) Zu den Beziehungen zwischeneuropäischer Integration und Aus-wanderungspolitik in der italieni-schen Politik siehe Romero, 1991und 1993.

(27) Siehe die Dokumentation inASCE, BAC 64/1984, 969 und BAC6/1977, 679.

(28) ASCE, BAC 26/1969, 467. Bera-tender Ausschuss für die Berufs-ausbildung. Discours introductif pro-noncé par M. Levi Sandri [Ein-führungsrede von Herrn Levi Sand-ri], 29.6.1964.

(29) Idem.

(30) Levi Sandri erinnerte beispiels-weise daran, dass auf die von derKommission ausgearbeiteten Vor-schläge hin am 8. Mai 1964 das er-ste gemeinsame Programm für denAustausch junger Arbeitnehmer ver-abschiedet wurde. Außerdem er-wähnte Levi Sandri eine ganze Rei-he von Initiativen mit dem Ziel, ei-ne Zusammenarbeit auf dem Gebietder Information und Forschung zurBerufsausbildung mit nationalen Gre-mien (z. B. der Universitäten Frank-furt und Köln, der humanitären Ge-sellschaft von Mailand) und inter-nationalen Einrichtungen (Centred'information sur la formation pro-fessionnelle in Genf, einer eng mitder IAO verbunden Organisation)zu errichten. 1964 organisierte dieKommission dann mit großem En-gagement eine internationale Kon-ferenz zur Berufsausbildung, dievom 16. bis 20. November 1964 inBrüssel stattfand. Siehe den Kon-ferenzbericht in SCE, BAC 1/1970,637 und ASCE, BAC 26/1969, 467,Informationspapier zum Kolloqui-um über die Berufsausbildung,25.9.1964.

(31) ASCE, BAC 6/1977, 679. Projetde programme d'action en matièrede politique commune de formati-on professionnelle [Entwurf für einAktionsprogramm für eine gemein-same Politik der Berufsausbildung],1964, undatiert.

(32) Idem.

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und langfristiger Maßnahmen geplant, diees ermöglichen sollten, schrittweise eine ge-meinschaftliche Politik der Berufsausbildungumzusetzen, die zur harmonischen Ent-wicklung sowohl der einzelnen Volkswirt-schaften als auch des Gemeinsamen Mark-tes beitragen, die Erhöhung des Lebens-standards beschleunigen und die Beschäfti-gungschancen für Arbeitnehmer und selbst-ständig Erwerbstätige verbessern sollte (33).

Ziel der kurzfristigen Maßnahmen war imWesentlichen die Förderung einer Aus-schöpfung des Arbeitskräftepotenzials in-nerhalb der Gemeinschaft durch Ausbildungund Umschulung sowie die Verlagerung vonArbeitskräften von Sektoren mit Arbeits-kräfteüberschuss auf Sektoren mit Perso-nalmangel. Zu diesem Zweck war geplant,die Gemeinschaftsinitiativen zur Ausarbei-tung beschleunigter Ausbildungsprogram-me für erwachsene Arbeitnehmer weiterzu-entwickeln und zu verbessern.

Unter den langfristigen Maßnahmen sah dasDokument die Entwicklung von Ausbil-dungsstrukturen, -programmen und -me-thoden als vorrangig an, und zwar insbe-sondere in Entwicklungsgebieten und Re-gionen, die von wirtschaftlichem Nieder-gang bedroht waren. Dabei wurde der Aus-bildung von Lehrkräften und Ausbildern undder Fort- und Weiterbildung der Arbeitneh-mer besondere Bedeutung beigemessen, umangemessen auf die Anforderungen des tech-nischen Fortschritts reagieren zu können.

Als weiteres vorrangiges Ziel wird in demDokument die Harmonisierung der Ausbil-dungsstandards genannt, die, so Levi Sand-ri, eines der grundlegenden Ziele der ge-meinschaftlichen Politik darstelle (34), damitder Grundsatz der Freizügigkeit der Ar-beitnehmer und des Niederlassungsrechtsvoll zum Tragen käme. Daher sollte die Har-monisierung in erster Linie bei denjenigenBerufen und Qualifikationen ansetzen, indenen es in der Gemeinschaft die höchstenAbwanderungsraten gäbe.

Im Mai 1965 verabschiedete die Kommissi-on nach Anhörung des Beratenden Aus-schusses das Aktionsprogramm, das ande-ren Gemeinschaftsinstitutionen zur Beurtei-lung vorgelegt wurde (35). Das Parlament gabim März 1966 eine befürwortende Stellun-gnahme ab (36). Im Mai desselben Jahres prüf-te eine der Arbeitsgruppen des Ministerrats,die Ratsgruppe „Sozialfragen“, das Doku-

ment (37). Innerhalb der Arbeitsgruppe desRates merkten die deutsche und die nie-derländische Delegation an, dass die Auf-gabenverteilung zwischen der Gemeinschaftund den Mitgliedstaaten im Aktionsprogrammnicht hinreichend klar festgelegt sei. Diefranzösische Delegation meldete förmlichVorbehalte an, da die Vorschläge der Kom-mission ihrer Auffassung nach in einigenwichtigen Aspekten über das eigentliche Ge-biet der Berufsausbildung hinausgingen.Nach Auffassung der französischen Delega-tion berührten sie Fragen, für die alleindie Mitgliedstaaten zuständig seien (dabeiging es vor allem um Beschäftigungs-, Schul-und Regionalpolitik). Die französische De-legation wies darauf hin, dass einige der vor-gesehenen Maßnahmen Finanzierungspro-bleme aufwerfen würden und das Programmnur als Richtschnur dienen könne, da kon-krete Verpflichtungen die einstimmige Zu-stimmung der Regierungen erfordert hätten.In diesem Sinne schlug die Delegation vor,die Regierungen sollten sich über konkre-te Initiativen einigen, ohne eine allgemeineFinanzierungsform zu definieren. AuchDeutschland vertrat die Auffassung, es seibesser, keinen Standpunkt zu allen Maß-nahmen des Programms zu verabschieden,sondern im Einzelfall zu entscheiden. Da-bei handelte es sich eindeutig um einen Ver-such der Regierungen, eine Kompartimen-tierung der Vorhaben der Kommission her-beizuführen, um so jede Form von Supra-nationalität auszuschließen.

Nur die italienische Delegation verteidigteden Ansatz der Kommission und vertrat dieMeinung, der Rat solle sich nicht darauf be-schränken, das Programm zur Kenntnis zunehmen. Italien schlug vor, den Entwurf ei-ner Erklärung dem Ausschuss der StändigenVertreter (COREPER) vorzulegen, in der derRat zum einen die Notwendigkeit betonensolle, die Initiativen auf dem Gebiet der Be-rufsausbildung als Ganzes zu sehen und zumanderen den Wert von Maßnahmen hervor-heben solle, die zur gegenseitigen Aner-kennung von Berufsabschlüssen führen unddadurch die Freizügigkeit der Arbeitnehmererleichtern würden. In der von den Italie-nern vorgeschlagenen Erklärung sollte derRat die Kommission auffordern können, ihmProjekte vorzulegen, die die Durchführungdes Aktionsprogramms ermöglichten (38).Der italienische Standpunkt fand keine Un-terstützung bei den anderen Delegationen.Die Kommission selbst erklärte, sie werdedie Aufforderung an der Rat zurückziehen,

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(33) ASCE, BAC 6/1977, 685. Ak-tionsprogramm für eine gemeinsa-me Politik der Berufsausbildung,1964, undatiert.

(34) CCFP. Einführungsrede von HerrnLevi Sandri, 29.6.1964, op. cit.

(35) ASCE, BAC 26/1969, 468. Aus-zug aus dem Protokoll der 316. Sit-zung der Kommission, 5.5.1965.ASCE, BAC 6/1977, 685, CCFP. Stel-lungnahme zum Aktionsprogrammfür eine gemeinsame Politik der Be-rufsausbildung, 19.3.1965.

(36) Siehe die Dokumentation inASCE, BAC 26/1969, 469. Die be-fürwortende Stellungnahme des Par-laments war am 11. März 1966 er-gangen.

(37) ASCE, BAC 26/1969, 469. Rats-gruppe „Sozialfragen“, Mitteilung-Aktionsprogramme der Kommissi-on, 9.5.1966.

(38) ASCE, BAC 26/1969, 469. Vonder italienischen Delegation vor-geschlagener Text, 21.9.1966.

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über ihr Programm zu beraten, dessen in-dikativen und allgemeinen Charakter sie -wie sie ausdrücklich betonte - jedoch aner-kenne (39). Angesichts dieser Position be-harrte Italien nicht kategorisch auf seinemStandpunkt und zog seine Anträge zurück.Der Rat nahm das Aktionsprogramm ledig-lich zur Kenntnis, ohne es zu erörtern.

Weshalb machte die Kommission diesenRückzieher? Meiner Meinung nach spielendabei zwei Faktoren eine Rolle. Zum ei-nen das allgemeine politische Klima: Wir be-finden uns in der Phase unmittelbar nachdem Ende der durch die „Politik des leerenStuhls“ entstandenen Krise, die durch denLuxemburger Kompromiss beigelegt wurde(siehe z. B. Gerbet, 1994, S. 269-284). Des-halb kann man davon ausgehen, dass dieÄnderung der Haltung der Kommission auchauf ihre Niederlage in der Auseinanderset-zung mit Frankreich zurückzuführen war.Bei genauerer Betrachtung kann auch dieUnnachgiebigkeit Frankreichs als Folge derKrise der Institutionen in den vorangegan-genen Monaten gesehen werden. Auch Er-eignisse, die enger mit der Berufsbildungzusammenhängen, bieten vielleicht teilwei-se eine Erklärung dafür, insbesondere dasScheitern der ersten konkreten Initiative derKommission auf diesem Gebiet.

Ende Juni 1965, einige Wochen nachdemdas Aktionsprogramm vorgelegt worden war,übermittelte die Kommission dem Rat einenVorschlag für einen mehrheitlich zu fassen-den Beschluss zur Umsetzung eines be-schleunigten Berufsausbildungsprogramms(40). Die Kommission sah diese Initiative zu-mindest partiell als Lösung für ein reales Pro-blem. Es ist zu bedenken, dass 1964 in ei-nigen Ländern „Klein-Europas“ ein gravie-render Arbeitskräftemangel herrschte. InDeutschland waren beispielsweise 600 000Arbeitsplätze unbesetzt, weil qualifizierte Ar-beitskräfte fehlten. In Italien dagegen wa-ren nach offiziellen Zahlen 1 200 000 Men-schen arbeitslos. Die Kommission wies aufden akuten Arbeitskräftemangel in der Ge-meinschaft hin, der so groß sei, dass erdas ausgewogene Wachstum der Wirtschaftin der Gemeinschaft beeinträchtige. Nur Ita-lien könne einen Überschuss an Arbeits-kräften vorweisen, die ausgebildet werdenkönnten, um Arbeitsplätze in den anderenMitgliedstaaten zu füllen (41).

Rechtlich und politisch gesehen gründetesich der Vorschlag der Kommission nicht nur

auf ihr kürzlich aufgelegtes Aktionsprogramm,sondern auch auf die allgemeinen Grundsät-ze, speziell, wie in der Einleitung zu demVorschlag ausgeführt, auf dem 4. und 10.Grundsatz, diejenigen also, die bei denRegierungen am heftigsten unter Beschussgeraten waren. Druck hatte zunächst der Be-ratende Ausschuss ausgeübt, der in seinerbefürwortenden Stellungnahme zum Ak-tionsprogramm im März auf die Notwen-digkeit hingewiesen hatte, Maßnahmen zuprüfen, die zur Beseitigung bestehender Un-gleichgewichte auf dem Arbeitsmarkt bei-tragen könnten, und die Durchführung be-schleunigter Programme auf dem Gebiet derBerufsausbildung angesichts des Mangels anqualifizierten und des Überschusses anunqualifizierten Arbeitskräften vorgeschla-gen hatte (42). Der Ausschuss schlug aus-drücklich vor, die Durchführung beschleu-nigter Berufsausbildungsmaßnahmen vor-anzutreiben.

Die Kommission schloss sich der Auffassungdes Ausschusses an und entwarf ein Aus-bildungsprogramm für 3000 italienische Ar-beitnehmer im Alter bis zu 35 Jahren, diebereit waren, im Bau-, Metall- und Hotel-gewerbe in einem anderen Mitgliedstaat Ar-beit zu suchen. Die Kurse sollten je nachBeschäftigungssektor acht Monate bis einJahr dauern und teilweise in Italien und teil-weise in Frankreich und Belgien stattfinden.Die Teilnehmer sollten Anspruch auf eineVergütung und Bedingungen haben, die inFrankreich und Belgien denjenigen einhei-mischer Arbeitskräfte entsprachen, die öf-fentliche Berufsausbildungseinrichtungenbesuchten. Es war vorgesehen, dass die ita-lienischen Arbeitskräfte zusätzlich zur mo-natlichen Vergütung Anspruch auf eine Gra-tifikation bei Abschluss des Kurses sowieauf einen Beitrag zu den Reisekosten insAusland hatten. Das Programm sollte ausdem Gemeinschaftshaushalt finanziert wer-den (43).

Die Pläne der Kommission stießen auf Wi-derstand seitens der Regierungen, wiedermit Ausnahme von Italien. In den Verhand-lungen in der Arbeitsgruppe „Sozialfragen“im Verlauf von sechs Sitzungen zwischenEnde März und Ende April 1966 stellte nie-mand in Frage, dass dieser Vorschlag sozialund wirtschaftlich sinnvoll war (44). Den stärk-sten Widerstand gab es gegen die politischenund finanziellen Implikationen des Projekts.Wie die italienische Delegation betonte, hat-te diese spezielle Initiative eine große po-

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(39) Siehe die Erklärungen der Kom-missionsvertreter im COREPER inASCE, CM/AI 31452. Mitteilung-Ak-tionsprogramms der Kommission,Sitzung des COREPER, 5.10.1966.Siehe auch ASCE, BAC 7/1986, 1619.Mitteilung an die Mitglieder der Kom-mission, 14.10.1966.

(40) ASCE, BAC 26/1969, 468. Vonder Kommission vorgelegter Vor-schlag für einen Beschluss des Ra-tes, 29.6.1965, Anlage, Levi Sandrian Couve de Murville, 1.7.1965.

(41) Idem.

(42) Beratender Ausschuss für dieBerufsausbildung. Stellungnahmezum Aktionsprogramm für die ge-meinsame Politik der Berufsausbil-dung, 19.3.1965, op. cit.

(43) Für die Initiative sollte ein Bud-get von maximal 6 Mio. Rech-nungseinheiten bereitgestellt wer-den, davon 1 700 000 RE für 1965,der Rest für 1966.

(44) Siehe ASCE, BAC 26/1969, 469.Council, Mitteilung-Vorschlag für ei-ne Entscheidung des Rates, 3.5.1966.

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litische Bedeutung, die weit über ihre beiLichte betrachtet eher bescheidenen Aus-wirkungen auf die Arbeitsmarktbedingun-gen hinausging. Würde sie in die Realitätumgesetzt, so wäre dies die erste konkreteGemeinschaftsmaßnahme auf dem Gebietder Berufsausbildung, die mit gemein-schaftlicher Finanzierung durchgeführt wür-de, und würde damit einen wichtigen Prä-zedenzfall schaffen (45). Doch gerade umauszuschließen, dass die Gemeinschaft Be-fugnisse in einem Bereich erhielt, der als al-leinige Domäne der einzelstaatlichen Re-gierungen angesehen wurde, schlugen dieanderen Delegationen vor, das Programmzurückzustellen und stattdessen eine Reihemulti- oder bilateraler Vereinbarungen zwi-schen Italien und den anderen Mitglied-staaten anzustreben oder den Sozialfonds inAnspruch zu nehmen. Abgesehen von dergrundsätzlichen Kompetenzfrage, die derDiskussion zugrunde lag, war auch die Ver-teilung der Kosten für die Durchführung desProgramms ein Problem. Nach dem von derKommission vorgeschlagenen System solltedie Hauptkostenlast gleichmäßig auf die dreigrößten Staaten verteilt werden; die ande-ren sollten ebenfalls einen erheblichen Bei-trag leisten. Bei Inanspruchnahme des So-zialfonds hätte Italien nur die Hälfte der not-wendigen Ausgaben bestreiten müssen (46).

Diese Widerstände führten zum Scheiterndes Vorschlags, der durch eine Reihe vonRegierungsabkommen ersetzt wurde. Damitwar der Versuch der Kommission, als trei-bende Kraft einer gemeinschaftlichen Poli-tik der Berufsausbildung zu wirken, völligfehlgeschlagen.

In den folgenden Jahren widmete sich dieKommission weniger ehrgeizigen Zielen mitgeringerer Tragweite. Im Mittelpunkt standinsbesondere die Prüfung von Maßnahmenzur Harmonisierung der Berufsabschlüsse inAnwendung des achten Grundsatzes. Die-ses Unterfangen hätte, wäre es auf alle Ar-beitsmärkte ausgedehnt worden, eine über-mäßige Belastung für die begrenzten Struk-turen und Befugnisse der Gemeinschaft be-deutet. Deshalb wurde beschlossen, die An-strengungen der Kommission und des Be-ratenden Ausschusses auf Berufe zu kon-zentrieren, die von vielen Menschen aus-geübt wurden, für die Gemeinschaft insge-samt von Belang waren und in Bezug aufdie Freizügigkeit von Bedeutung waren (47).Nach diesen drei Kriterien wurden die Sek-toren Maschinenbau und Baugewerbe aus-

gewählt. Ziel war, eine gemeinschaftsweiteListe der für jeden Beruf erforderlichen Kom-petenzen aufzustellen und ihre Anwendungauf einzelstaatlicher Ebene zu fördern. 1967übermittelte die Kommission dem Rat einenvorläufigen Entwurf zu den für die Ausbil-dung zum Dreher aufgeführten Kenntnissenund Fertigkeiten. Es folgten Listen für dieBerufe des Universalfräsers und des Uni-versalschleifers. Alle drei Listen wurden zueinem einzigen Berufsbild für die Ausbil-dung von Facharbeitern an spanenden Werk-zeugmaschinen zusammengefasst.

Doch selbst bei einer so technischen The-matik musste die Kommission mit dem Wi-derstand der französischen Regierung rech-nen, die die gewählte Methode in Frage stell-te, da diese zu einer Unterbewertung be-stimmter nationaler Merkmale und einer Fest-schreibung der Kenntnisse und Fähigkeitenin Gewerben führen könnte, die einem stän-digen technischen Wandel unterlägen. Diefranzösische Delegation in der Ratsgruppe„Sozialfragen“ erklärte, das Vorhaben derKommission ziele in der Praxis darauf ab,einheitliche Inhalte festzulegen, die die Mit-gliedstaaten in der Ausbildung vermittelnsollten. Die Festlegung eines durchschnitt-lichen Niveaus würde deshalb für die Mit-gliedstaaten große Probleme verursachen,die ja weiterhin für die Festlegung undAnpassung der Standards für die verschie-denen Berufsbildungssysteme zuständig sei-en (48).

Aufgrund des französischen Widerstandswurde die Arbeit der Kommission im Juli1968 durch Entscheidung des Rates bis zurFestlegung eines Arbeitsverfahrens ausge-setzt, das von allen Delegationen akzeptiertwerden könne (49). Somit geriet die ein-schlägige Gemeinschaftspolitik am Ende desJahrzehnts in eine echte Sackgasse.

Das Aktionsprogramm von 1972

Ein Ausweg aus dieser Situation konnte, zu-mindest zum Teil, Ende November 1969, we-nige Tage vor der Haager Konferenz gefun-den werden. Der Rat tagte, um über die Si-tuation auf den Arbeitsmärkten in der Ge-meinschaft zu beraten. Beim Gedankenaus-tausch der Minister, bei dem auch Levi Sand-ri anwesend war, wurde darauf hingewie-sen, dass nach wie vor in allen MitgliedstaatenFacharbeiter in der Industrie fehlten und trotzallgemein sinkenden Arbeitslosenquoten im-mer noch „Nester“ von Langzeitarbeitslosig-

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(45) Idem.

(46) In diesem Fall hätte sich auf-grund des Finanzierungsmechanis-mus des ESF der Anteil Italiens um85 % erhöht, während der Frank-reichs und Deutschlands um 20 %bzw. 42 % geringer ausgefallen wä-re.

(47) Siehe ASCE, CM/AI 31457, Rat.Mitteilung - Berufsausbildung: schritt-weise Angleichung der Ausbil-dungsstandards, 15.12.1967. In die-sem Dokument werden die Aussa-gen eines Kommissionsvertreters ge-genüber der Ratsgruppe „Sozialfra-gen“ zum Stand der Angleichungdes Ausbildungsniveaus zusam-mengefasst. Siehe auch ASCE, BAC64/1984, 969. Die Maßnahmen derEuropäischen Gemeinschaften zurHarmonisierung der Berufsausbil-dung, 9.10.1968. Es handelt sich umden Text einer Erklärung des Ge-neraldirektors für soziale Angele-genheiten Vink auf einer Konferenzdes European Institute for Vocatio-nal Training.

(48) Siehe ASCE, CM/AI 31457. Mit-teilung - Berufsausbildung: schritt-weise Angleichung der Ausbil-dungsstandards, 23.1.1968.

(49) Siehe ASCE, CM/AI 31457. Aus-zug aus dem Protokoll der 44. Rats-tagung, 9.7.1968, in dem die Schlus-sfolgerungen der Ratsgruppe „Sozi-alfragen“ zur Kenntnis genommenwerden, in ASCE, BAC 173/1995,2840, Mitteilung - Berufsausbildung:schrittweise Angleichung der Aus-bildungsstandards, 17.7.1968.

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keit existierten (50). Die Minister waren sichdarin einig, dass die Bedeutung der Berufs-ausbildung für die Aufrechterhaltung einesqualitativen und quantitativen Gleichgewichtsauf dem Arbeitsmarkt unterstrichen wer-den müssen und stimmten zu, dass Studienund Forschungsarbeiten notwendig seien,um den Erfahrungsaustausch auf Gemein-schaftsebene zu fördern. Die italienische De-legation forderte eine Intensivierung derBemühungen um spezifischere Verpflich-tungen auf Gemeinschaftsebene. Am Endeder Tagung verabschiedete der Rat eine Er-klärung, in der die Kommission aufgefordertwurde, ihre Bewertung und Vorschläge hin-sichtlich der Berufsausbildung für Erwach-sene vorzulegen.

Die Kommission legte ihre Vorschläge imApril 1970 vor. Die Kommission schlug vor,auf Gemeinschaftsebene statistische Instru-mente zu entwickeln, den Informations- undErfahrungsaustausch zu intensivieren unddie Forschungsarbeiten der Mitgliedstaatenbesser zu koordinieren (51). Es ist nicht zuübersehen, dass sich gegenüber den Ambi-tionen der frühen 1960er Jahre einiges geän-dert hatte. Einzige Ausnahme von dieser we-nig profilierten Politik war der Vorschlag,die vom WSA angedeutete Möglichkeit zuprüfen, ein europäisches Institut für die wis-senschaftliche Forschung auf dem Gebietder Berufsausbildung einzurichten.

Im November legte die französische Re-gierung als Reaktion auf die vorsichtigenVorschläge der Kommission eine Mitteilungüber die Tätigkeit der Gemeinschaft auf demGebiet der Berufsausbildung vor, die zurGrundlage der Initiativen der folgenden dreiJahre wurde (52). In diesem Dokument äußer-te die französische Regierung heftige Kri-tik an der Tätigkeit der Gemeinschaft aufdem Gebiet der Berufsausbildung. Kritisiertwurden besonders die allgemeinen Grundsät-ze. Sie seien zu allgemein gefasst, was vie-le praktische oder Fortschritte oder Ent-wicklungen von nennenswertem Interesseunmöglich gemacht habe, hieß es in demDokument, in dem diskret verschwiegenwurde, dass der Widerstand der Regierun-gen zu diesem enttäuschenden Ergebnis nichtunwesentlich beigetragen hatte.

Die französische Regierung forderte die Fest-legung eines neuen Tätigkeitsprogrammsmit dem Ziel, den Informationsaustausch zuverbessern und die Ausbildungsstandardszu harmonisieren.

Das letztere Ziel solle auf einer anderen Ba-sis verfolgt werden als bisher, d. h., man sol-le nicht mehr von jedem einzelnen Berufs-abschluss ausgehen, sondern weiter gefas-ste Berufs- und Tätigkeitsgruppen betrach-ten und dabei auf eine sich ständig weiter-entwickelnde Beschreibung neuer Arbeits-verfahren abzielen und nicht auf ein stati-sches Verzeichnis von Praktiken, die schnellüberholt sein würden.

Als letzten Punkt schlug Frankreich vor,gemeinsame Maßnahmen in denjenigen Be-reichen durchzuführen, die ihrem Wesennach eine internationale Zusammenarbeit er-forderten oder eng mit Gemeinschaftspoliti-ken verknüpft waren. Im Einzelnen wurdenfolgende Bereiche für gemeinschaftliche Maß-nahmen vorgeschlagen:

(a) Fremdsprachenunterricht für Wander-arbeitnehmer;

(b) Entwicklung spezieller Unterrichts-instrumente (z. B. Computer und Simula-toren);

(c) Zusammenarbeit bei oder Austausch vonRundfunk- und Fernsehprogrammen;

(d) Ausarbeitung von Gemeinschaftspro-grammen zur Ausbildung in Berufen, in de-nen im Zusammenhang mit der technologi-schen Entwicklung neue Probleme entste-hen (z. B. Informationstechnologie, nume-risch gesteuerte Werkzeugmaschinen usw.).

Die anderen Delegationen nahmen die fran-zösischen Vorschläge positiv auf (53). Es istinteressant, dass die deutsche Delegationder negativen Bewertung der allgemeinenGrundsätze von 1963 und den darauf fol-genden Initiativen voll und ganz zustimm-te, sich aber trotzdem nicht hinter einer all-gemeinen Kritik ihrer abstrakten Natur ver-steckte, sondern letztendlich den wahrenGrund für ihr Scheitern anerkannte, nämlichdass mit den vom WSA ausgearbeitetenGrundsätze vor allem versucht worden sei,eine Reihe von Zuständigkeiten zu defi-nieren und der Eindruck vermittelt wor-den sei, nur die Kommission könne wirk-same Maßnahmen ergreifen. Diese Vorge-hensweise habe keine zufrieden stellendenErgebnisse bringen können, und außerdemsei es nicht angeraten, auf bestimmte Tätig-keitsprogramme, die die Kommission in derVergangenheit formuliert habe, Bezug zunehmen (54).

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(50) ASCE, CM2/1969, 50. Protokollder 90. Ratstagung, 24. - 25.11.1969.

(51) Siehe ASCE, CM/AI 31441 Schlus-sfolgerungen und Vorschläge derKommission, dem Rat vorgelegt nachdem Meinungsaustausch am25.11.1969, 20.4.1970, Anlage zuBodson, V. (Mitglied der Kommis-sion) an Harmel, P. (Präsident desEWG-Rats), 24.4.1970 und der Bei-trag der Kommission, der in ASCE,CM/AI 31389 genannt wird, Mittei-lung - Tätigkeit auf dem Gebiet derBerufsausbildung, 8.7.1970.

(52) ASCE, CM/AI 31389. Mitteilungder französischen Regierung überdie Tätigkeit der Gemeinschaft aufdem Gebiet der Berufsausbildung,16.11.1970.

(53) Siehe die Beratungen in der Rats-gruppe „Sozialfragen“ in ASCE, CM/AI31389, Mitteilung - Tätigkeit auf demGebiet der Berufsausbildung,11.1.1971.

(54) Idem. Siehe auch ASCE, CM/AI31459, Mitteilung - Stellungnahmeder deutschen Delegation zu Tätig-keiten auf dem Gebiet der Berufs-ausbildung, 24.2.1971.

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Der französische Bericht löste intensive Be-ratungen in der Ratsgruppe „Sozialfragen“aus, die dazu führten, dass der Rat ein Do-kument mit allgemeinen Leitlinien zur Aus-arbeitung eines gemeinschaftlichen Tätig-keitsprogramms auf dem Gebiet der Be-rufsausbildung annahm (55). Diese Leitlini-en, die weitgehend die Ideen der französi-schen Delegation widerspiegelten, wurdenvon der Kommission uneingeschränkt an-genommen und dienten als Grundlage fürein neues Aktionsprogramm, das im Okto-ber 1972 das Licht der Welt erblickte (56). Be-merkenswert ist, dass der Entscheidungs-prozess jetzt andersherum ablief als in derVergangenheit: Die Kommission zog nach,nachdem die Regierungen die Initiative er-griffen hatten. Wie im Bericht des Sozial-ausschusses des Europäischen Parlamentsbetont wird, bedeutete das neue Dokumentgegenüber dem Programm von 1965 einenRückschritt (57). Der Umfang der vorgese-henen Maßnahmen war bescheiden und be-schränkte sich weitgehend auf die Förde-rung der Zusammenarbeit und den Ge-danken- und Informationsaustausch zwi-schen den Mitgliedstaaten. EigenständigesHandeln seitens der Kommission war of-fenbar nicht vorgesehen. Wie der Verfasserdes Berichts anmerkte, hatte sogar die Kom-mission selbst, indem sie implizit die be-grenzte Tragweite des Programms einräum-te, nahe gelegt, es in einen künftigen Akti-onsplan zur Durchführung der gemeinsa-men Politik der Berufsausbildung einzubin-den und diesen in den Rahmen des sozia-len Aktionsprogramms zu stellen, mit des-sen Ausarbeitung die Kommission beim Pa-riser Gipfel im Oktober 1972 beauftragt wor-den war (58).

Innerhalb weniger Monate sollte sich dasgesellschaftlich-politische Klima in der Ge-meinschaft drastisch ändern. Die Wirt-schaftskrise, die das Ende des „goldenenZeitalters“ des Kapitalismus einläutete, stell-te die westlichen Gesellschaften vor eineReihe von Problemen, und viele bis dato all-gemein akzeptierte Erkenntnisse wurden inFrage gestellt. In dieser neuen und schwie-rigen Situation, die die Staaten zwang, überneue Lösungsansätze nachzudenken, wur-den einige Projekte aus den frühen 1960erJahren wieder aufgegriffen. Dazu gehörteauch die in der ersten Fassung der allge-meinen Grundsätze angedeutete Idee derGründung einer europäischen Berufsbil-dungseinrichtung.

Fazit

Zum Schluss möchte ich zu meiner An-fangsfrage zurückkommen: Warum schei-terten im ersten Jahrzehnt des Bestehens derGemeinschaft die Versuche, eine gemeinsa-me Berufsbildungspolitik in Gang zu brin-gen?

Dafür lassen sich verschiedene Erklärungenfinden, wenn man die Ereignisse im fragli-chen Zeitraum verfolgt: Widerstand von be-stimmten Mitgliedstaaten, die sich dagegensträubten, der Gemeinschaft ihre nationalenBefugnisse in einem Bereich zu übertragen,der zwar zweitrangig erscheinen mochte,aber in Ländern mit einem hoch entwickel-ten Berufsbildungssystem wie Deutschlandund Frankreich mit erheblichen Interessenverbunden war; eine gewisse Unbedacht-samkeit der Kommission, der es nicht ge-lang, allzu integralistische Bestrebungen un-ter Kontrolle zu halten und dadurch einefeindselige Haltung der Regierungen ge-genüber Projekten hervorrief, die als zu „ge-wagt“ angesehen wurden. Auch hier könn-te man die Pläne der Kommission im Ein-zelnen untersuchen, um die Schwächen undMängel aufzuzeigen, die zu ihrem Scheiternbeitrugen.

Doch die grundlegende Ursache und derAspekt, der die Untersuchung eines relativzweitrangigen Elements des europäischenAufbauwerks, anscheinend so fern von denentscheidenden politischen Problemen, wich-tig macht, liegt darin, dass in der Berufsbil-dung die selben Kräfte am Werk waren,die den Verlauf der Integration auf höhererEbene bestimmten. In anderen Worten: Indem Mikrokosmos der Versuche, eine ge-meinsame Politik der Berufsausbildung auf-zubauen, finden wir Spuren der Auswir-kungen der allgegenwärtigen Dialektik zwi-schen zwischenstaatlicher Dynamik und su-pranationalen Bestrebungen. So können wirbeispielsweise sehen, dass die Kommissionin den ersten Jahren des Jahrzehnts versucht,sich als gleichberechtigte Partnerin der ein-zelnen Staaten zu profilieren, unter anderemdurch Bekräftigung ihrer Kompetenzen inFragen der Berufsbildung sowie der bekanntenGebiete der gemeinsamen Finanzierung vonGemeinschaftspolitiken, der Handelspolitikusw. Auf diesen Versuch reagierten einigeRegierungen, indem sie wiederum die Am-bitionen der Kommission zurechtstutzten.Das führte zur „Politik des leeren Stuhls“ undauf der „bescheideneren“ Ebene, mit der wir

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(55) ASCE, CM/AI 30661. Allgemei-ne Leitlinien zur Ausarbeitung einesgemeinschaftlichen Tätigkeitspro-gramms auf dem Gebiet der Be-rufsausbildung, 27.7.1971. Zu denBeratungen in der Ratsgruppe „So-zialfragen“ siehe die umfangreicheDokumentation in ASCE, CM/AI31459.

(56) ASCE, CM/AI 31416. Erste Maß-nahmen zur Durchführung einer ge-meinsamen Politik der Berufsaus-bildung, 25.10.1972.

(57) ASCE, CM/AI 31419. Europäi-sches Parlament, Bericht des Aus-schusses für Beschäftigung und so-ziale Angelegenheiten, 5.6.1973.

(58) Idem.

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uns hier beschäftigen, einem ausgewachse-nen Boykott der Anwendung der allgemei-nen Grundsätze, die für die gemeinsame Po-litik der Berufsausbildung und die anderenInitiativen der Kommission auf diesem Ge-biet gelten sollten. Am Ende des Jahrzehnts,als durch die Haager Konferenz eine neuePhase eingeleitet und die Sozialpolitik auf-grund der Krise, die den 30 Jahren des Wirt-schaftswunders ein Ende setzte, vorange-trieben wurde, wurde angesichts des Ak-tionsprogramms von 1974 die Diskussionüber eine gemeinsame Berufsausbildungs-politik - wenn auch auf anderer Grundlage- erneuert. Außerdem ergab sich parallel zurGemeinschaftsdialektik zwischen Institutio-

nen und Regierungen ein Konflikt zwischenden nationalen Interessen, der sich mit die-ser Dialektik verflocht. Im Verlauf dieser Er-eignisse beugte sich die schwächste Partei,Italien, der Feindseligkeit Frankreichs undDeutschlands, die sich offenbar dagegensträubten, die finanziellen Belastungen fürdie Wiederherstellung eines sozialen Gleich-gewichts für Italien zu tragen oder auf ihreSouveränität auf einem Gebiet zu verzich-ten, das sie offenbar trotz der technischenNatur vieler der einschlägigen Fragen alswichtig erachteten, da es Auswirkungen aufdie Lebensperspektiven ihrer Bürger undWähler gehabt hätte.

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Bibliografie

Schlagwörter European construction, European Treaty, Community policy, European Commission, training policy, vocational training

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Einleitung

Eine Analyse der Rolle der Gewerkschaftenbei der Förderung einer europäischen Sozi-alpolitik in den 1970er Jahren erscheint auszwei Gründen sinnvoll: Zum einen hilft sieeinzuschätzen, inwieweit die Sozialpartnerin der Lage waren, die Aufmerksamkeit derRegierungen durch entsprechenden Druckauf die soziale Dynamik des europäischenIntegrationsprozesses zu lenken, zum an-deren zeigt sie, dass es bis zur heutigen So-zialpolitik der EU ein langer Weg war unddie treibenden Kräfte viele Hindernisse über-winden mussten, bis ein Dialog mit den Ge-meinschaftsinstitutionen in Gang kam. Indiesem Zusammenhang ist die Gründungdes Cedefop im Jahr 1975 als eines der wich-tigsten Ergebnisse der Forderungen der Ge-werkschaftsverbände anzusehen, die auf ei-ne stärkere Präsenz innerhalb der EU unddie Entwicklung einer europäischen Be-schäftigungs- und Berufsbildungspolitikdrängten.

Diese Untersuchung, für die am Internatio-nalen Institut für Sozialgeschichte in Am-sterdam (1) und den Archiven des Minister-rats und der Kommission in Brüssel recher-chiert wurde, konzentriert sich im Wesent-lichen auf die 1970er Jahre. Seit dem Gip-feltreffen von Den Haag im Jahr 1969 undinsbesondere der Ausarbeitung des Werner-Plans begannen die Gemeinschaftsinstitu-tionen und die europäischen Regierungenangesichts wachsender Arbeitslosigkeit undeiner einschneidenden Wirtschaftskrise, den

Rahmen für eine Sozialpolitik abzustecken,die den Beschäftigungsproblemen Rechnungträgt. Diese wurde nicht mehr als Beiwerkdes wirtschaftlichen Integrationsprozessesbetrachtet, sondern als eigenständiges Ziel,für das zahlreiche Initiativen in den Berei-chen Beschäftigung und Berufsbildung ge-startet wurden (2).

Die Ursprünge der europäischen Sozialpolitik

In den Römischen Verträgen wurde der So-zialpolitik - einmal abgesehen von derEuropäischen Gemeinschaft für Kohle undStahl (EGKS), deren Gründungsvertrag einebeträchtliche Anzahl von Artikeln über dasWohl der Arbeitnehmer und ihre Wieder-einstellung bei Umstrukturierungen der Un-ternehmen enthielt und vorsah, dass die Ver-treter der Gewerkschaftsverbände in der Ho-hen Behörde und im Beratenden Ausschussangemessen repräsentiert waren (Mechi,1994) - keine zentrale Rolle zugedacht.Sie wurde eher als Beiwerk des wirtschaft-lichen Integrationsprozesses denn als ei-genständiges Ziel angesehen (Ciampani,1995a und 2001; Degimbe, 1999). Auchdie Auffassungen, was unter Sozialpolitik zuverstehen ist, erschienen komplex und he-terogen. Sie konnte unter Umständen vonRegion zu Region und Akteur zu Akteur ganzunterschiedliche Bedeutungen haben. Fürdie Gewerkschaften und teilweise auch fürdie europäischen Institutionen stand Sozi-alpolitik für verschiedene Aspekte der Wohl-fahrtspolitik, von den Mechanismen zum

Die Gewerkschaftenund die Neubelebungder europäischen Sozialpolitik

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MariaEleonoraGuasconiDozentin fürGeschichte derInternationalenBeziehungen an derFakultät fürPolitikwissenschaftender Universität Urbino(Italien)

Die Haltung der europäischenGewerkschaften in der Frage derBerufsbildung ist ein interes-santes Beispiel für ein umfas-senderes Thema, bei dem es so-wohl um die Rolle nichtstaatli-cher Akteure bei der Ausfor-mung der sozialen Dimensiondes Integrationsprozesses alsauch um die Notwendigkeit ging,innerhalb der Gemeinschaft ei-nen sozialen Dialog zu ent-wickeln. In diesem Zusammen-hang ist die Gründung des Ce-defop im Jahr 1975 als Ergeb-nis einer langen Reihe von Be-strebungen und Forderungender europäischen Gewerk-schaften zu sehen, die zum ei-nen in der EG stärker reprä-sentiert sein wollten und zumanderen die Entwicklung einerReihe von Initiativen zur Ge-staltung einer gemeinsamen eu-ropäischen Sozialpolitik im Be-schäftigungs- und Berufsbil-dungsbereich zum Ziel hatten.

(1) Die Autorin dankt Lorenzo Me-chi und Francesco Petrini von derUniversität Padua für die Dokumente,die am IISH in Amsterdam gefun-den wurden

(2) Zu einer Analyse der historio-grafischen Diskussion über die eu-ropäische Sozialpolitik siehe Geyer,2000; Hantrais, 2000; Kleinman, 2001;Kowalsky, 2000; Ivor and Sprin-ger, 2001; Vandamme (Hrsg.), 1984.

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Schutz der Arbeitskräfte bis zum Rentensy-stem, während für die Regierungen Sozial-politik ein Mittel zur Durchsetzung einesspeziellen nationalen Interesses darstellte.Die italienische Regierung beispielsweise,in der die soziale Diplomatie schon eine lan-ge Tradition hatte, sah die Entwicklung ei-ner europäischen Beschäftigungspolitik alsnotwendiges Instrument zur Lösung des vorallem in Süditalien besonders gravierendenArbeitslosenproblems an.

Die wenigen Artikel des Vertrags, in denendie Freizügigkeit der Arbeitnehmer inner-halb der Gemeinschaft, die Einrichtung ei-nes Europäischen Sozialfonds und gezielteMaßnahmen zur Sicherung der Entgelt-gleichheit von Männern und Frauen festge-legt wurden, waren ein Zugeständnis dereuropäischen Regierungen an die italieni-schen Gewerkschaftsvertreter, die bei denVerhandlungen von Val Duchesse starkenDruck ausgeübt hatten. Die europäischenStaaten hatten allerdings die Kontrolle be-halten und wollten die sozialen Auswir-kungen des wirtschaftlichen Integrations-prozesses lieber auf nationaler Ebene durchbilaterale Abkommen verwalten als eine eu-ropäische Beschäftigungspolitik entwickeln.Zudem sah der Vertrag keinerlei politischeHandlungsmöglichkeiten vor: Artikel 118legte lediglich fest, dass die Kommission dieAufgabe hat, „eine enge Zusammenarbeit“zwischen den Mitgliedstaaten zu fördern“und zu diesem Zweck in den Bereichen derBeschäftigung, des Arbeitsrechts, der Ar-beitsbedingungen, der beruflichen Ausbil-dung und Fortbildung und der sozialen Si-cherheit durch Untersuchungen, Stellun-gnahmen und die Vorbereitung von Bera-tungen tätig wird (Dølvik, 1999, S. 99). Dievolle Kontrolle über die Sozialpolitik ver-bleibt bei den Regierungen, das europäischeGremium erhält ein Initiativrecht.

Im Laufe der 1960er Jahre gerieten die so-zialen Fragen zwar nicht ganz in Verges-senheit - was auch dem Wirken der Kom-mission und des Wirtschafts- und Sozial-ausschusses (WSA) zu verdanken ist, die be-sonders aktiv für eine gemeinschaftliche So-zialpolitik eintraten - doch die soziale Kom-ponente des Integrationsprozesses fiel denübermächtigen deutsch-französischen In-teressen an Regelungen der gemeinsamenAgrarpolitik und des freien Handels mitIndustriegütern nach dem Grundsatz der„Synchronisierung“ zum Opfer, die de factoauf ein ständiges „Eine Hand wäscht die an-

dere“ hinauslief. So wurden die Regelungenzur Freizügigkeit der Arbeitnehmer erst 1968dank des italienischen KommissionsmitgliedsLionello Levi Sandri, dem Verfasser der Ver-ordnung Nr. 1612/68 über die Freizügigkeitder Arbeitnehmer, umgesetzt, und der seit1960 aktive Europäische Sozialfonds hattein den ersten zehn Jahren seines Bestehensnur geringe Mittel in Höhe von 420 Mio.ECU zur Verfügung, die größtenteils für Ita-lien bestimmt waren. Bei den europäischenGewerkschaften stieß die Arbeit des Sozial-fonds auf heftige Kritik, wie ein im Oktober1969 - kurz vor seiner ersten Reform - ver-fasstes Memorandum zeigt, in dem vor al-lem seine begrenzten Interventionen bemän-gelt wurden: „L'automatisme de ses inter-ventions, la rigidité de sa structure, la com-plexité de son mécanisme, les retards pro-voqués par les critères de remboursement àpostériori ont, entre autres, conduit à l'é-miettement des interventions du Fonds, sansqu'il soit possible de coordonner celles-ci dansune perspective communautaire.“ [Der Au-tomatismus seiner Maßnahmen, seine star-re Struktur, seine komplexen Mechanismen,die Verzögerungen durch die Kriterien fürVorab-Auszahlungen haben, neben anderenFaktoren, zu einer Aufsplitterung der Maß-nahmen des Fonds geführt und eine Koor-dinierung in einer europäischen Perspekti-ve unmöglich gemacht] (IISH, 1969).

Dass die Architekten der Europäischen Ge-meinschaft für die soziale Komponente deseuropäischen Aufbauwerks kein besonde-res Interesse gezeigt haben, belegt sowohlder Ausschluss der Gewerkschaften von denVerhandlungen zur Unterzeichnung des Rom-Vertrags trotz anhaltender und entschiede-ner Forderungen nach einer Beteiligung (IISHet al., 1955; Barnouin, 1986; Ciampani, 1995b;Dølvik, 1999; Pasture, 2001) als auch dietatsächliche Rolle des Gremiums, dem dieAufgabe übertragen worden war, als Sprach-rohr der Sozialpartner in Brüssel zu wirken:der Wirtschafts- und Sozialausschuss (WSA),ein beratendes Organ, das erst 1972 das Initia-tivrecht erhalten sollte (Varsori, 2000). Dieeuropäischen Gewerkschaften selbst konn-ten sich mit der eingeschränkten Rolle nichtzufrieden geben, die den gesellschaftlichenKräften in den Römischen Verträgen zuge-dacht war, nämlich der Beschränkung aufeine beratende Funktion, aus der heraus ei-ne maßgebliche Beteiligung am europäi-schen Aufbauwerk schwerlich möglich war.

Die wiederholten Forderungen der Ge-

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(3) Das Europäische Gewerk-schaftssekretariat war 1958 vom IBFGgegründet worden. Auslöser war derBedarf der antikommunistisch ori-entierten europäischen Gewerk-schaften nach einer Koordinierungihrer Initiativen gegenüber den Ge-meinschaftsinstitutionen und derWille, gewerkschaftlichen Initiativenwieder mehr Gewicht zu verschaf-fen. Später wurde es umbenannt inEuropäischer Bund Freier Gewerk-schaften (EBFG), dem auch die skan-dinavischen und englischen Ge-werkschaften angehörten, und 1974,nach dem Beitritt der christlichenGewerkschaft und der italienischenCGIL erhielt dieser die BezeichnungEuropäischer Gewerkschaftsbund(EGB).

(4) Das Treffen zwischen SiccoMansholt und den Gewerkschafts-vertretern wird erwähnt in Guasco-ni, 1998/1999, S. 249.

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werkschaftsverbände nach einer Vertretungin der Kommission oder dem Verwaltungs-rat der Europäischen Investitionsbank fan-den kein Gehör, und im Jahr 1964 bekräf-tigte der Vizepräsident der Kommission Sic-co Mansholt bei einem Treffen mit dem Exe-kutivausschuss des Europäischen Gewerk-schaftssekretariats (3) seine entschiedene Ab-lehnung einer Institutionalisierung der Zu-sammenarbeit mit der Gewerkschaftsbewe-gung, da er informelle Kontakte vorzog, dieer für fruchtbarer hielt (4).

Bis 1967 entwickelte sich der soziale Dialogin der Gemeinschaft ausschließlich im Rah-men der beratenden Ausschüsse, die die Auf-gabe hatten, die Kommission bei der Be-handlung der verschiedenen arbeitsmarkt-politischen Themen zu unterstützen. Dazugehörten auch der 1963 eingesetzte Aus-schuss für Berufsbildung und einige pa-ritätische Ausschüsse, die sich aus Gewerk-schafts- und Arbeitgebervertretern zusam-mensetzten (Degimbe, 1999, S. 114).

Diese Ablehnung hatte verschiedene Grün-de: Zum einen wollte die Kommission dieKontrolle über die gerade erst beginnendeEntwicklung der Sozialpolitik behalten, zumanderen war da die Frage, wie repräsenta-tiv das Gewerkschaftssekretariat wirklichwar. Die Brüche in der Gewerkschaftsbe-wegung, ein Spiegelbild der durch den kal-ten Krieg erzeugten internationalen Spal-tungen und Spannungen (man denke nuran die Spaltung der CGT in Frankreich undder CGIL in Italien), aber auch die grund-verschiedenen Ansätze und Strategien derverschiedenen Verbände hatten die Rolleund das öffentliche Bild der Sozialpartner inEuropa geschwächt. Diese verfolgten zudemsehr unterschiedliche Programme und Poli-tiken, wie beispielsweise in den sechzigerJahren die ängstliche Zurückhaltung der nor-deuropäischen Gewerkschaften gegenüberFragen der sozialen Harmonisierung zeigt,bei der sie eine Verschlechterung der Ar-beitsbedingungen auf italienisches Niveaubefürchteten.

Zudem waren weder die christlichen Ge-werkschaften noch die kommunistischen Or-ganisationen oder die Confederazione Ge-nerale Italiana del Lavoro (CGIL) und dieConfédération Général du Travail (CGT)Mitglieder des Internationalen Bunds FreierGewerkschaften (IBFG), der 1949 anlässlichder Abspaltung der antikommunistischenGewerkschaftsbewegungen vom Weltge-

werkschaftsbund (WGB) gegründet wordenwar (5). Besonders die kommunistischen Or-ganisationen hatten eine sehr kritische Hal-tung zum europäischen Aufbauprozess ent-wickelt, in dem sie aus einer durch den Kal-ten Krieg geprägten Perspektive das Werk-zeug des amerikanischen Imperialismus sa-hen. Sie sollten ihre Position erst im Laufeder 1960er Jahre allmählich ändern und 1966einen ständigen Ausschuss in Brüssel ein-richten (6). Dazu kam, dass Europas mäch-tigste Gewerkschaftsorganisation, der briti-sche TUC, im Einklang mit der Position derLondoner Regierung dem europäischen Auf-bauprozess seit der Gründung der EGKS sehrskeptisch gegenüber stand (Delaney, 2002).

Zu diesen vielen unterschiedlichen Posi-tionen auf Gewerkschaftsseite kam das re-lativ geringe Interesse der Unternehmer aneiner engeren Zusammenarbeit mit den Ge-werkschaften - ein Beleg dafür ist die Tat-sache, dass die UNICE bis 1967 förmlicheTreffen mit Arbeitnehmervertretern verwei-gerte und direktere und informellere Kanälevorzog, über die sie Lobbyarbeit leisten konn-te (Segreto, 2000).

Vor den 1960er Jahren veranlassten die be-grenzten Erfolge auf europäischer Ebeneund die Schwierigkeiten bei der Definitioneiner gemeinsamen Position gegenüber derGemeinschaftspolitik die europäischen Ge-werkschaften dazu, für die Durchsetzung ih-rer Forderungen und die Sicherung ihrerStellung eher traditionelle, also nationaleKanäle zu nutzen. Die europäischen Ge-werkschaften wollten zwar in Brüssel ver-treten sein, hatten hier jedoch eher eine sym-bolische und repräsentative Funktion als ei-ne aktive Rolle. Sie gaben nationalen Initia-tiven den Vorrang und betrachteten die Har-monisierung der Lebens- und Arbeitsbedin-gungen als Hindernis für den gesellschaftli-chen Fortschritt (Pasture, 2001, S. 97). Trotzalledem sind die Ergebnisse dieser An-fangsjahre der europäischen Gewerk-schaftsarbeit nicht negativ zu sehen, dennsie ermöglichten es den Gewerkschafternzum einen, sich in einem ersten Prozess derHerausbildung „europäischer“ Gewerkschaftenmit den Erfahrungen aus anderen Ländernauseinanderzusetzen und boten zum an-deren Gelegenheit zu Kontakten mit ein-flussreichen politischen Persönlichkeiten wiez. B. Jean Monnet, der die Beteiligung vie-ler Arbeitnehmervertreter in seinem Akti-onskomitee wünschte.

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(5) Zu einer Analyse der historio-grafischen Diskussion über die Spal-tung des internationalen VerbandsWFTU (WGB) siehe Antonioli et al.,1999; Carew, 1987; Carew et al.(Hrsg.), 2000; Macshane, 1992.

(6) Zur Haltung der CGIL zum eu-ropäischen Aufbauwerk siehe Galan-te, 1988; Maggiorani, 1998.

(7) Zum Haager Gipfel siehe Bitsch,2001; Guasconi, 2003.

(8) Zum Werner-Plan siehe Giraultand Poidevin, 2002; Frank, 1995;Bossuat, 1995; Ludlow, 1982; Ver-dun, 2001; Werner, 1991; Wilkens,1999.

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Die Neubelebung der SozialpolitikEnde der 1960er Jahre

Der Haager Gipfel im Jahr 1969 und insbe-sondere der im Jahr 1970 ausgearbeitete Wer-ner-Plan zur Verwirklichung der Wirtschafts-und Währungsunion markierten einen Wen-depunkt für die Interessen der Sozialpartnerund den Fortschritt der Sozialpolitik in Eu-ropa (7).

Im Verlauf der Konferenz, die den Übergangvom Europa „der Sechs“ zum Europa „derNeun“ durch den Beitritt Großbritanniens,Irlands und Dänemarks einläutete und aufder erste Bemühungen in Richtung auf eineWirtschafts- und Währungsunion unter-nommen wurden, betonte der deutsche Bun-deskanzler Willy Brandt, wenn auch in we-nigen Worten, die Notwendigkeit, die ver-schiedenen gesellschaftlichen Gruppen stär-ker in den europäische Aufbauprozess ein-zubeziehen. Der Werner-Plan machte aus-führlicher deutlich, dass der Dialog mit denSozialpartnern eine Voraussetzung für dieerfolgreiche Verwirklichung der Währungs-union darstellte (8).

1971 fand die erste Reform des EuropäischenSozialfonds statt, und im folgenden Jahr er-klärten die Staats- und Regierungschefsauf dem Gipfeltreffen in Paris feierlich, einenergisches Vorgehen im sozialen Bereichhabe für sie ebenso große Bedeutung wiedie Verwirklichung der Wirtschafts- undWährungsunion („une action vigoreuse dansle domain social revet pour eux la même im-portance que la réalisation de l'Union éco-nomique et monetaire“ (Archives Nationa-les, 1972)) und beauftragten die Kommis-sion, ein soziales Aktionsprogramm zu kon-zipieren, das 1974 anlief und auf drei Haupt-ziele ausgerichtet war: Vollbeschäftigung,Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbe-dingungen und eine stärkere Beteiligung derArbeitnehmer an den wirtschaftlichen undsozialen Entscheidungen der Gemeinschaft.

Was waren die Gründe für das neu erwachteInteresse der europäischen Institutionen undRegierungen an der Förderung des sozialenDialogs und an der Entwicklung einer eu-ropäischen Sozialpolitik?

(a) Durch die Protestbewegungen, die imMai 1968 durch verschiedene europäischeLänder gegangen waren, war deutlich ge-worden, dass neue Forderungen und sozialeAkteure verstärkt an Boden gewannen.

(b) Die Wirtschaftskrise, die insbesonderedurch den Öl-Schock nach dem Yom-Kippur-Krieg von 1973 alle europäischen Staaten inimmer stärkerem Maße erfasste und damitdie Ära des starken Wirtschaftswachstumsder Nachkriegszeit und der 1960er Jahrenbeendete. Dadurch kam dem Problem derArbeitslosigkeit höchste Aktualität zu. Dieeuropäischen Regierungen mussten den Dia-log mit den Sozialpartnern erneuern, d. h.vor allem mit den Gewerkschaften, derenPosition deutlich gestärkt erschien (man den-ke nur an den „heißen Herbst“ des Jahres1969 in Italien).

(c) Die bevorstehende Erweiterung der Ge-meinschaft um die damaligen Beitrittskan-didaten brachte das Problem mit sich, dasszutiefst unterschiedliche Traditionen und so-zialpolitische Strategien harmonisiert wer-den mussten, und das in Ländern wie Groß-britannien, die einen dramatischen Nieder-gang ihrer Industrie erlebten. Gleichzeitigwurde die Notwendigkeit deutlich, nebender eigentlich wirtschaftlichen Dimensiondes Integrationsprozesses einen europäi-schen Sozialraum zu schaffen.

(d) Wichtig war auch die Rolle europäischerPartner wie Italien bei der Förderung einereuropäischen Sozialpolitik, die nicht mehrallein auf der Freizügigkeit der Arbeitneh-mer als Instrument zur Lösung der Proble-me wirtschaftsschwacher Gebiete (wie z. B.Süditalien) basieren sollte.

(e) Und schließlich die Stärkung der Ge-werkschaften auf internationaler Ebene durchdie Gründung des Europäischen Gewerk-schaftsbunds (EGB) im Jahr 1973, an demsich die skandinavischen Organisationen,der britische Gewerkschaftsverband, diechristlichen Gewerkschaften und - nach lan-gen inneren Kämpfen und dank der Un-terstützung von CISL und UIL - auch CGILbeteiligten. Die Gründung des EGB stellteeinen echten Wendepunkt für die Vertretungder Gewerkschaften gegenüber den Ge-meinschaftsinstitutionen dar. Die Spaltun-gen konnten überwunden werden, die dieGeschichte der Gewerkschaftsbewegungnach dem Zweiten Weltkrieg geprägt hat-ten, und der EGB übernahm die Rolle dessozialen Ansprechpartners der europäischenInstitutionen. Auch wenn der EGB in denersten Jahren seines Bestehens lediglich alsVerbindungsorgan und Lobby-Instrumentder Gewerkschaften in Brüssel fungierte,vereinigte er doch im Jahr 1974 17 Ge-

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werkschaften und vertrat etwa 36 MillionenArbeitnehmer. Somit war offensichtlich, dass„given the historical legacy of splits and ri-valry within the labour movement, the esta-blishment of a regional trade union asso-ciation including unions form all westernEuropean countries, most ideological direc-tions and different global internationals, wasa significant achievement“ [angesichts derSpaltungen und der Rivalität, die die Ge-schichte der Arbeiterbewegung geprägt hat-ten, die Gründung eines regionalen Ge-werkschaftsverbands, dem Gewerkschaftenaus allen westeuropäischen Ländern, denmeisten ideologischen Richtungen und ver-schiedenen internationalen Verbänden an-gehörten, ein bedeutender Erfolg war] (Døl-vik, 1999, S. 74).

Die erste Dreierkonferenz zurBeschäftigung 1970 und das Problemder Berufsbildung

Die dramatischen Aussichten angesichts derWirtschaftskrise und der Lage des europäi-schen Arbeitsmarkts führten dazu, dass dieeuropäischen Institutionen ihr Augenmerkerneut auf soziale Fragen und beschäfti-gungspolitische Themen richteten.

Im April 1970 fand in Luxemburg die ersteDreierkonferenz zur Beschäftigung statt, ander Vertreter von Gewerkschaften und Ar-beitgebern, der Kommission und der Ar-beitsministerien der damaligen sechs Mit-gliedstaaten teilnahmen. In dem Memoran-dum, dass die europäischen Gewerkschaf-ten dem Ministerrat am 25. März 1970 vor-legten, unterstrichen die Organisationen dieNotwendigkeit, eine europäische Beschäfti-gungspolitik zu entwickeln, die folgendesZiel haben sollte: „promouvoir la créationd'emplois dans les régions où existent desexcédents de main d'oeuvre et encouragerles déplacements de main-d'oeuvre de ces ré-gions vers les secteurs les plus productifs eten expansion afin de faciliter ainsi l'adju-stement entre l'offre et la demande d'emplois“[„Förderung der Beschäftigung in Regionenmit Arbeitskräfteüberschuss und der Verla-gerung der Arbeitskräfte aus diesen Regio-nen in produktivere und expandierende Sek-toren, um so den Ausgleich von Angebotund Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt zu för-dern“] und „l'amélioration de la formati-on et de l'orientation de la formation pro-fessionelle des jeunes“ [„Verbesserung der

Berufsberatung und Ausbildung von Ju-gendlichen“] (European Council of Mini-sters, 30567-b). In dem Bericht wurde in Ver-bindung mit der Reform des Sozialfonds aus-drücklich die Einsetzung eines ständigenAusschusses für Beschäftigung (9) gefordert,der aus Vertretern der Regierungen, der Kom-mission und der Sozialpartner bestehen soll-te. Dieser Ausschuss sollte das Initiativrechterhalten und die Aufgabe haben, den Ar-beitsmarkt durch das Angebot angemesse-ner Berufsbildungsdienste effizienter zu or-ganisieren, und eine bessere Nutzung derbestehenden Verwaltungsinstrumente wie z.B. des Sozialfonds und der Europäischen In-vestitionsbank zu fördern, wozu auch bes-sere Koordinierung der Ausschüsse im Be-reich der Berufsbildung und der Freizügig-keit der Arbeitnehmer beitragen sollte (Eu-ropean Council of Ministers, 30567-a).

Im Mittelpunkt der Diskussion stand auf derKonferenz die Notwendigkeit, die Vorge-hensweise und die Politik der Gemeinschaftin Bezug auf Beschäftigungsprobleme zu än-dern. Eine Politik, die sich nur auf die Frei-zügigkeit der Arbeitnehmer stützte, hatte kei-ne befriedigenden Ergebnisse gebracht undzu regionalen Ungleichgewichten geführt,wie der Fall Süditaliens zeigte (10). Auch dasProblem der Berufsbildung wurde ange-sprochen. Diese wurde als „permanenterProzess“ (European Council of Ministers,30566) und notwendiges Werkzeug bezeichnet,um das Wirtschaftswachstum und die Ver-besserung der Aussichten der Arbeitnehmerzu gewährleisten. Die französische Ge-werkschaft Force Ouvrière legte einen Planvor, der als Diskussionsgrundlage ange-nommen wurde (IISH, 1970), und der Mi-nisterrat unterstrich in einer Mitteilung nachder Konferenz die wachsende Bedeutungder Berufsbildung als nützliches Instrumentzur Entwicklung einer wirkungsvollen Be-schäftigungspolitik und Schlüssel zur Lösungzahlreicher wirtschaftlicher und sozialer Pro-bleme (European Council of Ministers, 30541).

Während der Rat die Kommission beauf-tragte, die Berufsbildungsfrage zu prüfen,wurde im Dezember 1970 der ständige Aus-schuss für Beschäftigung eingerichtet, derzu einem der ersten Zentren des europäi-schen sozialen Dialogs wurde, nämlich zudem Gremium, über das die Sozialpartnerversuchten, auf den gemeinschaftlichen Ent-scheidungsprozess Einfluss zu nehmen. Vonder ersten Sitzung an, die am 18. März 1971in Brüssel stattfand, betonte der deutsche

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(9) Die Gewerkschaften hatten dieEinsetzung eines ständigen Aus-schusses für Beschäftigung erstmalsin ihrem Memorandum zur Reformdes Europäischen Sozialfonds ge-fordert (IISH, 1969).

(10) Zu der Diskussion auf der Kon-ferenz zur Beschäftigung siehe Guas-coni, 2003.

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Gewerkschaftsbund DGB, dass es wichtigsei, die Berufsbildung zu einem vorrangigenThema des Ausschusses zu machen undschlug vor, ein europäisches Institut zur Ko-ordinierung und Forschung und zur Durch-führung fachlich und pädagogisch ausge-richteter Studien in den Bereichen Berufs-bildung und Beschäftigung einzurichten(IISH, 1971a). Der Europäische Bund Frei-er Gewerkschaften (EBFG), Vorgängerdes EGB, übernahm später diesen Vorschlagund legte ihn auf der zweiten Tagung desAusschusses am 27. Mai in Brüssel offiziellvor. Im Protokoll des Gewerkschaftsverbandsüber die Tagung ist zu lesen: „Notre déle-gation a souligné la nécessité de dépasserle stade du choix de doctrines et de princi-pes pour passer à la réalisation d'actions con-crètes. La création d'un Institut européenpour l'étude scientifique de la formation pro-fessionnelle dont l'objectif serait l'intensifi-cation de l'information réciproque sur lesexpériences faites et les méthodes et pro-grammes utilisés, a été demandée.“ [Unse-re Delegation hat betont, dass es notwen-dig ist, vom Stadium der Entscheidung fürDoktrinen und Grundsätze zur Umsetzungkonkreter Maßnahmen überzugehen. Es wur-de die Einrichtung eines europäischen In-stituts zur wissenschaftlichen Erforschungder Berufsbildung gefordert, dessen Ziel dieIntensivierung des Austauschs über Erfah-rungen, Methoden und Programme sein soll-te.] (IISH, 1971b).

Die Forderungen der Gewerkschaften wur-den zunächst nicht aufgegriffen, was auchauf ein widersprüchliches Desinteresse dergewerkschaftlichen Organisationen am Aus-schuss zurückzuführen war, das sich darinzeigte, dass an den ersten beiden Sitzungkein Vorstandsmitglied, Generalsekretär oderVorsitzender des EBFG teilnahm. Diese Hal-tung warf ein sehr schlechtes Licht auf dieFähigkeit der europäischen Gewerkschaf-ten, sich angemessen an der Förderung dergemeinschaftlichen Sozialpolitik zu beteili-gen. Sie erweckte den Eindruck, die Ge-werkschaftsorganisationen zögen trotz ihrerproeuropäischen Einstellung nationale Initia-tiven der Arbeit auf Gemeinschaftsebene vor,was sich natürlich entsprechend auf dieGlaubwürdigkeit der Gewerkschaftsbewe-gung in den Augen des Ministerrats und derRegierungen auswirkte. Dieses Verhaltenerklärte auch die Weigerung des Minister-rats, die Entscheidungen des Ausschussesals verbindlich anzuerkennen (Degimbe,1999), sowie die Tatsache, dass die eu-

ropäischen Gewerkschaften den Dreier-konferenzen, an denen auch die Wirtschafts-und Finanzminister teilnahmen, größere Be-deutung beimaßen (Barnouin, 1986, S. 89).

Die europäischen Gewerkschaften unddie Gründung des Cedefop

Der Pariser Gipfel im Oktober 1972 stellteeinen weiteren Wendepunkt in der Ent-wicklung der europäischen Sozialpolitik dar.Die Staats- und Regierungschefs betontendie Notwendigkeit, energische Anstren-gungen im sozialen Bereich zu fördern undforderten die Kommission auf, mithilfeder anderen Gemeinschaftsinstitutionen undder Sozialpartner ein soziales Aktionspro-gramm aufzustellen, das unter anderem fol-gende Ziele haben sollte: Verwirklichungeiner gemeinsamen Politik auf dem Gebietder beruflichen Bildung, um schrittweisederen wesentliche Ziele zu erreichen, undzwar insbesondere die Angleichung der Aus-bildungsebenen, namentlich durch die Schaf-fung eines europäischen Zentrums für be-rufliche Bildung („mettre en œuvre une po-litique commun de formation professionnelleen vue d'atteindre progressivement ses ob-jectifs et en particulier le rapprochement desniveaux de formation professionelle, encréant notamment un centre européen deformation professionelle“) (IISH, 1974a). DieSchaffung eines solchen Zentrums wurdeals außerordentlich wichtig („de la plus gran-de importance“) angesehen. Dieses Pro-gramm zeigte eindeutig, dass die Sozialpo-litik nicht länger als Anhängsel des wirt-schaftlichen Integrationsprozesses gesehenwurde, sondern sich zu einem eigenstän-digen Ziel entwickelte, das aber auch dieGefahr von Missverständnissen barg, daes äußerst schwierig war, diesen Bereicheindeutig vom wirtschaftlichen zu trennen.

Mit dieser Aufforderung reagierten die Staats-und Regierungschef auf eine ausdrücklicheForderung der europäischen Gewerkschaf-ten, die im Juni 1972 anlässlich des Gipfel-treffens ein Memorandum verfasst hatten, indem sie ausdrücklich forderten, dass “lesgouvernments et les institutions de la Com-muanuté appuyent concrètement la créati-on d'un institut européen de travail destinéà former et à préparer les militants syndi-caux à leur tâche de représentants des tra-vailleurs face à la dimension européenne“[die Regierungen und die Gemeinschaftsin-stitutionen sollten konkret die Einrichtungeines europäischen Instituts für Arbeit in An-

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griff nehmen, das die Gewerkschaftsver-treter auf ihre Aufgabe als Vertreter der Ar-beitnehmer im Hinblick auf die europäischeDimension vorbereitet] und in Bezug auf dieBerufsbildung erklärten: „la formation per-manente constitue, en même temps qu'uneidée généreuse, une exigence fondamenta-le de notre temps“ [Die Fort- und Weiterbil-dung ist nicht nur eine große Idee, sonderneine grundlegende Notwendigkeit unsererZeit] (IISH, 1972).

Trotz dieser neuen Initiative zeigten sichder Rat und die Kommission gegenüber vie-len Aspekten dieses Programms sehr vor-sichtig, wie z. B. in der Frage der Gründungeines europäischen Berufsbildungszentrums.Die kommunistischen Gewerkschaften kri-tisierten diese Haltung scharf, wie ein Briefdes Ausschusses der CGIL-CGT an den EGB-Vorsitzenden Victor Feather in Brüssel vomJuni 1973 zeigt. „Du côté gouvernementaldes réserves ont été exprimées sur les pointsles plus significatifs de projet de program-me d'action soumis au débat, portant surles mesures concernant l'emploi, les condi-tions de travail, la formation professionnelle,l'émigration... De là, il suffisait de créer l'in-cident pour éviter le débat, c'est chose faiteavec le refus de la part du Conseil des Mi-nistres de tenir compte de certains avis émispar les organisations syndicales le plus re-présentatives“ [Seitens der Regierung wur-den Vorbehalte hinsichtlich der wichtigstenPunkte des geplanten und zur Erörterungvorgelegten Aktionsprogramms geäußert.Diese Vorbehalte betreffen die Maßnahmenim Bereich Beschäftigung, Arbeitsbedin-gungen, berufliche Bildung und Wanderar-beitnehmer. Insofern genügte es, vollende-te Tatsachen zu schaffen, um eine Debattezu verhindern. Erreicht wurde dies mitder Weigerung des Ministerrats, einige vonden großen Gewerkschaftsorganisationenherausgegebenen Stellungnahmen zu berück-sichtigen] (IISH, 1973b).

Der EGB seinerseits reagierte auf diese Un-beweglichkeit, indem er zahlreiche Vor-schläge vorlegte, u. a. zur Ausrichtung ei-ner Sozialkonferenz im Mai 1973. Sie wur-de zum Schauplatz einer erneuten Kon-frontation mit der Kommission und den Re-gierungen. Ihr Hauptziel war eine echteKonzertierung mit den Sozialpartnern zurgemeinsamen Festlegung der Prioritäten fürdas Programm des Ministerrats (IISH, 1973a).Bei dieser Gelegenheit wurde erneut dieEinrichtung eines europäischen Instituts für

Berufsbildung vorgeschlagen, das die Auf-gaben haben sollte, als Informationskanalzu dienen, die Harmonisierung der eu-ropäischen Berufsbildung und die Durch-führung von Pilotprojekten zu fördern, dieauf den Abbau der Ungleichgewichte zwi-schen Nachfrage und Angebot auf dem Ar-beitsmarkt abzielen sollten.

Mit der Entscheidung zur Gründung des Ce-defop waren die Diskussionen zwischen deneuropäischen Regierungen über einige wich-tige Aspekte der neuen Einrichtung, wie z.B. die Zusammensetzung der Leitungsorga-ne, den Haushalt, ihre Aufgaben und die Be-teiligung der Sozialpartner noch nicht zu En-de. Im Juli 1974 äußerte im Verlauf einer hef-tigen Debatte auf einer Sitzung der Arbeits-gruppe „Sozialfragen“ des Ministerrats diebritische Delegation starke Vorbehalte ge-gen die Gründung des Cedefop, und diedeutsche Delegation äußerte scharfe Kritikan der Zusammensetzung des Verwaltungs-rats und wies darauf hin, dass nach den Vor-schlägen der Kommission die Sozialpartnermit zwei Dritteln aller Stimmen den ande-ren Mitgliedern ihre Entscheidungen auf-zwingen könnten (IISH, 1974a). Obwohl dieKommission ihre Vorschläge zu verteidigenversuchte, übte die deutsche DelegationDruck auf die anderen Partner aus, um ei-ne Änderung der Zusammensetzung des Ver-waltungsrats herbeizuführen und damit denRegierungen die Stimmenmehrheit zu si-chern. Im Ergebnis setzte sich dieser zu-sammen aus 9 Vertretern der Regierungen,3 der Kommission, 6 der Gewerkschaftenund 6 der Arbeitgeber. Auch über das Be-nennungsverfahren für die Vertreter der So-zialpartner gab es Kontroversen: Die Re-gierungen Frankreichs, Irlands und der Nie-derlande sprachen sich gegen eine Nomi-nierung durch die Gewerkschaften aus, dasie nationale Kandidaturen bevorzugten (IISH,1974b). Die Gewerkschaften legten ihrer-seits sehr viel Wert auf die Kontrolle überdie Ernennung des Direktors, von dem ih-rer Ansicht nach die künftige Effizienz desZentrums abhing (IISH, 1974b).

Am 10. Februar 1975 kündigte der Minis-terrat die Errichtung eines EuropäischenZentrums für die Förderung der Berufsbil-dung (Cedefop) mit Sitz in Berlin an. DreiMonate später, am 26. Mai, wurde in Dub-lin die Stiftung zur Verbesserung der Lebens-und Arbeitsbedingungen gegründet.

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Die ersten Jahre waren für das Cedefopnicht leicht. Der größte Teil des Jahres 1976wurde für die Einstellung des Personals unddie Ausarbeitung der Geschäftsordnungbenötigt, und erst am Jahresende, im De-zember, veranstaltete das Cedefop in Zand-voort sein erstes Seminar über die Jugend-arbeitslosigkeit. Die Mitarbeiter bemängel-ten, ihre Anstellungsbedingungen seienschlechter als bei anderen Gemein-schaftseinrichtungen, und der erste Di-rektor, Karl Jörgensen, beschloss zu kün-digen. Trotz dieser anfänglichen Schwie-rigkeiten zeigten sich die Gewerkschaftenbei der Unterstützung der Aktivitäten desZentrums sehr kooperativ. Ein Beispiel dafürwar die Ernennung des neuen DirektorsRoger Faist, des ehemaligen Generalse-kretärs der Union Confédéral des Ingénieurset Cadres (CFDT), der vom EGB vorge-schlagen wurde. Bei der Abstimmung hat-te es keine Gegenstimmen gegeben. Dieswar das Ergebnis einer informellen Ver-einbarung mit dem ArbeitgeberverbandUNICE, dem die Kontrolle über die No-minierung des Direktors der Stiftung in Dub-lin überlassen wurden und dafür den Ge-werkschaften die Möglichkeit ließ, ihrenEinfluss im Hinblick auf die Tätigkeiten desCedefop geltend zu machen (IISH, 1975).

Schlussfolgerungen

Die deutsche Gewerkschaftlerin Maria We-ber vom DGB, Mitglied des Wirtschafts- undSozialausschusses (WSA), aktive Fürspre-cherin des Cedefop und im Jahr 1979 Vor-sitzende seines Verwaltungsrats, unterstrichim Juni 1978 auf einer Tagung der Ge-werkschaftsvertreter des Cedefop und derStiftung Dublin in Düsseldorf das Engage-ment der europäischen Gewerkschaften fürdie Förderung eine sozialen Dialogs in derGemeinschaft, auch im Bereich der Be-rufsbildung: „Ich möchte ganz sachlich fest-stellen, dass es die Arbeitnehmervertretersind, die die Einrichtung dieser drei Orga-ne in einem langen Kampf in den beraten-

den Ausschüssen der Kommission, des Wirt-schafts- und Sozialausschusses und den Ver-handlungen des Europäischen Gewerk-schaftsbundes erreicht haben; drei Orga-ne, die für die europäischen Arbeitnehmervon großer Bedeutung sind. [...] Diese Ein-richtungen waren notwendig, weil sichimmer deutlicher gezeigt hat, dass die Ver-waltung der Europäischen Gemeinschaf-ten nicht in der Lage war, die in den ver-schiedenen sozialen Bereichen anstehendenAufgaben mit der Effizienz und dem ge-wünschten Erfolg zu erfüllen, was sicherlichan ihrer Struktur und Organisation liegt, aberauch daran, dass ihr Personalbestand im Be-reich der sozialen Angelegenheiten immerweiter reduziert worden ist, und dies trotzder Zusammenschlüsse von EURATOM, EGKSund EWG und trotz der Erweiterung derEWG auf neun Mitgliedstaaten“ (IISH, 1975).

Auch wenn das in den 1970er Jahren im so-zialen Bereich Erreichte erst den allererstenAnfang darstellte, sollte man es aus ver-schiedenen Gründen nicht unterbewerten.Vor allem setzte sich die Sozialpolitik als ei-genständiger Gegenstand der europäischenPolitik durch, auch wenn es dabei in denersten Jahren vorwiegend um Beschäfti-gungsthemen ging, und zweitens bildetendiese Ergebnisse die Ausgangsbasis für dasumfassendere Programm Jacques Delors' inden 1980er Jahren, mit dem die Sozialpo-litik zu einem der Hauptzielsetzungen derGemeinschaft wurde. In diesem Kontext wa-ren die Gründung des Cedefop und die The-matisierung der Berufsbildung auf eu-ropäischer Ebene für die Gewerkschaftenein „Flaggschiff“ zur Förderung des Dialogsmit den Gemeinschaftsinstitutionen und zurVerbreitung der Diskussion über Aspektedes europäischen Aufbaus wie z. B. Be-schäftigung, Recht auf Arbeit, soziale Si-cherheit, Arbeitsbedingungen, Freizügigkeitder Arbeitnehmer, die bis dahin den Re-gierungen auf nationaler Ebene vorbehal-ten waren.

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AntonioVarsori

(1) Es wurden folgende Archive aus-gewertet: a) das historische Archiv der Eu-ropäischen Gemeinschaften am Eu-ropäischen Hochschulinstitut in S.Domenico di Fiesole (Florenz);b) das Archiv des Cedefop (Thes-saloniki);c) das Archiv des Internationalen In-stituts für Sozialgeschichte (Amster-dam);d) die Archive der EuropäischenKommission, des Rates und des Wirt-schafts- und Sozialausschusses (Brüs-sel).

(2) Diese Studie wurde auch durchdie Unterstützung einer Reihe vonInstitutionen und Personen möglich.Mein Dank dafür gilt an erster Stel-le dem Cedefop und allen seinen

Einleitung

Im Jahr 2001 begann eine Gruppe von Wis-senschaftlern an der Universität Florenz un-ter Leitung des Autors und mit Unterstützungdes Cedefop in Zusammenarbeit mit dem Hi-storischen Archiv der Europäischen Ge-meinschaften ein Forschungsprojekt zur Be-rufsbildungspolitik im Kontext des europäi-schen Aufbauwerks. In diesem Rahmen wur-de nicht nur in verschiedenen Bibliotheken,unter anderem der des Europäischen Zen-trums für die Förderung der Berufsbildung(Cedefop), sondern auch in verschiedeneneuropäischen Archiven (1) eine eingehendeUntersuchung durchgeführt. Auf der Grund-lage dieser Recherchen und des dabei ge-sammelten Materials wurden einige Themenund Zeitabschnitte herausgegriffen, dievon besonderer Bedeutung sind:

a) die Rolle der Berufsbildung in den erstenPhasen des europäischen Integrationspro-zesses (vom Schuman-Plan bis Anfang der1960er Jahre);

b) die wichtigsten Entwicklungen in den Ge-meinschaftspolitiken auf dem Gebiet der Be-rufsbildung Ende der 1960er und Anfang der1970er Jahre;

c) der Anteil des Wirtschafts- und Sozial-ausschusses (WSA) sowie der Kommissionund des Rats an der Gründung des Eu-ropäischen Zentrums für die Förderung derBerufsbildung („Centre européen pour ledéveloppement de la formation profession-nelle“ - Cedefop);

d) der Einfluss einiger Sozialpartner auf dieEntwicklung der Gemeinschaftspolitiken aufdem Gebiet der Berufsbildung;

e) die Tätigkeiten des Cedefop von seinerGründung bis in die 1990er Jahre.

Diese Themen waren Gegenstand einer Rei-he von Studien. Die vorliegende Arbeit berück-sichtigt die allgemeinen Forschungsergeb-nisse, legt den Schwerpunkt jedoch auf dieGeschichte des Cedefop von den Anfän-gen bis in die 1990er Jahre (2).

Die Berufsbildung in den erstenPhasen des europäischenAufbauwerks bis zur Gründung derEGKS

Als in der zweiten Hälfte der 1940er Jahreder europäische Einigungsprozess seinenAnfang nahm, standen die meisten Natio-nen des alten Kontinents vor großen wirt-schaftlichen und sozialen Problemen, dievom gerade erst beendeten Weltkrieg ver-ursacht oder verschärft worden waren: vonhohen Arbeitslosenzahlen bis zur Woh-nungsnot, von Problemen der Gesund-heitsversorgung bis zu dringend notwen-digen tiefgreifenden Reformen im Bil-dungswesen. Für die Mehrzahl der führen-den Politiker in Europa stand die Lösungdieser Probleme an erster Stelle, und einigeStaaten waren bestrebt, eine konsequenteund wirksame Lösung auf nationaler Ebenezu finden. Man denke nur an die Anstren-gungen der im Sommer 1945 angetretenenbritischen Labour-Regierung zur Errich-tung eines „Wohlfahrtsstaats“, der sich „vonder Wiege bis zur Bahre“ um das Wohl derBürger kümmern sollte (3). Auch wenn derAufbau eines Sozialstaats vor allem in deneinzelstaatlichen Politiken verfolgt wurde,machte sich dieses Erfordernis auch im Zu-sammenhang mit den ersten Schritten dereuropäischen Integration bemerkbar. In den

Die Rolle der beruflichen Bildung in der europäischen Sozialpolitik und das Cedefop

Der Artikel beschreibt größten-teils anhand von Archivquellendie Ursprünge des Cedefop unddie Entwicklung seiner Tätigkeitbis zum Umzug nach Thessalo-niki Mitte der 1990er Jahre.Zunächst werden die Prämisseneiner europäischen Berufsbil-dungspolitik untersucht, die ih-re Ansätze aus dem EGKS-Vertragbezog. Aber auch die ersten ein-schlägigen Schritte im Rahmender EWG im Laufe der 1960er Jah-re werden betrachtet. Der näch-ste Schwerpunkt liegt auf demEntscheidungsprozess, der zurGründung des Cedefop durch dieEuropäische Gemeinschaft führ-te. Es geht also um die ereignis-reiche Geschichte des Zentrums,sowohl was seine Organisati-onsstruktur und seine Ziele, alsauch seine Beziehungen zu denSozialpartnern, den nationalenEinrichtungen und den Ge-meinschaftsorganen anbelangt.Diese Geschichte wird im größe-ren Rahmen der Geschichte dereuropäischen Integration be-trachtet, unter besonderer Berück-sichtigung der Entwicklung po-litischer Strategien der Gemein-schaft im Bereich der Berufsbil-dung.

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Programmen der in der zweiten Hälfte der1940er Jahre entstandenen europäischen Be-wegungen kam in einigen Punkten die Be-deutung dieses Themas zum Ausdruck, undHypothesen zur Lösung sozialer Problemewurden auch in den Plänen angesprochen,die zur Entstehung des Brüsseler Pakts unddes Europarats führen sollten (Hick, 2000).Die soziale Frage wurde jedoch oft als Teileines umfassenderen Prozesses des wirt-schaftlichen Wiederaufbaus betrachtet. Zu-dem glaubte man an die Möglichkeit, aufnationaler Ebene eine angemessene Antwortauf die sozialen Erfordernisse zu finden. DieBerufsbildung stellte hier keine Ausnahmedar und wurde als ein Aspekt einer umfas-senderen Reform des Bildungswesens undder Arbeitsmarktorganisation gesehen. Indieser Situation gab es nur eine nennens-werte Ausnahme: die Position Italiens. DasItalien der Nachkriegszeit musste neben an-deren gravierenden Schwierigkeiten ein al-tes wirtschaftliches und soziales Problembewältigen: einen starken Arbeitskräfte-überschuss, besonders in den rückständigenund armen Gebieten Süditaliens. Eines derwenigen Gegenmittel war in der Vergan-genheit die Abwanderung gewesen - undsie war es immer noch. Vor diesem Hinter-grund richteten die italienischen Behördenihre Aufmerksamkeit auf Europa, da ihrerMeinung nach der Integrationsprozess zu ei-ner Öffnung der westeuropäischen Arbeits-märkte für italienische Arbeitslose führenkonnte und deshalb die Frage der Berufs-bildung nicht zu vernachlässigen war, auchwenn die Initiativen der Regierung oft inef-fektiv waren und das Problem lediglich ineiner nationalen Perspektive gesehen wur-de (Romero, 1991). Ein weiterer nicht zuvernachlässigender Aspekt ist der Einflussdes Marshall-Plans über den wirtschaftlichenBereich hinaus. Der Marshall-Plan hatte näm-lich weit reichende Auswirkungen. Die Be-tonung neuer Formen der Arbeitsbeziehun-gen sowie der Modernisierung rückte zumeinen die Rolle der wirtschaftlichen und so-zialen Kräfte beim Aufbau einer Wohl-standsgesellschaft in den Vordergrund undmachte andererseits deutlich, welche Chan-cen in einer zeitgemäßen Berufsausbildunglagen, die den Arbeitskräften die Anpassungan ein modernes Wirtschaftssystem ameri-kanischer Prägung ermöglichen könnte. Ei-ne wichtige Rolle spielte in diesem Zu-sammenhang das so genannte „Productivi-ty Programme“ (Carew, 1987). Der Be-schreibung von David Ellwood zufolge stan-den im Mittelpunkt der kollektive Konsum

und die Erfüllung in Kriegszeiten gegebe-ner Versprechen von Wohnungen, Bildungund Sicherheit am Arbeitsplatz, im Alter undbei Krankheit. Diese Ziele zu erreichen unddie Volkswirtschaften im Gleichgewicht zuhalten, war das Ziel der „Sozialverträge“ diein jenen Jahren fast in allen Ländern ge-schlossen wurden. Diese Vereinbarungenauf der Grundlage laufender Verhandlungenzwischen Regierungen, Arbeitgebern undGewerkschaften deutlich „korporativistischer“Prägung kennzeichneten den langen Boomin ganz Westeuropa und schienen ein un-abdingbarer Bestandteil beim Aufbau derMischwirtschaften der Nachkriegszeit zu sein(Ellwood, 1992). Auch wenn der Marshall-Plan eine enge Zusammenarbeit in Europafördern sollte, wirkten sich diese Phänomenein den Gesellschaften der westeuropäischenLändern vorwiegend auf nationaler Ebeneaus, und das wichtigste Ergebnis der Initia-tiven im Rahmen des „European RecoveryProgramme“ in der zweiten Hälfte der 1940erJahre, die Europäische Organisation für wirt-schaftliche Zusammenarbeit war am Endenicht mehr als ein Instrument der Regie-rungszusammenarbeit, ohne dass ernsthaftversucht wurde, ein soziales Modell für Eu-ropa zu entwickeln (4).

Der eigentliche Ausgangspunkt des eu-ropäischen Integrationsprozesses war be-kanntlich der 1950 aufgelegte Schuman-Plan,auch weil er den Schwerpunkt auf einenfunktionalen Ansatz legte und das Ziel derSupranationalität verfolgte (5). Dieser solltedann auch zu ersten Schritten in Richtungauf eine europäische Sozialpolitik führen,wobei auch die Berufsbildung eine gewisseRolle spielte. Als die französischen Behör-den die Pläne für eine Montanunion vor-stellten, erkannten Monnet und seine Mitar-beiter, dass ein solches Gebilde nicht nur aufdie Produktion und die Zukunft der Kohle-und Stahlindustrie erhebliche Auswirkungenhaben würde, sondern auch auf das Lebentausender von Arbeitskräften in der Kohle-und Stahlwirtschaft. Für die Realisierung desSchuman-Plans schien es deshalb angezeigt,sich auf einen weit gehenden Konsens zwi-schen den Arbeitnehmern stützen zu kön-nen, auf deren Schicksal die Entscheidungender künftigen Hohen Behörde nicht unwe-sentliche Auswirkungen haben würden. Mon-net und Schuman konnten auch vor der ge-spannten Atmosphäre des Kalten Krieges unddem erbitterten Widerstand nicht die Augenverschließen, den die Kommunisten und diekommunistisch gelenkten Gewerkschaften

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Mitarbeitern, deren Hilfe vielfachsehr wertvoll war, insbesondere demDirektor des Zentrums, Herrn J. vanRens, dem stellvertretenden Direk-tor Dr. S. Stavrou, Herrn N. Woll-schläger, Herrn M. Willem, Dr. S.Petersson und Dr. A. Nilsson. Nen-nen möchte ich außerdem das Hi-storische Archiv der EuropäischenGemeinschaften, insbesondere Dr.J.-M. Palayret, die Mitarbeiterinnenund Mitarbeiter des InternationalenInstituts für Sozialgeschichte in Am-sterdam, die Mitarbeiterinnen undMitarbeiter der Archive der Kom-mission, des Rates und des Wirt-schafts- und Sozialausschusses, be-sonders Mme J. Collonval und M. J.-M. Libert. Die Ergebnisse der Un-tersuchung sind in dem Band „TheDevelopment of VET in the Contextof the Construction of the EC/EUand the Role of Cedefop“ [Die Ent-wicklung der Berufsbildung im Kon-text des Aufbaus der EG/EU und dieRolle des Cedefop] veröffentlicht,der vom Amt für amtliche Veröf-fentlichungen in Luxemburg her-ausgegeben wurde.

(3) Zum bedeutenden Versuch derLabour-Regierung zur Schaffung ei-nes „Sozialstaats“ siehe z. B. P. Ad-dison, 1975; K. O. Morgan, 1984; A.Marwick, 1982. Allgemeinere Dar-stellungen siehe G. A. Ritter, 2003;G. Silei, 2000.

(4) Zum Marshall-Plan und der Eu-ropäischen Organisation für wirt-schaftliche Zusammenarbeit siehez. B. A. S. Milward 1984; R. Giraultund M. Levy-Leboyer (Hrsg.), 1993.

(5) Zum Schuman-Plan siehe be-sonders D. Spierenburg und R. Poi-devin, 1993; R. Poidevin (Hrsg.),1986 e K. Schwabe (Hrsg.), 1988.

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den europäistischen Bestrebungen entge-genbrachten. In Frankreich wie in Italien hat-te die Arbeiterbewegung große Spaltungenerlebt, und die katholischen und sozialisti-schen Gewerkschaften versuchten, die Ar-beiter davon zu überzeugen, dass ihre In-teressen nicht nur von den kommunistischenOrganisationen (6) verteidigt wurden, währendin Westdeutschland die (antikommunistischausgerichtete) Gewerkschaftsbewegung starkvon der SPD beeinflusst war, die sich kritischzum Schuman-Plan geäußert hatte (Ciampa-ni, 1995; 2001). So beschloss Monnet, eini-ge Gewerkschaftsführer in die Pariser Ver-handlungen mit einzubeziehen, und einigeArtikel des 1951 unterzeichneten EGKS-Grün-dungsvertrags sahen soziale Maßnahmen derGemeinschaft vor, auch wenn die diesbe-züglichen Bestimmungen teilweise recht va-ge waren. Als die Hohe Behörde im Som-mer 1952 ihre Tätigkeit aufnahm, war sichMonnet bewusst, dass die EGKS enge undkonstruktive Beziehungen mit den Wirtschafts-und Sozialpartnern einschließlich der nichtkommunistischen Gewerkschaften knüp-fen musste und dass ein breiter Konsens un-ter den Kohle- und Stahlarbeitern zur neu-en Gemeinschaft nur erreicht werden konn-te, wenn diese für neue und effiziente so-zialpolitische Maßnahmen sorgte.

Zunächst einmal wurde in der EGKS die Fra-ge der Vertretung hervorgehoben. Zwei Ge-werkschaftsführer, der Belgier Paul Finet undder Deutsche Heinz Potthoff, wurden Mit-glieder der Hohen Behörde, die sich außer-dem für die Einrichtung eines BeratendenAusschusses aussprach, in dem Vertreter derProduzentenverbände, der Gewerkschaften,der Verbraucherverbände und der so ge-nannten „Händler“ vertreten sein sollten (Me-chi, 2000).

Im sozialpolitischen Bereich arbeitete dieHohe Behörde verschiedene Initiativen aus:a) Projekte zum Bau tausender neuer Woh-nungen für Arbeitnehmer in der Kohle- undStahlbranche, b) Studien zur Förderung ei-ner erhöhten Arbeitssicherheit und bessererArbeitsbedingungen, c) und, last but notleast, Maßnahmen für Arbeitnehmer, die alsFolge der Entscheidungen der Hohen Behör-de ihren Arbeitsplatz verloren hatten. In die-sem Zusammenhang sah die EGKS Finanz-mittel für eine Wiedereinstellung entlasse-ner Arbeitnehmer vor, und die Berufsaus-bildung wurde hierbei als eines der wirk-samsten Instrumente angesehen (Mechi,1994/95; 2003).

Die römischen Verträge und ersteSchritte zu einer gemeinsamen Politikder Berufsausbildung

Während die Initiativen der EGKS in der Re-gel als wichtiger Schritt in der Entwicklungeiner europäischen Sozialpolitik angesehenwerden, in der die Berufsbildung eine wich-tige Rolle spielte, erfolgten die Gründung derEWG und ihre ersten Maßnahmen unter ganzanderen Vorzeichen. Die führenden Politi-ker, Diplomaten und Fachleute, die beiden Verhandlungen, die zur Unterzeichnungder römischen Verträge führen sollten, einemaßgebliche Rolle spielten, wiesen die Vor-schläge Monnets und den Druck der ge-werkschaftlichen Kräfte zur Einbeziehungder Wirtschafts- und Sozialpartner in die Aus-arbeitung der Vertragstexte zurück (Varsori,1995; 1999). Sie zeigten eine sehr vorsichti-ge Haltung gegenüber dem supranationalenAnsatz und der Durchführung europäischerPolitiken (einzige Ausnahme war hier dieSchaffung einer wirksamen Zollunion für In-dustrie- und Agrarprodukte). Wieder war Ita-lien ein Sonderfall: Wegen der Rückständig-keit des Landes, seiner wirtschaftlichenSchwäche und der anhaltenden ProblemeSüditaliens bemühten sich die italienischenDelegierten um die Aufnahme einiger Klau-seln in den EWG-Gründungsvertrag, die ei-ne Form der europäischen Sozialpolitik vor-sahen. Letztendlich wurde eine Einigung übereinige Grundsätze erzielt: Als Möglichkeit zurLösung des Problems der regionalen Un-gleichgewichte wurde die Einrichtung eineseuropäischen Sozialfonds sowie einer eu-ropäischen Investitionsbank vorgesehen. Zu-dem erkannten die Partner Italiens den Grund-satz der Freizügigkeit der Arbeitnehmer an.Und schließlich befassten sich die „Sechs“ inder Abschlussphase der Verhandlungen aufDruck einiger Gewerkschaften auch mit derFrage einer Vertretung der wirtschaftlichenund sozialen Kräfte. Gegen den entschiede-nen Widerstand der westdeutschen Delega-tion sahen die römischen Verträge die Ein-richtung eines Wirtschafts- und Sozialaus-schusses vor, der der Kommission und demRat unterstellt wurde und sich aus Vertreternvon drei Gruppen zusammensetzen sollte:Arbeitgeberverbände, Gewerkschaften undder Gruppe „Verschiedene Interessen“. DerWSA sollte jedoch ein beratendes Organ seinund kein eigenes Initiativrecht besitzen (Var-sori, 1995; 1999; 2000).

Allgemein herrscht die Auffassung, die EWGhabe vom Beginn ihrer Tätigkeit im Jahr 1958

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(6) Zur Geschichte der wichtigsteneuropäischen Gewerkschaften imAllgemeinen siehe A. Maiello, 2002.

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bis Anfang der 1970er Jahre keine wirklicheSozialpolitik betrieben. Das trifft nur teilweisezu. Die meisten führenden Politiker der „Sechs“waren der Auffassung, soziale Probleme müs-sten auf nationaler Ebene angegangen wer-den, und die Mitgliedsländer der Gemein-schaft schafften oder stärkten in diesenJahren die nationalen Wohlfahrtssysteme (Lepolitiche sociali in Europa [Sozialpolitik inEuropa], Bologna, 1999). Zudem erlebte West-europa ein starkes und anhaltendes Wirt-schaftswachstum mit einer Situation annähern-der Vollbeschäftigung, die zu einem Abbauder sozialen Spannungen führte (siehe z. B.D. H. Aldcroft, 1997). Dennoch wurden so-ziale Probleme keineswegs vernachlässigt(siehe zur allgemeinen Lage J. Degimbe,1999). Der WSA kämpfte unermüdlich umseine Anerkennung als unabhängiges Organ,das auf die Entscheidungen der Kommissi-on und des Rates Einfluss nehmen konnte.Innerhalb des Wirtschafts- und Sozialaus-schusses waren besonders die Gewerk-schaftsvertreter aktiv, und es wurden vieleForderungen nach der Entwicklung einer wir-kungsvollen Sozialpolitik der Gemeinschaftlaut. Schon bald lenkte der WSA sein Inter-esse auf den Zusammenhang zwischen Be-schäftigung und Bildung und konzentriertesich auf die Frage der Berufsausbildung, dieals nützliches Instrument zur Verbesserungder Situation der Arbeitnehmer, zur Moder-nisierung des Wirtschaftssystems und zurkonsequenteren und besseren Abstimmungzwischen Arbeitsmarkt und den Bildungssys-temen angesehen wurde. Außerdem be-kräftigten die italienischen Behörden erneutihr Interesse an der Ausarbeitung einer eu-ropäischen Sozialpolitik, die zur Entwicklungihres Landes sowie zur Lösung der Proble-me Süditaliens und der Wanderarbeitnehmerbeitragen sollte (siehe Petrini, 2004). 1960richtete die EWG den Europäischen Sozial-fonds (ESF) ein, der jedoch in einem Zeit-raum von zehn Jahren nur 420 Mio. Rech-nungseinheiten zur Verfügung hatte. Den-noch sollte man nicht vergessen, dass einTeil dieser Mittel für Berufsbildungsinitiati-ven zur Unterstützung von Arbeitslosen ver-wendet wurde, auch wenn dies auf natio-naler Ebene umgesetzt wurde und sich keingemeinschaftlicher Ansatz in der Frage derBerufsbildung abzeichnete. Eigentlich warin Artikel 128 des EWG-Vertrags festgelegt,dass der Rat in Bezug auf die Berufsausbil-dung allgemeine Grundsätze zur Durch-führung einer gemeinsamen Politik aufstellt,die zur wirtschaftlichen Entwicklung der Ge-meinschaft beitragen können (7). Sehr bald

setzte eine Diskussion darüber ein, wie Ar-tikel 128 umgesetzt werden könnte, undim März 1961 erklärte das damalige Kom-missionsmitglied für soziale Angelegenhei-ten, der Italiener Lionello Levi Sandri, dieNotwendigkeit einer Koordinierung der Be-rufsbildungspolitiken habe sich nicht nur aufGemeinschaftsebene bemerkbar gemacht,sondern auch innerhalb der verschiedenenLänder, die über Organe und Verwaltungenfür den Bereich der Berufsausbildung ver-fügten. Und er fügte hinzu, mit dem Vor-schlag einiger allgemeiner Grundsätze zurDurchführung einer gemeinsamen Politik derBerufsausbildung wolle die Kommissioneine einheitliche Ausrichtung in Bezug aufdiese Problematik in allen Mitgliedstaaten er-reichen (8). Dabei wurde die Kommissionnach Kräften vom WSA unterstützt, der eineReihe von Studien zu dieser Frage erstellte(9). Diese Grundsätze, die sich im Übrigenals sehr vage erwiesen, wurden jedoch erstim April 1963 vom Rat veröffentlicht. Sie bo-ten weder klare Aussagen über die Pflichtender Mitgliedstaaten und der Gemeinschaftnoch eine ausführliche Beschreibung der In-halte einer möglichen europäischen Berufs-ausbildung. Trotzdem setzte die EWG En-de 1963 einen Beratenden Ausschuss für dieBerufsausbildung ein, der aus 36 Mitgliedernbestand (jede nationale Delegation bestandaus sechs Mitgliedern, von denen zwei dienationalen Behörden, zwei die Gewerk-schaften und zwei die Arbeitgeberverbändevertraten).(10) Einige Mitgliedstaaten, insbe-sondere Italien, hofften, dass dieser Bera-tende Ausschuss bei der Ausarbeitung wirk-samer europäischer Maßnahmen auf demGebiet der Berufsausbildung eine maßgeb-liche Rolle spielen könnte (11). Tatsächlichunternahm der Beratende Ausschuss An-strengungen zur Ausarbeitung konkreterInitiativen und setzte z. B. 1965 eine Ar-beitsgruppe ein, die Grundsätze erarbeitensollte, die den Berufsbildungsfachleuten imEuropa der „Sechs“ als Richtschnur dienensollten („Ausbildung der Ausbilder“).(12) Imselben Jahr beschäftigte sich die Kommissi-on mit der Möglichkeit einer gemeinsamenPolitik im Bereich der Berufsausbildung mitbesonderem Schwerpunkt auf der Land-wirtschaft - schließlich hatte die EWG we-nige Jahre zuvor die GAP ins Leben gerufen.Es ist bemerkenswert, dass sich sowohl dieKommission als auch der Beratende Aus-schuss eine verstärkte Integration auf diesemGebiet und die Durchführung von Studieneinsetzten, die einen gemeinsamen Ansatzder „Sechs“ auf dem Gebiet der Berufsaus-

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(7) Zu betonen ist hier, dass eineeuropäische Politik auf dem Gebietder Berufsausbildung nicht als ei-genständiges Ziel, sondern als Werk-zeug der wirtschaftlichen Entwick-lung angesehen wurde.

(8) Archiv der Kommission, Brüs-sel (BAC) , 173/95, 2828, Note d'in-formation sur les travaux du ComitéEconomique et Sociale [Informati-onspapier zur Arbeit des Wirtschafts-und Sozialausschusses], 7.3.1961.

(9) Siehe die Dokumentation in BAC173/95, 2828.

(10) Amtsblatt der Europäischen Ge-meinschaften, 3090-3092/63,30.12.1963.

(11) BAC, 173/95, 2849, CEE, Le Con-seil - proposition italienne [EWG,der Rat, Vorschlag Italiens], 9.7.1963.;CEE, Commission Note pour lesmembres de la Commission [EWG,Kommission, Mitteilung an die Kom-missionsmitglieder], 12.11.1963.

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bildung zum Ziel hatten (13). Diese Auffas-sung wurde von politischen Kreisen im Eu-ropäischen Parlament geteilt, und die Ver-sammlung von Straßburg betonte verschie-dentlich, es sei angezeigt, enge Kontakte zwi-schen den mit der Förderung der Berufs-bildung befassten nationalen Gremien zu för-dern (14). Im Grunde schienen viele Ge-meinschaftsbeamte überzeugt zu sein, dasseine gemeinsame Berufsbildungspolitik imInteresse der „Sechs“ wäre, doch es fehltenklare Vorstellungen. Es stellte sich als schwie-rig dar, einen gemeinsamen begrifflichen Be-zugsrahmen zu schaffen, und alle Mitglied-staaten, vielleicht mit Ausnahme von Italien,zogen den nationalen Weg vor.

Die Wende der 1970er Jahre und dieEntstehung des Cedefop

Die Haltung der EWG zur Frage der Sozi-alpolitik und auch zur Berufsbildung ändertesich Ende der 1960er/Anfang der 1970er Jah-re grundlegend. Ausschlaggebend warendafür einige konkrete Ereignisse:

(a) die Studentenbewegung, die im Mai 68zunächst in Frankreich und später in ande-ren europäischen Ländern aufflammte unddeutlich machte, dass neue soziale Erfor-dernisse und neue Akteure in der europäi-schen Gesellschaft in Erscheinung getretenwaren (z. B. die Notwendigkeit einer grund-legenden Reform des Bildungssystems unddie Hinterfragung der Beziehung zwischenBildung und Arbeitsmarkt, die Forderungenvon Studenten, Frauen und anderen Grup-pen usw.);

(b) eine neue und aktivere Rolle der Ge-werkschaften sowohl auf nationaler als auchauf internationaler Ebene (z. B. die Arbei-terbewegung des so genannten „heißen Herb-stes“ in Italien im Jahr 1969, die Entschei-dung einiger kommunistischer Gewerk-schaften zur Mitarbeit am europäischen Auf-bauwerk, die Gründung des EuropäischenGewerkschaftsbundes im Jahr 1973 usw.)(Gobin, 1997);

(c) die Wirtschaftskrise, die in den 1970erJahren einsetzte und insbesondere nach 1973die meisten europäischen Ländern ergriff,und die damit einher gehende Zunahme derArbeitslosigkeit;

(d) die erste Erweiterung der EWG um Staa-ten wie Großbritannien und Irland mit tra-ditionell wirtschaftlich und sozial rückstän-

digen Gebieten bzw. einer dramatischen En-tindustrialisierung;

(e) die neuen Anstrengungen Italiens, dasProblem Süditaliens mit Hilfe der Europäi-schen Gemeinschaft anzugehen. Eine der er-sten Folgen dieser Entwicklungen war einneu erwachtes Interesse an Formen des drei-seitigen sozialen Dialogs, und zwar nichtmehr nur auf nationaler, sondern auch aufeuropäischer Ebene. Im April 1970 fand inLuxemburg die erste Dreierkonferenz statt,an der Vertreter der Gewerkschaften, der Ar-beitgeberverbände, der Kommission und derArbeitsministerien der „Sechs“ teilnehmen.Bei dieser Gelegenheit sprachen zahlreicheDelegierte die Möglichkeit der Einrichtungeines ständigen Ausschusses für Beschäfti-gung an, der einige Monate später tatsäch-lich eingesetzt wurde. In diesem Zusam-menhang wurde in der Europäischen Ge-meinschaft natürlich auch über die Entwicklungeiner europäischen Sozialpolitik unter Ein-schluss der Berufsbildung diskutiert (Guas-coni, 2003).

Einige Zeit zuvor, im Sommer 1969, hatteein prominentes WSA-Mitglied, Marcello Ger-mozzi, bereits vorgeschlagen, der Wirtschafts-und Sozialausschuss solle sich mit der Fra-ge der Berufsbildung befassen (15). DiesesThema wurde im Februar 1970 in der Fach-gruppe Sozialfragen diskutiert, und damalshatten einige Ausschussmitglieder die mög-liche Gründung eines Europäischen Zen-trums für Berufsbildungsforschung ange-sprochen. Besonders die deutsche Ge-werkschaftsvertreterin Maria Weber begründetediesen Vorschlag sehr klar: Die Tätigkeitender Gemeinschaft im Bereich der Berufsbil-dung hätten in den letzten Jahren nicht mehrdieselbe Intensität und dasselbe Gewichtwie die Tätigkeiten der Gemeinschaft in an-deren Bereichen gehabt. Die Berufsausbil-dung sei jedoch, gerade für die Beschäfti-gung, ein entscheidendes Element. Sicher,die Kommission strebe die Harmonisierungder Berufsausbildung an, doch es sei schwie-rig, etwas zu harmonisieren, das man we-nig oder schlecht kenne; deshalb sei es wich-tig, ein europäisches Institut zu schaffen, dasnach dem Vorbild dessen, was in bestimm-ten Mitgliedstaaten schon geschehe, einebessere Koordinierung zwischen den Behör-den, den Arbeitnehmern und den Arbeitge-bern ermögliche (16). Andererseits machtesich der Bedarf an exakten Studien in die-sem Bereich inzwischen auch in verschie-denen Ländern der Gemeinschaft deutlich

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(12) BAC 125/94, 361, Informati-onspapier der EWG-Kommission fürdie Mitglieder der Arbeitsgruppe„Ausbildung der Ausbilder“ des Be-ratenden Ausschusses für die Be-rufsausbildung, 28.9.1965.

(13) BAC 174/95, 1045, Aktionspro-gramme der EWG-Kommission aufdem Gebiet einer gemeinsamen Po-litik der Berufsausbildung im All-gemeinen und in der Landwirtschaft- Mitteilung der Kommission an denRat 5.5.1965.; Beratender Ausschussfür die Berufsausbildung, Stellun-gnahme zum Entwurf für ein „Ak-tionsprogramm auf dem Gebiet ei-ner gemeinsamen Politik der Be-rufsausbildung“, 19.3.1965.

(14) BAC 174/95, 1045, EuropäischesParlament, Ausschuss für soziale An-gelegenheiten Dok. V/SEC(65)1355/fin., A. Sabatini, 21.12.1965.

(15) Archiv des Wirtschafts- und So-zialausschusses (im Folgenden ACES),1223/1, Schreiben von M. Germoz-zi an M. Berns, 22.7.1969. Über dieTätigkeit des WSA siehe insbeson-dere den Beitrag von E. Dundovich,2004.

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bemerkbar, da die Berufsbildung als wirk-same Lösung für viele wirtschaftliche undsoziale Probleme (Arbeitslosigkeit, Anpas-sung an neue Technologien, verändertes Ver-hältnis sozialer Gruppen wie z. B. Jugend-liche und Frauen zum Arbeitsmarkt) gese-hen wurde. Zudem musste bei der Reformder Bildungssysteme auch die Berufsbildungberücksichtigt werden, was mit wissen-schaftlichen Methoden geschehen sollte, umder Forschung und dem Informationsaus-tausch zwischen unterschiedlichen Erfah-rungsbereichen mehr Raum zu verschaffen.Diesbezüglich sei daran erinnert, dass 1969die Bundesrepublik Deutschland das „Bun-desinstitut für Berufsbildungsforschung“ ein-gerichtet hatte, das in diesem Bereich zumVorbild werden sollte (17). Der WSA seiner-seits setzte, auch auf die Initiativen von Mar-cello Germozzi und Maria Weber hin, sei-ne diesbezüglichen Tätigkeiten fort, aus de-nen der Vorschlag zur Gründung eineseuropäischen Instituts für Berufsbildung her-vorging (18).

Zwischenzeitlich startete der Rat zwischenNovember 1970 und Juli 1971 die Arbeit aneinem Entwurf für ein Tätigkeitsprogrammauf dem Gebiet der Berufsausbildung, mitdem eine Überarbeitung der Grundsätzevon 1963 angestrebt wurde. Durch einenBeschluss des Rates wurde die Kommissi-on offiziell beauftragt, eine europäische Po-litik auf dem Gebiet der Berufsausbildungauszuarbeiten (19). Die Frage beschäftigtebeispielsweise Ende Mai 1971 den Ständi-gen Ausschuss für Beschäftigung. Maria We-ber, die auch diesem Gremium angehörte,betonte, ihre Organisation wünsche schonseit längerem, dass ein europäisches Insti-tut eingerichtet werde, das die Aufgabe ha-ben sollte, die wissenschaftliche Forschungauf dem Gebiet der Berufsbildung und ei-ne fruchtbare Zusammenarbeit zwischenden nationalen Einrichtungen zu fördern.Es müsse möglich sein, die Gründung ei-nes solchen Instituts aus dem Gemein-schaftshaushalt zu finanzieren.(20) Auch wennandere Ausschussmitglieder weniger ambi-tionierte Vorstellungen hatten, begann sichdie Idee durchzusetzen, dass die Berufsbil-dung Gegenstand von Studien und einemInformations- und Erfahrungsaustausch aufeuropäischer Ebene werden sollte, wie dieErgebnisse einiger von der Kommission 1972geförderter Studien zeigten, z. B. ein Be-richt über die Aktivitäten einer von der Kom-mission eingesetzten Studiengruppe. Derfranzösische Experte in diesem Ausschuss

schlug die Gründung eines europäischenStudien- und Forschungszentrums zur Ent-wicklung der Qualifikationen und der Metho-den der beruflichen Bildung vor (21). Trotzalledem erschien die Haltung der Kommis-sion sehr zurückhaltend und in einem wich-tigen Dokument mit dem Titel „Premièresmesures en vue de la mise en œuvre d'unepolitique commune de formation profes-sionnelle“ [Erste Maßnahmen im Hinblickauf die Durchführung einer gemeinsamenPolitik der Berufsausbildung], verfasst imOktober 1972, wurde die Einrichtung eineseuropäischen Studienzentrums zu dieserThematik nur vage als längerfristiges Zielerwähnt (22).

Ein Anstoß zur Entwicklung einer effizien-teren europäischen Sozialpolitik wurde aufdem Pariser Gipfel im Dezember 1972 ge-geben. Erstmals erklärten die Staats- undRegierungschefs der Europäischen Ge-meinschaft die Durchführung einer Sozial-politik zum wichtigen Ziel, und die Kom-mission wurde beauftragt, ein konkretes so-ziales Aktionsprogramm zu starten. Die Be-rufsbildung war ein wichtiges Thema im Ar-beitsprogramm der Kommission. Mit der all-gemeinen Thematik sowie mit der Grün-dung eines europäischen Instituts beschäf-tigten sich die Generaldirektion für sozia-le Angelegenheiten und die Generaldirek-tion für Forschung, Wissenschaft und Bil-dung. Tatsächlich war die Einstellung derKommission zur Errichtung eines europäi-schen Studienzentrums zur Berufsbildungjedoch nach wie vor eher zurückhaltend. Ineinigen Dokumenten wurde unterstrichen,die Veröffentlichung eines Bulletins seiein geeigneteres Instrument zur Verbreitungeinschlägiger Informationen und eine sol-che Zeitschrift könne von einem nationa-len Institut herausgegeben und von der Kom-mission verbreitet werden (23). Trotzdemzeigten sich einige Regierungen, insbeson-dere die französische und die italienische,zunehmend interessiert an der Einrich-tung eines europäischen Zentrums. Im De-zember 1973 wurden die Arbeiten der Kom-mission, insbesondere die mögliche Grün-dung eines europäischen Zentrums für Be-rufsbildung, vom Ministerrat „Soziale An-gelegenheiten“ geprüft. Während des erstenTeils der Ratstagung wurde das Dokumentder Kommission von den Vertretern einigerStaaten heftig kritisiert, und der britischeDelegierte ging so weit, die Pläne für eineuropäisches Zentrum abzulehnen. Tatsäch-lich, so wurde in einem Bericht der Kom-

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(16) ACES, 1223/1, Protokoll der 52.Sitzung der Fachgruppe Sozialfra-gen, ECOSOC, 4.2.1970.

(17) Der Gründung des deutschenInstituts folgten 1970 die Einrichtungdes französischen Centre d'Étudeset de recherches sur les qualificati-ons (CEREQ) und 1973 des italieni-schen Istituto per lo sviluppo dellaformazione professionale dei lavo-ratori (ISFOL). Siehe Wollschläger,2000.

(18) Siehe die Dokumente in ACES,1223/2 bis [d. h.: a], 1224/4, 1224/5.

(19) BAC 64/84, 970, CommunautéEuropéenne - Conseil - Note [Eu-ropäische Gemeinschaft - Rat - Mit-teilung], 9.6.1971.

(20) BAC 64/84, 970, Ständiger Aus-schuss für Beschäftigung - Entwurffür das Protokoll der zweiten Sit-zung des Ständigen Ausschusses fürBeschäftigung - Brüssel, den 27. Mai1971.

(21) BAC 64/84, 970, Kommissionder Europäischen Gemeinschaften- Generaldirektion soziale Angele-genheiten - Direktion Beschäftigung,Aufstellung der vorrangigen Pro-bleme auf dem Gebiet der Berufs-bildungsforschung, Expertengrup-pe „Erforschung der Entwicklungder Berufe und der Berufsbildung“,13.4.1972.

(22) BAC 64/84, 970, Kommissionder Europäischen GemeinschaftenSEC(72)3450 endg. Erste Maßnah-men im Hinblick auf die Durch-führung einer gemeinsamen Politikder Berufausbildung, 25.10.1972.

(23) BAC 64/84, 971, EuropäischeGemeinschaften - Rat, Mitteilung,3.1.1973. Zu einer Tagung am19.12.1972. Siehe auch GD XII Ak-tionsprogramm der Abteilung XX-A-2, 30.7.1973.

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mission erklärt, liege der Grund für dieseReaktion offenbar in einer unglücklichenFormulierung des Textes der Kommission(...). In der Tat könne man eine gemeinsa-me Politik nicht umsetzen, indem man einZentrum einrichte. Das Zentrum werde dieKommission operativ unterstützten, dochsei es die Kommission, die, zusammenmit dem Rat, die gemeinsame Politik derBerufsausbildung umsetzen müsse. Nachdem energischen Eingreifen von PräsidentOrtoli zugunsten der Einrichtung des Zen-trums und dem Vorschlag des Ratspräsi-denten, die Formulierung „notammentpar la création...“ [insbesondere durch dieEinrichtung eines Zentrums] durch „y com-pris par la création“ [unter anderem durchdie Einrichtung] zog das Vereinigte Köni-greich sein Veto zurück. Der Rat hatte si-cherlich nicht die Absicht, die Entstehungeines Akteurs zu fördern, der politische Ent-scheidungen treffen würde. Das künftigeZentrum sollte lediglich eine vorwiegend„technische“ Unterstützung für die Ent-scheidungen des Rates und der Kommissi-on leisten. Nicht zufällig betonten bei die-ser Gelegenheit die Ratsmitglieder, die Zie-le des Zentrums müssten klarer definiertwerden, während die Vertreter Deutschlandsund Italiens den Wunsch äußerten, zu-sätzlich zum im Kommissionsdokument ver-wendeten begrenzten Begriff der Berufs-ausbildung auch die (allgemeine) Bildungeinzubeziehen (24). Zu diesem Zeitpunkt wa-ren die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft,auch angesichts der schweren Wirtschafts-krise aufgrund des Yom-Kippur-Krieges imOktober 1973, entschlossen, eine wir-kungsvolle Sozialpolitik auszuarbeiten, undim Januar 1974 verabschiedete der Rat seinerstes sozialpolitisches Aktionsprogramm,in dem drei Hauptziele betont wurden: Voll-beschäftigung, Verbesserung der Lebens-und Arbeitsbedingungen und wachsendeBeteiligung der Sozialpartner an den Ent-scheidungen der Gemeinschaft (Degimbe,1999 ; S. 20-21, 93-116) (25). Die Einrichtungeines Zentrums für Berufsbildung war ei-ne nahe liegende Ergänzung dieser Ziel-setzungen, und die Kommission begannmit der Ausarbeitung konkreter Pläne zudiesem Zweck. In einem Dokument derGD XII wurde ausgeführt, dieses Zentrummüsse eine zentralisierte Einheit bilden, diedie Kommission operativ unterstütze undeng mit ihr verbunden sei. Es sollte ein „Lei-tungsausschuss“, bestehend aus Vertreternder Sozialpartner und der Regierungen, ein-gesetzt werden, doch die Generaldirektion

favorisierte die Ernennung eines hochran-gigen Kommissionsvertreters zum Verant-wortlichen. Diesbezüglich wurde erklärt,das Personal des Zentrums solle etwa 20Mitarbeiter umfassen (die mit Arbeitsver-trägen nach dem Modell der Arbeitsverträ-ge der Europäischen Gesellschaft für Zu-sammenarbeit (EGZ) eingestellt würden),und das Zentrum solle seinen Sitz in Brüs-sel haben (26). Es überrascht nicht, dass ei-nige Kommissionsvertreter hofften, das Zen-trum werde keine Autonomie haben unddass dieser Aspekt mehrmals hervorgeho-ben wurde (27). Es sollte ein „Anhängsel“der Kommission sein. Trotzdem zeichnetesich, vielleicht aufgrund von in anderenKreisen der Kommission verbreiteten Mei-nungen, der Vorschlag, der Ende März 1974dem Rat vorgelegt wurde, durch einige ganzneue Elemente aus. Das Zentrum war jetztals Gremium mit eigener Rechtspersönlich-keit konzipiert, das jedoch weiterhin engmit den Gemeinschaftsinstitutionen und be-sonders der Kommission verbunden seinsollte. Es war die Einrichtung eines „Ver-waltungsrats“ vorgesehen, der aus Vertre-tern der Gewerkschaften, der Arbeitgeber-verbände und der Kommission bestehensollte. Zusätzlich sollte ein Ausschuss auseinzelstaatlichen Experten eingerichtet wer-den. Ferner wurde in dem Dokument be-tont, der Direktor sei das Schlüsselele-ment in der Struktur des Zentrums. SeineBeschäftigungsbedingungen sollten in ei-nem Ad-hoc-Statut festgelegt werden. DasZentrum sollte vor allem eine treibende Kraftsein, die u. a. als Katalysator für besondersinnovative Leitlinien im Hinblick auf eineharmonische Entwicklung der Berufsaus-bildung im weitesten Sinne in der Ge-meinschaft wirken sollte. Last but not leastwurde die Hoffnung ausgedrückt, dass dasZentrum 1975 seine Arbeit aufnehmen kön-ne. Die Kosten für das erste Jahr wurdenauf 600 000 Rechnungseinheiten veran-schlagt, für 1976 sollte dieser Betrag bei1 450 000 und für 1977 bei 1 800 000 REliegen (28). In dieser neuen Konzeption wür-de das Zentrum zwar eng an die Kommis-sion gebunden bleiben, würde jedoch einegewisse Autonomie erhalten und sich aufeine „dreiseitige“ Verwaltung stützen.

Andere europäische Institutionen nahmenzu den Plänen Stellung. Der WSA betonteseinerseits, der Begriff „Berufsausbildung“müsse sehr weit gefasst werden. Bezüglichdes Verwaltungsrats des Zentrums sprachsich der Ausschuss entgegen der Auffas-

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(24) BAC 64/84, 971, Kommissionder Eurpäischen Gemeinschaften,Archivvermerk, 13.12.1973 von VanHoorebeek.

(25) Bezeichnenderweise kam es indiesem Klima auch zu einer Stär-kung der europäischen Gewerk-schaftsbewegung durch die Grün-dung des Europäischen Gewerk-schaftsbundes (EGB) im Jahr 1973.Siehe Gobin, 1997; passim.

(26) BAC 64/84, 1001, Kommissionder Europäischen Gemeinschaf-ten, Archivvermerke, 14.1.1974.

(27) BAC 64/84, 1001, Mitteilung vonM. Shanks an G. Schuster, 18.2.1974.

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sung der Arbeitnehmervertreter für eineviergliedrige Struktur aus: die Vertreter derKommission, vier Arbeitgebervertreter, vierArbeitnehmervertreter und vier Vertreterdes Bereichs „verschiedene Interessen“. Ins-besondere schlug er vor, der Präsident derFachgruppe Sozialfragen solle dem Ver-waltungsrat angehören. Abschließend äußer-te der Ausschuss den Wunsch, dass alle sei-ne Vorschläge zu den Aufgaben und Ar-beitsmethoden des Zentrums dem Verwal-tungsrat des Zentrums mitgeteilt werdensollten (ESC, 1975) (29). Der WSA schlug so-mit vor, seine eigene Struktur zum Vor-bild zu nehmen, und versuchte, auch denBereich der „verschiedenen Interessen“ ein-zubeziehen. Die Anmerkungen des Eu-ropäischen Parlaments hatten weiter ge-hende Auswirkungen. Der Ausschuss fürsoziale Angelegenheiten und Beschäftigungder Straßburger Versammlung wies u. a.darauf hin, dass das Zentrum zwar Auto-nomie und Initiativrecht besitzen solle, abertrotzdem enge Kontakte mit den Gemein-schaftsinstitutionen pflegen und sich mitden bestehenden nationalen Zentren ab-stimmen sollte, um Doppelarbeit und dieVerschwendung von Ressourcen zu ver-meiden. Außerdem hielt es das Parlamentfür angezeigt, die Zahl der Vertreter der So-zialpartner sowie die der nationalen Ex-perten zu erhöhen. Und schließlich war dieEuropäische Versammlung der Meinung,der vorgesehene Haushalt sei unzureichend,und zeigte sich überrascht, dass noch nichtfestgelegt worden war, wo das Zentrum sei-nen Sitz haben sollte (30).

Die gesamte Frage wurde in der zweitenHälfte des Jahres 1974 vom Rat geprüft. Die-ses Gremium war in Bezug auf einige wich-tige Aspekte des Kommissionsvorschlags an-derer Meinung, und der Text des Vorschlagswurde aufgrund dieser Kritik in einer Reihevon Punkten geändert. Das kam dem Wunschder meisten Staaten entgegen, die Befug-nisse der Kommission zu begrenzen undden vorwiegend zwischenstaatlichen Cha-rakter des europäischen Aufbauwerks zu be-tonen. Der Rat beschloss, die Zusammen-setzung des Verwaltungsrats grundlegendzu ändern. Insbesondere kamen zu den Ver-tretern der wirtschaftlichen und sozialenKräfte und der Kommission Vertreter der na-tionalen Regierungen hinzu. Die Rolle derKommission wurde eingeschränkt, undbesonders die deutsche Delegation übteDruck auf die anderen Partner aus, um ei-ne Zusammensetzung des Verwaltungsrats

zu erreichen, bei der die Vertreter der Mit-gliedstaaten nicht in die Minderheit geratenkonnten. In diesem neuen Schema wurdeüberdies der Expertenausschuss gestrichen.Dagegen bestätigte der Rat, das Zentrum sol-le weit reichende Autonomie besitzen. Eskam zu einer lebhaften Debatte unter denMinistern über die Rolle des Direktors, unddie französische Delegation schlug vor, ersolle vom Rat ernannt werden, während dieBriten eine Nominierung durch den Ver-waltungsrat vorzogen. Am Ende waren sie-ben Delegationen der Auffassung, der Di-rektor solle von der Kommission anhandvon Kandidatenvorschlägen des Verwal-tungsausschusses ausgewählt werden (31).Inzwischen war die Frage des Sitzes der neu-en Einrichtung geklärt. Die Wahl war aufWest-Berlin gefallen. Diese Entscheidungwar eindeutig politischer Natur. Man folgteeinem Vorschlag der Bonner Regierung, umzu demonstrieren, dass der Westteil der ehe-maligen deutschen Hauptstadt voll und ganzzum Westen gehörte (32). Am 10 Februar1975 konnte der Rat endlich die Verord-nung über die Errichtung eines Europäi-schen Zentrums für die Förderung der Be-rufsbildung (Cedefop) erlassen.(33)

Die Tätigkeit des Cedefop

Die Anfangsphase im Leben des Cedefopwar nicht einfach. Die erste Sitzung des Ver-waltungsrats fand erst Ende Oktober 1975in der Kongresshalle Berlin unter dem Vor-sitz des Generaldirektors für soziale Ange-legenheiten der Kommission Shanks statt.Wie im Protokoll verzeichnet, musste, dadas Zentrum noch keine eigenen offiziel-len Einrichtungen hatte, die gesamte Vor-bereitungsarbeit von der Kommission ge-leistet werden, obwohl ihr im damaligenvon Sparmaßnahmen geprägten Klima nurbeschränkte Ressourcen zur Verfügung stan-den (Cedefop, 1975). Dabei wurden vorabeine Reihe von Fragen aufgeworfen und ge-klärt. Als erstes benannte der Verwaltungs-rat einen Dänen, Carl Jorgensen, als den ge-eignetsten Kandidaten für die Funktion desDirektors. Für den Sitz des Zentrums hatteder Westberliner Senat ein Gebäude, gele-gen in der Bundesallee Nr. 22, für den Zeit-raum von 30 Jahren mietfrei angeboten, unddie Berliner Behörden hatten sich außerdembereit erklärt, mit einer Million DM zur Sa-nierung des Gebäudes beizutragen. Der größ-te Teil des folgenden Jahres wurde mit derAbfassung der Geschäftsordnung des Zen-trums und der Einstellung von Personal so-

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(28) BAC 64/84, 1001, Kommissionder Europäischen Gemeinschaften- Einrichtung eines EuropäischenZentrums für Berufsbildung (Vor-schlag der Kommission an den RatCOM(74)352 Final, 27.3.1974.

(29) Siehe auch die Dokumentationin ACES, 1260/1 und 1260/2.

(30) BAC 62/86, 8, EEuropäischesParlament - Überarbeiteter Entwurf,Berichterstatter: F. Pisoni] 12.7.1974.

(31) BAC 627/86, 8, Europäische Ge-meinschaften - Rat - Doc. R/3101/74(SOC 253), 6.12.1974.

(32) Nicht von ungefähr erntete die-se Entscheidung scharfe Kritik sei-tens der sowjetischen Behörden so-wie einiger kommunistischer Orga-nisationen im Westen, z. B. der fran-zösischen Gewerkschaft CGT.

(33) Zu einer juristischen Analyse derRolle der Agenturen im europäischenKontext siehe E. Chiti, 2002.

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wie der Abfassung ihrer Arbeitsverträge ver-bracht. In der Zwischenzeit wurden die er-forderlichen Sanierungsarbeiten an dem Ge-bäude in der Bundesallee durchgeführt. Inden ersten Monaten des Jahres 1976 hattender Direktor und seine beiden Stellvertretereinen einzigen Raum im Informationszen-trum der Europäischen Gemeinschaftenzur Verfügung. Die erste Sekretärin nahm ih-re Arbeit erst im März jenen Jahres auf.Was die inhaltliche Tätigkeit des Cedefop an-belangt, so besuchten der Direktor undseine engsten Mitarbeiter eine Reihe von na-tionalen Berufsbildungseinrichtungen undnahmen außerdem Kontakt zu den für dieBerufsbildung verantwortlichen Personen inden Mitgliedstaaten auf und begannen mitder Ermittlung der Hauptthemen, mit denensich das Cedefop beschäftigen sollte. Einebesonders dringliche Frage schien die Ju-gendarbeitslosigkeit zu sein, die somit zumersten Thema des Cedefop wurde (34). ZuAnfang bestand noch einige Unsicherheithinsichtlich der Aufgaben des Cedefop. Ineiner Sitzung des Verwaltungsrats vom Juli1976 wurde die Ansicht vertreten, dass dasZentrum keine Doppelarbeit leisten und auchnicht versuchen sollte, nationale Strategienzu formulieren; außerdem sollte das Zentrumder Harmonisierung keinen ungebührlichenVorrang einräumen, sondern der Art und derUnterschiedlichkeit der Maßnahmen und Ge-gebenheiten in den verschiedenen LändernRechnung tragen (Cedefop, 1976 a). Andersgesagt wurde befürchtet, das Cedefop könn-te zu einem Instrument werden, mit dessenHilfe den nationalen Regierungen Kompe-tenzen entzogen würden, die sie nach wievor ihrem alleinigen Zuständigkeitsbereichzurechneten. Die Protokolle der Sitzungendes Verwaltungsrats vermitteln den deutli-chen Eindruck, dass in dieser Anfangsphaseder Verwaltungsrat und sein Vorsitzender Je-an Degimbe, ein hoher Kommissionsbeam-ter, eine sehr dominierende Rolle spielten.Schließlich konnte während der Verwal-tungsratsitzung vom November 1976 ein ef-fektives Arbeitsprogramm für das Jahr 1977aufgestellt werden. Die Hauptziele des Zen-trums waren:

a) Veröffentlichung eines Bulletins;

b) Sammlung und Verarbeitung von Doku-menten und Verbreitung vorhandener In-formationen;

c) Studien zu Themen wie Jugendarbeits-losigkeit, vor allem in Bezug auf den Über-

gang von der Schule in die Arbeitswelt -was als Hauptpriorität benannt wurde -,Frauen, insbesondere verheiratete oder äl-tere Frauen, die wieder berufstätig wer-den wollten, Weiterbildung, Erstellung ei-nes mehrsprachigen Glossars zur Berufs-bildung, Erstellung von vergleichenden Stu-dien zu den nationalen Berufsbildungssys-temen (Cedefop, 1976b).

Es handelte sich um ein vorsichtig formu-liertes Programm, in dem der Aspekt der Stu-dien und Forschungsarbeiten betont wurdeund das keine Bestrebungen erkennen ließ,in die nationalen Politiken einzugreifen oderAnsatzpunkte für eigenständiges Handelnder Kommission in diesem Bereich zu lie-fern. Im Dezember 1976 organisierte das Ce-defop ein erstes Seminar zur Jugendarbeits-losigkeit, das im März in Zandvoort stattfand.Im März 1977 konnte das Zentrum in seinenSitz in der Bundesallee einziehen (35), im Maidesselben Jahres wurde die erste Ausgabedes Bulletins veröffentlicht. Dennoch wardas Zentrum noch weit von einer stabilen Si-tuation entfernt, sowohl hinsichtlich seinerZiele als auch im Hinblick auf seine Orga-nisation. Insbesondere im organisatorischenBereich stellte beispielsweise die Einstellungvon Personal größere Probleme dar: Zu Be-ginn des Jahres 1977 hatten sich zwei Ex-perten gezwungen gesehen, auf eine Stel-lung beim Cedefop zu verzichten, einige Stel-len waren noch vakant, und drei A5-Stel-len für Übersetzer und eine Sekretärinnen-stelle waren noch nicht genehmigt. Außer-dem beschloss der Direktor Carl Jorgensen,nach einer nicht besonders bedeutsamenTätigkeit von 1,5 Jahren seinen Rücktritt ein-zureichen (Cedefop, 1977) (36). Und lastbut not least begannen einige Bedienstete,sich über ihren arbeitsrechtlichen Status zubeklagen, der im Vergleich zum Status derKommissionsbeamten deutlich ungünstigerwar. Auf einer Sitzung des Verwaltungsratsim September 1977 wurde mit dem Fran-zosen Roger Faist ein neuer Direktor ernannt,während Yves Corpet, der französische Ver-treter der Unternehmerverbände, die Stellevon Jean Degimbe als Vorsitzender des Ver-waltungsrates übernahm. Die Ernennung desneuen Direktors war ein wichtiges Ereig-nis, weil Faist, der zuvor Generaldirektor derUnion Confédérale des Ingénieurs et CadresC.F.D.T. war (37), in erster Linie beabsichtig-te, der Arbeit des Cedefop mehr Bedeutungzu verschaffen. Außerdem beschloss das Zen-trum, seine Aufmerksamkeit auch weiterhinauf die im Jahr 1975 ausgewählten Themen

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(34) BAC 18/86, 754, Cedefop, Jah-resbericht 1976.

(35) BAC 64/84, 1009, die offizielleEinweihung fand am 9. März 1977statt.

(36) BAC 18/86, 754, Schreiben, C.Jørgensen an R. Jenkins, 23.5.1977.

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zu richten, d. h. insbesondere auf die Ju-gendarbeitslosigkeit und die vergleichendeAnalyse der verschiedenen nationalen Be-rufsbildungssysteme. Es wurden weitere Se-minare organisiert, neue Kontakte aufgebautund ernsthafte Anstrengungen unternom-men, um das Bulletin des Cedefop zu ver-bessern (Cedefop, 1978a). Trotzdem tauch-ten im Laufe des Jahres 1978 neue Schwie-rigkeiten auf, die vor allem die Organisationdes Zentrums betrafen. Es gab erneute Pro-teste von Bediensteten zu ihrem arbeits-rechtlichen Status, die Gemeinschaft ver-suchte, am Haushalt des Zentrums Kür-zungen vorzunehmen, und der Verwal-tungsrat äußerte Vorbehalte zu bestimmtenAusgabenposten des Haushaltsvoranschlags(Cedefop, 1978b; 1978c). Daher überraschtes nicht, dass die Arbeit des Cedefop auchvon Seiten einiger europäische Institutionenkritisiert wurde. Im April 1979 wurden in ei-nem Bericht des Europäischen Parlamentseinige Kritikpunkte aufgeführt. Insbesonde-re wurde erwähnt, dass die Arbeit des Zen-trums erst nach einer relativ langen Anlauf-zeit zu ersten Ergebnissen geführt habe unddass die vom Ministerrat getroffene Ent-scheidung, Berlin als Sitz des Zentrums zuwählen, sowie die hohe Zahl an Verwal-tungsratmitgliedern sich in dieser Hinsichtungünstig ausgewirkt hätten. Außerdemschlug die Straßburger Versammlung vor,dass das Cedefop sich so weit wie möglichauf Tätigkeiten konzentrieren solle, die un-ter den aktuellen sozioökonomischen Be-dingungen praktischen Nutzen versprachen,und wünschte zudem eine engere Zusam-menarbeit zwischen dem Cedefop und in-ternationalen sowie nationalen Institutionenmit ähnlichen Arbeitsgebieten (38). Diese Kri-tiken waren das Ergebnis von Untersuchungendes Parlaments, aber Degimbe erklärte in ei-nem Schreiben an den Vizepräsidentender Europäischen Kommission Henk Vre-deling, aus den Redebeiträgen der Mitglie-der des Parlaments gehe hervor, dass dasParlament eine sehr negative Einstellungzu diesen „Satelliten-Institutionen“ habe, überdie es im Gegensatz zur Kommission keineKontrolle ausüben könne (39). Für das Par-lament sah es daher so aus, dass die Agen-turen seiner Kontrolle entglitten, und dasstellte für ein Organ, das sich mit allen Kräf-ten für eine Ausweitung der eigenen Kom-petenzen und eigenen Befugnisse einsetzte,eine keineswegs zweitrangige Frage dar. DasCedefop achtete als Konsequenz aus diesenStellungnahmen in den nächsten Jahren dar-auf, intensivere Beziehungen zum Parlament

zu pflegen, wie das bereits mit der Kom-mission der Fall war, die allerdings ohnehinauf die Präsenz ihrer Beamten im Verwal-tungsrat zählte. Einige kritische Bemerkun-gen wurden in derselben Zeit auch vom Eu-ropäischen Rechnungshof vorgebracht, derunter anderem anmerkte, dass das Cedefopin den ersten Jahren seiner Tätigkeit nichtin der Lage gewesen sei, die ihm zur Ver-fügung gestellten finanziellen Mittel voll aus-zuschöpfen, und dass die Kosten für dieVeröffentlichung des Bulletins zu hoch sei-en. Das Zentrum bemühte sich, diesen Kri-tiken entgegenzutreten. So wurde zum Bei-spiel die Veröffentlichung eines „Newslet-ters“ besonders hervorgehoben (Cedefop,1980 a; 1980 b).

Trotz dieser Schwierigkeiten war zwischen1979 und den ersten Jahren der 1980er einedeutliche Verbesserung bei den Aktivitätenund den Strukturen des Cedefop zu ver-zeichnen. Zu diesem Zeitpunkt verfügte dasZentrum über etwa 35 Bedienstete und seinHaushalt erfuhr eine allmähliche Steigerung:1979 hatte das Cedefop 2 790 808 ECU zurVerfügung, 1980 waren es 3 500 000 ECUund 1981 3 736 000 ECU (Cedefop, 1981 b;1983). Das Jahr 1982 markierte dann einenWendepunkt in der Arbeit des Zentrums. Auf-grund der anhaltenden Wirtschaftskrise undder zunehmende Zahl von Arbeitslosen ver-suchte die Europäische Gemeinschaft, eineeffizientere Politik im Bereich der Berufsbil-dung zu entwickeln. Daher konzentriert dieKommission ihre Aufmerksamkeit auf zweieinschlägige Bereiche: zum einen auf denZusammenhang zwischen neuen Techno-logien und Berufsbildung, zum anderen aufden Vorschlag, ein Projekt zu starten, daseine Harmonisierung der beruflichen Qua-lifikationen fördern sollte. Der Direktor desCedefop hatte im Übrigen die Möglichkeitbereits vorhergesehen, dass das Zentrum sei-ne Tätigkeit in einer langfristigen Perspek-tive entwickeln könnte (Cedefop, 1981a;1982a). Also arbeitete das Zentrum 1982 ei-nen Dreijahresplan aus, in dem versucht wur-de, die neuen, von der Kommission vorge-gebenen Handlungslinien mit den in den vor-angegangenen Jahren durchgeführten For-schungsarbeiten in Einklang zu bringen (Ce-defop, 1983) (40). Diese Vorgehensweise wur-de im Jahr 1983 bestätigt, auch weil die vonder Kommission geäußerten Vorschläge vomRat gebilligt worden waren (Cedefop, 1984).Auf der anderen Seite strebte das Cedefopan, seine eigenen Tätigkeitsbereiche - dieBibliothek, den Informationsdienst und die

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(37) BAC, 18/86, 754, der andereKandidat war John Agnew, Vertre-ter der irischen Regierung im Ver-waltungsrat.

(38) Europäisches Parlament - Sit-zungsdokumente 1979-1980 - Dok.90/79, Bericht von H. A. Bertrand,20.4.1979. Tatsächlich hatten einigeMitglieder des parlamentarischenAusschusses zur Arbeit des Cedef-op noch härtere Urteile geäußert. Ineinem Dokument des Ausschussesbeispielsweise ist verzeichnet, dasssich bei der Debatte eine sehr ne-gative Meinung zu den Aktivitätendes Zentrums in Berlin (in Bezugauf den Haushalt, unerfahrenes Per-sonal) abgezeichnet habe, und derparlamentarischen Ausschuss dazuaufgefordert worden sei, sich seinerVerantwortung nicht zu entziehen.Bei dieser Gelegenheit hatte JeanDegimbe eine weniger negative Hal-tung gezeigt und betont, dass sichdurch den neuen Direktor geradepositive Perspektiven eröffneten.Siehe hierzu BAC 18/86, 754, Kom-mission der Europäischen Gemein-schaften - Generalsekretariat SP(79)311, 5.2.1979.

(39) BAC 157/87, 112, Schreiben, J.Degimbe an H. Vredeling, 16.2.1979.Zu bemerken ist, dass man sich zujener Zeit im Vorfeld der Einführungder Direktwahl zum EuropäischenParlament befand und diese Di-rektwahl der Straßburger Versamm-lung eine stärkere Legitimität ver-leihen sollte. Daher manifestiertesich wahrscheinlich bereits hier derWunsch des Parlaments, seine Rol-le gegenüber den anderen Ge-meinschaftsstrukturen gestärkt zusehen.

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Veröffentlichungen - auszubauen. 1984 ka-men im zuletzt genannten Bereich zur Zeit-schrift „Berufsbildung“ und zum „CEDEFOPNewsletter“ die Veröffentlichung „CEDEFOPFlash“ hinzu. In jenem Jahr brachte das Zen-trum drei Ausgaben der Berufsbildungs-zeitschrift in 10 000 Exemplaren heraus.Gleichzeitig wurden 25 000 Exemplare der„CEDEFOP News“ gedruckt, die nach Schät-zungen des Cedefop mehr als 40 000 Lesererreichen konnten. Im Bereich des Infor-mationsdienstes arbeitete das Zentrum imJahr 1984 an der Vervollständigung eines„Thesaurus“, und man begann mit dem Ein-satz neuer Informationstechnologien. Im Übri-gen war das Cedefop jetzt in der Lage, etwa95 % der ihm zugewiesenen Finanzmittel zunutzen. Diese Ergebnisse wurden erreicht,obwohl nach wie vor einige organisatorischeProbleme bestanden: Die Zahl der Bediens-teten wuchs sehr langsam (1984 wies das Or-ganigramm des Zentrums 42 Stellen aus),während die geringe Steigerung des Haus-halts gerade einmal reichte, um die Folgender Inflationsspirale in der EWG auszuglei-chen (1983 beliefen sich die Finanzmittel auf4 210 000 ECU, 1984 waren es 4 560 000ECU) (Cedefop, 1985a). Außerdem bestan-den aufgrund des rechtlichen Status der Be-diensteten nach wie vor gravierende Pro-bleme. Die europäischen Behörden zeig-ten keinerlei Bereitschaft, im Fall der Be-diensteten des Cedefop die für Gemein-schaftsbeamte vorgesehenen Regeln anzu-wenden, und die leitenden Mitarbeiter desZentrums schienen nicht in der Lage zu sein,die Brüsseler Position in dieser heiklenFrage zu beeinflussen. Schließlich traten imVerlauf des Jahres 1982 die organisatorischenProbleme offen zutage, und die Personal-vertretung legte ihr Amt nieder, um gegendiesen Zustand zu protestieren. Das war einSymptom für gewisse interne Spannungenund das Unbehagen unter den Bedienstetendes Zentrums (Cedefop, 1982b; 1982c).

1984 ging die Amtszeit von Faist zu Ende,der Deutsche Ernst Piehl wurde zum Di-rektor ernannt. Piehl, Jahrgang 1943, warnach Abschluss seines Studiums an der Frei-en Universität Berlin von 1969 bis 1975 Mit-glied des Forschungsinstituts des DGB inDüsseldorf gewesen und später zum Direk-tor des Europäischen Jugendzentrums beimEuroparat ernannt worden. 1980 hatte er einwichtiges Amt im WSA innegehabt (41). DerAmtsantritt Piehls als Leiter des Cedefop fälltzusammen mit einigen wichtigen Entwick-lungen in der Arbeit und den Strukturen des

Zentrums. Im Juni 1984 wurde durch deneuropäischen Gipfel von Fontainebleau ei-ne neue Phase im europäischen Aufbauwerkeingeleitet: Es kam zu einem Ausbau derdeutsch-französischen Zusammenarbeit beider Ausrichtung der Gemeinschaftspolitik,1985 wurde Jacques Delors Kommissions-präsident und im Juni desselben Jahres or-ganisierte die Gemeinschaft entsprechenddem Beschluss des Europäischen Rates vonMailand eine Regierungskonferenz, die dannzur Unterzeichnung der Einheitlichen Eu-ropäischen Akte führen sollte, und Spanienund Portugal traten der Europäischen Ge-meinschaft als Vollmitglieder bei. Die Zun-ahme der Mittel aus dem Gemeinschafts-haushalt, der verstärkte Schwerpunkt auf ei-ner Reihe von Sozialpolitiken, der in diesemBereich vorhandene Bedarf, noch intensi-viert durch die Erweiterung um südeuropäischeLänder, sowie die Bennennung neuer eu-ropäischer Handlungsfelder durch die Ge-meinschaft waren Elemente, durch die dieRolle des Cedefop gestärkt wurde (42). 1986war im Haushalt des Zentrums eine Zun-ahme der verfügbaren Mittel um etwa 50 %zu verzeichnen (von 4 910 000 ECU 1985auf 7 388 000 ECU) und die Zahl der Be-diensteten stieg auf 54. Auch hinsichtlich derStrukturen waren Verbesserungen zu ver-zeichnen: Das Zentrum verfügte nun überneue Gebäude und einen neuen Konfe-renzsaal. Im Bereich der inhaltlichen Arbeitverabschiedete das Cedefop 1985 ein neu-es Dreijahresprogramm, das die üblichen Ar-beitsbereiche betonte. Zusätzlich konzen-trierte sich das Zentrum aber auf der Grund-lage von Entscheidungen des Rates und derKommission auch auf neue Themen, wiebeispielsweise die Harmonisierung der Qua-lifikationen von Arbeitnehmern in den ver-schiedenen Mitgliedsländern und die Nut-zung neuer Technologie, vor allem in Formvon Computern, in der Berufsbildung. Sowurde zum erstgenannten Ziel eine einge-hende Studie durchgeführt, an der sich zahl-reiche Beamte des Cedefop beteiligen soll-ten und die zu intensiveren Kontakten mitnationalen Instituten und mit Berufsbildungbefassten nationalen Behörden führen soll-ten (Cedefop, 1987 a) (43). Das Zentrumkonnte jetzt darauf verweisen, dass es je-des Jahr annähernd 99 % der zur Verfügunggestellten finanziellen Mittel ausschöpfte(Cedefop, 1988 a). Nicht zu vergessen istauch, dass die Gemeinschaft ab 1986 einstärkeres Interesse an der Berufsbildung zeig-te und beispielsweise eine Reihe neuer Pro-gramme - darunter auch COMETT - in die

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(40) Das war bereits im Jahr 1981von Roger Faist vorgeschlagen wor-den.

(41) BAC 511/98, 445, Projet de de-cision de la Commission [Entwurffür eine Entscheidung der Kom-mission].

(42) Auf die Auswirkungen der Ein-heitlichen Europäischen Akte aufdie von der Gemeinschaft verfolg-ten sozialpolitischen Strategien wirdz. B. in Kowalsky, 2000 hingewie-sen.

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Wege leitete. Durch dieses Engagement wur-den auch engere Kontakte zwischen demCedefop und der Kommission, insbesonde-re der GD V, begünstigt, wie aus einem in-teressanten Briefwechsel zwischen dem Di-rektor für allgemeine und berufliche Bildung,Hywel C. Jones, und Piehl (siehe beispiels-weise Cedefop, 1987b; 1987d) (44) sowie ausimmer häufigeren Treffen zwischen leiten-den Mitarbeitern des Cedefop und Kom-missionsbeamten hervorgeht.

Trotz dieser positiven Entwicklungen, durchdie die Rolle des Zentrums tendenziell ge-stärkt wurde, waren in diesen Jahren aberauch Probleme und Schwierigkeiten zu ver-zeichnen. Zum Zeitpunkt der Ernennungvon Piehl kam die Personalvertretung erneutdarauf zurück, dass es den Bediensteten desCedefop immer noch nicht gelungen sei, ei-nen Vertragsstatus zu erlangen, der dem derBeamten der Gemeinschaft entspreche (Ce-defop, 1985 b). Das Cedefop machte neueVorstöße in dieser Richtung und erreichteeinige Verbesserungen. Ende 1988 traten ei-ne Reihe von Meinungsverschiedenheitenzwischen Piehl und C. Politi, einem der stell-vertretenden Direktoren, zutage. Diese be-trafen auch die Art und Weise der Ausrich-tung der Arbeit des Cedefop, wie Politi ineinen Schreiben an Piehl festhielt, in demzu lesen steht, dass er (Piehl) in den dreiletzten Jahren dem Image des Zentrums undden politischen Kontakten Vorrang gegebenhabe. Für dieses Ziel hätten alle Abteilun-gen gearbeitet, was große Vorteile für dasCedefop erbracht habe: ein größeres Bud-get, neue Stellen, einen funktionsgerechtenund komfortableren Sitz usw. Diese Strate-gie sei aber zu Ungunsten einer internenUmstrukturierung, eines Ausbaus der Diens-te, der Entwicklung der Informatik undder Forschungstätigkeiten, der Qualitäts-kontrolle sowie um den Preis eine starkeninternen Demotivation durchgeführt wor-den. Es sei an der Zeit, die Dinge wieder insLot zu bringen, sonst bestehe die Gefahr,dass das Cedefop zu einer sehr schönen Hül-le werde, die jeglicher interner Motivatio-nen entleert und unfähig sei, die Heraus-forderungen von 1992 zu bewältigen. DasZentrum ähnele immer mehr einem mini-steriellen Kabinett, in dem jeder aufgefor-dert werden könne, irgendetwas zu tun, umauf politische Zwänge zu reagieren, undnicht einer spezialisierten europäischen Agen-tur, die hoch qualifizierte Forschungs- undEntwicklungsdienste erbringe (Cedefop, 1988b). Es ist schwer zu sagen, ob diese Äuße-

rungen von Politi in der Sache gerechtfer-tigt waren oder lediglich Ausdruck persön-licher Meinungsverschiedenheiten waren.Nichtsdestotrotz behielt Politi seine Funkti-on im Cedefop in den nächsten Jahren.

Der Mauerfall, der Beginn des politischenund diplomatischen Prozesses, der zur Un-terzeichnung des Maastrichter Vertrags führensollte, die erneute Betonung des Ziels ei-ner Verbesserung des wirtschaftlichen undsozialen Zusammenhalts sowie last but notleast der Start wichtiger Programme wieSokrates, Petra, Leonardo da Vinci, Phareusw. schienen Faktoren zu sein, von de-nen günstige Auswirkungen auf die Arbeitdes Cedefop zu erwarten waren. 1989 rich-tete die Kommission eine Task Force für Hu-manressourcen, allgemeine und beruflicheBildung und Jugend ein. Von Anfang an ginges diesem Gremium darum, intensive Be-ziehungen zum Cedefop zu pflegen, um dieKompetenzen des Berliner Zentrums zu nut-zen (Cedefop, 1990b). Für die Kommissionging es in erster Linie darum, die Erfahrung,die das Cedefop in diesem Bereich gesam-melt hatte, zu nutzen, auf der Seite desCedefop dagegen war der Wille offensicht-lich, konkret zur Entscheidungsfindung inder Gemeinschaft beizutragen. Und das Zen-trum konnte offenbar diese Absicht zumin-dest zum Teil umsetzen. In diesem Zusam-menhang ist eine Mitteilung von Piehl vomJanuar 1991 aufschlussreich, die nach einerReihe von Treffen leitender Vertreter des Zen-trums mit der Kommission niedergeschrie-ben wurde. In dem Dokument wird auf diedirekte Beteiligung des Cedefop an den Ge-meinschaftsprogrammen im Bereich der Be-rufsbildung verwiesen. Das Zentrum war un-ter anderem beauftragt worden, die ver-schiedenen nationalen Institutionen be-züglich der Entscheidungen der Gemein-schaft in diesem Bereich zu sensibilisieren(Cedefop, 1991 b). Es ist allerdings daraufhinzuweisen, dass die Kommission ihrerseitsdas Cedefop auf seine Funktion der direk-ten technischen Unterstützung der Kommis-sion verwies, mit anderen Worten also seineUnterordnung unter die Brüsseler Entschei-dungen forderte (Cedefop, 1990 c). Ande-rerseits war das Cedefop von nun an ein kon-solidiertes Organ im Panorama der Ge-meinschaftsstrukturen. 1988 war beim Haus-halt des Cedefop eine Steigerung um 11 %im Vergleich zum Vorjahr zu verzeichnen,1989 betrug die Zunahme 14 %, 1990 etwa7 % und 1991 etwa 16 %. Das Zentrum kon-zentrierte seine Aufmerksamkeit auf die Stu-

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(43) 1987 belief sich der Haushaltdann auf 6 586 000 ECU, was einemRückgang von etwa 10 % entsprach.

(44) Zu den Treffen in Brüssel siehedie in den Unterlagen Guerra vor-liegende Dokumentation, siehe bei-spielsweise Cedefop, 1987c.

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dien- und Forschungstätigkeiten, die 1990etwa 44 % der Gesamtausgaben ausmach-ten, während ungefähr 18 % für die Veröf-fentlichungen und 22 % für Übersetzungenaufgewendet wurden. Diese Verteilung bliebim Jahr 1991 und in den folgenden Jahrentendenziell gleich (Cedefop, 1990 a; 1991 a;1992).

Die Wiedervereinigung Deutschlands und derMaastrichter Vertrag hatten jedoch letztlich ra-dikale und völlig unvorhergesehene Konse-quenzen für das Cedefop. Auf der Tagung desEuropäischen Rates in Brüssel im Oktober1993 traf dieses höchste europäische Organdie Entscheidung, den Sitz des Cedefop zuverlegen. Deutschland würde die künftigeEuropäische Zentralbank erhalten, währendGriechenland bis dahin keine europäischeOrganisation oder Institution auf seinem Ge-biet gehabt hatte. Daher hielt es der Eu-ropäische Rat aus offensichtlichen Erwägun-gen des politischen Gleichgewichts herausfür opportun, das Cedefop nach Thessaloni-ki zu verlagern. Diese spontane Entscheidungtraf das Cedefop und seine Bediensteten wieein Blitz aus heiterem Himmel. Außerdemlief das Mandat von Piehl wenige Monate spä-ter aus, und es bestand die Notwendigkeit,einen neuen Direktor zu ernennen, der sichmit dem Umzug des Zentrums auseinandersetzen musste, der in relativ kurzer Zeit er-folgen musste. Im Frühjahr 1994 wurde Jo-han van Rens, Gewerkschaftsführer aus denNiederlanden, als neuer Direktor des Cedefopbenannt, während Stavros Stavrou, ein grie-chischer Wissenschaftler der Universität Thes-saloniki, zu seinem Stellvertreter ernannt wur-de. Der Umzug von Berlin nach Thessalo-niki warf eine ganze Reihe großer Problemeauf: Es musste ein neuer Sitz gefunden wer-den, und, was noch stärker wog, viele Be-dienstete lehnten es überhaupt ab, nach Grie-chenland umzuziehen. Die Europäische Uni-on erklärte sich daher bereit, mobilitätsför-dernde Maßnahmen zu ergreifen, und denBeamten des Cedefop, die nicht bereit wa-ren, nach Thessaloniki umzuziehen, wurdenStellen in anderen europäischen Institutionenangeboten. Bemerkenswert ist immerhin, dassder Haushalt des Zentrums aufgrund des Um-zugs sowie auch der zeitgleichen Erweite-rung der EU um drei neue Länder (Schwe-den, Finnland und Österreich) deutlich an-gehoben wurde (um etwa 48 %). Er beliefsich im Jahr 1996 auf 16,5 Mio. ECU und pen-delte sich in den folgenden Jahren bei etwa14,5 Mio. ECU ein. Außerdem wurde das Per-sonal des Cedefop aufgestockt: Sein Stel-

lenplan umfasste nunmehr 79 Bedienstete.Es handelte sich allerdings um ein radikal er-neuertes Personal, denn im Jahresbericht 1998stand zu lesen, dass seit 1995 14 Bedienste-te das Cedefop aus verschiedenen Gründenverlassen hätten. 26 Bedienstete hätten Stel-len bei der Europäischen Kommission oderanderen EG-Institutionen erhalten. 2 Be-dienstete befänden sich im Urlaub aus per-sönlichen Gründen (Cedefop, 1999). Im Jahr1998 waren 75 % der Bediensteten seit we-niger als drei Jahren im Dienst des Cedefop,23 % waren griechische Staatsbürger. Trotzdieser beträchtlichen Veränderungen ver-suchte das Cedefop, möglichst schnell zumnormalen Betrieb überzugehen. Im Jahres-bericht 1996 konnten der neue Direktorvan Rens und der Vorsitzende des Verwal-tungsrats Tom O'Dwyer mit einem gewissenStolz erklären, dass die Diskussionen und De-batten über die Neuausrichtung der Tätig-keiten des Zentrums entsprechend seines En-gagements für eine weitere Verbesserung sei-ner Leistung in der Genehmigung von mit-telfristigen, an den Leitlinien des Kommissi-onsmitglieds Cresson ausgerichteten Prio-ritäten durch den Verwaltungsrat ihren er-folgreichen Abschluss gefunden hatten. Diemittelfristigen Prioritäten gaben den Kurs fürdas künftige gezielte Handeln vor, um effektivauf den Bedarf an Informationen, Forschungund Zusammenarbeit auf europäischer Ebe-ne im Bereich der Berufsbildung zu reagie-ren. Wie der folgende Bericht zeige, spie-gelten die Tätigkeiten des Zentrums im Jahr1996 diese Entwicklung wider, wobei dreiHauptarbeitsbereiche im Mittelpunkt stün-den: Trends in der Qualifikationsentwicklung,Analyse der Berufsbildungssysteme und dieRolle des Zentrums bei der Förderung vonInformation und Kommunikation (Cedefop,1997). Von besonderer Bedeutung war deroffensichtliche Wille des Cedefop, seineBeziehungen zu den verschiedenen Ge-meinschaftsinstitutionen, insbesondere zurKommission, auszubauen, wie in allen Jah-resberichten betont wird. Sie belegen auchdie Beteiligung des Zentrums an einer Rei-he von Initiativen der Kommission, insbe-sondere der Generaldirektion Bildung undKultur (siehe beispielsweise Cedefop, 1999,S. 15; Cedefop, 2000, S. 9).

Im Jahr 1999 konnte das Cedefop, auch dankder Anstrengungen der griechischen Behör-den, ein neues Gebäude in der Umgebungvon Thessaloniki beziehen. Im folgendenJahr konnte das Zentrum den 25. Jahrestagseiner Gründung begehen (Cedefop, 2001).

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Das Cedefop war, zusammen mit der Eu-ropäischen Stiftung zur Verbesserung der Le-bens- und Arbeitsbedingungen mit Sitz inDublin, die erste europäische Agentur. Ent-standen Mitte der 1970er Jahre, im Kiel-wasser eines zunehmenden Interesses derGemeinschaft für die Sozialpolitik, hatte dasZentrum eine wechselvolle Anfangsphase er-lebt, nicht nur wegen einiger organisatori-scher Hindernisse, sondern auch aufgrundder Schwierigkeit, seine eigene Rolle undseine Beziehungen zu den Gemeinschafts-organen zu definieren. Ein zentraler Faktorwar in diesem Zusammenhang das Verhält-nis zur Kommission. Wenn Brüssel auch rechthäufig demonstrierte, dass es das Cedefopals einfaches „Anhängsel“ betrachtete, an dasman sich wendete, um Studien- und For-schungsarbeiten in Auftrag zu geben, sobemühte sich das Zentrum darum, eigeneHandlungsspielräume zu erobern. Denn dasCedefop hatte durchaus die Absicht, nichtnur seine eigenen Kompetenzen anzubieten,sondern auch eigenständige Beziehungen zuden Sozialpartnern, den Regierungen der Mit-gliedstaaten und den Gemeinschaftsorganen

aufzubauen, insbesondere im Hinblick aufdie Entwicklung politischer Strategien im Be-reich der Berufsbildung. Ab Mitte der 1980erJahre konnte das Cedefop nicht nur vom Aus-bau der Zuständigkeiten der Gemeinschaftim Bereich der Berufsbildung und dem Starteiner ganzen Reihe von Gemeinschaftspro-grammen profitieren, sondern auch von derimmer engeren Verknüpfung zwischen Be-rufsbildung und allgemeiner Bildung sowieden vielfältigen neuen Instrumenten und demimmer stärkeren Bedarf nach Informationen,Austausch und Zusammenarbeit in den ein-schlägigen Bereichen im europäischen Zu-sammenhang. Auch die Tendenz zur Ein-richtung einer zunehmenden Zahl von Agen-turen durch die Europäische Union spieltein diesem Zusammenhang eine Rolle. DasCedefop stellt daher heute ein gefestigtesElement im Panorama der EU dar und nimmt- innerhalb der vorgesehenen institutionel-len Grenzen - eine eigenständige Funktionin Bezug auf die politischen Strategien imBereich der Berufsbildung, sowohl auf na-tionaler als auch vor allem auf Gemein-schaftsebene wahr.

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Problemstellung, zeitlicheEingrenzung und Quellen

Gegenstand dieses Artikels sind zwei engmiteinander verknüpfte Fragen:

❑ Welchen Platz nahm das Thema der Be-rufsbildung in François Mitterrands Vor-stellung eines europäischen Sozialraums inden Jahren 1981 bis 1984 ein?

❑ Welche Faktoren führten in diesem Zeit-raum dazu, dass die berufliche Bildung -insbesondere die junger Menschen - zu ei-nem vorrangigen Ziel der französischen eu-ropäischen Sozialpolitik geworden ist?

Warum der Zeitraum 1981-1984? Ist dieseEingrenzung gerechtfertigt?

1981 ist das Jahr, in dem in Frankreich dieLinke an die Macht kommt. Nach über 20Jahren in der Opposition ist allein diese Tat-sache bereits ein bedeutender politischerUmbruch (Berstein, 1998). Und das Jahr 1984ist, obgleich weniger bedeutend, auch einJahr des Umbruchs, da François Mitterrandnach einer tief greifenden Krise, die sich amBildungswesen entzündete (Bertinotti, 2001),eine große Regierungsumbildung vornimmt.Am 17. Juli wird Pierre Mauroy als Pre-mierminister von Laurent Fabius abgelöstund damit eine neue Seite in der Geschich-te der Linken aufgeschlagen.

Und wie sieht es mit der Europäischen Ge-meinschaft aus? In die Jahre 1981 bis 1984

fällt die Krise des Agrarhaushalts: es istdie Zeit der Verhandlungen, die im Juni 1981mit dem Bericht durch den neuen Kom-missionspräsidenten Gaston Thorn über dasMandat vom 30. Mai (1) beginnen und dreiJahre später beim Europäischen Rat vonFontainebleau ein vorläufiges Ende neh-men. (2)

Was die europäische Sozialpolitik anbelangt,zu der natürlich auch die berufliche Bildunggehört, so fallen in diesen Zeitraum auchdie Verhandlungen bezüglich der Reformdes Europäischen Sozialfonds (ESF); 1984war das Jahr, ab dem unter französischerund irischer Ratspräsidentschaft die neuen,vom Europa der Zehn verabschiedeten Aus-richtungen Anwendung finden. Zudem seidaran erinnert, dass 1981 das Jahr war, abdem die Zuständigkeiten für die allgemeineund die berufliche Bildung unter einem ein-zigen Kommissar - Ivor Richard, der diesesAmt bis 1984 ausüben sollte - zusammen-gelegt werden. (3) So hat die Gemeinschaftin diesem Jahr die Bereiche Beschäftigung,Soziales und Bildung zu einem Ressort zu-sammengefasst.

Auf welche Quellen haben wir zurückge-griffen, um uns diese drei Jahre näher an-zuschauen? Da wären zunächst diverse öf-fentliche französische und europäische Do-kumente aus der damaligen Zeit, eine Fül-le an „grauer Literatur“ über diesen Zeitraumund zu diesem Thema sowie - und vor al-len Dingen - die Archive des französischenPräsidialamts. Ergänzt wurden diese schrift-

Der Platz der berufli-chen Bildung in derVorstellung eines europäischen Sozial-raums von FrançoisMitterrand (1981-1984)

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Georges SaunierLehrbeauftragter amFrançois-Mitterand-Institut.Dozent für Geschichteder zeitgenössischeninternationalenBeziehungen an denUniversitäten Cergy-Pontoise und Paris IPanthéon-Sorbonne

Zwischen 1981 und 1984, währendder Haushaltskrise der Europäi-schen Gemeinschaft, führen dieZehn bedeutende Verhandlun-gen in Verbindung mit der Re-form des Europäischen Sozial-fonds.Gleichzeitig findet in Frankreichein wichtiger politischer Wandelstatt: die Linke kommt, angeführtvon François Mitterrand, an dieMacht. Dieser hat für den BereichSoziales den Europäischen Part-nern ein klares Programm vor-zuschlagen, das er unter dem Be-griff „Europäischer Sozialraum“zusammenfasst.Kernpunkte dieses Konzepts wa-ren eine konzertierte Reflations-politik zur Belebung der Wirt-schaft (über zusätzliche Staats-schulden) sowie ein Versuch, dieVerkürzung der Arbeitszeit zu ei-ner Priorität für Europa zu ma-chen.Angesichts der ablehnenden Hal-tung der Hauptpartner ändertesich aber das Projekt für einenEuropäischen Sozialraum. Die-ser Wandel beruht allerdings wei-testgehend auf dem Ausbau derBerufsbildung. So wird Frank-reich nach monatelangen Ver-handlungen zu einem engagier-ten Befürworter der Berufsbil-dung in Europa.

(1) EG Bull., 6-1981, 1.2.1.

(2) 18. Gesamtbericht EG, S. 22-23.

(3) 15. Gesamtbericht EG, 543, S. 228.

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lichen Quellen durch Gespräche mit fran-zösischen Zeitzeugen.

1981-1984: ein schwierigergemeinschaftlicher Rahmen

Die Entwicklung der europäischen Sozial-politik und somit auch der Berufsbil-dungsprojekte ist in hohem Maße von dengemeinschaftlichen Rahmenbedingungenabhängig. Und die erste Hälfte der 1980erJahre ist durch eine tief greifende Krise derGemeinschaft gekennzeichnet. Angesichtsder bevorstehenden Herausforderungen -Erweiterung, Wirtschaftskrise, zahlreicheReformen - droht Europa die finanziellePleite. Die eigenen Ressourcen sind prak-tisch erschöpft, während es überdies Mar-garet Thatcher gelingt, den britischen Bei-trag zu senken. Diese Situation führt dazu,dass die von den zehn Mitgliedstaatennational praktizierte strikte Haushaltspoli-tik auf den gesamten Haushalt der Ge-meinschaft ausgedehnt wird. Betroffen hier-von sind die Agrarpolitik der Gemeinschaft,die damals knapp 70 % der Brüsseler Aus-gaben verschlingt, aber auch andere Poli-tikbereiche und somit auch die Sozialpo-litik und die Berufsbildung. Für die Ver-stärkung oder gar Weiterentwicklung vonInitiativen in diesen Bereichen ist der fi-nanzielle Rahmen damals kaum geeignet.Die meisten Überlegungen in dieser Zeitzielen vielmehr auf Rationalisierung ab, d.h.auf die Festlegung klarer Prioritäten für diegeplanten Aktionen.

Es ist das Europa der „zu kleinen Schritte“,das Europa der gescheiterten Gipfel - wiebeispielsweise der von Athen im Dezember1983; das Europa der ständig verschobenenEntscheidungen; das Europa des europäi-schen Beitrags und des berühmten Aus-spruchs von Margaret Thatcher „I want mymoney back“. Es ist auch das Europa, in demsich die besonderen deutsch-französischenBeziehungen verändern: dem GespannSchmidt-Giscard folgt das Gespann Kohl-Mitterrand.

Die Übernahme der Macht durch die Lin-ke erfolgt also in einem gemeinschaftlichenUmfeld, das zumindest als unruhig bezeichnetwerden kann. Nichtsdestotrotz ist es nunAufgabe der Linken, die französische Euro-papolitik und die damit verbundenen sozi-alpolitischen Themen zu gestalten.

Das sozialistische Projekt und dasKonzept eines europäischenSozialraums

Geht man von ihren programmatischen Schrif-ten Ende der 1970er bzw. Anfang der 1980erJahre aus (Parti socialiste et al., 1973; Partiesocialiste, 1978 und 1980), so haben die fran-zösischen Sozialisten ehrgeizige Pläne fürEuropa. Den Kern ihres Projekts bildet dieUmsetzung eines umfangreichen Sozialpro-gramms.

Diese Absicht ist in hohem Maße ideologischgeprägt. Die französischen Sozialisten, dieGefolgsleute von François Mitterrand undauch François Mitterrand selbst gehen da-von aus, dass, je sozialer die AusrichtungEuropas ist, desto leichter die Umsetzungdes sozialistischen Programms in Frankreichsein wird. Diese Einstellung lässt sich in vie-lerlei Hinsicht in einem Satz zusammenfas-sen: „Das gemeinsame Programm europäi-sieren“ (Saunier, 2001). Mit anderen Worten,die Umsetzung auf europäischer Ebene derKernpunkte des Anfang der 1970er Jahreverabschiedeten Programms der Sozialisti-schen Partei und ihres kommunistischenPartners.

Was bedeutet dies konkret für die Sozial-politik? Drei Prioritäten lassen sich deut-lich erkennen: die Umsetzung einer kon-zertierten Politik zur Wiederbelebung derWirtschaft in Anlehnung an die KeynesscheTheorie; die Förderung der 35-Stunden-Wo-che auf europäischer Ebene; die Förderungdes Sozialdialogs auf allen Ebenen der Ge-meinschaft und insbesondere die Wieder-aufnahme der dreiseitigen Gespräche, überdie in jener Zeit viel diskutiert wird - es gehtdarum, die Arbeitsbedingungen der eu-ropäischen Beschäftigten durch Rahmen-vereinbarungen zwischen den Sozialpart-nern zu verbessern.

Diese drei Punkte bilden den Kern der Vor-stellung eines sozialen Europas der fran-zösischen Linken, als diese an die Machtkommt. Nichts anderes meint François Mit-terrand, als er seinen Partnern im Juni 1981,nur wenige Tage nach seinem Einzug inden Elysée-Palast, vorschlägt, einen, wie eres nennt, „europäischen Sozialraum“ ein-zurichten.“ (4)

Welchen Platz nimmt die Berufsbildung indiesem europäischen Sozialraum ein? DieWahrheit ist: keinen nennenswerten.

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(4) Nationalarchiv; 5AG4-2231; Ré-sumé écrit de l'intervention de M.Delors au cours du conseil conjointeco/fin - social, 11. Juni 1981; Nationalarchiv; 5AG4-2231; Textenon officiel de l'intervention de M.Auroux au conseil EcoFin Social, 11.Juni 1981; Nationalarchiv; AA64-12581; Con-férence de presse de M. François Mit-terrand, Président de la RépubliqueFrançaise, l'issue du conseil européende Luxembourg; Präsidialamt, Pres-sestelle; 30. Juni 1981; EG Bull. 6-1981, 1.1.5.

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In ihren programmatischen Erklärungenäußern sich Sozialisten so gut wie gar nichtzu diesem Thema. Das anlässlich der erstenEuropawahl 1979 von den Sozialisten ver-abschiedete Programm enthält gerade ein-mal vier Zeilen zu einem Thema, das in kein-erlei Hinsicht eine Priorität darstellt. (5) Undwas das französische Memorandum anbe-trifft, das Paris den Mitgliedstaaten im Ok-tober 1981 auf den Verhandlungstisch legt,so enthält es trotz der angekündigten kon-kreten Schritte kaum Verweise auf die be-rufliche Bildung, nämlich knapp sechs Zei-len, während fast 80 Zeilen auf die Sozial-politik entfallen. Aus diesen sechs Zeilengeht hervor, dass die Bekämpfung der Lang-zeitarbeitslosigkeit und die Ausbildung inneuen Technologien verstärkt werden sol-len. (6) Der zweite Punkt ist allerdings nichtunwichtig, doch hierzu später mehr.

Während die Berufsbildung im europäischenDiskurs der Sozialisten so gut wie nicht vor-kommt, so spielt sie doch eine wichtige Rol-le in den innen- und bildungspolitischenProgrammen der Sozialisten. So wird in dem1978 verabschiedeten Plan socialiste pourl'éducation nationale (sozialistischer Planfür das nationale Bildungswesen) (Mitterand,1978) der beruflichen Bildung eine zentra-le Bedeutung für die von der Linken ange-strebte große Reform des Bildungswesensbeigemessen. Vor dem Hintergrund zu-nehmender Schwierigkeiten auf dem Ar-beitsmarkt soll die berufliche Bildung nachdiesem Plan eine Reihe von Aufgaben er-füllen: die Vermittlung der neuen Techno-logien; aktive statt passive Staatsausgaben(es ist besser, mehr Geld für eine erfolgrei-che Umschulung eines Beschäftigten aus-zugeben, als Arbeitslosengeld zu zahlen);die Förderung der Eingliederung von Ju-gendlichen in das Berufsleben. Diese Zielehaben durchaus ihre Bedeutung, da man siespäter auch auf europäischer Ebene wiederaufgreifen wird.

Ein Schwerpunkt der französischen Linkensind schon immer Bildungsfragen gewesen.Unter den Parteimitgliedern und Abgeord-neten der Sozialistischen Partei befinden sichzahllose Lehrer. So spricht die Oppositionnicht ganz ohne Grund in jener Zeit von der„Republik der Lehrer“. Trotz des starken In-teresses an der Berufsbildung bleibt aber dieSchule in den Augen der Sozialisten derfrühen 1980er Jahre das entscheidende Um-feld, in dem die Bürger und Beschäftigtender Zukunft herangebildet werden. Und

so wird die berufliche Bildung nicht ohneMisstrauen betrachtet: Schüler oder Studen-ten am Ende - oder sogar während - ihrerSchul- bzw. Studienzeit zwecks Praktikumin einen Betrieb zu schicken, d.h. die Schu-len zu den Unternehmen hin zu öffnen, istfür die französische Linke durchaus nichtselbstverständlich. Diese Skepsis erklärt auchzum Teil die typisch französische Unter-scheidung zwischen „formation profes-sionnelle“ (berufliche Ausbildung) und „en-seignement professionnel“ (berufliche Schul-bildung), d.h. zwischen einem Bildungswegfür Arbeitende (Weiterbildung) und einemberuflich ausgerichteten Bildungsweg fürSchüler und Studenten (Erstausbildung).

Entwicklung des Projekts: Priorität fürdie berufliche Bildung der Jugend

Wiederbelebung der Wirtschaft, 35-Stunden-Woche und Sozialdialog, das sind im Som-mer 1981 die drei Prioritäten der französi-schen Verhandlungsdelegationen und diezentralen Themen der Sozialisten auf eu-ropäischer Ebene. Als eigenständiger Punktwird die berufliche Bildung in diesem Zu-sammenhang nur selten angesprochen. ImGrunde genommen widmet sich die sozia-listische Regierung diesem Thema nur imRahmen ihrer Konzepte zur Neuordnung derIndustriestrukturen. Auch wenn es einigeÜberlegungen zum Thema Berufsbildungvon Jacques Attali (7) - dem Sonderberaterdes Präsidenten, eine Art Ideenfabrik im Ely-sée-Palast - gibt, bleibt festzustellen, dassdie Frage der Berufsbildung in den Archiv-dokumenten aus jener Zeit praktisch nichtvorkommt.

Wie kann es angesichts dieses offenbargeringen Interesses sein, dass die Berufs-bildung zu einer der zentralen Positionender französischen Außenpolitik wird?

Drei Faktoren können diesen Umstand er-klären.

In erster Linie ist hier das Scheitern deseuropäischen Sozialraums in der ursprüng-lich von François Mitterrand anvisierten Formzu nennen. Für Margaret Thatcher und Hel-mut Schmidt machten die grundsätzliche Ver-kürzung der Arbeitszeit oder die konzertierteWiederbelebung der Wirtschaft damals kei-nen Sinn. Im Gegenteil, sie erachteten die-se Maßnahmen als potenziell kontrapro-duktiv, da in ihren Augen die Bekämpfungder Inflation das vorrangige Problem dar-

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(5) „Die Ausdehnung der Berufs-bildungsmöglichkeiten auf alle eu-ropäischen Werktätigen, wenn diesfür ihre weitere Beschäftigung undinsbesondere für ihren Aufstieg not-wendig ist.“ (Manifeste socialiste pourl'élection européenne, 1978, S. 4.

(6) EG Bull. 11-1981, 3.5.1.

(7) Im Auftrag des Präsidenten ent-wickelt Jacques Attali verschiedenekonkrete Projekte, die eine Vertie-fung der europäischen Integrationermöglichen. Ein Punkt ist hierbeider Umsetzung einer offensiven undinnovativen Industriepolitik gewid-met - das heißt eine Politik, die imGegensatz zu den Maßnahmen fürdie europäische Stahlindustrie, nichtnur den Ist-Zustand bewahrt. DerSonderberater weist darauf hin, dasseine solche Politik auch ein auf dieneuen Technologien ausgerichtetesBerufsbildungsprogramm umfassenmüsste. Nationalarchiv; 5AG4-2231;Attali, Jacques, Europäischer Rat vonLuxemburg (29.-30. Juni 1981); 29.Juni 1981.

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stellte. Und auch der Sozialdialog stand nichtauf der Tagesordnung: auf der einen Seitefuhr Maggie Thatcher in Großbritannienschwere Geschütze gegen die Gewerkschaftenauf, auf der anderen betrachtete die deut-sche Regierung Tarifverhandlungen als na-tionale Angelegenheit. Kurzum, die fran-zösische Regierung muss schon im Herbst1981 das Scheitern ihres Vorhabens feststellenund weiß, dass sie ihre Positionen über-prüfen und anpassen muss. Diese Anpas-sung hat zwei wesentliche Konsequenzen:

❑ erstens, die ursprünglichen Prioritätenwerden entweder aufgegeben oder an dieherrschenden Machtverhältnisse angepasst(Saunier, 2001). So wird aus der Arbeits-zeitverkürzung die Arbeitszeitgestaltung. Mitanderen Worten, die 35-Stunden-Woche wirdzunächst aufgegeben und stattdessen sinddie Franzosen bereit, über andere Maßnah-men zu verhandeln - Teilzeitarbeit, Vorru-hestand usw.;

❑ zweitens, die französischen Verhand-lungsführer beginnen verstärkt damit, sichauf den so genannten „GemeinschaftlichenBesitzstand“ zu berufen, das heißt auf Punk-te, für die ein Konsens der Mitgliedstaatenmöglich erscheint. Im Fall der Sozialpolitikdrängt sich hierbei das Thema Berufsbil-dung auf. So betreibt die Europäische Kom-mission zu dieser Zeit bereits mehrere Pi-lotprojekte zu diesem Thema, mit dem siesich in aller Regel im Rahmen der Europäi-schen Gemeinschaft für Kohle und Stahl(EGKS) befasst. (8)

Das Scheitern der „Europäisierung“ desgemeinsamen Programms der Linken trägtso - paradoxerweise - zur Förderung derBerufsbildung auf europäischer Ebene bei,da sich die französische Regierung bei derNeuausrichtung ihrer Prioritäten nun auf die-sen Bereich konzentriert.

Der zweite Faktor ist ein rein französischer.Die Grundidee bestand darin, dass die Poli-tik der Europäischen Gemeinschaft eine sinn-volle Ergänzung zu der Berufsbildungspoli-tik sein könnte, zu deren Um- bzw. Fortset-zung sich die französische Regierung ent-schlossen hat. Auch hier handelt es sich umeine deutliche Kursänderung. Die in ihremUmfang und ihren Auswirkungen nur bedingtwirksame Politik der Wirtschaftsbelebung (Re-flation) der sozialistischen Regierung stößtsehr schnell an ihre Grenzen. Schon im Herbst1981 wird deutlich, dass die Ankurbelung der

Nachfrage in einem offenen europäischenMarkt ausländischen Erzeugnissen mehr nutztals französischen. (9) Das Ergebnis - ein wach-sendes Defizit der Handelsbilanz, das eineSchwächung des Franc und mehrere Ab-wertungen nach sich zieht - spricht für sich.Die französische Regierung stellt fest, wiegroß der Rückstand der europäischen undinsbesondere der französischen Industrie ist,die unfähig ist, auf die Ankurbelung der Nach-frage zu reagieren, und die mit ihren Haupt-wettbewerbern Japan und den USA nicht mit-halten kann. Dieser Rückstand ist in den tra-ditionellen Industriezweigen groß - Kohle,Stahl, Schiffbau, Textil usw. -, aber auch inden Bereichen neue Technologien, Informa-tik, Robotik und Biotechnologie. Während inden traditionellen Industriezweigen die Lö-sung dieses Problems in strukturellen Verän-derungen liegt, sind in den Technologie-branchen Investitionen und vor allen Dingeneine bessere Ausbildung der Arbeitskräfte er-forderlich.

Eng verbunden mit dieser Bestandsaufnah-me der europäischen Industrie führt auchdie trotz aller makroökonomischer Maß-nahmen der sozialistischen Regierung zu-nehmende Arbeitslosigkeit und insbeson-dere die Zunahme der Jugendarbeitslosig-keit (10) zu einer grundsätzlichen Erkennt-nis: es handelt sich nicht um ein Konjunk-turproblem, sondern um eine strukturelleKrise.

Diese zweifache Feststellung - Jugendar-beitslosigkeit auf der einen Seite, notwen-dige Modernisierung der französischen Pro-duktion auf der anderen - veranlasst die Re-gierung zu einer Verstärkung und Weiter-entwicklung der in den 1970er Jahren be-gonnenen Berufsbildungspolitik (Cedefop,1999, S.29ff), insbesondere im Bereich derneuen Technologien. Diese Politik nimmtverschiedene Formen an:

❑ die Schaffung lokaler Eingliederungs-einrichtungen („missions locales“) im Jahre1982 - ausgelöst durch den wichtigen Be-richt von Bertrand Schwartz (11) - mit demZiel, Jugendliche besser über die verfüg-baren Berufsbildungsmöglichkeiten zu in-formieren (12);

❑ das Programm „Informatik für alle“ imJahre 1983, bei dem unter anderem alleSchüler den Umgang mit einem Computerlernen sollten, um einen leichteren Einstiegin das Berufsleben zu haben, sowie ein spe-

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(8) Pierre Morel, Berater von FrançoisMitterrand in Europafragen, weist ineiner Note vom November 1981 dar-auf hin, dass es notwendig ist, sichauf die vorbereitenden Dokumentedes Kommissionsberichts zu stüt-zen, um für Europa Fakten zu schaf-fen, d.h. konkrete Gespräche zu be-ginnen. Also muss man die mittel-und langfristigen Vorhaben vonein-ander trennen. Der europäische So-zialraum, den die übrigen Partnerablehnen, kann nur ein langfristigangelegtes Projekt sein. Es ist jedochmöglich, bereits in die richtige Rich-tung zu gehen und sich dabei aufkurzfristige Projekte zu stützen. Indiesem Zusammenhang verweistPierre Morel auf die Unterstützungder Jugend, die, nach Auffassungder Kommission, über die Berufs-bildung erfolgen muss. Nationalar-chiv; 5AG4-2232; Morel, Pierre, Prépa-ration du Conseil Européen de Lon-dres (26-27 novembre): entretienavec Monsieur Thorn, Présidence dela République, 7. November 1981.

(9) Zu den wirtschaftlichen Aspek-ten der Politik der französischen So-zialisten siehe folgende Artikel: As-selain, 2001; Saunier, 2002.

(10) Die Zahl der Arbeitslosen ver-doppelte sich zwischen 1978 und1982 in der EWG, wobei insbeson-dere junge Menschen betroffen wa-ren. 1982 waren fast 17 % der jun-gen Franzosen arbeitslos; in der Ge-meinschaft der 10 lag dieser Anteilsogar bei 40 %.

(11) Als ehemaliger Schüler der Éco-le Polytechnique und Ingenieur beimCorps des Mines wurde BertrandSchwartz im Mai 1981 vom Pre-mierminister mit der Erstellung ei-nes Berichts über die soziale undberufliche Eingliederung von Ju-gendlichen mit Schwierigkeiten be-auftragt. Dieser Bericht diente An-fang der 1980er Jahre als Grundla-ge für die meisten politischen Maß-nahmen zur beruflichen Eingliede-rung.

(12) Verordnung Nr. 82-273 vom 26.März 1982 über die Maßnahmen, dieden 16- bis 18-Jährigen eine beruf-liche Qualifikation sicherstellen so-wie ihre soziale Eingliederung er-leichtern soll. Siehe http://www.legislation.cnav.fr/textes/ord/TLR-ORD_82273 _26031982.htm

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zielles Computerschulungsprogramm für ju-gendliche Arbeitslose (ebenfalls 1983);

❑ verschiedene branchenübergreifende Ver-einbarungen, darunter insbesondere eine imSeptember 1982 und eine im Oktober 1983.Mit der ersten wurde die Finanzierung derBerufsbildung umgestaltet, mit der zweitenwurden diverse Maßnahmen speziell für diealternierende Ausbildung eingeführt - Qua-lifizierungsvertrag, Ausbildungsanpassungs-vertrag, Befreiung von Sozialabgaben usw.Das Ganze führt im Februar 1984 zur Ver-abschiedung eines umfassenden Rahmen-gesetzes, mit dem die berufliche Bildung inFrankreich völlig neu geordnet wird;

❑ diverse Maßnahmen der sozialistischenRegierung zur Förderung von Praktika inBetrieben. So steigt die Zahl der Praktika indrei Jahren, zwischen 1980 und 1983, voneinigen tausend auf nahezu hunderttausendan - für die Sozialisten von damals eine klei-ne Revolution.

Mit diesem Maßnahmenkatalog startet dieRegierung eine umfangreiche Kampagnezugunsten der Berufsbildung. In den Jah-ren 1982 und 1983 hält François Mitterrandmehrere Ansprachen zu diesem Thema. (13)Das erklärte Ziel ist denkbar einfach: keinjunger Mensch soll das Bildungssystem oh-ne eine angemessene berufliche Ausbildungverlassen. Und nach Auffassung FrançoisMitterrands und seiner Mitstreiter sollte dieEuropäische Gemeinschaft hierbei eine Rol-le spielen können. So erinnert damals Pier-re Morel, technischer Berater und zustän-dig für Europafragen, daran, dass es zu denvitalen Interessen Frankreichs gehöre, sichauf Europa zu stützen, um die französischeIndustrie zu modernisieren; eine Moderni-sierung, die, so Morel, eine Intensivierungder Berufsbildungspolitik auf europäischerEbene voraussetze. (14) Allerdings musstennoch die übrigen Partner überzeugt und dieerforderlichen Regelungen bezüglich desESF verabschiedet werden. (15) Europa soll-te gewissermaßen als Hebel für die Politikauf nationaler Ebene wirken.

Der dritte und letzte Faktor, der den fran-zösischen Positionswechsel in Richtung Be-rufsbildung erklärt, ergibt sich weitgehendaus dem vorherigen und besteht zusam-menfassend in dem Willen, den „Nieder-gang“ der europäischen Industrie zu stop-pen. So weist die sozialistische Regierung inihren Ansprachen und Gesetzesvorlagen im-

mer wieder auf den strukturellen RückstandEuropas gegenüber seinen Hauptkonkur-renten hin. Ein Rückstand, der sich an denwiederholten Ölkrisen in dramatischer Wei-se offenbart und bei dem Europa die so ge-nannte dritte industrielle Revolution, die Ver-breitung der neuen Informations- und Kom-munikationstechnologien, zu verpassen droht.Vor diesem Hintergrund schlägt Paris seinenPartnern ein dezidiertes Vorgehen und dieUmsetzung einer mutigen gemeinsamen In-dustriepolitik vor (16), eine Idee, die von derEuropäischen Kommission und diversen Mit-gliedstaaten, insbesondere Italien, unterstütztwird. Der Schwerpunkt liegt natürlich aufder beruflichen Bildung der jungen Men-schen, der zukünftigen Arbeitskräfte einermodernisierten europäischen Industrie:

„Bei dem nun beginnenden Wettlauf mit derZeit geht es um die Fähigkeit unseres Bil-dungs- und Ausbildungssystems, sich raschan den laufenden technologischen und wirt-schaftlichen Wandel anzupassen.“ (17)

Nach dem politisch-wirtschaftlichen „Lehr-geld“, das sie Anfang der 1980er Jahre zah-len mussten, haben sich die französischenSozialisten eindeutig auf das Spielfeld fürdiesen Wettlauf festgelegt: Europa.

Die Verhandlungen

Sich an die Kräfteverhältnisse innerhalb derGemeinschaft anpassen, die nationalen Zie-le berücksichtigen, den wirtschaftlichen Nie-dergang Europas stoppen - es sind diesedrei Faktoren, die Frankreich veranlassen,die Berufsbildung in den Mittelpunkt ihrerVorschläge für die Wiederbelebung dereuropäischen Integration zu stellen.

Wie würden die Verhandlungen verlaufen?

Im Winter 1981/1982 nehmen die französi-schen Vertreter Gespräche mit ihrem deut-schen Partner auf. Dieser hat zwar Beden-ken gegen die Entwicklung einer neuen -und möglicherweise kostspieligen - Politik,erklärt sich aber bereit, die Reformen desESF und des Europäischen Fonds für Re-gionalentwicklung (EFRE) zu prüfen. (18) Esist ein erster Schritt. Frankreich legt dar-aufhin eine Reihe von Vorschlägen für die-se Reformen vor. In diesen Vorschlägen neh-men die Berufsbildung und die neuen Tech-nologien einen angemessenen Platz ein. (19)Die französischen Vorschläge finden zwarzunächst die Zustimmung der Kommission

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(13) 25. Oktober 1982, Rede beim In-ternationalen Rat für Erwachsenen-bildung, http://www.discours-mit-terrand.org/rep_file/821025.htm (zi-tiert 11.5.2004);

(14). November 1984, Treffen zumThema soziale und berufliche Einglie-derung der Jugendlichen,http://www.discours-mitterrand.org/rep_file/831114.htm (zitiert11.5.2004);In diesen Reden ist Europa nichtgänzlich abwesend. So erklärt Mit-terand am 25. Oktober 1982: „Ichwünsche mir, dass die MaßnahmenFrankreichs [im Bereich der Ausbil-dung der Frauen und Männer] undeiniger anderer in eine Politik aufEbene der Europäischen Gemein-schaft eingebettet werden.“

Nationalarchiv; 5AG4-21PM; Intérêtsvitaux de la France en matière eu-ropéenne; 6. Juni 1983.

(15) Die französische Haltung zu die-ser Frage wird Ende 1982 in einerNote des Generalsekretariats des in-terministeriellen Komitees, das fürdie Koordinierung der Europafra-gen auf Ministeriumsebene zustän-dig ist, präzise zusammengefasst. Sieerinnert daran, dass die Priorisie-rung der Berufsbildung von meh-reren Mitgliedstaaten geteilt wird,die sich wie Frankreich dem Zielanschließen, jedem Jugendlichenvor dem Eintritt auf dem Arbeits-markt die Chance zu einer berufli-chen Ausbildung oder ersten Be-rufserfahrung zu geben. Diese Pri-orität sollte vom Europäischen So-zialfonds unterstützt werden. Zu die-sem Zweck sollten dessen Statutenan diese neue Aufgabe angepasstund seine Ressourcen teilweise neuverteilt werden. Nationalarchiv; 5AG4-2236; Action en faveur de l'emploides jeunes; SGCI; 24. November 1982.

(16) Nationalarchiv; 5AG4-24PM; Unenouvelle étape pour l'Europe: unespace de l'industrie et de la re-cherche; 12. September 1983.

(17) Nationalarchiv; 5AG4-27PM; Espa-ce social européen (Schéma d'inter-vention: Matignon); 23. Juni 1984.

(18) Nationalarchiv; 5AG4-2233;DELORS (Jacques), Tentative de dé-finition d'une position communefranco-allemande sur les problèmeseuropéens, Ministère de l'Econo-mie et des finances, Le ministre, 4.November 1981.

(19) Nationalarchiv; 5AG4-2232; Re-form des Europäischen Sozialfonds;SGCI, Generalsekretariat; 13. No-vember 1981.

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(20), aber diese lässt aber sich mit der Vorla-ge konkreter Vorschläge sehr viel Zeit. Dieersten Maßnahmen werden erst im Herbst1982 von Brüssel veröffentlicht, darunterauch einige sehr gewagte. (21)

Diese Verzögerung erklärt möglicherweise,warum die erste nennenswerte politischeVereinbarung zu diesem Thema zunächstdirekt zwischen den zehn Mitgliedstaatenerfolgt, und zwar anlässlich eines Europäi-schen Ratstreffens im März 1982 in Brüssel.Dort verpflichten sich die Staats- und Re-gierungschefs dazu, binnen fünf Jahren je-dem Jugendlichen eine an die neuen Ar-beitsmarktbedingungen angepasste Ausbil-dung zu ermöglichen. (22) Trotz dieses Im-pulses auf höchster politischer Ebene dau-ert es allerdings noch ein weiteres Jahr, bisdie ersten konkreten Entscheidungen be-züglich des ESF getroffen werden. Grundhierfür ist, dass zu dieser ohnehin kompli-zierten Frage nun auch das Problem derFinanzierung kommt, das sich mit ganz ein-fachen Worten formulieren lässt: wie solldie Gemeinschaft angesichts ihrer eigenenFinanzkrise eine neue Politik umsetzen? Wiekann sie eine umfassende europäische So-zialpolitik umsetzen, wenn mit allen Mittelnversucht wird, den Haushalt der Gemein-schaft zu begrenzen? Dies sind die Fra-gen, auf deren Grundlage die Verhandlun-gen im Rahmen des Ausschusses der Stän-digen Vertreter (COREPER) und des Minis-terrates beginnen. Schon nach kurzer Zeitgelingt es der „europäischen Kompromiss-maschine“, die Reformen des ESF und desEFRE miteinander zu verknüpfen. Schließ-lich kommt es auch zu einem Kompromisszwischen Paris und Bonn, als Deutsch-land den EG-Vorsitz inne hat. (23) Frankreichverzichtet auf eine Quotenregelung für denEFRE, erhält aber im Gegenzug die Zusage,dass der ESF nicht regionalisiert wird unddass die Mittel des ESF ziel- und nicht ge-bietsorientiert eingesetzt werden. Auf derGrundlage dieses Kompromisses trifft derMinisterrat vom Juni 1983 eine erste Ver-einbarung, die nach Konzertierung mit demEuropäischen Parlament im Oktober 1983bestätigt wird. (24) Es war die erste großeReform des ESF. Von nun an sollten knapp75 % der Mittel des Fonds für drei Arten vonMaßnahmen zugunsten arbeitsloser Ju-gendlicher bereit gestellt werden, darun-ter insbesondere:

❑ Ausbildung in den neuen Technologien;

❑ Nutzung der neuen Technologien in derberuflichen Bildung;

❑ Finanzierung gezielter Maßnahmen zurberuflichen Eingliederung von Jugendlichen.

So entsprach die Bündelung der Ressourcendes ESF auf die berufliche Bildung unter Ein-haltung einer gewissen Haushaltsdisziplin -in der Vereinbarung war auf keinen Fall ei-ne nennenswerte Erhöhung der Mittel vor-gesehen - weitgehend den französischen Vor-stellungen. Paris, das den ESF zwecks Finan-zierung einiger nationaler Maßnahmen zurberuflichen Eingliederung von Jugendlichenumgehend in Anspruch nehmen sollte, sahin dieser Vereinbarung einen ersten - ob-gleich zaghaften - Schritt in die Richtungeines echten europäischen Sozialraums, d.h.hin zu einem Europa, das in der Lage ist, diegemeinsam festgelegte Sozialpolitik der Mit-gliedstaaten zu unterstützen.

Sicher kann man bei diesen Verhandlungeninsofern von einem gewissen Erfolg Frank-reichs sprechen, als es Paris gelungen war,einige seiner Prioritäten auf europäischerEbene durchzusetzen, aber auf der anderenSeite lässt sich auch feststellen, dass die eu-ropäische Debatte die französische Linkebeeinflusst hat. Diese Feststellung, die aufzahlreiche Bereiche zutrifft, gilt auch für dieBerufsbildung und die Sozialpolitik. Vondieser Entwicklung zeugt das Parteipro-gramm der Sozialisten vor den Europawahlen1984. Im Gegensatz zum Programm von1979 wird der beruflichen Bildung nun einwesentlich höhere Bedeutung beigemessen(Parti socialiste, 1984).

Der ESF widmet sich ab 1984 voll und ganzseinen neuen Prioritäten und bestätigt da-mit eine Ausrichtung, die einige Jahre zuvoreingeleitet worden war.

Schlussfolgerungen

Mit ihrem Wunsch nach Entwicklung ei-ner ehrgeizigen Sozialpolitik auf europäi-scher Ebene erkennen die französischenSozialisten Anfang der 1980er Jahre sehrschnell die zwingende Notwendigkeit derberuflichen Bildung, auch wenn sie an-fangs nicht ein fester Teil ihrer Überle-gungen war. Die gleiche Feststellung läs-st sich in auch in anderen verwandten Be-reichen treffen, so zum Beispiel bezüglich

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(20) Nationalarchiv; 5AG4-2391; Diewirtschaftliche und soziale Situati-on in der Gemeinschaft (Mitteilungder Kommission an den Europäi-schen Rat von Brüssel, 29. und 30.März 1982); EWG, Kommission; 22.März 1982.

(21) Insbesondere die Idee einer so-zialen Garantie für die Beschäfti-gung junger Menschen. Nationalar-chiv; 5AG4-2236; Volet social de lasession conjointe du Conseil (15. und16. November 1982); 24. November1982.

(22) Abl. EG 3-1982, 1.3.5.

(23) Nationalarchiv; 5AG4-21PM;Compte rendu succinct du ConseilAffaires Sociales du 2 juin 1983 -Reforme du Fonds Social Européen,Ministère de l'Economie et des fi-nances, Dir. du Trésor - Serv. des Af-faires internationales - Sous-Dir. desAffaires multilatérales, 3. Juni 1983.

(24) 17. Gesamtbericht, 305, S. 142.

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der gegenseitigen Anerkennung von Hoch-schulabschlüssen.

Welche Rückschlüsse lassen sich - historischund aus europäischer Sicht betrachtet - ausdiesen Entwicklungen für die berufliche Bil-dung ziehen?

Zurückgreifend auf die von Professor Wolf-Dietrich Greinert entwickelte und anerkannteUnterscheidung zwischen den verschiede-nen Arten der beruflichen Bildung, die der-zeit in Europa praktiziert werden (Greinert,2003, 2004), erkennt man am oben geschil-derten Beispiel Frankreich sehr deutlich denStand der Dinge. Hier wird ein normativesSystem angewendet, in dem der Staat un-angefochten eine Rolle als Regulierer undImpulsgeber spielt - die einzige Ausnahmehiervon bildet eventuell die Berufsbildungin der Landwirtschaft. Anzumerken bleibt,dass die Existenz von Modellen für einealternierende Berufsbildung von französi-scher Seite nicht in den europäischen Ent-scheidungsprozess eingebracht wird. Für Pa-ris ist das Ziel der beruflichen Bildung zwarvernünftigerweise ein gemeinsames, ihreUmsetzung aber sollte Angelegenheit derMitgliedstaaten bleiben, auch wenn der Aus-tausch von „Ideen“ zwischen Fachleuten ver-schiedener Länder durchaus wünschenswertsein kann.

So reicht der normative Rahmen offenbarnicht als Erklärungsmodell für gewisse Ent-wicklungen auf europäischer Ebene aus, da

diverse Staaten diesen bei der Festlegungihrer Position nicht direkt berücksichtigen -auch wenn sich dies während der Ver-handlungen noch ändern kann. Konzentriertman sich hingegen - wie in diesem Artikelgeschehen - auf die Betrachtung des Ent-scheidungsprozesses, scheint der Begriff „Er-wartungshorizont“ geeigneter. So schaffenes die (damals) zehn Mitgliedstaaten näm-lich, jenseits aller zwangsläufig konkretenBerufsbildungsmodelle, sich Ziele und kol-lektive Mittel vorzugeben. Diese kleinen täg-lichen Wunder Europas - so die Formulie-rung einer amerikanischen Journalistin -könnten Außenstehende überraschen (Pond,1990). In Wirklichkeit erklärt sich dieses Phä-nomen aber aus dem Verhältnis zwischenVielfalt und Notwendigkeit. Die scheinbarunweigerlich problematische „Vielfalt“ Eu-ropas ordnet sich nämlich der „Notwendig-keit“ unter - allerdings ohne gänzlich zu ver-schwinden. An unserem Beispiel lässt sichdeutlich erkennen, wie die - im Zusam-menhang mit dem Aufbau Europas viel zi-tierten - Begriffe „Niedergang“ und „Wett-bewerb zwischen Wirtschaftsblöcken“ eineentscheidende Rolle bei der Festlegung ge-meinsamer Ziele für die berufliche Bildunggespielt haben. Wie in anderen Bereichenauch zeigt sich bei der Berufsbildung die in-tegrative Stärke Europas, die vor allen Din-gen in der Definition gemeinsamer Zieleliegt. Die Konvergenz und insbesondere dieKonvergenz der Bildungssysteme ist nur ei-ne logische Konsequenz dieser Stärke.

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Information, Vergleichsstudien

Arbeitsbeziehungen in Mittelosteuropa:Transformation und Integration: die achtEU-Beitrittsländer im Vergleich / Heri-bert Kohl und Hans-Wolfgang Platzer.Baden-Baden: Nomos Verlags-Gesellschaft,2003, 326 S.ISBN 3-8329-0093-4

Die Studie analysiert auf der Basis analogerLändererhebungen und Expertenanhörun-gen in den Beitrittsländern die Umgestaltungder Arbeitsbeziehungen und dokumentiertihren aktuellen Entwicklungsstand. Durchden Vergleich der arbeitsrechtlichen Grund-lagen und der Praxis auf betrieblicher, sek-toraler und nationaler Ebene wird ein kon-turiertes Bild der mittelosteuropäischenArbeitsbeziehungen gezeichnet. Trotz eineran Westeuropa orientierten Transformationverläuft die Entwicklung auf unterschiedlichsozialkulturell geprägten Pfaden. Zugleichwerden Strukturmerkmale sichtbar, die ei-nen „transformationsgesellschaftlichen Ty-pus” der Arbeitsbeziehungen begründen.Kennzeichen sind spezifische Strukturdefi-zite wie auch innovative Formen der be-trieblichen Beteiligung und einer überbe-trieblichen Konzertation und Verteilungs-politik. In einem Ost-West-Vergleich derGrundmodelle und transnationalen Trendsder Arbeitsbeziehungen in der bisherigenEU werden die zentralen arbeits- und tarif-politischen Aufgabenfelder in der erwei-terten Union ebenso wie die aktuellen Her-ausforderungen an das „Europäische So-zialmodell“ aufgezeigt. Dr. Heribert Kohl istfreiberuflicher Fachberater und -autor mitBüro für wissenschaftliche Publizistik undPolitikberatung (BwP) in Erkrath. Prof. Dr.Hans-Wolfgang Platzer ist im FachbereichSozial- und Kulturwissenschaften der Fach-hochschule Fulda tätig.

Career guidance and public policy: brid-ging the gap.[Berufsberatung und öffentliche Politik:die Lücke schließen]Organisation für wirtschaftliche Zusam-menarbeit und Entwicklung - OECDParis: OECD, 2004, 160 S.ISBN 92-64-10564-6 (en); 92-64-10565-4 (fr)

Lebenslanges Lernen und aktive Beschäfti-gungspolitik werden in zunehmendem Maßevon den OECD-Staaten als wichtige Instru-mente für Wirtschaftswachstum und sozia-le Gerechtigkeit angesehen. Wesentliche Vor-aussetzung für die Umsetzung dieser politi-schen Ziele sind effiziente Informations- undBeratungssysteme; zudem müssen sich alleBürger Laufbahnmanagement-Fähigkeitenaneignen, um ihre berufliche Laufbahn selbstzu gestalten. Allerdings klaffen noch großeLücken zwischen diesen politischen Zielenund der Leistungsfähigkeit der nationalenBerufsberatungssysteme. Die Inanspruch-nahme von Beratungsdiensten ist insbe-sondere für Erwachsene nur bedingt mög-lich. Diese Dienste konzentrieren sich allzuoft auf kurzfristige Entscheidungen und we-niger auf die Entwicklung von Laufbahnm-anagement-Fähigkeiten. Die Ausbildungs-und Qualifizierungssysteme für die Anbie-ter solcher Dienste sind oft ungeeignet oderrealitätsfremd. Die Koordinierung zwischenden maßgeblichen Ministerien und den In-teressengruppen ist mangelhaft. Die Evi-denzbasis reicht für eine sinnvolle Steuerungder Dienste durch die Politik nicht aus, daes keine geeigneten Daten über Kosten, Nut-zen, Kundenprofile oder Ergebnisse gibt.Und bei der Bereitstellung der Dienste wirdzu wenig auf IKT und andere kostengün-stige Instrumente zurückgegriffen, die eineflexiblere Ausrichtung auf den jeweiligenBedarf ermöglichen. Diese Publikation be-fasst sich auf der Grundlage einer Studiein 14 OECD-Staaten mit der Frage, wie dieKluft zwischen Berufsberatung und öffent-licher Politik geschlossen werden könnte.Sie plädiert dafür, die nationalen Koordi-nierungsvereinbarungen zu verbessern undder Forschung und der Erfassung von Da-ten als Grundlage für politische Entschei-dungen mehr Aufmerksamkeit zu widmen.Angeregt wird auch die Entwicklung vonverbesserten und spezielleren Ausbildungs-programmen für Berufsberater sowie dieSchaffung von stärker spezialisierten Lauf-bahnberatungsorganisationen als Anbieterdieser Dienste.

Completing the foundation for lifelonglearning: an OECD survey of upper se-condary schools.[Schaffung der Grundlage für lebens-

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Europa International

Lektüre zum Thema

Diese Rubrik wurdevon Anne Waniart,Bibliothekarin imCedefop, mit Unter-stützung der Mitgliederdes europäischen Fach-wissens- und Referenz-netzwerkes (ReferNet)zusammengestellt.

Die Rubrik „Literaturhinweise“enthält eine Sammlung jüng-ster einschlägiger Veröffent-lichungen über die Entwick-lung der Berufsbildung undder Qualifikationen auf eu-ropäischer und internatio-naler Ebene.Berücksichtigt wurden in er-ster Linie vergleichende Un-tersuchungen, aber auch na-tionale Studien, sofern sie imRahmen europäischer oderinternationaler Programmerealisiert wurden, Analysender Wirkung von Gemein-schaftsaktionen in den Mit-gliedstaaten und Berichteüber ein bestimmtes Land ausder Sicht Dritter.

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langes Lernen: eine OECD-Studie überSchulen der Sekundarstufe II.]Organisation für wirtschaftliche Zusam-menarbeit und Entwicklung - OECDParis: OECD, 2004, 172 S.ISBN 92-64-10372-4

Auf Grund der sich verändernden wirt-schaftlichen und sozialen Bedingungen über-nimmt die Bildung eine zentrale Rolle fürden Erfolg von Menschen und Nationen. Dadie Sekundarstufe II in den meisten OECD-Staaten die letzte Stufe der allgemeinen Schul-pflicht bildet, ist sie ein entscheidendes Bin-deglied für den weiteren Lebensweg. Wieerfolgreich decken höhere allgemein bil-dende Schulen den Bedarf moderner Ge-sellschaften? Worin sehen sie die größtenHindernisse bei der Vorbereitung der Ju-gendlichen auf einen langwierigen undzunehmend komplizierten Übergang vonder Schule in das Arbeitsleben? Dieser Be-richt liefert zum ersten Mal international ver-gleichbare Daten aus Schulen zu diesemThemenbereich. Aufgezeigt werden das Ma-nagement- und Finanzierungsmechanismender höheren allgemein bildenden Schulen,ihre Ansätze und Schwierigkeiten bei der Si-cherstellung qualifizierter Lehrkräfte und ih-re Bemühungen zur Unterstützung der be-ruflichen Weiterentwicklung der Lehrer. Ver-glichen wird zudem die Aufnahmepraxis derSchulen und wie sie die Schüler beim Über-gang in die Arbeitswelt unterstützen. Auchdie Frage, inwieweit die Schulen Informati-ons- und Kommunikationstechnologien mitErfolg in den Unterrichtsprozess einbinden,wird untersucht. Der Bericht basiert auf derinternationalen OECD-Studie über Schulender Sekundarstufe II, die 2001 in folgendenLändern durchgeführt wurde: Belgien (Fl),Dänemark, Finnland, Frankreich, Irland, Ita-lien, Korea, Mexiko, Niederlande, Norwe-gen, Portugal, Schweden, Schweiz, Spani-en, Ungarn.

Die gestaltende Region: Fallstudien zumHandlungsfeld beruflicher Bildung inSpanien und Großbritannien / Ute Lan-zendorf.Baden-Baden: Nomos Verlags-Gesellschaft,2003, 456 S.(Gesellschaft und Bildung, 15)ISBN 3-8329-0016-0

Regionale Instanzen waren bisher entwederder regionalen Selbsthilfe verpflichtet odernahmen staatliche Aufgaben wahr. Heute

wird die Region in Europa neu entdeckt alseine gesellschaftliche Problemlösungsebe-ne, die diese beiden Rollen verbindet: ImZuge von Regionalisierungsvorhaben über-nehmen selbstorganisierte Regionen Teil-aufgaben innerhalb eines generell weiterhinüberregional geregelten Handlungsfelds. DieArbeit analysiert Regionalisierungsprozes-se am Beispiel der beruflichen Erstausbil-dung. Zunächst arbeitet sie die Konstitu-ierung von Autonomen Gemeinschaften inSpanien und die Bildung von Training andEnterprise Councils in Großbritannien auf.Anhand von Fallstudien kann sie dann erst-mals aufzeigen, dass neuartige regionale In-stanzen in der Lage sind, das Praxiswissenansässiger Akteure in zentralstaatliche Re-formvorhaben hineinzuvermitteln. Diese Be-funde sind für politische Entscheidungsträ-ger genauso von Interesse wie für regiona-le Akteure, für die Bildungs-, Regional- undPolitikforschung und alle allgemein an Fra-gen gesellschaftlicher Gestaltung Interes-sierten. Die Autorin arbeitet als Geografinin der internationalen Bildungsforschung.

Education, training and labour marketoutcomes in Europe / Daniele Checchi,Claudio Lucifora.[Bildung, Ausbildung und Arbeits-marktauswirkungen in Europa]London, Basingstoke: Palgrave Macmillan,2004, 240 S.ISBN 140392080X

Diese Publikation wirft einen erfrischendenBlick auf die traditionelle Debatte überBildung, Ausbildung und Arbeitsmarktaus-wirkungen. Sie liefert empirische Fakten zudiesen Themen, darunter Daten, die sichspeziell auf Großbritannien und Italien be-ziehen. Die in diesem Band zusammenge-fassten Beiträge zeigen, dass sich Qualitätvon Bildung am Bildungsmarkt nur schwermessen lässt und nicht immer eine eindeu-tige Anerkennung am Arbeitsmarkt findet.

High skills: globalisation, competitivenessand skill formation / Phillip Brown, An-dy Green and Hugh Lauder.[Hohe Qualifikation: Globalisierung, Wett-bewerbsfähigkeit und berufliche Qua-lifizierung]Oxford: Oxford University Press, 2001,250 S.ISBN 0-19-924418-9

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Das Werk ist ein wichtiger Beitrag zur ak-tuellen Debatte über die Zukunft der be-ruflichen Qualifizierung vor dem Hintergrundder wirtschaftlichen Globalisierung, raschertechnologischer Innovationen und des Wan-dels in der allgemeinen und beruflichen Bil-dung und auf dem Arbeitsmarkt. Es stellt mitseiner holistischen Herangehensweise an diepolitische Ökonomie der hohen Qualifika-tion einen wichtigen theoretischen Fortschrittdar und hat Konsequenzen, von denen Un-ternehmensstrategien und die Regierungs-politik in Europa, Nordamerika und Asienin ihrem Kern betroffen sind.

Institutional approaches to teacher edu-cation within higher education in Eu-rope: current models and new develop-ments / edited by Leland Conley Bar-rows.[Institutionelle Ansätze für die Lehrer-bildung innerhalb der höheren Bildungin Europa: aktuelle Modelle und neueEntwicklungen.]UNESCO - CEPESParis: UNESCO, 2003, 343 S.(Studies on higher education)ISBN 92-9069-173-X

Dieser Band stellt mit seinen 14 Länderstu-dien und der abschließenden vergleichen-den Analyse das wesentliche Ergebnis einesProjekts dar, das einen strengen Auswahl-prozess zur Ermittlung von Experten für dieErstellung der Studien sowie zwei Sitzungenumfasste. Ziel der ersten Sitzung war es, dieLeitlinien vorzustellen und zu besprechen,die von der UNESCO-CEPES für die Ausar-beitung der Länderstudien vorgeschlagenworden waren, um auf der Grundlage derVorschläge der Teilnehmer ein endgültigesKonzept zu erarbeiten. In der zweiten Sit-zung, einem Seminar, hatten die Autoren vorder Erstellung der endgültigen Fassung ih-rer Arbeit die Gelegenheit, die Entwürfe ih-rer Studien vorzustellen und zu besprechensowie eine Vorstellung der vergleichendenAnalyse ihrer Studien zu kommentieren. Indiesem Band, dem wesentlichen Ergebnisdes Projekts über die Lehrerbildung, wer-den viele der üblichen Einflussfaktorenauf die Lehrerbildung aufgezeigt. Vorgestelltwerden innovative Entwicklungen sowieneue Trends in der Gestaltung institutionel-ler Modelle der Lehrerbildung. Der Band lie-fert darüber hinaus Informationen im Hin-blick auf die zukünftige Politik und mögli-che gemeinsame Ansätze in der allgemei-

nen und beruflichen Lehrerbildung, mit de-nen die Leistung und Stellung der Lehrerverbessert und ihnen der Umgang mit di-versen neuen Entwicklungen in der Bildungim allgemeinen und der höheren Bildungim besonderen erleichtert werden soll. Diesumfasst auch die stetige Weiterführung desBologna-Prozesses, der bis 2010 zur Entste-hung eines europäischen Bildungsraumsführen soll, die vollständige Einbettung derInformations- und Kommunikationstechno-logien in alle Arbeitsbereiche sowie die Be-tonung einer regelmäßigen schulinternenWeiterbildung für alle Lehrer.http://www.cepes.ro/publications/pdf/teacher.pdf

International review of curriculum andassessment frameworks: comparativetables and factual summaries, 2004 / Sha-ron O’Donnell.[Internationale Untersuchung von Lehr-plänen und Beurteilungsrahmen: Ver-gleichstabellen und Faktenübersichten]National Foundation for Educational Re-search - NFERQualifications and Curriculum Authority -QCA12. Ausgabe. Slough: NFER, 2004, 51 S.

Dies ist eine von mehreren Studien, die imRahmen des Projekts INCA (Internationalreview of curriculum and assessment fra-mework) durchgeführt wurden. Dieser Be-richt fasst die Beschreibung der Grund-schulsysteme in den 18 Ländern des INCA-Archivs zusammen. Diese Länder sind: Au-stralien, Deutschland, England, Frankreich,Irland, Italien, Japan, Kanada, Korea, dieNiederlande, Neuseeland, Schweden, dieSchweiz, Singapur, Spanien, Ungarn, die USAund Wales. Der Bericht auf Informationenaus dem Archiv sowie auf mündliche Beiträ-ge von Teilnehmern eines Einladungsse-minars zurück, das vom 19. bis 21. Febru-ar 2003 stattgefunden hat. Im Anschluss andiesen einleitenden Teil liefert der Berichteine Zusammenfassung der Trends, die sichaus der Studie ergeben. In Abschnitt 3 wer-den auf der Grundlage des Untersuchungs-gegenstands, die Grundschulbildung, diePolitik und das Angebot in den 18 Län-dern zusammengefasst: eine „internationa-le Perspektive” und sechs Zusammenfas-sungen der Beiträge und Unterlagen der Se-minarteilnehmer, unter sechs Überschriften:Steuerung; Struktur und Organisation; Cur-riculum; Beurteilung, Erfassung und Be-

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richterstattung der Fortschritte; Unterrichts-methodologie; Lehr- und Lernmaterial. In-formationen über Nordirland wurden nichtaufgenommen, da Nordirland derzeit inmit-ten einer großen Curriculumreform steht.Weitere Einzelheiten sind unter http://www.ccea.org.uk/currreview.htm verfügbar.Abschnitt 4 des Berichts befasst sich mit deminternationalen Seminar, das im Rahmen die-ser Studie abgehalten wurde. Es werden ins-besondere die Ansichten der Seminarteil-nehmer über die jeweiligen Prioritäten inihrem Land, die Aspekte und Probleme desBildungsangebots ihre Vision für die Zukunftwiedergegeben.http://www.inca.org.uk/pdf/comparative.pdf

Learners for life: student approaches tolearning. Results from PISA 2000 / Cor-dula Artelt [et al.][Lernende für das Leben: Lernansätzevon Schülern: Ergebnisse von PISA 2000]Organisation für wirtschaftliche Zu-sammenarbeit und Entwicklung - OECDParis: OECD, 2003, 136 S.ISBN 92-64-10390-2

Wie verhalten sich Schüler als Lernende,wenn sie sich dem Ende der Schulpflichtnähern? Die Antwort hierauf ist von großerBedeutung, nicht nur, weil Schüler mit stär-keren Lernansätzen in der Schule besser ab-schneiden, sondern auch, weil es viel wahr-scheinlicher ist, dass Jugendliche ihre schu-lische Laufbahn fortsetzen und zu lebens-lang Lernenden werden, wenn sie in der La-ge sind, sich Lernziele zu setzen und ihr ei-genes Lernen zu „verwalten”. Die interna-tionale Schulleistungsstudie PISA der OECD,bei der im Abstand von drei Jahren die schu-lische Leistung von 15jährigen in OECD-Staa-ten untersucht wird, bietet eine einmaligeGelegenheit, um festzustellen, wie Schüleran das Lernen herangehen und wie hoch ih-re Grundkompetenz ist. In diesem Berichtwerden die Ergebnisse untersucht, wobeider Schwerpunkt auf die Motivation derSchüler, ihre Überzeugungen und die An-wendung verschiedener Lernstrategien ge-legt wird. So werden insbesondere jene Merk-male untersucht, die es in der Summe wahr-scheinlicher erscheinen lassen, dass einSchüler ein zuversichtlicher und eigenver-antwortlicher Lernender wird. Die Ergeb-nisse bestätigen eine deutliche Korrelationzwischen Lernansätzen und messbaren schu-lischen Erfolgen. So schneiden beispiels-weise Schüler mit einem starken Interesse

am Lesen und einem höheren Selbstvertrauenin ihre Problemlösungsfähigkeiten in der Re-gel in der Schule gut ab. Der Bericht do-kumentiert auch eine besonders starke Kor-relation zwischen der Neigung der Schülerzur Selbstkontrolle - durch bewusste Über-prüfung der Fortschritte auf dem Weg zuihren persönlichen Zielen - und ihrer Mo-tivation und ihren Überzeugungen. Dieslässt vermuten, dass effizientes Lernen nichtnur als reine Fertigkeit vermittelt werdenkann, sondern auch in hohem Maße von derEntwicklung einer positiven Einstellung ab-hängt. Der Bericht bietet politischen Ent-scheidungsträgern eine detaillierte Analysedarüber, welche Schülermerkmale in denverschiedenen Ländern am stärksten aus-geprägt sind. Untersucht werden auch dieUnterschiede in den Lernansätzen je nachGeschlecht und sozialem Hintergrund derSchüler. Die Ergebnisse zeigen Wege auf,wie Bildungssysteme verschiedenen Grup-pen von Schülern helfen können, effizien-tere Lernende zu werden. http://www.pisa.oecd.org/Docs/download/LearnersForLife.pdf

Lifelong learning in the global economy:challenges for developing countries /World Bank.[Lebenslanges Lernen in der globalenWissenswirtschaft: Herausforderungenan Entwicklungsländer]World BankWashington D.C.: World Bank, 2003, 172 S.ISBN 9586824837

Durch die globale Wissenswirtschaft verän-dern sich weltweit die Arbeitsmarktanfor-derungen. Von den Bürgern werden für dieBewältigung ihres Alltags mehr Fähigkeitenund Kenntnisse verlangt, als die formalenBildungssysteme für sich allein vermittelnkönnen. Lebenslanges Lernen - von derfrühen Kindheit bis zum Ruhestand - ist Bil-dung für die Wissenswirtschaft und hat inSchwellen- und Entwicklungsländern die glei-che entscheidende Bedeutung wie in den In-dustrieländern. Gewissermaßen als „Road-map” für Politiker in Entwicklungsländernzur Bewältigung der Kernprobleme und Her-ausforderungen an die Bildung in einer Wis-senswirtschaft untersucht dieses Buch, aufwelche Art und Weise Systeme für das le-benslange Lernen das Wirtschaftswachstumfördern. Die Autoren erörtern den sich ver-ändernden Charakter des Lernens und dieweltweit zunehmende Rolle des privaten Be-

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reichs in der allgemeinen und beruflichenBildung. Sie stellen sehr ausführlich und an-schaulich die politischen und finanziellenOptionen vor, die den Regierungen zur Ver-fügung stehen, um dem lebenslangen Lern-bedarf ihrer Bürger gerecht zu werden.

Managing education for lifelong learning/ Júlia Sapsál (Hg.).[Gestaltung der Bildung für lebenslan-ges Lernen]Nationales Institut für öffentliche BildungOECD / Ungarn-Seminar. Budapest. 2001Budapest: Nationales Institut für öffentlicheBildung, 2003

Die Publikation befasst sich mit dem zweitä-gigen Seminar “Managing Schools for Life-long Learning”, das im Dezember 2001 inBudapest vom OECD-Zentrum für Bil-dungsforschung und Innovation (CERI) undvom ungarischen Ministerium für Bildungorganisiert worden ist. Teilnehmer warennamhafte Experten für internationale Bil-dungspolitik, und es wurde sehr intensivüber Fragen des Bildungsmanagements undder Steuerung der Bildungssysteme disku-tiert. Gegenstand der Beiträge und Diskus-sionen der von der OECD-GeneraldirektionBildung und vom ungarischen Bildungs-ministerium eingeladenen Experten sowieder internationalen und ungarischen Ver-treter der jeweiligen Ministerien aus diver-sen OECD-Staaten waren die Herausforde-rungen, vor denen Schulverwaltungen unddie nationalen Aufsichtsbehörden der Bil-dungssysteme stehen. Die 14 beim Seminargehaltenen Vorträge wurden in drei aufein-ander folgenden thematischen Sitzungen von23 internationalen und 23 ungarischen Ex-perten diskutiert. Drei Ziele bildeten denSchwerpunkt des Seminars: (1) die nationaleund internationale Verbreitung einer ver-gleichenden OECD/CERI-Studie über neueAnsätze für das Schulmanagement und auchdie Einordnung dieser Managementüberle-gungen auf institutioneller Ebene in einebreitere Sichtweise der systemweiten Steue-rung; (2) der Beginn gemeinsamer Überle-gungen über die mögliche Rolle des Bil-dungsmanagements bei der Umsetzung derzentralen Bildungsprioritäten in OECD-Staa-ten; und (3) die Informierung der interna-tionalen Gemeinschaft über die Bildungs-managementinitiativen in Ungarn sowie einnützliches internationales Feedback dieserGemeinschaft zu den Initiativen.

Review of career guidance policies in 11acceding and candidate countries: syn-thesis report. July 2003.[Untersuchung der Laufbahnberatungs-politik in 11 Beitritts- und Kandidaten-ländern: Synthesebericht]Sultana, Ronald G.; Zelloth, HelmutEuropäische Stiftung für Berufsbildung - ETFLuxemburg: EUR-OP, 2002ISBN 92-9157-349-3;

In einer Zeit, in der sich die Gesellschaf-ten auf die Herausforderungen in Verbin-dung mit der Umstellung auf eine wissens-basierte Wirtschaft vorbereiten, ist die le-benslange Bereitstellung von laufbahnbe-zogenen Informationen und Beratungsleis-tungen weltweit zu einer Frage von höch-ster Bedeutung geworden. So wurde vonder OECD ein bislang einzigartiges For-schungsprojekt initiiert, bei dem ein geziel-ter Fragebogen in 14 Ländern verteilt wor-den ist, um eine Informationsgrundlage überden aktuellen Stand der Politikentwick-lung in der Laufbahnberatung zu schaffen.Das gleiche Umfrageinstrument wurde vomCedefop und der ETF eingesetzt, um Datenüber die verbleibenden EU-Staaten bzw. dieelf Beitritts- und Kandidatenländer zu sam-meln. Die Weltbank hat parallel hierzu, wie-derum anhand des gleichen Fragebogens,eine Untersuchung in einer Reihe von Län-dern mittleren Einkommens initiiert. Die the-matischen Untersuchungen dieser Schlüs-selpartner bilden die Grundlage für die Ent-wicklung der bislang weltweit umfassend-sten harmonisierten internationalen Daten-bank über Politik und Praxis der Laufbahn-beratung. Dieser Synthesebericht fasst denStand der Dinge in der Entwicklung vonLaufbahninformationen und Laufbahnbe-ratung auf dem Bildungssektor sowie demArbeitsmarkt in folgenden Ländern zusam-men: Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen,Malta, Polen, Rumänien, Slowakei, Slowe-nien, Ungarn und Zypern. Experten aus je-dem dieser Länder haben einen Bericht er-stellt, der in Anlehnung an die Struktur derOECD-Umfrage auf ihren eigen Kenntnissenin diesem Bereich beruht und dem nicht sel-ten umfassende Konsultationen mit Schlüs-selpartnern vorangegangen sind. Das gene-relle Ziel dieser Arbeit besteht in erster Li-nie darin, eine Übersicht über die jüngstenund wichtigsten Entwicklungen, Trends, Her-ausforderungen und Probleme sowie überStärken und Schwächen der nationalen lauf-bahnbezogenen Beratungs- und Informati-onssysteme zu liefern und hierbei einen ver-

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gleichende Analyse der Daten zu ermögli-chen. Des Weiteren soll mit dem Synthese-bericht die Festlegung von Benchmarkserleichtert werden, um den an der Unter-suchung beteiligten Ländern eine Bewer-tung ihrer Leistungsfähigkeit in diesem Be-reich im internationalen Vergleich zu er-möglichen. http://www.etf.eu.int/WebSite.nsf/0/C63B14262A11C92CC1256DB100455C70/$FILE/ENL-Career+guidance-0703_EN.pdf

Student engagement at school: a senseof belonging and participation. Resultsfrom PISA 2000 / Jon Douglas Willms.[Schülerbeteiligung an der Schule: einGefühl von Zugehörigkeit und Teilnah-me. Ergebnisse PISA 2000]Organisation für wirtschaftliche Zusam-menarbeit und Entwicklung - OECDParis: OECD, 2003, 84 S.ISBN 92-64-01892-1

Wie weit verbreitet ist Schulverdrossenheitin verschiedenen Bildungssystemen? Welchepolitischen und praktischen Maßnahmen eig-nen sich am besten, um bei Schülern ein Ge-fühl der Zugehörigkeit und Teilnahme an derSchule zu fördern? Diese Fragen stellen sich

Pädagogen in vielen Ländern, nicht nur we-gen des Zusammenhangs zwischen Schüler-beteiligung und schulischem Erfolg, sondernauch weil Schülerbeteiligung an sich bereitseine erstrebenswerte Leistung darstellt. Dieinternationale Schulleistungsstudie PISA derOECD bietet eine Gelegenheit, die Beteili-gung von Schülern gegen Ende ihrer Schul-pflicht im Rahmen einer internationalen Ver-gleichsstudie zu untersuchen. PISA liefertnicht nur Erkenntnisse über die Grundkom-petenz von Schülern, sondern auch Infor-mationen über ihre Einstellungen und Wert-vorstellungen, ihren sozialen Hintergrundund über wichtige Merkmale der besuchtenSchulen. Dieser Bericht untersucht diverseAspekte der Beteiligung von Schülern amLeben der Schule. Die Ergebnisse zeigen,dass der Anteil unzufriedener Schüler in denmeisten Ländern sowohl innerhalb der Schu-len als auch von einer Schule zur anderendeutlich schwankt und dass diese Schwan-kung nicht allein auf den familiären Hinter-grund der Schüler zurückzuführen ist. DieAuswertungen lassen auch einige der schu-lischen Faktoren erkennen, die die Schüler-beteiligung beeinflussen, und belegen ein-deutig, dass eine starke Beteiligung der Schüleram Schulleben auf keinen Fall zu Lasten derschulischen Leistung gehen muss.

Betriebliche Weiterbildung in Europa:Ergebnisse der zweiten europäischen Er-hebung zur Weiterbildung in Unterneh-men.Europäische Kommission, GeneraldirektionBildung und KulturBrüssel: Europäische Kommission, 2003,137 S.

In dieser Publikation werden wichtige Er-gebnisse der 2000/2001 durchgeführten zwei-ten europäischen Weiterbildungserhebung(CVTS 2) vorgestellt. Die CVTS ist die ersteund einzige Gemeinschaftserhebung, die aufeuropäischer Ebene vergleichbare Datenüber die Investitionen in das Humankapitalder Unternehmen liefert. Sie stellt somit ei-nes der wichtigsten Instrumente der Eu-ropäischen Union für die Festlegung von In-dikatoren im Bereich des lebenslangen Ler-nens dar.

http://europa.eu.int/comm/education/programmes/leonardo/new/leonardo2/cvts/cvts_de.pdf

Cross-country statistical analysis of ac-ceding and candidate countries: synthesisof challenges in the fields of employm-ent and human resource development.[Länderübergreifende statistische Aus-wertung der Beitritts- und Kandidaten-länder: Zusammenfassung der Heraus-forderungen in den Bereichen Beschäf-tigung und Personalentwicklung.]Europäische Stiftung für Berufsbildung - ETFTurin: ETF, 2004, 27 S.

In allen Beitritts- und Kandidatenländerngibt es einen Bedarf an Personalentwick-lung, um in einem oder mehreren der nach-folgenden Politikbereiche den Stand der EU-

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Europäische Union: Politik, Programme, Teilnehmer

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Mitgliedstaaten in Punkto Angebot und Ar-beitsmarktrelevanz zu erreichen: aktive Ar-beitsmarktpolitik (überwiegend für Arbeits-lose), Qualifizierung der staatlichen Jobver-mittlungen, berufliche Weiterbildung (über-wiegend für Beschäftigte), Bildung und ers-te berufliche Bildung. In zahlreichen unter-suchten Ländern gehörten die aktive Ar-beitsmarktpolitik und die hiermit verbun-dene Qualifizierung der staatlichen Job-vermittlungen zu den Bereichen mit demhöchsten, aber nicht zwangsläufig auch kos-tenintensivsten Bedarf. Am teuersten - undin machen Fällen auch am dringendsten -ist in nahezu allen Ländern der Unterstüt-zungsbedarf in den Bildung und Berufsbil-dungssystemen. Auch in der beruflichen Wei-terbildung haben die Beitritts- und Kandi-datenländer im Vergleich zur EU noch Nach-holbedarf.

European Union-supported educationalresearch 1995-2003: briefing papers forpolicy makers / Angelos S. Agalianos.[EU-unterstützte Bildungsforschung 1995-2003: Briefing-Papiere für Politiker]Europäische Kommission, GeneraldirektionForschungLuxemburg: EUR-OP, 2004, 204 S.(Report, EUR 20791)ISBN 92-894-5770-8; Kat.Nr. KI-NA-20-791-EN-C

Forschung im Zusammenhang mit Bil-dungsherausforderungen in Europa ist inte-graler Bestandteil des EU-Forschungspro-gramms im Bereich der Sozial- und Gei-steswissenschaften. Die Projekte befassensich mit einer breiten Vielfalt an Themen,darunter: Herausforderungen an die zukünf-tige Berufsbildungspolitik in Europa; Bil-dungs- und Beschäftigungsdynamik; Lehrer-bildung; höhere Bildung; Nutzung von IKTbeim Lernen; Bildung und Bürgersinn; Bil-dung und soziale Ausgrenzung; Strategienfür lebenslanges Lernen; Kompetenzent-wicklung und Lernen in Organisationen; in-novative Pädagogik und Verbesserung derSchule. Die Forschungsergebnisse zeigen,dass allgemeine und berufliche Bildung ineiner Zeit der raschen sozialen, politischenund wirtschaftlichen Veränderungen unauf-lösbar mit Themen wie Bürgersinn unddemokratische Partizipation, Ungleichheitenund soziale Gerechtigkeit oder Kulturviel-falt und Lebensqualität verknüpft sind. DieForschung zeigt auch, dass Fragen der all-gemeinen und beruflichen Bildung in di-

versen Politikbereichen - Wohnungsbau, Ge-sundheit, Sozialhilfe, Jugend, Beschäftigungund Zuwanderung - sorgsam berücksichtigtwerden sollten. http://www.mennt.net/files/%7B6a0d18 ed-346f-44f1-9053-050564f5e365%7D_european%20union%20supported%20educaitonal%20research%201995%20-%202003.pdf

Report on an information and commu-nication strategy for the European Uni-on (2002/2205(INI)) / European Parlia-ment - Committee on Culture, Youth,Education, the Media and Sport.[Bericht über eine Informations- undKommunikationsstrategie für die Eu-ropäische Union (2002/2205(INI)) / Eu-ropäisches Parlament - Ausschuss fürKultur, Jugend, Bildung, Medien undSport.]Bayona de Perogordo, Juan JoséEuropäisches ParlamentSitzungsdokument, A5-0053/2003Luxemburg: Europäisches Parlament, 2003,31 S.Europäisches Parlament, Bâtiment Schuman,Place de l’Europe, L-2929 Luxemburg, Tel. (352) 430022597, Fax (352) 430022457,http://www.europarl.eu.int/

Die Distanz zwischen den Bürgern Europasund den Institutionen stellt für letztere einernstes Problem dar. Wenn sie dieses Pro-blem verringern will, muss die EuropäischeUnion ihrer eigenen Informationspolitik mehrGewicht und Charakter verleihen. Zu die-sem Zweck ist es wünschenswert und wich-tig, die Zusammenarbeit zwischen den eu-ropäischen Institutionen zu stärken und/oderseitens der Mitgliedstaaten einen aktiven Bei-trag zum Erfolg der vorrangigen Informati-onskampagnen der Gemeinschaft zu leisten.Der Informationspolitik der EuropäischenUnion muss es gelingen, die Vermittlung ih-rer Grundwerte - Demokratie, Pluralis-mus, Kultur- und Sprachenvielfalt, Zusam-menhalt und Solidarität - in einer kreativenund doch effizienten Art und Weise mit denpraktischen Vorteilen einer EU-Mitgliedschaftzu verbinden.http://libserver.cedefop.eu.int/vetelib/eu/leg/eprep/2003_0053_en.pdf

Report on the proposal for a decision ofthe European Parliament and of the Co-uncil adopting a multi-annual programme(2004-2006) for the effective integration

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of information and communication tech-nologies (ICT) in education and trainingsystems in Europe (eLearning Programme(COM(22002) 751 - C-0630/2002 -2002/0303(COD)) / European Parliament- Committee on Culture, Youth, Educa-tion, the Media and Sport.[Bericht über den Vorschlag für einenBeschluss des Europäischen Parlamentsund des Rates über ein Mehrjahrespro-gramm (2004-2006) für die wirksame In-tegration von Informations- und Kom-munikationstechnologien (IKT) in dieSysteme der allgemeinen und berufli-chen Bildung in Europa (Programm„eLearning”), COM(22002) 751 - C-0630/2002 - 2002/0303(COD)) / Eu-ropäisches Parlament - Ausschuss fürKultur, Jugend, Bildung, Medien undSport.]Mauro, MarioEuropäisches ParlamentSitzungsdokument, A5-0080/2003Luxemburg: Europäisches Parlament, 2003,30 S.Europäisches Parlament, Bâtiment Schuman,Place de l’Europe, L-2929 Luxemburg, Tel. (352) 430022597, Fax (352) 430022457,http://www.europarl.eu.int/

Das Programm „eLearning” ist ein auf meh-rere Jahre angelegtes Programm für einewirksame Einbindung der Informations- undKommunikationstechnologien (IKT) in dieSysteme der allgemeinen und beruflichenBildung in Europa. Inhalt: dieser Vorschlagbetrifft die Annahme eines finanziellenUnterstützungsprogramms. Gesamtziel desProgramms ist die Verbesserung der Qua-lität und Zugänglichkeit der europäischenBildungs- und Berufsbildungssysteme durcheine wirksame Einbindung von neuen Tech-nologien (E-Learning) bei gleichzeitiger Un-terstützung und Ergänzung der Maßnahmender Mitgliedstaaten in diesem Bereich.http://libserver.cedefop.eu.int/vetelib/eu/leg/eprep/2003_0080_en.pdf

Stärkung der lokalen Dimension der eu-ropäischen Beschäftigungsstrategie:Durchführbarkeitsstudie über Indikato-ren für die regionale und lokale Ebenesowie die Solidarwirtschaft / Jacques Da-han.Europäische Kommission, GeneraldirektionBeschäftigung und Soziales;Brüssel: Europäische Kommission, 2004, 110S. (Volltext nur FR, Zusammenfassung DE)

Die 2004 abgeschlossene Studie sollte zumeinen feststellen, ob es bereits zuverlässigeund vergleichbare Daten gibt, um die Be-schäftigungsentwicklung auf lokaler Ebeneund in der Solidarwirtschaft zu messen, undzum anderen eine Reihe gemeinsamer quan-titativer und qualitativer Indikatoren entwickelnund vorschlagen, die von Interessengruppenverwendet werden könnten. Die Studie solldazu beitragen, das Bewusstsein und die Dis-kussion über die Anwendung von Indikato-ren und Daten über lokale Beschäftigungs-entwicklung auf nationaler und subnationa-ler Ebene zu stimulieren. Sie dient als ein me-thodisches Instrument, das von interessiertenAkteuren auf nationaler, regionaler und lo-kaler Ebene eingesetzt werden kann.http://europa.eu.int/comm/employment_social/local_employment/publications/ees_local_de.pdf

VQT-dialogue: vocational qualificati-ons within the framework of social dia-logue - presentation of the results, finalconclusions and recommendations / Es-peranza Roquero [et al.].[Berufliche Qualifikationen im Rahmendes Sozialdialogs: Vorstellung der Er-gebnisse, Schlussfolgerungen und Emp-fehlungen].Europäische Kommission, GeneraldirektionBildung und KulturMadrid: Forcem, 2003, 45 S.

In den bislang durchgeführten Studien wur-de der neu entstandene Qualifikationsbe-darf in verschiedenen Branchen untersucht,aber sie haben sich nie speziell mit denAspekten von Tarifverhandlungen über Qua-lifikationen oder mit beruflichen Einstu-fungssystemen befasst, die als Ergebnis vonTarifverhandlungen bzw. auf einer breite-ren Ebene innerhalb von Sozialpartner-schaftsprozessen entstehen. Dieses For-schungsprojekt ist insofern einzigartig, alshier der Versuch unternommen wird, proBranche und Verhandlungsgegenstand diepraktischen Sorgen der an Sozialpartner-schaftsprozessen beteiligten Interessenver-treter im Detail nachzuvollziehen, darunterz.B. in Fragen der Qualifikationskriterien,Weiterbildung, Kompetenzen usw. So sol-len anhand direkter Arbeit „im Feld” die Rea-litäten auf der Ebene der Länder, Regionenund Branchen sowie die Sorgen und Maß-nahmen der Sozialpartner (z.B. ihre Ver-handlungskriterien, ihre Vorstellung von Aus-bildung usw.) verdeutlicht werden. Die

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Grundlage der Studie bildet selbstverständ-lich ein europäischer Vergleich, was für sichallein genommen bereits den ersten Schrittin Richtung mehr Klarheit bezüglich der Qua-lifikationen in verschiedenen Ländern undBranchen darstellt. Der besondere Beitrag

dieses Projekts besteht darin, dass es sichauf die Realität an der Basis konzentriert, sonah wie möglich an den sozialen Prozessen.http://vqt-dialogue.nuov.cz/vicenik/vqt-dialogue/studies/Final_report-VQT-czech.doc

AT AMS-Qualifikations-Barometer.Arbeitsmarktservice Österreich

- AMSWien: AMS, 2003-

Das AMS-Qualifikations-Barometer ist öster-reichweit das erste umfassende Online-In-formationssystem zu Qualifikationstrends.Das AMS-Qualifikations-Barometer richtetsich sowohl an KundInnen und Mitarbei-terInnen des AMS, JournalistInnen und Verant-wortliche in Politik und Wirtschaft als auchan Menschen, die vor einer Entscheidungüber ihre berufliche Zukunft stehen. Es istdurch die Fülle der enthaltenen Daten, durchseine Aktualität, seine Prognosefunktion undnicht zuletzt durch die übersichtliche Dar-stellung ein unverzichtbares Instrument füralle, die sich - privat oder beruflich - für dieEntwicklungen des Arbeitsmarktes und desQualifikationsbedarfs interessieren. Das AMS-Qualifikations-Barometer ist in drei Ebenengegliedert: Berufsbereiche; Berufsfelder; Be-rufe. Arbeitsmarkt- und Qualifikationstrendswerden ausführlich auf den Ebenen “Be-rufsbereich” und “Berufsfeld” dargestellt. Da-bei werden sowohl regionale Besonderhei-ten berücksichtigt als auch erstmals Bewer-tungen auf der Mikroebene (Berufe) vorge-nommen. Daneben enthält das AMS-Quali-fikations-Barometer auch ein Glossar zu über1000 Qualifikationen. Links zu Hinter-grundinformationen (“Zusätzliche Informa-tionen”) zu ca. 700 detaillierten Berufsbil-dern und knapp 500 Quellenangaben er-gänzen die umfassende und übersichtlicheDarstellung. Die Bewertung der Berufe undBerufsgruppen basiert auf der Einschätzungvon ExpertInnen und auf den Daten vonStellenanzeigenanalysen, die bisher einembreiten Publikum nicht zugänglich waren.Hier werden diese Informationen zum ers-ten Mal detailliert und übersichtlich onlinezur Verfügung gestellt. http://www.ams.or.at/b_info/indexqb.htm

DK10 år med PIU: ti eksempler pågod praksis / Lars Møller Bent-

sen et al.[10 Jahre praktische Ausbildung im Aus-land: zehn Beispiele für bewährte Pra-xis.]Møller Bentsen, Lars CiriusKopenhagen: Cirius, 2003, 40 S. ISBN 87-90021-88-6; Cirius, Fiolstræde 44, DK-1171Kopenhagen K, Tel. (45-33) 957000, Fax (45-33) 957001, E-Mail: [email protected], http://www.ciriusonline.dk

1992 hat das dänische Parlament ein Modellverabschiedet, das Auszubildenden ermög-licht, einen Teil ihrer praktischen Ausbildungim Ausland zu absolvieren (Praktik i Ud-landet - PIU). Hintergrund dieses Modellswar einerseits der Mangel an betrieblichenAusbildungsplätzen in Dänemark und an-dererseits der Wunsch, die berufliche Bil-dung attraktiver zu machen. Diese Publika-tion beschreibt die ersten Jahre mit diesemPIU-Modell und liefert zehn Beispiele fürbewährte Praktiken in Berufsschulen undBetrieben in Dänemark. Im Verlauf dieser10 Jahre ist das PIU-Modell zu einem wich-tigen Instrument in den Bemühungen für ei-ne Internationalisierung des dänischen Be-rufsbildungssystems geworden. http://www.ciriusonline.dk/download/PIU_ti_aar_2848.pdf

Almen voksenuddannelse 2003-2004: avu- om dansk, matematik og alle andre fag/ red. af Kirsten Preisler og Iben Svens-son.[Allgemeine Erwachsenenbildung 2003-2004: Lernen als Erwachsener, Weiter-bildung usw.]Preisler, Kirsten; Svensson, Iben. Rådetfor Uddannelses- og Erhvervsvejledning- RUE14. AusgabeKopenhagen: RUE, 2003, 26 S. ISBN 87-

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Aus den Mitgliedstaaten

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7773-442-4; RUE, Vester Voldgade 123, DK-1552 Kopenhagen V, Tel. (45-33) 955300,Fax (45-33) 955349, E-Mail: [email protected],http://www.r-u-e.dk

Diese Broschüre beschreibt das Modellder allgemeinen Erwachsenenbildung in Dä-nemark (almenvoksenuddannelse - AVU).Ziel des Modells ist es, den Erwachsenendie Möglichkeit zu geben, ihre allgemeinenQualifikationen zu verbessern bzw. auf denneuesten Stand zu bringen. Das Programmumfasst immer nur ein Fach und berech-tigt zu einer Abschlussprüfung. Die Prüfun-gen entsprechen dem Abschluss nach 9 oder10 Jahren Hauptschule (folkeskole). Die Kur-se sind so organisiert, dass es den Teilneh-mern möglich ist, sie in ihre Planungen zuintegrieren (Tages- und Abendkurse). An-geboten wird die AVU-Programme an Er-wachsenenbildungszentren (voksenuddan-nelsescentre - VUC). In der Broschüre wer-den alle im Rahmen des AVU-Modells an-gebotenen Fächer ausführlich beschrie-ben.http://www.r-u-e.dk/avu/

EE Access to adult learning in Esto-nia / Talvi Märja.

[Zugang zur Erwachsenenbildung] Märja, Talvi, Erwachsenenbildung: für Be-schäftigung und Bürgertum: internationaleKonferenz. Kaunas. 2003 Kaunas: VMU,2003, 6 S.

Vor dem Hintergrund der vollen EU-Mit-gliedschaft Estlands ab 2004 besteht die wich-tigste Aufgabe in der Anerkennung des neu-en Bildungsparadigmas, das von der Eu-ropäischen Kommission mit folgenden Schwer-punkten ausgearbeitet worden ist: lebens-langes Lernen als neue Chance für alle;die Notwendigkeit eines breiteren Zugangszum Lernen, insbesondere zur Erwachse-nenbildung; die Wichtigkeit der Schaffungeines neuen Lernraums. Der estnische Bil-dungsminister hat den Prozess der Erarbei-tung einer Strategie für lebenslanges Lerneninitiiert, indem er herausragende Persön-lichkeiten aus verschiedenen Bereichen ge-beten hat, das Weißbuch über lebenslangesLernen in Estland auszuarbeiten. Um der Ar-beitsgruppe hierfür bessere Hintergrundin-formationen zur Verfügung zu stellen, wur-den einige Umfragen zur Ermittlung der not-wendigen Daten durchgeführt. In dem Pa-pier werden Umfrageergebnisse zum The-ma Erwachsenenbildung sowie die Mög-

lichkeiten des Staates in Verbindung mit derSchaffung eines Raumes für lebenslangesLernen in Estland erörtert.http://www.vdu.lt/alearning2003/II%20Dalis/Talvi%20Marja_en.doc

FI Towards closer European coope-ration in vocational education and

training: the Leonardo da Vinci pro-gramme supporting the CopenhagenDeclaration. The case of Finland / Pau-la Rouhiainen and Sonja Valjus.[Auf dem Weg zur engeren europäischenZusammenarbeit in der Berufsbildung: dasProgramm Leonardo da Vinci unterstützt Er-klärung von Kopenhagen. Der Fall Finnland].Helsinki: CIMO, 2004, 44 pZentrum für Internationale Mobilität - CIMO,Abt. Leonardo, www.cimo.fi

Dieser Bericht befasst sich mit der Rolle desProgramms Leonardo da Vinci in Verbindungmit dem Diskurs über die Berufsbildung inEuropa. Anknüpfungspunkt ist hierbei derso genannte Kopenhagen-Prozess, der eineengere Zusammenarbeit in der beruflichenBildung anstrebt, um ihre Attraktivität zu er-höhen und die Mobilität zu fördern. Der Be-richt fasst die Ergebnisse einer Umfrage zu-sammen, die im Sommer 2003 durchgeführtwurde und deren Ziel darin bestand, Bei-spiele für Leonardo-Projekte zu ermitteln,die den Kopenhagen-Prozess unterstützen. http://europa.eu.int/comm/education/programmes/leonardo/new/leonardo2/studies/finland.pdf

FR Accord sur la formation: plu-sieurs partenaires sociaux sou-

lignent l’avancée du dialogue social / Phi-lippe Grandin. [Ausbildungsvereinbarung: mehrere Sozial-partner unterstreichen die Fortschritte im So-zialdialog]. Inffo Flash, Nr. 622 (Oktober 2003), S. 4Saint-Denis-La Plaine: Centre INFFO, 2003ISSN 0397-3301

Bei der Ausbildungstagung im September2003 haben die Gewerkschafte CGT-FO(Confédération Générale du Travail - ForceOuvrière) und die CFDT (ConfédérationFrançaise Démocratique du Travail) et derArbeitgeberverband MEDEF (Mouvement desEntreprises de France) den innovativen Cha-rakter der Ausbildungsvereinbarung unter-strichen und hierbei insbesondere das neue

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persönliche Recht auf Ausbildung, das denBeschäftigten Möglichkeiten zur Gestaltungihrer Aus- und Weiterbildung eröffnet. Se-parat hervorgehoben wird die Position derCGT, die beschlossen hat, die Vereinbarungvom 20. September 2003 zu unterzeichnen.

Apprendre autrement au 3ème millénaire:la cyberformation / Stéphane Héroult,Laurence Le Bars.[Anders lernen im 3. Jahrtausend: dieCyber-Ausbildung]Saint-Denis-La Plaine: Centre INFFO, 2003,372 S.(Dokumentationsdossier)ISBN 2-84821-014-1

In den letzten Jahren sind neue Formen desFernunterrichts entstanden, bei denen In-formations- und Kommunikationstechnolo-gien eingesetzt werden. Unabhängig davon,wie sie genannt werden - E-Bildung, E-Lear-ning, elektronische Ausbildung ... oder Cy-ber-Ausbildung - diese neuen Methodensind zu einem festen Bestandteil der allge-meinen und beruflichen Bildung geworden.Die Fülle und Vielfalt der Erfahrungen indiesem dynamischen Bereich spiegelt sichmehr als deutlich in der reichhaltigen Lite-ratur zu diesem Thema wider. Mit diesemDokumentationsdossier soll eine Bestands-aufnahme der bereits abgeschlossenen undder laufenden Entwicklungen sowie der we-sentlichen Informationsquellen vorgestelltwerden. Im Dossier enthalten sind nahezu900 bibliografische Verweise mit rund 30ausgewählten Textpassagen (Artikel aus derFachpresse und Auszüge aus Büchern), ei-ne „Webografie“ mit ca. 100 Links zu Qu-ellen, die Liste der online oder auf Papierveröffentlichten Fachzeitschriften sowie einVeranstaltungskalender für 2003/2004 zumThema offenes Lernen, Fernunterricht undE-Learning.

DE The OECD-Projekt “The roleof qualifications systems in

promoting lifelong learning”. Countryreport: Germany / Georg Hanf, JochenReuling.[Das OECD-Projekt „Die Rolle der Qualifi-kationssysteme bei der Förderung des le-benslangen Lernens”. Länderbericht: Deutsch-land].BIBB; Bielefeld: W. Bertelsmann Verlag, 2004,104 S.ISBN 3-7639-1012-3

Dieser Länderbericht ist Teil des gleichna-migen OECD-Projekts. Von den am Projektbeteiligten Staaten wurden Berichte über dieFrage erstellt, in welcher Weise die natio-nalen Qualifikationssysteme die Mechanis-men und die Qualität des lebenslangen Ler-nens beeinflussen und welche Maßnahmenzur Förderung des lebenslangen Lernens er-griffen wurden. Im ersten Teil des Berichtswerden die wichtigsten Subsysteme forma-ler Bildungsabschlüsse jenseits der Sekund-arstufe II in Deutschland beschrieben. ImAnschluss daran werden auf der Grundlageder verfügbaren Forschungsergebnisse dieAuswirkungen der Qualifikationssysteme aufdas Lernen untersucht. Es folgt eine Doku-mentation und Analyse der wichtigstenReformen der letzten Jahre in den Qualifi-kationssystemen sowie ihrer Auswirkungenauf Mechanismen, die für das lebenslangeLernen von Bedeutung sein können. DerBericht schließt anhand von Beispielenmit einer Untersuchung der Zusammenhängezwischen Qualifikationssystemen und demLernen auf der Ebene der Anbieter und Be-nutzer von Lehr- und Lernprogrammen.

GR √È ÊÚÔÓÙÈÛÙ¤˜ Ù˘ Á˘: ∏∞ÌÂÚÈηÓÈ΋ °ÂˆÚÁÈ΋ ™¯ÔÏ‹ ηÈ

Ë ∂ÏÏ¿‰· ÛÙÔÓ 20fi ·ÈÒÓ·. [Die Landpfleger: die American Farm Schoolund Griechenland im 20. Jahrhundert]. Macon: Mercer University Press, 2004, 496 S.ISBN 0-86554-8498

Die Geschichte der American Farm Schoolin Thessaloniki.

IE Report of a discussion forum onthe implementation of the Co-

penhagen Declaration on Enhanced Eu-ropean Co-operation in Vocational Edu-cation and Training / National Qualifi-cations Authority of Ireland, Further Edu-cation and Training Awards Council. [Bericht zu einem Diskussionsforum überdie Umsetzung der Erklärung von Kopen-hagen über die verstärkte Zusammenarbeitbei der Berufsbildung]. Dublin: NQAI, 2004, 10 S. NQAI, 4th Floor, 6-9 Trinity Street, IRL-Dub-lin 2., Tel. (353-1) 6127080, Fax (353-1)6127095, E-Mail: [email protected],http://www.nqai.ie/

Ziel des Diskussionsforums war es, die iri-schen Akteure der beruflichen Bildung in Ir-

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land über die Entwicklungen in Europa inVerbindung mit der Umsetzung der Erklärungvon Kopenhagen sowie über deren Ver-knüpfungen mit den Entwicklungen in Ir-land zu informieren. Gastgeber waren derRat für weiterführende BildungsabschlüsseFETAC (Further Education and TrainingAwards Council) und die nationale Qualifi-kationsbehörde NQAI (National Qualifi-cations Authority). Teilnehmer waren di-verse Akteure der beruflichen Bildung, dar-unter staatliche Stellen, Ministerien, ausstel-lende Behörden und Anbieter. Das Forumerfuhr, dass beachtliche Fortschritte in denSchlüsselbereichen Qualitätssicherung, Trans-parenz und Kreditpunkte-Transfer erzieltworden sind. Das größte Hindernis auf demWeg zu einem europäischen Wissensraumund Arbeitsmarkt, so ein Sprecher eines Mi-nisteriums, sei der schleppende Anerken-nungsprozess, der die freie Mobilität zwi-schen Ländern, Branchen, Arbeitsplätzenund Institutionen verhindere. Der Prozesszur Umsetzung der Erklärung von Kopen-hagen in Irland wurde im Rahmen von ei-gens eingerichteten Arbeitsgruppen und tech-nischen Ausschüssen beschrieben, derenFortschritte in den jeweils eingerichteten vir-tuellen Gemeinden nachvollzogen werdenkonnten. Ausführlich beschrieben wird dieArbeit der Gruppen und Ausschüsse für dieBereiche Qualitätssicherung, Erwerb undÜbertragung von Kreditpunkten sowie Trans-parenz der Qualifikationen. Am Ende desKonferenzberichts finden sich Links zu ver-wandten Websites. http://www.nqai.ie/copenhagenforum.pdf

MT Lifelong guidance and the Eu-ropean challenge: issues for

Malta / Ronald G. Sultana.[Lebenslange Beratung und die europäischeHerausforderung: Fragen an Malta].Sultana, Ronald G.Malta: Government Printing Press, 2003,144 S.ISBN 99932-666-0-4

Das Buch liefert eine genaue Untersuchungdes derzeitigen Stands der Beratung in Mal-ta im Vergleich zu anderen europäischenund auch außereuropäischen Ländern an-hand einer Reihe von Kriterien und Indika-toren, die zur Beurteilung dieses Bereich in-ternational verwendet werden. Das Buchbeschränkt sich auf diese Weise nicht auf ei-ne reine Darstellung der Ist-Situation, son-dern es werden auch die wesentlichen An-

gebotslücken sowie die kommenden Her-ausforderungen für Beratungsdienste iden-tifiziert.

ESDerecho del trabajo y formación/ Mario Garmendia Arigón.

[Recht auf Arbeit und Ausbildung]Montevideo: Cinterfor, 2003, 179 S.(Herramientas para la transformación, 19)ISBN 92-9088-155-0

Diese Studie befasst sich mit dem Berufs-bildungsrecht im Allgemeinen und mit derSituation in Uruguay im Besonderen. Ana-lysiert werden die verschiedenen Aspektefolgender Punkte: Art des Arbeitsvertrags,Auswahlverfahren, Ausbildungsgesetzge-bung, Ausbildungsgesetzgebung für Ju-gendliche, Lohnstandards, Arbeitszeit, Ar-beitslosigkeit, vorteile, Kündigungen undTarifverträge.http://www.cinterfor.org.uy/public/spanish/region/ampro/cinterfor/publ/gar_dtra/index.htm

Trabajo, calificación y formación: com-prender el fenómeno de la formación/ Raquel de la Fuente Anuncibay. [Ausbildung: warum, wie und wozu?] Burgos: Universidad de Burgos, 2002,686 S. (Estudios y monografías, 22) ISBN 84-95211-60-2; Servicio de Publicaciones, Universidad deBurgos, Plaza de la Infanta doá Elena, s/n,09001 Burgos

Diese umfassende Studie befasst sich mitden zahlreichen Fragen rund um das schwie-rige Thema der beruflichen Bildung in Spa-nien. Nach einer Darstellung des sozioöko-nomischen Hintergrunds wird ausführlichauf die Komplexität des Ausbildungssystemsund seiner Varianten eingegangen. Im An-schluss daran werden die Entwicklung ei-ner empirischen Studie mit Auszubildendenan Ausbildungszentren sowie die Bedürf-nisse und der Ausbildungsbedarf der Un-ternehmen in der Stadt Burgos vorgestellt.Die Studie schließt mit einer Interpretationder Ergebnisse und den sich daraus erge-benden Empfehlungen und Verbesserungs-vorschlägen.

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UK The assessment of prior ex-periential learning in Europe:

radical challenges to the idea of a uni-versity / Pat Davies. [Die Bewertung nicht-formalen Lernens inEuropa: radikale Herausforderungen an dieIdee einer Universität]. DfES Research Conference 2003, ‘Learningby comparison: International experiences ineducation and training’. London. 2003 Sheffield: University of Sheffield, 2003, 10 S. University of Sheffield, Elmfield Lodge, Nor-thumberland Road, UK-Sheffield S10 2TY,http://www.shef.ac.uk/

Untersuchung der politischen Vorausset-zungen im Vereinigten Königreich für eineEinführung eines Systems zur Bewertungnicht formalen Lernens (APEL), wie unlängstin Frankreich erfolgt. Schwerpunkt sind dieKonsequenzen für die höhere Bildung.

The UK education system: an interna-tional perspective / Dr. Anna Vignoles. [Das britische Bildungssystem: eine inter-nationale Perspektive].

DfES Research Conference 2003, ‘Learningby comparison: International experiences ineducation and training’. London. 2003 London: London School of Economics, 2003London School of Economics and PoliticalScience, Houghton Street, UK-London WC2A2AE, Tel. (44-20) 74057686, http://www.lse.ac.uk/

In diesem Papier werden die wesentlichenMerkmale des britischen Bildungssystemsim Vergleich zu den großen internationalenWettbewerbern untersucht. Verglichen wer-den insbesondere die Schlüsselmerkmaledes britischen Systems mit denen in den USAund einigen ausgewählten europäischen Län-dern. So werden die typischen Eigenhei-ten des britischen Systems herausgearbeitetund hierbei sowohl quantitative Unterschiede(z.B. Qualifikationsniveaus) als auch quali-tative Unterschiede (z.B. die Bedeutung desprivaten Sektors) hervorgehoben.

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Towards a history of vocational education and training(VET) in Europe in a comparative perspective

Proceedings of the first international conference

October 2002, Florence

Band I + II

5153 EN

Cedefop Panorama series

Kat.-Nr.: TI-13-04-001-EN-C und TI-13-04-002-EN-C

Erhältlich auf Anfrage beim Cedefop.

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Europäisches Zentrum für dieFörderung der BerufsbildungPO Box 22427GR-55102 Thessaloniki, GriechenlandTel. (30) 2310 49 00 79Fax (30) 2310 49 00 43 Herr Marc WillemLeiter des Bereichs D - Information,Kommunikation und VerbreitungE-Mail: [email protected]: http://www.cedefop.eu.inthttp://www.trainingvillage.gr

FOREM

Office wallon de la Formationprofessionnelle et de l’EmploiBoulevard Tirou 104B-6000 Charleroi, BelgienTel. (32-71) 20 61 67Fax (32-71) 20 61 74Nationale ReferNet-Koordinatorin:Frau Sigrid DieuE-Mail: [email protected]: http://www.leforem.be

NVF

Národní vzdelávací fondOpletalova 25CZ-11000 Praha 1Tschechische RepublikTel. (420-2) 24 50 05 40Fax (420-2) 24 50 05 02Nationale ReferNet-Koordinatorin:Frau Vera CzesanaE-Mail: [email protected]: http://www.nvf.cz

CIRIUS

Center for Information og Rådgivningom International Uddannelses- ogSamarbejdsaktiviteterFiolstræde 44DK-1171 København KDänemarkTel. (45-33) 95 70 00Fax (45-33) 95 70 01Nationaler ReferNet-Koordinator:Herr Sven-Erik PovelsenE-Mail: [email protected]: http://www.ciriusonline.dk

BIBB

Bundesinstitut für BerufsbildungRobert-Schumann-Platz 3D-53142 BonnDeutschlandTel. (49-228) 107 16 02Fax (49-228) 107 29 74Nationaler ReferNet-Koordinator:Herr Dr. Georg HanfE-Mail: [email protected]: http://www.bibb.de

INNOVE

Elukestva Õppe Arendamise SihtasutusLiivalaia 2EE-10118 TallinnEstlandTel. (372) 69 98 080Fax (372) 69 98 081Nationale ReferNet-Koordinatorin:Frau Evelin SillaE-Mail: [email protected]: http://www.innove.ee

OEEK

Organismos Epangelmatikis Ekpaidefsiskai KartartisisEthnikis Antistasis 41 andKaramanoglouGR-14234 Athina, GriechenlandTel. (30) 210 77 22 08Fax (30) 210 2 71 49 44Nationaler ReferNet-Koordinator:Herr Argyros ProtopappasE-Mail: [email protected]: http://www.oeek.gr

INEM

Servicio Público de Empleo EstatalCondesa de Venadito 9E-28027 Madrid, SpanienTel. (34-91) 585 95 82Fax (34-91) 377 58 81Nationale ReferNet-Koordinatorin:Frau María Luz de la Cuevas TorresanoE-Mail: [email protected]: http://www.inem.es

Centre INFFO

Centre pour le développement del’information sur la formationpermanente4, avenue du Stade de FranceFR-93218 Saint Denis de la PlaineCedex, FrankreichTel. (33-1) 55 93 91 91Fax (33-1) 55 93 17 28Nationale ReferNet-Koordinatorin:Frau Henriette PerkerE-Mail: [email protected]: http://www.centre-inffo.fr/

FÁS

Training and Employment AuthorityP.O. Box 45627-33 Upper Baggot StreetDublin 4IrlandTel. (353-1) 607 05 36Fax (353-1) 607 06 34Nationale ReferNet-Koordinatorin:Frau Jean WrigleyE-Mail: [email protected]: http://www.fas.ie

ISFOL

Istituto per lo sviluppo dellaformazione professionale dei lavoratoriVia Morgagni 33I-00161 Roma, ItalienTel. (39-06) 44 59 01Fax (39-06) 44 29 18 71Nationaler ReferNet-Koordinator:Herr Colombo ContiE-Mail: [email protected]: http://www.isfol.it

Human Resource DevelopmentAuthority of Cyprus

2 Anavissou Street, StrovolosP.O. Box 25431CY-1392 Nicosia, ZypernTel. (357-22) 39 03 63Fax (357-22) 42 85 22Nationaler ReferNet-Koordinator:Herr George SiekkerisE-Mail: [email protected]: http://www.hrdauth.org.cy

Academic Information Centre

Valnu iela 2LV-1050 RigaLettlandTel. (371-7) 21 23 17Fax (371-7) 22 10 06Nationale ReferNet-Koordinatorin:Frau Baiba RaminaE-Mail: [email protected]: http://www.aic.lv

PMMC

Methodological Centre for VocationalEducation and TrainingGelezinio Vilko g. 12LT-2600 VilniusLitauenTel. (370-5) 21 23 523Fax (370-5) 24 98 183Nationale ReferNet-Koordinatorin:Frau Giedre BeleckieneE-Mail: [email protected]: http://www.pmmc.lt

Ministère de l’Éducation nationale etde la Formation professionnelle

Service de la Formation professionnelle 29, rue AldringenL-2926 LuxembourgLuxemburgTel. (352) 47 85 241Fax (352) 47 41 16Nationaler ReferNet-Koordinator:Herr Jos NoesenE-Mail: [email protected]: http://www.men.lu

OMAI

Oktatási Minisztérium AlapkezelöIgazgatóságaAjtosi Durer Sor 19-21HU-1146 BudapestUngarnTel. (36-1) 30 46 62 391Fax (36-1) 30 13 242Nationaler ReferNet-Koordinator:Herr Tamas Köpeczi-BoczE-Mail: [email protected]: http://www.nive.hu

Department of Further Studies andAdult Education

Ministeru ta’ l-Edukazzjoni Room 325,Education Division, Great Siege Road,MT-CMR02 Floriana, MaltaTel. (356-21) 22 81 94Fax (356-21) 23 98 42Nationale ReferNet-Koordinatorin:Frau Margaret M EllulE-Mail: [email protected]: http://www.education.gov.mt

CINOP

Centrum voor Innovatie vanOpleidingen, Pettelaarpark - Postbus1585, NL-5200 BP ‘s-HertogenboschNiederlandeTel. (31-73) 680 08 00Fax (31-73) 612 34 25Nationale ReferNet-Koordinatorin:Frau Martine MaesE-Mail: [email protected]: http://www.cinop.nl

IBW

Institut für Bildungsforschung derWirtschaftRainergasse 38A-1050 WienÖsterreichTel. (43-1) 54 51 10Fax (43-1) 54 51 67 122Nationaler ReferNet-Koordinator:Herr Thomas MayrE-Mail: [email protected]: http://www.ibw.at

BKKK

Co-operation Fundul. Górnoslaska 4APL-00444 WarszawaPolenTel. (48-22) 62 53 937Fax (48-22) 62 52 805Nationale ReferNet-Koordinatorin:Frau Kinga MotysiaE-Mail: [email protected]: http://www.cofund.org.pl

IQF

Institute for Quality in Training (formerINOFOR)Avenida Almirante Reis, n.º 72P-1150-020 LisboaPortugalTel. (351-21) 81 07 000Fax (351-21) 81 07 190Nationale ReferNet-Koordinatorin:Frau Fernanda FerreiraE-Mail: [email protected]: http://www.inofor.pt

CP

Centra RS za poklicno izobrazevanjeOb Zeleznici 16SI-1000 LjubljanaSlowenienTel. (386-1) 58 64 216Fax (386-1) 54 22 045Nationale ReferNet-Koordinatorin:Frau Mojca CekE-Mail: [email protected]: http://www.cpi.si

SIOV

State Institute of Vocational Educationand TrainingCernysevskeho 27SK-85101 Bratislava, SlowakienTel. (421-2) 62 41 06 78Fax (421-2) 62 41 06 78Nationale ReferNet-Koordinatorin:Frau Dagmar JelinkovaE-Mail: [email protected]: http://www.siov.sk

OPH

OpetushallitusHakaniemenkatu 2P.O. Box 380FI-00531 HelsinkiFinnlandTel. (358-9) 77 47 71 24Fax (358-9) 77 47 78 65 or 69Nationaler ReferNet-Koordinator:Herr Matti KyröE-Mail: [email protected]: http://www.oph.fi

ReferNet – Das europäische Fachwissens- und Referenznetzwerk

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Skolverket - Statens Skolverk

Kungsgatan 53S-10620 StockholmSchwedenTel. (46-8) 723 32 00Fax (46-8) 24 44 20Nationaler ReferNet-Koordinator:Herr Sten PetterssonE-Mail: [email protected]: http://www.skolverket.se

QCA

Qualifications and Curriculum Authority83 PiccadillyUK-W1J8QA LondonVereinigtes KönigreichTel. (44-20) 75 09 55 55Fax (44-20) 75 09 66 66Nationaler ReferNet-Koordinator:Herr Tom LeneyE-Mail: [email protected]: http://www.qca.org.uk

EDUCATE Iceland

Grensásvegur 16aIS-108 ReykjavikIslandTel. (354) 511 26 60Fax (354) 511 26 61Nationaler ReferNet-Koordinator:Herr Arnbjörn ÓlafssonE-Mail: [email protected]: http://www.mennt.is/

TI

Teknologisk InstituttAkersveien 24CN-0131 OsloNorwegenTel. (47-22) 86 50 00Fax (47-22) 20 42 62Nationale ReferNet-Koordinatorin:Frau Signe EngliE-Mail: [email protected]: http://www.teknologisk.no

CINTERFOR/OIT

Centro interamericano de investigacióny documentación sobre formaciónprofesionalAvenida Uruguay 1238Casilla de correo 1761UY-11000 MontevideoUruguayTel. (598-2) 92 05 57Fax (598-2) 92 13 05Internet: http://www.cinterfor.org.uy

DG EAC

Europäische KommissionGeneraldirektion Bildung und KulturRue de la Loi 200B-1049 BruxellesBelgienTel. (32-2) 299 42 08Fax (32-2) 295 78 30Internet: http://europa.eu.int

EFVET

European Forum of Technical andVocational Education and TrainingRue de la Concorde 60B-1050 BruxellesBelgienTel. (32-2) 51 10 740Fax (32-2) 51 10 756Internet: http://www.efvet.org

ETFEuropäische Stiftung für BerufsbildungVilla GualinoViale Settimio Severo 65I-10133 TorinoItalienTel. (39-011) 630 22 22Fax (39-011) 630 22 00Internet: http://www.etf.eu.int

European Schoolnet

Rue de Trèves 61B-1000 BruxellesBelgienTel. (32-2) 790 75 75Fax (32-2) 790 75 85Internet: http://www.eun.org

EURYDICE

Das Informationsnetz zumBildungswesen in EuropaAvenue Louise 240B-1050 BruxellesBelgienTel. (32-2) 600 53 53Fax (32-2) 600 53 63Internet: http://www.eurydice.org

EVTA

European Vocational TrainingAssociationRue de la Loi 93-97B-1040 BruxellesBelgienTel. (32-2) 644 58 91Fax (32-2) 640 71 39Internet: http://www.evta.net

ILO

International Labour Office4 Route des MorillonsCH-1211 Genève 22SchweizTel. (41-22) 799 69 59Fax (41-22) 799 76 50Internet: http://www.ilo.org

KRIVET

The Korean Research Institut forVocational Education and Training15-1 Ch’ongdam, 2-DongKR-135-102 Kangnam-gu, SeoulKoreaTel. (82-2) 34 44 62 30Fax (82-2) 34 85 50 07Internet: http://www.krivet.re.kr

NCVRVER

National Centre for VocationalEducation Research Ltd.P.O. Box 8288AU-SA5000 Station ArcadeAustralienTel. (61-8) 82 30 84 00Fax (61-8) 82 12 34 36Internet: http://www.ncver.edu.au

OVTA

Overseas Vocational TrainingAssociation1-1 Hibino, 1 Chome, Mihama-kuJP-261-0021 Chiba-shiJapanTel. (81-43) 87 60 211Fax (81-43) 27 67 280Internet: http://www.ovta.or.jp

UNEVOCInternational Centre for Technical andVocational Education and TrainingUnesco-UnevocGörresstr. 15D-53113 BonnDeutschlandTel. (49-228) 243 37 12Fax (49-228) 243 37 77Internet:http://www.unevoc.unesco.org

Assoziierte Organisationen

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BERUFSBILDUNG NR. 32 EUROPÄISCHE ZEITSCHRIFT

Cedefop

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Nr. 29/2003

Forschungsbeiträge

ñ Qualität beim eLearning (Ulf Ehlers)

ñ Lernende Organisationen zwischen Anspruch und Wirklichkeit: PädagogischeQualifikation des Ausbildungspersonals im Bauhandwerk (Christian Harteis)

ñ Die Gestaltung von Schulpolitik dank elektronischer Diskussionen zwischen Lehrernund Schulleitern (P.M. van Oene, M. Mulder, A.E. Veldhuis-Diermanse und H.J.A.Biemans)

Analysen der Berufsbildungspolitiken und –praktiken

ñ Erfahrungen der Unternehmensgründung in baskischen Berufsbildungsstätten(Imanol Basterretxea, Ana González, Aitziber Olasolo, María Saiz und Lola Simón)

ñ Schwierigkeiten und Aussichten der beruflichen Bildung in Afrika – die Erfahrungenvon MISEREOR (Thomas Gerhards)

ñ Betriebliche Lernstrategien - empirische Untersuchung über Umsetzungsbeispiele inBetrieben (Sabine Schmidt-Lauff)

ñ Übergänge zwischen Schule und Erwerbsleben schaffen – Eine Studie über dieVorgehensweisen verschiedener Schulen zur Schaffung von günstigenVoraussetzungen für den Eintritt Jugendlicher ins Erwerbs- und Erwachsenenleben(Marita Olsson)

Nr. 30/2004

Editorial

ñ 2003: Das Europäische Jahr der Menschen mit Behinderungen (Martin Mulder, ÉricFries Guggenheim)

Dossier: Berufsbildung für Menschen mit sonderpädagogischemFörderungsbedarf

ñ Die berufliche Bildung behinderter Schüler in einer „einbeziehenden“ Umgebung(inclusive setting) (Annet De Vroey)

ñ Die Hochschulreife oder ein Facharbeiterbrief für benachteiligte Jugendliche (KarlJohan Skårbrevik, Randi Bergem, Finn Ove Båtevik)

ñ Neue Akteure in der Ausbildung von sozial benachteiligten Gruppen (CristinaMilagre, João Passeiro, Victor Almeida)

ñ Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf in der beruflichen Ausbildung inNorwegen - eine Längsschnittuntersuchung (Jon Olav Myklebust)

Forschungsbeiträge

ñ Einflüsse der Europäischen Union auf das Berufsbildungssystem in Deutschland(Dieter Münk)

Zuletzt

erschienene

deutsche Ausgaben

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BERUFSBILDUNG NR. 32 EUROPÄISCHE ZEITSCHRIFT

Nr. 31/2004

Forschungsbeiträge

ñ Weiterbildung als Strategie in Wertschöpfungsprozessen (Tahir Nisar)

ñ Die Integration der beruflichen Bildung Jugendlicher in das französischeSchulsystem: der Staat im Dienste der Unternehmen (Vincent Troger)

ñ Von der Überqualifikation zur Lerninsuffizienz: Ein Überblick über dieschwedische Forschung zu den Wechselbeziehungen zwischen Ausbildung,Arbeit und Lernen (Kenneth Abrahamsson, Lena Abrahamsson, JanJohansson)

Analyse der Berufsbildungpolitiken

ñ Veränderungen der pädagogischen und didaktischen Ansätze in derberuflichen Bildung in den Niederlanden: von institutionellen Interessen zuden Zielsetzungen der Lernenden (Elly de Bruijn)

ñ Die Weiterbildung der Lehrkräfte in der Krankenpflege - ein Beitrag zurBewertung der Bildungspraxis (Maria de Lourdes Magalhães Oliveira)

Standpunkte

ñ e-Learning - Virtuelle Universität im Kontext (Olaf Pollmann)

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BERUFSBILDUNG NR. 32 EUROPÄISCHE ZEITSCHRIFT

Cedefop

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Europäische Zeitschriftfür BerufsbildungAufforderung zur Einreichungredaktioneller BeiträgeDie Europäische Zeitschrift für Berufsbildung veröffentlicht Artikel von Berufsbildungs-und Beschäftigungsforschern und -fachleuten. Interesse besteht vor allem an Beiträgen,die Ergebnisse hochkarätiger Forschungsarbeiten, insbesondere grenzübergreifendervergleichender Forschung, einem breiten, internationalen Publikum aus politischen Ent-scheidungsträgern, Forschern und praktisch Tätigen nahe bringen.

Die Europäische Zeitschrift ist eine unabhängige Veröffentlichung, deren Inhalt einerkritischen Bewertung unterzogen wird. Sie erscheint dreimal jährlich in spanischer, deut-scher, englischer, französischer und portugiesischer Sprache und wird in ganz Europa, so-wohl in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union als auch in einigen Nicht-Mitglied-staaten, vertrieben.

Die Zeitschrift wird vom Europäischen Zentrum für die Förderung der Berufsbildung(Cedefop) herausgegeben und soll der Diskussion über die Entwicklung der beruflichenBildung, insbesondere durch die Darstellung der europäischen Sichtweise, Impulse ver-leihen.

In der Zeitschrift sollen Beiträge veröffentlicht werden, die neues Gedankengut enthalten,Forschungsergebnisse verbreiten und über Vorhaben auf einzelstaatlicher und europäi-scher Ebene berichten. Ferner werden Positionspapiere zu berufsbildungsrelevanten The-men sowie Reaktionen auf diese veröffentlicht.

Eingereichte Artikel müssen wissenschaftlich exakt, gleichzeitig jedoch einem breiten undgemischten Leserkreis zugänglich sein. Sie müssen Lesern unterschiedlicher Herkunft undKultur verständlich sein, die nicht unbedingt mit den Berufsbildungssystemen anderer Län-der vertraut sind. Das heißt, die Leser sollten in der Lage sein, Kontext und Argumenta-tion eines Beitrags vor dem Hintergrund ihrer eigenen Traditionen und Erfahrungen nach-zuvollziehen.

Neben der Hardcopy-Fassung werden Auszüge aus der Zeitschrift in das Internet ge-stellt. Auszüge der letzten Ausgaben können eingesehen werden unter:

http://www2.trainingvillage.gr/etv/publication/publications.asp?section=18

Die Autoren sollten ihre Beiträge entweder in eigenem Namen oder als Vertreter einer Or-ganisation verfassen. Diese sollten rund 2000 bis 4000 Wörter lang sein und in einer derfolgenden 26 Sprachen abgefasst sein: in den 20 offiziellen Sprachen der EuropäischenUnion (Spanisch, Tschechisch, Dänisch, Deutsch, Estnisch, Griechisch, Englisch, Franzö-sisch, Italienisch, Lettisch, Litauisch, Ungarisch, Maltesisch, Niederländisch, Polnisch, Por-tugiesisch, Slowakisch, Slowenisch, Finnisch und Schwedisch), den Sprachen der beidenassoziierten Länder (Isländisch und Norwegisch) oder den offiziellen Sprachen der Kan-didatenländer (Bulgarisch, Kroatisch, Rumänisch und Türkisch).

Die Artikel sollten beim Cedefop per E-Mail (als Textanlage im Word-Format) einge-reicht werden; außerdem sollten eine Kurzbiografie des Autors mit knappen Angabenzu seiner derzeitigen Stellung, eine kurze Inhaltsangabe für das Inhaltsverzeichnis (ma-ximal 45 Wörter), eine Zusammenfassung (zwischen 100 und 150 Wörtern) sowie 6 Schlag-wörter auf Englisch, die nicht im Titel des Artikels enthalten sind und den Deskriptorendes Europäischen Berufsbildungsthesaurus entsprechen, beigefügt werden.

Alle eingereichten Artikel werden vom redaktionellen Beirat der Zeitschrift geprüft, dersich die Entscheidung über die Veröffentlichung vorbehält. Die Verfasser werden über die-se Entscheidung unterrichtet. Die veröffentlichten Artikel müssen nicht unbedingt die Mei-nung des Cedefop widerspiegeln, die Zeitschrift bietet vielmehr die Möglichkeit, unter-schiedliche Analysen und verschiedene, ja sogar kontroverse Standpunkte darzustellen.

Wenn Sie einen Artikel einreichen möchten, so wenden Sie sich bitte telefonisch (30) 23 10 49 01 11, per Fax (30) 23 10 49 01 17 oder via E-mail ([email protected]) an den Herausgeber Éric Fries Guggenheim.

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Nr. 32 Mai - August 2004/II ISSN 0378-5106

Europe 123, GR-570 01 Thessaloniki (Pylea)Postanschrift: PO Box 22427, GR-551 02 ThessalonikiTel. (30) 2310 490 111 Fax (30) 2310 490 099E-Mail: [email protected] Homepage: www.cedefop.eu.intInteraktive Website: www.trainingvillage.gr

Europäische Zeitschrift Berufsbildung

Nr. 32 Mai - August 2004/II

Von der Divergenz zur Konvergenz Zur Geschichte der Berufsbildung in Europa

Forschungsbeiträge

Die europäischen Berufsausbildungs„systeme“ - Überlegungen zum theoretischen Rahmen der Darstellung ihrer historischen Entwicklung Wolf-Dietrich Greinert

Zwischen Schule und Betrieb. Aspekte der historischen Entwicklung beruflicher Bildung in den Niederlanden und in Deutschland ausvergleichender Sicht Dietmar Frommberger und Holger Reinisch

Berufsbildungsmodelle, Berufsbildungsparadigmen oderBerufsbildungskulturen Anja Heikkinen

Die gemeinsame Politik der Berufsausbildung in der EWGvon 1961 bis 1972 Francesco Petrini

Die Gewerkschaften und die Neubelebungder europäischen Sozialpolitik Maria Eleonora Guasconi

Die Rolle der beruflichen Bildung in der europäischen Sozialpolitik und das Cedefop Antonio Varsori

Der Platz der beruflichen Bildung in der Vorstellung eines europäischen Sozialraums von François Mitterrand (1981-1984) Georges Saunier

Bibliografische Rubrik, die vom Dokumentationsdienst des Cedefop mit Unterstützung der Mitglieder des europäischenFachwissens- und Referenznetzwerkes (ReferNet) erstellt wurdeAnne Waniart

Zur Geschichte der beruflichen Bildung in Europa Von der Divergenz zur Konvergenz

Zur Geschichte der beruflichen Bildung in Europa Von der Divergenz zur Konvergenz

Preis in Luxemburg (ohne MwSt.)Einzelnummer EUR 10Jahresabonnement EUR 20

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