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Zentralinstitut fiir ErnWung in Potsdam-Rehbriicke (Direktor : Prof. Dr. H. HAENEL), Forschungszentrum far Molekularbiologieund Medizin, Akademie der Wissenschaften der DDR Zur Kontamination der Umwelt mit Hexachlorbenzol R. ENGST, R. M. MACHOLZ und M. KUJAWA Die Ursachen der Hexachlorbenzol(HCB)-Kontamination der Umwelt sind komplexer Natur. Neben cler mikrobiellen Metabolisierung von Lindan zu HCB sind vorerst als teilweise hypo- thetische Ursachen die Pyrolyse von Pentachlorphenol (Holzimpragnierung), die Chlorbe- handlung von ligninhaltiger Laugen sowie m8gliche Verunreinigungen von Wirkstoffen, die aus Polychlorbenzolen groBtechnisch synthetisiert werden. beachtenswert. uber die Kontamination von Lebensmitteln mit Hexachlorbenzol (HCB) ist vielfach berichtet worden. In letzter Zeit nimmt sie wachsend internationales Inter- esse in Anspruch. Die Konzentration von HCB in der Umwelt ist wahrscheinlich groBer als nach der bewuBt angewendeten Menge anzunehmen ware. Durch den von uns 1974 erstmals gelungenen Nachweis der Metabolisierung von Lindan (y-1,~,~,~,~,6-Hexachlorcyclohexan, y-HCH) zu Hexachlorbenzol in einer Schimmelpilzkultur [I] ist zur Diskussion iiber die Ursachen der HCB-Kontamination der Umwelt ein neuer Fakt beigetragen worden. In der zitierten Arbeit wurde seiner- zeit lediglich die Tatsache ohne Wertung dargestellt. Nach weiterfuhrenden umfang- reichen Untersuchungen zum Metabolismus von Lindan in der Schimmelpilzkultur i1-31, in Ratten [4-61 und Menschen [7, 81 sowie zum Metabolismus von HCB in der lindanabbauenden Schimmelpilzkultur [g] und in Ratten [IO]sowie nach Kennt- nis von Ergebnissen anderer Arbeitsgruppen bietet sich eine Diskussion auch von unserer Seite an. Die Bildung von HCB aus Lindan in Pflanzen konnte experimentell bereits mehr- fach belegt werden [12 - 141. Bei Umwandlung von Hexachlorcyclohexanderivaten (Lindan) in aromatische Ringsysteme (HCB) sind vorerst rein hypothetisch isomere Hexachlorcyclohexene und Hexachlorcyclohexadiene als Zwischenprodukte anzu- nehmen. Dieses Abbauprodukt des Lindans ist inzwischen als 1,2,3.4,5,6-Hexa- chlorcyclohexen (HCCH) eindeutig identifiziert worden [13,2z]. Die Bildung von HCB aus Lindan in Warmbliitern konnte bisher nicht belegt werden. Offensichtlich verfiigen nur niedere Organismen und Pflanzen iiber die Fahig- keit, Lindan iiber einen weniger bedeutenden Abbauweg zu HCB zu metabolisieren. Der Anteil des gebildeten HCB ist in allen bekannten Untersuchungen gering im Ver- gleich zu Metaboliten, die als End- oder Zwischenprodukte des Lindanabbaus iiber ~-~,z,~,~,~-Pentachlorcyclohexen (y-PCCH) [I, 4, 5, 111, Tetra- und Pentachlor- cyclohexenol (TeCCOL, PCCOL) Lz,5 11, 15, 161 zu Polychlorphenolen [I, 5, 11. 15-18] entstehen [Abb. I).

Zur Kontamination der Umwelt mit Hexachlorbenzol

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Page 1: Zur Kontamination der Umwelt mit Hexachlorbenzol

Zentralinstitut fiir ErnWung in Potsdam-Rehbriicke (Direktor : Prof. Dr. H. HAENEL), Forschungszentrum far Molekularbiologie und Medizin, Akademie der Wissenschaften der DDR

Zur Kontamination der Umwelt mit Hexachlorbenzol

R. ENGST, R. M. MACHOLZ und M. KUJAWA

Die Ursachen der Hexachlorbenzol(HCB)-Kontamination der Umwelt sind komplexer Natur. Neben cler mikrobiellen Metabolisierung von Lindan zu HCB sind vorerst als teilweise hypo- thetische Ursachen die Pyrolyse von Pentachlorphenol (Holzimpragnierung), die Chlorbe- handlung von ligninhaltiger Laugen sowie m8gliche Verunreinigungen von Wirkstoffen, die aus Polychlorbenzolen groBtechnisch synthetisiert werden. beachtenswert.

uber die Kontamination von Lebensmitteln mit Hexachlorbenzol (HCB) ist vielfach berichtet worden. In letzter Zeit nimmt sie wachsend internationales Inter- esse in Anspruch. Die Konzentration von HCB in der Umwelt ist wahrscheinlich groBer als nach der bewuBt angewendeten Menge anzunehmen ware.

Durch den von uns 1974 erstmals gelungenen Nachweis der Metabolisierung von Lindan (y-1,~,~,~,~,6-Hexachlorcyclohexan, y-HCH) zu Hexachlorbenzol in einer Schimmelpilzkultur [I] ist zur Diskussion iiber die Ursachen der HCB-Kontamination der Umwelt ein neuer Fakt beigetragen worden. In der zitierten Arbeit wurde seiner- zeit lediglich die Tatsache ohne Wertung dargestellt. Nach weiterfuhrenden umfang- reichen Untersuchungen zum Metabolismus von Lindan in der Schimmelpilzkultur i1-31, in Ratten [4-61 und Menschen [7, 81 sowie zum Metabolismus von HCB in der lindanabbauenden Schimmelpilzkultur [g] und in Ratten [IO] sowie nach Kennt- nis von Ergebnissen anderer Arbeitsgruppen bietet sich eine Diskussion auch von unserer Seite an.

Die Bildung von HCB aus Lindan in Pflanzen konnte experimentell bereits mehr- fach belegt werden [12 - 141. Bei Umwandlung von Hexachlorcyclohexanderivaten (Lindan) in aromatische Ringsysteme (HCB) sind vorerst rein hypothetisch isomere Hexachlorcyclohexene und Hexachlorcyclohexadiene als Zwischenprodukte anzu- nehmen. Dieses Abbauprodukt des Lindans ist inzwischen als 1,2,3.4,5,6-Hexa- chlorcyclohexen (HCCH) eindeutig identifiziert worden [13,2z].

Die Bildung von HCB aus Lindan in Warmbliitern konnte bisher nicht belegt werden. Offensichtlich verfiigen nur niedere Organismen und Pflanzen iiber die Fahig- keit, Lindan iiber einen weniger bedeutenden Abbauweg zu HCB zu metabolisieren. Der Anteil des gebildeten HCB ist in allen bekannten Untersuchungen gering im Ver- gleich zu Metaboliten, die als End- oder Zwischenprodukte des Lindanabbaus iiber ~-~,z,~,~,~-Pentachlorcyclohexen (y-PCCH) [I, 4, 5, 111, Tetra- und Pentachlor- cyclohexenol (TeCCOL, PCCOL) L z , 5 11, 15, 161 zu Polychlorphenolen [I, 5, 11. 15-18] entstehen [Abb. I).

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Abb. I . Gemeinsames Abbauschema von Lindan und HCB [ 5 , 10, XI] Abkiirzungen : I)CR - Dichlorbenzol DCT - Dichlorphenol TC13 - Trichlorbenzol

TCP - Trichlorphcnol TeCB - Tetrachlorknzol TeCP - Tetrachlorphenol

Ausgehend von der Tatsache, daB alle chemjschen Reaktionen einem Gleichgewicht unterworfen sind, untersuchten wir, nachdem der Abbau von Pentachlorbenzol (PCB) bereits bewiesen worden ist, ob auch mit einem Aufbau von HCB aus PCB zu rechnen ist. Die HCB-Bildung konnte jedoch unter den bereits beschriebenen Arbeitsbe- dingungen nicht nachgewiesen werden. Dies berechtigt zu der Feststellung, daB die Bildung von HCB aus PCB in nennenswerten Mengen nicht anzunehmen ist, wlhrend die Bildung geringer Mengen von HCB aus Lindan gesichert erscheint.

Die Metabo1ism.usstudien zur biochemisch-physiologischen Entstehung von HCB sind sicher nur ein AnlaD fiir die Diskussion der HCB-Problematik.

Zahlreiche neuere Befunde belegen, daB die Exkretion von an Warmbltitern appli- ziertem HCB aukrordentlich langsam erfolgt [r7, IS]. Wegen dieser Persistenz er- scheinen hohe HCH-Gehalte in fetthaltigen Nahrungsmitteln besonders suspekt.

Die Metabolisierung von Lindan kommt nach Vorstehendem als alleinige Ursache der HCB-Kontamination jedoch kaum in Frage. Die Zahl HCB-bildender Organismen und damit der Umfang des Abbaus von Lindan zu HCB sind zwar nicht mengenmaDig abzuxhatzen; das anscheinend so unerklarlich hohe Vorkommen von HCB muD jedoch zumindest teilweise auf andere Ursachen zuruckzuftihren sein.

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Kontamination mit Hexachlorbenzol 233

Infrage kommen folgende:

HCB gelangt als Weichmacher und Flammenschutzmittel sowie als Pflanzenschutz- mittel (Fungizid) in die Umwelt.

Bei der Verbrennung von Nutzholzern, die mit dem Holzschutzmittel Pentachlor- phenol (PCP) behandelt worden sind, ist u. a. mit der Entstehung von HCB zu rechnen. Dies konnte durch experimentelle Ergebnisse bestatigt werden. Erhitzen von PCP auf 300 "C fiihrt namlich zur Bildung von HCB. Hierfur wird der in Abb. z gezeigte Reaktionsmechanismus vorgeschlagen [IQ].

\ CI a CIOOH + c" CI /CI u / a

Cl C( Abb. 2. Reaktionsfolge der Umwandlung von PCP in HCB bei der Erhitzung von PCP [IS]

Da PCP aus HCB durch alkalische Hydrolyse unter Druck bei 140 "C (Aus- beute etwa 85%) hergestellt wird, enthalten das technische Produkt und damit zweifellos auch Holzimpragniermittel auf PCP-Basis von Anfang an ebenfalls HCB. Die Pestizide Quintozen (Pentachlornitrobenzol) und Chlorothalonil (Tetrachloro- isophthalonitril) werden aus Polychlorbenzolen groBtechnisch synthetisiert und konnen somit durch Spuren des Ausgangsproduktes in Formulierungen ebenfalls zur Verbreitung von HCB beitragen. Die zuletzt genannten Fungizide und HCB selbst werden bzw. wurden als Wirkstoffe allerdings nur in relativ geringem Umfang angewendet .

Auch bei der Chlorbehandlung ligninhaltiger Laugen, die in aufierordentlich groBem Umfang angewendet wird, ist mit der Entstehung chlorierter Phenylderivate zu rechnen [zo, 2x1. Bei Pyrolyse und photochemischen Reaktionen von polychlorierten Biphenylen und anderen chlorierten Verbindungen ist HCB-Bildung nicht aus- geschlossen. Derartige Produkte sollten daher auf den Gehalt an HCB und anderen suspekten Umweltverunreinigungen untersucht werden.

Die Ursachen der HCB-Kontamination sind komr lexer Natur. Sie sind weder durch die Befunde zur biologischen Umwandlung von Lindan in HCB noch durch die Tatsache, daB andere Wirkstoffe HCB als technische Verunreinigung enthalten, noch durch heute noch teilweise hypothetische, rein chemische Reaktionen chlorierter Verbindungen allein erklarbar. Es erscheint bei der Unkenntnis der genauen Zusam- mensetzung vieler Wirkstofformulierungen notwendig, als Ursache fur die hohe

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HCB-Konzentration in der Umwelt die unbewuI3te Einschleppung gr6Derer HCB- Verunreinigungen beim Einsatz anderer Wirkstoffe zumindest mit in Betracht zu ziehen.

S u m m a r y

R. ENGST, K. M. MAcrioLz and M. KUJAWA: On the contamination of the environment with hexa- chlorobenzene

The causes of hexachlorobenzene (HCB) contamination of the environment are of complex nature. Besides the microbial metabolism of lindane t o HCB, the pyrolysis of pentachlorophenol (wood impregnation), the chlorine treatment of lignin-containing lyes and possible contaminations with active agents which are industrially synthetized from polychlorbenzenes must be regarded as causes being in part still hypothetical.

L i t e r a t u r

[I] ENGST, R., R. M. MACHOLZ u. M. KUJAWA, Nahrung 18, 737 (1974). [2] ENGST, R., R. M. MACHOLZ u. M. KUJAWA. in Vorbereitung. [3] KUJAWA, M., M. HARTIG, R. M. MACHOLZ u. R. ENGST, Nahrung 20, 181 (1976). [4] KUJAWA, M., R. M. MACHOLZ u. R. ENGST, Nahrung 18, K25 (1974). [5] ENGST, It., R. M. MACHOLZ, M. KUJAWA, H.-J. LEWERENZ u. R. PLASS, J. Environm. Sci. and

[6] SEIDLER, H., R M. MACHOLZ, M. H ~ R T I G , M. KUJAWA u. R. ENGST, Nahrung 19, 473 (1975). r7] ENGST, R., R. M . MACHOLZ, u. M. KUJAWA, 2. ges. Hyg. Grenzgebiete 22, 205 (1976). [8] ENGST. R., R. M. MACHOLZ u. M. KUJAWA, 2. ges. Hyg. Grenzgebiete 22, 495 (1976). [g] ENGST, R., R. NI. MACHOLZ u. M. KUJAWA, Nahrung 19. 603 (1975).

Health BII (z), 95 (1976.)

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[IS] Koss. G., W. KORANSKY u. K. STEINBACH, Arch. Toxicol. 35. 107 (1976). [19] SANDERMANN, TV., Natunviss. 61, 207 (1974). [zo] PEW, J . C., Nature 193, 2 5 0 (1962). [21] PEW, J. C., J. org. Chemistry 28. 1048 (1963). [22] Chadwick, R. W., L. T. Chuang u. K. Williams, Pest. Biochem. Physiol. 5, 575 (1975).

Prof. Dr. R. ENGST, Dr. R. M. MACHOLZ und Dr. M. Ku JAWA, Zentralinstitut fur Ernahrung. Bereich Fremdstoffe in Nablung und Ernahrung, DDH-1505 Bergholz-Rehbrticke, Arthur-Schcunert-Allc~ 114- I 16

Eingegangen I. 7. 1976

Druck.

(1975).